Christian Lunzer - Henner Kotte

Der Fall Schenk und Schlossarek

Arbeitsmarkt diversifiziert

 

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95616-573-3

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Inhalt

Arbeitsmarkt diversifiziert

Quellen

Literatur

Lust auf mehr?

Mütter, Töchter, Ehefrauen

Gift & Galle

Auf Messers Schneide

Weibliche Tugenden

Mörderische Arbeitsmarktverwaltung

Mord am Arbeitsplatz

Arbeitsplatz und Ausbildung

Die Autoren

Der Verlag

Impressum

 

Arbeitsmarkt diversifiziert

Die drei Herren, die am Abend des 11. März 1883 im Extrazimmer des „Schwarzen Adler“ im Wiener Vorort Rudolfsheim beisammen saßen, ließen es sich, wie zu sehen und zu hören war, gut gehen. Das Feinste aus Küche und Keller, was das traditionsreiche Gasthaus zu bieten hatte, war aufgefahren worden. Einen Anlass für diese fröhliche Feier gab es durchaus: Hugo Schenk, der Herr mit dem Schnauzbart, etwa Mitte dreißig, der in der Mitte saß und meist das Wort führte, hatte endlich, nach zwei schweren Jahren, seine Freiheit wieder. Vom Wiener Landesgericht war er, wegen Betrugs und Heiratsschwindels zu dieser Strafe verdonnert worden, die er, da es nicht die erste war, in voller Länge im Gefangenenhaus Stein an der Donau abzubüßen gehabt hatte.

Heute entlassen war er von seinem Bruder Karl, das war der schmächtige Herr links, und dem Freund aus gemeinsamer Haft, dem 26 Jahre alten Maschinenschlosser Karl Schlossarek, rechts mit Vollbart, vom Bahnhof abgeholt worden. Schlossarek war schon seit zwei Monaten frei – er hatte nur 22 Monate wegen Einbruchs abzusitzen gehabt.

Eine Geldsendung in der nicht unbeträchtlichen Höhe von 200 Gulden, zur Verfügung gestellt von Hugo Schenks in Mähren lebender Ehefrau, sicherte den Erfolg des Abends.

Aber nicht nur der fröhlichen Feierlichkeit sollte die Zusammenkunft gewidmet sein. Sie galt auch kommerziellen Zwecken. In der trauten Gemeinsamkeit der Zelle hatten Hugo Schenk und Karl Schlossarek einen Plan angedacht, der eine unfehlbare Methode zu dem so allgemein ersehnten Geschäftsprinzip – möglichst wenig Einsatz, möglichst wenig Arbeit und größtmöglicher Gewinn – darstellte. Es mussten nur mehr Details besprochen werden. Die Grundidee war einfach und klar.

Erwerbsarbeit, die den Lebensunterhalt sichert, war – und ist heute wieder – ein seltenes und daher kostbares Gut. Was die Arbeitgeber natürlich auch damals schon wussten und entsprechend nützten, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Arbeitszeit, aber auch in einem viel direkterem Weg. Für besonders lohnende, daher „Vertrauensstellung“ genannte Anstellungen forderte der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eine Kaution, ein Deposit, in nicht unbeträchtlicher Höhe, meist im Umfang eines Halbjahreslohns. Sie verfiel bei Kündigung durch den Arbeitnehmer und sicherte damit die repressive, aber profitable Gestaltung des Arbeitsplatzes im Sinn des Arbeitgebers. Arbeitssuchende gab es viele, vor allem aber solche, die aus der ländlichen Provinz kamen, um in der Großstadt – Wien zum Beispiel – ihr Glück zu suchen. Kaum einer von diesen kannte die Stadt, viele verstanden die Sprache nicht, waren daher auf Hilfe angewiesen. Aber alle hatten sie Geld bei sich. Diese Tatsachenkombination bildete die Grundlage für die Geschäftsidee aus Stein. Man beschloss, ein privates Stellungsbüro, eine Arbeitsmarktservicestelle zu gründen.

Die Aufgaben wurden definiert. Hugo Schenk mit seiner Beredsamkeit, seinem gewinnenden und vertrauenserweckenden Wesen, das sich, siehe Vorstrafen, bereits bewährt hatte, übernahm die Kundenaquisition. Karl Schlossarek, jünger und wegen seines Berufs mit entsprechender Körperkraft ausgestattet, sollte den operativen Teil, die Annahme und Einbringung der Geldmittel, übernehmen. Für Bruder Karl, der als einziger nicht vorbestraft, sondern Arbeiter bei der Eisenbahn war, und dem man daher weder körperliche noch geistige Leistungen zutraute, musste für einfache Dienstleistungen wie Botengänge, zur Verfügung stehen.