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Charles Dickens

Große Erwartungen

Neu bearbeitete und vollständige Übersetzung

Charles Dickens

Große Erwartungen

Neu bearbeitete und vollständige Übersetzung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: G. Blache, L. Dubois
EV: Hoffmann’sche Verlags-Buchhandlung Stuttgart, 1864 (630 S.)
2. Auflage, ISBN 978-3-954187-10-2

null-papier.de/350

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Inhaltsverzeichnis

Über die­ses Buch

Über den Au­tor

1. Ka­pi­tel – Eine Ju­gend­be­kannt­schaft

2. Ka­pi­tel – Eine Fa­mi­li­en­sze­ne

3. Ka­pi­tel – Das Zu­sam­men­tref­fen

4. Ka­pi­tel – Die Wa­che kommt

5. Ka­pi­tel – Die Sträflings­jagd

6. Ka­pi­tel – Eine böse Nacht

7. Ka­pi­tel – Ver­trau­li­che Abend­un­ter­hal­tun­gen

8. Ka­pi­tel – Ein Schritt vor­wärts im Le­ben

9. Ka­pi­tel – Reui­ge Be­kennt­nis­se

10. Ka­pi­tel – Der selt­sa­me Frem­de

11. Ka­pi­tel – Der Zwei­kampf

12. Ka­pi­tel – Pips Be­sorg­nis­se und Hoff­nun­gen

13. Ka­pi­tel – Pip kommt in die Leh­re

14. Ka­pi­tel – Pips Lehr­jah­re

15. Ka­pi­tel – Ge­gen­sei­ti­ger Un­ter­richt

16. Ka­pi­tel – Der Mor­d­an­fall

17. Ka­pi­tel – Ein Sonn­tags­spa­zier­gang

18. Ka­pi­tel – Der An­fang von Pips Er­war­tun­gen

19. Ka­pi­tel – Der Ab­schied von Hau­se

20. Ka­pi­tel – Mr. Jag­gers in sei­nem Glan­ze

21. Ka­pi­tel – Ein al­ter Be­kann­ter

22. Ka­pi­tel – Miss Ha­vis­hams Ge­schich­te

23. Ka­pi­tel – Er­zie­hungs­re­sul­ta­te

24. Ka­pi­tel – Mr. Jag­gers Se­hens­wür­dig­kei­ten

25. Ka­pi­tel – Pips neue Um­ge­bung

26. Ka­pi­tel – Mr. Jag­gers in sei­ner Häus­lich­keit

27. Ka­pi­tel – Ein Be­such aus der Hei­mat

28. Ka­pi­tel – Neue Rät­sel

29. Ka­pi­tel – Pip in Lie­bes­pein

30. Ka­pi­tel – Dop­pel­te Beich­te

31. Ka­pi­tel – Ein Büh­nen­künst­ler

32. Ka­pi­tel – Ein Be­such in Wem­micks Ge­wächs­haus

33. Ka­pi­tel – Pip als Rei­se­be­glei­ter

34. Ka­pi­tel – Pip ord­net sei­ne An­ge­le­gen­hei­ten

35. Ka­pi­tel – Ein Grab

36. Ka­pi­tel – Pip wird mün­dig

37. Ka­pi­tel – Ein Be­such in Wem­micks Schloss

38. Ka­pi­tel – Her­zens­ver­hält­nis­se

39. Ka­pi­tel – Die Ent­de­ckung

40. Ka­pi­tel – Ein Sträfling als Gast

41. Ka­pi­tel – Dunkle Zu­kunft

42. Ka­pi­tel – Des Sträflings Le­bens­ge­schich­te

43. Ka­pi­tel – Qua­len der Ei­fer­sucht

44. Ka­pi­tel – Das Be­kennt­nis

45. Ka­pi­tel – Wem­mick gibt gu­ten Rat

46. Ka­pi­tel – Ein Be­such bei Her­berts Braut

47. Ka­pi­tel – Ein Spi­on

48. Ka­pi­tel – Neue Rät­sel

49. Ka­pi­tel – Der Ab­schied

50. Ka­pi­tel – Die Ent­de­ckung

51. Ka­pi­tel – Mr. Jag­gers in ei­nem neu­en Licht

52. Ka­pi­tel – Der ge­heim­nis­vol­le Brief

53. Ka­pi­tel – In To­des­ge­fahr

54. Ka­pi­tel – Flucht und Ent­de­ckung

55. Ka­pi­tel – Eine un­ver­mu­te­te Trau­ung

56. Ka­pi­tel – Die Ver­ur­tei­lung

57. Ka­pi­tel – Das Kran­ken­la­ger

58. Ka­pi­tel – Die Heim­kehr

59. Ka­pi­tel – Das Wie­der­se­hen

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Über dieses Buch

Gro­ße Er­war­tun­gen (Gre­at Ex­pec­ta­ti­ons) ist der drei­zehn­te Ro­man von Charles Di­ckens.

Der sie­ben­jäh­ri­ge Wai­sen­jun­ge Phi­lip Pir­rip, ge­nannt Pip hilft ei­nem ent­flo­he­nen Sträf­ling bei der Flucht. Jah­re spä­ter - nun ein jun­ger Mann - erbt er von ei­nem un­be­kann­ten Wohl­tä­ter eine große Sum­me Geld. Dank die­ser soll er eine vor­neh­me Er­zie­hung zum Gent­le­man ge­nie­ßen. In Lon­don aber ver­schwen­det Pip sein Geld, bricht mit den ein­fa­chen Ver­wand­ten und führt das Le­ben ei­nes Dan­dys; bis zu dem Tag als der Häft­ling, dem er einst half, wie­der über­ra­schend in sein Le­ben tritt.

Die­ser Ro­man wird heu­te zu den Klas­si­kern der bri­ti­schen Li­te­ra­tur­ge­schich­te ge­rech­net und zählt zu den ge­lun­gens­ten Wer­ken von Di­ckens.

Neu über­ar­bei­te­te Fas­sung der deut­schen Er­st­über­set­zung.

Über den Autor

Charles John Huf­fam Di­ckens (als Pseud­onym auch Boz; geb. 7. Fe­bru­ar 1812 in Land­port bei Ports­mouth, Eng­land; gest. 9. Juni 1870 auf Ga­d’s Hill Place bei Ro­che­s­ter, Eng­land) ist ein eng­li­scher Schrift­stel­ler und Jour­na­list.

Er gilt als ei­ner der her­aus­ra­gends­ten Au­to­ren sei­ner Zeit und als ei­ner der Ers­ten, die in rea­lis­ti­schen Schil­de­run­gen das Leid ei­ner un­ter­pri­vi­le­gier­ten Be­völ­ke­rung auf­zeich­ne­ten.

Zu sei­nen be­kann­tes­ten Wer­ken ge­hö­ren »Oli­ver Twist«, »Da­vid Cop­per­field«, »Eine Ge­schich­te aus zwei Städ­ten«, »Gro­ße Er­war­tun­gen« so­wie »Eine Weih­nachts­ge­schich­te«. Di­ckens ver­wen­det einen blu­mi­gen und poe­ti­schen Stil, der vie­le hu­mo­ris­ti­sche Ele­men­te be­sitzt. Be­son­ders sei­ne Sei­ten­hie­be auf die Bri­ti­sche Ari­sto­kra­tie sind weit ver­brei­tet und be­liebt.

Di­ckens ist das Zwei­te von acht Kin­dern von John Di­ckens (1786–1851), ei­nem mit­tel­lo­sen Ma­ri­ne­schrei­ber. 1823 kann der Va­ter die hung­ri­ge Fa­mi­lie nicht mehr er­näh­ren und kommt ins Schuld­ge­fäng­nis von Lon­don. Eine Tra­gö­die, die den Jun­gen Charles Di­ckens fürs Le­ben prägt – nicht um­sonst kri­ti­siert er in sei­nen Schrif­ten den un­ge­rech­ten Um­gang mit schuld­los Ver­schul­de­ten. Charles muss schon mit 12 Jah­ren als La­ger- und Fa­brik­ar­bei­ter sei­ne Fa­mi­lie un­ter­stüt­zen; auch die­se Er­fah­rung fließt in sein Werk um »Da­vid Cop­per­field« ein.

Als sein Va­ter 1824 aus dem Ge­fäng­nis ent­las­sen wird, geht Charles bis 1826 zu­rück in die Schu­le und wird 1827 als Schrei­ber bei ei­nem Rechts­an­walt an­ge­stellt. Er ar­bei­tet sich bis zum Par­la­ment­ss­te­no­gra­fen hoch (1929).

1836 hei­ra­tet Di­ckens Ca­the­ri­ne Ho­garth (1816–1879), von der er sich 1858 trennt. Das Ehe­paar hat zehn Kin­der.

Ab 1831 ver­dient Di­ckens sei­nen Le­bens­un­ter­halt als Jour­na­list für ver­schie­de­ne Zei­tun­gen. 1836–37 er­schei­nen in mo­nat­li­chen Hef­ten die »Pick­wick Pa­pers«, durch die Di­ckens rasch Be­kannt­heit als Schrift­stel­ler er­langt. Eben­so sei­ne fol­gen­den Ro­ma­ne ent­ste­hen als Fort­set­zungs­ge­schich­ten in Zei­tun­gen. Oft schreibt er an meh­re­ren gleich­zei­tig.

Aber Di­ckens will nicht nur li­te­ra­ri­schen Er­folg, son­dern auch auf ge­sell­schaft­li­che Miss­stän­de hin­wei­sen und den Weg für so­zia­le Re­for­men eb­nen. 1838 er­scheint »Oli­ver Twist« und Di­ckens wird Her­aus­ge­ber der li­be­ra­len Ta­ges­zei­tung »Dai­ly News«.

Auf ei­ner er­folg­rei­chen Le­se­rei­se in die Ve­rei­nig­ten Staa­ten bringt Di­ckens, der un­ter nicht au­to­ri­sier­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen auf dem ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent lei­det, die Idee ei­nes welt­wei­ten Ur­he­ber­rech­tes auf, aber ern­tet da­für kei­ne Un­ter­stüt­zung.

1843 ver­öf­fent­licht Di­ckens sei­ne be­kann­te »Weih­nachts­ge­schich­te«, in der er eine fan­tas­ti­sche Hand­lung mit der mo­ra­li­schen Idee von So­li­da­ri­tät und Nächs­ten­lie­be ver­knüpft.

1856 er­lau­ben ihm sei­ne Ein­künf­te, den Land­sitz Ga­d’s Hill Place in Ro­che­s­ter zu er­wer­ben. Am 9. Juni 1865 über­lebt Di­ckens den schwe­ren Ei­sen­bah­n­un­fall von Staple­hurst. Die­sen über­steht er kör­per­lich un­ver­sehrt, wird aber zeit­le­bens an den Erin­ne­run­gen lei­den.

1869 macht er eine letz­te Le­se­rei­se durch Groß­bri­tan­ni­en, auf der er wäh­rend ei­ner Le­sung einen Schlag­an­fall er­lei­det. Am 9. Juni 1870 stirbt Charles Di­ckens auf sei­nem Land­sitz an ei­nem zwei­ten Schlag­an­fall. Er wird am 14. Juni in der West­mins­ter Ab­bey bei­ge­setzt.

Di­ckens ist ei­ner der meist­ge­le­se­nen Schrift­stel­ler der eng­li­schen Li­te­ra­tur. Der als Kind Mit­tel­lo­se hin­ter­lässt bei sei­nem Tode ein statt­li­ches Ver­mö­gen.

Charles Di­ckens bei Null Pa­pier:

www.null-papier.de/dickens

1. Kapitel – Eine Jugendbekanntschaft

Der Fa­mi­li­enna­me mei­nes Va­ters war Pir­rip, und mein ei­ge­ner Vor­na­me Phi­lip, eine Zu­sam­men­stel­lung, de­ren Auss­pra­che mei­ner Kin­der­zun­ge so schwer wur­de, dass sie dar­aus nur Pip mach­te. So kam es, dass ich mich selbst Pip nann­te und Pip ge­nannt wur­de.

Ich gebe Pir­rip als den Fa­mi­li­enna­men mei­nes Va­ters auf das Zeug­nis sei­nes Grab­steins und mei­ner Schwes­ter, Mrs. Joe Gar­gey, wel­che den Grob­schmied hei­ra­te­te. Da ich nie mei­nen Va­ter und mei­ne Mut­ter, und eben­so we­nig ein Por­trät von ih­nen ge­se­hen hat­te, denn die Zeit, von der ich rede, liegt lan­ge vor der Er­fin­dung der Fo­to­gra­phie, so ent­nahm ich mei­ne Vor­stel­lun­gen von ih­nen tö­rich­ter Wei­se von ih­ren Grab­stei­nen. Die Form der Buch­sta­ben auf dem mei­nes Va­ters brach­te mich auf die Idee, dass er ein un­ter­setz­ter Mann mit ge­bräun­tem Ge­sicht und krau­sem, schwar­zem Haar ge­we­sen sei, und aus der In­schrift: »Auch Ge­or­gia­na, des Oben­ge­nann­ten Gat­tin«, zog ich den Schluss, dass mei­ne Mut­ter eine blei­che Ge­sichts­far­be und Som­mer­spros­sen ge­habt habe. Die fünf klei­nen Stein­plat­ten end­lich, von un­ge­fähr an­dert­halb Fuß Län­ge und dem An­den­ken mei­ner fünf Brü­der­chen ge­weiht, – wel­che schon sehr frü­he den Kampf um die Exis­tenz auf­ge­ge­ben hat­ten, – lei­te­ten mich zu dem fes­ten Glau­ben hin, dass sie sämt­lich auf dem Rücken lie­gend und mit den Hän­den in ih­ren Ho­sen­ta­schen ge­bo­ren wor­den sei­en, und Letz­te­re wäh­rend der Dau­er ih­rer ir­di­schen Exis­tenz nie her­aus­ge­zo­gen hät­ten.

Wir wohn­ten im Moor­lan­de, am Fluss und un­ge­fähr zwan­zig Mei­len von der See ent­fernt. Die ers­ten tiefe­ren Ein­drücke von der Wirk­lich­keit der Din­ge emp­fing ich, so­viel ich mich er­in­ne­re, an ei­nem mir un­ver­ge­ss­li­chen, rau­en Tage. Da­mals, es war am Nach­mit­tage, ge­gen Abend, mach­te ich die Ent­de­ckung, dass der öde, mit Un­kraut über­wach­se­ne Platz der Kirch­hof war, dass wei­land Phi­lip Pir­rip, ehe­mals ein Mit­glied die­ser Ge­mein­de, und des­sen Ehe­frau Ge­or­gia­na tot und be­gra­ben wa­ren, dass Alex­an­der, Bar­tho­lo­mä­us, Abra­ham, To­bi­as und Ro­ger, de­ren Kin­der, gleich­falls tot und be­gra­ben wa­ren, dass die düs­te­re, fla­che Wild­nis, jen­seits des Kirch­hofs, von Grä­ben, Däm­men und Schleu­sen durch­schnit­ten und von zer­streu­ten Vieh­her­den be­deckt, das Moor­land war, dass die da­hin­ter lie­gen­de, tiefe­re blei­graue Li­nie der Fluss war, dass die wei­te, wüs­te Ebe­ne in der Fer­ne, aus der der Wind her­über saus­te, das Meer, und dass das zit­tern­de klei­ne We­sen, wel­ches sich vor al­len die­sen Um­ge­bun­gen zu fürch­ten und zu wei­nen be­gann, Pip war.

»Ru­hig!«, schrie eine furcht­ba­re Stim­me, wäh­rend ein Mann zwi­schen den Grä­bern ne­ben der Kir­chen­pfor­te em­por­sprang. »Ru­hig, du klei­ner Sa­tan, oder ich schnei­de dir den Hals ab!«

Es war ein schreck­li­cher Mann, in gro­ber, grau­er Klei­dung, mit ei­nem schwe­ren Ei­sen am Fuße, ohne Kopf­be­de­ckung, mit zer­ris­se­nen Schu­hen und ei­nem al­ten Lum­pen, den er um den Kopf ge­wi­ckelt trug, ein Mann, der vom Was­ser durch­nässt zu sein schi­en, von Schlamm be­deckt, von schar­fen Stei­nen ge­lähmt und ver­wun­det, von Nes­seln ge­sto­chen und von Dor­nen zer­ris­sen, wel­cher hin­k­te und zit­ter­te, mich an­s­tier­te und brumm­te, und des­sen Zäh­ne klap­per­ten, wäh­rend er mich am Kinn pack­te.

»Oh, schnei­den Sie mir nicht die Keh­le ab!«, fleh­te ich er­schreckt. »Bit­te tun Sie es nicht!«

»Wie ist dein Name?«, sag­te der Mann. »Schnell!«

»Pip ist mein Name.«

»Noch ein­mal!« wie­der­hol­te er, mich starr an­bli­ckend.

»Sprich!«

»Pip – Pip ist mein Name.«

»Zei­ge mir, wo du wohnst«, fuhr er fort. »Zei­ge mir den Ort!«

Ich deu­te­te auf die Ge­gend, wo un­ser Dorf, un­ge­fähr eine Mei­le ent­fernt, un­ter Er­len und ge­köpf­ten Wei­den am Ufer lag.

Nach­dem er mich einen Au­gen­blick be­trach­tet hat­te, stell­te er mich auf den Kopf und leer­te mei­ne Ta­schen aus. Es be­fand sich nur ein Stück Brot dar­in. Als die Kir­che wie­der gra­de vor mir stand, – denn so schnell und kräf­tig wa­ren sei­ne Be­we­gun­gen, dass er sie förm­lich vor mei­nen Au­gen hat­te tan­zen las­sen, und dass ich die Turm­spit­ze un­ter mei­nen Bei­nen zu se­hen ge­glaubt, – als die Kir­che, wie ge­sagt, wie­der gra­de vor mir stand, saß ich zit­ternd auf ei­nem ho­hen Grab­stein, wäh­rend er gie­rig das Brot ver­schlang.

»Du jun­ger Hund«, sag­te der Mann dar­auf, mit den Lip­pen schmat­zend, »was für fet­te Ba­cken du hast!«

Mei­ne Ba­cken moch­ten wohl fett sein, ob­gleich ich klein für mein Al­ter und kei­nes­wegs kräf­tig war.

»Der Hen­ker soll mich ho­len«, fuhr er dro­hend und mit dem Kop­fe schüt­telnd fort, »wenn ich sie nicht es­sen könn­te, und wenn ich nicht bei­na­he Lust dazu hät­te!«

Ich fleh­te ihn an, es nicht zu tun, und hielt mich fes­ter an dem Grab­stein, um nicht her­un­ter­zu­fal­len und um nicht zu wei­nen.

»Jetzt höre mich an!«, sag­te er. »Wo ist dei­ne Mut­ter?«

»Dort!«, er­wi­der­te ich.

Er sprang auf, lief ei­ni­ge Schrit­te, blieb ste­hen und blick­te nach mir zu­rück.

»Dort«, er­klär­te ich furcht­sam, »wo: Auch Ge­or­gia­na auf dem Grab­stei­ne steht, – das ist mei­ne Mut­ter.«

»So?«, sag­te er zu­rück­kom­mend, »und ist das dein Va­ter, der ne­ben dei­ner Mut­ter liegt?«

»Ja«, er­wi­der­te ich; »er ge­hör­te zu die­sem Kirch­spiel.«

»Hin«, mur­mel­te er sin­nend, – »bei wem wohnst du denn, – vor­aus­ge­setzt, dass ich so gnä­dig wäre, dich le­ben zu las­sen, was noch kei­nes­wegs aus­ge­macht ist?«

»Bei mei­ner Schwes­ter, Mrs. Gar­ge­ry, der Frau von Joe Gar­ge­ry, dem Huf­schmied.«

»Dem Huf­schmied – so?«, sag­te er und blick­te auf sein Fuß­ei­sen nie­der.

Nach­dem er län­ge­re Zeit ab­wech­selnd mich und sein Bein be­trach­tet hat­te, trat er nä­her an mei­nen Grab­stein, fass­te mich bei bei­den Ar­men und drück­te mich so weit wie mög­lich hin­ten über, wäh­rend sei­ne Au­gen furcht­bar in die mei­ni­gen schau­ten, und mei­ne sehr hilf­los in die sei­ni­gen.

»Horch«, sag­te er, »die Fra­ge ist, ob ich dich le­ben las­sen soll. Du weißt doch, was eine Fei­le ist!«

»Ja.«

»Und du weißt auch, was Le­bens­mit­tel sind?«

»Ja.«

Bei je­der Fra­ge drück­te er mich noch et­was wei­ter zu­rück, um mich mei­ne Hilf­lo­sig­keit und Ge­fahr um so deut­li­cher emp­fin­den zu las­sen.

»Du bringst mir eine Fei­le«, fuhr er fort, mich auf die an­ge­ge­be­ne Wei­se zu­rück drückend, »und bringst mir Le­bens­mit­tel! – Bei­des bringst du mir, oder ich rei­ße dir Herz und Le­ber aus!«

Ich beb­te vor Furcht und war so schwin­de­lig, dass ich mich mit bei­den Hän­den an ihm fest­hielt, in­dem ich fle­hend sag­te:

»Ach, wenn Sie so gut sein woll­ten, mich auf­recht sit­zen zu las­sen, wür­de mir nicht so übel wer­den, und ich könn­te bes­ser hö­ren, was Sie sa­gen.«

Noch einen furcht­ba­ren Stoß gab er mir, so­dass ich glaub­te, die Kir­che sprän­ge über ih­ren ei­ge­nen Wet­ter­hahn, dann hielt er mich mit bei­den Ar­men auf­recht und fuhr in den fol­gen­den schreck­li­chen Aus­drücken fort:

»Mor­gen früh, recht zei­tig, bringst du mir eine Fei­le und Le­bens­mit­tel. Bei­des bringst du mir nach je­nem al­ten Wall dort. Du tust es, und wagst nicht, ir­gend­ei­nem Men­schen durch Wort oder Zei­chen zu ver­ra­ten, dass du eine Per­son, wie mich, oder sonst je­man­den ge­se­hen hast, – dann will ich dich le­ben las­sen. Tust du es aber nicht, oder weichst du nur im Ge­rings­ten von mei­nen Wor­ten ab, so sol­len dir das Herz und die Le­ber aus­ge­ris­sen, ge­bra­ten und ge­ges­sen wer­den. Glau­be nicht, dass ich al­lein bin. Ein Hel­fers­hel­fer hält sich bei mir ver­bor­gen, in Ver­gleich mit wel­chem ich ein En­gel bin. Der Hel­fers­hel­fer hört, was ich sage; der Hel­fers­hel­fer hat eine ei­ge­ne Art und Wei­se, ei­nem Bu­ben bei­zu­kom­men, sei­nem Her­zen und sei­ner Le­ber. Ver­geb­lich ist es für einen Bu­ben, sich vor ihm ver­ber­gen zu wol­len. Er mag die Tür ver­schlie­ßen, mag im war­men Bett lie­gen, sich noch so fest ein­hül­len, die De­cke über den Kopf zie­hen und sich si­cher glau­ben, – der Hel­fers­hel­fer wird lei­se, ganz lei­se zu ihm her­an­krie­chen und ihm den Leib auf­rei­ßen. Nur mit Mühe kann ich in die­sem Au­gen­bli­cke den Hel­fers­hel­fer ver­hin­dern, dir ein Leid zu tun, nur mit großer Mühe; es wird mir sehr schwer, ihn von dei­nen Ein­ge­wei­den zu­rück­zu­hal­ten. Nun, was sagst du?«

Ich sag­te, dass ich ihm die Fei­le und was ich an Le­bens­mit­teln fin­den könn­te, früh am nächs­ten Mor­gen nach dem al­ten Wall brin­gen wol­le.

»Sage, ›der Herr zer­schmet­te­re mich, wenn ich es nicht tue‹!«, be­fahl er.

Ich sag­te es, und er ließ mich her­ab.

»Jetzt«, fuhr er fort, »ver­giss nicht, was du über­nom­men hast, und den­ke an den Hel­fers­hel­fer und lau­fe nach Hau­se!«

»Gute Nacht!«, stot­ter­te ich.

»Ja, viel Aus­sicht dazu!« ver­setz­te er, über die nas­se, kal­te Ebe­ne bli­ckend. »Ich woll­te, ich wäre ein Frosch oder ein Aal!«

Da­bei schlang er sei­ne Arme um sich, als wenn er sei­nen zit­tern­den Kör­per zu­sam­men­hal­ten woll­te, und hin­k­te der nied­ri­gen Kirch­hof­mau­er zu.

Wäh­rend er sei­nen Weg durch die Nes­seln und Dorn­bü­sche such­te, wel­che die grü­nen Hü­gel be­deck­ten, schi­en es mei­nen jun­gen Au­gen, als sei er ängst­lich be­müht, den Hän­den der To­ten aus­zu­wei­chen, die sich vor­sich­tig aus den Grä­bern her­vor­streck­ten, um ihn zu fas­sen und hin­ab­zu­zie­hen.

Als er die nied­ri­ge Kir­chen­mau­er er­reich­te, stieg er hin­über wie ein Mann, des­sen Bei­ne steif und er­starrt sind, und wand­te sich dann um und blick­te mir nach. Als ich die­se Be­we­gung sah, dreh­te ich mein Ge­sicht der Ge­gend un­se­res Hau­ses zu und lief da­von, so schnell ich konn­te. Nach ei­ni­ger Zeit blick­te ich je­doch noch ein­mal zu­rück und sah ihn mit ver­schlun­ge­nen Ar­men an das Ufer des Flus­ses ge­hen, in­dem er mit sei­nen wun­den Fü­ßen einen Weg durch die großen Stei­ne such­te, wel­che zer­streut auf das Moor­land hin­ge­wor­fen wor­den wa­ren, um bei hef­ti­gen Re­gen­güs­sen, oder zur Zeit der Flut, als Schritt­stei­ne zu die­nen.

Das Moor­land bil­de­te, als ich still­stand und ihm nachsah, nichts als eine lan­ge, schwar­ze ho­ri­zon­ta­le Li­nie; der Fluss eine eben sol­che ho­ri­zon­ta­le Li­nie, nur bei Wei­tem nicht so breit und so schwarz, – und am Him­mel lag eine Rei­he dun­kel­ro­ter Strei­fen, in die sich ra­ben­schwar­ze misch­ten. Am Ufer des Flus­ses konn­te ich noch schwach die ein­zi­gen bei­den Ge­gen­stän­de er­ken­nen, wel­che in der gan­zen vor mir lie­gen­den Ge­gend auf­recht zu ste­hen schie­nen. Der eine war eine Bake,1 wel­che den See­leu­ten als Zei­chen diente und wie eine Ton­ne ohne Rei­fen, auf eine Stan­ge ge­steckt, aus­sah, ein häss­li­ches Ding, wenn man es in der Nähe be­trach­te­te; der an­de­re war ein Gal­gen mit meh­re­ren dar­an be­fes­tig­ten Ket­ten, in de­nen vor ei­ni­ger Zeit ein See­räu­ber ge­han­gen hat­te. Der Mann hin­k­te dem Gal­gen zu, als wenn er der See­räu­ber ge­we­sen, der, wie­der le­ben­dig ge­wor­den, vom Gal­gen her­ab ge­stie­gen wäre und jetzt zu­rück­kehr­te, um sich wie­der auf­zu­hän­gen. Ein kal­ter Schau­der über­lief mich bei die­sem Ge­dan­ken, und ich wun­der­te mich im Stil­len, als ich das Vieh die Köp­fe auf­rich­ten und ihm nach­bli­cken sah, dass es viel­leicht den­sel­ben Ge­dan­ken hege. Über­all sah ich mich nach dem schreck­li­chen Hel­fers­hel­fer um, und konn­te doch kei­ne Spur von ihm ent­de­cken. Aber von neu­em Grau­en er­grif­fen, rann­te ich da­von und eil­te, ohne mich auf­zu­hal­ten, nach Hau­se.


  1. Si­gnal­zei­chen  <<<

2. Kapitel – Eine Familienszene

Mei­ne Schwes­ter, Mrs. Joe Gar­ge­ry, war mehr denn zwan­zig Jah­re äl­ter als ich und ge­noss bei sich selbst und den Nach­barn ei­nes großen Ru­fes, weil sie mich »mit der Hand« auf­ge­zo­gen hat­te. Da ich da­mals die Er­klä­rung die­ses Aus­drucks selbst zu fin­den hat­te und wuss­te, dass ihre Hand ziem­lich hart und schwer war, und dass sie die­sel­be häu­fig so­wohl auf ih­ren Gat­ten wie auf mich leg­te, so kam ich zu dem Schlus­se, dass wir bei­de, Joe Gar­ge­ry und ich, mit der Hand auf­ge­zo­gen wor­den sei­en.

Mei­ne Schwes­ter war kei­ne schö­ne Frau, und ich konn­te mich nie des Ge­dan­kens er­weh­ren, dass sie auch ih­ren Gat­ten »mit der Hand« ver­mocht habe, sie zu hei­ra­ten. Joe da­ge­gen war ein hüb­scher Mann, mit flachs­gel­ben Lo­cken auf bei­den Sei­ten sei­nes glat­ten Ge­sich­tes und mit Au­gen von so zwei­fel­haf­tem Blau, dass es fast schi­en, als wenn das Weiß der­sel­ben sich dar­in ge­mischt habe. Er war ein sanf­ter, gut­her­zi­ger, sorg­lo­ser, när­ri­scher Mensch, – eine Art von Her­ku­les, an Stär­ke so­wohl, wie an Schwä­che.

Mei­ne Schwes­ter, Mrs. Joe, mit schwar­zen Haa­ren und Au­gen, hat­te eine so ent­schie­den rote Haut, dass ich oft bei mir dach­te, sie be­die­ne sich zur Rei­ni­gung der­sel­ben ei­nes Reib­ei­sens statt der Sei­fe. Sie war groß und kno­chig ge­baut und trug fast im­mer eine große Schür­ze mit ei­nem vier­e­cki­gen, un­durch­dring­li­chen Brust­latz, auf dem zahl­rei­che Steck­na­deln und Nähna­deln steck­ten. Sie mach­te es sich selbst zum großen Ver­dienst und ih­rem Gat­ten zum schwe­ren Vor­wurf, dass sie im­mer­wäh­rend die­se Schür­ze trug, ob­gleich ich ei­gent­lich kei­nen Grund fin­den konn­te, wes­halb sie die­sel­be über­haupt trug, oder wes­halb sie die Schür­ze, wenn sie die­sel­be über­haupt tra­gen muss­te, nicht je­den Tag ab­le­gen konn­te.

Joes Schmie­de stieß an un­ser Haus, wel­ches, wie da­mals die meis­ten in un­se­rer Ge­gend, von Holz er­baut war. Als ich vom Kirch­ho­fe nach Hau­se ge­rannt kam, war die Schmie­de ver­schlos­sen, und Joe saß al­lein in der Kü­che. Da wir bei­de Lei­dens­ge­fähr­ten wa­ren und als sol­che Ver­trau­en zu­ein­an­der hat­ten, mach­te er mir eine ver­trau­li­che Mit­tei­lung, so­bald ich die Tür öff­ne­te und nach der Ka­mi­ne­cke blick­te, wo er der Tür ge­gen­über­saß.

»Mrs. Joe ist min­des­tens zwölf­mal hin­aus­ge­gan­gen, um dich zu su­chen, und jetzt noch ein­mal, wo­durch sie das Bäcker­dut­zend voll macht.«

»So?« ver­setz­te ich.

»Ja, Pip«, fuhr er fort, »und was das Schlimms­te ist, sie hat den Trös­ter mit­ge­nom­men.«

Bei die­ser be­trü­ben­den Nach­richt dreh­te ich den Knopf an mei­ner Wes­te um und um und blick­te sehr nie­der­ge­schla­gen in das Feu­er. Der so­ge­nann­te Trös­ter war ein lan­ges Rohr, wel­ches durch die häu­fi­ge Berüh­rung mit mei­nem Kör­per schon ganz blank und glatt ge­wor­den war.

»Sie setz­te sich«, sag­te Joe, »und stand wie­der auf, und griff nach dem Trös­ter und pol­ter­te hin­aus. Ja, ja, das tat sie«, ver­si­cher­te Joe, wäh­rend er durch die un­te­ren Ei­sen­stä­be des Ros­tes das Feu­er auf­stör­te und starr hin­ein blick­te, – »sie pol­ter­te hin­aus.«

»Ist sie schon lan­ge fort, Joe?«, frag­te ich, denn ich be­han­del­te ihn im­mer nur wie ein grö­ße­res Kind und wie mei­nes­glei­chen.

»Je nun«, ant­wor­te­te Joe, nach der Wand­uhr bli­ckend, »zum letz­ten Male ist sie vor un­ge­fähr fünf Mi­nu­ten hin­aus­ge­pol­tert. Aber sie kommt, Pip! Ste­cke dich hin­ter die Tür, al­ter Jun­ge, und hal­te dir das Hand­tuch vor.«

Ich folg­te sei­nem Rate. Mei­ne Schwes­ter warf die Tür weit auf, und da sie ein Hin­der­nis fand, des­sen Ur­sa­che sie so­gleich er­riet, be­dien­te sie sich des Trös­ters zur bes­se­ren Un­ter­su­chung des­sel­ben. Sie en­de­te da­mit, dass sie mich – ich diente ihr häu­fig als ehe­li­ches Wurf­ge­schoss – ih­rem Ehe­man­ne zu­warf, wel­cher, froh, mei­ner auf ir­gend­ei­ne Wei­se hab­haft zu wer­den, mich in die Ka­mi­ne­cke schob und sein großes Bein als Schutz­mau­er vor­stell­te.

»Wo bist du ge­we­sen, du jun­ges Af­fen­ge­sicht?«, frag­te Mrs. Joe, mit dem Fuße stamp­fend. »Gleich sage mir, was du ge­tan hast, um mich wie­der so zu är­gern und zu ängs­ti­gen, oder ich will dich schon aus der Ecke her­vor ho­len, und wenn fünf­zig Pips da wä­ren und fünf­hun­dert Gar­ge­rys.«

»Ich bin nur auf dem Kirch­ho­fe ge­we­sen«, er­wi­der­te ich aus mei­nem Win­kel wei­nend und mich ängst­lich rei­bend.

»Auf dem Kirch­hof?« wie­der­hol­te mei­ne Schwes­ter. »Ohne mich wä­rest du schon längst auf dem Kirch­ho­fe und für im­mer dort ge­blie­ben. Wer hat dich auf­ge­zo­gen mit der Hand?«

»Du hast es ge­tan«, ver­setz­te ich.

»Und wes­halb habe ich es ge­tan? Das möch­te ich wis­sen!«

»Ich weiß es nicht«, wim­mer­te ich.

»Ja, ich auch nicht!«, sag­te mei­ne Schwes­ter. »Zum zwei­ten Male wür­de ich es ge­wiss nicht tun. Ich kann in Wahr­heit sa­gen, dass ich nie die­se Schür­ze ab­ge­legt habe, seit­dem du ge­bo­ren wor­den bist. Es ist schon schlimm ge­nug, eine Schmieds­frau zu sein (mit ei­nem sol­chen Gar­ge­ry als Mann), ohne auch noch dei­ne Mut­ter sein zu müs­sen.«

Mei­ne Ge­dan­ken streif­ten von die­sem Ge­gen­stan­de ab, wäh­rend ich trau­rig in das Feu­er blick­te; denn aus der Glut der Koh­len stieg das Bild des Flücht­lings, mit dem Ei­sen am Fuße, vor mir auf, der ge­heim­nis­vol­le Hel­fers­hel­fer, und der Ge­dan­ke an die Fei­le, die Le­bens­mit­tel und das schreck­li­che Ge­lüb­de, wel­ches ich ge­leis­tet hat­te, in die­sen schüt­zen­den Mau­ern einen Dieb­stahl zu be­ge­hen.

»Ja!«, sag­te Mrs. Joe, den Trös­ter wie­der an sei­nen Ort stel­lend, – »ja, ihr mögt bei­de wohl vom Kirch­hof spre­chen!« (Ei­ner von uns hat­te, bei­läu­fig be­merkt, gar nicht da­von ge­spro­chen.) »Ihr wer­det mich noch da­hin brin­gen, ihr bei­de, und ein her– r – li­ches Paar wer­det ihr ohne mich ab­ge­ben!«

Da sie sich hier­auf mit dem Tee­ge­schirr be­schäf­tig­te, blick­te Joe über sein Bein auf mich her­ab, als wenn er dar­über nach­däch­te, was für ein Paar wir un­ter den pro­phe­zei­ten trau­ri­gen Um­stän­den vor­stel­len wür­den. Dann strich er über sei­nen Bart und die blon­den Lo­cken sei­ner rech­ten Sei­te und folg­te al­len Be­we­gun­gen mei­ner Schwes­ter mit sei­nen blau­en Au­gen, wie es in stür­mi­schen Mo­men­ten im­mer sei­ne Ge­wohn­heit war.

Mrs. Joe hat­te eine ei­gen­tüm­li­che Art und Wei­se, das But­ter­brot für uns zu schnei­den, von der sie nie ab­ging. Zu­erst drück­te sie den Laib mit der lin­ken Hand fest ge­gen ih­ren Brust­latz, wo sich zu­wei­len eine Steck­na­del oder auch eine Nähna­del hin­ein­schob, die wir nach­her in den Mund be­ka­men; dann nahm sie mit dem Mes­ser et­was But­ter, – nicht zu viel, – und strich sie über das Brot, un­ge­fähr so wie ein Apo­the­ker ein Pflas­ter zu strei­chen pflegt, wo­bei sie sich bei­der Flä­chen des Mes­sers mit ei­ner be­son­de­ren Ge­wandt­heit be­dien­te und die But­ter von der Rin­de des Bro­tes sorg­sam ab­nahm. End­lich strich sie das Mes­ser noch ein­mal fest auf dem Ran­de des Pflas­ters ab und säg­te eine di­cke Schei­be von dem Lai­be her­un­ter, wel­che sie, ehe die­sel­be vom Brot ganz ge­trennt wur­de, in zwei Hälf­ten teil­te, de­ren eine Joe er­hielt, und ich die an­de­re.

Ob­gleich hung­rig, hat­te ich bei die­ser Ge­le­gen­heit doch nicht den Mut, mei­ne Schei­be zu es­sen. Ich wuss­te, dass ich für mei­nen schreck­li­chen Be­kann­ten und den noch schreck­li­che­ren Hel­fers­hel­fer et­was auf­be­wah­ren muss­te; denn ich kann­te zu wohl die spar­sa­me Haus­hal­tung mei­ner Schwes­ter und durf­te er­war­ten, bei mei­nen die­bi­schen Nach­for­schun­gen nichts Brauch­ba­res in der Spei­se­kam­mer zu fin­den. Aus die­sem Grun­de be­schloss ich, mein But­ter­brot in mei­ne Bein­klei­der zu schie­ben.

Die Aus­füh­rung die­ses Vor­ha­bens er­for­der­te je­doch eine fast über­wäl­ti­gen­de An­stren­gung. Mir war, als hät­te ich mich zu ent­schlie­ßen, einen Sprung von der Dach­spit­ze ei­nes ho­hen Hau­ses zu tun, oder mich in ein tie­fes Was­ser zu stür­zen. Dazu kam noch, dass Joe mir die Aus­füh­rung un­be­wus­s­ter­wei­se er­schwer­te. In un­se­rem be­reits ge­schil­der­ten trau­li­chen Ver­kehr als Lei­dens­ge­fähr­ten war es abends un­se­re Ge­wohn­heit, die Art und Wei­se zu ver­glei­chen, in der wir un­ser But­ter­brot ver­zehr­ten, in­dem wir es von Zeit zu Zeit zu ge­gen­sei­ti­ger Be­wun­de­rung em­por­hiel­ten, was uns zu neu­en An­stren­gun­gen er­mun­ter­te. Auch an die­sem Abend lud mich Joe meh­re­re Male zu dem ge­wohn­ten freund­schaft­li­chen Wett­streit da­durch ein, dass er mir sein schnell ab­neh­men­des But­ter­brot zeig­te; al­lein je­des Mal fand er mich mit mei­ner gel­ben Tee­tas­se auf dem einen Knie und dem But­ter­brot auf dem an­de­ren mü­ßig sit­zen. End­lich kam ich ver­zwei­felnd zu der Über­zeu­gung, dass mein Vor­ha­ben aus­ge­führt wer­den müs­se, und dass es am bes­ten sei, es in so we­nig wie mög­lich auf­fal­len­der Wei­se zu tun. In­dem ich des­halb einen Mo­ment be­nutz­te, nach­dem Joe mich gra­de an­ge­se­hen hat­te, schob ich das But­ter­brot in mei­ne Ho­sen­ta­sche hin­ab.

Joe war au­gen­schein­lich un­ru­hig über mei­nen schein­ba­ren Man­gel an Ap­pe­tit und tat einen nach­denk­li­chen Biss in sein Brot, der ihm je­doch nicht recht zu mun­den schi­en. Er dreh­te ihn län­ger als ge­wöhn­lich im Mun­de um­her, dach­te lan­ge nach, und ver­schluck­te ihn end­lich wie eine Pil­le. Als er im Be­grif­fe war, einen zwei­ten Biss zu tun, fiel sein Auge zu­fäl­lig auf mich, und er sah, dass mein But­ter­brot ver­schwun­den war.

Das Stau­nen, mit dem er, im Bei­ßen be­grif­fen, in­ne­hielt und mich an­starr­te, war so auf­fal­lend, dass es mei­ner Schwes­ter nicht ent­ge­hen konn­te.

»Was gibt es?«, frag­te sie in schar­fem Tone, die Tas­se nie­der­set­zend.

»Aber Pip«, mur­mel­te Joe, den Kopf sehr be­denk­lich schüt­telnd, »al­ter Jun­ge, du wirst dir Scha­den tun! Es kann ir­gend­wo ste­cken blei­ben, – denn ge­kaut hast du es un­mög­lich, Pip.«

»Was gibt es wie­der?«, frag­te mei­ne Schwes­ter aber­mals, und noch schär­fer als vor­her.

»Wenn du et­was da­von wie­der her­aus­hus­ten kannst, Pip«, sag­te Joe mit be­sorg­ter Mie­ne, »so wür­de ich dir ra­ten, es zu tun. Je­der nach sei­ner Wei­se, aber Ge­sund­heit ist Ge­sund­heit.«

Jetzt war mei­ne Schwes­ter au­ßer sich ge­ra­ten, und sprang auf Joe zu, er­griff ihn beim Bar­te und stieß sei­nen Kopf mehr­mals ge­gen die hin­ter ihm be­find­li­che Wand, wäh­rend ich mit schuld­be­wus­s­ter Mie­ne im Win­kel saß.

»Nun wer­de ich viel­leicht end­lich hö­ren, was ge­sche­hen ist«, sag­te mei­ne Schwes­ter au­ßer Atem, – »sprich, und star­re mich nicht an wie ein ge­sto­che­nes Schwein!«

Joe blick­te sie mit hilflo­ser Mie­ne an, tat einen Biss in sein Brot und sah dann wie­der auf mich.

»Du weißt, Pip«, sag­te Joe, noch den letz­ten Bis­sen kau­end, in fei­er­li­chem, aber ver­trau­li­chem Tone, als wenn wir bei­de al­lein bei­ein­an­der wä­ren, – »du und ich, wir wa­ren im­mer Freun­de und ich wäre ge­wiss der Letz­te, der dir je et­was nach­sag­te; aber ein sol­ches –« er rück­te sei­nen Stuhl, blick­te zwi­schen uns auf den Bo­den und dann wie­der auf mich, und füg­te end­lich hin­zu: – »Ein sol­ches Stück zu ver­schlu­cken!«

»So? Er hat sein Brot ver­schluckt?«, rief mei­ne Schwes­ter. »Weißt du, al­ter Jun­ge«, fuhr Joe noch im­mer kau­end fort, in­dem er nur mich, nicht sei­ne Frau an­sah, – »ich habe auch große Stücke ver­schluckt, als ich in dei­nem Al­ter war, – oh ja, oft, – und bin als Bube un­ter ar­gen Schlu­ckern ge­we­sen; aber dei­nes­glei­chen, habe ich im Schlu­cken noch nicht ge­se­hen, Pip, und ein Wun­der ist’s, dass du nicht er­stickt bist.«

Mei­ne Schwes­ter sprang auf mich los, pack­te mein Haar und sag­te nur die schreck­li­chen Wor­te:

»Du kommst mit mir und musst ein­neh­men!«

Ir­gend­ein me­di­zi­ni­sches Un­ge­heu­er hat­te in je­ner Zeit das Teer­was­ser wie­der als eine wohl­tä­ti­ge Arz­nei ein­ge­führt, und Mrs. Joe hielt im­mer einen gu­ten Vor­rat da­von im Schran­ke, in­dem sie es für eben so heil­sam er­ach­te­te, wie es wi­der­lich war. Für ge­wöhn­lich wur­de mir von die­sem Eli­xier so viel ein­ge­flö­ßt, dass ich den Ge­ruch ei­nes neu­ge­fir­nis­ten Holz­zauns um mich ver­brei­te­te; aber an die­sem Abend er­heisch­ten die dring­li­chen Um­stän­de mei­nes Fal­les ein gan­zes Nö­ßel1 die­ser Mix­tur, wel­ches mir der Be­quem­lich­keit hal­ber in den Hals ge­gos­sen wur­de, wäh­rend Mrs. Joe mei­nen Kopf un­ter dem Arme hielt, so wie ein Stie­fel­knecht einen Stie­fel zu hal­ten pflegt. Joe kam mit ei­nem hal­b­en Nö­ßel da­von, aber muss­te die­ses nicht ohne großes Miss­be­ha­gen, wäh­rend er kau­end am Feu­er saß, her­un­ter­schlu­cken, weil er an­geb­lich einen An­fall ge­habt hat­te. Nach mir selbst zu ur­tei­len, muss­te er je­den­falls nach­her einen An­fall ha­ben, wenn er vor­her kei­nen ge­habt hat­te.

Schreck­lich ist es, wenn das Ge­wis­sen einen Mann oder einen Kna­ben an­klagt; aber wenn bei ei­nem Kna­ben zu die­ser ge­hei­men Last noch eine an­de­re ge­hei­me, in sei­ner Ho­sen­ta­sche ver­steck­te Last kommt, so ist die Stra­fe in der Tat furcht­bar. Das schul­di­ge Be­wusst­sein, dass ich Mrs. Joe be­rau­ben woll­te, – denn es fiel mir nicht ein, ihn be­steh­len zu wol­len, da ich die im Hau­se be­find­li­chen Ge­gen­stän­de nie als sein Ei­gen­tum an­sah, – in Ver­bin­dung mit der Not­wen­dig­keit, im­mer eine mei­ner Hän­de auf dem But­ter­brot hal­ten zu müs­sen, wäh­rend ich auf dem Stuh­le saß, oder Be­feh­le mei­ner Schwes­ter in der Kü­che aus­führ­te, trieb mich fast zur Verzweif­lung. Wenn die vom Moor­land we­hen­den Win­de die Glut des Feu­ers schär­fer an­fach­ten, glaub­te ich, au­ßer­halb die Stim­me des Man­nes mit dem Ei­sen am Bein zu hö­ren, dem ich Ver­schwie­gen­heit hat­te ge­lo­ben müs­sen, und der nicht mehr bis mor­gen hun­gernd war­ten, son­dern so­gleich ge­speist wer­den woll­te. In an­de­ren Au­gen­bli­cken dach­te ich wie­der: »Wie, wenn der Hel­fers­hel­fer, wel­cher nur mit so großer Mühe hat­te ab­ge­hal­ten wer­den kön­nen, sei­ne Hän­de in mein Blut zu tau­chen, – wie, wenn er sei­ner an­ge­bo­re­nen Gier nach­gä­be und schon an die­sem Aben­de, statt am fol­gen­den Mor­gen, An­sprü­che auf mein Herz und mei­ne Le­ber mach­te?« Wenn je ei­nem Men­schen vor Schre­cken die Haa­re zu Ber­ge stan­den, so müs­sen es mei­ne in je­nem Mo­ment ge­tan ha­ben. Aber viel­leicht ist es noch bei nie­mand vor­ge­kom­men.

Es war der Abend vor dem Weih­nachts­fes­te, und ich hat­te den Pud­ding für den nächs­ten Tag eine Stun­de lang nach un­se­rer Wand­uhr, von sie­ben bis acht, zu rüh­ren. Ich ver­such­te es mit der Last an mei­nem Bei­ne, – was mich wie­der an den Mann mit der Last an sei­nem Bein er­in­ner­te, – und konn­te kaum ver­hin­dern, dass das But­ter­brot nicht durch die Be­we­gung am Knö­chel hin­aus­glitt. Glück­li­cher­wei­se fand ich Ge­le­gen­heit, mich einen Au­gen­blick zu ent­fer­nen und je­nen Teil mei­ner Ge­wis­sens­last in mei­ner Dach­kam­mer zu ver­ber­gen.

»Horch!«, sag­te ich, als das Rüh­ren des Pud­dings be­en­digt war und ich mich noch am Ka­min­feu­er ein we­nig wärm­te, ehe ich zu Bett ge­schickt wur­de, – »war das ein Ka­no­nen­schuss, Joe?«

»Aha«, ver­setz­te Joe, – »es ist wie­der ein Sträf­ling durch­ge­gan­gen.«

»Was heißt das, Joe?«, frag­te ich.

Mei­ne Schwes­ter, wel­che alle Er­klä­run­gen selbst über­nahm und uns die­sel­ben wie das Teer­was­ser zu­kom­men ließ, sag­te in kei­fen­dem Tone:

»Ent­wischt, ent­wischt!«

Wäh­rend Letz­te­re den Kopf über ihre weib­li­che Ar­beit beug­te, bil­de­te ich, an Joe ge­wen­det, mit mei­nen Lip­pen die Wor­te: »Was ist ein Sträf­ling?«, wor­auf er je­doch mit sei­nen Lip­pen eine so gründ­li­che Ant­wort gab, dass ich nichts da­von ver­stand, als das Wort »Pip«.

»Ges­tern Abend ist ein Sträf­ling ent­wischt«, sag­te Joe dar­auf laut, »nach Son­nen­un­ter­gang, und das Si­gnal wur­de ge­ge­ben; und jetzt, scheint es, wird das Si­gnal für einen Zwei­ten ge­ge­ben.«

»Wer schießt?«, frag­te ich.

»Zum Hen­ker mit dem Bu­ben!«, rief mir mei­ne Schwes­ter, die Stir­ne run­zelnd, zu; »was das für ewi­ge Fra­gen sind! Fra­ge nicht so viel, und du wirst kei­ne Lü­gen hö­ren!«

Sie war nicht sehr höf­lich ge­gen sich selbst, wie es mir schi­en, in­dem sie zu ver­ste­hen gab, dass ich von ihr Lü­gen hö­ren wür­de, wenn ich fra­gen täte; al­lein sie war nie höf­lich, aus­ge­nom­men, wenn Gäs­te da wa­ren.

In die­sem Au­gen­bli­cke stei­ger­te Joe mei­ne Neu­gier­de noch da­durch, dass er mit großer Mühe den Mund sehr weit öff­ne­te und ein Wort zu bil­den ver­such­te, wel­ches mir »Hund« zu sein schi­en. Ihn nicht ver­ste­hend, frag­te ich, auf mei­ne Schwes­ter deu­tend, mit den Lip­pen, »sie?« aber Joe woll­te nichts da­von hö­ren und öff­ne­te noch ein­mal den Mund sehr weit, um ein sehr ge­wich­ti­ges Wort her­vor­zu­brin­gen, das ich je­doch nicht ver­stand.

»Ach, Schwes­ter«, sag­te ich end­lich, zum letz­ten Hilfs­mit­tel grei­fend, »ich möch­te gern wis­sen, – wenn du nicht böse wer­den willst, – wo das Schie­ßen her­kommt.«

»Gott sei dem Bu­ben gnä­dig!«, rief mei­ne Schwes­ter, aber mit ei­nem sol­chen Tone, als wenn sie ei­gent­lich das Ge­gen­teil ge­meint hät­te, – »von den Hulks!«

»Ah – h!«, sag­te ich, Joe an­bli­ckend, – »von den Hulks?«

Joe hus­te­te ver­drieß­lich, als woll­te er da­mit aus­drücken, »ich habe es dir ja ge­sagt.«

»Aber bit­te, was sind die Hulks?«, frag­te ich wei­ter.

»So macht es der Bube im­mer!«, rief mei­ne Schwes­ter, in­dem sie mit der ein­ge­fä­del­ten Nähna­del auf mich deu­te­te und dro­hend mit dem Kop­fe schüt­tel­te. »Wenn man ihm eine Fra­ge be­ant­wor­tet, so hat er gleich noch ein Dut­zend. Hulks sind die Sträf­lings­schif­fe, die hin­ter dem Moor­land lie­gen.«

»Ich möch­te wohl wis­sen, wer in die­se Schif­fe ge­bracht wird, und wes­halb es ge­schieht?«, frag­te ich ru­hig und mit ei­ner ge­wis­sen To­des­ver­ach­tung wei­ter.

Das war zu viel für Mrs. Joe, wel­che au­gen­blick­lich auf­stand.

»Ich will dir et­was sa­gen, du Sch­lin­gel«, rief sie; »ich habe dich nicht mit der Hand auf­ge­bracht, da­mit du die Leu­te zu Tode quä­len sollst. Es wür­de mir Schan­de ma­chen, aber kei­ne Ehre. Die­je­ni­gen, wel­che sich in den Hulks be­fin­den, sind da­hin ge­bracht wor­den, weil sie ge­mor­det, oder ge­stoh­len, oder Fäl­schun­gen oder sons­ti­ge Schlech­tig­kei­ten ver­übt ha­ben, und alle ha­ben da­mit an­ge­fan­gen, vie­le Fra­gen zu tun. Jetzt zu Bett mit dir!«

Ich durf­te nie ein Licht mit mir neh­men, und als ich des­halb im Dun­keln die Trep­pe hin­auf stieg, wäh­rend mir noch die Ohren saus­ten, da mei­ne Schwes­ter ihre letz­ten Wor­te mit ei­nem Tril­ler ih­res Fin­ger­hu­tes auf mei­nem Kop­fe be­glei­tet hat­te, dach­te ich mit Schre­cken an die be­que­me Nähe der Hulks. Es war klar, dass ich mich auf dem Wege da­hin be­fand. Mit Fra­gen hat­te ich an­ge­fan­gen, und war jetzt im Be­grif­fe, mei­ne Schwes­ter zu be­steh­len.

Seit je­ner Zeit, die jetzt lan­ge hin­ter mir liegt, habe ich oft dar­an ge­dacht, wie we­ni­ge Men­schen ah­nen, wel­che Ver­schlos­sen­heit bei den Kin­dern durch die Furcht er­zeugt wird.

Gleich­viel, wie un­ver­nünf­tig die Furcht sein mag, wenn es nur Furcht ist. Ich war in töd­li­cher Furcht vor dem Hel­fers­hel­fer, der nach mei­nem Her­zen und mei­ner Le­ber Ver­lan­gen trug, – ich war in töd­li­cher Furcht vor mei­nem neu­en Be­kann­ten, mit dem Ei­sen am Bein, – vor mir selbst, weil ich mich zu ei­nem schreck­li­chen Ge­lüb­de hat­te nö­ti­gen las­sen, und durf­te auch von mei­ner all­mäch­ti­gen Schwes­ter, wel­che mich bei je­der Ge­le­gen­heit zu­rück­s­tieß, kei­ne Hil­fe er­war­ten. Mit Schau­der den­ke ich dar­an, was ich in mei­ner heim­li­chen Furcht nö­ti­gen­falls zu tun im Stan­de ge­we­sen wäre.

Wenn ich in der Nacht über­haupt schlief, so war es nur, um zu träu­men, dass ich von ei­ner star­ken Spring­flut den Hulks zu­ge­trie­ben wür­de, und dass ein ge­spens­ti­ger See­räu­ber, als ich an dem Gal­gen vor­über­kam, mir durch ein Sprach­rohr zu­rief, ich täte am bes­ten, an das Ufer zu kom­men und mich so­gleich hän­gen zu las­sen, ohne es län­ger zu ver­schie­ben. Ich scheu­te mich ein­zu­schla­fen, selbst wenn ich Nei­gung dazu emp­fun­den hät­te, weil ich, so­bald die Däm­me­rung an­brach, die Spei­se­kam­mer be­steh­len muss­te. In der Nacht konn­te ich es nicht tun, denn leicht ent­zünd­ba­re Streich­höl­zer gab es da­mals noch nicht, und ich hät­te mir mit Hil­fe von Stein und Stahl Licht schaf­fen und einen Lärm ma­chen müs­sen, wie der See­räu­ber am Gal­gen ihn mit sei­nen Ket­ten mach­te.

So­bald sich in die große schwar­ze Samt­de­cke au­ßer­halb mei­nes klei­nen Fens­ters die ers­ten grau­en Strei­fen misch­ten, stand ich auf und ging die Trep­pe hin­ab, wäh­rend jede Die­le, jede Stu­fe mir knar­rend nach­zu­ru­fen schi­en: »Hal­tet den Dieb!« und »Ste­hen Sie auf, Mrs. Joe!« In der Spei­se­kam­mer, de­ren Vor­rä­te we­gen der Jah­res­zeit viel grö­ßer als ge­wöhn­lich wa­ren, er­schrak ich vor ei­nem an den Läu­fen auf­ge­häng­ten Ha­sen, wel­cher, wäh­rend ich ihm halb den Rücken wen­de­te, mir zu­zu­win­ken schi­en. Ich hat­te kei­ne Zeit, mich von der Rich­tig­keit mei­ner Wahr­neh­mung zu über­zeu­gen, kei­ne Zeit, lan­ge zu wäh­len, über­haupt kei­ne Zeit zu ir­gen­det­was, denn ich durf­te kei­ne Zeit ver­lie­ren. Ich nahm des­halb ein Stück Brot, ei­ni­ge Kä­se­res­te und einen halb mit ge­hack­tem Flei­sche ge­füll­ten Topf, den ich mit dem vom vo­ri­gen Abend auf­ge­ho­be­nen But­ter­brot in mein Ta­schen­tuch wi­ckel­te, et­was Brannt­wein aus ei­nem Stein­kru­ge (den ich in ein Fläsch­chen goss, wel­ches ich heim­lich in mei­ner Kam­mer zur Be­rei­tung des be­rau­schen­den Ge­trän­kes, La­krit­zen­saft, zu be­nut­zen pfleg­te, wor­auf ich aus ei­nem Was­ser­kru­ge im Kü­chen­schrank die ent­zo­ge­ne Flüs­sig­keit wie­der er­gänz­te), einen Bra­ten­kno­chen, mit sehr we­nig Fleisch dar­an, und eine schö­ne, run­de Fleisch­pas­te­te. Letz­te­re wäre mir bei­na­he ent­gan­gen, wenn nicht die Neu­gier­de mich ver­an­lasst hät­te, auf ein Brett zu stei­gen und zu se­hen, was es sei, das so sorg­fäl­tig in ei­ner ver­deck­ten ir­de­nen Schüs­sel in der Ecke auf­be­wahrt wur­de. Ich fand die Pas­te­te und nahm sie, in der Hoff­nung, dass sie nicht zum bal­di­gen Ge­brau­che be­stimmt sein und ei­ni­ge Tage lang nicht ver­misst wer­den wür­de.

Eine Türe in der Kü­che führ­te zu der Schmie­de. Ich schloss sie auf, zog den Rie­gel zu­rück, und ent­nahm aus Joes Hand­werks­zeug eine Fei­le, wor­auf ich in der­sel­ben Wei­se wie­der al­les ver­schloss und die Tür öff­ne­te, mit­telst de­rer ich am vo­ri­gen Abend gleich­falls in das Haus ge­kom­men war, die­se gleich­falls hin­ter mir ver­schloss und dann nach dem düs­te­ren Moor­lan­de lief.


  1. al­tes Flüs­sig­keits­maß; un­ge­fähr 450 Mil­li­li­ter  <<<

3. Kapitel – Das Zusammentreffen

Es war ein ne­be­li­ger, feuch­ter Mor­gen, und star­ker Reif war ge­fal­len. Ich hat­te ihn au­ßer­halb mei­nes klei­nen Fens­ters lie­gen se­hen, als wenn ein Ko­bold die gan­ze Nacht dort ge­weint und das Fens­ter als Ta­schen­tuch be­nutzt hät­te. Jetzt sah ich den Reif auf den kah­len He­cken und dem spär­li­chen Gra­se lie­gen, über die er sich wie ein gro­bes Spinn­ge­we­be von Zweig zu Zweig und von Halm zu Halm spann­te. Auf je­dem Zaun, auf je­der Pfor­te lag die kleb­ri­ge Feuch­tig­keit, und der Ne­bel des Moor­lan­des war so dicht, dass ich die höl­zer­ne Hand des Weg­wei­sers, wel­cher den Leu­ten die Stra­ße nach un­se­rem Dor­fe wies, – eine Wei­sung, wel­che sel­ten be­folgt wur­de, weil fast nie­mand da­hin kam, – nicht eher er­ken­nen konn­te, als bis ich dicht dar­un­ter stand. Als ich end­lich zu der Hand auf­blick­te, von der die Feuch­tig­keit auf mich her­ab tröp­fel­te, er­schi­en sie mei­nem schul­di­gen Ge­wis­sen wie ein Phan­tom, das mich den Hulks über­wies.

Der Ne­bel wur­de aber noch stär­ker, so­bald ich das Moor­land er­reich­te, und zwar in sol­chem Gra­de, dass al­les auf mich los­zu­lau­fen schi­en, statt dass ich dar­auf zu­lief. Dies war für ein schuld­be­wuss­tes Ge­müt sehr un­an­ge­nehm. Die Grä­ben, Schleu­sen und Däm­me ka­men durch den Ne­bel auf mich zu ge­stürzt, als ob sie deut­lich rie­fen: »Ein Bube mit ei­ner ge­stoh­le­nen Pas­te­te! Hal­tet ihn!« Die Rin­der spran­gen mir ent­ge­gen und schie­nen mit ih­ren stie­ren­den Au­gen und den damp­fen­den Nüs­tern sa­gen zu wol­len: »Hol­la, ein jun­ger Dieb!« Ein schwar­zer Ochs, mit ei­ner wei­ßen Hals­bin­de, – der für mein schul­di­ges Ge­wis­sen fast den An­strich ei­nes Geist­li­chen hat­te, – starr­te mich so hart­nä­ckig mit sei­nen Au­gen an und be­weg­te den di­cken, run­den Kopf auf so an­kla­gen­de Wei­se, dass ich un­will­kür­lich stot­ter­te: »Ach, ich konn­te nicht an­ders, – ich habe es ja nicht für mich ge­nom­men!« wor­auf er den Kopf sin­ken ließ, eine Dampf­wol­ke aus sei­ner Nase blies und mit den Hin­ter­fü­ßen aus­schla­gend ver­schwand.

Un­ter­des­sen kam ich dem Fluss nä­her; aber so sehr ich auch eil­te, woll­ten mei­ne Füße nicht warm wer­den, an die sich die kal­te Näs­se zu hän­gen schi­en, wie das Ei­sen an dem Bei­ne des Man­nes hing, den ich auf­such­te. Ich kann­te den Weg nach dem al­ten Wall ziem­lich ge­nau, denn Joe war an ei­nem Sonn­tag mit mir dort ge­we­sen und hat­te, auf ei­ner Ka­no­ne sit­zend, ge­sagt, dass wir, wenn ich erst re­gel­mä­ßig bei ihm in der Leh­re sein wür­de, uns dort recht lus­tig ma­chen woll­ten; aber von dem Ne­bel ver­lei­tet war ich den­noch zu weit rechts ge­kom­men und muss­te am Flus­sufer ent­lang auf den lo­sen Stei­nen, wel­che über dem Schlam­me la­gen, und an den Pfüh­len vor­über, wel­che zur Zeit der Flut die Gren­ze bil­de­ten, wie­der zu­rück­ge­hen. Die­sen Weg ei­ligst ver­fol­gend, er­reich­te ich einen Gra­ben, wel­cher, wie mir be­kannt war, in der Nähe des Wal­les lag, über­sprang ihn und klet­ter­te den jen­sei­ti­gen Hü­gel hin­an, als ich plötz­lich den Mann vor mir sit­zen sah.

Er hat­te mir den Rücken zu­ge­kehrt, die Arme un­ter­ge­schla­gen, und nick­te, wie in fes­tem Schla­fe, nach vor­wärts.

Ich dach­te, er wür­de sich noch mehr freu­en, wenn ich un­er­war­tet mit dem Früh­stück vor ihn trä­te, und schlich des­halb lei­se nä­her und be­rühr­te sei­ne Schul­ter. Au­gen­blick­lich sprang er auf, – aber es war nicht der Mann, es war ein An­de­rer.

Den­noch trug die­ser Mann eben­falls eine graue Klei­dung und hat­te ein großes Ei­sen am Bein und war lahm, hei­ser, er­fro­ren, kurz al­les, was der An­de­re war, aus­ge­nom­men, dass er nicht das­sel­be Ge­sicht und einen fla­chen, breit­krem­pi­gen Hut auf dem Kop­fe hat­te. Al­les die­ses be­merk­te ich in ei­nem Au­gen­bli­cke, denn es blieb mir nicht län­ger Zeit. Er stieß einen Fluch ge­gen mich aus und hieb nach mir; aber es war ein schwa­cher Schlag, wel­cher mich nicht traf und ihn fast selbst um­ge­wor­fen hät­te, denn er wank­te, und rann dar­auf, mehr­mals stol­pernd, im Ne­bel da­von und ver­schwand.

»Es ist der Hel­fers­hel­fer!«, dach­te ich und fühl­te mein Herz er­be­ben, als ich ihn er­kann­te. Auch die Le­ber, glau­be ich, wür­de mir ge­schmerzt ha­ben, wenn ich ge­wusst hät­te, wo sie sitzt.

Bald dar­auf er­reich­te ich den al­ten Wall und fand dort den rech­ten Mann mei­ner war­tend. Er schüt­tel­te sich, hin­k­te hin und her, und sah aus, als wenn er die gan­ze Nacht nichts An­de­res ge­tan hät­te. Die Käl­te schi­en ihn arg mit­ge­nom­men zu ha­ben, und ich glaub­te fast, er wer­de vor mir nie­der­stür­zen und vor Käl­te ster­ben. Auch sa­hen sei­ne Au­gen so hung­rig aus, dass mir der Ge­dan­ke kam, als ich ihm die Fei­le reich­te, er wür­de sie zu es­sen ver­sucht ha­ben, wenn er nicht mein Pa­ket ge­se­hen hät­te. Die­ses Mal stell­te er mich nicht auf den Kopf, um das zu er­rei­chen, was ich bei mir hat­te, son­dern ließ mich auf­recht ste­hen, wäh­rend ich das Bün­del öff­ne­te und mei­ne Ta­schen aus­leer­te.

»Was ist in der Fla­sche, Bube?«, frag­te er.

»Brannt­wein«, er­wi­der­te ich.

Er war be­reits sehr eif­rig be­schäf­tigt, das ge­hack­te Fleisch sei­ne Keh­le hin­un­ter glei­ten zu las­sen, und zwar auf höchst son­der­ba­re Wei­se, – mehr wie ein Mann, der ei­ligst et­was bei­sei­te­schaf­fen will, als wie je­mand, der Spei­se ge­nießt, – aber hielt inne, um den Brannt­wein zu kos­ten. Er zit­ter­te hier­bei so sehr vor Frost, dass er kaum den Hals der Fla­sche zwi­schen den Zäh­nen hal­ten konn­te, ohne ihn ab­zu­bei­ßen.

»Ich glau­be, Sie ha­ben das Fie­ber«, sag­te ich.

»Ich glau­be auch, mein Jun­ge«, ver­setz­te er.

»Es ist hier eine un­ge­sun­de Ge­gend«, füg­te ich hin­zu. »Sie ha­ben die gan­ze Nacht auf dem Moor­land zu­ge­bracht, da kann man leicht Fie­ber und Rheu­ma­tis­mus be­kom­men.«

»Ehe ich hier um­kom­me, will ich we­nigs­tens ein gu­tes Früh­stück ge­nie­ßen«, sag­te er. »Das will ich tun, und wenn ich gleich nach­her an dem Gal­gen da auf­ge­hängt wer­den soll­te. Ich will die Fie­ber­schau­er schon ver­trei­ben!«

Er ver­schlang das ge­hack­te Fleisch, den Bra­ten­kno­chen, das Brot, den Käse und die Pas­te­te, al­les fast zu glei­cher Zeit, und blick­te da­bei miss­trau­isch nach al­len Sei­ten in den uns um­ge­ben­den Ne­bel und hielt öf­ters so­gar mit Kau­en inne, um zu hor­chen. Ir­gend­ein wirk­li­cher oder ein­ge­bil­de­ter Schall, ein Geräusch vom Fluss her oder das Schnau­fen der Rin­der auf dem Moor­land flö­ßte ihm Furcht ein, und er sag­te plötz­lich:

»Ich hof­fe, du bist kein tücki­scher klei­ner Sa­tan? Du hast doch nie­mand mit­ge­bracht?«

»Oh nein!«

»Auch nie­man­dem den Auf­trag ge­ge­ben, dir zu fol­gen?«

»Nein, auch das nicht.«

»Nun, ich glau­be dir«, ver­setz­te er. »Du wärst auch ein bös­ar­ti­ger jun­ger Hund, wenn du in dei­nem Al­ter schon hel­fen woll­test, ein un­glück­li­ches Ge­schöpf zu het­zen, das dem Tode und dem Mist­hau­fen schon so nahe ge­bracht ist, wie ich Elen­der!«

Es tick­te et­was in sei­ner Keh­le, als wenn ein Uhr­werk dar­in wäre und schla­gen woll­te. Er nahm sei­nen gro­ben, zer­ris­se­nen Rock­är­mel und fuhr da­mit über die Au­gen.

Von Mit­leid für sei­ne ver­las­se­ne Lage er­füllt, be­ob­ach­te­te ich ihn, wäh­rend er die Pas­te­te ver­zehr­te, und er­laub­te mir die Be­mer­kung:

»Es freut mich, dass es Ih­nen schmeckt.«

»Hast du et­was ge­sagt?«, frag­te er.

»Ja, ich sag­te, es freue mich, dass es Ih­nen schme­cke.«

»Dan­ke dir, mein Jun­ge, – ja, es schmeckt mir.«

Ich hat­te öf­ters un­sern großen Hof­hund beim Ver­zeh­ren sei­nes Fut­ters be­ob­ach­tet, und fand jetzt eine ent­schie­de­ne Ähn­lich­keit zwi­schen der Art und Wei­se sei­nes Fres­sens und dem Es­sen des Man­nes. Gra­de wie der Hund, nahm auch der Mann schnel­le, schar­fe Bis­sen. Er ver­schlang sie gie­rig und blick­te da­bei rechts und links, als wenn er sich sorg­te, dass von ir­gend­ei­ner Sei­te je­mand kom­men kön­ne, um ihm die Pas­te­te zu neh­men. Er schi­en mir zu un­ru­hig zu sein, um ei­gent­li­chen Ge­nuss bei sei­nem Mah­le ha­ben zu kön­nen, und ich glau­be, wenn je­mand mit ihm ge­speist hät­te, so wür­de er nach dem Gas­te ge­bis­sen ha­ben.

»Ich fürch­te, Sie wer­den für ihn nichts üb­rig las­sen«, sag­te ich zag­haft nach ei­ner Pau­se, wäh­rend de­ren ich zö­gernd über­legt hat­te, ob die Be­mer­kung nicht zu un­höf­lich sein wür­de. »Dort, wo das her­kommt, ist nichts mehr zu ho­len.«

Es war die Über­zeu­gung von der Ge­wiss­heit die­ses Um­stan­des, was mich dräng­te, ihm die­sen Wink zu ge­ben.

»Nichts für ihn üb­rig las­sen? Wen meinst du da­mit?«, frag­te mein Freund, in­dem er mit dem Zer­kau­en der Pas­te­te in­ne­hielt.

»Den Hel­fers­hel­fer, von dem Sie ges­tern ge­spro­chen ha­ben, – der sich bei Ih­nen ver­bor­gen hat.«

»Ach so«, ver­setz­te er mit et­was ro­hem La­chen. »Den meinst du? Ja, ja, der braucht kei­ne Le­bens­mit­tel.«

»Er sah mir aber doch so aus, als wenn er sie recht nö­tig hät­te«, be­merk­te ich.

Der Mann hielt inne mit Es­sen und blick­te mich er­staunt und for­schend an.

»Sah so aus? Wann?«

»Eben jetzt.«

»Wo?«

»Dort«, sag­te ich, nach der frag­li­chen Ge­gend deu­tend, »dort, wo ich ihn schla­fend fand und für Sie hielt.«

Er pack­te mich am Kra­gen und starr­te mich der­ge­stalt an, dass ich im ers­ten Au­gen­bli­cke dach­te, er habe von Neu­em Lust be­kom­men, mir den Hals ab­zu­schnei­den.

»Auch gra­de so an­ge­zo­gen war er, wie Sie, – und – und«, er­klär­te ich be­bend und be­müht, mich so scho­nend wie mög­lich aus­zu­drücken, – »hat­te die­sel­be Ver­an­las­sung, eine Fei­le zu bor­gen. Ha­ben Sie ges­tern Abend nicht den Ka­no­nen­schuss ge­hört?«

»Also hat es doch ge­schos­sen!«, sag­te er zu sich selbst.

»Es wun­dert mich, dass Sie dar­über zwei­fel­haft sein konn­ten«, ver­setz­te ich; »denn wir hör­ten es in un­se­rer Woh­nung, wel­che ent­le­ge­ner ist und au­ßer­dem ver­schlos­sen.«

»Ja, sieh!«, sag­te er, »wenn ein Mensch in die­ser Moor­ge­gend al­lein ist, mit schwin­deln­dem Kop­fe und lee­rem Ma­gen, vor Käl­te und Hun­ger fast um­kom­mend, so hört er die gan­ze Nacht Schüs­se und Stim­men. Und hört nicht bloß, – nein, er sieht so­gar die Sol­da­ten mit ih­ren ro­ten Rö­cken, im Schei­ne der vor­ge­tra­ge­nen Fa­ckeln, wie sie ihn um­zin­geln, – hört sei­ne Num­mer ru­fen, sei­nen Na­men so­gar – hört das Ras­seln der Ge­weh­re und das Kom­man­do: ›Fer­tig! Prä­sen­tiert! Rückt an!‹ fühlt sich an­ge­packt, und dann ist es nichts! Nicht eine Pa­trouil­le habe ich die­se Nacht ge­se­­­­­­­­­­­­­­­­