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INHALT

BEWUSSTSEIN

Dem Geheimnis auf der Spur

Wie wird aus vielen Einzelempfindungen das subjektiv geschlossene Bewusstsein? An dieser Frage beißen sich Hirnforscher bislang die Zähne aus.

Die große Illusion

Laut dem Neurokonstruktivismus ist die Welt, wie wir sie sehen, nur ein Produkt des Gehirns. Aber was bedeutet das überhaupt?

INTERVIEW

»Wir suchen an der falschen Stelle«

Für den Philosophen Alva Noë entsteht Bewusstsein nicht im Gehirn – sondern zwischen Gehirnen!

Innenansichten der Psyche

Das Selbstbild des Menschen ist lückenhaft und vielfach verzerrt, sagen Psychologen. Mit etwas Übung komme man seinem Ich jedoch Stück für Stück näher.

LEIB-SEELE-PROBLEM

PORTRÄT

»Wir sind biologische Apparate«

Für den Philosophen John Searle ist das Rätsel der »Intentionalität« die Kernfrage der Neurophilosophie. Ein Besuch bei dem 82-Jährigen in Berkeley, Kalifornien.

Nur ein Haufen Neurone?

Reduktionisten haben einen schlechten Ruf. Dabei wollen sie doch nur komplizierte Phänomene aus einfachen Grundprinzipien herleiten.

KOMMENTAR

Mein Gehirn und ich

Vorsicht vor den Denkfallen des Leib-Seele-Problems!

PROFIL

Der Neurophilosoph

Michael Pauen im Porträt.

HIRNFORSCHUNG

Zoom in die Denkzentrale

Bildgebende Verfahren eröffnen tiefere Einblicke in die Arbeit unserer grauen Zellen. Eine Bestandsaufnahme der wichtigsten Methoden und ihrer Grenzen.

Vom Reiz zum Erleben

Die visuelle Wahrnehmung ist das wohl am besten erforschte neuronale System. Liegt in ihm womöglich der Schlüssel zum Bewusstsein?

Mut zur Lücke

Der Fluss der Dinge um uns herum erscheint kontinuierlich. Doch wie Studien zeigen, arbeitet das Gehirn eher wie eine Kamera: Es macht rund zehn Momentaufnahmen pro Sekunde.

NEUROKRITIK

INTERVIEW

»Mich wundert, wie zahm wir waren«

Das »Manifest der Hirnforschung« sorgte einst für hitzige Diskussionen über die Chancen und Grenzen des Fachs. Eine Bilanz.

Unter Verdacht

Übertriebene Versprechen, falscher Sprachgebrauch, fehlerhafte Methoden: Neurowissenschaftler stehen mehr denn je unter Beschuss. Wie lauten die Hauptvorwürfe – und was ist von ihnen zu halten?

9 Ideen für eine bessere Neurowissenschaft

Eine Gruppe Berliner Forscher verfasste ein Thesenpapier mit Vorschlägen für eine verlässlichere Hirnforschung von morgen.

WILLENSFREIHEIT

Die Wiederentdeckung des Willens

Einst machte der Neurophysiologe Bejamin Libet mit einer steilen These Furore: Das Gehirn entscheide, bevor die Person es tut. Neuere Experimente lassen an dieser Sichtweise zweifeln.

INTERVIEW

»Kein Grund zur Beunruhigung«

Das Handeln des Menschen ist determiniert – und trotzdem frei, erklärt der Neuropsychologe Christoph Herrmann.

Eine Welt ohne freien Willen?

»Ich kann nichts dafür, mein Gehirn ist schuld!« Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der man solche Aussagen gelten ließe?

Das große Ganze

In der persönlichen Lebensgestaltung sind wir freier denn je. Umso dringender stellt sich für viele die Frage nach dem Sinn des Lebens.

EDITORIAL

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Steve Ayan
Redakteur bei GuG
ayan@spektrum.de

Schnee von morgen

Das hab ich nicht wirklich getan, oder? Ungläubig blickte ich auf meine Hände, an denen noch Schneereste klebten, dann in das erzürnte Gesicht meiner Frau. Aus dem entspannten Winterspaziergang würde jetzt wohl nichts mehr werden – und ich war schuld. Warum musste ich ihr, die sich gerade in Schal und Mütze eingemummelt hatte, auch mit so einer fiesen Schneeballattacke zu Leibe rücken? Ich neige mitunter zu unüberlegten Aktionen. Aber konnte ich tatsächlich etwas dafür? War es nicht vielmehr der mangelnden Impulshemmung meines Gehirns zuzuschreiben?

Um nicht noch mehr Ärger auf mich zu ziehen, strengte ich lieber keine Diskussion über die Willensfreiheit im Licht der Neurobiologie an. Aber mal ehrlich: Wäre es manchmal nicht schon beruhigend, ja geradezu befreiend, wenn einfach niemand für irgendetwas was könnte? Die Psychologen Azim Shariff und Kathleen Vohs trieben diesen Gedanken auf die Spitze und testeten ihn in Experimenten. Was dabei herauskam, berichten sie ab S. 129.

In diesem zweiten Heft unserer GuG-Reihe »Rätsel Mensch« dreht sich alles um Bewusstsein und Willensfreiheit – für viele die faszinierendsten Probleme der Hirnforschung und Philosophie. John Searle, der 82-jährige Denker von der University of Berkeley (Kalifornien), brütet darüber schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Er beklagt, dass auf diesem Gebiet immer noch »viel Unsinn« geredet werde. Ich hoffe, diese Ausgabe hilft Ihnen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Hier versammelt finden Sie die wichtigsten Beiträge aus GuG und »Spektrum der Wissenschaft« über die Erforschung des menschlichen Bewusstseins, über unsere Fähigkeit zur Selbsterkenntnis sowie zur Debatte über den freien Willen. Den Thesen mancher Hirnforscher, die Letzteren schon mitsamt den Ideen von Schuld und Verantwortung für widerlegt erklärten, halten Neuroskeptiker einen sprach- und methodenkritischen Spiegel vor – zu Recht, wie ich finde. Selbsterkenntnis scheint auch in der Forschung der sicherste Weg zur Besserung zu sein.

Nur weil ich meine Schneeballschuld damals einsah, wurde am Ende wieder alles gut. Das – und die Zusammenstellung dieses Hefts – haben mich zum selben Schluss geführt, den auch Shariff und Vohs am Ende ihres Beitrags ziehen: Wenn es den freien Willen nicht gäbe, müsste man ihn morgen gleich neu erfinden.

Eine spannende Lektüre wünscht

Ihr

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Dem Geheimnis auf der Spur

Wie wir unsere geistigen Vorgänge und Zustände subjektiv erleben, gibt Hirnforschern nach wie vor Rätsel auf. Sie suchen nach den neuronalen Grundlagen und entwickeln gemeinsam mit Philosophen Modelle darüber, wie wir einzelne Empfindungen und Gedanken zu bewussten Vorstellungen verknüpfen.

VON TOBIAS SCHLICHT

AUF EINEN BLICK

Annäherung an ein Rätsel

1

Noch weiß niemand, wie Bewusstsein entsteht. Mehrheitlich sind Philosophen wie Naturwissenschaftler jedoch der Ansicht, dass es sich um ein biologisches Phänomen handelt.

2

Philosophen unterscheiden verschiedene Merkmale bewusster Erlebnisse, wie ihren repräsentationalen Gehalt, ihre Subjektivität und ihre phänomenale Einheit.

3

Hirnforscher suchen nach Zusammenhängen zwischen diesen Merkmalen und neuronalen Vorgängen. Allerdings ist fraglich, ob sich Erkenntnisse über die beteiligten Hirnregionen zu einer Theorie des Bewusstseins ausweiten lassen.

Sie liegen am Strand, einen Cocktail in der Hand – Entspannung pur, es könnte nicht angenehmer sein. Doch dann wachen Sie auf. Es war nur ein Traum! Es ist früher Morgen, Sonnenlicht flutet durchs Fenster und blendet Sie. Zum Glück steht schon der Kaffee an Ihrem Bett, und sein Duft hebt Ihre Stimmung. Bis Sie merken, dass Sie Ihren linken Arm nicht heben können – Sie haben zu lange daraufgelegen. Dann kommen Ihnen in rascher Folge anstehende Termine in den Sinn. Den Gedanken daran überlagert die Vorstellung, wie schön es doch wäre, jetzt wirklich am Strand zu liegen und nicht ins Büro zu müssen …

Diese Szene enthält zahlreiche Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken mit Merkmalen, die charakteristisch für das Bewusstsein sind. So haben sie jeweils eine bestimmte Qualität, durch die sie sich voneinander unterscheiden: Den Kaffeeduft empfinden Sie anders als die Taubheit im Arm. Die Wahrnehmungen sind jeweils auf unterschiedliche Gegenstände in Ihrer Umgebung gerichtet, haben also einen »repräsentationalen Gehalt«. Dabei ist all Ihren Vorstellungen eines gemeinsam: Nur Sie selbst wissen, wie es ist, sie zu haben oder sich darin zu befinden. Dieses Gefühl der Meinigkeit macht Ihre Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken auf einzigartige Weise subjektiv, ja privat.

Außerdem werden Ihnen die Einzelheiten nicht isoliert voneinander bewusst, sondern als Elemente einer einzigen globalen und einheitlichen Vorstellung, wie das Timothy Bayne von der University of Oxford dargelegt hat. Thomas Metzinger von der Universität Mainz beschreibt das Bewusstsein entsprechend als das »Erscheinen einer Welt«, die in sich stark differenziert und in ständigem Wandel begriffen ist. Allein Ihre Aufmerksamkeit bestimmt, welche Elemente hervorgehoben sind und welche nicht, welche ins Unbewusste absinken oder daraus auftauchen. Damit einher geht der mal mehr, mal weniger starke Eindruck eines grundlegenden, unveränderlichen Selbstgefühls: Sie empfinden sich als einzelnes, beständiges und in dieser Welt verankertes Subjekt von Vorstellungen, als Protagonist. All das – die unterschiedlichen Qualitäten, der repräsentationale Gehalt, die Subjektivität und Meinigkeit sowie die phänomenale Einheit Ihrer Vorstellungen zusammen mit dem Selbstgefühl – sind wesentliche Merkmale des Bewusstseins, die eine philosophische Theorie erfassen und verständlich machen sollte.

Doch charakterisieren wir nicht nur Vorstellungen als »bewusst«. So sagen wir etwa: »Dieser Patient ist bei Bewusstsein.« Hier bezeichnet das Wort eine variable Verfassung, in der sich ein ganzer Organismus befindet. Diese kann graduell verschiedene Manifestationen annehmen – vom tiefen Koma über den so genannten vegetativen Zustand und durch Anästhesie ausgelöste Dämmerzustände sowie das Träumen bis hin zum vollen Wachbewusstsein. Der jeweilige globale Zustand des Organismus, den man auch als Hintergrundbewusstsein bezeichnen kann, bestimmt die Palette der möglichen Vorstellungen, die das Lebewesen haben kann. Im Koma sind das offensichtlich weniger, als wenn man wach ist. Umgekehrt beeinflussen einzelne Vorstellungen das Hintergrundbewusstsein, etwa durch emotionale Tönung. Auch dies muss eine philosophische Theorie des Bewusstseins abdecken.

All die geschilderten Merkmale machen das Bewusstsein zu einem der letzten großen Rätsel der Menschheit – neben der Entstehung des Universums und des Lebens. Wie es zu Stande kommt und sich in die menschliche Natur einfügt, sind Fragen, auf die es nach Überzeugung von etlichen meiner Kollegen nie eine Antwort geben wird. Aber Philosophen interessieren sich nicht als Einzige für das Bewusstsein. In den letzten Jahrzehnten ist es zum Gegenstand einer empirischen Wissenschaft geworden, in deren Zentrum die Hirnforschung steht. Diese hat mit rasantem Tempo neue Einsichten geliefert, die uns dem Ziel, den »neuronalen Kode« bewusster Vorstellungen im Gehirn zu entschlüsseln, immer näher zu bringen scheinen.

Im »Manifest der Hirnforschung«, das 2004 in GuG erschien, vertraten elf Neurowissenschaftler die Ansicht, man könne »in den nächsten 20 bis 30 Jahren den Zusammenhang zwischen neuroelektrischen und neurochemischen Prozessen einerseits und perzeptiven, kognitiven, psychischen und motorischen Leistungen andererseits … erklären«. Diese Prognose unterschätzt jedoch die noch vorhandenen großen Wissenslücken auf der Ebene von Hirnprozessen, etwa bei der Funktionsweise größerer Zellverbände. Hinzu kommt eine prinzipielle Erklärungslücke: Wir verstehen nicht, wie aus objektiv messbaren neuronalen Vorgängen das subjektive bewusste Erleben hervorgehen soll. Warum nehmen wir die Aktivität bestimmter Nervenzellen als Schmerzgefühl oder Farbeindruck wahr?

Trotz unterschiedlicher Bewertung der Zukunftsperspektiven und begrifflicher Auseinandersetzungen stimmen viele Philosophen, Hirnforscher, Psychiater, Psychologen, Biologen und Physiker aber heute darin überein, dass das Bewusstsein keiner immateriellen, rein geistigen Sphäre angehört, sondern ein biologisches Phänomen ist. Offen bleibt nur, wie es zu Stande kommt sowie ob und auf welchem Weg sich die zu Grunde liegenden Vorgänge aufklären und verstehen lassen. Hierbei vertreten die meisten Experten einen gemäßigten Materialismus, wonach eine bloße Reduktion des Mentalen auf physikalisch-chemische Prozesse zu kurz greift. Vielmehr können auf höheren Komplexitätsebenen jeweils genuin neue, nicht reduzierbare Eigenschaften hinzukommen.

Die Grundannahme lautet also: Bewusstsein ist an ein funktionierendes Nervensystem gebunden und entsteht als höherstufiges biologisches Phänomen aus neuronalen Prozessen. Dafür sprechen im Übrigen auch medizinische Befunde, denen zufolge das Bewusstsein bei Gehirnschäden komplett oder teilweise ausfallen kann. Sein »neuronales Korrelat« aufzuspüren, ist mithin ein Hauptziel der Hirnforscher: Sie wollen zentrale Merkmale bewusster Erlebnisse wie die oben genannten mehr oder weniger konkreten Gehirnprozessen zuordnen können, das heißt die ihnen zu Grunde liegenden neuronalen Substrate finden. Dabei helfen bildgebende Verfahren, aber auch invasive Methoden – etwa die Messung der elektrischen Aktivität einzelner Neurone bei Affen. Eine weitere Möglichkeit ist, bestimmte Stellen im Gehirn gezielt zu stimulieren und die Folgen zu beobachten.

Worin könnte das neuronale Korrelat des Bewusstseins bestehen? Die einen vermuten es in bestimmten Hirnregionen – auf der Ebene einzelner Neurone oder in größeren Populationen. Für andere steckt es in gewissen neuronalen Vorgängen. Beide Sichtweisen schließen einander jedoch nicht aus, sondern lassen sich kombinieren. Ein generelles Problem ist aber, dass stets auch unbewusste mit bewussten Vorgängen verwoben sind. Wird etwa ein Gegenstand nur ganz kurz präsentiert, nehmen wir ihn nicht bewusst wahr; dennoch verarbeitet das Gehirn Informationen über ihn, die dann auch unser Verhalten beeinflussen. Neuronale Vorgänge, die zum Bewusstsein beitragen, lassen sich von anderen also nicht leicht trennen.

Deshalb untersuchen viele Forscher die Frage, was eine einzelne bewusste Vorstellung wie das Sehen eines bestimmten Gegenstands von einer unbewussten unterscheidet. Dazu präsentieren sie zum Beispiel rechtem und linkem Auge einer Versuchsperson unterschiedliche Bilder, die auf getrennten Wegen im Gehirn verarbeitet werden. Verblüffenderweise nehmen die Probanden dann nicht beide zugleich bewusst wahr, sondern abwechselnd mal das rechte, mal das linke. Parallel dazu alterniert trotz konstantem Reiz auch die neuronale Aktivität in der Sehrinde. Dieses Phänomen wird als binokulare Rivalität bezeichnet.

Ausgeklügelte Experimente wie dieses ergaben zahlreiche Hinweise auf die Grundlagen einzelner bewusster Wahrnehmungen. Das visuelle System der Primaten besteht demnach aus mehreren hoch spezialisierten Regionen, die Form, Farbe, Ort, Orientierung, Bewegung und so weiter eines wahrgenommenen Objekts getrennt voneinander verarbeiten. Neurone in der Region MT/V5 reagieren zum Beispiel vornehmlich auf den Aspekt der Bewegung.

Dieser weit verbreitete »atomistische« Forschungsansatz beruht auf der Annahme, das neuronale Korrelat des Bewusstseins lasse sich Schritt für Schritt zusammensetzen. Wenn man also etwa herausgefunden hat, welche neuronalen Vorgänge die Wahrnehmung von Bewegung, Farbe und so weiter vermitteln, besteht die Hoffnung, durch ihre Kombination zu dem Korrelat aller visuellen Wahrnehmungen und schließlich aller Sinnesmodalitäten zu gelangen. Am Ende könnte man das auf diese Weise erhaltene komplexe neuronale Aktivitätsmuster mit der bewussten Wahrnehmung gleichsetzen.

Aber Vorsicht! Ob man in einer philosophischen Theorie den neuronalen mit dem bewussten Vorgang gleichsetzt oder weiterhin von zwei getrennten Phänomenen ausgeht, die nur miteinander zusammenhängen, ist nicht mehr Gegenstand der Messung, sondern eine Frage der Interpretation. Außerdem wird bei solchen Tests vorausgesetzt, dass Menschen alles, was ihnen bewusst ist, auch mitteilen können. Ob das stimmt, ist stark umstritten (siehe »Binokulare Rivalität im Selbstversuch«).

Problematisch an diesem Ansatz ist auch die Annahme, dass die Einzelerlebnisse – etwa die Wahrnehmung eines sich bewegenden Objekts, ein Schmerzgefühl und ein Geschmackseindruck – zunächst isoliert voneinander bewusst werden und erst in einem zweiten Schritt die Bündelung zu einer gemeinsamen Vorstellung erfolgt. Tatsächlich existieren keinerlei Hinweise auf einen solchen Mechanismus, auch keine indirekten auf Grund pathologischer Ausfälle. Francis H. Crick (1916–2004) und Christof Koch vom California Institute of Technology in Pasadena stellten Anfang der 1990er Jahre die viel diskutierte Hypothese auf, dass die Bündelung der unterschiedlichen Aspekte eines Sinneseindrucks durch neuronale Oszillationen mit einer Frequenz von 40 bis 70 Hertz Bewusstsein erzeuge. Wie sich erwies, erklärt dieser Mechanismus jedoch nur die Konstruktion neuronaler Repräsentationen von Objekten – unabhängig davon, ob sie dann auch bewusst wahrgenommen werden.

Der atomistische Ansatz, dem Korrelat des Bewusstseins auf die Spur zu kommen, leidet generell unter seinem begrenzten Blickwinkel. So ignoriert er die Rolle der jeweils anderen Gehirnregionen für einzelne Vorstellungen. Wenn sich ein bestimmtes Areal als zuständig für die Wahrnehmung von Bewegungen herausstellt, heißt das ja keineswegs, dass der Rest des Gehirns dafür völlig unerheblich wäre. Niemand würde ernsthaft behaupten, eine in einem Reagenzglas aufbewahrte und mit Hilfe eines Computers angemessen stimulierte Region MT/V5 würde plötzlich eine subjektiv erlebte Wahrnehmung von Bewegung produzieren.

Das gilt analog für alle anderen spezialisierten Neurone und Areale des Gehirns. Da nur ein Lebewesen, das bei Bewusstsein ist – und nicht etwa im betäubten oder komatösen Zustand –, ein Objekt bewusst wahrnehmen kann, muss jedes spezifische Korrelat einer Sinneswahrnehmung im Kontext eines vollständigen Korrelats des Bewusstseins betrachtet werden. Dazu taugt der atomistische Ansatz aber nicht, zumal er weder Subjektivität und Meinigkeit noch phänomenale Einheit und Selbstgefühl einbezieht. Angemessener scheint darum ein alternatives Modell, das empirische Befunde und theoretische Annahmen diverser Forscher zusammenführt.

 

 

Dieses Modell geht vom Hintergrundbewusstsein aus, das die Voraussetzung für jedes spezifischere Bewusstsein von besonderen Inhalten bildet. Zu ihm gehören zum Beispiel die Merkmale Subjektivität und Meinigkeit, die allen Vorstellungen gemeinsam sind – im Gegensatz etwa zur Qualität, die eine Vorstellung von einer anderen unterscheidet. Demnach sollte das neuronale Korrelat des Hintergrundbewusstseins diejenigen Hirnstrukturen umfassen, die bei allen bewussten Vorstellungen gleichermaßen aktiviert werden. Mit anderen Worten: Es handelt sich um denjenigen Teil des vollständigen neuronalen Korrelats des Bewusstseins, der nicht zu einem spezifischen Bewusstseinsinhalt gehört, sondern an allen bewussten Vorstellungen beteiligt ist.

Seinen Sitz hat das Hintergrundbewusstsein vermutlich in stammesgeschichtlich älteren Hirnstrukturen, die der Aufrechterhaltung des Bewusstseins überhaupt dienen und somit das »bewusste« vom »unbewussten Gehirn« unterscheiden helfen, wie es der Philosoph John R. Searle von der University of California in Berkeley ausdrückt (siehe auch das Interview in diesem Heft).

Diese Strukturen, insbesondere bestimmte Hirnstammkerne und der Hypothalamus, lassen sich indirekt über Gehirnschädigungen ermitteln, nach denen das bewusste Erleben größtenteils oder vollständig ausfällt. Auf der Basis solcher Untersuchungen hat Antonio Damasio von der University of Southern California in Los Angeles die betreffenden unterhalb der Großhirnrinde liegenden Regionen metaphorisch unter dem Begriff der »Proto-Selbst«-Strukturen zusammengefasst.

Ihre Funktion besteht nach Ansicht des Forschers darin, den körperlichen Zustand des gesamten Organismus zu überwachen und derart zu regulieren, dass sein »homöostatisches Gleichgewicht« aufrechterhalten bleibt – dass also alle in ihm ablaufenden Prozesse in einem gewissen Rahmen bleiben, was sein Überleben ermöglicht. Folglich unterstützen diese Strukturen laut Damasio ein noch unbewusstes biologisches Selbst, das die Grundlage von Subjektivität und Selbstgefühl bildet.

Unser Körper trägt gleichfalls in vielfältiger Weise zu unserer bewussten Wahrnehmung bei. Dieser Aspekt erhält in neueren Debatten und Untersuchungen wieder stärkeres Gewicht. Nach Auffassung des Philosophen Alva Noë (siehe Interview ab S. 28) von der University of California in Berkeley sorgt der Körper für die egozentrische Perspektive, die wir innerhalb unserer Umgebung innehaben: Unsere jeweilige Position und Kopfhaltung bestimmen, wie wir einen Gegenstand sehen; um eine andere Perspektive einzunehmen, müssen wir uns bewegen. Der Körper dient sozusagen auch als Sinnesorgan, insofern er uns jederzeit über die Stellung unserer Gliedmaßen informiert. Zugleich vermittelt und prägt er unser Selbstbild und Ichgefühl.

Jede Interaktion des Organismus mit einem Objekt der Außenwelt lässt sich laut Damasio als Störung des homöostatischen Gleichgewichts deuten. Es veranlasst das Gehirn zu Gegenreaktionen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen – was wir als emotionale Effekte erleben. Nach Ansicht Damasios verknüpfen Rückkopplungsprozesse die Objektrepräsentationen im Gehirn mit den Proto-Selbst-Strukturen zu umfassenderen neuronalen Verschaltungen und machen sie so zu bewussten Objektwahrnehmungen.

Zwar beantwortet diese Hypothese noch nicht die schwierige Frage, wie und warum das bewusste Erleben überhaupt entsteht; vielleicht lässt sich das prinzipiell nicht empirisch klären. Aber sie liefert eine plausible Deutung des komplexen Zusammenhangs zwischen Objekt- und Körperrepräsentation einerseits und Subjektivität und Selbstgefühl des bewussten Organismus andererseits.

Bei diesen verschiedenen Ansätzen geht es darum, die Aspekte Qualität, Hintergrundbewusstsein, Subjektivität und Selbstgefühl zu erfassen. Die große Frage aber lautet schlussendlich: Wie kommt die phänomenale Einheit zu Stande? Die Annahme, dass spezifische Vorstellungen zunächst isoliert voneinander bewusst werden und dann erst zu einer globalen Vorstellung verschmelzen, haben wir bereits verworfen.

 

Vieles spricht dafür, dass stattdessen ein zunächst unbewusster Prozess der Informationsverarbeitung – etwa eine Aktivierung in MT/V5 – immer dann zu einer vom Subjekt bewusst erlebten Vorstellung avanciert, wenn sein spezifisches Korrelat in jenen bereits bestehenden Basisschaltkreis integriert wird, der dem globalen bewussten Zustand des Subjekts zu Grunde liegt. Dann modifiziert die mit diesem spezifischen neuronalen Korrelat einer einzelnen Wahrnehmung verbundene Qualität die gesamte bewusste Erfahrung des Organismus.

Diese Grundidee vermeidet zahlreiche Probleme anderer Theorien, zum Beispiel von Varianten des Repräsentationalismus (siehe »Theorien des Bewusstseins«), und findet sich im Übrigen schon bei Immanuel Kant (1724–1804). Aber gibt es auch empirische Belege dafür? Wie könnte dieser Integrationsprozess im Gehirn realisiert sein? Interessante Antworten darauf haben Damasio, Gerald M. Edelman vom Neurosciences Institute in San Diego und Giulio Tononi von der University of Wisconsin in Madison geliefert. Entscheidend für das Erscheinen einer inhaltsreichen Bewusstseinswelt ist ihren Untersuchungen zufolge das so genannte thalamokortikale System, bestehend aus der Großhirnrinde und Teilen des Zwischenhirns. Es bietet günstige Bedingungen für Rückkopplungsschleifen, die auch eine Verbindung zwischen Neuronen in relativ weit voneinander entfernten Regionen herstellen können.

So erzeugt dieses System ein »dynamisches Kerngefüge« aus miteinander verschalteten Nervenzellen, das sich beständig wandelt. Es repräsentiert dabei eine globale Vorstellung mit hohem Informationsgehalt, die viele Aspekte des Bewusstseins integriert. In das betreffende Netzwerk können jederzeit spezifische Vorstellungen als qualitative Modifikationen eingebunden werden, während andere ausscheiden und dadurch ins Unbewusste absinken. Dieses Modell steht auch im Einklang mit Kochs Hypothese, dass neuronale Gruppen, die verschiedene Inhalte kodieren, miteinander um den »Eintritt« ins Bewusstsein konkurrieren: Diejenigen, die stärker vernetzt und mithin besser integriert sind, machen das Rennen.

Anatomisch sind drei Systeme von zentraler Bedeutung für das Bewusstsein. Hirnstammkerne und Hypothalamus (1) signalisieren der Großhirnrinde (2) den Grundzustand wie Koma, Schlaf oder Wachsein. Dieser bestimmt, ob spezifische Informationsverarbeitungen – etwa in der Region MT/V5 – überhaupt in den globalen Bewusstseinszustand des Organismus eingebunden, das heißt bewusst erlebt werden können. Dabei dient der Thalamus (3) als Relaisstation, die durch Rückkopplungen mit der Großhirnrinde Informationen über den Zustand des Organismus mit Objektinformationen vernetzt.

Jedes spezifische Korrelat, etwa für die Wahrnehmung eines Hauses, muss in das dynamische Kerngefüge integriert werden, damit die zugehörige Vorstellung dem Subjekt bewusst werden kann. Daher lässt sich die Wahrnehmung eines Hauses nicht isoliert von anderen Vorstellungen betrachten, sondern nur als eines von vielen Elementen einer globalen, einheitlichen Vorstellung. Darin unterscheidet sich das skizzierte Modell wesentlich vom atomistischen Ansatz. Durch die Aktivierung der mit dem dynamischen Kerngefüge verbundenen Proto-Selbst-Strukturen wird die eingebundene Wahrnehmung vom Organismus subjektiv als die seine erlebt.

 

Bewusstsein basiert demnach auf einem höchst komplexen Aktivierungszustand, der weite Teile des Gehirns einbezieht. Dies scheint auch plausibel, wenn wir die neuronale Architektur unseres Denkorgans betrachten und uns vergegenwärtigen, welche Fülle an Erscheinungen in ihm verarbeitet und unserem geistigen Auge zugänglich gemacht wird.

Die Stärke des skizzierten Modells besteht darin, dass es wesentliche Merkmale des Bewusstseins – Qualität, Subjektivität, Meinigkeit, Selbstgefühl und Hintergrundbewusstsein – berücksichtigt und zugleich mit empirischen Befunden in Einklang steht. Zweifellos hat es noch viele Lücken. Doch zeigt es auch Wege auf, diese Lücken zu schließen und so letztlich nachvollziehbar zu machen, wie unterschiedliche Qualitäten einzelner Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken zu einer einheitlichen Vorstellung verschmelzen können, die der Organismus als seine ureigene erlebt.

Tobias Schlicht ist Professor für Philosophie des Bewusstseins und der Kognition an der Ruhr-Universität Bochum. Dort leitet er eine Nachwuchsforschergruppe zum Thema »Intentionalität, Selbstbewusstsein und soziale Interaktion«. Sein Philosophiestudium in Köln und London schloss Schlicht 2005 mit einer Promotion zu Bewusstseinstheorien ab. Zwischenzeitlich war er am philosophischen Seminar und am Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) an der Universität Tübingen tätig.

 

 

Sind Wachkomapatienten bei Bewusstsein?

Patienten im vegetativen Zustand sind zwar wach, zeigen aber keine Anzeichen von Bewusstsein. Falls sie dennoch etwas bewusst erleben sollten, vermögen sie es nicht mitzuteilen. Andere könnten normalerweise jedoch nur über eine sprachliche Äußerung oder zumindest eine Bewegung – beispielsweise einen Knopfdruck – davon erfahren. Nach Ansicht einiger Hirnforscher – darunter Stanislas Dehaene vom Collège de France in Paris – hat das Bewusstsein deshalb zwangsläufig auch eine kognitive Komponente, die mentale Inhalte an das Sprachzentrum oder die motorischen Areale übermittelt.

Obwohl diese in der Regel gemeinsam mit dem Erlebnisaspekt auftritt (Sie fühlen den Schmerz in Ihrer Hand und ziehen sie im selben Moment von der heißen Herdplatte weg), stellte der US-amerikanische Philosoph Ned Block von der New York University die Hypothese auf, Personen könnten sehr wohl Dinge bewusst erleben, ohne dass ihnen die subjektiv erfahrenen Inhalte kognitiv zugänglich wären. Sie könnten von ihren eigenen bewussten Inhalten also selbst nichts wissen und auch dann nichts darüber berichten, wenn ihre Sprachfähigkeit intakt wäre. Daher hätte auch ein Außenstehender keine Chance, festzustellen, ob diese Person mentale Inhalte bewusst erlebt oder nicht.