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Einleitung

 

»Nach diesem Tag ist nichts mehr, wie es war« – ein unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 oft gebrauchter Satz, der seither zum geflügelten Wort geworden ist. Dieses Buch allerdings zeigt, dass schon am 11. September (fast) nichts so war, wie es angeblich gewesen sein soll – und legt somit nahe, auch das, was nach dem 11. September geschah, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Der Afghanistan- und, fast mehr noch, der Irakkrieg sind der Beleg dafür, wie sehr die Regierung Bush mit dem war on terrorism geostrategische Ziele verfolgt. Zu dieser Instrumentalisierung der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon gehört eine schier unglaubliche Gehirnwäscheoperation, der die US-Bevölkerung seitdem zum Opfer gefallen ist: Nach einer CBS-Umfrage im Februar 2003 halten mittlerweile 42 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner Saddam Hussein für den Hauptverantwortlichen der Anschläge und die Flugzeugentführer mehrheitlich für Iraker. Und im März antworteten bei einer CNN-Umfrage auf die Frage, ob Saddam Hussein in diese Anschläge »persönlich involviert« sei, 72 Prozent mit »sehr wahrscheinlich oder wahrscheinlich«.[1] Da scheinen wir im »alten Europa« noch ein Stückchen besser dran zu sein: Hier gehört es immerhin noch zum Allgemeinwissen, dass die Mehrzahl der verdächtigten Selbstmordtäter des 11. 9. aus Saudi-Arabien stammt und dass Osama Bin Laden als Mastermind hinter ihnen steckt. Doch auch bei dieser »Wahrheit« handelt es sich um eine nach wie vor unbelegte Verschwörungstheorie, für die selbst knappe zwei Jahre nach der Tat keinerlei gerichtsfähige Beweise gefunden worden sind.

 

Als ich am Morgen des 12. September 2001 unter dem Titel »WTC Conspiracy« die ersten »Verschwörungstheoretischen Anmerkungen zu einem Terroranschlag« verfasste, konnte ich die Folgen nicht absehen. Aus dem als Zwischenruf gedachten ersten Kommentar wurde eine 60-teilige Serie, die erst im Online-Magazin Telepolis (www.telepolis.de) und später in erweiterter Fassung unter dem Titel Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11. 9. als Buch erschien (das hier öfter mal als VVG angeführt wird). Der Zuspruch, auf den das Buch bei den Leserinnen und Lesern stieß und der für mittlerweile 31 Nachauflagen und Übersetzungen in so exotische Sprachen wie Indonesisch sorgte, war umso erstaunlicher, als die großen Medien, wenn überhaupt, meist abfällig darüber berichteten (worauf wir im Nachwort noch zurückkommen). Unter dem nachwirkenden Schock der Ereignisse öffnete sich eine eigentümliche Schere zwischen den spitzen Fingern, mit denen die Medien das Buch anfassten, und den roten Ohren, die sich ein immer größer werdendes Publikum beim Lesen holte.[2]

 

Spiegel & Co. hatten kaum eine andere Wahl, als mein Buch tunlichst zu beschweigen oder doch wenigstens lächerlich zu machen. Hätten sie sich mit den hier aufgedeckten Ungereimtheiten und Widersprüchen ernsthaft auseinander gesetzt und sie aufgegriffen, wäre ihnen nichts anderes übrig gebheben, als ihre eigene, völlig unkritische Berichterstattung über den 11. 9. in Frage zu stellen – und damit ihre gesamte Glaubwürdigkeit. Gerade diejenigen, die doch alles immer zuerst und am besten wissen – die Journalisten, Chefkommentatoren, »Experten« –, hätten zugeben müssen, dass sie spätestens am 11. 9. alle Standesregeln ihrer Branche über Bord geworfen und sich nolens volens zu Marionetten einer Propagandaoperation gemacht haben. Ob TV-Stationen, Radios, Nachrichtenmagazine oder Tageszeitungen, nahezu ohne Ausnahme befreite sich die »freie Presse« umstandslos von ihren investigativen Kardinalpflichten: der Überprüfung des Wahrheitsgehalts offizieller Behauptungen, der kritischen Nachfrage, der eigenen Recherche und der vorurteilsfreien Berichterstattung. Stattdessen fungierte sie als PR-Agentur des Weißen Hauses und des Pentagon. Mit klassischen Begriffen wie »Zensur« oder »Gleichschaltung« ist diese freiwillige Selbstaufgabe der Medien nicht mehr passend zu umschreiben, denn weder standen auf den Redaktionsfluren geheimdienstliche Zensoren herum noch wurden die »Schriftleiter« per Dekret auf eine bestimmte Richtung getrimmt. Es reichte aus, dass jede alternative Sicht auf die Ereignisse als »Verschwörungstheorie« tabuisiert worden war, wie es George W. Bush in seiner UN-Rede am 10. November 2001 vorgemacht hatte: »Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den wahren Schuldigen.«

 

So konnte es kommen, dass nicht nur in den Tagen, sondern auch in den Wochen und Monaten nach der Tat niemand mehr nachfragte, wie denn dieses unfassbare Ereignis eigentlich stattfinden konnte. Die »wahren Schuldigen« standen per Definition fest, und mit dem martialischen »with us or with the terrorists« wurde jeder Zweifler automatisch dem Lager Osama Bin Ladens oder später »den Hilfstruppen Saddams« zugeschlagen.

 

Die Folge diesen kollektiven Black-outs ist, dass wir bis heute über die Täter und ihre Hintermänner praktisch genauso wenig wissen wie 48 Stunden nach den Anschlägen, als die Liste der 19 verdächtigten Hijacker veröffentlicht und ihre »Verbindung zu Osama Bin Laden« behauptet wurde. Eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist nach fast zwei Jahren völlig unaufgeklärt. Der Verdacht allerdings, dass es sich bei diesen Anschlägen nicht um die Tat eines isolierten islamistischen Terrorkommandos handeln könnte, sondern um einen von staatlichen Geheimdiensten organisierten und unterstützten Plot dieser schreckliche Verdacht hat sich mittlerweile so erhärtet, dass er nicht einfach mehr als abwegig abgetan werden kann.

 

Über die Details wird die Öffentlichkeit im Dunkeln gehalten, zumindest für die kommenden zwanzig bis dreißig Jahre – so lange wie die Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des USKongresses unter dem Siegel des Staatsgeheimnisses in unzugängliche Archive verbannt werden. Die »Wahrheit« über den l1.September, die Ermittlungen, Fahndungen und Haltbarmachung der Helfer und Hintermänner, die Sühne für die Ermordung Tausender Unschuldiger – all dies muss, wie es scheint, auf dem Altar der »nationalen Sicherheit« geopfert werden. Wie einst die Untersuchungsdokumente zum Überfall auf Pearl Harbor, der erst nach über 50 Jahren aufgrund 1994 freigegebener Akten nahezu zweifelsfrei als provoziertet und vorausgesehener Angriff rekonstruiert werden konnte [3], so droht auch die »Akte 9/11« zu einem Fall für die Historiker der Zukunft zu werden. Das Aktenzeichen 9/11 ist ungelöst und gibt eben deshalb einen idealen Nährboden für Verschwörungstheorien jeder Art ab, vor denen alle Verschwörungsfakten verblassen müssen.

 

Deshalb scheint es mir an der Zeit, die Herangehensweise an das Thema zu ändern. Die spielerische Tarnung unter dem Wappen »WTC-Conspiracy« hatte es ermöglicht, über Hintergründe und Zusammenhänge der Anschläge zu berichten, die »ernsthaft« in dieser Zeit kaum publizierbar waren – auch wenn sie natürlich ernst gemeint waren (und von den meisten Leserinnen und Lesern auch so verstanden wurden). Doch jetzt weiter unter diesem Blickwinkel zu schreiben, würde nichts anderes bedeuten, als das Spiel derer zu spielen, die öffentliche Ermittlungen über den Tod Tausender Unschuldiger verhindern und als Staatsgeheimnis versiegeln. Deshalb habe ich den Job des »Konspirologen« fürs Erste an den Nage gehängt und nehme, zusammen mit Andreas Hauß, die Haltung des Dokumentaristen ein. In diesem Buch, das wir bis auf diese Einleitung und das Nachwort gemeinsam geschrieben haben, geht es nicht um die Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse, sondern um die Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11. 9. Es geht um eine Dokumentation der gesicherten Ungereimtheiten, bevor diese von den Medien mit neuen Legendenbildungen verkleistert werden.

 

Die tausendfach wiederholten Bilder der in das World Trade Center rasenden Flugzeuge sind tief in das Weltgedächtnis eingebrannt, und mit ihnen sind untrennbar die Assoziationen »Bin Laden« und »19 Hijacker« verbunden. Wie in Säugetierhirnen solche Verbindungen gelegt werden, ist spätestens seit Pawlows Hundeexperimenten bekannt: Die gewünschte Assoziation wird durch ständige Wiederholung der verbundenen Reize erzeugt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Bilder nur einmal kurz in den Nachrichten gesehen und dabei gehört, dass Bin Laden und 19 Hijacker mit Teppichmessern verdächtigt werden, und seien dann umgehend auf eine einsame Insel ohne jeden Medienkontakt ausgewandert. Jetzt, nach fast zwei Jahren, bekommen Sie erstmals Besuch und sind begierig zu erfahren, was seitdem in der Welt geschah. Sie fragen nach dem fürchterlichen Terroranschlag in New York. Wer war das, wer steckte dahinter, was haben die Ermittlungen ergeben, wurde die Bande gefasst? Was wird der Besucher, ein durchschnittlich informierter Nachrichtenkonsument, Ihnen über die Hintergründe und Hintermänner berichten können? Dass ein Koran und »arabische Flugunterlagen« auf islamistische Täter deuten …, dass eine Bin Laden-ähnliche Figur in einem verwackelten Video ihr Vorauswissen bekannt hat …, dass einige der Terroristen in Florida fliegen gelernt und in Deutschland studiert haben …, dass die gesamte zivilisierte Welt von einem »Terrornetzwerk« bedroht wird … Was noch? Angesichts der Situation beginnt sich Ihr Besucher am Kopf zu kratzen, irgendwie ist ihm völlig klar, dass Bin Laden und Al Qaeda dahinter stecken, aber jetzt, wo Sie ihn zum Nachdenken zwingen, weiß er eigentlich gar nicht, warum ihm das so klar ist. Indem Sie darauf insistieren, dass es doch nach fast zwei Jahren eindeutigere Spuren, Beweise, Erkenntnisse geben müsse, wird Ihrem Besucher deutlich, dass er offenbar einer Konditionierung anheim gefallen ist, die »WTC« und »Bin Laden« so untrennbar miteinander verknüpft wie der Pawlowsche Hund den Reiz mit dem Wurstzipfel. Für die Lektüre dieses Buchs sei deshalb vorab eine virtuelle Dekonditionierung empfohlen: Versuchen Sie, Ihr Gehirn in Sachen 11. 9. in den quasi jungfräulichen Zustand dieses Insulaners zurückzuversetzen – und die Pawlowschen Reflexe, die uns durch tausendfache Wiederholung antrainiert wurden, zu durchschauen und außer Kraft zu setzen.

 

Was wissen wir wirklich? Wo sind wir Fälschungen oder Vertuschungen aufgesessen? Welche Beweise müssten eigentlich vorliegen und werden zurückgehalten? Wer steckt dahinter? Von einem handelsüblichen Puzzlespiel – sagen wir: das World Trade Center in 5000 Teilen – unterscheidet sich das 9/11-Rätsel in einem zentralen Punkt: Auf der Schachtel findet sich nicht das ganze Bild. Insofern weiß keiner, was dieser Berg von Puzzlesteinen, richtig zusammengelegt, am Ende für ein Bild ergeben könnte. Dass wie bei jedem offenen Kriminalfall auch einige weiße Flecken oder schwarze Löcher vorkommen, erschwert die Sache noch zusätzlich – und zumindest am Anfang wäre Streit unter den Spielern vorprogrammiert, was denn die ersten kleinen Ordnungsinseln, die sie aus dem Meer von Chaos zusammenfügen, ergeben könnten. Einige passgenaue Teile in derselben Farbe könnten ein Stück Himmel oder Wasser sein, aber auch ein Fenster oder ein Teil einer Fassade … Solange keine Vorstellung des Gesamtzusammenhangs besteht, ist es schwierig, die Fragmente zuzuordnen. Beim probeweisen Konstruieren eines möglichen Gesamtbilds ist jeder Spieler zudem von seinen Ahnungen und Vorurteilen geleitet. Wenn die fragmentarisch zusammenpassenden Ausschnitte dann größer werden, scheiden bestimmte Möglichkeiten aus. So muss ein Fragment in undefinierbarem Blau, auf dem zum Beispiel eine Wolke oder der Kondensstreifen eines Flugzeugs erkennbar wird, zum Himmel gehören und eben nicht zum Wasser.

 

Was bei dem Puzzle des 9/11-Rätsels nun auffällt, ist, dass solche Alternativen von Anfang an überhaupt nicht existierten. Der Vorgabe zuliebe, die schon 48 Stunden nach dem Anschlag feststand – dass es sich bei dem Bild um einen Überraschungsangriff von Osama Bin Laden und 19 Mittätern handeln muss –, wurden seitdem alle möglichen Alternativen mit medialer Gewalt (»frevelhafte Verschwörungstheorie!«) vom Spieltisch verbannt. Das bedeutet: Jedes Teil, das nicht in die Kontur der offiziellen Version passt, scheidet nicht nur automatisch aus, es ist auch verboten, mit den ausgeschiedenen Teilen weiter herumzupuzzeln – zumindest auf dem offiziellen Spieltisch, den die großen Medien als einzige Realität abbilden. Durch dauernde Wiederholung erscheint die dort zusammengelegte Kontur als die einzige Lösungsmöglichkeit und wird so in den Rang einer unhinterfragbaren »Wahrheit« gehoben. Doch wer nur etwas genauer hinschaut, sieht sofort, wie diese »wahre« Lösung des 9/11-Puzzles zusammengepfuscht ist – und dass sie nur zustande kommen konnte, weil ein ganzer Berg dazugehöriger Puzzlesteine einfach disqualifiziert wurde. Dieses Buch bringt sie zurück auf den Spieltisch – und die Konturen, die sich daraus abzeichnen, sind erschreckend.

 

Die folgenden Kapitel enthüllen nicht die Wahrheit über den 11. September, wir kennen sie nicht und überlassen Offenbarungen unter dem Titel »Was wirklich geschah« auch fürderhin den ehemaligen Nachrichtenmagazinen. Wir können nur dokumentieren, dass die bis heute präsentierte »Wahrheit« nichts anderes ist als ein dürftiges Konstrukt. Zwar gilt dieser Konstruktionsvorbehalt für jede Wahrheit, und auch die des 11. 9. wird von jedem Beobachter in seinem höchsteigenen Hirnkastl konstruiert. Doch wenn ein solches Konstrukt zu Propagandazwecken millionenfach und permanent verbreitet und diese Simulation als Fanal für einen Weltkrieg genutzt wird, ist es allerhöchste Zeit, es als Lügengebäude zu entlarven.

 

Um es noch einmal klar zu machen: Wir hecken keine Verschwörungstheorien aus wie die Legende von Osama und den 19 Räubern, sondern präsentieren Fakten, die wir nach bestem Wissen recherchiert haben und mit seriösen Quellenangaben belegen. Da fast alle Quellen über das Internet zugänglich sind, können ihre Wertigkeit ebenso wie die Schlüsse, die wir daraus gezogen haben, ganz leicht überprüft werden. Nehmen wir zum Beispiel das Phänomen der »elusiven Information«, dem wir bei unseren Recherchen permanent begegnet sind. Das sind Nachrichten, die kurz auf- und dann dauerhaft wieder ab tauchen, Nachrichten, die nicht am Erscheinen gehindert werden, die aber sofort wieder aus dem Aufmerksamkeitsfokus der Medien herausfallen, weil sie nicht ins Bild passen, und damit so gründlich entsorgt sind, als hätte es sie nie gegeben. Wäre da nicht das grandiose Weltgedächtnis des Internets, das in seinem Archiv all diese weggeworfenen Krümel registriert, sammelt und zugänglich macht!

 

Anders als mein erstes Buch über den 11. 9. bleibt dieses sehr eng am Tag, an der Tat und der Tätertheorie – und auch da nur an den wichtigsten Knackpunkten. Viele Aspekte des Falls sparen wir ausso die »Spur des Geldes« in Form der nicht weiterverfolgten Finanzspekulationen; die Anthraxfälle, deren Spuren auf den Irak gemünzt waren, aber in US-Labors führten; die Hinweise auf eine zusätzliche Sprengung der WTC-Towers und vieles andere. Nicht, weil sie nicht ebenfalls weitere Untersuchung verdienten, doch scheinen uns diese Fälle zweitrangig verglichen mit dem hier vorgelegten Material. Es zeigt, dass die offizielle Behauptung eines »Überraschungsangriffs« mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Lüge ist.

 

Die Quellenfülle dieses Buchs beruht zu einem erheblichen Teil auf der Recherchearbeit von Andreas Hauß. Andreas betreibt die Webseite www.medienanalyse-international.de. die mir schon kurz nach den Anschlägen mit ihrer gegen den Mainstream gebürsteten Nachrichtensammlung und Kommentierung aufgefallen war. Nachdem wir uns über E-Mail, telefonisch und später persönlich kennen gelernt hatten, stellten wir fest, dass wir beide Mitte der 70er Jahre an der FU Berlin Literaturwissenschaft und Politik bzw. Geschichte studiert hatten. Obwohl wir danach ziemlich verschiedene Berufs- und Lebenswege eingeschlagen haben, scheint sich bei uns gleichermaßen gehalten zu haben, was die Professoren uns damals vermittelten: der Geist der »Aufklärung« und ein hartnäckiger demokratischer Impetus. Nimmt man aus den Publizistikseminaren, die ich damals ebenfalls belegt hatte, noch die absolute Unbedingtheit einer freien Presse hinzu, dann wäre der Wertekanon beisammen, dem sich dieses Buch verpflichtet fühlt. So lange diese Werte noch irgendetwas gelten, so lange ist es die verdammte Pflicht jedes Journalisten, auf den gigantischen Skandal aufmerksam zu machen, der sich hinter dem unaufgeklärten Massenmord des 11. September verbirgt. Seine Spuren weisen mitten ins Zentrum jener Macht, die jetzt angetreten ist, die Welt vom Terror zu befreien: der Geheimdienste und Militärs der Vereinigten Staaten.

 

Berlin, 1. Juli 2003

 

Mathias Bröckers

 

Notiz: Alle Zeitangaben in diesem Buch beziehen sich auf die US-Ostküstenzeit EDT (Eastern Daylight Time). Die Zeitdifferenz zu unserer Weltgegend beläuft sich auf sechs Stunden. Als also die AAll um 8.45.h in den Nordturm des WTC raste, war es in Berlin 14.45h.

 

Die große Erzählung von Osama und den 19 Räubern

 

Die Türme des World Trade Center waren noch nicht eingestürzt, da tauchte in den CNN-Berichten über die Terroranschläge erstmals der Name des Hauptverdächtigen auf: Osama Bin Laden. Zwar hatten sich die Flugzeugentführer weder über Funk noch mit einem Bekennerschreiben in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben; zwar ließen Politiker und einschlägige Behördenvertreter in den Stunden, Wochen, Monaten danach immer wieder verlauten, wie sehr man von dieser unvorhersehbaren Attacke überrascht worden war; zwar konnte zu diesem Zeitpunkt über die Hintergründe und Hintermänner der Tat noch nichts ermittelt worden sein, doch Bin Laden stand von vornherein als Oberschurke und »Mastermind« fest, andere in Frage kommende Verdächtige wurden erst gar nicht benannt. Als Reaktion auf die Anschläge hatte Präsident Bush an einer Grundschule in Florida zuerst noch 25 Minuten Kindergeschichten angehört, bevor er in der Air Force One zu einem längeren Rundflug aufbrach und gegen 10.37 Uhr am Telefon erfuhr, »dass seine Frau Laura und seine beiden Töchter in Sicherheit sind. Scherzhaft fragt er, was mit Barney, dem Hund der Familie, sei. Andy Card, sein Stabschef, witzelt, der sei inzwischen Osama Bin Laden auf den Fersen.«[4]

 

Man hat zwar bis vor kurzem noch Zweitklässlern gelauscht und wusste von gar nichts, kaum eine Stunde später aber jagt die Präsidententöle schon den Täter. »Das riecht nach Al Qaida«, soll CIA-Chef Tenet am Abend des 11. 9. der um Präsident Bush versammelten Beraterrunde gesagt haben – und definierte damit den nächsten Baustein der großen Erzählung, das mysteriöse »Netzwerk« des Terrorchefs. Bis dahin war der Begriff »Al Qaida« in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, nun machte er in Windeseile Furore: als heimtückisches, um die ganze Welt gespanntes Netzwerk von »Schläfern«.

 

Unterfüttert wurde dieser Baustein dann durch das ganze Arsenal von eindeutigen Hinweisen, die die Hijacker massenweise in Mietwagen und Koffern zurückgelassen hatten: Flugunterlagen fehlten genauso wenig wie ein Koran, ein Testament und eine dezidierte Anweisung für die letzten Minuten an Bord. Damit waren alle Ingredienzien beisammen, um einen neuen Typus von Terroristen zu definieren: den islamistischen Terrorpiloten. Keine 48 Stunden nach der Tat wurden 19 von ihnen auf einer Liste des FBI als Verdächtige präsentiert. Dass sich in den Tagen danach sechs der als Hijacker benannten Personen lebend meldeten – und sich beschwerten, dass sie fälschlich auf diese Liste gelangt waren, half ihnen wenig. Sie stehen dort bis heute. Auch Osama Bin Laden, der sich kurz darauf in einem von Al Dschasira gesendeten Video zu Wort meldete und jede Beteiligung an den Anschlägen abstritt, konnte sich dadurch nicht entlasten. Sechs Wochen später reichten die USA ein von der CIA gefundenes Homevideo nach, in dem der »Terrorfürst« angeblich seine Mitwisserschaft kundtut. Trotz der zweifelhaften Übersetzung, der fragwürdigen Bildqualität und der insgesamt dubiosen Herkunft ersetzt nun dieses Video als Baustein der großen Erzählung das erste. Bei den Medien-Rückblicken zum Jahrestag der Ereignisse im September 2002 wurde das erste, authentische Video mit dem Dementi Bin Ladens schon kaum noch erwähnt. In die Geschichte geht das verwackelte Homevideo mit dem angeblichen Bekenntnis ein.

 

Ein weiterer Baustein der großen Erzählung ist die Höhle Tora Bora im Norden Afghanistans, der vermeintliche Stützpunkt der Übeltäter. Erst verkündet Präsident Bush: Wir werden sie »jagen«, wir werden sie in ihren Löchern »ausräuchern«, wir werden sie kriegen, »tot oder lebendig«. Dann lässt er Tora Bora mit Bomben eindecken – und die Taliban, die Helfershelfer Al Qaidas, gleich dazu. Osama Bin Laden allerdings hat sich in Luft aufgelöst.

 

Tot freilich, oder zur Strecke gebracht, wären er und seine Räuber zu nichts mehr nutze. Nur als Verschwundene oder Untote liefern sie den Anlass, den »Kampf gegen den Terrorismus« fortzusetzen und auf andere Regionen auszudehnen. Deshalb wird der großen Erzählung jetzt ein weiterer Baustein zugefügt: dass nämlich der »Terrorfürst« Osama Unterstützung von einem anderen bösen Herrscher, Saddam Hussein, erhielt. Dies wiederholen die Märchenerzähler so oft, dass am Ende alle Zuhörer glauben, die 19 Räuber aus der Tora-Bora-Höhle seien eigentlich Iraker gewesen, weshalb man nun gegen Bagdad in den Krieg ziehen müsse.

 

Und auch wenn Osama längst gestorben ist, leben er und sein heimtückisches Netz von »Schläfern« bis heute weiter und werden nach Bedarf wachgeküsst. Demnächst in Syrien, im Iran, im Libanon? Wie auch immer – dank des Phantomteufels Osama lauert das Böse nun immer und überall.