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Ebook Edition

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© privat

Arno Frank, freier Autor und taz-Inlandskorrespondent, war zehn Jahre lang »Teamchef« von verboten.

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© Anja Weber

Peter Unfried, Chefreporter der taz, ist der Erfinder von verboten.

Er schrieb am 4. März 2000 das allererste verboten. Er ist seit 1999 bei der taz.

Arno Frank / Peter Unfried

VERBOTEN

Die zärtlichste Rubrik,

seit es Satire gibt

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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ISBN 978-3-86489-029-1

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Inhalt

1    Guten Tag, meine Damen und Herren! Eine Warnung

2    Dadurch ändert sich die Welt. Wie verboten wurde, was es ist

3    Brutal gerügt. verboten und der Presserat

4    »Sag mal, hast du die Pointe verstanden?« Wie der Schauspieler Dietmar Bär einmal verboten kaufte

5    Das Gender-Dilemma. verboten aus weiblicher Sicht

6    Brief an eine Lady. verboten aus männlicher Sicht

7    Schluck Heil! Wie Hitler verboten eroberte

8    99 Fragen an verboten. Ein Star im Gespräch

9    Inland

10  Ausland

11  Wirtschaft und Umwelt

12  Medien

13  Kultur

14  Gesellschaft

15  Leibesübungen

16  Vermischtes

17  Sonderserie: Das Eiserne Kreuz

18  Sonderserie: Schach mit dem Sehraltkanzler

Namensregister

1   Guten Tag, meine Damen und Herren! Eine Warnung

Von Stefan Kuzmany

Gut, dass Sie dieses Buch gerade zufällig zuerst an dieser Stelle aufschlagen, vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Sollten Sie sich gerade in einem Buchladen aufhalten, dann stellen Sie dieses Buch diskret wieder ins Regal zurück und tun Sie so, als wäre nichts vorgefallen. Sollte sich dieses Buch aufgrund widriger Umstände bereits in Ihrem Eigentum befinden, vermeiden Sie Gebrauchsspuren, schlagen Sie es direkt wieder zu, verpacken Sie es und versuchen Sie, es umzutauschen oder »wie neu« zu verkaufen. Verschenken sollten Sie es lieber nicht, und wenn Sie es selbst geschenkt bekommen haben sollten, dann von jemandem, der Sie nicht mag.

Denn Fakt ist: Dieses Buch ist vollkommen sinnlos. Es enthält nicht viel mehr als eine Ansammlung alter, kurzer Zeitungsartikel, die allesamt unter großem Zeitdruck und entsprechend wenig durchdacht erstellt (man könnte für viele der Texte auch sagen: hingehudelt) wurden, in jedem Fall aber mit engem Bezug auf ein tagesaktuelles Ereignis. Es sind Gebrauchstexte für den Tag, für genau die Stelle in der Zeitung, an der sie standen: auf der Seite 1, 32 Zeilen lang, vorne Begrüßung, hinten fettgedruckte Pointe, und, merke: als Steuercode den »Soft Return« verwenden, damit keine unschönen Umbrüche entstehen. Zu lesen auf dem Weg vom Briefkasten die Treppe hinauf oder schnell in der U-Bahn, vielleicht kurz lachen oder sich aufregen, fertig.

Diese Texte als Buch zusammenzufassen, widerspricht ihrem Charakter grundlegend. verboten sollte sich eigentlich nach der Lektüre selbst zerstören, es ist eher gesprochenes Wort als gedrucktes, es verflüchtigt sich. verboten ist nicht für die Ewigkeit. Ich habe eine Menge davon geschrieben, aber ich erinnere mich an kein einziges. Beziehungsweise: nur an die schlimmsten.

Hier irgendwo an anderer Stelle beschreibt Peter Unfried, was verboten alles ist oder sein sollte oder sein könnte (diesen Text sollten Sie vielleicht doch auch noch lesen, bevor Sie dieses Buch wieder loswerden); ich habe nach dessen Lektüre erstmals und endlich begriffen, was wir da die ganzen Jahre über angeblich gemacht haben. Aber Unfried schreibt über Ziele und Ideen und also über ein ideales verboten. Leider war und ist verboten aber meist sehr weit entfernt von diesem Ideal. Es ist oft richtig schlecht.

Es gibt verboten, die nur aus einer vermischten Meldung bestehen, in irgendeinem Zoo auf der Welt haben sich Schildkröten geküsst, na und? Aber das sind längst nicht die schlimmsten. Es gibt verboten, bei deren Erstellung Tränen gelacht werden, aber schon am selben Abend kann niemand mehr sagen, warum eigentlich. Es gibt verboten, die schreibt einer allein und versteigt sich dabei in einen ganz privaten Witz, den nur er versteht, vielleicht nicht mal er, und es ist niemand da, der ihm den Unsinn wieder ausreden würde. Es gibt verboten, die werden nur geschrieben, um redaktionsintern irgendjemanden anzupinkeln, was für eine armselige Form der Auseinandersetzung. Es werden verboten geschrieben, nur zu dem Zweck, politisch korrekte LeserInnen und KollegInnen auf die Palme zu bringen, verboten gegen Frauen, gegen Minderheiten, gerne auch mal mit Nazi-Nähe kokettierend, selbstverständlich immer sehr ironisch und mit Distanz, aber eben auch ohne irgendeine gute Absicht. Und wirklich furchtbar wird es, wenn mal wieder irgendein besonders witziger Mensch aus dem verboten-Team auf die glorreiche Idee verfällt, eine Serie zu starten, und zwar ohne sich zu überlegen, wie man aus der Nummer einigermaßen elegant wieder herauskommt. So werden wochenlang Gags totgeritten, die bestenfalls beim ersten Mal erledigt gewesen wären, normalerweise aber selbst da schon nicht richtig lustig sind. verboten ist oft genug eine Qual, bei der Erstellung und wohl auch bei der Lektüre.

Und doch ist verboten selbstverständlich großartig, denn es handelt sich dabei um die wohl freiesten 32 Zeilen der deutschen Presselandschaft. Hier redet niemand rein, hier ist keine Rücksicht zu nehmen, weder auf Anzeigenkunden (gibt’s eh nicht) noch auf Chefredaktion (gibt’s in dem Sinne auch nicht so richtig), und falls ein Chef vom Dienst mal meckert, dann lass’ ihn meckern. Nein, hier herrscht wahre Pressefreiheit.

Was das verboten-Team über die Jahre aus dieser Freiheit gemacht hat, können Sie in diesem Buch lesen. Falls Sie unbedingt wollen. Ich habe Sie gewarnt.

2   Dadurch ändert sich die Welt. Wie verboten wurde, was es ist

Von Peter Unfried

Im ICE von Frankfurt nach Berlin sah ich ein Mädchen, das verboten las. Es war zu jener Zeit, als man noch nicht wieder »Mädchen« zu jungen Frauen sagen durfte. Ob es heute längst ein Großmütterchen ist oder eine kinderlose Karrierefrau ohne Karriere, kann ich nicht sagen. Aber ich sehe immer noch vor mir, wie die konzentrierten Gesichtszüge des Mädchens sich zu einem Lächeln entspannten, in der Sekunde, als die verboten-Pointe zündete. Es war einer dieser Momente. Ergreifend. Ich dachte: dafür zu arbeiten!

Ich habe dieses Bild von Stund’ an im Herzen getragen und sehe es stets vor mir, wenn es gilt, auf die Pointe zuzuschreiben. »Du trägst dieses Bild im Herzen?«, fragte mich verboten-Mitgründer Stefan Kuzmany, als ich ihm davon erzählte. Was ich genommen hätte, ob ich es nicht ein bisschen übertreiben würde und so weiter. »Ich brauche einfach Begründungen, warum verboten ein Solitär in der deutschen Presselandschaft ist«, sagte ich. »Ein Solitär in der deutschen Presselandschaft«, brummte Kuzmany und zog die berüchtigte kuzy-Augenbraue nach oben. Damit war aus seiner Sicht alles gesagt.

War verboten doch nicht so toll, wie ich immer gehofft hatte? Nahmen wir von der taz uns in diesem Fall ausnahmsweise zu wichtig? Wägen wir die Argumente ab.

verboten erschien erstmals am 4. März 2000 auf der Titelseite der taz, und zwar oben links. Damals noch unter dem ursprünglichen Namen die tagesschau. Es erschien, weil die Zeit reif war. Nicht alle erkannten das sofort.

»Aha, wollt ihr jetzt das Streiflicht nachmachen?« Die Leute wieder. Das Streiflicht ist die Seite-1-Glosse der Süddeutschen Zeitung. Das Gegenteil war richtig. Wir wollten kein Streiflicht machen. Eine qualitative Marktanalyse hatte ergeben, dass alle das Streiflicht toll fanden – und praktisch keiner es las. Zwei verheerende Befunde. Wir wollten das Gegenteil: etwas, das nicht alle toll finden, sondern die einen lieben und die anderen hassen – das aber alle lesen. Es sollte also kein Aufsatz sein, sondern kurz und knackig. Es sollte auch kein Rätsel sein (»Worum geht es hier wohl?«), und schon gar nicht sollte es eine anachronistische bildungsbürgerliche Attitüde mumifiziert ausstellen, sich von Goethe zu Kant hangeln mit der üblichen wohlfeilen Verachtung für Menschen, die jenseits von Gymnasium und halbakademischer oder beamtlicher Festanstellung ihr Ding machten (Bohlen, Feldbusch, Matthäus, usw.).

Es sollte im Gegensatz zu dem Satiriker Hans Zippert und seiner Seite-1-Rubrik bei der Welt auch keine Glosse sein, sondern ein subjektiver Kommentar zu einem tagesaktuellen Thema mit den drei klassischen Komponenten Konkretisieren, Argumentieren, Interpretieren. Mit einer überraschenden Erkenntnis, die sich raketenartig, aber logisch aus den angeführten Argumenten ergab. Das alles auf 32 Zeilen und im Gegensatz zum konventionellen Kommentar mit einem knallharten journalistischen Leadsatz, der Nachricht und Thema einführte. Das Ziel: die Welt und gegebenenfalls ihre Absurdität auf den aktuellen Punkt bringen.

Mein persönlicher Ansatz war es auch, einen Teil der Identität der taz auf die erste und wichtigste Seite zu holen: den subversiven Humor. Und eine neue Aura der Kreativität zu schaffen, die speziell jene Leser ansprach, die der taz unterstellten, sie und auch ihr Humorverständnis seien etwas erstarrt und im 20. Jahrhundert verhaftet.

Eine zusätzliche Bedingung: Das Thema musste etwas sein, was »den Leser wirklich interessiert«. Naja, das sagen wir so. Zwar gibt es »den Leser« nicht, und kein Journalist einer sogenannten Qualitätszeitung weiß auch nur ansatzweise, was die Leute »wirklich interessiert«, aber so reden sich Medienleute seit Urzeiten ihr Zeug schön.

Der ursprüngliche Name tagesschau war von einer neunköpfigen Findungskommission kontrovers diskutiert und dann mit Bedacht gewählt worden. So wie die Fernsehsendung Die Tagesschau in der ARD um 20 Uhr das »Wichtigste« aus Mainstreamnachrichtensicht verkündete, so würde die Seite-1-Rubrik tagesschau die wichtigste Absurdität des Tages auf den Punkt bringen. Das taten wir etwa drei Wochen, dann ließ der zuständige Sender NDR den Namen gerichtlich verbieten. Man fürchtete eine »mittelbare Verwechslungsgefahr« und eine »Verwässerung« der Marke. Ab April 2000 erhielt die Rubrik daher den vorläufigen Titel verboten, der bis heute beibehalten wurde. Auch wenn es jahrelang interne Versuche gab, den Namen verboten zu kippen. Was für ein blöder Name, was soll das überhaupt heißen, versteht kein Mensch, schon gar nicht der Leser, irgendwann ist es auch mal gut – was Journalisten so an Sachargumenten vorbringen, wenn ihnen persönlich was gegen den Strich geht.

verboten ist an einem guten Tag der schnellste und klarste Text der deutschen Presselandschaft. Eine spontane, auf den Punkt gebrachte Bestandsaufnahme der globalen Situation oder eines Teils davon. Diese Erweiterung der Weltsicht – und das ist essentiell – bricht sich in einer souveränen und überraschenden Pointe Bahn. verboten hat damit de facto den Tweet und die digitale Verdichtung von Texten vorweggenommen.

Irgendwann schrieb uns eine verständnislose Alt-Leserin, verboten solle doch ihrem Verständnis nach »die erste Zärtlichkeit des Tages« sein. Sei es aber nicht. Von da an firmierte verboten unter dem Label »erste Zärtlichkeit des Tages«. Was nun auch andere erboste, die fragten: Kann eine brutale Wahrheit, eine Zote, ein makabrer Scherz die »erste Zärtlichkeit des Tages« sein? Handelt es sich nicht vielmehr um eine Grausamkeit? Und ausgerechnet die, die sonst nicht genug kriegen konnten von Völkermord, Rassismus und Diskriminierung, fragten nun bang: Ist die Welt nicht schon grausam genug?

An manchen Tagen verbreiterte sich der Graben sogar noch und verboten kam besonders humorlos, kalt und rätselhaft daher. Dann war das langjährige verboten-Teammitglied Thilo Knott am Werk. Dann wurde die Absurdität der Welt eben grade nicht in einer Pointe ausgedrückt. »Anstelle einer Pointe stand bei Knott immer ein letzter Satz wie ein Fallbeil«, schrieb der langjährige verboten-Teamchef Arno Frank einmal in einer vielzitierten Laudatio. »TSCHACK und fertig. Es mochte stimmen, komisch war es nicht.« Es sei dabei indes nicht um »eine hippe Vermeidung der Pointe« gegangen, wie sie irgendwann in intelligenten Sitcoms praktiziert wurde. Aber worum dann? Die »Nichtwitze« blieben selbst dem scharfsinnigen Frank ein Rätsel.

Die Auflösung: Selbst ein Fallbeil kann am Nacken zärtlich gespürt werden. Wenn es von jemandem kommt, zu dem du ein absolutes Liebes- und Vertrauensverhältnis pflegst. Weil dieser Jemand – verboten – dich damit nicht quälen, sondern in den gemeinsamen Mantel der Wahrheit einhüllen will. Nicht die brutale Wahrheit streichelt und wärmt dich, sondern das Wissen um die Existenz des gemeinsamen Ertragens umhüllt sanft wie Hoelderlinsche Poesie. Darum geht es.

Wir hatten eine liebe Kollegin, an der man schön testen konnte, ob das Teil funktionierte. Seufzte sie morgens in der Redaktionssitzung: »Ach, verboten ist heute richtig schön«, dann wussten wir, dass wir komplett danebenlagen. No offense, solche negativen Bestätigungen sind wichtiger und wertvoller als positives Feedback. Das ist wie mit bestimmten Filmkritikern: Finden sie den Film miserabel, geht man sofort rein. Und umgekehrt. Seufzte also die Kollegin glücklich, hieß das, dass verboten nicht verboten gehörte, sondern harmlos war. Wir hatten demnach irgendwas Pseudosubversives hingekritzelt, schön von unten nach oben, was aber in Wahrheit die affirmativen Verhältnisse des schlechten Geschmacks (der ja guter Geschmack genannt wird) aufs Furchtbarste bestätigte. Auch das kam – leider – vor. »Schlechter Geschmack« ist bekanntlich ein Kampfbegriff, der gern von Leuten eingesetzt wird, die sich ihrer nicht sicher sind und Halt suchen.

Eine inoffizielle Kommission für politische Korrektheit und Gender Mainstreaming stellte zudem schnell fest, dass die Liste der verboten-Autoren nicht quotiert war und sowohl auf den ungeraden als auch geraden Listenplätzen Männer saßen. Das änderte sich im Lauf der Jahre. In der Anfangsphase gab es interessanterweise auch schlicht gescheiterte und abgebrochene Versuche, verboten-Autorin zu werden. »Es riecht nach Männerpisse«, hieß es morgens schon mal in der Konferenz; aus pädagogischen Gründen mit verächtlich daherkommen sollendem Schnüffeln vorgetragen. Man muss zugeben: Manchmal stimmte das auch. Von heute aus betrachtet habe ich den Eindruck, dass verboten von seiner Anlage her und speziell durch die publizistische Notwendigkeit einer gewissen Grundaggressivität und einer schnellen Pointe tendenziell eher eine männliche Rubrik ist.

Qualitätsanalytische Untersuchungen deuten indes darauf hin, dass verboten eine Frau sein könnte. Allerdings behauptet verboten auch schwul zu sein (12. Juni 2001). Das Outing erfolgte unmittelbar nachdem verboten anfing, die Kanzlerkandidatur von Dr. Edmund Stoiber zu unterstützen. Dann verliebte sich verboten in den FDP-Politiker Jürgen Möllemann, wollte im August 2001 die Bild-Rubrik Post von Wagner heiraten und tat das auch. Die Scheidung erfolgte umgehend. 2006 kam verboten junior zur Welt – ein deutliches Indiz, dass verboten eine Frau sein könnte. Doch postwendend outete sich verboten als »zwölfköpfiges schwul-heterosexuelles Elternteam«. 2008 verkündete verboten dann: »Auch Schwule können böse sein.« Eine Selbstbezichtigung?

Solche und andere Erkenntnisse führten immer wieder dazu, dass Leute kamen und sagten: freie Presse hin oder her, aber verboten gehört verboten. Spätestens da war klar, dass es keinen besseren und keinen treffenderen Namen geben konnte. Weil: verboten konnte nicht verboten werden, denn es war ja schon verboten.

»Den Tag mit solchen peinlichen bis ekelhaften ›Verboten‹-Kläffereien anzufangen, ist wirklich nicht mein Ding. Dann lieber gleich die Bild«, hieß es gelegentlich in Leserbriefen, in denen oft mit Abo-Kündigung gedroht, sehr selten aber tatsächlich gekündigt wurde. Der Bild-Vergleich gehört übrigens zum Standardinstrumentarium des aufrecht-aufgeregten Linken. Passt ihm etwas nicht, vergleicht er es mit Bild. Im historischen Verständnis heißt das, dass man damit wie 1968 auf die Berliner Kochstraße – die heutige Rudi-Dutschke-Straße – zieht, um die Auslieferung von offenbar nicht der Weltrevolution dienenden Texten zu verhindern. Es gibt ja leider – das ist Marxsche Ironie – gerade unter gestandenen Linken auch eine Fraktion, die es mit dem Dialektischen nicht so hat. Den anderen anders sein lassen? Lieber nicht. Das könnte das einzig Wahre bedrohen. Interessanterweise gilt das »Lustige« in diesem Denken einerseits als minderwertig. Logisch: Es muss abgewertet werden, um bleierne Ernsthaftigkeit aufzuwerten. Andererseits ahnt man doch – noch dazu, wenn man den Film Der Name der Rose gesehen hat –, dass der Scherz seit Aristoteles als Mittel der Subversion eingesetzt wird, um den Menschen wahre Aufklärung und Freiheit zu bringen, und dass er sie aus den Fängen der Ideologen befreien kann. Spätestens da hört der Spaß auf, der daher am besten gar nicht anfangen darf. Das Ganze wird selbstverständlich diskursiv verkleidet, aber im Kern läuft es auf einen Impuls hinaus: Das muss weg!

verboten ist im Kern sicher weder dogmatisch noch undogmatisch, denn wer den Begriff »undogmatisch« verwendet, kann eh gleich nach Hause gehen. Aber womöglich ist ja etwas dran am schlimmen Verdacht, dass verboten ökolibertär sein könnte, jenseits von Sozialismus und doch anschlussfähig, stark geprägt von der Idee eines ökologischen Humanismus, vor allem aber sich an eine aufmüpfige Bürgergesellschaft wendend und im Grunde geleitet von der Leichenrede des Perikles im Peloponnesischen Krieg: »Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger.«

Weil verboten es zudem mit Kant hält und seinem Diktum, dass man einander keine Verfassung aufzwingen könne, war es immer bestrebt, gerade den Menschen beizustehen, die verboten weghaben und also totmachen wollten. Weil das ja letztlich ausdrückt, dass es ihnen nicht gegeben ist, mit Selbstironie ihr eigenes Leben zu erleuchten und damit auch erst sozial und emphatisch agieren zu können. Vielleicht, man kann es nur hoffen, hat verboten ja die eine oder andere Seele im Lauf der Jahre den Teufeln der krankhaften Über-Ich-Moral und des permanenten Neid-in-Moral-Umdefinierens entreißen können.

Denn genau dafür wurde verboten ja gegründet. Unter anderem.

Doch wie die Reaktionen bis heute bestätigen, ist in dieser Sache selbst verboten an seinen Grenzen.

Warum, so hat mich ein junger Freund unlängst gefragt, warum hat verboten nicht wie Sokrates tapfer den Schierlingsbecher genommen, den man ihm immer wieder gereicht hat? Weil, junger Freund, zunächst die Frage zu klären ist, wer der Richter ist und wer der Richter sein darf. Ist nicht in Wahrheit verboten der rechtmäßige Richter – und verteilt selbst ständig Schierlingsbecher, die auch keiner trinkt? Und wenn, junger Freund, verboten eines Tages den Schierlingsbecher leert, dann nicht aus Verzweiflung, sondern weil alles gut ist. Das aber, junger Freund, würde bedeuten, dass keine verbissenen Leute mehr daherkommen und verboten den Schierlingsbecher reichen. Wann das sein wird, fragst du, junger Freund? Tja.

Mittlerweile haben ja viele Zeitungen so ein Ding auf ihrer Seite 1, das der »Auflockerung« dienen soll. Da soll dann nach Auffassung der Nachrichtenredakteure etwas »Leichteres« rein. Was das genau sein könnte, wissen viele Nachrichtenredakteure nicht annähernd, denn damit haben sie es nicht so. Aber was sie zu wissen glauben: dass das ja wohl neuerdings nachgefragt wird. Leider. Da rufen sie dann nachmittags Kollegen an, die sie für Komiker halten, und sagen: »Was schreibt ihr denn heute in das Ding rein? War da nicht was mit Fußball oder gibt es da nicht so einen abstrusen Vogel namens Bohlen? Im Ticker steht, dass ein Mann seit fünf Monaten eine Erektion hat und sie nicht mehr loswird. Das ist doch was.« Hihihi.

Jetzt ist guter Rat teuer. Was tun? Schreibt man es nicht rein, sind die Nachrichtenredakteure sauer, weil ihr Humor und ihr Spürsinn mal wieder ignoriert werden. Wer würde das riskieren? Eben. Und entsprechend kommen die Dinger in diesen ganzen Zeitungen dann auch daher. verboten hat um den Humor von Nachrichtenredakteuren immer einen großen Bogen gemacht. Machen müssen. Den größtmöglichen. Weil: Wenn ein Nachrichtenredakteur verschmitzt lächelt (die lächeln wirklich verschmitzt), dann musst du fliehen. Sonst wird es furchtbar. Sicher: Das war menschlich manchmal hart. Fast schon unmenschlich. Aber es musste einfach sein, um der höheren Sache gerecht werden zu können. (Außer sonntags. Da arbeitet selbstverständlich keiner vom verboten-Team. Dann schreiben die Nachrichtenredakteure kichernd etwas ins verboten rein. Aber das ist nicht so schlimm, weil die meisten taz-Leser denken: Ich verstehe es zwar nicht, aber die schlaue taz wird sich schon was dabei gedacht haben.)

verboten zieht einen Teil seiner Kraft aus einer elitären Skepsis gegenüber Nachrichten- und Meinungsjournalismus und seinen 08/15-Kommentaren. Es will das zum Journalismus gehörende Getue vermeiden und die konventionelle Leblosigkeit dieses »Bleibt-zu-hoffen«-Genres unterwandern.

Für mich persönlich ist verboten immer auch eine sprachliche Alternative gewesen. Speziell zur Kommentarsprache mit ihren furchtbaren Metaphern wie »Das Tischtuch ist zerschnitten« oder »Die Würfel sind gefallen«, mit ihren banalen Einstiegssätzen wie »Nun ist es passiert«, »Es kam, wie es kommen musste«, »Nun also doch«, blablabla. Und damit der Schein der Seriosität erweckt wird, muss man alle drei Sätze ein »Gewiss« einstreuen: »Gewiss, die Kanzlerin hat …«, »Gewiss, die Gründung der Grünen war eine Zäsur«. Im Grunde geht es bei verboten auch darum, diesen Meinungs- und Gestenhabitus zu kontrastieren und damit zu beleben. Den Leitartiklern zuzuflüstern: Leute, das kann es doch noch nicht sein, es geht bestimmt auch anders und besser. Wenn bei verboten einer ein Tischtuch zerschneiden wollte, dann zerschnitten wir ihm sein Hemd. Und bevor einer den Rubikon überschritt, ersäuften wir ihn in demselben. Das war gelebte Unternehmenskultur, die nirgends schriftlich festgehalten zu werden brauchte, weil das eh klar war.

Gegen die auktorialen Welterklärer und Besserwisser, die vom Meinungshügel hinterher alles besser wissen, aber in Wahrheit nicht mal einen sauberen Satz hinbekommen, stellt verboten das Risiko des Im-Jetzt-Lebens.

verboten entsteht aus dem Tag für den nächsten Morgen. Auf Zuruf, fünfzehn Minuten vor Redaktionsschluss, weil wieder mal alle was anderes zu tun haben – und einer übrigbleibt. Dadurch ist verboten immer an der Kante, immer in Gefahr zu scheitern, auf etwas Erbärmliches hinauszulaufen oder gar auf nichts – aber genau dadurch ist es nicht artifiziell, sondern getrieben von der Verzweiflung, ohne Idee auf den Abgrund zuzurasen und vom unerbittlichen Produktionschef Kai innert Sekunden von der lebendigen Redaktionsebene auf die tote Produktionsebene geschleudert zu werden – mitten im Satz und ohne Punkt und Pointe, weil das ist dem Kai »scheißegal«, wenn sonst die Produktion der Zeitung in der Druckerei abstürzt.

Genau dadurch aber und wenn man auf die Sekunde richtig anrief und sagte: »Kai, du hast das verboten«, obwohl er es noch gar nicht hatte, so jedoch die nötigen dreißig Sekunden herausgeschunden wurden, genau dadurch kann es auch grandios gelingen. So ist verboten wie ein Tag. Er kann mühsam sein und im Scheitern enden, aber auch strahlen wie ein Kometenschwanz oder ein Kojotenschwanz oder was es da für Metaphern gibt.

»Aber«, ruft Stefan Kuzmany, »verboten braucht immer eine Punchline. verboten ist immer nur so gut wie seine Punchline.« Stimmt. Es geht immer um das Streben nach der idealen Verbindung von Erkenntnis und souveräner Pointe.

Gleichzeitig aber hält eine literarische Ironie verboten in der Schwebe. Das ist nicht Feigheit, Indifferenz, Freudsche Technik oder Affirmation der Verhältnisse, sondern markiert die Komplexität der Gegenwart. Man kann nicht eine Position beziehen, ohne sie gleichzeitig zu hinterfragen.

verboten locutus, causa finita – verboten hat gesprochen, damit ist der Fall erledigt? Nein. Es ist anders herum: verboten hat gesprochen, und dann geht es erst richtig los. Und zwar mit einem Lachen oder einem Lächeln. Und dadurch ändert sich die Welt.

3   Brutal gerügt. verboten und der Presserat

Von Michael Ringel

Im Sommer des Jahres 2003 strahlte der Kulturkanal Arte eine Reportage über die taz aus. Dass bei den Filmemachern viel guter Wille eine Rolle spielte, zeigte sich bereits im deutschen Titel »Die Unsterbliche«. Zumindest gut gespielt war auch eine Szene, die sonst in der Realität nie stattgefunden hätte und eigens für den Dreh inszeniert wurde: eine verboten-Konferenz. Selbst in der Frühphase von verboten gab es nie Themenfindungskonferenzen der Redakteure. Am Anfang existierte lediglich eine Liste, auf der festgehalten war, wer an welchem Tag das verboten schreiben sollte, und selbstverständlich wurde die Liste schon nach einer Woche über den Haufen geworfen. Meist war es so, dass irgendjemand zwanzig Minuten vor Redaktionsschluss bemerkte, dass das verboten wieder einmal vergessen worden war, und nun wurden dringend ein Thema und vor allem ein Autor gesucht. Im schlimmsten Fall, beispielsweise im Sommer während der Urlaubszeit, musste man dann schon mal eine Woche lang sechs verboten hintereinander schreiben.

Im Fernsehen sah das ganz anders aus. Da trafen sich die Redakteure Thilo Knott, Stefan Kuzmany und Michael Ringel zu einem »verboten-Brainstorming«, wie die eingeblendeten Untertitel verrieten. Die drei Journalisten witzelten über einen schwergewichtigen Politiker, der gerade als erster Grüner deutscher Außenminister war und damit liebäugelte, erster Außenminister der Europäischen Union zu werden. Heraus kam dann eine verboten-Serie, in der Joseph Fischer mit speckruhiger Hand höchstpersönlich sämtliche Probleme der Welt löste: »Joschkas United Nations.«

Der Grüne Joschka Fischer war eine jener typischen Figuren, mit denen sich verboten gern auseinandersetzte – genau wie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der ganz im Sinne des ebenso technikverliebten wie volkstümlichen CSU-Mottos »Laptop und Lederhose« als »Doktor @mund Stoiber« oder kurz »Dr. @« verspottet wurde. Eines Tages musste dann wieder einmal zwanzig Minuten vor Redaktionsschluss ein verboten zusammengeklöppelt werden. Da niemand anders zur Verfügung stand, musste der Autor dieser Zeilen herhalten. Er ging schulmäßig nach der bewährten Methode vor und sah in die Nachrichtenticker, ob einer der Hauptdarsteller von verboten irgendeinen Unfug in irgendein Mikrofon hineingesprochen hatte. Und tatsächlich hatte Stoiber an diesem Tag von München aus einen wichtigen Beitrag zur Einwanderungsdebatte beigesteuert, die gerade in Berlin geführt wurde. Daraus entstand dann dieses verboten:

VERBOTEN

Guten Tag,

Doktor @mund Stoiber!

Wie gut, dass es Sie gibt. Sonst würde an unseren Grenzen so manches Unrecht begangen: »Stoiber warnt vor Schnellschuss bei Einwanderung«, meldete die Nachrichtenagentur AP gestern. Erst mal reinlassen und prüfen, wen man verboten

Doktor Stoiber! Sie reden doch sonst wie ein Herrenmensch!