Silvester 2015, Tahrir-Platz in Köln

Alice Schwarzer

Foto: © Bettina Flitner

13. Februar 2016, 11 Uhr. Ich bin auf dem Weg zum Einkaufen und überquere den Heumarkt in der Kölner Altstadt. Der gilt seit Silvester als einer von vier »Hotspots« der Stadt. Noch nie war hier so viel Polizei unterwegs wie in den vergangenen Wochen, zu Fuß wie im Auto. Doch der heutige Anblick übertrifft alles: Auf dem großen ovalen Heumarkt, der für Goethe der »schönste Platz Europas« war (ist lange her), steht ein gutes Dutzend Mannschaftswagen aneinandergereiht. Vor einigen vertreten sich Polizisten die Füße. Was denn nun schon wieder los sei, will ich wissen. »Fußball«, antwortet mir ein Beamter trocken. »Der 1. FC spielt heute gegen Eintracht Frankfurt.« Das kenne ich schon, randalierende Fußballfans. Der nette Polizist fügt beruhigend hinzu: »Dann gehen Sie jetzt mal einkaufen, Frau Schwarzer, und bleiben Sie heute Abend schön zu Hause.« Das hatte ich eh vor.

31. Dezember 2015, 18.30 Uhr. Im Kölner Dom findet die »Jahresabschlussmesse« statt. Einer von mehreren Tausend Menschen im Dom ist die Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie erzählt wenige Tage später der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was sie während dieser Messe erlebt hat: Schon ab 18.30 Uhr gab es »ein heftiges Feuerwerk«. Genauer: »Einen bisher an Silvester noch nie erlebten massiven Raketen- und Böllerbeschuss. Immer wieder war das Nordfenster des Doms rot erleuchtet, weil Rakete auf Rakete dagegen flog. Und durch die Böller war es sehr laut. Ich hatte zeitweise Angst, dass Panik ausbricht.«

Befragt, ob sie das für Zufall gehalten habe, verneint Schock-Werner entschieden. Da man in der Regel nicht so früh Silvesterböller abschieße, läge es für sie nahe, dass es sich um eine »bewusste Störung« des Gottesdienstes gehandelt habe. Mehr noch: Sie vermute, dass der Kölner Dom als Symbol gemeint gewesen sei. Denn »der Dom ist ja beides: ein religiöser Ort, aber er steht auch als Wahrzeichen für die ganze Stadt. Das war also sowohl ein Angriff auf das städtische wie auf das religiöse Symbol.« Und Schock-Werner fügt hinzu: »Zudem machte das deutlich, dass die Polizei die Lage schon um 19 Uhr nicht mehr im Griff hatte.«

Erstaunlich, dass der Punkt bei den zahlreichen Schilderungen dieses Abends kaum berücksichtigt wurde. Der Tatort ist in der Tat nicht nur der Vorplatz eines besonders zentral gelegenen Bahnhofs (von umliegenden Städten und auch Nachbarländern schnell zu erreichen), er ist auch der Aufgang zum Dom. Auf der breiten Treppe hatten sich bereits am frühen Abend einige Hundert »Männer nordafrikanischer und arabischer Herkunft« eingefunden. Und sie haben sich von Anfang an so benommen, dass die Polizei eigentlich direkt hätte einschreiten müssen – indem sie Feuerwerkskörper nicht nur gegen die Portale des Doms, sondern auch in Menschengruppen geschleudert haben. Hätte die Polizei gehandelt, wäre vielen vieles erspart geblieben. Auch Familie Vosen.

22.57 Uhr. Claudia Vosen steigt zusammen mit ihrem Lebensgefährten und ihren zwei Kindern, eine 15-jährige Tochter und ein 13-jähriger Sohn, aus der Linie 18. Die Familie wohnt in dem Kölner Stadtteil Sülz und will ans Rheinufer, denn: »Der Kölner guckt Silvester ja das Feuerwerk am Rhein.« Die vier nehmen die Rolltreppe, die innerhalb der Bahnhofshalle endet, ganz in der Nähe des Ausgangs zum Bahnhofsvorplatz. »Da fiel uns auf, dass sehr viele Männer in der Bahnhofshalle waren. Darüber habe ich mich kurz gewundert. Denn in der Halle oder auf dem Platz hält sich ja zu Silvester eigentlich niemand auf. Die durchquert man höchstens.« – Zwei Tage später wird Frau Vosen eine von 627 Frauen sein, die Anzeige wegen sexueller Belästigung erstatten, wie die sexuelle Gewalt so verharmlosend genannt wird (1221 »Geschädigte« sind es inklusive der Diebstähle gesamt).

Noch jedoch ahnen Vosens nichts. Sie ziehen sich allerdings »instinktiv« die Reißverschlüsse ihrer Jacken »bis zum Hals hoch« und fassen sich an den Händen. »Das war um 22.57 Uhr. Ich weiß das so genau, weil ja in der Bahnhofshalle die große Uhr hängt.« Plötzlich detoniert eine Silvesterrakete mitten in der Halle. »Und dann ging der Tumult los«, erinnert sich Claudia Vosen. »Das war wie ein Startschuss. Von draußen drängten massenhaft Männer in die Halle. Schreie, Rufe, Gedränge. Mein Mann wurde von uns weggerissen. Er verschwand in der Menge, die uns wie eine Mauer umgab. Ich hatte um meinen Sohn vor mir einen Arm gelegt und griff mit der anderen Hand nach hinten nach meiner Tochter. Die hatte sich an meinen Rücken geklammert. Das war ein Fehler, dass sie nicht vor mir war. Sie hat lange blonde Haare …«

Es war der Beginn eines Infernos, das Mutter und Tochter bis heute Albträume beschert. »Plötzlich hatten wir Hände am ganzen Körper. Sie fassten uns an die Brüste, griffen uns brutal zwischen die Beine, zerrten an Reißverschlüssen, Finger pulten nach Öffnungen. Zum Glück hatten meine Tochter und ich Hosen an. Die haben sich sogar gebückt, um uns besser zwischen die Beine fassen zu können.« Das alles passiert am Ausgang der Bahnhofshalle, durch den Vosens durchmüssen. »Die waren wie ein riesiger Schwarm, aus dem sich immer wieder eine Gruppe auf uns stürzte und sich dann wieder in die Menge zurückzog …«

Irgendwann spuckt die rasende Männermasse die drei aus, raus auf den Bahnhofsvorplatz. Der ist fast leer, nur am Rand stehen Männer. Und da taucht auch Claudias Mann wieder auf. »Ich habe auf die Uhr geguckt. Es war exakt 23.25 Uhr. Wir waren also fast eine halbe Stunde in dieser Hölle. Meine Tochter schluchzte und schrie: ›Fass mich nicht an!‹ Meinem Sohn hatten sie das Handy geklaut. Und mein Mann sagte: ›Nur weg!‹«

Während der ganzen Zeit hat Claudia Vosen weder in der Halle noch auf dem Platz auch nur einen einzigen Polizisten gesehen. Daran erinnert sie sich genau. »Mein Mann hat noch gesagt: ›Wo ist denn die Polizei?!‹« Vosens gehen quer über den Bahnhofsplatz nach rechts – und da ist sie, die Polizei. »Die standen in der Seitenstraße, so 20 bis 25 Mann, mit verschränkten Armen. Mein Mann hat sie angesprochen und gesagt: Da hinten ist was los! Da müssen Sie schnell hin! Aber die einzige Reaktion der Polizisten war: ›Sehen Sie zu, dass Sie schnell hier wegkommen. Gehen Sie nach Hause!‹«

Zu dem Zeitpunkt sind nach Aussagen der Polizei maximal 100 Polizisten am und im Bahnhof (für das Bahnhofsgelände ist der Bund zuständig). Doch wo waren diese 100 Polizisten, als Familie Vosen nicht etwa in einer dunklen Ecke, sondern im Zentrum des Getümmels in Not geriet? Warum haben sie, selbst nachdem sie informiert worden waren, nicht eingegriffen? Hatten die PolizistInnen etwa auch selber Angst? Hatten sie die Order, sich rauszuhalten? Gab es gar ein Kompetenzgerangel zwischen städtischer und Bundespolizei? Blieb deshalb ausgerechnet der heikelste Punkt, der Bahnhofsausgang, ganz und gar ungeschützt?

Anzeige erstattet hat der Lebensgefährte von Claudia dann am 2. Januar via Internet. Mutter und Tochter gingen erst mal tagelang nicht aus dem Haus. »Wir standen unter Schock.« Erst am 7. Januar – nachdem alles endlich, endlich öffentlich geworden war – schien die Polizei sich wirklich für den Fall zu interessieren. »Da haben sie angerufen und hatten es plötzlich ganz eilig. Wir sollten auf die Wache kommen und alles genau erzählen.« Im Rückblick sagt die 48-jährige Claudia Vosen: »Für mich war ganz klar, dass das Absicht war. Das war organisiert!«

Am 7. Januar veröffentlichte Bild den internen Bericht eines leitenden Beamten der Bundespolizei. Der hatte am 4. Januar rückblickend notiert: »Frauen in Begleitung oder ohne durchliefen einen Spießrutenlauf durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.« Und er fährt fort: »Zahlreiche verstörte, weinende, verängstigte Passanten, insbesondere Frauen und Mädchen, hatten Übergriffe gemeldet.« Eine Identifizierung der Täter sei jedoch »leider nicht mehr möglich« gewesen, denn: »Die Einsatzkräfte konnten nicht aller Ereignisse, Übergriffe, Straftaten usw. Herr werden. Dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit.« Zeugen seien bedroht worden, wenn sie Täter benannten. Und aufgrund der fehlenden Kapazitäten sei es auch unmöglich gewesen, Wiederholungstäter in Gewahrsam zu nehmen. Die Täter seien den Polizisten mit einer Respektlosigkeit begegnet, »wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe«. Das »Chaos« sei dermaßen aus der Kontrolle geraten, dass der Verfasser mit »erheblichen Verletzungen und sogar Todesopfern« gerechnet hat. Für den Bundespolizisten waren die Vorgänge schlicht »beschämend«.

Nach einer unruhigen Nacht klickt Claudia Vosen sich am Neujahrsmorgen in ihre Facebookgruppe »Nett-Werk Koeln«. Als Erstes entdeckt sie das Posting eines gewissen Eiken. Der junge Mann erzählt, was ihm und seiner Freundin in der Silvesternacht am Bahnhof widerfahren sei. »Ich wollte gerade schreiben: Mir ist genau dasselbe passiert! – da war Eiken schon gesperrt. Eine Welle von Hasstiraden rollte über ihn weg. Du hetzt gegen Ausländer! Du beschimpfst Flüchtlinge! Und schließlich kam das Verbot, überhaupt noch über Silvester zu posten.« (»Nett Werk Köln« brauchte eine Zeit, sich zu sortieren. Die beliebte Service-Seite war erst nach zehn Tagen wieder online.)

Sodann ging das weiter, was Claudia Vosen im Rückblick als »fast noch schlimmer als die Sache selbst« bezeichnet: nämlich das Verbot, darüber zu sprechen, und die Beschimpfungen als »Rassistin«. Weil ja die Täter in dieser Nacht unübersehbar Ausländer – Flüchtlinge? – gewesen waren, »Männer aus dem nordafrikanischen oder arabischen Raum«, wie alle Betroffenen immer wieder versicherten.

Als Claudia die Horrornacht im Büro erzählte, schrie eine Kollegin sie an: »Du bist eine Ausländerhasserin!« Später stellte sich heraus, dass diese Kollegin mit einem Algerier verheiratet ist, der sich seither »nur noch schämt für seine Landsleute«. Und in der Schule wurde die Tochter beschimpft: »Stell dich doch nicht so an! Es ist doch gar nicht viel passiert. Du bist ja noch nicht mal vergewaltigt worden.« Auch Claudias Mann geht es schlecht. »Der hat ganz doll daran zu knabbern«, sagt sie. »Die Kollegen fragen ihn: Wieso hast du denn deine Familie nicht beschützt? Aber das konnte er doch gar nicht! Wir waren ja alle wie eingemauert in dieser Männermasse.«

»Und dann diese eigenartige Berichterstattung«, erinnert sich Claudia Vosen. »Es hat ja Tage gedauert, bis die Wahrheit geschrieben wurde. Das kam mir so vor wie die drei Affen: Nichts sehen. Nichts hören. Nichts sagen.« Bis heute sind Mutter und Tochter in Therapie. Die Albträume.

Nur gut, dass die Familie Vosen nicht die Pressemitteilung der Kölner Polizei vom 1. Januar 2016 gelesen hat. Dann wäre sie wohl vollends verzweifelt. Denn da vermeldete die Polizei allen Ernstes um 8.57 Uhr: Es habe eine »ausgelassene, weitgehend friedliche Stimmung« an Silvester in Köln geherrscht und die Polizei sei »gut aufgestellt und präsent« gewesen.

Sechs Stunden später, um 14.36 Uhr, räumt ein interner Bericht dann ein, es sei zu »Anzeigenerstattungen« gekommen. Doch erst am 4. Januar folgt ein »ergänzender Bericht«, der zugibt, »dass die vorliegenden Meldungen nicht das von den Zeitungen dargestellte Ausmaß der Übergriffe darstellen«. Das »Ausmaß« durfte das NRW-Innenministerium also der Presse entnehmen.

Okay, der Polizeipräsident von Köln musste nach sieben zähen Tagen zurücktreten. Aber sein oberster Chef, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, machte glücklos weiter. In einem Bericht vom 19. Januar räumte Ralf Jäger (SPD) zwar ein, es habe an Silvester in mehreren Städten in NRW (so auch in Düsseldorf und Bielefeld) »tumultartige« Verhältnisse gegeben und die Taten seien »zumeist offenbar sexuell motiviert« gewesen; und auch, dass die Mehrheit der Männer »Nordafrikaner und Araber« gewesen seien, die mehrheitlich aus anderen Städten nach Köln angereist waren. Viel mehr wusste der NRW-Innenminister allerdings auch nach drei Wochen nicht. Nur eines wusste er schon am 19. Januar ganz genau: Dass es »keine Anhaltspunkte dafür (gibt), dass das Auftreten der Gesamtgruppe oder von Teilgruppen organisiert bzw. gesteuert war«.

Dabei hatte Bundesjustizminister Maas (SPD) bereits am 5. Januar vermutet: »Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt und vorbereitet war.« Innenminister de Maizière (CDU) hatte am 11. Januar spekuliert, die Überfälle seien »möglicherweise organisiert« gewesen. Und der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, hat dann am 24. Januar ohne Umschweife erklärt: »Sie (die Männer) haben sich gezielt verabredet, da sie auch aus dem überregionalen Raum kamen.«

In Köln wird es allerdings noch eine Weile dauern, bis der neue Polizeipräsident, Jürgen Mathies, drei Wochen nach Amtsantritt am 11. Februar offen einräumt: »Nach unserer Annahme lief das über die sozialen Netzwerke.« Die Männer hätten sich via Facebook verabredet. Sieben Wochen danach zog nun auch die Kölner Polizei erstmals den Vergleich zu der sexuellen Gruppengewalt auf dem Tahrir-Platz. Dieser Vergleich war allerdings so naheliegend, dass EMMA ihn sofort nach Bekanntwerden der Horrornacht am 4. Januar auf ihrer Webseite gemacht hatte. Und zahlreiche ausländische Medien nicht minder.

Zehn Stunden lang ein rechtsfreier Raum auf dem zentralsten Platz einer deutschen Millionenstadt. So etwas hat es zu meinen Lebzeiten noch nie gegeben. Sicher, die epidemisch verbreitete, strukturelle (sexuelle) Gewalt kennen wir auch unter Deutschen nur zu gut. Meine Feministinnen-Generation bekämpft diese Gewalt gegen Frauen und Kinder seit über 40 Jahren, die häusliche wie die öffentliche. Und wir kennen auch unter Deutschen die, meist besoffenen, Männerhorden, die sich nach der Disco oder auf dem jetzt so gern zitierten Oktoberfest auf einzelne Frauen stürzen. Aber das? Einer der größten Bahnhöfe in Deutschland, wo Hunderte von Frauen Opfer brutaler Gewalt werden – und die Polizei nicht einschreitet … Das ist neu. Und hoch alarmierend.

Auf den Videofilmen von diesem Abend, die im Internet kursieren, sieht man die jungen Männer, wie sie Böller in die Menge werfen und mit Raketenpistolen prahlend über den Platz laufen. Sie spielen Krieg. Und an diesem Abend setzen sie eine für sie ganz einfache Waffe ein: die sexuelle Gewalt. Sexuelle Gewalt ist eine traditionelle Kriegswaffe (das analysierte Susan Brownmiller in »Gegen unseren Willen« 1975 als Erste umfassend). Sie bricht die Frauen und demütigt die Männer, die »ihre« Frauen nicht schützen können. Und an diesem Abend demütigte sie auch Vater Staat, der seine BürgerInnen nicht geschützt hat.

Erst zehn Wochen später wurde bekannt, dass mindestens zwei Männer an diesem Abend auch geschossen hatten. Es sei »nur einem Zufall zu verdanken, dass keine Personen verletzt worden sind«, kommentierte nun die Polizei.

In den Wochen nach Silvester defilieren in der nur 15 Fußminuten vom Kölner Bahnhof entfernten EMMA-Redaktion JournalistInnen aus aller Welt; TV-Teams aus Russland und Amerika, Australien und Frankreich, Printjournalisten von allerorten. Und alle, alle haben die immerselben Fragen zu dem »Kulturschock von Köln«: Ist die öffentliche Gewalt gegen Frauen jetzt aus Nordafrika und Nahost auf Europa übergeschwappt? War die Silvesternacht in Köln also ein politisches Signal? Und warum sagt das in Deutschland niemand?

Anfangs wurde die politische Dimension von Köln und NRW entschieden verneint, nur von »kriminellen Elementen« war die Rede. Doch heute wissen wir, dass nur ein einziger von den 130 Beschuldigten aus der kleinkriminellen sogenannten »Antanz-Szene« in Köln kam. Und inzwischen ist ja auch klar: Die Männer auf dem Bahnhofsvorplatz hatten sich verabredet. Selbstverständlich nicht als Teil einer »organisierten Kriminalität«, die hierarchisch aufgebaut ist. Und auch nicht auf Ordre du Mufti aus dem sogenannten Islamischen Staat. Nein, das waren dezentralisiert agierende kleine Gruppen oder größere Communitys, eine Art Schwarm. Für die eine Handvoll entschlossener Provokateure genügte. Die Verabredung bzw. Mobilisierung von ein paar Hundert oder Tausend jungen Männern ist für solche Gruppierungen dann nur eine Frage von Tagen, wenn nicht Stunden.

»In Köln war die Strukturlosigkeit das Kennzeichen vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Demonstration von Macht«, erläuterte Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer im Kölner Stadtanzeiger. »Entscheidend ist die gemeinsame Motivation, um auch ein gemeinsames Auftreten zu inszenieren.« Und er präzisiert: »In Köln war eine notwendige Bedingung, dass eine Opfergruppe, die Frauen, markiert wurde. Dies ist jedoch nicht hinreichend. Es muss eine kritische Masse von gleichgesinnten Tätern zusammenkommen. (…) Die Masse erleichtert die Vorkommnisse, weil Taten nicht individuell zugerechnet werden können und schnelle Fluchtwege zur Verfügung stehen.«

Aber wer sind diese »Gleichgesinnten«? Wer wollte da »gemeinsam Macht demonstrieren«? Die Männer kamen aus verschiedenen Orten und vermutlich auch Ländern, manche von ihnen sahen sich vielleicht zum ersten Mal. Sie alle verband anscheinend nur eines: Sie waren »Nordafrikaner oder