RONALD M. HAHN

 

 

HARDCORE-WESTERN

V. Der Biss der Viper

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag/Edition Bärenklau

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 4 

Der Autor 5 

DER BISS DER VIPER 7 

In Kürze als E-Book im Apex-Verlag/Edition Bärenklau erhältlich: 109 

 

Das Buch

 

 

Eigentlich will Rick McQuarry von der Detektei Cox & Co. nur das Zimmer der heißblütigen Haydee Leigh observieren.

Nun wird ihm der Kragen eng. Aus zweierlei Gründen: Erstens wälzen sich in dem Raum zwei Frauen auf den  Seidenlaken des Bettes und reiben stöhnend ihre erhitzten Leiber aneinander. Und zweitens drückt sich der kalte Lauf eines Revolvers an seine Schläfe...

Rick McQuarrys Auftrag für Cox & Co. besteht darin, das Geheimnis einer verschwundenen Tochter zu lösen. Nun muss er erkennen, dass mehr dahinter steckt. Und dass er seinen Auftrag in den nächsten Sekunden verlieren könnte... zusammen mit seinem Leben.

 

 

 

Der Autor

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal. 

 

 

 

Ronald M. Hahn

DER BISS DER VIPER

 

 

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Das Casino de Paris in der Oxford Street war ein vierstöckiges Steingebäude. Der Eingang war mit protzigen Marmorsäulen verziert. Das Schild darüber bestand aus Messing.

Vor dem Portal wachte ein hünenhafter schwarzer Portier namens Zerberus. Er trug eine weinrote Uniform mit goldenen Schulterstücken. Kein angesehener Bürger von St. Louis hätte es gewagt, an ihm vorbei die Stufen hinauf zu gehen, die ins Gebäude führten. So vornehm das Etablissement auch äußerlich wirkte und so wohlhabende Kundschaft dort auch verkehrte – es war und blieb ein Bordell.

Wer sich im Casino de Paris verlustieren wollte, suchte die gleich nebenan liegende kleine Buchhandlung auf, hinter deren Bücherregalen sich irgendwo eine ins Nachbarhaus führende Tür verbarg. Der Haupteingang des Casinos erfüllte eigentlich keinen Zweck. Zerberus bewachte ihn nur, um ahnungslosen neuen Kunden zu sagen, wie sie es betreten konnten, ohne von den auf der Straße flanierenden Menschen gesehen zu werden.

Rick McQuarry gehörte zu den seltenen Ausnahmen, die das Casino durch den Haupteingang betraten. Wer ihn kannte, wusste auch, dass er für eine zwar kleine, aber in der ganzen Stadt bekannte Detektei arbeitete. Deswegen war er über jeden Verdacht erhaben. Wenn er ins Casino ging, hatte er fraglos dienstliche Gründe.

Pustekuchen, dachte McQuarry. Er lüpfte den Hut vor Richter Whipple und seiner Gattin, die sich vor dem Abendessen noch ein wenig die Beine vertraten und grinste Zerberus zu, dessen Miene sich leicht grämlich verzog, als sei ihm McQuarrys Besuch alles andere als angenehm. Doch auch dies war eine schauspielerische Inszenierung: Der Portier wusste genau, was McQuarry in diesem Haus trieb.

In seiner Jugend hätte McQuarry es heftig abgelehnt, für die Gewährung weiblicher Gunst zu bezahlen. Doch inzwischen war er nicht nur etwas in die Jahre gekommen, sondern auch beruflich sehr beschäftigt: Hin und wieder fehlte ihm einfach die Zeit, den Damen den Hof zu machen, bis sie ihn ins Höschen ließen.

Das Casino de Paris war schick möbliert, doch McQuarry hatte keinen Blick für die architektonischen Schönheiten. Ihm stand der Sinn nach Wein, Weib und Gesang – wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Er baute sich im Salon am Tresen auf, bestellte ein Bier und warf einen gelassenen Blick in die Runde. Hätte Mrs. Whipple, die Gattin des Richters, gewusst, in welchem Aufzug die hier tätigen Damen sich auf den Polstersofas fläzten, hätte sie vermutlich der Schlag niedergestreckt. Richter Whipple hätte wohl weniger empört reagiert, denn er gehörte zu den Stammgästen.

Es war noch nichts los. Eine leicht geschürzte Brünette mit langen Beinen und grobmaschigen Netzstrümpfen, deren französischer Akzent so falsch war wie ihre Wimpern, schmachtete McQuarry an, rückte ihren ansehnlichen Busen ins Zwielicht und zwinkerte ihm lasziv zu. McQuarry hauchte ihr ein Küsschen hin, dann drehte er sich eine Zigarette und steckte sie in Brand.

Sein Blick fiel auf einen Tisch, an dem drei Schwarz gekleidete Gentlemen aus der Haifischbranche saßen und einen Trottel ausnahmen, dem man schon am Gesicht ansah, dass er ein solcher war. Er war höchstens zwanzig und in feines Tuch gekleidet. Auch sein strohblonder Haarschopf war gepflegt. Der junge Spund sah aus, als käme er gerade aus der Badewanne.

Hinter ihm stand die Flinke Fanny, der man, obwohl sie keine Fremdsprachen beherrschte, große Zungenfertigkeit nachsagte. Sie gab dem Spieler, der dem Trottel gegenüber saß, Zeichen, die nicht mal ein Blinder übersehen hätte. McQuarry wandte sich kopfschüttelnd ab.

Das, was nun den Salon betrat, gefiel ihm besser. Wer die Dame nicht kannte, hätte durchaus annehmen können, sie gehöre zur Gesellschaft.

Gracie Delaney war die Besitzerin des Casino de Paris, ein rassiges, sonnenbraunes Weib mit pechschwarzer Haarmähne und Brüsten, die so fest waren, dass man Nüsse auf ihnen knacken konnte. Gracie hatte nicht nur ein einnehmendes Lächeln, sondern auch eine einnehmende Art: Wie McQuarry der auf der Theke liegenden Getränkekarte entnahm, waren die Preise in ihrem Unternehmen schon wieder gestiegen. Bald würden sich nur noch die Oberen Zehn von St. Louis den Luxus eines Besuches in ihrem Bordell leisten können.

Guten Abend, McQuarry“, sagte sie mit einer Stimme, die so verrucht und kehlig klang, dass McQuarrys Hosenknöpfe hektisch an dem Zwirn zerrten, mit dem sie befestigt waren.  

Gracie legte eine Hand auf die seine, die wiederum auf der Theke lag, und drückte sie. Die Berührung ging McQuarry durch sämtliche Glieder, denn wie alle Stammgäste träumte auch er davon, Gracie an irgendeinem schwachen Abend überreden zu können, ihre Geschäftsphilosophie zu vergessen und ihn an ihren Brustwarzen saugen zu lassen. Bisher war es freilich noch niemandem gelungen.

„’n Abend, Gracie.“ McQuarry ärgerte sich, dass er immer wie ein Schuljunge klang, wenn sie vor ihm stand. Als er ihr herrliches Parfüm roch und sein Blick auf ihr Dekolleté fiel, verhärtete sich automatisch sein Schwengel. „Wie geht das Geschäft?“ 

Gracie seufzte. Wie alle Unternehmer der Welt hatte auch sie jede Menge Klagelieder in petto, sobald jemand diese Frage stellte. Aber heute schien sie keine Lust zu haben, ihm eins vorzusingen. „Geht so.“ Dann wanderte der Blick ihrer dämonisch schwarzen Augen über sein Gesicht. „Du bist alt geworden.“

Was?!“ McQuarry zuckte zusammen. „Ich bin erst vierzig! Und auch das erst seit elf Monaten! 

Ich bin dreißig“, erwiderte Gracie. „Ich hoff, mit vierzig seh ich nicht so alt aus wie du.“ 

Als ihr sein entsetztes Gesicht auffiel, kicherte sie und tätschelte seine Wange. „Mach dir nicht gleich ins Hemd, McQuarry. War nur ’n Scherz. Du bist ’n netter Kerl. Manchmal frag ich mich, ob ich meine Unternehmensphilosophie bei dir nicht mal außer Kraft setzen soll...“ Ihre Augen blitzten schalkhaft.

McQuarry griff aufatmend an seine Krawatte. Erst dann wurde ihm klar, was ihr letzter Satz bedeutete, und der Schreck fuhr ihm abermals in die Glieder. „Gracie, ich...“

Sie zwinkerte ihm zu. „Aber wenn ich mal ’ne Ausnahme mache, spricht es sich womöglich rum, und dann hab ich tausend andere nette Kerle am Hals, denen ich mich bisher leider versagen musste.“

Gracie klopfte ihm auf die Schulter, ließ ihn stehen und wandte sich drei eintretenden Gentlemen zu, denen man ansah, dass sie von Rindvieh lebten. Hin und wieder kamen auch Rancher in den Mittelwesten, um auf die Pauke zu hauen. Vermutlich lebten diese Kerle, von frömmelnden Gattinnen terrorisiert, in ihren kleinen Nestern von Hustensaft und konnten sich nur austoben, wenn sie dringende Geschäftsreisen vortäuschten. Natürlich zog der großstädtische Sündenpfuhl sie in Scharen an. Gracie verdankte ihnen einen großen Teil ihrer Einnahmen.

McQuarry beobachtete die Gentlemen, die sich wie tapsige Bären und leicht gehemmt zu den angeblichen Französinnen setzten. Dann wanderte sein Blick zu der schicken Standuhr hinter der Theke, und er drückte die Kippe aus und leerte sein Glas. Mr. Cox, der Manager der Detektei Cox & Company, hatte ihn gebeten, zwecks Übernahme eines hochwichtigen Auftrags morgen in aller Frühe im Büro zu erscheinen. Wenn er heute noch zum Abschuss kommen wollte, musste er sich sputen.

Zuerst jedoch wollte er den Spielern, die zusammen mit der Flinken Fanny den Trottel ausnahm, die Suppe versalzen. Er ging an den Tisch hinüber, an dem die Kartenhaie saßen und baute sich hinter dem Mann auf, von dem er wusste, dass er der Spielführer war. Der Bursche hieß Brody; sein Gesicht war von Alkohol und Opium verwüstet, und man kannte ihn in der ganzen Stadt als üblen und cholerischen Kotzbrocken. Natürlich passte es Brody nicht, dass plötzlich jemand von hinten in seine Karten schaute. Sein Kopf fuhr herum, er bleckte die Zähne.

Verpiss dich, Mann“, stieß er hervor. 

Bevor McQuarry antworten konnte, blickte auch der Trottel auf, den Brody und seine Komplizen abzockten. Er war blau wie ein Veilchen.

Ja, verdünnisieren Sie sich gefälligst.“ 

McQuarry war fassungslos. Da war er an den Spieltisch getreten, um einen ahnungslosen Blödian vor den schrägen Zügen dreier moderner Raubritter zu retten, und sein Schützling entpuppte sich als einer derjenigen, von denen Wilson Mizner stets behauptete, jede Sekunde werde einer von ihnen geboren: Ein Stiesel. Ein Schwachkopf. Ein Kerl, der es nicht anders verdient hatte.

Siehste?“ Brody und seine Komplizen grinsten McQuarry frech an. „Auch Mr. Alexander behagt es nicht, dass Sie mir über die Schulter schauen.“ 

Man sah Brody an, dass er Mühe hatte, sich über das dämliche Gehabe und die blasierte Aussprache Mr. Alexanders nicht kaputtzulachen, aber natürlich kam es ihm entgegen, dass der Blödling ihm die Stange hielt. Brody machte eine ungehaltene Handbewegung, als wolle er einen nervenden kleinen Köter verscheuchen. „Also machen Sie sich gefälligst vom Acker.“

Ja, machen Sie sich gefälligst vom Acker!“ Mr. Alexander schien dieser Satz sehr zu gefallen, denn seine Lache zeigte, dass er noch blöder war als McQuarry ihn eingeschätzt hatte. „Machen Sie sich vom Acker!“ 

Der junge, undisziplinierte Rick McQuarry vergangener Zeiten wäre vermutlich in diesem Moment um den Spieltisch herumgeflogen und hätte Mr. Alexander aus dem Anzug gestoßen. Doch der alte Rick McQuarry war nicht nur ab-, sondern auch aufgeklärt: Er wusste, dass es sich nicht lohnte, wochenlang in einer verwanzten Gefängniszelle zu hausen, um die Befriedigung zu verspüren, es einem Arsch mit Ohren gegeben zu haben. Er war vierzig – und mithin nicht mehr unsterblich, wie noch vor einem Jahr. Wenn man vierzig war, zählte jeder Tag, denn schon Morgen konnte das Leben zu Ende sein.

Deswegen nickte McQuarry nur und sagte: „Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Alexander. Werde zu Hause von unserer Begegnung zu rühmen wissen.“ Er wandte sich um und kehrte zum Tresen zurück, wo Ezra, der schwarze Keeper, ihn über den hochnäsigen neuen Gast aufklärte: Mr. Archibald Alexander junior war der einzige Sohn des Besitzers eines großen amerikanisch-britischen – oder umgekehrt – Importunternehmens.

Wie Ezra weiter ausführte, war Mr. Alexander in Begleitung Brodys vor zwei Stunden hier aufgetaucht. Er hatte zwei doppelte Whisky getrunken, und man hatte nach dem ersten große Mühe gehabt, ihn daran zu hindern, auf einen Stuhl zu steigen und den „Oh, Susannah“ zu singen. Außerdem hing er dem Glauben an, er befände sich tatsächlich in einem Casino. Wie der Kellner Abe aussagte, wunderte Mr. Alexander sich zwar ein wenig über die sich mehrheitlich in ihrer Unterwäsche auf den Sofas fläzenden Damen, doch hegte er kein Misstrauen gegen sie, da er fest davon überzeugt war, dass sie die aktuelle französische Mode vorführten. Außerdem hatte Mr. Alexander in seinem ganzen Leben noch nie das Wort Puff gehört. Er war, wie Ezra gehört hatte, in einem englischen Internat erzogen worden, und in englischen Wörterbüchern kam das Wort Puff nicht vor.

Woher weißt du das?“, fragte McQuarry verdutzt. „Warst du schon mal in England?“ 

Ezra schüttelte sein wolliges Haupt. „Nein, Sir, McQuarry. Aber ich nehm es an, denn es steht auch nicht in amerikanischen Wörterbüchern.“

McQuarry war baff erstaunt, denn er hatte Ezra nicht mal zugetraut, dass er lesen konnte. Aber man lernte halt nie aus.

Auch Mr. Alexander lernte offenbar nicht aus, denn plötzlich sprang er vom Spieltisch hoch und schrie: „Ich hab’s gesehen! Ich hab’s ganz deutlich gesehen! Sie haben eine Karte aus dem Ärmel gezogen!“ Sein rechter Zeigefinger deutete anklagend auf Brody.

Body reagierte mit der Nonchalance des eiskalten Profis. „Was soll das heißen, Kleiner? Nennst du mich etwa einen Falschspieler?“ 

McQuarry grinste schadenfroh und dachte: Jetzt hauen deine angeblichen Freunde dir was aufs Maul, du blöder Arsch. Er rieb sich die Hände und orderte noch ein Bier.

Ezra, der angesichts des drohenden Unheils wie gelähmt da stand, reagierte jedoch nicht, und an McQuarrys linkem Arm hing plötzlich ein Gewicht. Als er es sich anschauen wollte, stellte er fest, dass das Gewicht Gracie Delaney hieß, die blass und verzweifelt hauchte: „Gütiger Gott, McQuarry! Tu was! Wenn die den Jungen zusammenschlagen oder umlegen... Weißt du, wer er ist? Ich hab im Nu die Schmiere und eine Millionenklage seines Alten auf dem Hals! Dann kann ich den Laden hier dichtmachen.“

Es sah in der Tat so aus, als würde der Abend in einem Blutbad enden, denn Mr. Alexander wiederholte seinen Vorwurf nicht nur – er warf Brody auch vor, ein Betrüger zu sein.

Roarrrr! Brody sprang brüllend auf, und ebenso seine Genossen. Der Ton war vorgegeben. Jetzt würde das Böse sprechen.

Tu was, McQuarry, ich flehe dich an!“ Gracie riss völlig aufgelöst an seinem Ärmel, und McQuarry, den aufgrund seiner Schadenfreude eine große Erheiterung überkam, hörte sich unglaublicherweise fragen: „Was ich krieg ich dafür?“ 

Alles“, keuchte Gracie, die den Blick nicht von Mr. Alexander und den Kartenhaien abwenden konnte, die nun wie ein Mann ihre Derringer zückten. „Alles, was du willst!“ 

 „Na schön.“ McQuarry zog seinen Binder gerade und durchquerte mit flinken Schritten den Salon. Brody und seine Komplizen fuhren herum, als sie seine Schritte hörten. Völlige Fassungslosigkeit ließ sie das Gesicht verziehen, als McQuarry auf den Tisch zukam, an dem sie standen. Mochte er auch alt sein – er hatte einen gewissen Ruf. Im Rotlichtviertel von St. Louis wusste jeder, dass er früher als Revolvermann tätig gewesen war.  

Auch McQuarry war sich dessen bewusst. Allerdings hatte er in seiner wüsten Vergangenheit stets zwei Colts getragen. Diesmal steckte nur ein kleiner Derringer in seinem Ärmel. Deswegen war ihm auch klar, dass es Selbstmord war, sich mit drei Kartenhaien anzulegen, deren Derringer immerhin sechs Schuss aufs Tapet brachten.

Angesichts dieser Fakten konnte er nur eins tun, um ein Massaker zu verhindern: Er ignorierte die drei schäumenden Spieler, umrundete den Tisch, ließ seine Rechte blitzschnell zucken und schlug den Blödian mit einem trockenen Haken K.O. Mr. Alexander fiel wie ein Sack Bohnen nach hinten, schlug mit dem Hinterkopf auf die gewachsten Dielen und rührte sich nicht mehr.

McQuarry drehte sich zu den fassungslos starrenden Kartenhaien um und zuckte entschuldigend die Achseln.

Tut mir Leid, Jungs, aber an der Theke hatte ich ’ne Menge Zeit zum Nachdenken...“ Er hüstelte. „Ich glaub, der Kerl da...“ Er deutete auf den selig und besinnungslos vor sich hingrinsenden Mr. Alexander. „... hat mich beleidigt. So was kann ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen.“ Er winkte Ezra und Abe zu, die nun trotz ihrer schwarzen Haut eigenartig hell wirkten. „Setzt den Blödmann in ’ne Droschke. Der Kutscher soll ihn nach Hause fahren. Auf Kosten des Hauses natürlich...“ 

Natürlich war Mr. Alexander juristisch gesehen im Recht gewesen, aber im Casino de Paris kümmerte dies niemanden. Am wenigsten die Kartenhaie. Brody und seine Freunde rafften das Geld zusammen, das sie dem jungen Mann abgenommen hatten, spendierten eine Runde für die Damen und verdünnisierten sich.

Inzwischen füllte sich der Salon. Geschäftsleute und Politiker tauchten auf, setzen sich zu den Mädchen, bestellten Champagner und läuteten ihren privaten Feierabend ein. McQuarry stand wieder an der Theke und hielt Ausschau nach Gracie Delaney, um seine Belohnung einzufordern. Doch die listige Schlange hatte sich verdrückt, und so kam er zu der Erkenntnis, dass der Spruch „Undank ist der Welt Lohn“ der Wahrheit entsprach.

Zum Glück gehörte er jedoch nicht zu den Menschen, die niedergeschlagen reagieren, wenn sie feststellen, dass man sie geleimt hat. Er nahm an einem Tisch Platz, blätterte in einer Zeitung, nippte an einem Cognac und lernte kurz darauf eine hübsche Kreolin kennen, deren französischer Akzent echt war.

2.

 

Dumpfes Donnergrollen rollte über die Oxford Street dahin, als McQuarry am nächsten Morgen seine in der Yeggmen Alley liegende Wohnung verließ und zu dem alten Bürohaus schritt, in dem die Detektei Cox & Company untergebracht war.

In dem Bürosaal, den er durchqueren musste, um das von Milchglasscheiben umgebene Kabuff zu erreichen, in dem Mr. Cox residierte, lungerten seine Kollegen herum: Tom, Dick und Harry Smith, drei bürgerlich gekleidete Gentlemen mit buschigen Schnäuzern, Bowlerhüten und langen Mänteln, warteten darauf, dass ihre offizielle Arbeitszeit begann. Ihre Füße lagen auf den Platten ihrer Schreibtische. Sie lasen Zeitung. Keiner hatte sich die Mühe gemacht, Hut und Mantel abzulegen, doch man sah ihnen an, dass sie sich in ihrer geschniegelten Kluft nicht wohl fühlten.

Die Smith Brothers hatten früher als Marshals und Wegelagerer gearbeitet. Dass sie nun auf der Seite der Guten standen, hatte teils pekuniäre, teils andere Gründe – zum Beispiel den, dass Mr. Cox meinte, dass man Lumpen am besten mit Lumpen bekämpfte.

Wie geht’s Nancy?“, fragte McQuarry im Vorbeigehen Tom Smith, den jüngsten der Brüder. 

Tom ließ die Zeitung sinken. „Es ist eine Katastrophe, Rick! Es war schon wieder falscher Alarm! Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll! Der Name Smith wird aussterben!“