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Über dieses Buch:

Wenn Nik eines nicht ist, dann „ein ganz normaler Junge“. As er acht Jahre alt war, kam sein Vater auf mysteriöse Art ums Leben. Nik weiß, dass es niederträchtiger Mord war. Und er kennt nur noch ein Ziel: Er will seinen Vater rächen. Durch einen Zufall kommt Nik einer Serie von Entführungen auf die Spur …

Über den Autor:

Thomas Christos ist das Pseudonym des erfolgreichen Autors Christos Yiannopoulos. Geboren 1957 in Patras (Griechenland), hat er nach dem Studium Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. Heute lebt er in Düsseldorf.

Ebenfalls bei jumpbooks erschienen Thomas Christos‘ Kinderbücher Im Reich der Toten. Niks zweiter Fall und Die Rosenkohlbande.

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eBook-Neuausgabe 2016

Copyright © der Originalausgabe © 2009 Fischer Taschenbuch Verlag in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Foto © THOR / geishaboy500 (www.flickr.com/photos/geishaboy500/2915154084/in/album-72157607724308547/); Bearbeitung © Tanja Winkler

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-010-7

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Thomas Christos

Pakt mit dem Bösen

Niks erster Fall

jumpbooks

Für Linos & Nikos

Der Anfang

Es gibt Menschen, die haben zwei Leben.

Nik Mallory war einer davon. Sein erstes Leben dauerte acht Jahre und endete an einem Freitagabend. Wie üblich wollte Nik vor dem Schlafengehen seinem Vater gute Nacht sagen. Der saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und blickte durch eine starke Lupe. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er Nik zunächst nicht bemerkte. Es war ein Foto, das seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, genauer gesagt, eine Luftaufnahme. Nik erkannte mehrere Gebäude und einen Wachturm. Einige Stellen darauf waren farbig markiert.

»Papa, wer hat das Bild geschossen? Ein Spionagesatellit?«

»Wirst du wohl …? Das ist topsecret!«

Herr Mallory nahm das Bild und drehte es um.

»Nie darf ich wissen, woran du gerade arbeitest!«

Einerseits fand Nik es cool, dass sein Vater Agent beim Bundeskriminalamt war, andererseits war es ziemlich blöd, weil er nie etwas von seiner Arbeit erzählte.

Herr Mallory schaute Nik in die Augen.

»Du kennst doch die Spielregeln, Nik?«

»Du darfst zu laufenden Ermittlungen nichts sagen!«

»Korrekt. Und du willst doch mal ein guter Polizist werden, oder?«

»Genau wie du, Papa!«

Herr Mallory hielt die flache Hand hin und Nik schlug ein. Und schon war wieder alles im Lot zwischen den beiden. Sie wussten, was sie aneinander hatten. Insbesondere seit Niks Mutter vor einem halben Jahr bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

»Aber wenn du den Fall gelöst hast, wirst du mir dann das Geheimnis von diesem Foto verraten?«

»Versprochen. Und es sieht so aus, als wenn du nicht allzu lange darauf warten müsstest. Ich brauche nur noch ein paar Details von einem Informanten. Aber jetzt wird es Zeit für dich, Nik!«

Eine halbe Stunde später lag Nik in seinem Bett und träumte seinen Lieblingstraum. Er war Agent und jagte Verbrecher. Gerade als er die Verfolgung eines maskierten Mannes aufnehmen wollte, wachte er auf. Es hatte geschellt. Um diese Zeit? Wer konnte das sein? Nik stand auf und lugte neugierig durch die halb offene Kinderzimmertür in den Flur. Sein Vater schaute durch den Türspion. Im gleichen Moment brach das Inferno los. Eine ohrenbetäubende Detonation sprengte die Tür aus den Angeln und dann fraß sich eine Feuerwalze durch die Diele. Vergeblich versuchte Niks Vater den Flammen auszuweichen. Und Nik, starr vor Schreck, hörte gerade noch eine zweite Explosion, bevor er von einer enormen Druckwelle gegen die Wand geschleudert wurde. Dann wurde es schwarz.

Nik kam mit schwersten Kopfverletzungen ins Krankenhaus. Als er ins Koma fiel, gaben ihm die Ärzte keine zwei Wochen mehr. Der Junge würde sterben, das war so gut wie sicher. Als sie kurz davor waren, die Maschinen abzustellen, wachte Nik auf Das war der Beginn seines zweiten Lebens.

Der Mindcracker

Das Jugendamt brachte Nik in einer Wohngruppe mit anderen Waisen unter. In den ersten Wochen konnte er nachts nicht schlafen, so sehr vermisste er seinen Vater. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die Trauer sich halbwegs gelegt hatte. Dafür entstand in Nik das Verlangen, dass der Mörder zur Rechenschaft gezogen würde. Doch die Ermittlungen der Polizei verliefen im Sande, die Akte wurde geschlossen.

Niks Kopfverletzungen waren medizinisch betrachtet geheilt. Aber er merkte, dass irgendetwas anders war. Nik stellte fest, dass er sich Namen und Zahlen besser merken konnte als andere Kinder. Er brauchte Texte und Zahlenkombinationen nur einmal anzuschauen, und schon war alles in seinem Hirn gespeichert. Diese Fähigkeit kam ihm vor allem in der Schule zugute. Er lernte superschnell Vokabeln, und die kompliziertesten Matheformeln begriff er, ohne dass sie ihm jemand erklären musste. Ellenlange Gedichte konnte er mühelos auswendig aufsagen.

Nach einem Jahr hatte Nik, der früher ein eher durchschnittlicher Schüler war, nur noch Einsen im Zeugnis. Aber nicht nur das. Nik wurde ein wandelndes Lexikon. Und weil er jede noch so komplizierte Mathe- und Physikformel knackte, hatte er bald einen Spitznamen weg: Mindcracker. Trotzdem wollten die meisten Mitschüler nichts mit ihm zu tun haben. Er galt als Streber. Und mit einem Streber wollte niemand befreundet sein. Er galt als Sonderling. Es nutzte Nik wenig, dass er irgendwann zwei Gänge runterschaltete und bei Klassenarbeiten absichtlich Fehler machte. Er war immer noch viel besser als der Rest der Klasse und deswegen allen suspekt.

Nach einiger Zeit fand sich Nik damit ab, dass seine Gabe ihn zum Einzelgänger machte. Er beschloss, seine Hochbegabung dazu zu nutzen, den Mord an seinem Vater aufzuklären.

Doch sämtliche Kontaktversuche mit dem BKA, um an die Akte seines Vaters zu kommen, scheiterten. Seine Mails blieben unbeantwortet und in der Telefonzentrale nahm man einen Neunjährigen erst gar nicht ernst. Nik wusste, dass es nur einen Weg gab: die Schule beenden und eine Lehre bei der Polizei machen. Sein allererster Fall würde dann die Fahndung nach dem Mörder seines Vaters sein. Und bis dahin wollte er sich vorbereiten, gut vorbereiten. Er las sämtliche Bücher über Kriminalistik, die er bekommen konnte, und übte sich in verschiedenen Kampfsportarten. Natürlich geheim. Die anderen Kinder sollten nichts davon erfahren. Für sie blieb er ein langweiliger Streber. In Wirklichkeit: ein Mindcracker!

Die Internationale des Bösen

Fünf Jahre später …

Die neue Nase juckte höllisch. Asmodis fuhr sich zum wiederholten Mal mit den Zeigefingern in beide Nasenlöcher und ließ sie stereo rotieren. Das sah zwar ziemlich bescheuert aus, aber seine beiden Begleiter verzogen keine Miene, dazu hatten sie viel zu großen Respekt vor ihrem Boss.

Um sich vom juckenden Zinken abzulenken, griff Asmodis zur Zeitung, blätterte bis zur Comic- und Rätselseite durch und versuchte, sich auf ein SUDOKU zu konzentrieren.

Eine Zahlenreihe wurde gesucht. Asmodis zermarterte sich sein Hirn. Mist, warum kam er nicht darauf? Ungeduldig pfefferte er die Zeitung zurück auf den Sitz neben sich. Vollkommen sinnlos, die Zahlenrätsel, wer dachte sich bloß so einen Mist aus?

Asmodis' Laune war auf dem Nullpunkt. Er würde dafür sorgen, dass die blöde Schlaumeierzeitung pleiteging. Und der plastische Chirurg, der ihm alljährlich ein neues Gesicht verpasste, damit ihn die Polizei nicht identifizieren konnte, sollte für die ständig juckende Nase büßen.

Dass das keine leeren Drohungen waren, wusste jeder, der einmal Asmodis' Bekanntschaft gemacht hatte. Obwohl er nicht der Hellste war, war Asmodis einer der mächtigsten Männer der Unterwelt. Von einem geheimen Stützpunkt aus kontrollierte und organisierte er den internationalen illegalen Waffenhandel. Von der einfachen Handfeuerwaffe über modernste Luftabwehrraketen bis hin zu Hightech-Panzern, U-Booten und Kampfjets hatte er alles im Angebot, was die Herzen von Terroristen, Söldnerführern, korrupten Diktatoren und Gangsterbossen höher schlagen ließ. Asmodis war ein Händler des Todes und damit unermesslich reich geworden. Was ihm an Intelligenz fehlte, machte er durch Brutalität und Skrupellosigkeit wett. Und wenn nötig, dann kaufte er sich Kompetenz und Wissen einfach ein. Auf seiner Lohnliste standen die abgebrühtesten Manager, Politiker und Wissenschaftler. Mit diesem ›Erfolgsrezept‹ hatte er es bis in die höchsten Kreise des internationalen Verbrechens geschafft. Aber er wollte mehr, viel mehr!

Es knackte im Kabinenlautsprecher und der Pilot meldete aus dem Cockpit: »Sichtkontakt mit Station Delta. Wir wassern in knapp fünf Minuten.«

Asmodis sah aus dem Fenster. Am Horizont war mitten in den öden Weiten des Ozeans eine etwa zwei Fußballfelder große Plattform zu sehen, die sich auf mächtigen, im Meeresboden verankerten Säulen über die gischtende See erhob. Station Delta, eine ehemalige geheime Funk- und Radarstation der Alliierten!

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der stählerne Horchposten im Nirgendwo durch die Einführung der Weltraumsatellitentechnik für die Militärs überflüssig geworden und man hatte die Station aufgegeben. Inzwischen wusste fast niemand mehr davon und die Handvoll Veteranen, die noch Kenntnis davon hatten, glaubten, dass die Station Delta im rauen Seeklima still und leise vor sich hin rostete.

Dem war aber nicht so. Der Stützpunkt wurde von einer Gruppe Dunkelmänner gehegt und gepflegt. Die Radarstation sowie die schweren Flugabwehr- und Seegeschütze, die die Plattform vor Angriffen schützten, waren bestens in Schuss. Niemand konnte sich unbemerkt nähern. Der ideale Treffpunkt für die meistgesuchten und –gehassten Männer der Welt.

Zweimal im Jahr versammelte sich auf Station Delta die Internationale des Bösen zum Gipfeltreffen. Dann sprachen die Bosse der chinesischen Triaden, der amerikanischen, russischen und italienischen Mafia, der japanischen Yakuza, des kolumbianischen Drogenkartells und auch Vertreter von Al-Qaida über Geschäfte.

Trotz Absprachen und befristeter Zweckbündnisse war es bisher nie zu einer gemeinsamen Aktion aller Verbrecherorganisationen gekommen. Jeder war sich selbst der Nächste und keiner wollte sich dem Kommando eines anderen unterordnen. Und genau das gedachte Asmodis künftig zu ändern. Natürlich kam nur ein einziger Mann auf dieser Welt als Oberbefehlshaber in Frage: Er. Asmodis träumte schlicht davon, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

»Sitzt nicht blöd rum, Jungs«, fuhr er seine beiden Begleiter an. »Meinen kugelsicheren Anzug, aber zackig!«

»Selbstverständlich! Entschuldigen Sie, Chef! Sofort!«

Borsow, ein muskelbepackter Zwei-Meter-Riese mit spiegelnder Glatze, und sein Kollege Lopez, ein erheblich kleinerer, aber äußerst drahtiger Typ mit Schnauzer und Pferdeschwanz, sprangen gleichzeitig auf und beeilten sich, das Gewünschte herbeizuschaffen. Sie waren ihrem Boss bedingungslos ergeben, sich untereinander allerdings nicht besonders grün.

So unterschiedlich Borsow und Lopez auch waren, kleidungstechnisch hatten sie denselben Geschmack. Schuhe, Anzüge, T-Shirts, Sonnenbrillen, ja, sogar die Socken waren schwarz. Farblich passte das ausgezeichnet zu ihrem düsteren Job. Sie waren Asmodis' Männer fürs Grobe: Auftragskiller. Borsow hatte sein Handwerk beim ehemaligen sowjetischen Geheimdienst KGB gelernt, Lopez bei den Navy Seals, einer Eliteeinheit der amerikanischen Marines. Zwei brandgefährliche Typen, die nicht lange fackelten, wenn es drauf ankam.

Asmodis pellte sich aus seinem Trainingsanzug und legte rasch den aus einer Hightechfaser gewebten Anzug an, der rein optisch von einem gewöhnlichen nicht zu unterscheiden war, aber von keinem Messerstoß oder Revolverschuss durchdrungen werden konnte. Sicher war sicher. Die Männer, die er gleich treffen würde, waren nicht zu unterschätzen.

Die Canadair CL 415, ein zweimotoriges Amphibienflugzeug, setzte zur Landung an. Mit ihrem schwimmfähigen Rumpf konnte sie auf dem Wasser aufsetzen, verfügte aber auch über ein Fahrwerk, das Landungen auf festem Grund ermöglichte. Meterhoch gischtete die unruhige See auf, als die Canadair wasserte. Der Pilot drosselte die Geschwindigkeit und ließ dann die Maschine mit langsamer Fahrt auf Station Delta zu gleiten. In einer der Rundsäulen wurde eine Luke geöffnet und ein Mann mit umgehängter MP erschien. Borsow warf ihm ein Halteseil zu.

»Bin ich der Erste?«, fragte Asmodis, während er in den elektronischen Iris-Scanner blickte, den ihm der Bewaffnete vors Gesicht hielt. Eine Identifikationsmaßnahme, die notwendig war, da Asmodis bei jedem zweiten Treffen mit verändertem Gesicht erschien.

»Nein, Sir. Sie sind der Letzte«, antwortete der Mann und nickte dann befriedigt, als auf dem Scannerdisplay der Name ›Asmodis‹ erschien. »Das Meeting dürfte gleich zu Ende sein.«

»Unverschämtheit«, beschwerte sich Asmodis. »Haben die einfach früher angefangen. Abgemacht war zwölf Uhr, und jetzt ist es Punkt zwölf, oder habe ich einen Knick in der Optik?!« Ärgerlich hielt er dem Bewaffneten seine Armbanduhr hin, deren Zeiger auf der Zwölf übereinander standen.

»Ortszeit, Sir. Das Treffen begann um zwölf Uhr Ortszeit«, murmelte der Mann kaum hörbar, weil er wusste, wie aufbrausend Asmodis sein konnte. »Hier auf Station Delta ist es jetzt sechzehn Uhr.«

Borsow half seinem Boss mit einer geflüsterten Erklärung: »Das liegt daran, dass wir auf dem Weg mehrere Zeitzonen durchflogen haben.«

»Können wir dann jetzt los?«, blaffte Asmodis.

Mit dem Lift ging es innerhalb einer Säule nach oben an Deck der Plattform. Der Bewaffnete geleitete die Neuankömmlinge zu einem flachen Gebäude, öffnete eine Tür und trat zur Seite. Asmodis betrat einen edel ausgestatteten Saal, in dem etwa dreißig Personen um einen hufeisenförmigen Konferenztisch saßen. Sofort stellten die eifrig Diskutierenden das Reden ein und blickten überrascht zur Tür.

»Freunde! Sorry, ich bin ein bisschen spät dran«, grüßte Asmodis in die Runde und schritt auf den für ihn frei gehaltenen Platz zu.

»Das kann nur unser guter alter Asmodis sein«, polterte Boris Uljanow, der Oberboss der Russenmafia. »Und wieder mal mit einer brandneuen Visage!«

»So ist es«, nickte Asmodis. »Kann ich dir nur empfehlen, Boris.«

Allgemeines Gelächter. Nur Boris, der in der Tat ein Gesicht wie ein verbeulter Blecheimer hatte, fand das gar nicht komisch.

»Ich kann mich für die Verspätung nur entschuldigen«, sagte Asmodis und zeigte seine mit Brillanten besetzten Armbanduhr in die Runde. »Da fliegt man einmal durch ein paar läppische Zeitzonen und schon geht das Ding nach dem Mond. Von einer Hundertausend-Dollar-Zwiebel hätte ich wirklich mehr erwartet. Der Uhrmacher ist so gut wie tot!«

Betretenes Schweigen. »Aber nun bin ich ja da, Freunde. Habe ich was verpasst?«

»Wie man's nimmt«, sagte Don Graciano, der Pate der italienischen Mafia. »Wir sind schon ziemlich am Ende, aber du kannst ja das Protokoll lesen.«

»Lesen?«, lachte Boris, der Asmodis' Beleidigung noch nicht verdaut hatte. »Dürfte unserem Asmodis schwerfallen.«

»Aber bitte, bitte, meine Herren«, versuchte der Yakuza-Führer mit japanischer Höflichkeit zu beschwichtigen. »Unser Freund Asmodis ist das beste Beispiel dafür, dass man es auch ohne übermäßigen IQ zu etwas bringen kann.«

»Mr. Wong, Sie sagen es«, nickte Asmodis. Weil ihm nicht ganz klar war, ob das nun gut oder schlecht war, fügte er sicherheitshalber hinzu: »Ich bin gerade dabei, mir einen neuen IQ zu kaufen, den allermodernsten und größten, versteht sich.«

Die versammelten Gangsterbosse fielen vor Lachen fast von den Stühlen. Asmodis machte gute Miene zum bösen Spiel und tat so, als ob er einen Witz gemacht hätte. Innerlich aber schäumte er vor Wut. Für den Rest der Sitzung schwieg er, ganz in Gedanken versunken. Er hatte begriffen, dass der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen war, um der Versammlung seine großen Pläne zu eröffnen.

Als Asmodis wenig später wieder in seiner Canadair hoch über den Wolken schwebte, war er zu einer Entscheidung gekommen: Wer die internationalen Verbrecherorganisationen zusammenführen und anführen wollte, würde eine überragende Intelligenz brauchen. Und dass ihm dazu ein kleines bisschen fehlte, musste selbst er sich eingestehen. Aber sollte er deshalb seine Pläne sang- und klanglos begraben? Niemals! So war Asmodis nicht gestrickt. Geht nicht gibt's nicht, war seine Devise. Mit seinem ausgeprägtem Machtinstinkt hatte er sich vom primitiven Straßenschläger bis in die Verbrecheraristokratie hochgearbeitet. »Stell mir eine Verbindung zu Professor Falcone her, Borsow«, befahl er entschlossen und deutete auf das Satellitentelefon.

Der Überfall

»Hände hoch und keinen Mucks!«

Der Geschäftsführer des Einkaufszentrums mitten in der Hamburger City hob überrascht zuerst den Blick und dann die Hände. Er sah direkt in die Mündung einer 7,65iger Walther PPK, die ihn wie ein böses, schwarzes Auge zu fixieren schien. Vor dem Schreibtisch stand ein bulliger Mann in schwarzer Motorradkombi. Seinen Integralhelm hatte er nicht abgenommen, das Visier war heruntergeklappt.

»Alles Geld da rein!«

Eine Sporttasche knallte auf den Tisch. Wie hypnotisiert begann der Geschäftsführer die Banknoten hineinzustopfen.

»Arme auf die Lehnen, Füße zusammen!«

Der Geschäftsführer leistete keinen Widerstand. Sekunden später war er mit starkem Klebeband an einen Stuhl gefesselt. Der ganze Überfall hatte keine drei Minuten gedauert. Der Räuber griff sich die Tasche und wandte sich dann zur Tür, die in diesem Moment von außen geöffnet wurde.

»Überfall! Aus dem Weg!«, brüllte der Räuber die eintretende Sekretärin an und ballerte zweimal demonstrativ in die Luft.

Die Frau schrie auf und presste sich panisch mit dem Rücken gegen die Wand. Der Räuber hastete an ihr vorbei. Zwanzig Sekunden später ertönte der gellende, auf- und abschwellende Sound der Alarmanlage.

Nik Mallory war auf dem Heimweg von der Schule. Als er die beiden Schüsse hörte, trottete er gerade durch eine schmale Seitenstraße. Zunächst hielt er den Doppelknall für Fehlzündungen eines Autos. Als aber kurz darauf das Heulen der Alarmanlage ertönte, wusste er es besser. Ein Überfall!!!

Nik blieb abrupt stehen, als ein behelmter Mann in Lederkombi im Laufschritt um die Ecke kam. In der einen Hand hielt er eine Sporttasche, in der anderen etwas metallisch Schwarzes. Der Mann strebte auf ein Crossmotorrad zu, das am Bürgersteigrand direkt neben Nik geparkt war.

Niks Gehirn ratterte mit der Geschwindigkeit eines Supercomputers. Er registrierte aus den Augenwinkeln, dass die Crossmaschine kein Nummernschild hatte. Gleichzeitig realisierte er, dass das Schwarze in der Hand des Mannes eine Pistole war.

»Zur Seite, oder ich schieß dich über den Haufen«, blaffte der Mann und fuchtelte mit seiner Waffe.

Nik zoomte seinen Blick auf den Lauf und erkannte das eingravierte Siegel der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt.

»Mit einer Schreckschusspistole?«, lachte Nik und blieb seelenruhig neben dem Motorrad stehen. »Geben Sie auf, Mann, Sie haben keine Chance!«

Nik ging Gerechtigkeit über alles. Klare Sache, dass er einen Räuber auf der Flucht nicht einfach ziehen lassen konnte.

Ungläubig starrte der Mann den eher schmächtigen Vierzehnjährigen mit dem dunklen Stoppelhaarschnitt und den tiefschwarzen Augen an.

»Was quatschst du da? Zieh Leine, Junge!«

Der Räuber wollte den Jungen zur Seite boxen und aufs Motorrad steigen. Doch Nik, der die Faust in Zeitlupe auf sich zukommen sah, reagierte schnell. Ohne seine Füße auch nur einen Millimeter zu bewegen, wich er geschickt mit dem Oberkörper nach rechts aus, um danach sofort wieder zurückzuschnellen. Dann sprang er aus dem Stand hoch und traf seinen nach vorn taumelnden Gegner mit einem knackigen, ansatzlosen Kick in den Bauch. Der Unbekannte ging röchelnd in die Knie, Tasche und Pistole fielen zu Boden.

Nik hatte ein flaues Gefühl im Magen. Es war das erste Mal, dass er seine Kampfkünste an einem Menschen angewandt hatte. Was, wenn er den Fremden ernsthaft verletzt hatte? Während Nik noch überlegte, ob es richtig war, Gewalt anzuwenden, rappelte sich der Räuber stöhnend vom Boden auf. Wie aus dem Nichts hielt er ein doppelt geschliffenes Stilett in der Faust.

»Du hast es nicht anders gewollt, Freundchen!«

Die Stilettklinge fuhr durch die Luft, doch sie verfehlte Nik, der in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit nach hinten ausgewichen war. Der Mann setzte mit einem gerade geführten Stoß nach. Im Nu waren Niks Bedenken wie weggeblasen. Er machte einen Sidestep, packte das Handgelenk seines Gegners und grub seine Fingerkuppen in die empfindliche Stelle unterhalb der Handwurzel. Aufjaulend ließ der Mann das Messer fallen. Nik bückte sich reflexartig nach dem Stilett. Der Mann nutzte den Moment der Unachtsamkeit, hechtete auf seine Maschine, brachte den Motor mit nur einem Tritt auf den Kickstarter in Gang und flitzte davon.

Nik ärgerte sich. Er musste noch viel lernen! Seufzend klaubte er die Pistole des Räubers vom Boden auf und öffnete dann den Reißverschluss der Sporttasche. Dass sie prall mit Geldscheinen gefüllt war, verwunderte ihn nicht. Was nur einen Moment später geschah allerdings schon: Gellende Martinshörner, zuckendes Blaulicht. Von beiden Straßenenden kamen Streifenwagen auf ihn zu gerast und stoppten mit quietschenden Reifen knapp vor seinen Füßen. Mit gezogenen Waffen sprangen mehrere Uniformierte aus den Wagen

»Gesicht auf den Boden, Hände auf den Rücken!« Vier Pistolenmündungen zielten auf Nik.

Nik legte vorsichtig die Pistole auf den Gehweg und winkte mit beiden Armen ab. »Hier liegt ein Missverständnis vor. Der Täter ist mit einer Yamaha TT 600 Enduro auf der Flucht, roter Tank …«

»Gesicht auf den Boden und keine Zicken, Freundchen, ich will es nicht noch mal sagen.«

Was blieb Nik anderes übrig. Er ließ sich in die Bauchlage gleiten. Sofort hatte er ein Polizistenknie im Rücken. Rüde wurden ihm die Arme nach hinten gerissen und dann klickten Handschellen.

»Sie machen einen großen Fehler …«

»Du redest nur, wenn du gefragt wirst.«

Flora

Flora war zwölf Jahre, als ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Andere Verwandte gab es nicht – blieb also nur das Kölner Jugendamt, das Flora in eine Wohngruppe steckte. Das war gut gemeint, aber Flora hielt es trotzdem nicht lange dort aus. Bald hatte sie Freunde und Unterschlupf bei den Freaks der Bauwagensiedlung in Köln-Ehrenfeld gefunden. Zur Schule ging sie nun nicht mehr. Aber dafür studierte sie seit einem Jahr täglich das Überleben auf der Straße und das war härter als Mathe und Physik zusammen.

Und nun war sie unterwegs nach Hamburg zu ihrer Freundin Isabelle. Isabelle hatte ihre Eltern nicht in den stinklangweiligen Cluburlaub begleiten wollen und durfte mit ihrer fast volljährigen Schwester daheim in Hamburg bleiben. Drei Wochen sturmfreie Bude! Flora freute sich riesig auf das Wiedersehen mit Isabelle, die sie vor einem Jahr auf einem Festival kennengelernt hatte. Weniger erfreulich war, dass kein Wagen hielt, um sie mitzunehmen.

Flora trug eine schwarze, mit Glasperlen und spiegelnden Pailletten besetzte indische Fransenbluse, einen kurzen schwarz-weiß karierten Faltenrock, dazu Netzstrümpfe und an den Füßen schwere Doc Martens – alles Fundstücke vom Kölner Flohmarkt. Als es anfing zu nieseln, zog sie ihre etwas groß geratene abgewetzte schwarze Lederjacke über und zog eine Mütze über ihre Locken. Ein Opa in seinem Opel, der schon den Fuß auf der Bremse gehabt hatte, gab daraufhin gleich wieder Gas. Nach über einer Stunde erbarmte sich eine Lastwagenfahrerin und nahm Flora mit nach Hamburg-Dammtor.

Isabelle werkelte emsig in der Küche und bestrich einen ganzen Berg Toastscheiben mit Erdnussbutter und Marmelade. Flora musste bald eintreffen und nach der langen Fahrt von Köln würde sie einen Bärenhunger haben. Isabelle pfiff vor sich hin. Die vor ihr liegenden Wochen würden herrlich werden. Niemand, der sie stören und lästige Vorschriften machen würde, denn auch ihre ältere Schwester, die eigentlich auf sie aufpassen sollte, wollte die elternfreie Zeit nutzen und war mit ihrem Freund zu einem Festival im dänischen Rokskilde gefahren. Natürlich nicht, ohne Isabelle vorher einen heiligen Stillschweigensschwur abzunehmen. Isabelle hatte ihn nur allzu gern geleistet.

Es klingelte an der Wohnungstür.

»Ich komme!«, rief Isabelle, Messer und Toast fallen lassend, und eilte zur Tür.

Bevor sie öffnete, warf sie einen Blick durch den Spion. Wahrscheinlich wieder irgendwelche lästigen Missionare oder Typen von der GEZ, dachte sie enttäuscht, als sie zwei schwarz gekleidete Männer sah, die reichlich ungeduldig wirkten. Sie legte die Sicherheitskette vor und öffnete die Tür einen Spaltbreit.

»Ich bin praktizierende Buddhistin, und die Rundfunkgebühren sind auch schon bezahlt«, sagte sie und wollte die Tür gleich wieder schließen.

Plock! hatte sich ein schwarzer Männerschuh blockierend in den Türspalt geschoben.

»Bist du Isabelle Severin?«, fragte Borsow mit seinem russischen Akzent.

»Äh … ja«, entfuhr es Isabelle, über die Dreistigkeit des Mannes erschrocken. »Warten Sie, ich hol mal gerade meine Eltern.«

»Von Fuerteventura?«, fragte Lopez mit Haifischgrinsen.

»Ich … ich meine natürlich meine große Schwester«, stammelte Isabelle.

»Ach, ist die schon aus Rokskilde zurück?« Borsow drückte gegen die Tür.

Die Verankerung der Sicherheitskette riss aus der Türzarge, als wäre sie mit Tesafilm angeklebt gewesen. Jetzt bekam Isabelle richtig Angst. Borsow drängte in die Wohnung und schnappte sich das Mädchen, während Lopez die Wohnungstür hinter sich schloss. Mit vor Entsetzten geweiteten Augen registrierte Isabelle, wie er eine Spritze hervorzog und etwas Flüssigkeit aus der Nadel drückte. Dann hieb er die Kanüle in ihren Oberarm. Sekunden später wurde es schwarz.

Borsow ließ das bewusstlose Mädchen auf den Flurteppich gleiten und begann, es darin einzurollen. Da ertönte die Türklingel. Borsow und Lopez erstarrten.

Nach etwa zwanzig Wartesekunden schellte es Sturm.

»Isabelle! Hallooo! Ich bin's! Sitzt du auf den Ohren oder etwa auf dem Klo?«, rief Flora und bummerte gegen die Tür.

In der Wohnung rührte sich nichts. Flora wunderte sich zwar, vermutete aber, dass Isabelle noch was einkaufen war, und beschloss, unten in der Sonne auf sie zu warten.

Lopez hatte hinter der Wohnungstür das Auge an den Spion gepresst. Als Flora verschwunden war, öffnete er, huschte zur Treppe und spähte über das Geländer nach unten

Einige Minuten später gab er seinem Kollegen ein Zeichen. Borsow schulterte die Teppichwurst, trat ins Freie und zog die Wohnungstür hinter sich zu.

Flora hatte sich auf die Eingangstufen des Mietshauses gesetzt und sich gerade ihres alten Kaugummis entledigt, als die beiden Männer das Haus verließen. Komische Typen, dachte sie, kein Mensch lief in dieser Gegend in schwarzen Anzügen rum. Wahrscheinlich wollten sie als Teppichhändler besonders seriös wirken. Oder sie arbeiteten bei einem Bestattungsunternehmen. Flora rückte zur Seite, um den beiden komischen Typen Platz zu machen.

»Braves Kind«, sagte der Lastenträger und trat in ihren Kaugummi. »Iiiih!«, rief er angeekelt, als er den Fuß anhob und sich die klebrige rosa Masse zwischen Schuhsohle und Treppenstufe auseinanderzog. Flora machte sich auf wüste Beschimpfungen gefasst, doch dazu kam es nicht, weil der Mann das Gleichgewicht verlor und ihm der Teppich aus den Armen glitt und sich direkt vor Floras Füßen entrollte.

»Isabelle! Das gibt's ja gar nicht!«, entfuhr es Flora, als sie die ohnmächtige Freundin auf dem Boden liegen sah.

Sie wollte um Hilfe schreien, aber Lopez hatte sie schon von hinten gepackt und hielt ihr den Mund zu.

»Nun mach endlich den Wagen auf, du Trottel«, brüllte er seinen Kollegen an.

Borsow riss die Hecktür des Lieferwagens auf, griff Isabelle einfach am Hosenbund und warf sie unsanft in den Laderaum. Dann lief er zur Fahrertür, sprang hinters Steuer und ließ den Motor an. Lopez ließ die wild um sich tretende Flora los und gab ihre einen Schubs, so dass sie stolperte und fiel. Im nächsten Augenblick schoss der Lieferwagen mit quietschenden Reifen davon.