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Michael Jung

Agenten unter Wasser

Schiffsziele im Visier
deutscher Kampfschwimmer

Michael Jung

Agenten unter Wasser

Schiffsziele im Visier
deutscher Kampfschwimmer

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Verlag E.S. Mittler & Sohn

Hamburg · Berlin · Bonn

Titelseite: US-Tanker PENDLETON (USCG Photo by Richard C. Kelsey, Chatham), Hummel bei einem Übungstauchgang in der Lagune von Venedig (Archiv Michael Jung).

Innenteil:

© Privatarchiv Familie Hummel: Seiten 20, 30, 32, 100, 114.

© Privatarchiv Michael Jung: Seiten 10, 12, 15, 35, 36, 40, 50, 51, 52, 56, 57, 63, 64, 69, 74, 78, 85–88, 93, 96.

© Privatarchiv Peter Jackson: Seite 14.

© Siebe Gorman & Co. Ltd, Gwent: Seite 41.

© Dave from www.millsgrenades.co.uk: Seite 45.

© Privatarchiv John Bridge GC, GM & Bar: Seite 97.

Pressefoto zum Film »The Silent Enemy«, England 1958: Seite 44.

Pressefoto zum Film »I Sette dell’Orsa Maggiore«, Italien 1952: Seite 87 unten

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

eISBN 978-3-8132-1007-1
ISBN: 3-8132-0859-1

© 2006 by Verlag E.S. Mittler & Sohn, Hamburg · Berlin · Bonn
© 2012 by Maximilian Verlag, Hamburg
Ein Unternehmen der Tamm Media
Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Vorwort

Schiffsabotage im Ersten Weltkrieg

Vom Seemann zum Kriminalkommissar

Das Phantom von Gibraltar

Schiffsabotage

Die »Meereskämpfergruppe Hellmers«

Die Brücken von Nijmegen

Kriegsende an der Westfront

Nachkriegslaufbahn

Literaturverzeichnis

Namensregister

Anmerkungen

Vorwort

Kurz vor Drucklegung meines Buches »Sabotage unter Wasser« über die deutschen Kampfschwimmer im Zweiten Weltkrieg wurde mir von der Familie des Kampfschwimmer-Veterans und ehemaligen Geheimdienstagenten Major d. R. Friedrich Hummel die Möglichkeit gegeben, dessen Nachlass zu sichten und auszuwerten. Er bestand aus zwei Aktenordnern mit Korrespondenz, Zeitungssausschnitten, Memos und Notizen.

Schon bald wurde mir bei der Durchsicht klar, dass Friedrich Hummel sehr viel mehr war als nur einer der Kommandanten der Kampfschwimmertruppe und einer der wenigen mit dem Ritterkreuz ausgezeichneten Einzelkämpfer: Seine persönlichen Kommandoeinsätze gegen Schiffsziele in Südspanien, die im Rahmen von Geheimdienstoperationen Anfang 1942 einsetzten, ihre Vorbereitung, der Ablauf und überhaupt die gesamte Organisation, die dahinter stand, war bislang vollkommen unbekannt. Er war neben dem Wiener Alfred von Wurzian die zweite Schlüsselfigur beim Aufbau der deutschen Kampfschwimmereinheit im Zweiten Weltkrieg. Während Wurzian der Fachmann für die Tauchtechnik war, kann Hummel als der führende Praktiker für Schiffsabotage der Deutschen Wehrmacht angesehen werden.

Bei der Recherche stieß ich in den Nationalarchiven in Washington, London und Moskau – wo nun einst als »TOP SECRET«- und »ULTRA«-klassifizierte Geheimdienstakten nach fast 60 Jahren Stück für Stück und fast zaghaft für die Forschung freigegeben werden – auf weitergehende Informationen zum Aufbau und den Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes, zu dessen Aufgaben auch die Sabotage von Schiffen gehörte. Die Akten enthalten dazu nicht nur wichtige und überraschende Hinweise, sondern zeigen auch, dass sich die alliierten Geheimdienste sehr wohl des Wertes deutscher Spezialisten bewusst waren und sie nach Kriegsende für eigene Unternehmen einsetzen, und zwar in weitaus größerem Umfang als bislang angenommen. Vermutlich deshalb wurden die entsprechenden Akten so lange zurückgehalten, und noch heute nicht in vollem Umfang freigegeben.

Die Sabotage von Schiffen der Alliierten erhielt im Laufe des Zweiten Weltkrieges eine immer höhere Bedeutung. Mit dem Ausschalten der deutschen Luftwaffe, dem Niedergang der deutschen U-Boot-Waffe, spätestens aber mit Beginn der Invasion im Juni 1944 wurden dringend Mittel und Wege gesucht, feindliche Kriegs- und Handelsschiffe zu zerstören, um die Kampfkraft und Transportkapazität zu schwächen. Eine Maßnahme, die eine immer größere Rolle spielte, war die Sabotage von Schiffen im Hafen oder auf Reede. Die Häfen in Südspanien und Gibraltar wurden schon früh zum Haupteinsatzgebiet geheimer Sonderkommandos und Agenten, die Sprengkörper an Bord schmuggelten oder als Schwimmer an der Schiffswand anbrachten. Der Geheimdienstoffizier Friedrich Hummel war der Leiter all dieser Sonderkommandos. Für das vorliegende Werk über diese Kommandounternehmen mit einem Schwerpunkt auf der Biografie des Friedrich Hummel wurden erst kürzlich freigegebene Geheimdienstunterlagen im amerikanischen, englischen und russischen Nationalarchiv sowie das Kriegstagebuch der deutschen Seekriegsleitung systematisch ausgewertet. Besonders hervorzuheben ist, dass auch einige Hauptbeteiligte sich öffneten und ihre Erlebnisse preisgaben, so dass damit eine fundierte Basis für eine Darstellung geschaffen werden konnte, die eine Lücke in der deutschen Militärgeschichte schließt sowie falsche Annahmen revidiert.

Michael Jung
Merzig-Weiler, im März 2006

Schiffsabotage

im Ersten Weltkrieg

Einer der ersten Berichte von Sabotageangriffen mit Sprengstoff und Zeitzünder gegen Schiffsziele stammt aus dem 17. Jahrhundert. Hans Krevet aus Barth bei Stralsund versuchte sich damals erfolglos als Angreifer gegen zwei schwedische Schiffe.

Die Schweden hielten im 30-jährigen Krieg ab 1645 Wismar besetzt. Ihre Flotte lag dort im Hafen, und die beiden schwedischen Admiräle Wrangel und Blume, zwei von der dänisch gesinnten Bevölkerung Wismars bitter gehasste Persönlichkeiten, bereiteten sich gerade zur Rückkehr nach Stockholm vor. Ihre Schiffe LEJON (Löwe) und DRAKE (Drache) hatten bereits die Anker gelichtet und Ruderboote ausgesetzt, um sich aus dem Hafen schleppen zu lassen. Die Admiräle wollten den Schiffen in ihren Staatsbarken folgen und sie erst beim Auslaufen in die offene See besteigen.

Da nahte auf einer schnellen Jolle ein Mann zunächst dem Schiff Wrangels, bat, es besteigen zu dürfen und händigte dem erstaunten Steward des Admirals eine schwere Kiste aus. Diese habe, wie er sagte, einen sehr kostbaren Inhalt und solle laut Anweisung des Admirals sicher im Schiffsinneren untergebracht werden. Dann ruderte der Mann hinüber zur DRAKE, wo er eine zweite, ebenso große Kiste überreichte.

Admiral Wrangels guter Stern wollte, dass sein Steward ein neugieriger Mensch war, der die geheimnisvolle Kiste zunächst untersuchte, um eine Ahnung von dem kostbaren Inhalt zu bekommen. Dabei hörte er in der Kiste ganz deutlich eine große Uhr ticken.

Kaum war Admiral Wrangel an Bord, fragte ihn der Diener, wohin die Kiste mit der großen Uhr gestellt werden sollte. Wrangel, überrascht von dem Vorhandensein einer Uhr, von der er nichts wusste und die vielleicht ein kostbares Geschenk einer ihm zugeneigten Person Wismars war, ließ die Kiste öffnen. Nun stellte sich aber heraus, dass die Kiste in ihrer Mitte ein großes Uhrwerk enthielt, das nach der voreingestellten Zeit ein Flintenschloss auslöste. Dessen Funke entflammte eine Zündschnur, die in den großen Schwarz pulverbehälter führte, welche sich ebenfalls in der Kiste befand. Die Pulvermenge war groß genug, um das ganze Schiff zu sprengen oder zu entzünden. Der Anschlag war damit vereitelt. An Bord der LEJON fand man in der Kiste denselben Apparat, und die beiden Schiffe kehrten nach Wismar zurück. Hier wurde sehr schnell der Täter ermittelt. Hans Krevet schwieg zunächst gegen alle Vorwürfe, gestand dann aber unter Folter, im Auftrag dänischer Agenten aus Lübeck den Anschlag versucht zu haben. Krevet wurde am 5. Juli 1645 hingerichtet.1

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Die Vorgehensweise des Hans Krevet, für alle sichtbar getarnte Sprengladungen an Bord von Schiffen zu bringen, ist mehr als ungewöhnlich und blieb wohl eher ein Kuriosum. Es liegt auf der Hand, dass es wesentlich erfolgversprechender ist, Sprengstoffanschläge durch Saboteure ausführen zu lassen, die unbemerkt – am besten im Schutz der Nacht – ihr Werk verrichten, wie etwa durch Schwimmer und Taucher. Bei guter Vorausplanung konnten mit vergleichsweise geringem Aufwand und Risiko große Effekte erreicht werden. Einsätze von Schwimmern und Tauchern zu militärischen, offensiven Zwecken gibt es schon seit vielen hundert Jahren. Das antike Rom hatte beispielsweise eine Berufstauchergilde, die als Söldner kriegerische Funktionen übernahm. Das militärische Erfordernis, schwimmen zu können, hatten die Römer bei ihren Gegnern im heutigen Deutschland abgeschaut. In den zeitgenössischen Berichten von Tacitus liest man darüber: »Als nämlich der römische Feldherr Germanicus die Weser überschritt, schwamm Chariovalda, der Anführer der Bataver, dort durch den Fluss, wo er am reißendsten war.« Oder an anderer Stelle: »Als Germanicus eine Brücke über die Eder zu schlagen versuchte, sprangen Chatten in den Fluss, um die Römer daran zu hindern. Da sie dazu ihre Waffen gebrauchten, müssen sie über beträchtliche Schwimmfertigkeiten verfügt haben.«2

Obwohl der Einsatz von Schwimmern für militärische Zwecke auf eine lange Tradition zurückblicken kann, wurde das Schwimmen als fester Bestandteil der Grundausbildung im preußischen Militär erst sehr viel später eingeführt. Nachdem 1811 das preußische Militär einen Erlass verhängte, wonach das Schwimmen zur Grundausbildung gehörte, baute 1817 der preußische General Ernst von Pfuel in Berlin-Oberschöneweide an der Oberspree die erste deutsche Militär-Schwimmschule. Er plante, 30.000 Soldaten im Schwimmen »abzurichten«, wie er es formulierte. Zu den einzuübenden Fertigkeiten gehörte unter anderem eine Flussüberquerung mit kompletter Ausrüstung, Waffen und Gepäck. Die Soldaten sollten beim Schwimmen ihre normale Uniform anbehalten und die Stiefel zusammen mit ihrem Gepäck auf einem kleinen Floß vor sich her schieben.

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Deutsche Pioniere erproben den neuartigen Schwimmanzug, 1915.

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Besondere Hilfsausrüstungen gab es damals noch keine. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis spezielle Schwimmanzüge gebaut werden konnten, die einen längeren Aufenthalt auch in kaltem Gewässer möglich machten. Eine grundlegende Entdeckung dafür war die Erfindung des Vulkanisierens im Jahre 1839 durch C. Goodyear. Zunächst nutzte man das Vulkanisieren zur Herstellung von Luftgummireifen für Automobile und Motorräder – bis dahin gab es nur Holzräder – und zum wasserdichten Versiegeln der Außenhaut von Stoffgeweben. Leichte, dünne Schwimmanzüge konnten erst produziert werden, nachdem man die Kautschukherstellung, die oft respektvoll als »Schwarze Magie« bezeichnet wird, immer mehr verbesserte.

Der Amerikaner Paul Boynton baute 1874 als erster einen speziellen aufblasbaren Gummischwimmanzug mit Handpaddel. So ausgerüstet überquerte er den Ärmelkanal und schwamm für Werbezwecke in vielen Flüssen Europas. Später ließ er den Anzug patentieren und verkaufte ihn an Männer, die sich für den Wassersport begeisterten.

Das preußische Militär führte zu Beginn des Ersten Weltkrieges, also rund 100 Jahre nach Beginn der Schwimmausbildung, bei ihren technischen Truppen Schwimmanzüge ein.3 Für Arbeiten im Wasser hatte die Pionier-Versuchs-Kompanie des Garde-Pionier-Bataillons leichte Schwimmanzüge erprobt, die im Herbst 1914 allgemein zur Ausgabe kamen. Die Schwimmanzüge bedeckten, wie Taucheranzüge, den ganzen Körper und hatten einen luftgefüllten Schwimmgürtel in Bauchhöhe. Außerdem stand für Arbeiten im Wasser bis zur Brusthöhe ein schwerer Hosenanzug aus derbem Gummistoff der Hanseatischen Apparatebau-Gesellschaft HAG in Hamburg bereit. Am 3.11.1914 befahl auch das bayerische Kriegsministerium die Ausstattung jeder Pionier-Kompanie mit je vier Schwimm- und Hosenanzügen, während jeder Korpsbrückentrain je zwei derartige Schutzanzüge erhalten sollte.

In dem dazugehörigen Erlass des bayerischen Kriegsministeriums lautet es: »Wasserdichte Anzüge haben sich im jetzigen Kriege wiederholt als dringend notwendig erwiesen und sind bis jetzt weder bei den Pionierkompanien noch auf den Korpsbrückentrains vorhanden; die Beschaffung solcher Anzüge (Raschke-Gassmann) ist daher notwendig. Der Anzug besteht aus metallisiertem Metzeler Ballonstoff, der fest, dicht und leicht ist und ganz besonders geeignet erscheint, als Schutz gegen die Einwirkungen der Kälte zu dienen in den Fällen, wo eiskalte Gewässer durchschwommen werden müssen oder wo Pionierarbeiten von einzelnen Mannschaften im eisigen Wasser auszuführen sind. Ein Anzug kostet 100 Mark und wiegt mit Hülle etwa 8 Kilogramm.«4 Die Metzeler Kautschuk AG aus München gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den Pionieren in Entwicklung und Herstellung von Ballon- und Aeroplanstoffen.

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Taucherausbildung im Rhein bei Wiesbaden, 1915.

Schon bald wurden Schwimmer nicht nur für Arbeiten, sondern auch für offensive Kampfaufträge eingesetzt. Im Allgemeinen herrscht die weit verbreitete Ansicht, der erste kriegerische Einsatz von Kampfschwimmern der Neuzeit hätte 1918 im Hafen von Pola stattgefunden. Die beiden italienischen Marineoffiziere Raffaele Rossetti und Raffaele Paolucci versenkten dort am 1. November 1918 das 21.000 BRT schwere Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS. Mit dem Schiff versanken etwa 300 Mann Besatzung. Die beiden Italiener hatten sich, auf einem modifizierten Torpedo reitend, im Dunkeln an das Schiff herangeschlichen und dort ihre Sprengladungen angebracht. Der Einsatz ist gut dokumentiert und wird immer wieder erwähnt, wenn es um die Schilderung der Entwicklungsgeschichte des Kampfschwimmens geht. Tatsächlich fand aber der erste Kampfschwimmereinsatz der Neuzeit nicht im Hafen von Pola, sondern bereits drei Jahre früher in einem nordosteuropäischen Binnengewässer statt: im Fluss Memel, nahe der Festung Kauen.

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Dieser Anzug wurde beim Angriff nahe Kauen eingesetzt.

Die Idee, einen mit Sprengkörpern ausgerüsteten Schwimmer gegen Schiffsziele einzusetzen, wurde erstmals 1915 vom deutschen Militär verwirklicht. Die ersten deutschen Kampfschwimmer stammten aus der 2. Reserve-Pionier-kompanie des in Stettin stationierten Königlich-Preußischen Pommerschen Pionierbataillons 2. Ihre Ausbildung erfolgte im Rhein bei Biebrich, also am Flussbogen zwischen Mainz und Wiesbaden. Sie trugen den wasserdichten Anzug, den die Versuchskompanie des Potsdamer Garde-Pionier-Bataillons entwickelt hatte. Dabei handelte es sich um einen eng anliegenden, einteiligen Anzug aus imprägniertem Spezialgewebe, zu dem ein Tragegestell mit Gurt samt eingearbeiteten Taschen gehörte.5 In diesen Taschen konnten Spreng- und Zündmittel mitgeführt werden. Der Kampfschwimmer verwandte außerdem ein Atemgerät auf Sauerstoff-Kreislaufbasis und trug an den Füßen Lederstiefel. Schwimmflossen kannte man damals noch nicht. Einige Bleigewichte an den Unterschenkeln und dem Bauchgurt sorgten dafür, dass er in einer vertikalen Lage im Wasser trieb, gerade hoch genug, um mit dem Kopf ein wenig über die Oberfläche herauszuragen. Vor dem Gesicht wurde eine Vollgesichtsmaske getragen, die mit dem Sauerstoffgerät verbunden war. Daraus atmete der Kampfschwimmer während des gesamten Einsatzes, also auch beim Anschwimmen zum und Abschwimmen vom Zielobjekt.6 Aufgrund der damals noch geringen Kapazität der Sauerstoffflaschen und der Absorberpatronen konnte ein Einsatz maximal etwa eine Stunde betragen.

Im Sommer 1915 tobte die Schlacht um die Festung Kauen, die von den russischen Truppen hartnäckig verteidigt wurde. Kauen (litauisch Kaunas, polnisch Kowno) liegt im Baltikum (heute Litauen) und ist mit etwa 360.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens. Sie liegt am Zusammenfluss von Memel (Njemen) und Neris (Wilija), in der Mitte des Landes, etwa 100 km westlich der Hauptstadt Wilna (Vilnius). Die Stadt ist auch ein Eisenbahnknotenpunkt und galt als strategisch besonders wichtig.

Am 6. August 1915 hatte der deutsche Angriff auf die Festung Kaunen begonnen. 10 Tage bereits tobte die Schlacht, als die deutschen Truppen zum entscheidenden Angriff ansetzten. Neben der Zerstörung der Festungswerke und Geschütze sollte auch ein russischer Bewachungsdampfer, der oberhalb der Neris-Mündung in der Memel ankerte, beseitigt werden.

Der entsprechende Kampfschwimmereinsatz fand in der Nacht zum 17. August 1915 statt, als fünf Pioniere unter der Aufsicht des Vizefeldwebels Schäffer die neue Ausrüstung erstmals vor dem Feind erfolgreich verwandten. Schäffer berichtete später: »Auf einer Halbinsel lag ein Kloster, nicht weit davon ein russischer Bewachungsdampfer. Mit der Artillerie konnte man ihn nicht fassen, da man anscheinend mit Rücksicht auf die Genfer Konvention das Kloster nicht gefährden wollte. Zur Außergefechtsetzung des Dampfers blieb also nur ein Handstreich übrig. Jeder Pionier erhielt, in einer verlöteten Weißblechkiste, etwa 50 Sprengkörper, der Truppführer die Zündmittel. Ungefähr ein Kilometer oberhalb des Bewachungsdampfers stieg man in die Flut. Es erwies sich als sehr zweckmäßig, dass man die Pioniere miteinander durch Leinen verbunden hatte, denn die Memel wies so zahlreiche Strudel auf, dass der einzelne Schwimmer sehr leicht abgetrieben worden wäre. Kein Licht gab den Pionieren einen Richtungspunkt. Die verabredungsgemäß abgeschossenen Leuchtkugeln aus der deutschen Front ließen ab und zu das Wachschiff erkennen, doch änderte sich die Lage durch Stromrichtung und Flusslauf ständig. Die allergrößte Vorsicht war beim Näherkommen an das Objekt geboten, denn es galt, die Sprengladungen an dem Dampfer unbemerkt anzubringen. Ursprünglich war abgemacht, die Ladungen an beiden Seiten in der Mitte des Fahrzeuges so anzubringen, dass sich die Sprengwirkung auf den verwundbarsten Teil, die Maschinerie, erstrecken musste. In der Dunkelheit und bei der starken Strömung war es unmöglich, diese Absicht durchzuführen. Glücklich hatte der Führer seine Pioniere um die Ankerkette bugsiert, man ließ sich nun nacheinander an der einen Seite des Dampfers entlangtreiben. Der vorsichtig an der Bordwand entlangtastende Unteroffizier Helmut Cüppers hatte Glück, da er auf dieser Seite die Abflussöffnung des Kondenswassers der Maschine fand. Kurzentschlossen wurden mit einem Draht die ersten beiden Ladungen befestigt. Die beiden anderen Ladungen hing man an die Welle der Schraube. Die mitgebrachten Leinen leisteten für das Anlegen der Ladungen gute Dienste. Nach Anbringung der Unterwasserzündung entfernten sich die Schwimmer eilends nach stromabwärts. Erleichtert und von den Leinen befreit, strebte jeder für sich dem rettenden Ufer zu. Einer nach dem anderen gelang es, dieses zu erreichen, wenn auch die Strudel manchen vorher wie toll herumgewirbelt und der Strom sie weit abgetrieben hatte. Frierend und erschöpft konnte der Führer die Wirkung der Sprengung mit ansehen. Ein dumpfer Knall, dann ein zweiter, und das Bewachungsschiff war seinen Zwecken entzogen.« Der Angriff war ein erster erfolgreicher Nachweis für die Tauglichkeit der neuen Waffe. Weitere deutsche Kampfschwimmer-Einsätze während des Ersten Weltkrieges sind nicht bekannt. Erst im Zweiten Weltkrieg setzte die deutsche Wehrmacht wieder Kampfschwimmer mit dem Sonderauftrag Schiffsabotage ein. Der erste und herausragendste dieser Kampfschwimmer war Friedrich Hummel.

Vom Seemann

zum Kriminalkommissar

Friedrich Richard Alexander Hummel wurde am 8. Februar 1910 in Jena als einziges Kind eines Bauingenieurs geboren. Nach dem Besuch der Fritz-Wächtler-Schule legte Hummel 1929 die Reifeprüfung am humanistischen Gymnasium Carolo-Alexandrinum in Jena ab.

Bereits in jungen Jahren brannte in ihm die Sehnsucht nach fernen Ländern, die Liebe zur See und der Wunsch, Seemann zu werden. Seit seinem 18. Geburtstag war Hummel Mitglied der Marinejugend des Marinevereins in Jena, und schon im Mai 1929, nur wenige Tage nach der erfolgreichen Reifeprüfung, heuerte er auf dem Motorschiff EMMA OLTMANN als Hilfsjunge an, einem kleinen Frachtschiff, das die Saale und Elbe bis hoch nach Hamburg, dem »Tor zur Welt«, befuhr.

Für den jungen Hummel war dies ein erster kleiner Schritt hinaus in die Freiheit. Seine Heuer endete aber schon nach zwei Monaten, als der Reeder aufgrund der schlechten Wirtschaftslage das Schiff stilllegen musste. Hummel war inzwischen aber klar geworden, dass er nicht nur Binnenschiffer werden, sondern die Offizierslaufbahn der deutschen Handelsmarine einschlagen wollte. Da aber frühestens im nächsten Jahr ein Ausbildungsplatz auf einem Segelschulschiff frei war, überbrückte er die Zeit mit einem Semester Studium der Fächer Geographie und Naturwissenschaft an der Universität Jena und anschließend einer viermonatigen Heuer als Leichtmatrose auf dem Motorschiff FORTUNA, das ebenfalls die Saale und Elbe bis Hamburg befuhr.

Ende Juli 1930 ging Hummels Traum in Erfüllung: Er bekam unter vielen Bewerbern einen der begehrten 40 Offiziersanwärter-Plätze auf dem Segelschulschiff PASSAT. Hier sollte er vor dem Besuch der Navigationsschule die vorgeschriebene Segelschiffsausbildung erhalten. Die Viermastbark PASSAT war ein traditioneller Frachtsegler, der von der Hamburger Reederei Blohm & Voss gebaut wurde und lange Jahre in Dienst war. Auf der PASSAT fuhr Hummel fast zwei Jahre, umsegelte mehrfach Kap Hoorn und kam zweimal bis nach Chile. Seine reguläre Fahrtzeit auf der PASSAT endete im Mai 1932. Hummel setzte nun seine Ausbildung ein weiteres Jahr auf Motorschiffen der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) fort – der DUISBURG und der HALLE – und lernte Südamerika, Afrika, Indonesien, China und Japan kennen. Auf diesen Reisen erlernte Hummel nicht nur das Seemannshandwerk, sondern verbesserte auch eifrig seine Fremdsprachenkenntnisse.

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Friedrich Hummel als Offiziersanwärter auf der PASSAT, 1931.

Dann aber kam der Schnitt: Im März 1933 wurde der Seeoffiziersanwärter Hummel wegen Außerdienststellung seines Schiffes HALLE infolge der damaligen Wirtschaftskrise entlassen und arbeitslos. Die HALLE hatte bei HAPAG den Australiendienst versehen und lag nun auf unbestimmte Zeit in Hamburg fest. Zum Besuch der Seefahrtsschule besaß Hummel allerdings noch nicht die geforderte Seefahrtszeit an Bord eines Schiffes.

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