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Claudia Daeubner | Ernst Pavlovic

Kapital-
Killer
Konflikt

INDEX

Kapitalkiller Konflikt

Konflikte konkret

1. Emotionen, die kosten

2. Die Angst als Konfliktherd Nummer eins

3. Das Phänomen der Abstoßung

4. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

5. Der steinige Weg der Veränderung

6. Von Großvätern, Vätern und Söhnen

7. Kampf gegen Windmühlen

8. Wenn Berater ratlos werden

9. Kampf der Kulturen

10. Kampf der Geschlechter

11. Junge Greise und alte Jünglinge

12. Liebesgrüße aus Moskau

13. Ein ganz besonderer Saft

14. Take it or leave

15. Das Spiel über die Bande

16. Eine kleine Machtmusik

17. Der Weg in die Unabhängigkeit

18. Die Spirale des Schweigens

19. Wie ein Staatskonzern erfolgreich auseinander genommen wird

20. Keine Reklame für die Werbung

Kompetent Konflikte Knacken

Claudia Daeubner/Ernst Pavlovic

KAPITALKILLER KONFLIKT

20 Manager packen aus

Für Fragen und Anregungen:

Nachdruck 2012

© 2002 by Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter, Frankfurt/Wien

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: INIT, Büro für Gestaltung, Bielefeld

ISBN Print 978-3-86881-394-4

Konflikte konkret

Wer mit Managern über Konflikte sprechen will, in die sie persönlich verwickelt waren, braucht vor allem eines: Behutsamkeit und Zeit. Es ist nicht leicht, mit einem neugierigen Rechercheur, den man gerade erst kennen gelernt hat, über schwierige Situationen zu sprechen, die zum Teil selbst herbeigeführt oder deren mögliche Folgen zu spät erkannt wurden. Niemand gibt gern zu, dass Emotionen durchgingen, das nötige Repertoire an konfliktlösenden Werkzeugen fehlte oder der Ehrgeiz größer als die Erfahrung war.

Trotzdem waren alle Gesprächspartner bereit, mit vollem Namen zu ihrer Story zu stehen, auch wenn erlebte Konflikte erst kurz zurücklagen. Nur in einem Fall wurde der Interviewpartner anonymisiert, eine noch nicht ganz abgeschlossene Entwicklung in einem fusionierten Consultingunternehmen sollte nicht zusätzlich erschwert werden („Wenn Berater ratlos werden“, Seite 43). In einigen Fällen wurde auf Ersuchen der betroffenen Manager auf Firmennamen verzichtet, sie bieten aber so wie die überwiegende Anzahl der Beispiele von AEG über Baxter, Citibank, Gillette bis hin zu Honeywell u. Ä. Einblick in die Topetagen internationaler Konzerne, deren Erfolg so wie bei kleinen Familienunternehmen auch von der Fähigkeit und Bereitschaft abhängt, Kontroversen intelligent auszutragen und Sachkonflikte produktiv zu nutzen.

In einem waren sich alle Gesprächspartner einig: Konflikte sind nicht zu vermeiden, man kann nur lernen, besser mit ihnen umzugehen. Werden sie unterdrückt und fahren sich mit emotionalem Tiefgang fest, kosten sie Zeit und Nerven, und damit jede Menge Geld.

„Man sollte sich nie gegen den eigenen Bauch entscheiden.“

1 Emotionen, die kosten

Wenn in einem Unternehmen ein seit langem schwelender Konflikt zwischen Führungspersonen wie ein blockierter Geysir vergeblich auf seinen Ausbruch wartet und unter der Oberfläche von geschäftlichen Erfolgen zunehmend Druck aufbaut, ist die Eruption am Tag X umso verheerender. Eine unbedachte, emotionsgeladene Äußerung, und die Arbeit von Jahren ist verloren. Künftige Aktivitäten werden dann auf jenes karge Feld gezwungen, auf dem manche ihr halbes Leben lang arbeiten, um Zustände wiederherzustellen, die schon einmal erreicht worden sind – Reparatur statt Weiterentwicklung, Instandsetzen statt Fortkommen. Einziger Vorteil: Man kann daraus lernen.

„Ich hätte von Anfang an auf meinen Bauch hören sollen“, weiß heute Hans-Joachim Bäurle. Der grau melierte elegante Herr ist Berater des Schweizer Aufzug-Konzerns Schindler, für den er nach der Ostöffnung in den Reformstaaten Firma um Firma aufbaute.

Zuvor war er Mitglied des Vorstandes bei einem italienischen Klimatechnik-Multi mit Niederlassungen rund um die Welt. Das Verhältnis zwischen Bäurle und den Besitzern des Familienunternehmens war ausgezeichnet bis herzlich, Voraussetzung waren die guten Italienischkenntnisse des gebürtigen Münchners. Er hatte in Wien studiert und in der Firma seines Vaters dessen italienische Geschäftspartner betreut – so konnte er seinen Kenntnissen der Sprache der südlichen Nachbarn den letzten Schliff geben. Nachdem er anschließend als Geschäftsführer die österreichische Niederlassung des italienischen Klimatechnik-Konzerns aufgebaut hatte, übersiedelte er in die Zentrale nach Mailand, wo er als Vorstand für Marketing und Verkauf auf internationaler Ebene zuständig war. „Es gab keine offensichtliche Hierarchie, die Kommunikation war sehr emotional und von Vertrauen und Freundschaft geprägt.“

Das Unternehmen hatte „eine gute globale Präsenz“, war aber auf dem lukrativen Markt in Deutschland nicht vertreten. Eine maßgeschneiderte Herausforderung für Hans-Joachim Bäurle also, der als gebürtiger Deutscher wie kein anderer geeignet schien, diese Lücke auf dem europäischen Markt zu schließen. Er suchte mit Hilfe eines Headhunters einen Co-Geschäftsführer für die viel versprechende neue Tochter in München, da er seinen Vorstandspflichten weiterhin von Mailand aus nachkommen wollte. „Wir stießen auf einen Spezialisten, der für einen deutschen Mitbewerber tätig war.“ Der junge einheimische Fachmann war dort eine ehrgeizige Nummer zwei, wollte an die Spitze und griff mit beiden Händen zu, als ihm der neue Job angeboten wurde.

Der Start der Münchner Niederlassung entwickelte sich äußerst erfreulich, wobei der deutsche Co-Geschäftsführer Kunden und Aufträge wohl auch aus dem Pool seines vorangegangenen Arbeitgebers fischen konnte. Bäurle lebte mit seiner österreichischen Frau weiter in Mailand, besuchte dann und wann München, war viel auf Reisen und „ließ dem Partner in Bayern eine lange Leine“. Auch dessen Kontakte zur Familie des Besitzers in Mailand entwickelten sich mit Bäurles Unterstützung, wenngleich fortwährend eine gewisse Reserviertheit blieb – „der junge Deutsche konnte nur in seiner Muttersprache kommunizieren“. Er wurde zu Meetings eingeladen, nahm zunehmend am Konzernleben teil und „machte eine gute Figur, trotzdem war von seiner Seite stets eine gewisse Abwehrhaltung zu spüren“. Bäurle wurde mehr und mehr bewusst, dass zwischen ihm und seinem Partner die Chemie nicht stimmte. Er spürte die Distanz, diagnostizierte Neid und Eifersucht und vermutete, dass sein Kollege die Grenzen erkannte, die ihm durch mangelnde Kenntnis der Sprache und damit der italienischen Kultur und Lebensart gesetzt waren. „Ich beruhigte mich mit dem Argument, dass ich ihn ja nicht heiraten müsse.“ Außerdem entwickelte sich der deutsche Markt besser und besser, der Münchner arbeitete hart und die Italiener bewunderten ihn. „Das habe ich ihm wahrscheinlich zu wenig vermittelt“, weiß Bäurle heute, der Kollege könnte den Verdacht gehabt haben, dass die Lorbeeren in Mailand geerntet würden. „Ich war eine Art von Aufsichtsrat, der ihm ganz einfach lästig war.“

Inzwischen gab es ein halbes Dutzend Filialen in Deutschland, und Bäurle, der mit dem Näherrücken seines fünfzigsten Geburtstags immer öfter überlegte, ob er in seinen besten Jahren nicht genug von Mailänder Mode, Dom und Oper hatte, verspürte gemeinsam mit seiner Frau den dringlich werdenden Wunsch, nach Wien zurückzukehren. Die Heimkehr sollte allerdings über München führen, wo Bäurle einige Zeit neben seinem Partner, der für Technik und Vertrieb zuständig war, die kaufmännische Führung vor Ort besorgen sollte. Zumal die Aufgabe mit den sechs Niederlassungen gewachsen war und der Wettbewerb zunehmend härter wurde. Die Ankündigung seiner örtlichen Veränderung löste bei seinem Kollegen vorerst keine großen Kommentare aus, bis es zur entscheidenden Aussprache kam. Ab da war klar, dass der junge Geschäftsführer allein bleiben wollte und überdies ein Angebot eines US-amerikanischen Mitbewerbers in der Tasche hatte. Als Bäurle auf den Wunsch des Eigentümers verwies, die Sache wie geplant ab nächstem Jahr über die Bühne zu bringen, lenkte er letztlich ein.

Danach erbat sich Bäurle bei der italienischen Familie eine persönliche Auszeit und zog mit seiner Frau nach Wien. Gleichzeitig passierte in Deutschland Seltsames: Während immer weniger Aufträge einlangten, wanderten immer mehr Beschäftigte ab. Konnte man diese Entwicklung anfangs noch dem wachsenden Konkurrenzdruck oder einer schwierigeren Marktlage zuschreiben, war nach einiger Zeit klar, dass hier die generalstabsmäßige Strategie eines Masterminds dahinter steckte. Die Büros wurden zunehmend menschenleer, in Frankfurt war nicht einmal mehr eine Sekretärin zu erreichen. Der Notruf der Mailänder Zentrale erreichte Bäurle in Wien – Kunden gingen verloren, Aufträge wurden storniert, Gelder zurückgehalten: „Der deutsche Geschäftsführer vernichtet die Firma.“ Und der Verdacht lag nahe, dass in Absprache mit dem US-Konkurrenten Mitarbeiter und Kunden langsam die Firma wechseln sollten, um den Chef nachkommen zu lassen.

Der Showdown in München wurde unausweichlich, Bäurle stellte seinen Kollegen an einem frostigen Dezembertag zur Rede: „Was passiert hier im Haus? Stehlen Sie dem Konzern die Firma unterm Hintern weg?“ Der überrumpelte Kontrahent ging nicht näher auf solche Vorhaltungen ein und antwortete mit einem knappen: „Ich kündige.“ Es gibt Momente, die man wie in Zeitlupe immer wieder erlebt, in der die Szene wie in einem grobkörnigen Schwarzweißfilm von Mal zu Mal immer reduzierter und eindringlicher abläuft, entkleidet von unwichtigen Details und mit dem formatfüllenden Gesicht des Gegenübers vor Augen, dem man jene Antwort entgegenschleudert, für die man sich noch Jahre danach lieber die Zunge abgebissen hätte: „Sie sind entlassen!“

Denn das sind genau jene Sachverhalte, die von gut verdienenden Anwälten so geliebt werden. Statt den guten Mann ziehen zu lassen, die Scherben aufzukehren und zu retten, was zu retten war, gingen die Emotionen durch. „Ich wollte ihn bestrafen und die Felle zurückholen.“ Was dann folgte, waren jahrelange Streitereien vor dem Arbeitsgericht – Klagen gegen Entlassung und Rufschädigung auf der einen, Klagen wegen Geschäftsschädigung und unlauterem Wettbewerb auf der anderen Seite.

Dass sämtliche Verfahren verloren wurden, war noch das geringste Problem. „Rache im Geschäftsleben nützt niemandem und kostet nur Geld.“ Bäurle musste in München praktisch von null beginnen, die Glaubwürdigkeit der Firma wiederherstellen sowie Kunden und Lieferanten, die zwischenzeitlich die Köpfe eingezogen hatten, wieder überzeugen. Außerdem war seiner Frau klarzumachen, dass auf der Adresse des Haushaltes für die nächsten Jahre nicht Wien, sondern München stehen werde. „Es war die härteste Zeit meines Lebens.“ Was zuerst spielerisch von Mailand aus über die Bühne gehen sollte, war dann nur mehr mit doppeltem bis dreifachem Einsatz möglich. Fazit: „Man kann nichts halb machen, entweder man tut es ganz oder gar nicht.“

Nach fünf Jahren war schließlich die marktbeherrschende Stellung wieder geschafft, der US-Konkurrent samt übergelaufenem Geschäftsführer blieb bedeutungslos. Bäurle hatte alle seine Ziele erreicht, seinen Nachfolger aufgebaut und zog mit seiner Frau endgültig nach Wien. Dort trat er in den Schweizer Aufzug-Konzern Schindler ein, um von Budapest bis Warschau Niederlassungen zu gründen, wobei ihm die Lehren aus seinem Münchner Abenteuer zugute kamen. Er bewies durchweg eine gute Hand beim Engagement der Manager. „Man sollte sich bei der Auswahl nicht gegen den eigenen Bauch entscheiden und sich andererseits nie von Emotionen hinreißen lassen.“ Auch gute Leute brauchen Führung und Kontrolle, allerdings sollten Vorgesetzte so kommunizieren, dass nicht der Eindruck von Bespitzelung entsteht.

Dass auch noch so große Anstrengungen nur bescheidene Wirkungen in Bezug auf Nachhaltigkeit haben können, erfuhr Bäurle einige Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem italienischen Klimatechnik-Konzern. Der wurde schließlich in Bausch und Bogen von jenem US-Konzern übernommen, der als Konkurrent eine Tochter in Deutschland aufbauen wollte.

„Wer sich unentbehrlich machen will, wird zur Belastung der ganzen Organisation.“

2 Die Angst als Konfliktherd Nummer eins

Wer am Arbeitsplatz unter Ängsten leidet, ist meist unproduktiver, vertraut seiner Kreativität nicht mehr und entmachtet sich selbst. Etliche Betroffene igeln sich ein, blocken jede konstruktive Kritik ab und gelangen in die Spirale jener Entwicklung, vor deren Endpunkt sie sich am meisten fürchten: den Verlust des Arbeitsplatzes. Forscher der Fachhochschule Köln untersuchten den Preis der Angst: Der deutschen Wirtschaft entsteht durch Angst am Arbeitsplatz jährlich ein Schaden von 50 Milliarden Euro, hervorgerufen durch innere Kündigung, wochenlange Krankmeldungen, Mobbing, angstbedingte Fluktuation oder Flucht in Alkohol, Medikamente oder Drogen. Die Angst um den Arbeitsplatz verunsichert quer durch alle Hierarchien, vom Arbeiter bis zum Topmanager. Aus leitenden Angestellten werden oftmals leidende Vorgesetzte. Laut einer Studie nach drei Jahren Recherche und 1200 Interviews mit Mitarbeitern und Führungskräften steigt in der Regel die Angst, je besser ein Job dotiert ist („Kostenfaktor Angst“, Winfried Panse und Wolfgang Stegmann, Verlag Moderne Industrie, Landsberg/Lech).

Jacques Mertzanopoulos hat als Teilhaber der Consulting-Firma Arthur Hunt Einblick in die bedrückenden Umstände so manchen Jobverlustes in den Topetagen. „Besonders im fortgeschrittenen Alter wird die Angst groß, den Job zu verlieren, also wollen sich viele unersetzbar machen.“ Wie etwa der Bereichsleiter in einem deutschen Haushaltsgeräte-Konzern, der darauf bestand, alle Entscheidungen selbst zu treffen, und bewusst schwächere Mitarbeiter einstellte, um keine Kritiker oder potenziellen Nachfolger aufzubauen. Die Motivation seiner Leute vom Servicetechniker bis zum Werbechef sank parallel mit den zusehends schrumpfenden Marktanteilen der Geräte. Es war hoch an der Zeit, in Innovationen und Marketing zu investieren.

Der Bereichsleiter berichtete an einen langjährigen Freund, mit dem er zeitgleich zum Unternehmen gekommen war und der es bis in die Vorstandsebene geschafft hatte. Das war auch der Grund, warum zu Beginn der unerfreulichen Entwicklung tief greifende Reaktionen ausblieben. Mertzanopoulos: „Die Freundschaft wurde zum Problem. Man investierte fünf Jahre lang eine Menge Geld für Coaching-Maßnahmen, um Delegationsverhalten und Führungskompetenz des Bereichsleiters aufzurüsten.“ Der fühlte sich in der Sorge um seine Stellung aber nur bestätigt und baute weiterhin auf die persönliche Beziehung zur Führungsspitze. Bis es dem Vorstand zu viel wurde, denn schließlich kam auch seine eigene Position in Gefahr. Headhunter Mertzanopoulos bekam den Auftrag, einen Vertriebschef zu suchen, der mit kreativem Marketing frischen Wind in die Abteilung des störrischen Bereichsleiters bringen sollte. Es sollte dessen letzte Möglichkeit sein, das Steuer noch einmal herumzureißen und eine Kündigung zu vermeiden. „Er wollte oder konnte auch diese Chance nicht mehr nützen, wir bekamen für den gesuchten Mann nicht einmal ein Anforderungsprofil von ihm.“ Mertzanopoulos wurde trotzdem fündig und bekam vom Vorstand den Folgeauftrag, auch gleich einen neuen Bereichsleiter ausfindig zu machen.

Wer seinen Job gut macht und sich nicht um Dinge kümmert, die er ohnehin nicht beeinflussen kann, ist in der Regel automatisch sicher. Das beste Mittel im Kampf gegen die Angst, gekündigt zu werden, ist auf sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Auf lange Sicht ist es die falsche Strategie, niemanden hochkommen zu lassen. Für die vermeintliche Absicherung der Position gehen viel Zeit und Energie verloren.

„Wer sich unentbehrlich machen will, kapselt sich ab, wird unflexibel und zur Belastung für die ganze Organisation.“ Mertzanopoulos kennt etliche Beispiele, wie sich Betroffene an Kompetenzen klammern und sich dadurch noch tiefer in fatale Situationen manövrieren. So sollte die Vertriebsleiterin einer Spezialbank Teile ihrer regionalen Zuständigkeit abgeben, weil das Geschäftsvolumen ihre Kapazitätsgrenzen überschritten hatte. „Sie wäre trotzdem Chefin der gesamten Abteilung geblieben, wollte aber beide Aufgaben unbedingt weitermachen, um keinen potenziellen Nachfolger zuzulassen.“ Schließlich merkte sie, dass sie dank ihres Beharrungsvermögens auf der Abschussliste stand, „und ließ sich 5 vor 12 zum Betriebsrat wählen“. Damit wurde sie für Jahre unkündbar, und es kam wöchentlich mehrmals zu Kontroversen mit dem Vorstand, der versuchte, die Belegschaft über die Motive der Mitarbeiterin aufzuklären, um wenigstens eine Wiederwahl nach Ablauf der Funktionsperiode abzuwenden. Beide Parteien suchten Verbündete, manche Mitarbeiter hatten Bedenken, sich auf die Seite des Vorstandes zu stellen, manche verzichteten auf die Unterstützung des Betriebsrates, selbst wenn sie ein Anliegen vorbringen wollten. „Der gesamte Betrieb ist bis heute wie gelähmt, weder Führung noch Betriebsrat können agieren, und Arbeitnehmerinteressen können auch nicht mehr wahrgenommen werden.“

Ein gewaltiges Konfliktpotenzial schlummert auch in der Matrix-Organisation global tätiger Konzerne, wenn etwa Geschäftsführer und Regionalleiter einer Niederlassung getrennt an die Zentrale berichten, der Regionalleiter dem Geschäftsführer aber unterstellt ist. Die europäische Tochter einer US-Sportartikelfirma wurde seit 20 Jahren von einem erfahrenen Chef geleitet, der sich zusehends vom Erfolg seines jungen Regionalleiters für Osteuropa unter Druck gesetzt fühlte. Dessen Zuwächse waren zwar durch den Nachholbedarf der Reformländer leicht erklärbar, aber die unterschiedliche Dynamik in den Reports an die Konzernzentrale machte den gestandenen Boss doch nervös, zumal sein traditioneller westeuropäischer Markt so gut wie gesättigt war. Außerdem waren Marketingaktionen wie Streetball-Turniere in Ungarn ebenso erfolgreich wie kostengünstig, während diesseits der Grenzen die Ausrüstung von mehr oder weniger siegreichen Fußballmannschaften oder Werbekonzepte für rüstige Jogger nur wechselhaften Erfolg, aber dafür hohe Kosten einspielten. Der Chef schmetterte alle Vorschläge seines Nachfolgekandidaten ab, welche alternative Marketingkonzepte für den Heimmarkt vorsahen, schließlich war er schon länger im Geschäft. Das Match „MTV-Generation“ gegen „50-plus“ spitzte sich langsam, aber sicher zu, beide berichteten an die US-Zentrale mit zunehmend kritischen Anmerkungen über die Konzepte des jeweiligen Kollegen, bis die Kommunikation mit dem Partner schließlich vollends eingestellt wurde. „Der alte Geschäftsführer saß am längeren Ast und löste sich vom Konflikt, der junge Mitarbeiter resignierte und ging dem Unternehmen verloren“, erinnert sich Mertzanopoulos, dessen Beratungsunternehmen den Auftrag bekam, einen Nachfolger für den ehrgeizigen Regionalleiter zu suchen.

Bei etlichen Führungskräften steigert sich die Angst vor dem Jobverlust mit der Dimension des Kreditrahmens, den sie ausgeschöpft haben. Ein angemessener Lebensstil mit schmuckem Eigenheim, eventuelle Zahlungsverpflichtungen an die frühere Gattin oder teure Ausbildungskosten für die Kinder tragen nicht wesentlich zu einer unverkrampften Sicht über Sinn und Wert von Positionen bei. Als Mertzanopoulos einen frisch gekündigten Abteilungsleiter fragte, was die untere Schmerzgrenze beim Einkommen für ein neues Engagement in seiner Branche wäre, bekam er zur Antwort: „Genau 2.481 Euro.“ Das war die Summe, die zur Bedienung seiner monatlichen Kreditraten notwendig war. Die restlichen Kosten für den Lebensunterhalt konnte seine berufstätige Frau bestreiten.

„Wir brauchen hier keinen Cocktailschwinger!“

3 Das Phänomen der Abstoßung