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Über dieses Buch

Sie ist eine der Letzten einer aussterbenden Gattung, changiert auf der Bühne zwischen den Geschlechtern, beherrscht die schrillen wie die sanften Töne; ihre Aphorismen sind geliebt und werden gefürchtet: Georgette Dee, Sängerin und Schauspieler, die »größte Diseuse des Landes, kann alles, kennt alles, fühlt alles« (Die Zeit).

»Gib mir Liebeslied« versammelt erstmalig ihre Liedtexte vom Alleinsein, vom Begehren und Verlangen. Nach Farben, die Georgette Dee mit den Stimmungen dieser Texte verbindet, sind sie geordnet, eingeleitet werden sie von skurril-komischen Aphorismen. Georgette Dee erzählt von ihren lyrischen Anfängen, den frühen schauspielerischen Versuchen an einem Baum in der Lüneburger Heide, der ersten Begegnung mit ihrem Pianisten Terry Truck in einer Küche im englischen Brixton, von ihrem Bühnenleben und natürlich von ihren Liebhabern.

»Ein besseres Programmbuch als diese autobiografischen Skizzen ist zu den Auftritten Georgette Dees kaum denkbar.« (Berliner Morgenpost)

Die Autorin

Georgette Dee wurde auf dem Land bei Celle geboren. Zunächst arbeitete er als Krankenpfleger, dann begegnete er dem Pianisten Terry Truck. Seit Anfang der achtziger Jahre Auftritte in der ganzen Republik, begleitet von unterschiedlichen Musikern. Immer wieder Arbeiten für Theater und Oper, 1994 Deutscher Kleinkunstpreis. Georgette Dee lebt heute in Berlin.

Georgette Dee
Gib mir Liebeslied

Chansons · Geschichten · Aphorismen

Edition diá

Inhalt

Wenn Geist und Seele sich reiben
Das Mädchen hätte man schnell verheiraten sollen
Beim ersten Mal, da tut’s noch weh
There is a guy, he plays the piano
Theaterlust und Sinnestaumel oder Wie Frankfurt mir plötzlich Heimat bot
Hexenkinder unterwegs: Knasttournee
Rosa Sterne am Himmel und Eiswürfel in der Aorta
Wie man sich zwischen Zeit und Raum singt oder Die Zeit der Dreißig-Stunden-Tage
Sherry-Lady entert Hochkultur
Die Liebe scheint wie ein Zuhause oder Wie Berlin mich wieder in seinen Armen halten konnte
Man fängt immer wieder von vorne an
»Amok … oder mich?« Ein deutscher Theaterversuch mit Musik
Zwischen Woolworth und Weltpolitik
In diesen Tempel wird man gebeten

Die roten Texte
Die grünen Texte
Die blauen Texte
Die gelben Texte

Georgette über Terry
Das Leben hat eine so schöne Melodie – schade, dass man manchmal den Text nicht kann
Meine Hand in deiner Hand ist Morgenstern im Abendland
Geheimnisse zu lüften hat nichts damit zu tun, seinen Schlüpfer auszuziehen
Reisen an sich ist nicht schön, aber da zu sein belebt ungemein
Wer nichts mehr provoziert, braucht einen jungen Liebhaber
Ein Star will ich nicht werden, ein Glanz vielleicht
Zukunft ist etwas Schönes, wenn man sie nicht mit Unsterblichkeit verwechselt
Ein Engel auf Abwegen
Gelebtes Leben, geliebte Liebe, gelächeltes Lächeln, Vergangenheit – gelebte Zeit. Beim Wieder-in-die-Hand-Nehmen von »Gib mir Liebeslied«

Die Texte
Die Quellen
Die Fotos
Impressum

Was uns verbindet, ist das Geheimnis der Gefühle.

Für Terry Truck

Außerdem widme ich dieses Buch allen Technikern, Theaterleuten und denen, die mir Gastfreundschaft im Hause und im Herzen gewährten. Sozusagen all denen, die, wie man so schön sagt, im Dunkeln stehen, um einen ins Licht zu schieben.

Wenn Geist und Seele sich reiben

Und dann war da der Weltschmerz, so 1972, der mich dazu brachte, Gedichte zu schreiben. Immer in dem Bewusstsein, dass sie für andere lesbar und später vielleicht auch hörbar sein sollen, das heißt, es waren keine heimlichen Tagebuchnotizen. Es waren vor allem Texte, in denen es um Natur und Schöpfung ging – religiös angehaucht. Als Kind hat man noch die Kraft der Fantasie und damit die Macht, alles gut werden zu lassen, was mit der Pubertät plötzlich nicht mehr möglich ist.

Einerseits war ich das Wirtschaftswunderkind, in der nachkrieglichen Konfliktlosigkeit erzogen: ein Prinz ohne Land. Andererseits war ich erregt vom Elend, über das ich las und von dem ich hörte. Ich hatte den Wunsch, die ganze Menschheit an meinen Busen zu drücken und in den Schlaf zu singen. In der Schule lasen wir Wolfgang Borchert und Franz Kafka. Das gab mir Mut, ich war nicht allein mit Weltschmerz und Sehnsucht. Nebenbei entwickelte ich ein kleines fettes Helfersyndrom. Dazu kam dann noch der freundlich-gleichförmig pulsierende Rhythmus der Lüneburger Heide, in der ich aufgewachsen bin, sodass ich immer schon ahnte, die Welt ist groß.

Ich hab keine Jahreszeit als so mächtig empfunden wie den Sommer. Weil man in so einer weiten Landschaft ein Fernweh kriegt, dass es einen fast zerreißt. Der Herbst war immer meine Lieblingszeit, im Winter und im Sommer konnte ich mich nicht entscheiden, wie ich das finde, und Frühling mochte ich nie. Der war mir ein Graus, weil er immer so lange dauert und nichts passiert. Da zippelt das da rum, bis dann endlich mal was auf den Punkt kommt. Im Herbst sind alle Jahreszeiten für mich: Da wächst noch vieles, da vergeht schon vieles, vieles ist auf dem Höhepunkt, und einiges ist schon tot – das ist eine so romantische Zeit. Aber ich bin ja auch geboren im Herbst, insofern hängt meine Vorliebe wahrscheinlich damit zusammen.

Vielleicht ist auch der Urquell meiner Sehnsucht in dieser Jahreszeit begründet. Ich habe Gedichte und Oden an Geliebte verfasst, die ich gar nicht kannte, sondern mir auf der Straße oder im Zug flirtenderweise angeschaut hatte. Dadurch hatte ich in meiner Fantasie schon so viel und so heftig geliebt, dass ich später meinen tatsächlichen Liebhabern im Inneren Vorwürfe machte und mich heimlich wunderte, warum sie mir all diese Empfindungen nicht zurückgeben konnten. Die wirklichen Menschen, die in die Ströme meiner Liebe verwickelt waren, habe ich erst viel später real in meinen Texten verarbeitet.

Untergang

Die Sonne stieg hinab

Die Angst schlich herbei

Stille wurde zum Grab

Schweigen wurde zum Schrei

Es jagten sich Gedanken

in luftleeren Räumen

Hoffnungen ertranken

Es fand sich nichts zum Träumen

Und da: Lärm im Herzen verklingt

Sturm in der Seele glättet sich

Nebel der Angst zerrinnt

Schweigen, das fürchtet sich nicht

Es kamen liebe Gedanken zu mir

ein Hauch deiner sehnenden Seele

Sie kamen und brachten Hoffnung von dir

und gaben mir träumende Stille

Juli

Weißt du, wie das Moos riecht? Warm und trocken

herb und nach Sonne –

nach Sonne, die an einem glasblauen, weiten

in Vogelsang getauchten und mit Tau benetzten

Himmel aufgeht

und scharfe Schatten auf grünen, duftenden Rasen wirft

ein Beet voller Blumen und Bäume, die verheißungsvoll

in den Tag schimmern

Weiße Rosen und hellblauer Rittersporn

blinzeln sich am Morgen zu und küssen sich im heißen Mittag

und erglühen im Abendlicht

und wissen von der sternklaren Nacht

die, den Tau versprühend, aus den Wiesen

vor dem Wald steigt

Und Grillen, die am Mittag im Gras am Sandweg durch

die Wiesen zirpen, sind neu erwacht

und grüßen den stillen Mond, der sich im lauen Wasser

eines Grabens spiegelt und versinkt im dunklen Wald

wenn die Nachtigall schweigt und die Nacht

den Morgen küsst

der leicht errötet und die erste Lerche weckt

zu einem neuen Tag, an dem auch du weißt

wie das Moos riecht

warm und trocken, herb und nach Sonne –

Rosengarten

Ich habe dir nie einen Rosengarten

versprochen

und doch – sieh:

eine Farbe, rot und sammetwarm

als ich dein Herz berührte

erblühte sie auf deinen Wangen

Ich habe dir nicht versprochen

das zu geben, was ich nicht kann: mich!

und doch – fühl:

eine Hand, vorsichtig und jugendfrisch

als ich deine Augen sah

leuchteten sie

Du hast mir nie einen Rosengarten

versprochen

und doch – ich danke dir:

als zartes Licht uns umfloss

gabst du mir eine Rose

Du hast mir nie deine Liebe

versprochen

und doch – horch:

als der Tod uns berührte

erblühte sie in unseren Herzen

Das Mädchen hätte man schnell verheiraten sollen

Irgendwann einmal nach der Schule schickten mich meine Eltern zum Arbeitsamt, weil sie ja auch mitkriegten, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich wollte. Ich hatte wirklich keine Idee, und meine Eltern meinten nur, du musst wissen, was du willst. Himmel, Arsch und Zwirn, dachte ich, wie soll ich – mit fünfzehn Jahren – wissen, was ich will, während man vorher immer im gemütlichen Salzstreuerchen rumkugeln konnte und für nichts Verantwortung übernehmen musste. Ich wusste doch überhaupt nichts vom Leben! Und dann bin ich zum Arbeitsamt gegangen, saß da und sagte schüchtern, ja, ich hätte gerne die »Blätter zur Berufskunde« – die berühmten, die es früher immer gab –, ja, Schauspieler und Sänger. Und das auf dem Arbeitsamt Celle! Ja, wie, was? Der Sachbearbeiter schaute mich verständnislos an. Wie geht das denn?, fragte ich. Ja, das weiß ich auch nicht, meinte er, und ich weiß auch gar nicht, ob wir die haben. Da musste er erst ins Archiv runterrüschen. Hatten sie dann aber doch. Die hab ich dann durchgelesen, und da stand auch tatsächlich, was man alles so machen kann: Ausbildung vom Sopran bis hin zum weichen Tenor und all den anderen Stimmfächern, die es da noch gibt. Aber wie man Sänger wird, dazu stand nicht ein Satz drin. Also alles ziemlich diffus. Aber immerhin waren in dem Schauspielerblättchen die Adressen von einigen Schauspielschulen.

Als ich mit diesen beiden Heftchen wieder nach Hause kam, war man dann doch etwas irritiert. Meine Eltern sagten zwar nichts dagegen, eigentlich sagten sie gar nichts, außer, vielleicht solltest du doch irgendwas Handfestes … erst mal. Denn das sei doch kein richtiger Erwerb. Sie hatten eben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich auch nicht, ich dachte nur, es muss wunderbar sein, auf der Bühne zu stehen und irgendwas zu spielen, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Den Leuten Sachen erzählen, sie etwas glauben machen, das ist es. Und genau das hatte ich früher als Kind stundenlang gemacht: Ich bin einfach rausgegangen in den Garten und habe Wetter und Himmel, Natur und Stimmung auf mich wirken lassen. Dann irgendwas angezogen und losgespielt: stundenlang an einem Baum gestanden und im Kopf Monologe und Dialoge gehalten mit Personen und in Situationen, die gar nicht wirklich da waren. Wunderbar, das hat großen Spaß gemacht! So was hab ich mir vorgestellt für mein Leben, aber irgendwie war es sehr unwirklich, und so bin ich letzten Endes Krankenschwester geworden, da hatten ja dann auch alle ihre Ruhe.

Der Wunsch, zur Bühne zu gehen, war intuitiv schon sehr stark, geradezu eingegeben. Wort, Sprache, Ausdruck – das faszinierte mich. Musik nicht so, das hat mich eigentlich weniger interessiert, aber da wir viel Hausmusik gemacht haben und ich eine sehr gute Stimme hatte, lag es natürlich nahe, das alles miteinander zu verbinden. Merkwürdig, aber eigentlich kam ich nur mit Glück – oder war es Schicksal und Fügung? – in die Musik- und Bühnengeschichten rein. Denn die Krankenpflegerausbildung verdrängte zunächst alles andere.

Durch meine Ausbildung hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eigenes Geld. Das war für mich wie ein Mirakel: Ich arbeitete und kriegte plötzlich sehr viel Geld. In meinem Elternhaus war Geld etwas, über das man nicht sprach. Ich glaub, ich hab mit sechzehn Jahren fünf Mark in der Woche gekriegt. Ich habe Geld nie vermisst, denn es war immer alles da, und ich hatte auch nie große Ansprüche. Ich hab wirklich mühselige zehn Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass das Geld, das zu mir kommt, meins ist und es nicht aus Versehen kommt. Ich war immer dankbar für mein Gehalt, hatte fast ein schlechtes Gewissen, so viel zu verdienen, weil ich immer dachte, hingehen muss ich sowieso, ich muss ja arbeiten. Nie hab ich es zusammengekriegt, dass ich das Geld für meine Arbeit bekomme, dass es selbstverständlich ist – und viel zu wenig obendrein. Ich finde, die Krankenpflege ist noch immer ausbeuterisch unterbezahlt.

Sänger werden, so ein Knödeltenor und weiß-nicht-was, das war mir immer ein Graus. Und Schlagersänger fand ich zu obszön. Ich hatte einen fantastischen Knabensopran, aber nachdem der Stimmbruch gekommen war, war der einfach weg, und ich dachte, jetzt kann ich sowieso nie wieder singen, weil ich nie wieder ein Sopran sein werde.

Opernsänger schied in jeder Hinsicht völlig aus. Denn eigentlich war ich immer eine Frau, von klein auf. Das war mir klar. Dass ich ein Mann geworden bin, so aus Versehen, hab ich dem Schicksal nicht übel genommen, aber viel Beachtung hab ich dem Umstand auch nicht geschenkt. Ich bin auch nie auf die Idee gekommen, irgendwelche Operationen machen zu lassen, also die Transischiene zu fahren, weil ich immer dachte, das geht überhaupt nicht. Denn dann bin ich gar nicht mehr ich selbst. Also, ich war mit mir schon so ganz zufrieden. Ich fand’s nur ulkig, dass man mir als Frau einen Männerkörper gegeben hatte. Das hat mich eher amüsiert. So absurd, wie sich das jetzt anhört: Es war fast so, als wenn jemand rote Haare hat und denkt, ich hab ja nun mal rote Haare, aber eigentlich bin ich schwarzhaarig. Ich hab schöne schwarze Haare, die sind nun mal rot geworden, macht nichts, geht halt manchmal nicht anders. Ja, liebe Psychiater, lesen Sie diesen Satz ruhig noch dreimal!

Und als ich meinen ersten Sex hatte, dachte ich, ist ja wunderbar, wir sind’s zufrieden. Okay, die Männer, mit denen ich was hatte, hätten es mit Frauen wahrscheinlich nicht getrieben. Dann hätte ich sie also, wäre ich eine Frau gewesen, gar nicht gekriegt. Aber wahrscheinlich habe ich damals noch gar nicht so weit gedacht. Ich hab nur gesehen, die machen mit mir was und ich mit denen, also stimmt’s schon mal.

Dass nur die wenigsten mit mir umgehen können, das stellte sich erst später heraus. Wer von den Homos, die sich alle nach dem Traummann sehnen, kann schon mit einem weiblichen Mann auf die Dauer umgehen? So hatte ich irgendwann die absurdesten Liebhaber. Nicht, dass sie ultrapervers gewesen wären: Es waren einfach Männer, an die kein anderer Schwuler rangekommen wäre. Heteromänner? Nein, das wäre zu einfach. Aber die Neider, die alle heimlich denken, Gott sei Dank bin ich ein bisschen männlicher als der, möchten es sich natürlich so einfach machen. Und dann sehen sie mich mit irgend so einer Saftschnecke abschieben und beißen vor Wut in den Schrank. Das ist schon merkwürdig.

1976 ging ich nach Hamburg, 1979 war ich mit der Krankenpflegerausbildung fertig, und dann habe ich erst mal eine Krise gekriegt. Denn irgendwie ging es mir genauso wie nach der Schulzeit: Ich wusste schon wieder nicht, was ich machen sollte. Kranke pflegen ein Leben lang, mich am frustrierenden Krankenhausbetrieb aufreiben – grauenvoll! Außerdem hatte ich im Herbst 1979 Gunther Schmidt und Ernie Reinhardt kennengelernt. Und fasziniert und heißblütig die Fährte schwuler Kultur gewittert.

Beim ersten Mal, da tut’s noch weh

Die Auswahl, ach ja, die Auswahl der Lieder fürs erste Mal auf der Bühne, jugendlich, dramatisch, Tuntentrutsch, voller Gefühl – das war am Anfang immer wirklich sehr großer Chor. Also Nuttenlieder und Brecht und die eigenen Texte, die meistens einen sehr politischen Anstrich hatten. Dabei so Wahnwitzgedanken wie: Was Brecht kann, kann ich schon lange. Und dass die Welt schlecht ist, find ich auch – gut, dass Brecht das auch schon gesagt hat. Da haben die Leute wenigstens schon mal was von gehört.

Ich hab mich ein einziges Mal selbst begleitet, beim Bundesgesangswettbewerb 1979 in Berlin. Und die Jury war fassungslos, da saß unter anderem auch Margot Hielscher drin. Immer wenn ich nicht mehr weiterkam, hab ich halt a cappella weitergesungen. Diese Unverschämtheit, mich da so hinzustellen, war eigentlich unglaublich. Einer aus der Jury sagte, Ihnen ist eine große Karriere nicht abzusprechen, aber so geht es nicht. Was meinte der bloß? Rief mir beim Hinausgehen noch hinterher, nehmen Sie den Humor etwas ernster, Sie sind kein Valentin. Ich hatte noch nie in meinem Leben von einem Valentin gehört, und das war ganz verrückt.

Mein erster Auftritt war dann im »Tuc Tuc« in Hamburg, damals noch mit Gunther Schmidt zusammen. Gott, ich war so aufgeregt! Es war ein stundenlanges Programm, zweiundzwanzig Songs. Ich habe Lieder von Bertolt Brecht, Hildegard Knef und Hana Hegerová gebracht und ein paar eigene Texte dazwischen – zum Beispiel »Gefühl« und »Das Ei und die Henne« – und einige von diesen ollen Kamellen aus den zwanziger Jahren.

Gunther Schmidt, Namensgeber und Gründungsmitglied der schwulen Theatergruppe »Familie Schmidt« und heute eine Hälfte des Duos »Herrchens Frauchen«, hatte ich durch einen Liebhaber kennengelernt, meinen »Kastanien-Liebhaber«. Der war so schön wie eine frische, blank geriebene Kastanie – schwelg! Er meinte, geh doch mal ins »Tuc Tuc«, da treten schwule Künstler auf. Zwei Telefonnummern gab er mir auch, und so rief ich Gunther an, und er bestellte mich ins Kellertheater »Fools Garden«. Dort spielten Gunther, Ernie Reinhardt und Claus Pfizner als die »Spalding-Sisters« Lieder und Sketche. Ich war hin und weg, sie waren toll geschminkt, schrill und sangen wunderbare Lieder von Liebe und Leid, Leben und Glamour. Nach dem Auftritt lud Gunther mich ein. Und ich blieb drei Tage in ihrer WG. Da quollen die Fummel tonnenweise aus rosa gesprayten Schränken, und in einem Zimmer thronte ein Flügel inmitten von notenbepackten Regalen und einem Schlaflager. Überall stand benutztes Geschirr rum, Zeitschriften, Pumps, Perücken, Zettel, Handtaschen, Schallplatten und – ach, es war herrlich.

Ich glaubte, in den Garten der Freiheit gekommen zu sein. Wir standen nicht auf, um zu frühstücken, sondern frühstückten, weil wir aufgestanden waren. Drei köstliche Tage! Und meine eigene WG glaubte, ich schwimm schon tot in einem Hafenbecken, und hätte bald die Polizei alarmiert, weil ich drei Tage die Welt vergessen hatte. Ich bin dann noch oft bei Gunther und Ernie gewesen, und weil ich ihnen auch mal was Gutes tun wollte, putzte ich eines Tages alle Fenster. Die Wohnung lag in einem Industriealtbau im dritten Stock – die dachten, sie trifft der Schlag, als sie mich dort rumturnen sahen. Noch Jahre später lud Ernie mich ein mit dem Beisatz, die Fenster könnten’s mal wieder brauchen.

Gunther hat dann mit mir gearbeitet und Lieder einstudiert. Es war schon wie ein Traum. Sie nahmen mich ernst – meine Gefühle und Wünsche. Aber irgendwie ging das dann auch alles nicht – ich war halt zu verwirrt. Es kam zwar noch einmal zu einigen Auftritten mit Gunther Schmidt im Oktober 1980 in Berlin im »Schwarzen Café«, und man feierte uns, aber eigentlich verstand ich nicht, warum. Es war für mich absurd und verrückt – ich wusste doch nichts von meiner Wirkung.

There is a guy, he plays the piano

Meine ersten wackeligen Bühnenschritte stürzten mich in einen Strudel von Orientierungslosigkeit. Ich hing in den Seilen, lebte von heute auf morgen, verteilte zwischendurch Nachttöpfe und machte ansonsten Hoch-die-Tassen. Meine einzige Entscheidung in dieser Zeit war, meine Haare zu färben, und zwar, vom Scheitel abwärts, links schwarz und rechts weiß, was zur Folge hatte, dass ich aus der Klinik flog. Hamburg hatte mir nichts mehr zu sagen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließ ich 1980 die Stadt und zog zu einer Freundin nach Berlin. Dort lernte ich Frank kennen, einen Iren, der in London lebte. Er wurde einer meiner besten – platonischen – Freunde.

Als ich im Januar 1981 das erste Mal nach London flog, war ich schon überzeugt, mehr als meine Flugscheinnummer zu sein. Ich träumte einfach, die Diva fliegt von Berlin nach London. Dabei war es der erste Flug meines Lebens, und ich kippte mir in der Maschine gleich einen Gin Tonic über meine einzige Hose. Frank lebte im Stadtteil Brixton – wie Marilyn in »Der Prinz und die Tänzerin«. Es gab dort eine Gay-Community in etwa zehn besetzten Häusern, die an zwei Parallelstraßen Rücken an Rücken standen, sodass Tunte im Garten unbehelligt Wäsche waschen und sich sonnen konnte. Diese Häuschen stelle man sich klassisch à la Edgar Wallace vor: dreistöckige Arbeiterhütten mit Milchflaschenaufgang rechts und Mülltonne links. Dort machte nun wirklich jeder, was er wollte: Die einen schmissen ihren Keller mit Müll voll, die anderen bauten sich finnische Saunen. Zwischen 1981 und 1983 hätte nicht viel gefehlt – und ich meine: wirklich nicht viel –, und ich wäre ganz in London geblieben.

Auf dieser ersten Reise lernte ich Terry kennen, und zwar in seiner Küche beim Backen. Eigentlich konnten wir miteinander nichts anfangen, aber wir waren unabhängig voneinander in der Situation, dass sich jeder von uns nach etwas Neuem für sein Leben umschaute. Und so haben wir in zehn Tagen Probenzeit ein zweistündiges Programm auf die Beine gestellt, das wir dann im Rahmen von schwulen Kulturwochen im »Oval Theatre« in Kensington präsentierten – eigentlich verrückt. Und die Leute klatsch, klatsch, klatsch, und das alles in Englisch. Natürlich waren auch deutsche Lieder dazwischen wie »Der Wind hat mir ein Lied erzählt«. Es war ein Riesenvergnügen. Und so sagte ich zu Terry, du musst unbedingt nach Deutschland kommen, viel Geld verdienen, gut Kasse machen. Und er ist drauf reingefallen, ist gekommen und hat natürlich keinen Pfennig verdient.

Nun war Terry in Berlin, und wir haben in einer kleinen Kneipe in der Skalitzer Straße gespielt. Die hat inzwischen längst Pleite gemacht. Ich weiß noch, dass wir eines Abends völlig happy und entrückt waren, denn wir hatten zweihundert Mark netto verdient. Wir waren aus dem Häuschen, denn das war für uns irrsinnig viel Geld. Bis uns dann der Besitzer rausschmiss: Wir hatten gerade unsere erste Kritik in der »taz« stehen, und die Leute kamen, es war ausverkauft, immerhin siebzig Menschen. Als wir dann anrollten, sagte er, es ist jetzt halb acht, um acht Uhr solltet ihr auf der Bühne stehen, das ist unprofessionell, also raus! Er hatte den Leuten schon gesagt, dass die Veranstaltung nicht stattfindet. Der war völlig irrsinnig. Er hat uns damals ruiniert, denn wenn wir weiter gespielt hätten, hätten wir genau das Geld verdient, das uns noch fehlte, um noch irgendwie zwei, drei Wochen auszukommen. Wir mussten also abbrechen. Terry fuhr zu einem Freund nach Spanien, um sich durchzuwurschteln, und ich suchte mir Arbeit in einer Klinik als Nachtwache.

Kaum wieder das erste Geld verdient und voll mit neuen Ideen, habe ich Terry geschrieben, komm unbedingt zurück, wir können gleich weitermachen, und ein Auto hab ich auch schon gekauft. Einen schlabberigen VW-Bus, der sollte im Sommer 1982 unsere einzige Habe und Herberge werden. Und Terry kam wieder, und als er kam, klappte natürlich wieder einmal nichts so, wie es geplant war. Wir probten und feierten, saßen rum, und Terry machte seine Meisterprüfung in Engelsgeduld. Und wenn wir mal gar kein Geld mehr hatten, borgte ich mir ein paar Stullen aus dem Krankenhaus.