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Fußnoten

1

Diese Trilogie sollte ursprünglich drei Tragödien umfassen, deren dritte jedoch nicht vorliegt. Lorca plante eine biblische Tragödie, die allgemein unter dem Titel Las hijas de Lot bzw. La destrucción de Sodoma geführt wird, jedoch über den Projektstatus nicht herauskam. Nach Gibson (1991, 528) hat Lorca dieses Stück für seine Trilogie nicht fertiggestellt, sondern durch das Drama La casa de Bernarda Alba ersetzt.

2

Vgl. zu García Lorcas Leben das Standardwerk von Gibson (1991) sowie die neueren Biographien von Johnston (2003) und Genschow (2011).

3

Die Übersetzungen der Lorca-Texte ins Deutsche waren lange umstritten. Der langjährige Übersetzer Enrique (Heinrich) Beck hatte von den Erben Lorcas die Exklusivrechte für Übersetzungen ins Deutsche erhalten, seine Übersetzungen wurden jedoch wiederholt Zielscheibe der Kritik (vgl. Siebenmann 1988). Seit 2006 sind eine Reihe neuer Übersetzungen u. a. von Hans Magnus Enzensberger erschienen.

4

Lorca war mit La Barraca (seinem »Theater der sozialen Aktion«, vgl. Brauneck 1993, 172), bestehend aus Studenten der Madrider Universidad Central, im Auftrag des Erziehungsministeriums im ganzen Land unterwegs, um der »Landbevölkerung ihr kulturelles Erbe (Cervantes, Lope de Vega, Calderón u. a.) zu vermitteln« (Franzbach 2002, 288).

5

Einen Überblick über das spanische Theater im 20. Jahrhundert gibt Floeck 1990, 1997 und 2003.

6

Was dieser Band nicht leisten kann, ist eine umfängliche Auseinandersetzung mit der kaum noch zu überblickenden Lorca-Forschung. Zum Forschungsstand vgl. Larson 1987; Anderson 2002; Bonaddio 2007.

7

Einen vertiefenden Überblick über die diversen Literaturtheorien geben u. a. Köppe/Winko 2008; Simons 2009; Schmid 2010; Köppe/Kindt 2014.

8

Vgl. die strukturalistischen Analysen des Baudelaire-Gedichts Les Chats (Jakobson/Lévi-Strauss 1962).

9

Alle Beiträge beziehen sich bei Quellenverweisen und Zitaten – soweit nicht anders angegeben – auf die Ausgabe des Dramas Bodas de sangre in der handlichen Reclam-Ausgabe (2007). Die Zitation erfolgt direkt im Haupttext durch die Angabe der Seitenzahlen in Klammern.

10

Vgl. hierzu die übersichtliche und erhellende Einführung von Jung (2001).

11

Vgl. die Lektüre von Rezai-Dubiel zur Dekonstruktion im vorliegenden Band.

12

Diesen Ansatz verfolgt auch Grünnagel (2011) mit seiner hermeneutischen Lektüre von Balzacs Sarrasine.

13

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

14

Vgl. zur Symbolik von Pferd und Blut auch die Lektüre von Buschmann im vorliegenden Band.

15

Der Begriff »Erzählung« wird hier nicht verstanden als Gattungszuschreibung, sondern bezieht sich auf epische Elemente im Drama, die im Sinne Ricœurs einen geschichtlichen Verlauf mit der Identität der Figuren verknüpfen.

16

Vgl. die Lektüre von Kirsten von Hagen zu den Women’s Studies im vorliegenden Band.

17

Berühmt wurden die strukturalistischen Analysen des Ödipus-Mythos durch den Ethnologen Claude Lévi-Strauss (1955) und des Baudelaire-Gedichts Les Chats von Roman Jakobson und Lévi-Strauss (1962). In Letzterem spielt insbesondere die Relation von syntagmatischer und paradigmatischer Ebene eine zentrale Rolle. Für den Übergang vom strukturalistischen zum poststrukturalistischen Denken ist Barthes’ einflussreiche Studie S/Z (1970) zu erwähnen.

18

Zum Thema des Autors als Funktion vgl. Barthes (1968) und Foucault (1969).

19

Vgl. hierzu auch die theaterwissenschaftliche Lektüre von Siegmund im vorliegenden Band.

20

Auf diese herausragende Bedeutung des Eigennamens verweisen auch nicht-strukturalistische Analysen wie z. B. Neuschäfer (1988).

21

Vgl. auch die Lektüren von Grünnagel und Leinen im vorliegenden Band.

22

Ich danke Christian Grünnagel für die gewinnbringende Diskussion über die poststrukturalistischen Implikationen des Aktantenmodells.

23

Vgl. für eine dekonstruktivistische Lektüre den Beitrag von Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

24

Vgl. zur Analyse einer konkreten Inszenierung des Stücks den Aufsatz von Siegmund im vorliegenden Band.

25

Zum Begriff des Topos vgl. Wagner 2009, 605 f. »Topos« wird hier in Abgrenzung zum formalen Toposbegriff nicht als Sitz der Argumente, sondern als materialer Topos verstanden, der sich rein auf die inhaltliche Ebene bezieht.

26

Vgl. hierzu die Lektüre zur Intertextualität von Leinen im vorliegenden Band.

27

Vgl. hierzu die Lektüren von Kirsten von Hagen und Christian Grünnagel im vorliegenden Band.

28

Zum historischen Kontext und den Ideologien jener Zeit vgl. Nolan 2007, 124.

29

Vgl. die strukturalistische Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

30

Vgl. Genschows hermeneutische Lektüre im vorliegenden Band zur Metaphorik von Blut und Pferd.

31

Vgl. zu der eher atypischen Hervorhebung männlicher ›Reinheit‹ und ›Unberührtheit‹ die Lektüre von Kirsten von Hagen im vorliegenden Band.

32

Besonders deutlich wird das in folgendem Ausspruch: »Pero yo tengo orgullo. Por eso me caso.« (41)

33

Vgl. hierzu die psychoanalytische Lektüre von Ueckmann im vorliegenden Band.

34

Vgl. die Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

35

Insbesondere Melanie Klein erweiterte Freuds Theorien um die Bedeutung der Mutter-Kind-Interaktion in der frühkindlichen Entwicklung, vgl. Klein 2001.

36

Vgl. Samsonow/O’Donoghue (2007) zur neuen Interpretation des Spiegelstadiums.

37

Zur neueren Diskussion über das Reale vgl. Bonz/Febel/Härtel 2007.

38

Vgl. die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

39

Vgl. die Lektüre von Ehrlicher im vorliegenden Band.

40

Vgl. die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

41

Das Zusammenspiel von Libido und Todestrieb (vgl. Freud 2000b) zeigt sich nicht nur bereits im Namen der Figur »Leonardo Félix«, sondern auch der Dramentitel verknüpft Begehren und Sexualität mit Blut und Tod. So kulminiert die Hochzeit in einem wechselseitigen Töten der beiden rivalisierenden Männer. Um dieser Spur zu folgen, müsste man das Drama einer Freud’schen Analyse unterziehen, was hier nicht geleistet werden kann. Ferner erinnern die allegorischen Figuren (Holzfäller, Tod und Mond) an eine Art Traumsequenz. Für Freud ist der Traum ein Ausdruck des Unbewussten und bietet Hinweise auf eine verschlüsselte Wunscherfüllung (vgl. Freud 2001).

42

Vgl. die Lektüre von Ehrlicher im vorliegenden Band.

43

»Golpe de mar« ebenso wie »río oscuro« rufen metonymisch Meer bzw. Wasser auf, welches nach Freud auch ein Symbol des Unbewussten ist. Das Stück ist reich an Material, das psychoanalytisch im Sinne Freuds beleuchtet werden könnte: Sei es LEONARDOS Hengst, der dem männlichen sexuellen Begehren Ausdruck verleiht. Oder sei es das Messer, »eigentlicher Protagonist des Dramas« (Gibson 1991, 456), ein Phallussymbol, das am Ende die beiden rivalisierenden Männer penetriert. Dies ist zudem die einzige, noch dazu homosexuell grundierte Penetration, die nachweislich stattfindet (vgl. Smith 1998, 46). Zu Messer, Blut und Erde vgl. die Diskursanalyse von Buschmann im vorliegenden Band.

44

Vgl. Siegmunds Beitrag zur Inszenierung des Stücks als Tragödie im vorliegenden Band.

45

Ich danke Gisela Febel für wichtige Anregungen zur Psychoanalyse von Lacan.

46

Vgl. die Lektüre von Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

47

Für die internationale Präsenz des Ansatzes Girards sorgt seit den 1990ern insbesondere das transatlantische Netzwerk Colloquium on Violence & Religion, das neben einer eigenen Zeitschrift (Contagion: Journal for Violence, Mimesis and Culture auch ein Bulletin herausgibt (www.uibk.ac.at/theol/cover/). Die trans- bzw. interdisziplinäre Rezeption von Girards Mimesistheorie, die in der internationalen Diskussion dominiert, betont auch Scholl (2008, 2326).

48

In diesem Sinne bereits die Kritik von Gebauer und Wulf (1992, insbesondere S. 333).

49

Vgl. hierzu auch die literatursoziologische Lektüre von Floeck im vorliegenden Band.

50

Die Funktion des Sündenbocks untersucht Girard ausführlich in seiner dritten großen Monographie, Der Sündenbock (1982/1988).

51

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

52

Vgl. hierzu auch die strukturalistische Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

53

Vgl. zu LEONARDO als Ausnahme die Lektüren von Wehrheim, Floeck und Ueckmann im vorliegenden Band.

54

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

55

Vgl. die Lektüre von Floeck im vorliegenden Band.

56

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

57

Auch Steffen wählt in ihrer Einführung in das Problemfeld ›Gender‹ diesen (zweiten) Schöpfungsbericht als Aufhänger und diskutiert außerdem seinen Bezug zum ersten Schöpfungsbericht (vgl. 2006, 710).

58

D. h. das geistige Heranreifen zum erwachsenen Menschen.

59

Bisweilen auch Masculinities Studies. Als aktuelle Einführung in ihre Fragestellungen kann Reeser 2010 empfohlen werden.

60

Steffens kurzer Abriss zu den Masculinities Studies und insbesondere zu Connell (vgl. Steffen 2006, 8490) wird der Disziplin leider nicht gerecht. Connell zu unterstellen, er vermöge »sich nicht wirklich und konsequent von einer patriarchalischen Dualität Mann – Frau zu trennen« (ebd., 88), ja seine Arbeiten hielten »im Kern« an einem »maskulinen Herrschaftsanspruch« fest (ebd., 87 f.), ist dabei besonders problematisch, wenn man bedenkt, wie kritisch sich Connell gerade mit hegemonialer Männlichkeit als Stütze des Patriarchats auseinandergesetzt hat, und man in Rechnung stellt, dass Robert W. Connell nach einer Geschlechtsumwandlung nun als Raewyn Connell weiter kritisch zu Männlichkeiten forscht.

61

Zu beachten ist aber die Androgynie des Mondes bei García Lorca, da ja LA LUNA als »leñador joven« verkleidet (70), also in einer Hosenrolle, auftritt. Vgl. die Lektüre von Kirsten von Hagen im vorliegenden Band.

62

Vgl. die Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

63

Der Begriff ›Binarität‹ ist häufig in den Gender Studies anzutreffen und wurde dem Strukturalismus entlehnt (vgl. die Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band). Bezogen auf unser Thema meint Binarität, dass von zwei einander antithetisch bzw. komplementär gegenüberstehenden Geschlechtern (männlich/weiblich) ausgegangen wird. Unberücksichtigt bleiben bei dieser Konzeption denkbare und mögliche Zwischenstufen, z. B. Androgynie und Intersexualität.

64

Männlichkeit wird hier mit einem Vergleich belegt, der in der europäischen Liebeslyrik stereotyp auf Weiblichkeit verweist, so werden üblicherweise Frauen mit Rosen, Lilien und anderen Blumen verglichen.

65

Dass insbesondere die Männer in diesem Patriarchat gleichsam vom Aussterben bedroht sind, bestätigt auch der Dramenschluss: LEONARDO und der NOVIO sind tot, die NOVIA überlebt, wenn auch als entehrte Frau. Ihr wird der Tod trotz ihrer Bitten verweigert: »Véngate de mí; ¡aquí estoy!« (93) In dieser Hinsicht unterscheidet sich Bodas de sangre von der Gattung des drama de honor im 17. Jahrhundert (vgl. die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band), wo gerade die Ehebrecherin üblicherweise zu Tode kommt.

66

Nach Connell haben wir es hier streng genommen wohl eher mit marginalisierter Männlichkeit bezogen auf die spanische Gesellschaft als Ganzes zu tun, da das rurale Ambiente eine politisch und ökonomisch weitgehend machtlose Klasse zeigt, Hegemonie jedoch prinzipiell nach Machtmitteln verlangt (vgl. Connell 2005, 77). Ich schlage aber vor, dass man innerhalb einer sozialen Gruppe oder Klasse jeweils auch eine spezifische Form von dort gültiger hegemonialer Männlichkeit ausmachen kann. Connell und Messerschmidt haben in einem Aufsatz (2005, 840) selbst die Sinnhaftigkeit der Annahme von »locally specific hegemonic masculinities« eingeräumt.

67

Dass in letzter Konsequenz die MADRE männlich konnotierte Dominanz verkörpert, wird auch dadurch gestützt, dass sie über mehr ökonomische Macht als der PADRE DE LA NOVIA verfügt, der ja unumwunden einräumt: »Tú eres más rica que yo.« (105) Ausführlich zu Weiblichkeit im Stück vgl. die Lektüre von Kirsten von Hagen im vorliegenden Band.

68

Zu den historischen Angaben im Folgenden vgl. auch Bernecker 1990; Gil Pecharromán 1997 und Mintz 2004.

69

Eine der anarchistischen Zeitungen hieß bezeichnenderweise La Tierra, einer ihrer Korrespondenten war der Schriftsteller Ramón J. Sender, der seine Reportagen aus Casas Viejas 1934 unter dem Titel Viaje a la aldea del crimen als Buch veröffentlichte.

70

So Friedrich Kittler vor dreißig Jahren, als er ebenfalls vor der Aufgabe stand, für eine Modellanalyse einleitend seine Methode zu erläutern. Diese Problematik betont auch Winko 2002, 477.

71

Gemeint sind mit solchen innersprachlichen Regularien z. B. anerkannte Argumentationsstrukturen oder die (wertende) Unterscheidung zwischen nicht-bildlichen und bildlichen Aussageformen wie Symbolen, Allegorien, Metaphern.

72

Vgl. einleitend hierzu Kammler u. a. 2008, Link 1988, Link/Link-Heer 1990, Scheiding 2011, Simons 2009 und Winko 2002.

73

Diese räumliche Verlegung fällt besonders auf, weil Lorca mit ihr die Situierung verändert, wie sie in der Zeitungsnotiz zum »crimen de Níjar« vermeldet worden war; vgl. hierzu die Lektüre von Floeck im vorliegenden Band.

74

Immer geht es in Lorcas Tragödien um Dispositive, die die Moderne organisieren: um (verbotene) Sexualität, die mit den Normen der Gesellschaft kollidiert, um die Kontrolle des Subjekts (u. a. durch Ein- und Ausschluss), um Wahnsinn als Zuschreibung und als Rettung vor dem Überwachungssystem.

75

Wenn etwa Rafael Alberti in »A Miss X, enterrada en el viento del oeste« (1927) eine selbstbewusste Garçonne mit Wasserflugzeugen assoziiert.

76

Vgl. hierzu etwa die literatursoziologische Lektüre des Stücks von Floeck im vorliegenden Band.

77

Vgl. zur Hermeneutik die Lektüre von Genschow im vorliegenden Band.

78

Zu Lorcas Herkunft und Sozialisation vgl. vor allem Francisco García Lorca 1986 und Gibson 1985 und 1987.

79

Vgl. dazu etwa Ruiz Ramón 1984, Kap. 14; Edwards 1983, 1438; Floeck 1994.

80

Zu seiner ästhetischen Entwicklung vgl. vor allem Laffranque 1967.

81

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Ehrlicher im vorliegenden Band.

82

Vgl. hierzu auch die beiden Gender-Beiträge (von Kirsten von Hagen und Christian Grünnagel) im vorliegenden Band.

83

Zur sozialkritischen Funktion des Stückes vgl. auch die Lektüren von Leinen und Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

84

Zum Begriff der »tierra« vgl. auch die Lektüre von Buschmann im vorliegenden Band.

85

Zur Psychoanalyse vgl. auch die Lektüre von Ueckmann im vorliegenden Band.

86

Die wenigen hier erwähnten Autoren aus dem anglo-amerikanischen Raum sind zwar die am stärksten kanonisierten, sie stellen aber nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Spektrum der postkolonialen Theorie dar. Zu nennen wären aus Afrika, Indien, der Karibik und Lateinamerika u. a. Chinua Achebe, Léopold Sédar Senghor, Abdelkébir Khatibi, Albert Memmi, Achille Mbembe, Dipesh Chakrabarty, Aimé Césaire, Frantz Fanon, Édouard Glissant, Patrick Chamoiseau, Stuart Hall, Walter D. Mignolo oder Néstor García Canclini.

87

Vgl. zur Dekonstruktion als Methode die Lektüre von Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

88

Said geht in seiner Orientalismus-Studie auf Spanien nicht näher ein (vgl. Said 1995, 17). Zur Anwendung Saids auf die Lektüre spanischer Texte der Frühen Neuzeit vgl. Grünnagel 2006.

89

Lorcas intensive Beschäftigung mit dem islamischen Orient, der arabischen und persischen Literatur und der Epoche der Mauren in Spanien hat vor allem in seiner Lyrik Spuren hinterlassen (vgl. Schneider 2005).

90

Vgl. die Lektüren von Kirsten von Hagen und Christian Grünnagel im vorliegenden Band.

91

Das Verb cubrir (›decken‹, ›beschälen‹) bezieht sich auf den Begattungsvorgang unter (Haus-)Tieren. Der NOVIO wird also von seiner Mutter als ›guter Zuchthengst‹ angepriesen.

92

Vgl. die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

93

Zur Inszenierung des Stücks als antike Tragödie vgl. den Beitrag von Siegmund im vorliegenden Band.

94

Die Formulierung knüpft an Jean Paul und Sigmund Freud an, die das Unbewusste auch metaphorisch als das »wahre, innere Afrika« bzw. als »dark continent« bezeichneten (vgl. Lütkehaus 1989, 8 f.). Zur anthropologischen Ritualdimension des Schauspiels vgl. die Lektüre von Ehrlicher im vorliegenden Band.

95

Abweichend vom Vorschlag des Barthes-Übersetzers Hoch hat sich im deutschen Sprachgebrauch zur Übertragung von »chambre d’échos« der Begriff »Echokammer« durchgesetzt.

96

Vgl. die Lektüre von Wehrheim im vorliegenden Band.

97

Vgl. Blooms Aussage, »that there are no texts, but only relationships between texts« (2003, 3).

98

»Hay que volver a la tragedia. Nos obliga a ello la tradición de nuestro teatro dramático« (Lorca im Interview mit Chabas 1934, 605).

99

Zur christlichen Motivik vgl. die Lektüre von Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

100

Vgl. die Lektüre von Buschmann im vorliegenden Band.

101

Vgl. hierzu die postkoloniale Lektüre von Christian von Tschilschke im vorliegenden Band.

102

Entsprechend kritisch sind essentialistische Ansätze wie der von Torrecilla zu bewerten, der von einem »condicionamiento casi genético de los personajes« ausgeht, die einer »ciega voluntad de un agente sobrenatural« (2008, 239) folgen.

103

Vgl. Frenzel 1988, 170185. Wichtige Hypotexte der Moderne sind Ibsens Peer Gynt (1867), Riders by the sea (1904) von John Millington Synge, Tschechows Der Kirschgarten (1904) und Valle-Incláns Tragedia de ensueño (1903), Romance de lobos (1908) sowie El embrujado (1912). Schon ein Jahr bevor Lorca in Bodas de sangre den Crimen de Níjar aufgreift (vgl. hierzu die Lektüre von Buschmann im vorliegenden Band), verarbeitete Carmen de Burgos das Ereignis in ihrer Kurzgeschichte Puñal de claveles (1931).

104

Im Repertoire befand sich u. a. Lopes Caballero de Olmedo (1641), der zu den unmittelbaren Hypotexten von Bodas de sangre zählt. So deuten bei Lope dunkle Vorahnungen, ein aus dem Nichts ertönendes Lied sowie ein unheilvoller Schatten auf das tragische Ende hin (vgl. Loughran 1980, 176). La Barraca präsentierte auch Lopes Peribáñez y el comendador de Ocaña (1614), in dem ein Bauer zur Hauptfigur eines Ehrendramas wird.

105

Calderón bestätigt das Ehrkonzept, verdeutlicht aber auch dessen »perversión« (Neuschäfer 1973, 101).

106

Mit diesem textanalytischen Befund verbindet sich der Impuls für eine bislang ausstehende publikums- und rezeptionssoziologische Studie. Vgl. hierzu die Lektüre von Maeding im vorliegenden Band.

107

Weitere Bezüge zwischen Lorcas und Shakespeares Dramen erschließen Feal (1984, 279) und Anderson (1985).

108

In diesem Sinne lässt sich die an die MADRE gerichtete Aussage »Tu también te hubieras ido« (92) deuten.

109

»MADRE. […] Benditos sean los trigos, porque mis hijos están debajo de ellos; bendita sea la lluvia, porque moja la cara de los muertos. Bendito sea Dios, que nos tiende juntos para descansar.« (93)

110

Vgl. zu Jauß’ rezeptionsgeschichtlichen Perspektiven die Lektüre von Maeding im vorliegenden Band.

111

Vgl. ferner Köppe/Winko 2008, 8893; Peters 2010, 321329, oder Leiteritz 2004, 150.

112

Das Konzept des impliziten Lesers ist nach Iser auf vielfältige Weise weiterentwickelt und in theaterwissenschaftlichen Studien auch als »implied spectator« diskutiert worden (vgl. z. B. Kaynar 1997).

113

In einer Inszenierung, die sich stets für eine bestimmte Interpretation des Stückes entscheiden muss, verengt sich die Leerstelle der »gritos« aufgrund der Tonhöhe der Schreie vermutlich auf die männlichen Protagonisten und lässt dem Rezipienten dadurch weniger Spielraum.

114

Diese verbale Aussparung der Eheschließung findet sich in analoger Form bereits im ersten cuadro zwischen Mutter und Sohn: »NOVIO. ¿Y yo, madre? / MADRE. ¿Tú, qué? / NOVIO. ¿Necesito decírselo otra vez? / MADRE. (Seria) ¡Ah!« (8)

115

Die durch die Auslassungszeichen erzeugten Leerstellen der Textfassung können in der Inszenierung wiederum durch bestimmte Interpretationen gefüllt werden; so hätte der Regisseur beispielsweise die Möglichkeit, den Fokus auf die Sexualität als Zweck der Eheschließung zu lenken, indem er die Schauspielerinnen kichern oder erröten ließe (vgl. zu einer konkreten Inszenierung die Lektüre von Siegmund im vorliegenden Band).

116

Vgl. hierzu die Lektüre von Jessen im vorliegenden Band.

117

Zur Unterscheidung von Wirkung und Rezeption vgl. Jauß 1991, 738, sowie zur Problematik auch Zimmermann 1977, 15 f.

118

Zur Kritik an der Objektivierbarkeit des Erwartungshorizonts vgl. Grimm 1977, 146.

119

Jauß hat den Begriff der »Horizontverschmelzung« von Gadamer übernommen, der ihn in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode zur Voraussetzung für »wirkliche[s] Verstehen« (1975, 356) erhebt.

120

Der Begriff geht auf Roman Ingarden zurück, der bereits 1931 in Das literarische Kunstwerk davon ausging, dass sich erst durch die Konkretisationen der Rezipienten das »›Leben‹ des literarischen Werkes« (1972, 353) erfülle.

121

Die darin enthaltene Willkür gefährde laut Grimm das Projekt einer Rezeptionsgeschichte gegenüber der Literaturgeschichte, die sich zumindest an den »Primärprodukten« (1977, 145) orientieren könne.

122

Grimm zufolge grenzt sie das Interesse für den Modus der Rezeption von der historischen Leserforschung ab (vgl. 1977, 61).

123

Zu den Aufführungen in der spanischen Provinz vgl. Anderson 1985.

124

Siehe die Besprechung in La Nación vom 9. März 1933, zit. nach Castillo 2008, 334. Neben den vielen positiven Kritiken sind aber auch Stimmen wie jene von El Liberal dokumentiert, die das Stück als »regresión« (vgl. Lázaro 1971, 24) innerhalb der Entwicklung Lorcas verstanden.

125

Kritiker, die sich auf die Handlungsebene konzentrierten, nahmen kaum Neuartiges an dem Stück wahr (vgl. Vilches de Frutos / Dougherty 1992, 75).

126

Zum andalusischen costumbrismo als Erfolgsvoraussetzung des kommerziellen Theaters der 1930er Jahre vgl. Castillo 2008, 315.

127

Vgl. hierzu die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

128

Vgl. zur Umsetzung des Stücks in eine Oper den Beitrag von Febel im vorliegenden Band.

129

So argumentiert Rudolph Kieve im einflussreichen Merkur und stellt Kleist als analoges Phänomen zu Lorca dar (vgl. Kieve 1951, 926).

130

Inwieweit das Andalusische als das »Urspanische« auch heute noch die Rezeption prägt, zeigt Torrecilla 2008.

131

Vgl. die psychoanalytische Lektüre von Ueckmann im vorliegenden Band.

132

Vgl. die intermedialen Beiträge von Febel und Schlickers im vorliegenden Band.

133

Vgl. hierzu die Lektüre von Schlickers im vorliegenden Band.

134

Vgl. hierzu die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

135

Fortner (190787) war ein bedeutender Komponist der Nachkriegszeit; er war Mittler und Lehrer vieler bekannter Vertreter der Neuen Musik und Gründer der berühmten Darmstädter Kurse für Neue Musik (vgl. Weber 1995).

136

Mit den Performance Studies rückt seit den 1990er Jahren die performative Dimension von Opern in den Blick (vgl. Daude 2014).

137

Vgl. hierzu die Lektüre von Siegmund im vorliegenden Band.

138

Vgl. hierzu die Lektüre von Rezai-Dubiel im vorliegenden Band.

139

Gades, Saura und Piedra (Produzent) setzten ihre erfolgreiche Zusammenarbeit fort und adaptierten zwei Jahre später Carmen, gefolgt von El amor brujo (1985).

140

Für die nachfolgenden Ausführungen vgl. Schlickers 1997, Kap. 1.

141

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

142

Die Ballettaufführung selbst war zu kurz für den Vertrieb eines Spielfilms und musste folglich erweitert werden, vgl. Galán 2004.

143

Die Bezeichnung »musical« von Galán (2004) ist irreführend, da das Musical als ›Drama mit Musik‹ auch Textpassagen enthält.

144

Dazu zählt zu Beginn das Spiel mit der Schärpe, »clearly employed as a symbolic umbilical cord which ties El Novio to La Madre« (Stone 2001, 172).

145

Das typische Aufstampfen mit dem Fuß beim Flamencotanz.

146

Diese Interpretation wird gestützt durch den Wegfall der allegorischen Figuren des letzten Akts sowie die Streichung der sozioökonomischen Aspekte der Hochzeit. Die Verbindung von Kapital und Patrilinearität mittels Eheschließung spielt auch in Yerma und La casa de Bernarda Alba eine wichtige Rolle, wobei es in dem zuletzt genannten Stück der Mann ist, der es auf die Mitgift der ältesten Tochter abgesehen hat.

147

Heffner Hayes (2000, 57) verweist auf die tänzerische Transgression des traditionellen weiblichen Codes in dieser Szene.

148

Gómez (2000, 76 f.) erkennt die ideologische Übereinstimmung des impliziten Autors mit der hier zutage tretenden Toleranz gegenüber dem Begehren und verweist auf die autoreflexive Rolle der Holzfäller, die als interne Beobachter des dramatischen Geschehens die Rolle des externen Zuschauers spiegeln.

149

Im Hypotext indes wird das ökonomische Interesse der Eheschließung im Gespräch der MADRE des Bräutigams und des Vaters der Braut klar hervorgehoben (I,3), und auch LEONARDO fühlt sich gekränkt, da er der NOVIA offenbar zu arm war: »¿Quién he sido yo para ti? Abre y refresca tu recuerdo. Pero dos bueyes y una mala choza son casi nada. Ésa es la espina.« (40) Vgl. auch die Lektüre von Floeck im vorliegenden Band.

150

Diese Figurenkonzeption findet sich auch im Ballett wieder, weswegen ich der femme-fatale-Lektüre von Heffner Hayes (2000, 5961) ebenfalls nicht folgen kann, die offenbar darauf gründet, dass sie die NOVIA mit Carmen assoziiert.

151

Vgl. auch die Lektüre von Leinen im vorliegenden Band.

152

Vgl. die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

153

Courcelles (2006, 88) interpretiert diese Einstellung als symbolische Verkörperung ihres versteinerten Denkens, des Verlusts ihrer selbst und der Welt.

154

Galán (2004) formuliert dies poetischer: »Sin palabras, parece oírse el ceceo cortijero; sin coro trágico, el cuerpo de danza hace aflorar los sentimientos que flotan en el ambiente, la parte versificada de Lorca.«

155

Diesem Beitrag liegt die Übersetzung von Rudolf Wittkopf zugrunde (vgl. Lorca 2002), auf die auch die Inszenierung von Lolić zurückgreift.

156

Diesem Aufsatz liegt die DVD-Aufzeichnung einer Vorstellung zugrunde, die mir das Münchner Volkstheater freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

157

Vgl. hierzu die Lektüre von Jessen im vorliegenden Band.

158

Zur Komplexität des Perspektivenwechsels vgl. Surkamp 2007.

159

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

160

Vgl. zu Fortners Oper auch die Lektüre von Febel im vorliegenden Band.

161

Vgl. zu den Frauenfiguren des Stücks die Lektüre von Kirsten von Hagen im vorliegenden Band.

162

Vgl. hierzu auch die Lektüre von Grünnagel im vorliegenden Band.

Einleitung

Bodas de sangre. Ein Theaterstück im Blick der Literaturtheorie

Von Christian Grünnagel, Natascha Ueckmann und Gisela Febel

Federico García Lorca – zwischen Tradition und Avantgarde

Federico García Lorca (18981936) ist einer der bedeutendsten spanischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts, der das Theater in der Zweiten Republik (193139) maßgeblich geprägt und durch ästhetische Innovationen bereichert hat. Seine überragende Bedeutung für die spanische Literaturgeschichte ist unbestritten; seine Werke strahlten weit über die Landesgrenzen hinaus ins übrige Europa, aber auch nach Lateinamerika aus und werden bis heute gelesen und aufgeführt.

Bodas de sangre (uraufgeführt am 8. März 1933 in Madrid) gehört zusammen mit Yerma (1934) und La casa de Bernarda Alba (1936) zu der sogenannten Bauerntrilogie.1 Sie zählt zu den ambitionierten Versuchen, avantgardistische Ästhetik, andalusische Volkskunst und zeitgenössische soziale Anklage zu einem komplexen und bühnenwirksamen Kunstwerk zu verbinden. Lorca ist einer der wenigen spanischen Dramatiker, dessen Werk regelmäßig auf deutschen Bühnen inszeniert wird und der dem deutschen Publikum nicht zuletzt aufgrund seines frühen tragischen Todes ein Begriff ist.2 Sein facettenreiches Gesamtwerk, das neben den genannten auch noch experimentellere Stücke – wie z. B. El maleficio de la mariposa (1921), El público (1930) und Así que pasen cinco años (1931) – sowie eine Reihe bedeutender Gedichtbände umfasst, allen voran Romancero gitano (1928) und Poeta en Nueva York (1930), fügt sich als gewichtiger spanischer Beitrag in die europäische Moderne. Lorca unterhielt – wozu sein Leben in Madrid in der berühmten Residencia de Estudiantes von 1919 bis 1928 wesentlich beitrug – enge Beziehungen zu weiteren bedeutenden Autoren der Generación del 27 und zu surrealistischen Künstlern wie Salvador Dalí und Luis Buñuel. Selbst vielfältig über die Literatur hinaus begabt, liegen auch Zeichnungen und musikalische Kompositionen dieses (neben Miguel de Unamuno) wohl fruchtbarsten Repräsentanten der Edad de Plata in Spanien vor, jener nach dem Siglo de Oro zur zweiten Glanzzeit spanischer Kultur erhobenen Epoche vor der Katastrophe des Spanischen Bürgerkriegs. Eines der ersten Opfer des Bürgerkriegs sollte Lorca selbst werden, dem die klerikal-konservativen und faschistischen Putschisten um Franco nicht nur sein Engagement für die Zweite Republik, sondern auch seine Homosexualität vorwarfen. Federico García Lorca wurde am 18. August 1936 in der Nähe von Granada erschossen.

Trotz seiner augenscheinlichen Popularität ist in der Forschung der letzten Jahre recht wenig zu Lorcas Dramen gearbeitet worden. Die Forschung hat sich seit der Betrachtung des subversiven Potentials dieser Texte in den 1960er und 1970er Jahren (vgl. u. a. Lorenz 1961; Durán 1962; Huber 1967; Michaelis 1969; Colecchia 1979) und der ersten postfrankistischen Rezeptionsphase in den späten 1970er und 1980er Jahren (vgl. u. a. Valls Guzmán 1977; Loughran 1978; Edwards 1980; Rogmann 1981; Cao 1984; Fernandéz Cifuentes 1986; Martín 1986; Neuschäfer 1988; Siebenmann 1989; Smith 1989) seinen Dramen nur vereinzelt zugewandt. Meist kamen dabei Aspekte der Adaptation auf der Bühne, im Film und in anderen Medien (vgl. Smith Kleiner 1996; Sorgenfrei 1998), der Aufführungspraxis (vgl. Gómes Torres 1995; Smith 1998) und der Übersetzung (vgl. Rudin 1997; Reichenberger / Rodríguez López-Vázquez 1992) in den Blick.3 Auch Bezüge zur antiken Tragödie und der tragische Konflikt des Individuums sind wiederkehrende Themen in der Lorca-Forschung seit den 1990er Jahren (vgl. Rosslyn 2000; McDermid 2007; Doménech 2008; Silverman 2009).

Warum Bodas de sangre? Zeitlose Avantgarde und Aktualität des Themas

Das für den vorliegenden Band von Modellanalysen ausgewählte Theaterstück Bodas de sangre eignet sich besonders gut als Einführung in Lorcas umfangreiches Œuvre, denn es geht von dem für ihn typischen andalusischen Setting aus, integriert zudem im dritten Akt allegorisch-amimetische Figuren wie Mond und Bettlerin als Agenten des Todes und chorale Charaktere wie die Gruppe der Holzfäller. Es grenzt sich also deutlich vom unkritischen Realismus des damaligen Boulevardtheaters ab und lässt Lorcas Auseinandersetzung mit der europäischen Avantgarde erkennen. Diese erste »lyrische Tragödie« Lorcas verbindet moderne Elemente mit lyrischen Passagen von großer Schönheit und andalusischem Lokalkolorit und steht heute für einen ganz eigenen spanischen Beitrag zur Avantgarde.

Lorca verstand sich als ein Erneuerer des spanischen Theaters: Als Leiter und Schauspieler des Volkstheaters La Barraca, das während der Zweiten Republik vor allem Klassiker des Siglo de Oro popularisierte,4 war er mit der spanischen Theatergeschichte vertraut. In seiner dramaturgischen Arbeit und in seinen eigenen Werken verband er Formen der griechischen Tragödie mit dem frühneuzeitlichen Ehrendrama, der volkstümlichen spanischen Theatertradition, dem realistischen Drama des 19. Jahrhunderts und experimentellen Techniken der europäischen Avantgarde (vgl. Floeck 1996, 378).5

Das Thema von Bodas de sangre – Ehre und Rache – hat gerade in der spanischen Literatur eine lange Tradition und wird von Lorca, ausgehend von einem realen Vorfall in einem andalusischen Dorf, für seine Zeit hochaktuell in Szene gesetzt. Blutrache gilt als Mittel zur Wiederherstellung von gekränkter Ehre. Die strenge sittliche Haltung der Ehefrau, die einen Teil der Ehre des Mannes ausmacht, verlangt die Einhaltung konventioneller Vorstellungen von Ehe, Familie und Sexualität. Indem Lorca weibliche Sexualität und Selbstbestimmung auf die Bühne bringt, bricht er mit diesen aus dem Siglo de Oro übernommenen Ehrvorstellungen (vgl. Neuschäfer 2011, 201205). Da der Konflikt zwischen individuellem Glücksstreben und gesellschaftlichen Zwängen bis heute nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat, verwundert es nicht, dass dieses Stück nicht nur dank seiner technischen Meisterschaft, sondern auch aufgrund seines Themas zum Klassiker der spanischen Literatur avancierte.

Bodas de sangre in vielerlei Licht – Methodenpluralismus und Modellanalysen

Am Beispiel dieses Stücks will der vorliegende Band in zentrale Aspekte des Werks von García Lorca einführen und zugleich aktuelle wie klassisch gewordene Interpretationsmethoden aus den Literatur- und Kulturwissenschaften vorstellen und am Text erproben. Ziel ist eine erneuerte Lektüre dieses modernen Klassikers, ausgehend von einer breiten Vielfalt von Betrachtungsweisen.6

Literatur- und Kulturwissenschaften beruhen auf der grundsätzlichen Annahme der Komplexität der ästhetischen Form und der Vielfalt und Wandelbarkeit des kulturellen Kontextes, so dass der Gegenstand stets in einem neuen Licht steht, je nachdem vor welchem theoretischen Hintergrund ein literarischer Text analysiert wird. Der sich seit den 1970er Jahren entwickelnde Methodenpluralismus und die neuen, auf dem Hintergrund postkolonialer, intertextueller und intermedialer Theorien entstandenen Ansätze sind für uns Ausdruck einer großen Deutungsfreiheit und zeigen die Vielfalt der Möglichkeiten, Sinn zu erkennen und zu erzeugen. In diesem Band werden die verschiedenen Modellanalysen daher nicht einander gegenübergestellt oder hierarchisch geordnet, sondern es soll gezeigt werden, wie durch bestimmte theoretische Voraussetzungen, Konzepte und Fragestellungen jeweils besondere Sinndimensionen und ästhetische Qualitäten eines Textes aufgedeckt werden können.

Jede der nachfolgenden Modellanalysen führt daher zunächst kurz in die gewählte Methode ein und stellt grundlegende Konzepte der Theorie dar, auf die Bezug genommen wird. In einem zweiten Schritt werden diese theoretisch-methodischen Ansätze auf den literarischen Text angewandt. Jede Modellanalyse lässt so im Ergebnis das Drama Bodas de sangre in einem anderen Licht erscheinen. Dadurch sollen einerseits der ästhetische Reichtum des Textes sichtbar und andererseits die Verwendungsmöglichkeiten und die Grenzen der einzelnen Interpretationsansätze anschaulich gemacht werden. Eine ganze Reihe dieser Modellanalysen ergänzen sich natürlich und verweisen aufeinander, was ein gewünschter Effekt ist, so dass sich bei der Lektüre des Bandes ein breites Interpretationspanorama ergibt. Zugleich ist auch eine selektive Lektüre durchaus sinnvoll, wenn man sich für spezielle theoretische Ansätze interessiert.

Die Literaturtheorie und das Drama

Das Besondere dieses Bandes ist die Tatsache, dass er zentrale Ansätze der Literatur- und Kulturtheorie7 von einem Theaterstück ausgehend diskutiert und für die methodenpluralistische Diskussion nicht wie bislang einen narrativen Text zur Grundlage nimmt. Man denke an das Pionierwerk zu Kleists Das Erdbeben in Chili (Wellbery 1985), an die germanistischen Modellanalysen zu Kafkas Urteil (Jahraus/Neuhaus 2002) und das 2011 erschienene frankoromanistische Pendant zu Balzacs Sarrasine (Richter/Struve/Ueckmann). In der Hispanistik liegt hingegen nur Ehrlicher und Poppenbergs Band (2006) zu den Exemplarischen Novellen von Cervantes vor, der sich auf Aspekte der frühneuzeitlichen Literatur beschränkt.

Zentrale Positionen der verschiedenen literatur- und kulturtheoretischen Ansätze wurden bislang in erster Linie an narrativen Texten, gelegentlich auch an der Lyrik,8 kaum aber an einem Theaterstück gewonnen und erprobt. Einige Ansätze legen die Fokussierung auf Narrativik und Lyrik sogar in ihrer Terminologie offen: Isers »impliziter Leser« ist begrifflich auf die typische Rezeptionshaltung bezogen, wie wir sie von unserer heutigen solitären Roman- oder Gedichtlektüre kennen. Dramatik ist aber prinzipiell nicht auf einen einsamen Leser, sondern auf eine kollektiv erlebte, multimediale Inszenierung hin angelegt. Während sich in der Lyrik häufig ein monologisches Ich zeigt und in der Narrativik eine Erzählinstanz als vermittelnde Ebene zwischen den fiktionalen Figuren und dem empirischen Rezipienten notwendig wird, ist Dramatik gerade durch die unvermittelte, direkte Konfrontation mit handelnden Figuren auf einer Bühne charakterisiert. Diese Unmittelbarkeit entfällt auch nicht bei der Lektüre eines Dramentextes, da der Leser in diesem Fall zu seinem eigenen Regisseur wird.

Scheint es also so, als habe die moderne literaturwissenschaftliche Theoriebildung die Dramatik eher stiefmütterlich behandelt, stellt sich das Bild ganz anders dar, wenn wir einen Blick zurück auf die Anfänge der theoretischen Reflexion zum Medium ›Literatur‹ werfen. Bereits der erste große Entwurf einer Dichtungstheorie legt einen klaren Schwerpunkt auf die Dramatik: In der Poetik des Aristoteles steht die Tragödie dem Heldenepos in nichts nach, scheint ihm sogar überlegen und fügt sich ja auch besonders gut in die aristotelische Theorie der Mimesis, nach der Dichtung die Nachahmung menschlicher Handlung sei. Diese besondere Stellung in der poetologischen Reflexion hatte die Dramatik noch bis ins 18. Jahrhundert inne; man denke im spanischsprachigen Kulturkreis an die dramentheoretischen Traktate des Siglo de Oro (vgl. Rössner 1991; Ehrlicher 2012), allen voran Lope de Vegas Arte nuevo de hacer comedias von 1609 (vgl. Eglseder 1998; Grünnagel 2010, 102110). Der Roman war hingegen lange Zeit eine von der Theoriereflexion eher vernachlässigte Form, da er noch bis weit in die Neuzeit zu den ästhetisch minderwertigen Gattungen zählte. Erst die moderne Literaturtheorie in ihrer Konzentration auf die Narrativik bildet ab, was Lukács für das literarische Gattungssystem gezeigt hat: Keine andere Gattung ist so repräsentativ für die bürgerliche Moderne wie der Roman (Lukács 1971).

An diesem Punkt setzen die vorliegenden Modellanalysen zu Lorcas Bodas de sangre an. Sie werfen die Frage auf, was geschieht, wenn mit den an narrativen Texten erprobten Methoden ein Drama analysiert wird. Es zeigt sich dabei auch, welche Aspekte für ein Theaterstück als pluridimensionales Kunstwerk zusätzlich reflektiert werden müssen, wie etwa die Inszenierungspraxis oder spezifische Formen der Intermedialität.

Zu den einzelnen Beiträgen

Die Anordnung der Modellanalysen folgt keiner strengen chronologischen Ordnung, sondern geht aus von einer groben Unterscheidung von eher textzentrierten Methoden (wie Hermeneutik, Strukturalismus, Dekonstruktion und psychoanalytische Lesart), diskursbezogenen Interpretationen (wie anthropologische Deutung, Gender Studies, Diskursanalyse und die postkoloniale Lektüre), eher kontextorientierten Ansätzen (wie Literatursoziologie, Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte) sowie Modellanalysen, die Bezüge zwischen Texten und anderen Medien ins Zentrum rücken (wie Intertextualität und Intermedialität), und solchen, die sich aus Anwendungsperspektiven dem Drama nähern (namentlich die Theaterwissenschaft und die Didaktik). Der Band kann selbstverständlich nicht alle aktuell präsenten Literaturtheorien vorstellen, doch haben wir uns bemüht, in möglichst konziser und nachvollziehbarer Weise das Gros der heute gängigen Interpretationsansätze zu versammeln, so dass er eine Orientierung für Schüler, Studierende, Lehrende und Theaterfreunde aller Art bietet.9

Die Hermeneutik als altehrwürdige Lehre vom Verstehen und älteste Methode der Lektüre literarischer Werke geht in ihrem Ursprung auf die Bibelexegese zurück und steht am Anfang der Modellanalysen. Karen Genschow zeigt in einer Engführung von Gadamer und Ricœur, dass der zentrale Konflikt in Bodas de sangre in dem durch Ungesagtes und Schweigegebote erschwerten hermeneutischen (Selbst-)Verstehen der Figuren liegt. Entlang der Metapher des Blutes, die in Verbindung steht mit Gewalt, Begehren und Tradition (línea de sangre), enthüllt Genschow den von Lorca inszenierten problematischen Prozess dieses (Selbst-)Verstehens.

Die Terminologie des literaturwissenschaftlichen Strukturalismus führt zwar mit dem Begriff des »Aktanten« eine Kategorie ein, die auf die aristotelische Vorstellung von handelnden Figuren zurückzuweisen scheint. Doch an welcher Gattung wurde die Aktantenanalyse entwickelt? Am Märchen (vgl. Propp 1975), also wiederum an einer narrativen Form – und gerade nicht an der Dramatik, wo man zwar Akteure wirken sah, diese jedoch nicht unbedingt abstrakt als Aktanten analysierte. Was ein strukturalistischer Ansatz für das Drama leisten kann, erläutert Monika Wehrheim, die zeigt, welche Dynamik die oft als zu statisch kritisierte Methode des Strukturalismus gewinnt, wenn sie an einem Theaterstück erprobt wird.

Eine dekonstruktivistische Lektüre des Stücks bietet der Beitrag von Jasmin M. Rezai-Dubiel, der als Weiterführung und komplementäre Ergänzung zu Wehrheims strukturalistischer Analyse zu verstehen ist und sich auf die christlichen Topoi in Bodas de sangre konzentriert. Im Vordergrund steht hier die Dekonstruktion der misogynen Betonung der Jungfräulichkeit und des Prinzips der honra. Rezai-Dubiels Lektüre deckt textinterne Widersprüche auf und veranschaulicht die labile Konstruktion der christlich-katholischen Normen, die das ideologische Fundament eines spanischen Identitätsentwurfes im frühen 20. Jahrhundert darstellen.

Eine besondere Position nimmt die Psychoanalyse in der oben genannten Präferenz der Literaturtheorie für die Narrativik ein, wenngleich sie selbst von Inszenierungen des psychischen Apparats ausgeht und so zweifelsohne eine Nähe zum Drama aufweist. Natascha Ueckmann liest Bodas de sangre mit Hilfe der Überlegungen von Jacques Lacan, Neuinterpret der Schriften Freuds und Begründer der strukturalen Psychoanalyse. Lacans Vorschlag einer linguistischen Deutung des Unbewussten veranlasst sie, neben den Begehrensstrukturen insbesondere die Brüche und Leerstellen im Text in den Blick zu nehmen.

Die zentrale Bedeutung mimetischer, in einem rivalisierenden Begehren gründender Gewalt arbeitet Hanno Ehrlicher an Lorcas Stück unter Rückgriff auf die kulturanthropologische Theorie René Girards heraus. Er greift damit auf eine seit Wellberys erstem Methodenband (1985) etwas ins Hintertreffen geratene Methode der Kulturwissenschaft zurück, um sie für eine Lektüre des Tragischen in Bodas de sangre fruchtbar zu machen.

Die Gender Studies haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend weiter ausdifferenziert, wobei deutlich wurde, dass neben der Untersuchung der Konstruktion von Weiblichkeit in literarischen Texten auch der Blick auf die Faktur von Männlichkeit geworfen werden muss. Dieser Differenzierung trägt unser Band undogmatisch Rechnung: Es finden sich zwei Lektüren des Stücks, die zeigen, dass gerade bei Bodas de sangre eine scharfe Trennung in Men’s und Women’s Studies an mehreren Punkten in die Aporie führt. Die Beiträge von Kirsten von Hagen und Christian Grünnagel ergänzen sich daher zu einem (durchaus auch konfliktiven) Gesamtbild.

Die Diskursanalyse tritt an, einen konkreten Text im Spannungsfeld der damals herrschenden Diskurse zu verorten, was angesichts der Komplexität der verschiedenen Diskursformationen zu Zeiten der Zweiten Republik in Spanien kein leichtes Unterfangen ist. Exemplarisch kann Albrecht Buschmann zeigen, wie Lorcas Stück mit der zeitgenössischen Diskussion zentraler Streitfelder der spanischen Politik verschränkt ist.

Die Literatursoziologie wendet sich dem Drama als einer auf Soziabilität hin angelegten Gattung zu. Wilfried FloeckBodas de sangre