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Enno Stahl

Der Pförtner Barnik

SuKuLTuR

2012

Barnik arbeitete im Institut. Wenn jemand wissen wollte, worin seine Beschäftigung bestünde, sagte er nur: „Ich arbeite im Institut.“ Das hatte den Vorteil, dass der Frager zumeist nicht darauf kam, was er dort wirklich tat, dass er bloß eine Art Hausmeister und Pförtner, kurz: Mädchen für-alles war.

Das Institut war dem Dichter Gottwald geweiht, es trug seinen Namen und ihm zu Ehren war es in den 60er Jahren gegründet worden. Bis heute waren die Institutsangehörigen darum bestrebt, das Ansehen Gottwalds zu fördern und zu mehren.

Nicht immer erfolgreich und angemessen, nach Barniks Meinung. Die Besucherzahlen der kleinen Dauerausstellung, die über Leben und Werk des Dichters informierte, waren rückläufig. Bisweilen kam eine hiesige Schulklasse, um sich mit dieser großen Persönlichkeit der Stadtgeschichte zu befassen. Oder ein paar versprengte Touristen verliefen sich hierhin. Es gab den Lesesaal mit einer wohl sortierten Gottwald-Bibliothek, doch auch er wurde wenig frequentiert.

Gut, seit über zwanzig Jahren erschienen die ̀Studienhefte´, in denen die neuesten Ergebnisse der Gottwald-Forschung verbreitet wurden. Sicher, man verwaltete den Nachlass, doch wer interessierte sich schon dafür? Zwei, drei auswärtige Wissenschaftler pro Jahr, wenn es hoch kam, trübe Gestalten in Barniks Augen, Buchhaltertypen, ergraut und erloschen, dem mitunter exzessiven Charakter des Gottwald’schen Werks konnten sie gar nicht gerecht werden, nein, der Dichter hatte etwas Besseres verdient. Barnik wusste selbst nicht, wie und was. Er hatte Bilder im Kopf von Gruppen aufgeweckter Studenten, die mit leuchtenden Augen den Ausführungen des Professors folgten, sich an Gottwalds Büchern berauschten. Doch die Studenten waren nicht aufgeweckt, ihre Augen leuchteten nicht und sie lasen wenig.

Häufig schon hatte der Professor ihre Teilnahmslosigkeit beklagt. Nicht einmal er vermochte es, sie aus der Reserve zu locken, und er war wirklich ein brillanter Mann, ein Expressionismus-Experte von internationalem Rang. Er hielt Vorträge und Gastvorlesungen in aller Welt, war Mitglied der erlesensten Akademien, einen gelungeneren Repräsentanten konnte sich der Dichter Gottwald gar nicht wünschen.

Barnik hatte schon Einiges hinter sich, bevor man ihn im Institut anheuerte. Als Taxifahrer hatte er gearbeitet und als Lagerist, als Verpacker und als Parkwächter, als Rausschmeisser in einer Reeperbahnkneipe und als Zeitungsverkäufer. Doch immer hatte ihm etwas gefehlt, ohne dass er es hätte benennen können. Es war eine Auf-, eine Hingabe, ein Wert über die bloße Existenzsicherung hinaus. Erst im Institut war ihm das klar geworden, und es war das Werk Gottwalds, das Barnik einen solchen Wert schenkte. Dass er ausgerechnet hier gelandet war, konnte kein Zufall sein. Der Lebensweg des Dichters wies zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Barniks eigener Biographie auf. Auch Gottwald stammte aus beengten Verhältnissen, der