Haupttitel

Liebesbriefe großer Frauen

Herausgegeben von Sabine Anders und Katharina Maier
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Editorische Notiz: Alle Briefe wurden behutsam der neuen Rechtschreibung angepasst.
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ISBN: 978-3-8438-0006-8
 
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Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Vorwort

Heloisa (um 1095-1164)

an Abaelard

Katharina von Aragon (1485-1536)

an König Heinrich VIII.

Anne Boleyn (?1501-1536)

an König Heinrich VIII.

Jakobäa von Baden-Baden spätere Herzogin von Jülich-Berg-Kleve (1558-1597)

an Graf Hans Philipp zu Manderscheid

Margarethe Kuffner (16. Jahrhundert)

An Philipp Melanchthon den Jüngeren

Ninon de Lenclos (1620-1705)

an den Marquis de Coligny und den Marquis de Sévigné

an den Marquis de Coligny

an den Marquis de Sévigné

Maria Theresia (1717-1780)

an Kaiser Franz I.

Eva König spätere Lessing (?1736-1778)

an Gotthold Ephraim Lessing

Angelika Kauffmann (1741-1807)

an Johann Wolfgang von Goethe

Karoline Flachsland spätere Herder (1750-1809)

an Johann Gottfried von Herder

Marie Antoinette (1755-1793)

an den Dauphin Ludwig (XIV.) von Frankreich

Mary Wollstonecraft (1759-1797)

an Gilbert Imlay und William Godwin5

an Gilbert Imlay

an William Godwin

Charlotte von Kalb (1761-1843)

an Jean Paul Friedrich Richter

Caroline Schlegel / Schelling (1763-1809)

an Friedrich Schlegel, A. W. Schlegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

an Friedrich Schlegel

an A. W. Schlegel

Caroline und Auguste an Schelling:

Briefe aus Braunschweig, nach Augustes Tod:

an Schelling

Tod Wonne

Schmerz Liebe

an A. W. Schlegel in Berlin:

Briefe von der Reise nach Jena:

an A. W. Schlegel

an Schelling

Briefe aus Jena an A. W. Schlegel:

Caroline an Schelling drei Jahre nach der Eheschließung:

Christiane Vulpius spätere von Goethe (1765-1816)

an Johann Wolfgang von Goethe

Charlotte von Lengefeld spätere Schiller (1766-1826)

an Friedrich Schiller

Germaine de Staël (1766-1817)

an Adolf Ludwig Ribbing und Benjamin Constant

an Adolf Ludwig Ribbing6

an Benjamin Constant aus London

Charlotte Carpenter spätere Scott (1770-1826)

an Sir Walter Scott7

Rahel Levin spätere Varnhagen (1771-1833)

an Karl Graf von Finckenstein, Raphael d’Urquijo, Alexander von der Marwitz und Karl August Varnhagen von Ense

an Karl Graf von Finckenstein

An Raphael d’Urquijo

an Alexander von der Marwitz

an Karl August Varnhagen von Ense

Luise von Mecklenburg-Strelitz spätere Königin von Preußen (1776-1810)

an Friedrich Wilhelm (III.) von Preußen

als Kronprinzessin

Karoline von Günderrode (1780-1806)

an Clemens Brentano und Friedrich Creuzer

an Clemens Brentano

Brieffragmente an Friedrich Creuzer

Bettina Brentano / von Arnim (1785-1859)

an Johann Wolfgang von Goethe und Achim von Arnim

an Johann Wolfang von Goethe

an Achim von Arnim

Lady Caroline Lamb (1785-1828)

an George Gordon, Lord Byron12

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

an Levin Schücking

George Sand (1804-1876)

an Alfred de Musset und Frédéric Chopin

an Alfred de Musset

an Frédéric Chopin15

Elizabeth Barrett Browning (1806-1861)

an Robert Browning16

Clara Wieck / Schumann (1819-1896)

an Robert Schumann und Johannes Brahms

Clara Wieck an Robert Schumann

Clara Schumann an Johannes Brahms

Emily Dickinson (1830-1886)

an unbekannte Adressaten19

Eleonora Duse (1858-1924)

an Arrigo Boito20

Edith Wharton (1862-1937)

an William Morton Fullerton22

Rosa Luxemburg (1871-1919)

an Leo Jogiches25

Paula Modersohn-Becker (1876-1907)

an Otto Modersohn

Quellenangaben

Fußnoten

Kontakt zum Verlag

Vorwort

»Der Brief ist diejenige literarische Form, in der die Frau sich am leichtesten und besten ausdrückt«, schreibt Ricarda Huch (1864-1947), selbst bedeutende Philosophin, Historikerin und Literatin1. Sie begründet dies zum einen mit der ungezwungenen und gefühlsbetonten Form des Briefes. Zum anderen versäumt es Ricarda Huch aber nicht, darauf hinzuweisen, dass es in erster Linie gesellschaftlich bedingt war, wenn sich die Frau bis zum Ende des 19. Jahrhunderts so gern und häufig der ›weiblichen‹ Textform des Briefes bediente. In diesem Zusammenhang floss ein wichtiger Satz diese Gattung betreffend aus Huchs Feder: »Sie legt keinen Zwang auf.«2 – Schon immer eröffnete der Brief einen textuellen Raum, in dem Frauen sich frei(er) ausdrücken konnten als in irgendeinem Rahmen sonst – losgelöst von den von Männern aufgestellten literarischen Regeln und bis zu einem gewissen Grad auch von den strengen sozialen Normen, die besonders dem weiblichen Geschlecht enge (Verhaltens)Grenzen setzten. Gerade Liebesbriefe, gerichtet an einen geliebten Anderen, dem die Frau – so erhält man insgesamt den Eindruck – sich in ungewohnter Weise zu öffnen wagt, gewähren Einblicke in das Gefühlsleben, aber auch schlicht in die Lebensgeschichte vieler faszinierender Frauen vergangener Jahrhunderte. Häufig waren solche Briefe die einzige Möglichkeit für die liebende Frau, zu ihrem Angebeteten Kontakt aufzunehmen und das Verhältnis aufrechtzuerhalten – manchmal über bloße räumliche Entfernung, aber oft auch angesichts unüberwindlich erscheinender gesellschaftlicher Widerstände. Frauen hatten, bis auf einige Ausnahmen, wenig Freiraum, ob als junges Mädchen an den Willen der Familie gebunden, als Verheiratete an den Ehemann oder im Allgemeinen als Frau an die Normen sozialer Respektabilität. Was da im Herzen einer Liebenden brannte und nach Außen drängte, konnte und durfte oft nicht anders Ausdruck finden als in Form eines Liebesbriefes. Nicht selten wurde so der Brief auch zum Mittel der Verführung und stellte nicht zuletzt für die Frau die einzige Möglichkeit dar, den Geliebten zu halten; weder konnte sie räumliche Entfernung leicht überwinden, da kaum eine Frau vergangener Zeiten über ähnliche Reisefreiheit verfügte wie die oft sehr mobilen Männer, noch konnte sie es sich in den meisten Fällen vom gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen leisten, für einen Mann zu kämpfen, der sich ihr zu entziehen drohte. Dies mag erklären, warum sich unter den ›Liebesbriefen großer Frauen‹ so viele zutiefst rührende, verzweifelte oder auch verzichtsreiche Texte finden, in denen die Verfasserin um den Geliebten ringt oder ihn schweren Herzens loslässt. Doch auch Zeugnisse tiefer und standhafter Liebe bieten sich dem Leser dar, kokettes Getändel genauso wie Ausbrüche glühender Leidenschaft und eheliche Vertrautheit – kurz: alle Variationen der Liebe, wie sie Frauen in der Vergangenheit wohl kaum je im gleichen Maße öffentlich ausleben konnten.

Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war der Brief neben dem Tagebuch die häufigste literarische Form, derer sich Frauen bedienten – und bedienen konnten. Schriftstellerei galt besonders für Frauen lange als ein ›anstößiger‹ Beruf; bis auf wenige, herausragende Ausnahmen, die sich Anerkennung und Respekt erkämpften, veröffentlichten weibliche Literatinnen oft anonym oder unter einem (männlichen) Pseudonym – oder beschränkten sich auf die persönlichen, ›weiblichen‹ Gattungen Brief und Tagebuch. In manchen Fällen wurden diese Schriften, oft posthum, veröffentlicht, in anderen wurden sie zerstört oder verschwanden, um erst nach Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, wiedergefunden zu werden. Andere harren auf irgendeinem Dachboden oder Trödelmarkt immer noch der zufälligen Entdeckung. Und so sind, was angesichts der Charakterisierung der Gattung als ›weiblich‹ geradezu paradox erscheint, mehr Briefe von den großen Männern der Geschichte erhalten oder wenigstens bekannt als von großen Frauen. Das gilt besonders für die so intimen Liebesbriefe, die nicht selten Gefühle – und Begierden – in Worte fassen, wie sie Frauen lange nicht anstanden, oder auf Beziehungen schließen lassen, die alles andere als ›legitim‹ oder ›akzeptabel‹ waren. Und so geschieht es häufig, dass von den Liebesbriefen eines berühmten Paares die seinen in ihrer Vollzahl veröffentlich wurden – und die ihren spurlos verschwanden. Hinzu kommt, dass bis zum 18. Jahrhundert viele Frauen des Schreibens schlicht nicht mächtig waren. – Diesen widrigen Umständen zum Trotz lässt sich ein Reichtum an gefühlvollen Dokumenten in Liebesbriefform finden, ganz besonders aus dem 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als nicht nur die weibliche Briefkultur einen Höhepunkt erreichte. Doch man stößt auch immer wieder auf briefliche Schätze aus früheren Jahrhunderten. Heloisa, Katharina von Aragon, Anne Boleyn, Ninon de Lenclos – sie alle gehören zu diesen frühen Liebesbriefschreiberinnen, deren Geschichten uns auch heute noch bewegen. Das 18. und 19. Jahrhundert wiederum sind wahre Fundgruben großer weiblicher Liebesbriefe, oft aus der Feder von Schriftstellerinnen oder solchen, die es hätten werden können, hätte ihnen ihr soziales Umfeld größere – literarische wie persönliche – Freiheit gewährt. Die zweite große Gruppe von Briefeschreiberinnen besteht aus Frauen, die auf politischer oder sozialer Bühne aktiv waren und sich aller männlicher Vorherrschaft zum Trotz als große, hervorstechende Einzelfiguren in die Geschichte einschrieben; eröffnet wird diese Reihe bereits im 11. Jahrhundert von der Ordensgründerin Heloisa und führt über Frauen wie die Kaiserin Maria Theresia und deren Tochter Marie Antoinette oder die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft bis hin zu Rosa Luxemburg. Doch auch anrührende wie beeindruckende Zeugnisse von den Frauen ›hinter‹ den großen Männern der Geschichte finden sich hier, die ahnen lassen, wie viel so manche Geistesgröße der starken Frau an seiner Seite verdankte. Und nicht zuletzt sind Liebesbriefe aus jener Zeit oft Dokumente des eher indirekten, schwer fassbaren Einflusses der beeindruckenden Salon- und Gesellschaftsdamen, deren Vorreiterin die große Liebende Ninon de Lenclos war und ohne die die bedeutenden Kreise von Literaten und Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts kaum denkbar sind. Jene Texte lassen die eindrucksvollen ›sozialen Kunstwerke‹, die jene Frauen schufen, die im Moment verhaftet sind und in der Geschichte fast untergingen, zumindest erahnen. – All diese Liebesbriefe von Frauen, die über die Jahrhunderte im Vordergrund wie im Hintergrund der Geschichte standen, haben eines gemeinsam: Sie erzählen große Frauen- und Liebesgeschichten gleichermaßen.

Wer ›Liebesbriefe großer Frauen‹ sammelt, muss zuweilen ein wenig genauer hinsehen als bei der Suche nach Liebesbriefen großer Männer, die für den korrespondierenden Band Ewig Dein, ewig mein, ewig uns zusammengetragen wurden. Das geht nicht immer ohne Hilfe, vor allem im Bereich fremdsprachiger Texte, die der Übersetzung harren. Daher möchten wir an dieser Stelle Elżbieta Baraniecka für ihre tatkräftige Unterstützung danken.

Sabine Anders Katharina Maier

Katharina von Aragon
(1485-1536)

an König Heinrich VIII.

Katharina von Aragon, die jüngste Tochter von Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien, wurde mit dem englischen Thronfolger Arthur verheiratet, der nur fünf Monate später starb; Katharina schwur später stets, die Ehe sei nie vollzogen worden. Sieben Jahre lang lebte sie als Witwe des Kronprinzen am Hof von England, bis ihr Schwager den Thron bestieg und zu Heinrich VIII. wurde. Obwohl seine Ratgeber eine andere Verbindung favorisierten, heiratete Heinrich Katharina. Allen Anzeichen zufolge war er ihr jahrelang herzlich zugetan, und sie liebte ihren jungen Ehemann abgöttisch. Doch, obwohl oft schwanger, konnte Katharina Heinrich keinen lebenden männlichen Erben schenken – das einzige überlebende Kind war die Tochter Mary, die spätere Königin –, und schließlich fiel dem König Anne Boleyn ins Auge. Mit aller Macht versuchte Heinrich nun, eine Annullierung seiner Ehe mit Katharina zu erreichen; er hatte gegen den erbitterten Widerstand der frommen Königin selbst, seines Volkes, das Katharina zutiefst verehrte, und den des Papstes anzukämpfen. Als Letzterer sich weigerte, Heinrichs Eheschließung mit Anne Boleyn anzuerkennen, brach der König mit der katholischen Kirche und machte sich selbst zum Haupt der anglikanischen Kirche. Katharina wurde vom Hofe verbannt, doch betrachtete sie sich den Rest ihres Lebens als rechtmäßige Frau Heinrichs VIII. und Königin von England. Sie starb 1536 eines natürlichen Todes.

[1. Januar 1536]

Sire, mein liebster König, Herr und Gemahl, ich stehe im Begriffe, meine Seele in die Hände der göttlichen Barmherzigkeit zu übergeben; und also wird sie bald von diesem Körper gelöst sein, dem Ihr so viel Leiden und Schmerzen verursacht habt. Aber so groß diese auch immer waren, so haben sie doch niemals vermocht, die Liebe, die ich jederzeit für Euch hegte und die bis ins Grab dauern wird, erkalten zu lassen, geschweige gar sie auszulöschen. Dies nötigt mich, heute diesen Brief an Euch zu schreiben, um Euch als Eure Gemahlin zu ermahnen und als eine Christin zu erinnern, dass Ihr an Eure ewige Seligkeit denkt, die Euch doch teurer sein soll als die vergängliche Krone, die Ihr tragt, und alle Schätze und alle Hoheit der Welt. Ich habe nie verfehlt, den Vater des Lichts für Euch, mein liebster Gemahl und mein König, anzuflehen, dass er Euch gute Gedanken zu Eurem Heil eingebe und Euch von den sinnlichen Vergnügungen abziehe, die mich so viele Tränen und Kränkungen gekostet und die Euch selbst in einen Abgrund von Unordnungen und Unruhen gestürzt haben. Übrigens verzeihe ich von Herzen alles, was Ihr mir zuleide getan habt, und bitte Gott, dass er Euch nach seiner unendlichen Barmherzigkeit auch verzeihen wolle. Ehe ich noch meinen letzten Seufzer ausstoße, will ich Euch flehentlich gebeten haben, mir eine Gnade nicht abzuschlagen, die mir zu bewilligen alle Gesetze des Himmels und der Erde Euch verpflichten; ich meine, dass Ihr für die Prinzessin Marie, Eure und meine Tochter, sorgen möchtet. Habt Ihr Euch auch gegen mich nicht als guter Ehemann beweisen wollen, so beweist Euch doch wenigstens gegen sie als ein guter Vater. Ich ersuche Euch auch, für meine drei Kammerfräulein und für meine Bedienten zu sorgen, die mir so treulich gedient haben. Seid so großmütig und lasst ihnen vollends auszahlen, was ihnen von ihrem Gehalte rückständig geblieben ist; und gebt ihnen den Sold noch für ein Jahr dazu, um sie doch einigermaßen für das, was ich ihnen schuldig bin, zu belohnen. Ich schließe und versichere Euch, dass ich Euch noch von Herzen liebe; und das Einzige, was ich wünschte, um ruhig aus der Welt zu gehen, wäre, Euch zu sehen und in Euren Armen zu sterben.

Heloisa
(um 1095-1164)

an Abaelard

Die Liebesgeschichte der beiden französischen Ordensgründer Petrus Abaelardus und Heloisa, oder Héloïse, ist eine der berühmtesten des Mittelalters und gehört wohl zu den dramatischsten aller Zeiten. Der leidenschaftliche Theologe, Philosoph, Poet und Musiker Abaelard, der sich wegen seiner progressiven und provokanten Ansichten und nicht zuletzt seiner ›blasphemischen‹ Tendenz, alles und jeden in Frage zu stellen, bereits einige Feinde unter dem Klerus seiner Zeit gemacht hatte, begegnete der jungen, gebildeten Heloisa im Haus ihres Onkels und Vormunds Fulbert. Abaelard wurde als Heloisas Hauslehrer angestellt, und zwischen den beiden entwickelte sich schnell eine leidenschaftliche, sinnliche Affäre. Während manche Heloisa als das bloße Opfer des (gewaltbereiten) Verführers Abaelard sehen, vermuten andere in dem Mädchen, welches in späteren Briefen als sexuell selbstbewusste Frau auftritt, den eigentlichen Ursprung des Verhältnisses; so nennt Hans-Wolfgang Krautz Abaelards Verhalten eine »tragische Verblendung vor überlegener weiblicher Einsicht« (Stuttgart 1989, S. 390). Nur zu bald wurde die Affäre entdeckt; Heloisa floh vor ihrem wutentbrannten Onkel und brachte Abaelards Sohn zur Welt. In der Zwischenzeit kamen der junge Theologe und Fulbert zu einer Einigung, und Abaelard und Heloisa schlossen entgegen den Wünschen der jungen Frau den Bund der Ehe, zu allem Überfluss auch noch heimlich, um Abaelards Chancen, in der kirchlichen Hierarchie aufzusteigen, nicht zu beeinträchtigen (nur niedrigrangige Kleriker durften zu dieser Zeit heiraten, wenn auch selbst das nicht gerne gesehen wurde). Der chronisch eifersüchtige Abaelard zwang seine Frau, als scheinbare Novizin in das Kloster Argentueil, in dem sie erzogen worden war, einzutreten. Ihre Verwandten empfanden dies als Akt der Verstoßung, lauerten Abaelard auf und kastrierten ihn aus Rache. Die öffentliche Schande trieb den Theologen ins Kloster – und er zwang seine Frau, ihm zu folgen und den Schleier zu nehmen, vermutlich um eine eventuelle Wiederverheiratung Heloisas zu verhindern.

Es sollte über zehn Jahre dauern, bis die beiden Liebenden nach diesem unrühmlichen Verhalten Abaelards wieder in Kontakt traten. Das Kloster Argentueil, das als Auffangbecken für ›gefallene Frauen‹, verstoßene Ehefrauen und mittellose Mädchen diente und zu dessen Priorin Heloisa aufgestiegen war, wurde vom örtlichen Abt kurzerhand geschlossen. Die heimatlosen Nonnen unter Heloisa wandten sich an Abealard, der vergeblich versucht hatte, sein humanistisches Ideal klösterlichen Lebens unter den Mönchen in Paraklet, zu deren Abt er ernannt worden war, durchzusetzen. Gemeinsam mit Heloisa gründete er nun ein Nonnenkloster in Paraklet. Die Aufgabe, die Grundsätze des Benediktinerordens und Abaelards humanistisches Ideal an ein weibliches Klosterleben anzupassen, bildete den Anlass zu einem regen Briefwechsel zwischen den beiden einstigen Eheleuten, die nun in eine neue Beziehung als ›Bruder‹ und ›Schwester‹ und als gemeinsame Ordensgründer treten konnten. In diesem Briefwechsel arbeiten Heloisa und Abaelard zum einen die Geschichte ihrer Liebe auf; zum anderen führen sie jedoch auch tiefgehende theologisch-philosophische Diskussionen. Auf beiden Ebenen erweist sich Heloisa dem publizierten Poeten und Kirchenlehrer Abaelard gewachsen. Heute wird sie als eine große Philosophin und Literatin aus eigenem Recht anerkannt, und ihr Briefwechsel mit Abaelard gehört zu den großen Büchern der Weltliteratur.

Bei dem unten erwähnten ›Trostbrief‹ Abaelards handelt es sich eigentlich um eine autobiographische Skizze, die den Verlauf seiner Geschichte mit Heloisa nachzeichnet.

Ihrem Herrn, ja Vater; ihrem Gatten, ja Bruder; seine Magd, ja Tochter; sein Weib, ja Schwester:

an Abaelard seine Heloisa

Deinen Trostbrief an einen Freund, mein Geliebtester, hat neulich mir jemand zufällig überbracht. Da ich ihn sogleich nach dem Anblick der Aufschrift als den Deinigen erkannte, so begann ich umso glühender ihn zu lesen, je inniger ich den Schreiber selbst umfasse, dass, wenn mir auch seine Person verloren ist, ich doch durch sein Wort wenigstens wie durch ein Bild von ihm erquickt werde. Es war, erinnere ich mich, im Briefe alles voll Galle und Wehrmut; er erzählte ja die jammerreiche Geschichte von unserer Einkehr ins Kloster und Dein fortwährendes Kreuz! […] Niemand, glaub’ ich, kann dies alles mit trockenen Augen lesen oder hören, meinen Schmerz aber musste es umso mächtiger erneuern, je genauer das Einzelne dargestellt war, umso höher ihn steigern, da Du erzählst, wie jene Gefahren für Dich noch wachsen, so dass wir alle auf gleiche Weise dahin gebracht sind, an Deinem Leben zu verzweifeln, und stündlich unter zitterndem Busen und pochendem Herz jener letzten Kunde von Deinem Tod entgegensehen. Bei ihm selber also, der Dich bis heute für seinen Dienst auf jede Weise schirmt, bei Christus, beschwören wir Dich, Du mögest seine und Deine Mägde würdigen, ihnen recht oft über den Sturm, von dem Du noch schiffbrüchig einhergeschleudert wirst, brieflich sichere Nachricht geben, damit Du uns wenigstens, die wir Dir einzig geblieben sind, zu Genossen des Schmerzes oder der Freude habest. Mitleidende pflegen ja dem Leidenden einigen Trost zu gewähren, und jede Last, die mehreren aufgelegt ist, wird leichter getragen oder abgeworfen. Wenn aber jenes Ungewitter ein wenig ruht, so müssen Deine Briefe umso schneller kommen, je mehr sie uns erfreuen werden. Was Du aber auch schreiben magst, es wird uns alles zum Heile gereichen. […] Gott sei Dank, dass wenigstens diese Gegenwart uns zu gewähren kein Neid Dich abhält, keine Schwierigkeit Dich hindert; ich beschwöre Dich, auch keine Nachlässigkeit Dich säumen zu lassen. Du hast dem Freunde einen langen Brief geschrieben zum Troste zwar für seine Widerwärtigkeiten, aber über die Deinigen. Indem Du die Deinigen sorgsam aufzähltest und ihn zu trösten gedachtest, hast Du meine Trostlosigkeit nur noch erhöht, und während Du seine Wunden heilen wolltest, hast Du mir alle Wunden aufgerissen und neue schmerzliche geschlagen. Heile selbst, ich beschwöre Dich, was durch Dich geschehen, der Du der Sorge für das ein Genüge tust, was durch andere geschehen ist. […]

Und Du weißt doch, dass Du mir mit größerer Schuld verpflichtet bist, je inniger der Bund des ehelichen Sakrament uns aneinanderkettet, dass Du mir umso mehr ergeben sein musst, je heißer ich Dich stets, wie alle wissen, mit unendlicher Liebe umfasst habe. Du weißt, Geliebtester, alle wissen es, wie viel ich in Dir verloren habe, und durch welches unselige Geschick der äußerste Verrat mich selbst und Dich mir entrissen hat, und wie unvergleichbar größer der Schmerz des Verlustes jetzt ist, als der des Schadens war. Je größer aber die Ursache des Leidens ist, desto größere Mittel des Trostes müssen angewandt werden, nicht von einem anderen sonst, sondern von Dir selbst, dass, der Du allein des Leidens Ursache warst, auch allein seist in der Gnade des Tröstens. Du bist es ja allein, der mich betrüben, der mich erfreuen oder mich trösten kann. Und Du bist es allein, der vorzüglich das mit schuldig ist, und darum am meisten, weil ich alles, was Du befohlen, soweit erfüllt habe, die ich Dir in nichts zuwider sein konnte, auf Deinen Befehl mich selbst dahinzugeben vermochte. Und was noch ein Größeres ist und wunderbar klingt, in solche Raserei ist meine Liebe verwandelt, dass, was sie einzig begehrt, sie selbst sich ohne Hoffnung des Wiedergewinnens entzog, da ich folglich auf Dein Gebot ein andres Kleid und einen andern Sinn annahm, auf dass ich Dich als den alleinigen Herrn meines Leibes wie meiner Seele erwiese. Nichts habe ich jemals, Gott weiß es, in Dir gesucht, als Dich selber, rein nur Dich und nicht das Deinige begehrend. Nicht den Bund der Ehe, nicht andere Heiratsgüter habe ich erwartet, nicht meinen Willen und meine Lust, sondern Deine zu erfüllen gestrebt, wie Du selber weißt. Und wenn der Name der Gattin heiliger und würdiger scheint, süßer doch war mir’s immer, Deine Geliebte zu heißen, oder, wenn Du nicht darüber zürnen willst, Deine Buhle oder Hetäre; damit je tiefer ich mich für Dich erniedrigte, ich umso größere Huld und Gnade bei Dir fände und den Glanz Deiner Herrlichkeit weniger beleidigte.

Dieses hast Du um Deiner selbst Willen nicht ganz in dem oben erwähnten Briefe vergessen, den Du einem Freunde zum Troste geschrieben. Dort hast Du auch nicht verschmäht, einige Gründe auseinanderzusetzen, durch die ich Dich von unsrem Ehebund und seinem unheilvollen Lager abzuhalten versuchte, die meisten aber verschwiegen, aus denen ich die Liebe der Ehe, die Freiheit der Fessel vorzog. Gott rufe ich zum Zeugen an, wenn Augustus, der Herrscher der ganzen Welt, mich der Ehre seiner Gattin würdigen und mir die Herrschaft des ganzen Erdreiches für alle Zeit bestätigen wollte, so würde es mir lieber und würdiger erscheinen, Deine Buhle genannt zu werden als seine Kaiserin; denn der Reichste und Mächtigste ist darum nicht auch der Beste, jenes ist des Glückes, dieses der Tugend Werk. Täusche sich auch die nicht darüber, dass sie sich bloß verkauft, die lieber einem Reichen als einem Armen sich vermählt und mehr in ihrem Manne das Ihrige als das Seine begehrt. Gewiss, welche von solcher Begierde zur Ehe geführt wird, der gebührt mehr ein Sold als die Huld der Liebe. Denn gewiss, ihr gilt es um das Vermögen, nicht um den Mann, sie würde sich, wenn sie könnte, dem Reicheren preisgeben. […]

Zweierlei aber, ich gestehe es, war Dir eigentümlich, wodurch Du die Herzen aller Frauen sogleich gewinnen konntest: die Anmut des Wortes und des Gesanges; und das war den andern Philosophen bekanntlich keineswegs verliehen. Indem Du hieran wie an einem Spiel Dich von der Anstrengung philosophischer Arbeiten erholtest, hast Du viele im Maß oder Rhythmus der Liebe gedichtete Lieder hinterlassen, die, wegen überschwänglicher Süßigkeit der Worte wie der Melodie häufig nachgesungen, meinen Namen in aller Munde unaufhörlich erhielten, so dass die Lieblichkeit wohllautenden Gesangs auch die Ungebildeten Deiner niemals vergessen ließ. Und daher besonders seufzten die Frauen in Liebe zu Dir. Und da der größte Teil jener Lieder unsere Liebe besang, so verkündeten sie vielen Ländern meinen Namen in kurzer Zeit und entzündeten gegen mich den Neid vieler Frauen. Denn welches Gut der Seele oder des Leibes schmückte Deine Tugend nicht? Welche von allen, die mich damals beneideten, triebe nicht mein Unglück jetzt zum Mitleid, da ich solcher Wonnen beraubt worden bin? Welchen Mann oder welche Frau, mögen sie mir auch anfangs feind gewesen sein, erweichte jetzt nicht das verdiente Mitleid? Und am meisten schuldig, bin ich dennoch, wie Du weißt, am meisten unschuldig. Denn nicht im Erfolg der Tat, sondern in des Täters Gesinnung besteht das Verbrechen, und die Billigkeit wägt nicht, was geschieht, sondern in welchem Geiste es geschieht. Welche Gesinnung ich aber immer gegen Dich hegte, das kannst Du allein beurteilen, der es erfahren hat. Deiner Prüfung stelle ich alles anheim, in allem unterwerfe ich mich Deinem Zeugnis.

[…] Als ich in fleischlicher Lust Dein genoss, da galt es den meisten für ungewiss, ob ich es aus Liebe oder aus Sinnlichkeit tat. Jetzt aber bezeugt es das Ende, aus welcher Quelle der Anfang kam. Alle Freuden habe ich mir untersagt, um Deinem Willen zu gehorchen. Nichts habe ich für mich behalten, als dass ich so am meisten die Deine würde. Wie groß aber Deine Unbilligkeit ist, das erwäge, wenn Du mir, je mehr ich verdiene, umso weniger gibst, ja am Ende gar nichts; besonders da es ein Kleinod ist, was ich fordere, und Dir ganz gleich.

Beim ihm selbst also, dem Du Dich geweiht, bei Gott flehe ich zu Dir, dass Du, auf welche Art Du kannst, mir wieder Deine Gegenwart schenkest und mir ein Wort des Trostes schreibest, mindestens auf den Beding, dass ich dadurch erquickt dem göttlichen Dienste heiterer obliegen könne. Als Du mich einst zu zeitlichen Freuden verlangtest, da brachtest Du durch manches Lied Deine Heloisa in aller Munde. Von mir hallten alle Straßen, von mir alle Häuser wider. Aber mit welch größerem Recht würdest Du mich jetzt zu Gott, als damals zur Lust erwecken! Erwäge, ich beschwöre Dich, was Du schuldig bist, beachte, was ich fordere, und so schließe ich den langen Brief mit dem kurzen Ende: Lebe wohl, Du Einziger!

Anne Boleyn
(?1501-1536)

an König Heinrich VIII.

Anne Boleyn war die zweite der sechs Ehefrauen von König Heinrich VIII. und die Mutter der zukünftigen Königin Elizabeth I. Da der Papst sich weigerte, Heinrichs erste Ehe mit Katharina von Aragon zu annullieren, sagte Heinrich sich von Rom los und gründete seine eigene anglikanische Kirche, um Anne heiraten zu können. Anne war, wie ihre Schwester Mary, die ebenfalls ein Verhältnis mit Heinrich hatte, eine der Hofdamen von Katharina, der ersten Frau des Königs, gewesen. Nachdem Anne Heinrich jedoch, genau wie Katharina, nicht den ersehnten männlichen Thronfolger gebar, und er seine nächste Frau, Jane Seymour, heiraten wollte, wurde Anne im Mai 1536 mehrfachen Ehebruchs, eines inzestuösen Verhältnisses zu ihrem Bruder und des versuchten Königsmords beschuldigt und wenig später hingerichtet.

[6. Mai 1536]

Eurer Majestät Ungnade und meine Kerkerhaft sind so ungewohnte Dinge für mich, dass ich weder weiß, was ich schreiben, noch was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen soll. Da Ihr nun in der Absicht, mich zu einem Geständnis zu bewegen, in welchem Falle Ihr mir Eure Huld wieder zuwenden wollt, jemanden zu mir geschickt habt, von dem Ihr wisst, dass er von je mein erklärter Feind gewesen ist, so erkannte ich sofort nach Empfang der Botschaft Eure Willensmeinung. Und da ich, wie Ihr sagt, durch ein Geständnis der Wahrheit meine Freiheit wiedererlangen kann, so werde ich Eurem Befehl mit aller pflichtmäßigen Dienstwilligkeit nachkommen.

Glauben aber Eure Majestät nicht, dass Euer armes Weib je dahin gebracht werden könnte, einen Fehltritt einzugestehen, wo mir nicht einmal ein Gedanke daran gekommen ist. Und um die Wahrheit zu sprechen, kein Fürst hat je ein in jeder Beziehung treueres und liebevolleres Weib besessen, als Ihr es in Anne Boleyn gefunden habt. Und ich hätte mit meinem Namen und meiner Stellung auch sehr wohl zufrieden sein können, wenn es Gott und Eurer Majestät Gutdünken beliebt hätte. Niemals vergaß ich mich während meiner Erhebung zur Königin soweit, dass ich nicht stets an einen solchen Glückswechsel, wie er jetzt eingetreten ist, gedacht hätte. Denn da der Grund meiner Bevorzugung nur auf Eurer Majestät vorübergehender Neigung beruhte, so wusste ich, dass die leichteste Veränderung hinreichen würde, diese Neigung auf irgendeinen anderen Gegenstand zu lenken. Ihr habt mich aus einem niederen Stande zu Euerer Königin und Gemahlin erkoren, weit über mein Wünschen und Begehren hinaus. Wenn Ihr mich daher einer solchen Ehre für würdig erachtet, so flehe ich Eure Majestät an, lasst nicht eine flüchtige Neigung oder einen schlechten Rat meiner Feinde mir Eure fürstliche Huld entziehen und lasst nicht zu, dass ein Fleck, ein so schmachvoller Fleck auf die Ehre Eurer so tugendhaften Gattin und der kleinen Prinzessin, Eurer Tochter, fällt. Stellt eine Untersuchung an, gütiger König, aber eine gesetzmäßige, und lasst nicht meine geschworenen Feinde als Ankläger und Richter über mich das Urteil sprechen. Ja, stellt eine öffentliche Untersuchung an (meine Wahrhaftigkeit braucht keine öffentliche Beschämung zu fürchten): dann werdet Ihr entweder meine Unschuld an den Tag gelegt, Euren Verdacht und Euer Gewissen beruhigt, die Schändlichkeit und Verleumdungssucht der Welt zuschanden gemacht oder meine Schuld klar und offen bewiesen sehen. Dann wird Eure Majestät, was Gott oder Ihr auch über mich beschließen mögt, frei von jedem offenen Tadel dastehen, und wenn meine Verfehlung auf diese Weise gesetzmäßig bewiesen ist, so steht es Eurer Majestät sowohl vor Gott wie vor den Menschen frei, nicht nur über mich als eine ungetreue Gattin eine gerechte Strafe zu verhängen, sondern auch Eurer Neigung zu folgen, die sich bereits endgültig auf eine Dame gelenkt hat, um deretwillen ich mich in meiner jetzigen Lage befinde und deren Namen ich Eurer Majestät seit geraumer Zeit hätte nennen können, da ich sehr genau weiß, nach welcher Seite sich mein Argwohn zu richten hat. Habt Ihr aber schon über mich beschlossen, und zwar, dass nicht nur mein Tod, sondern auch eine schmachvolle Verleumdung Euch den Genuss Eurer ersehnten Glückseligkeit bringen solle, dann bitte ich zu Gott, er möge Euch Eure große Sünde und ebenso meinen Feinden, den Werkzeugen dazu, verzeihen und wegen Eures unköniglichen und grausamen Verfahrens gegen mich nicht allzu scharf mit Euch ins Gericht gehen an jenem allgemeinen Gerichtstage, an dem Ihr und ich erscheinen müsst und an dem meine Unschuld, was auch die Welt von mir denken möge, unzweifelhaft an den Tag kommen und klar wie die Sonne bewiesen werden wird. Meine letzte und einzige Bitte soll die sein, dass ich allein die Last von Eurer Majestät Ungnade trage und dass die unschuldigen Seelen jener armen Herren, die sich, wie ich höre, meinetwegen ebenfalls in enger Haft befinden, davon verschont bleiben. Wenn ich je vor Euren Augen Gnade gefunden habe, wenn je der Name Anne Boleyn Euren Ohren angenehm klang, dann erfüllet diese meine Bitte. Und so will ich aufhören, Eurer Majestät lästig zu fallen, will vielmehr meine innigsten Gebete zur heiligen Dreieinigkeit empor senden, sie möge Eurer Majestät ihren mächtigen Schutz angedeihen lassen und Euch in all Euren Unternehmungen beistehen. – Aus meinem jammervollen Kerker im Tower, den 6. Mai. Eure gehorsamste und allzeit getreue Gattin.

Jakobäa von Baden-Baden
spätere Herzogin von Jülich-Berg-Kleve (1558-1597)

an Graf Hans Philipp zu Manderscheid

Jakobäa war die älteste Tochter des Markgrafen Philibert von Baden-Baden und die Enkeltochter von Herzog Wilhelm IV. von Bayern. Im Jahr 1585 wurde sie mit Johann Wilhlem, dem letzten Herzog von Jülich-Berg-Kleve, vermählt. Dieser verfiel jedoch bald dem Wahnsinn, und angeblich wurde der Herzogshof zu Jülich unter Jakobäas Hand zu einem ›Sündenbabel‹. 1595 wurde sie deswegen vor dem Kaiser verklagt, doch ehe dieser ein Urteil gefällt hatte, wurde Jakobäa 1597 erdrosselt in ihrem Bett gefunden; als mutmaßliche Täterin gilt ihre Schwägerin Sybille. Das Schicksal von Jakobäa von Baden-Baden wurde mehrfach in der Literatur verarbeitet.

Die untenstehenden Briefe entstanden wohl zwischen 1580 und 1585 und sprechen, was Jokabäas Los angeht, für sich. Der letzte ist vermutlich Jakobäas Abschiedsbrief an ihren »herzallerliebsten« Grafen Hans Philipp zu Manderscheid kurz vor ihrer Vermählung.

Mein gar herzallerliebster Schatz!

Ich hab Euer Schreiben gar wohl empfangen, ich hoff auch zu Gott, es werde Euch wohl gehen, ich bedank mich zum Höchsten, dass Ihr, mein alter, auserwählter Schatz, so oft an mich gedenkt und mir so oft schreibt, das mich dann hoch erfreut, als was mir für Freud ein Tag in der ganzen Welt konnte zustehen. Ich will auch als morgen in meinem Fürnehmen, will’s Gott, fortfahren und das Gebet fleißig beten. Ich bitt Euch, mein herzallerliebster Schatz, Ihr wollt mich auf’s Baldest wissen lassen, ob ich das Gebet alle Tage muss beten oder nur, wenn ich beicht und kommunizier, so wollt ich demselben fleißig nachkommen. Ich bitt Euch, Ihr wolltet meiner nicht vergessen, wie ich doch gar kein Zweifel trag. Ich tue mich Euch hiermit gar in Grund Eures Herzens befehlen als meinem herzgeliebtesten Schatz. Dat. In großer Eil geschrieben bei der Nacht von der, die Euch mit Treuen meint und minnt bis in den Tod.

Ich kann nicht unterlassen, Euch aus traurigem Herzen zu schreiben, dieweil mir meine Hungin gesagt, dass Ihr meint, Ihr sehet wohl, dass Ihr nicht mehr geltet, so will ich’s mit Gott und allen Heiligen bezeugen, dass Ihr geltet wie Ihr je vor allemal habt getan. Sie hat mir auch gesagt, Ihr wollt weg. Ach Gott, mein Schatz, was wollt Ihr mich beschweren, dann ich gewiss mein Leben muss lassen, da nach Gott keinen großen Trost hab denn Euch. So sollt Ihr wissen, so wahr mir Gott helfe, wenn Herzog Ferdinand noch so viel anhaltet, dass ich Euch nicht will aufgeben, und sollt ich mein Leben darin lassen, das glaubt mir, so fromm ich von Ehren bin, ich wollt mich eher williglich in den Tod geben. Ich bitt Euch, mein Schatz, Ihr wollt mir bald wieder schreiben, da ich sonst kein Ruh hab. Euer mit Herzen allzeit gedacht.

Ach, mein Schatz, lasset Euch nichts anfechten, denn glaubt mir, dass dem also ist, wie ich Euch hab geschrieben.

Mein herzallerliebster Schatz!

Dieweil Ihr mir weiters schreiben könnet, mögt Ihr dem Neuhang, so ich gewiss weiß, dass er verschlagen ist, wohl mündlich befehlen, was Ihr mir entbieten wollt. Ich hab nicht unterlassen können, noch einmal von Euch Urlaub zu nehmen und Euch zu bitten, dass Ihr meiner nicht vergessen wollt, denn Gott weiß, dass kein Augenblick vergehet, ich denke an Euch, da alle meine Gedanken nur zu Euch stehen. Ich werde es in die Länge nicht erleiden können, es wird mir mein Herz vor Trauer brechen, wenn ich gedenk, dass ich Euch nicht sehen kann, dass mich im Leben erhält, wenn ich Euch sehe, da mein Herz wieder eine Freud empfängt, so muss das alles ferne sein, das auf der ganzen Welt uns alleinig liebt. Doch hab ich den Trost, dass ich hoff, mein Schatz werde meiner nicht vergessen, das mich dann als wieder ergötzt, sonst weiß ich wohl, dass ich von großer Betrübnis in Angst und Not umkomme. Dieweil Ihr mir die Gebete habt geschickt, hab ich mir vorgenommen, jetzt Freitag zu beichten und das hochwürdig Sakrament zu nehmen, dass ich Euer, mein Schatz, nicht will vergessen, sondern Gott so treulich für Euch bitten als für mich selbst, ich hoff, Gott wird mich erhören.

[…] Ich tue mich Euch hiermit befehlen als meinem Herzallerliebsten auf dieser Welt! Datum München in großer Eil und Langweil

von der, so Euch mit treuem Herzen

meint und minnt bis in den Tod.

Margarethe Kuffner
(16. Jahrhundert)

An Philipp Melanchthon den Jüngeren

Margarethe Kuffner, Stieftochter einer angesehenen Leipziger Pfarrfamilie, verlobte sich 1543 mit Melanchthons ältestem Sohn Philipp, genannt Lippus, der damals erst achtzehn Jahre alt war. Sein Vater hätte die Verbindung schweren Herzens gebilligt, doch seine Mutter war strikt dagegen, unter anderem, weil sie die beiden Verliebten wegen ihres jungen Alters noch nicht reif genug für die Ehe hielt. Philipp wurde gezwungen, die Verlobung aufzulösen, nachdem seine Eltern Martin Luther zu Hilfe gerufen hatten, und dieser in einer seiner Predigten öffentlich das von den Eltern nicht gebilligte Eheversprechen tadelte.

Dem züchtigen und gelehrten Gesellen Philippo Melanchthon dem Jüngern meinem guten Gönner zuhanden.

Gottes Gnade und Friede durch Christum, wünsche ich Euch, und ein glückselig neues Jahr, herzallerliebster Philipp, Ihr traget noch in frischem Gedächtnisse, was Ihr mit mir geredt habt zu Wittenberg, nämlich dass Ihr mir angelobt, mich zu einem ehelichen Gemahl zu nehmen, und auf dass ich nicht möcht an Euer Zusag zweifeln oder gedenken, es wäre Euer Ernst nicht, habt Ihr mir dieselbige Zusagung, wie Ihr wohl wisset, des Morgens erneuert, und endlich die Hand darauf gegeben, auch nachfolgends etliche Geschenk darauf überantwortet, und noch in meinem Abschied dieselbige Ehe in die Faust zugesagt, und mit ganz großem ernstem Schwure bestätigt, nämlich dass Ihr immer und in Ewigkeit keine andere zu nehmen willens seid und ich Euer sei, auch nicht von Euch mag geschieden werden denn durch den Tod. Da Ihr solches alles wisst, und dieweil ich von Euch gezogen und mich auf solche ofte Zusagung verlassen, werd ich armes Mägdlein nu nicht allein hie unbillig ausgetragen, als soll ich mich heimlich hinter meiner Eltern Wissen mit Euch verlobt, auch nachgegangen und keine Ruhe gehabt, bis ihr mir die Ehe zugesagt. Welches alles denn, so wahr als Gott im Himmel ist, nicht also ist, sondern was ich getan habe, das habe ich mit Vorgedenken meiner Eltern und wohlbedacht aus reinem, fleißigen und steten Anliegen getan, da selbst Ihr mir denn, wie oben gesagt, so mit ernstem trefflichen Schwüre die Ehe zugesagt. Aber jetzt erfahr ich, wie Euer Vater mit dem meinem umgehen will, und gar ein nicht daraus machen, welches ich denn nicht recht verstehen noch ermessen kann, viel weniger mit unser beider gutem Gewissen gehen mag, und dieweil solche Zusagung zwischen uns beiden geschehen, auch anlangen tut unser eigen Gewissen, dass wir es vor Gott am jüngsten Tag verantworten müssen, acht ich kann und mag sie ohne unsre beiden Verwilligung nicht zertrennt noch verhindert werden, wie denn Euer Herr Vater wohl zu tun vermeinet. Und machet mich armes Mägdlein diese neue Mähr zu diesem neuen Jahr ganz betrübt und verrenkt, dass ich nicht weiß, was ich vorhaben soll, kann und mag weder essen noch trinken, weder schlafen noch wachen, also gar bin ich in meinem Gemüt zerrückt, zu welchem allen Ihr eine einige Ursach seid, und ich besteh, so dieser Sach nicht recht geholfen werde, werde es mir großen Schaden tun. Derhalben bitt ich Euch um Gotteswillen, wollet mich verständigen, was Euer Sinn sei, und worauf Ihr bestehen wollt, und hierin ansehen die große wichtige Sache, die mich und Euch nicht Leib und Leben, sondern den ewigen Zorn Gottes und seine Strafe, und das ewige Nagen des Gewissens betreffen, und wiewohl ich mich mit meinem Gewissen so hoch, das Gott gedankt sei, nicht versündigt hab, auch nicht Gottes ewige Vermaledeiung und Zorn auf mich geladen hab, als Ihr denn getan, und nicht einmal sondern oft Euch verflucht, wo solche Zusage von Euch nicht gehalten werde, dass Ihr Gottes Antlitz nimmermehr bestehen wollt, auch ewig des Teufels sein. Doch bin ich vor Gott neben Euch und in meinem Gewissen also erhofft, dass ich fürcht, es würde mir armen Wesen nimmermehr wohlgehen, vielmehr aber Euch. Derhalben damit Euer und mein Gewissen rein bleibe vor Gott, und ich nicht teilhaftig werden möcht Eurer Vermaledeiung und ergeben des Teufels, bitt ich Euch nach und jetzt wie vor um Gottes willen, wollet in solchen wichtigen trefflichen Sachen, die unser beider Seelen Seligkeit anlangt, nicht unachtsam sein, oder darin zu Gefallen Eurer Freundschaft und etlicher Menschen, Gottes ewigen Zorn, Eure Vermaledeiung und ewiges Nagen des Gewissens auf Euch laden, welches Euch – ach Gott im Himmel – viel zu schwer würde sein, sondern allhie bedenken Eurer Seele Seligkeit und reines Gewissen vor Gott, mit welchem Ihr sicherlich am jüngsten Tag vor Gott treten möget. Und zwar als ich aus der Rede Eures Herrn Vaters vernommen, gedenkt mich hierin los zu zählen frei und ledig, als möcht ich wohl mich anderswo umsehen, welches einstweilen mir unmöglich ist, und Euch viel mehr, werde auch mich damit, darzu mir Gott helfe, so bald nicht abweisen lassen, danach Ihr Euch wisst zu richten. Nachdem bitt ich noch, und zum letzten wollet Euer Gewissen in dieser Sachen fleißig verwahren und acht geben, dass Ihr Euch selbst nicht ein ewiges Verdammnis, dafür Euch Gott behüt, aufladen möchtet. So denn also wollt ich lieber, dass ich Euch nimmermehr gesehen hätt, denn eine einige Ursach dazu gewest sein. Solche bitt ich, beherziget bei Euch, und schreibet mir eilendst wieder, damit ich nicht also bekümmert, und da Gott vor sei, in ein Unglück fallen möcht, welches mir denn zu schwer wäre, und Ihr eine einige Ursach. Damit Gott befohlen. Geben Leipzig Dienstag nach der heiligen drei Könige Tag. Im 1544.

Margreth Kuffners

Ninon de Lenclos
(1620-1705)

an den Marquis de Coligny
und den Marquis de Sévigné

Ninon de Lenclos war eine der ersten großen Salondamen Frankreichs, und ihr Beispiel wurde stilbildend für eine ganze Epoche. Sie war schön, geistreich und selbstbewusst – und eine große Liebende. Bedeutende Männer zog es in ihren Bannkreis: den Moralisten de La Rochefoucauld, der zu ihren vielen Liebhabern zählte, den Kardinal Richelieu, dem sie zwar Bewunderung entgegenbrachte, aber keine Nacht in ihrem Bett gewährte, den berühmten Komödienschreiber Molière, den sie bei seiner Karriere tatkräftig unterstützte, und den ebenfalls zum Dreigestirn der französischen Klassik zählenden Tragödiendichter Jean Racine, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. In hohem Alter machte sie die Bekanntschaft des späteren Voltaire, der das Zeitalter der Aufklärung so entscheidend prägen sollte, erkannte sein großes Talent und hinterließ dem Neunjährigen in ihrem Testament Geld, damit er sich Bücher kaufen konnte. Doch Ninon de Lenclos war auch eine Autorin aus eigenem Recht: Sie veröffentlichte kritische Schriften, in denen sie unter anderem darlegte, dass man auch ohne Religion ein gutes Leben führen könne. Das machte ihr viele Gegner, aber auch viele Bewunderer. Männer wie Frauen scharten sich um Ninon de Lenclos, die zu den großen Frauengestalten des Rokoko gehört. Sie machte sich stets ihre eigenen Regeln und gestaltete ihr Leben danach. Schon früh war sie entschlossen, nie zu heiraten, und blieb bis zu ihrem Tod ›Mademoiselle‹ de Lenclos. Ninon hatte im Laufe ihres Lebens zahllose Liebhaber und noch mehr Verehrer, denn, wie das Beispiel des Kardinals Richelieu zeigt, schenkte sie ihre Gunst nicht jedem. Ihre erste große Liebe war der Marquis de Coligny, ihre größte vermutlich der Marquis de Villarceaux, den sie schließlich an ihre beste Freundin verlor. Ninon war die Meisterin des höfischen Spiels um Koketterie, Eroberung und Liebe, aber sie blieb ihrem jeweiligen Liebhaber stets treu, bis sie das Interesse an ihm zu verlieren begann und das Verhältnis löste. Die meisten Männer scheinen dies klaglos akzeptiert zu haben, froh, ihre Gunst wenigstens eine Zeitlang genossen zu haben.

Ninon zählte sechsundfünfzig Jahre, als der junge Marquis de Sévigné, der Sohn eines ihrer ehemaligen Liebhaber und einer guten Freundin, die Bitte an sie richtete, ihn in Sachen Liebe zu erziehen und so bei der Eroberung einer Angebeteten zu helfen. Die Briefe Ninons an den jungen Mann ergeben ein ganzes Buch, das ein Sittenbild der Zeit malt, ein Spiegelbild ihres kritischen Verstandes und messerscharfen Witzes ist, aber auch die Geschichte einer langsamen Verführung erzählt – denn der Marquis, der kam, um zu lernen, eine andere Frau zu gewinnen, verliebte sich schließlich in die Briefeschreiberin selbst, und eroberte sich das Herz Ninons, die sich in ihren Briefen unbewusst ein wenig selbst verführt zu haben scheint.

Auch im Alter verlor Ninon ihre Anziehungskraft nicht – was ihr nicht immer zum Vorteil gereichte. Die unverheiratete ›Kurtisane‹ hatte im Laufe ihres Lebens mehreren Männern Kinder geschenkt, die alle bei ihrem jeweiligen Vater aufwuchsen, unter anderem auch der Chevalier de Villiers. Dieser verliebte sich unsterblich in die damals über sechzigjährige Ninon; als sie ihm nach langem Drängen schließlich enthüllte, dass sie seine Mutter war, stürzte sich der junge Mann in seinen Degen. Nach dieser Tragödie zog sich Ninon ein wenig zurück und konzentrierte sich stärker auf ihre literarischen Interessen. Ganz schwor sie der Liebe jedoch nie ab. Ihren vermutlich letzten Liebhaber, den Abbé Gedoyn, erhörte Ninon de Lenclos kurz nach ihrem achtzigsten Geburtstag.

an den Marquis de Coligny