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Über das Buch

Rennen mit Hindernissen

Für Julie wird ein Traum wahr: Endlich wird sie am Iditarod, dem längsten Hundeschlitten-‐Rennen der Welt, teilnehmen. Lange hat sie dafür trainiert und beim Start läuft alles bestens. Doch dann schlägt das Wetter um. Mit letzter Kraft erreicht sie den nächsten Checkpoint, den Rainy Pass. Dort erfährt sie, dass eine Cessna abgestürzt ist: die Maschine, in der ihre Freundin Carol sowie ihre große Liebe Steve das Rennen begleiten. Wegen des tosenden Schneesturms können die Suchhubschrauber nicht starten. Also begibt sich Julie allein, nur in Begleitung ihrer Hunde, auf die Suche nach den Verunglückten ...

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Danksagung

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1

Spätnachts wurde Julie Wilson von einem lauten Heulkonzert geweckt. Sie fuhr erschrocken in ihrem Bett hoch. Die Huskys jaulten gerne um die Wette, aber so wütend klangen sie nur, wenn wilde Tiere oder Menschen in ihrer Nähe waren, deren Witterung sie nicht kannten.

Julie vergeudete keine Zeit. Sie zog sich in Windeseile an, schlüpfte in ihren dunkelgrünen Anorak und setzte die gefütterte Mütze mit den Ohrenschützern auf. Als Park Rangerin, die schon seit einigen Jahren in Alaska lebte und so manchen harten Winter erlebt hatte, wusste sie, wie kalt es nachts wurde, besonders in entlegenen Regionen wie dem Denali National Park. Besonders leise, um ihre Mitbewohnerin nicht zu wecken, verließ sie ihre Blockhütte, eine von mehreren Unterkünften für die Ranger und Angestellten im Nationalpark, und lief am Duschhaus vorbei zum Verwaltungsgebäude.

Es war dunkler als sonst und eisig kalt. Dichte Wolken hatten sich vor den Mond und die Sterne geschoben. Die Lichter in der Sporthalle, dem Duschhaus und den Unterkünften waren schon lange erloschen, und die einzige Helligkeit kam vom Schnee, der in diesem Winter wieder besonders reichlich fiel. Der Wind wehte zwischen den Blockhäusern hindurch und trieb den frischen Schnee wie aufgewirbelte Gischt gegen die verwitterten Holzwände.

Mit ihrer Taschenlampe stieg Julie über die Böschung zu den Hundezwingern hinab. Das Jaulen war nicht leiser geworden, im Gegenteil, zwischen die klagenden Laute mischten sich wütendes Knurren und Fauchen. Im Lichtkegel der Lampe sah sie, wie einige der Hunde wütend die Zähne fletschten.

Sie blieb stehen und blickte sich suchend um, beobachtete gerade noch, wie ein Schatten zwischen den Bäumen verschwand. Ein Elch, der den Huskys zu nahe gekommen war? Wölfe auf der Jagd? Irgendein anderes harmloses Tier, das die Hunde durch sein Auftauchen erschreckt hatte? Schwer zu sagen. Mehr als eine flüchtige Bewegung hatte sie nicht wahrgenommen.

Kopfschüttelnd ging sie weiter. So weit wagten sich selten wilde Tiere ins Tal hinab. Vielleicht mal ein Elch, aber keine Wölfe. Ein Rudel würde sein Revier in der Wildnis nur verlassen, wenn der Winter so streng war, dass es keine Nahrung mehr fand. »Was ist denn mit euch los?«, rief sie den Huskys zu. »Ihr weckt das ganze Camp mit eurem Lärm auf. Seht ihr, wo überall die Lichter angehen? Wenn ihr so weitermacht, bekommen wir Ärger. Der Super mag es gar nicht, wenn man ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt.«

Als die Huskys ihre vertraute Stimme hörten und ihre Witterung aufnahmen, wurden sie ruhiger. Julie redete weiter auf sie ein, auch auf das Rudel ihrer Mitbewohnerin, und nahm Chuck in die Arme, ihren langjährigen Leithund. »So ist es besser, Chuck. Hier habt ihr nichts zu befürchten, das wisst ihr doch. Sobald es Ärger gibt, taucht ein Ranger auf und kümmert sich darum.« Sie kraulte ihn am Hals. »Na, vor was hattet ihr solche Angst? Soweit ich weiß, halten die Grizzlys gerade Winterschlaf, die können es nicht gewesen sein. Hat einer von euch schlecht geträumt? Warum sagst du nichts?«

Natürlich konnten die Huskys nicht sprechen, aber durch ihre Körperhaltung und ihr Verhalten sendeten sie Signale aus, die auch Julie verstand. Im Augenblick spürte sie an seinem Zittern, dass die Hunde etwas Ärgeres als ein wildes Tier gestört hatte. »War irgendjemand bei euch?«

Sie richtete sich auf und ließ den Lichtkegel der Taschenlampe über das Gelände wandern. Der helle Fleck glitt über den aufgewühlten Schnee, die zwanzig Holzhütten der Huskys, den Vorratsschuppen mit den Schlitten, Geschirren und Geräten und die kleine Blockhütte, in der das Hundefutter aufbewahrt wurde. Er blieb an Noatak hängen, dem zwei Jahre alten Siberian Husky, der knurrend vor seiner Hütte saß und sich seltsam feindselig benahm.

»Noatak!«, rief sie verwundert. »Warum bist du denn so wütend?«

Der Husky drehte sich einmal im Kreis und knurrte erneut. Er fletschte seine Zähne und zerrte wütend an der Kette, als wollte er auf einen unsichtbaren Feind losgehen. Julie redete beschwichtigend auf ihn ein und näherte sich ihm vorsichtig, brachte ihn mit ihrer sanften Stimme langsam zur Vernunft. »So ist es schon besser, Noatak. Hier tut dir niemand was, okay?«

Noatak schmiegte sich leise jaulend an ihre Beine. Er war sehr aufgeregt, als hätte er eine unliebsame Begegnung hinter sich. Ein Streit mit einem der anderen Huskys? Die Hütten lagen weit genug voneinander entfernt, dass keiner der Hunde in die Reichweite eines anderen kam. Huskys waren keine Schoßhündchen, die friedlich im Schnee schliefen und sich duckten, wenn ihnen etwas nicht passte. Sie wehrten sich. Ein Erbe ihrer wilden Vorfahren.

Julie hörte Schritte und drehte sich erschrocken um. Carol Schneider kam den schmalen Pfad zu den Zwingern herunter. Ihre Mitbewohnerin war ungefähr sieben Jahre älter als sie und eine ihrer besten Freundinnen, eine erfahrene Rangerin, die einige Jahre im Yosemite National Park in Kalifornien gearbeitet hatte, bevor sie nach Alaska gezogen war. Sie kümmerte sich um das andere Gespann im Denali National Park. Als Fünftplatzierte bei einem der härtesten Hundeschlittenrennen der Welt kannte sie sich mit Huskys aus.

»Sorry, ich bin wohl etwas spät dran«, sagte Carol. Sie wirkte auch am frühen Morgen und mit den hastig zu einem Knoten gebundenen Haaren attraktiv. »Warum sagst du mir denn nicht Bescheid?« Sie lief zu ihren Hunden und schloss einen nach dem anderen in die Arme. »Was ist los, Skipper? So aufgeregt hab ich dich schon lange nicht mehr gesehen. Waren Wölfe hier?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Julie. »Vielleicht sind Wilderer in der Nähe.«

»Wilderer? Mitten im Winter?«

»Oder jemand, der sich einen bösen Scherz erlauben wollte. Wäre doch nicht das erste Mal, dass sich einer bei den Hunden zu schaffen macht.«

»Irgendwelche Spuren?«

Julie deutete auf den aufgewühlten Schnee. »Aussichtslos. Gestern war eine ganze Schulklasse hier, die Spuren könnte nicht mal ein indianischer Fährtenleser auseinanderhalten.«

Noatak begann erneut zu fauchen und zu knurren. Wie ein aufgebrachter Wachhund rannte er los, bis ihn die Kette bremste und unsanft zu Boden warf. Er rappelte sich hoch und jaulte lautstark, versuchte mit aller Kraft, sich loszureißen und auf einen unsichtbaren Feind zu stürzen. Die anderen Huskys fielen ein, selbst der sonst eher besonnene Chuck zerrte wütend an seiner Kette.

Julie und Carol blickten in die Richtung, in die sich die Huskys gewandt hatten, und sahen zwei dunkle Gestalten am Waldrand entlangrennen. Ohne die heftige Reaktion ihrer Hunde hätten sie die beiden niemals entdeckt.

»Halt! Stehen bleiben!« Carol musste schreien, um die lärmenden Huskys zu übertönen. »Park Ranger! Sie sollen stehen bleiben, hab ich gesagt!«

Die beiden Gestalten ließen sich nicht aufhalten. Im Schutz der Dunkelheit verschwanden sie im Wald jenseits der Park Road. Die Huskys bellten und jaulten ihnen wütend nach und hätten sich wohl wie ein hungriges Wolfsrudel auf die Flüchtigen gestürzt, wenn Julie und Carol sie losgebunden hätten.

»Soll ich Erhart anrufen?«, fragte Julie. Ranger Greg Erhart war der Chief Ranger im Law Enforcement, der Chef der Polizeitruppe. »Wer weiß, was die beiden vorhatten. Wenn die Hunde so wütend sind, bestimmt was Ernstes.«

»Und wenn es nur zwei Jugendliche waren? Erinnerst du dich an die beiden Jungen vor drei Wochen? Die hatten gewettet, ein Wolfsrudel aufzustöbern, nur so aus Abenteuerlust.« Carol lief zum Schuppen und holte zwei Paar Schneeschuhe heraus. Die Hunde hatten sich inzwischen wieder beruhigt. »Nein, wir versuchen es erst mal allein. Dürfte nicht so schwer sein, im Wald ihren Spuren zu folgen. Greg würde uns den Hintern versohlen, wenn wir ihn wegen einer Lappalie mitten in der Nacht aus dem Bett holen.« Sie reichte Julie die Schneeschuhe. »Wenn es ernster ist, können wir immer noch anrufen.«

Mit den Schneeschuhen über den Schultern liefen sie zum Waldrand, wo sie auf der geräumten Park Road mit ihren Taschenlampen nach den Spuren der Flüchtigen suchten. Eigentlich erwarteten sie, jeden Augenblick den Motor eines Snowmobils aufheulen zu hören, aber nichts geschah. Offensichtlich waren die beiden Gestalten zu Fuß gekommen.

Da sich kein Besucher von der Straße entfernte und so nahe beim Visitor Center durch den Wald wanderte, schon gar nicht im Winter, fanden sie die Stelle, an der die Flüchtigen im Wald verschwunden waren, relativ schnell. Zwischen den Bäumen lag der Schnee nicht so hoch wie auf den Lichtungen abseits der Straße. Sie kamen auch ohne Schneeschuhe zügig voran. Im Licht ihrer Taschenlampen folgten sie den deutlich sichtbaren Spuren, die scheinbar ohne Ziel und im sinnlosen Zickzack durch den Wald führten.

»Seltsam«, sagte Carol, »an deren Stelle hätte ich irgendwo ein Snowmobil versteckt. Oder ich hätte meinen Wagen am Eingang geparkt und wäre über die Straße zurückgelaufen. Durch den Wald zu fliehen, bringt doch nichts.«

Julie wunderte sich ebenfalls. »Vielleicht hatten sie Panik.«

»Oder es waren harmlose Nachtwanderer, die sich verirrt haben.«

»Dann wären sie doch stehen geblieben«, erwiderte Julie. »Auf jeden Fall sind sie den Huskys zu nahe gekommen, und das geschah bestimmt nicht zufällig. Wenn sie nicht wussten, wo die Zwinger waren, hätten sie wenigstens das braune Schild an der Park Road sehen müssen, das ist doch groß genug.«

Julie und Carol marschierten ungefähr eine Meile durch den Wald, dann schnallten sie ihre Schneeschuhe an und überquerten eine Lichtung, auf der die Flüchtigen bis zu den Knien im Schnee eingesunken sein mussten und sicher vollkommen erschöpft die andere Seite erreicht hatten. Aber ihr Vorsprung war immer noch groß genug. Ein festes Ziel schienen sie nicht zu haben.

Auf einem Trail, der an einem der kleineren Seen entlang zum Highway führte, kamen die Ranger wieder ohne Schneeschuhe vorwärts. Also doch, dachte Julie, sie haben einen Wagen auf dem Highway abgestellt. Tatsächlich hörten sie wenig später den Motor eines Geländewagens aufheulen.

»Auf und davon«, schimpfte Carol, »die ganze Anstrengung umsonst!«

Sie erreichten den Waldrand und sahen gerade noch die Rücklichter des Wagens in der Ferne verschwinden. Ein Geländewagen, dessen Fabrikat sich anhand der Rücklichter nicht feststellen ließ, schon gar nicht nachts und aus der Ferne. Leise fluchend blieben sie auf der verschneiten Böschung stehen.

Julie überlegte eine Weile. »Wie spät ist es?«

»Kurz nach vier. Wieso?«

»Ich hab mal irgendwo gelesen, dass die Indianer im Wilden Westen am liebsten frühmorgens angriffen, weil die meisten Feinde dann noch schliefen oder so unaufmerksam waren, dass sie kaum reagierten. Was meinst du? Ob unser Chief Ranger ein guter Indianerkämpfer wäre? Wenn ja, könnten wir ihn jetzt gut brauchen. Vielleicht spüren wir den Feind irgendwo auf.«

Carol zog grinsend ihr Smartphone aus der Tasche. Sein Funkgerät hatte Erhart bestimmt ausgeschaltet. Sie wählte seine Nummer und wartete geduldig. Nach dem achten Klingeln meldete sich eine verschlafene Stimme.

»Ja?«

Sie erklärte ihm in knappen Worten, was geschehen war. »Julie hat mir gerade verraten, dass erfahrene Indianerkämpfer frühmorgens besonders wachsam waren. Wie ich Sie kenne, Greg, haben Sie einen passenden Film parat.«

»›Massaker im Morgengrauen‹«, erwiderte er wie aus der Pistole geschossen. »Mit Richard Boone und George Hamilton. Hamilton war Lieutenant und hatte die ganze Garnison gegen sich, aber als die Indianer im Morgengrauen angriffen, war er als Einziger auf seinem Posten.«

Carol hatte auf Lautsprecher geschaltet, und Julie hörte mit. Die Erwähnung des Western hatte die letzte Müdigkeit des Chief Rangers vertrieben, und Carol hatte kaum Mühe, ihn zu dem nächtlichen Einsatz zu überreden. »Warten Sie am Straßenrand, ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen.«

Erhart war lange beim Militär gewesen und dringende Einsätze gewöhnt. Er brauchte keine zehn Minuten, um sie einzusammeln.

»Morgen, Ladys. Gut, dass Sie mich an den Western erinnert haben, den muss ich mir unbedingt mal wieder ansehen.« Er hatte alle einigermaßen bekannten Western auf DVD. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir die Flüchtigen aufspüren können. Haben Sie eine Ahnung, wer es sein könnte? Hatten sie Gewehre dabei?«

»Gewehre? Nein.«

»Dann waren es keine Wilderer.«

»Sie müssen sich an die Huskys herangepirscht haben«, sagte Julie, während sie über den Parks Highway nach Norden fuhren. »Noatak war vollkommen aufgelöst. Eine Mischung aus Angst und Wut. Ich wage es kaum auszusprechen, aber treiben sich wieder Tierquäler in unserer Gegend rum?«

»Nicht, dass ich wüsste.« Erhart war ernst geworden. Mit seinem Schnurrbart und dem kantigen Gesicht sah er tatsächlich wie ein Westernheld aus, nur der leichte Bauchansatz über seinem Gürtel sprach dagegen. »Auf Katmai soll mal jemand Gift für die Wölfe ausgelegt haben, aber das ist lange her.«

Carol blickte ihn mürrisch an. »Ein gutes Gewissen hatten sie auf keinen Fall, sonst wären sie nicht Hals über Kopf davongelaufen. Die Leute werden immer dreister. Wofür gibt es eigentlich Vorschriften und Verbotsschilder, wenn sowieso jeder macht, was er will? Warum schleichen zwei Typen nachts in einem Nationalpark umher und erschrecken unschuldige Huskys?«

Sie waren noch keine zehn Meilen gefahren, als ihnen ein Wagen der State Troopers entgegenkam. Erhart erkannte den Wagen rechtzeitig und blinkte ihn an. Sie fuhren an den Straßenrand und ließen beide die Fenster herunter.

»Morgen, Eddy. Die Frühschicht erwischt?«

State Trooper Eddy Corwin patrouillierte schon seit einigen Jahren auf dem Highway zwischen Fairbanks und Anchorage und war mit zahlreichen Rangern befreundet. »Greg, Carol, Julie«, erwiderte er grinsend. »So früh schon unterwegs? Lassen Sie mich raten? Sie machen einen Betriebsausflug.«

»Knapp daneben«, erwiderte Erhart grinsend. Er berichtete dem Polizisten, warum sie wirklich unterwegs waren. »Sind Sie vor ungefähr einer Viertelstunde einem Geländewagen begegnet? Er muss aus unserer Richtung gekommen sein. Zwei Personen, keine Ahnung, ob weiblich oder männlich.«

Trooper Corwin hatte beide Hände auf dem Lenkrad liegen. »Ich hatte gerade Pause und hab mir eine Pizza gegönnt. In dem neuen Lokal bei den Motels. Als ich in meinen Wagen stieg, sah ich einen Geländewagen zum Denali Motel abbiegen. Nicht gerade eine Luxusherberge, hab ich mir sagen lassen.«

»Ich kenne die Absteige«, erinnerte sich Erhart. »Da hatten sich mal zwei Wilderer versteckt. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie ihnen Handschellen verpasst. Konnten Sie sehen, wie viele Leute in dem Wagen waren?«

»Da hab ich nicht drauf geachtet. Soll ich mitkommen?«

»Nicht nötig.« Erhart winkte ab. »Wir sind zu dritt, das dürfte ja wohl reichen. Falls die Burschen härter sind, als ich dachte, melden wir uns, okay?«

»Geht in Ordnung.«

Sie fuhren die zwei Meilen zum Denali Motel und parkten etwas abseits am Straßenrand. Auch wenn sie ohne Warnlichter kaum auffielen, wollte Erhart kein Risiko eingehen. Zögernd stiegen sie aus. Vor jeder Tür des hufeisenförmigen Motels parkte ein Wagen, über die Hälfte davon Geländewagen.

»Den haben wir gleich«, sagte Erhart. »Jeder nimmt eine Reihe.«

Gleich die Motorhaube des zweiten Wagens, den Julie berührte, war warm. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er erst vor Kurzem gefahren worden war. Sie winkte Erhart und Carol heran. »Wir haben sie«, sagte sie. »Zimmer 10.«

Carol betrachtete den Wagen eingehend. Ein dunkler Chevy Tahoe, ziemlich neu und mit einem großen Logo auf der Fahrertür. Es zeigte das Gesicht eines Huskys und die Schriftzüge »Animal Brigade« und »Rettet die Huskys!«. »Tierschützer«, sagte Carol nachdenklich. »Was sollten ausgerechnet Tierschützer für ein Interesse daran haben, unsere Huskys zu erschrecken?«

»Fragen wir sie«, erwiderte Erhart.

In Zimmer 10 brannte noch Licht. Erhart klopfte ein paarmal und rief: »National Park Service. Öffnen Sie bitte die Tür. Wir haben einige Fragen.«

Die Tür ging auf, und ein Mann trat heraus. Er war um die dreißig, trug einen dunkelroten Jogginganzug und spielte den Unschuldigen. »National Park Service? Sie meinen Park Ranger, wie bei Yogi Bear?« Er hob entschuldigend beide Hände. »Okay, okay, ich geb’s zu, ich habe geraucht. Aber seit wann kümmern sich die Ranger darum? Wollen Sie uns jetzt festnehmen?«

Aus dem Bad drang das Rauschen von Wasser. »Meine Freundin ist noch unter der Dusche. Sie ist unschuldig. Sie kann Zigaretten nicht ausstehen.«

Julia blickte an dem Mann vorbei und sah einen vollen Aschenbecher auf dem Nachttisch, daneben eine Flasche Wasser und eine Schachtel von der Pizzeria nebenan.

»Können Sie sich ausweisen?«, hörte sie Erhart fragen.

»David Porter«, antwortete er. Er zeigte dem Ranger seinen Führerschein. »Meine Freundin heißt Victoria Roswell. Darf ich fragen, was Sie wollen?«

»Dürfen wir reinkommen?«

»Ich muss Sie nicht reinlassen.«

»Sie sehen zu viele Krimis«, sagte Erhart. »Sie und Ihre Freundin waren bis vor einer halben Stunde im Denali National Park. Das stimmt doch?«

»Ist das verboten?«

»Wenn Sie sich an unseren Huskys vergreifen, schon.«

»Vergreifen?« Sein arrogantes Lächeln verschwand. »Wir sind Tierschützer, keine Tierquäler. Wir wollten lediglich nachsehen, ob Sie Ihre Huskys artgerecht behandeln. Als sie zu bellen und zu jaulen anfingen, sind wir gegangen. Es lag uns fern, die Hunde zu erschrecken, das müssen Sie mir glauben. Stimmt’s, Vic?« Er drehte sich zu seiner Freundin um, die ebenfalls in einem Jogginganzug aus dem Bad kam, darin aber wesentlich verführerischer aussah. Ihre nassen Haare hatte sie unter einem Handtuch versteckt.

»Wir würden Ihren Hunden niemals etwas antun«, erklärte sie beim Näherkommen. Ihr Lächeln war von der Sorte, die einen älteren Mann wie Erhart aus der Ruhe bringen konnte. »Victoria Roswell. Wir stehen doch auf derselben Seite, Ranger.« Sie blickte nur Erhart an, ignorierte Carol und Julie völlig. »Vielleicht hätten wir nicht gerade nachts in den Park gehen sollen, aber wir konnten beide nicht schlafen … Sie sind uns doch nicht böse, Ranger?«

»Halten Sie sich von unseren Huskys fern!«

»Das tun wir, Ranger. Ich verspreche es Ihnen. Okay?«

»Also gut«, ließ sich Erhart breitschlagen. »Wir können Ihnen sowieso nichts nachweisen. Aber für Aktivisten ist in einem Nationalpark kein Platz.«

»Wie gesagt, es tut uns leid, Ranger.«

Erhart verabschiedete sich und kehrte mit Carol und Julie zu seinem Wagen zurück. »Ich weiß, was Ihnen auf der Zunge liegt«, sagte er, »aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den Mund halten würden.« Er blieb vor dem Wagen stehen. »Wie wär’s, wenn ich Sie zum Frühstück einlade? Bei Rosie gibt’s ein Frühstück, wie es John Wayne in ›Die Comancheros‹ hatte.«

Carol musste lachen. »Sie sind ein Charmeur, Greg.«

2

Nach dem Frühstück kehrten sie zu den Park Headquarters zurück. Sie duschten ausgiebig, eine Wohltat nach dem unfreiwilligen nächtlichen Ausflug, und gingen zu den Hundezwingern. Ihre Huskys hatten sich inzwischen beruhigt und warteten bereits ungeduldig auf ihr Fressen, auch der junge Noatak.

»Guten Morgen, meine Lieben!«, begrüßte Julie die Huskys. Wie jeden Morgen nahm sie ihren Leithund in den Arm und gab den anderen einen freundschaftlichen Klaps. »Ihr braucht keine Angst mehr zu haben. Die beiden Störenfriede, die euch heute Nacht auf den Pelz gerückt sind, wollten euch nicht erschrecken. Sie sind Tierschützer, auch wenn sie sich nicht so benehmen. Sie würden niemals einem Tier wehtun. Das hoffe ich jedenfalls.«

»Seltsame Tierschützer«, erwiderte Carol. Auch sie war dabei, ihre Huskys zu begrüßen. »Möchte wissen, warum sie ausgerechnet in einem Nationalpark herumschleichen und nach Tierquälern suchen. Wenn jemand seine Huskys artgerecht behandelt, dann wir.«

»Schon mal von Animal Brigade gehört?«, fragte Julie.

Carol schüttelte den Kopf. »Die müssen neu sein.«

Sie fütterten die Huskys und beobachteten zufrieden, wie sich die Hunde hungrig über ihr Fressen hermachten. Seit Julie sie für das Iditarod trainierte, bekamen ihre Hunde ein spezielles Kraftfutter mit vielen Nährstoffen und Vitaminen, gesunde Kost für die Leistungssportler unter den Huskys. Zum Glück bezahlte der National Park Service die Rechnung. »Aber nur, wenn Sie unter die ersten zehn kommen«, hatte der Superintendent gescherzt, als sie sich zum Iditarod angemeldet hatte.

»Du hast ein gutes Gespann«, lobte Carol, während die Hunde fraßen. »Ich bin sicher, mit etwas Glück schaffst du es tatsächlich unter die ersten zehn.«

Ein Platz unter den Top Ten wäre eine Sensation, selbst die Top Twenty würde Julie noch als Erfolg verbuchen. Die meisten Teilnehmer des legendären Rennens waren schon froh, wenn sie es nach acht, neun oder zehn Tagen ins Ziel schafften. Das Iditarod führte über tausend Meilen von Anchorage durch verschneite Wälder, die Ausläufer der Alaska Range und über den gefährlichen Norton Sound nach Nome, die ehemalige Goldgräberstadt am Polarkreis. Ein hartes Rennen, das den Mushern alles abverlangte.

»Noch muss ich trainieren«, sagte Julie. »Du weißt doch am besten, wie wichtig es ist, das Gespann in Form zu bringen.« Sie beobachtete Chuck, der genussvoll die letzten Reste aus seinem Futternapf leckte. »Du hättest viel größere Chancen als ich. Wenn du nicht so lange verletzt gewesen wärst …«

»Einer muss doch den Laden hier am Laufen halten, wenn du trainierst. Außerdem hab ich genug mit Henrik zu tun. Im Team zu arbeiten, ist fast anstrengender, als selbst auf den Kufen zu stehen.« Henrik Arnesen, ein norwegischer Fabrikbesitzer, der mehrere Monate des Jahres in Fairbanks verbrachte und dort Anteile an einer Fabrik besaß, war mit Carol befreundet.

Julie grinste über beide Backen. »Zeig mir deine linke Hand!«

Carol streckte die Linke aus.

»Noch immer kein Verlobungsring?«, fuhr Julie fort. »Wahrscheinlich habt ihr euch längst heimlich verlobt und du bewahrst deinen Ring in irgendeiner Schublade auf. Komm bloß nicht auf die Idee, ohne mich zu heiraten. Ich will dabei sein, wenn du deinem Traumprinzen das Jawort gibst. Versprochen?«

»Versprochen«, versicherte Carol ihr. »Und du?«

Julie tätschelte einen ihrer Hunde, ohne es richtig wahrzunehmen. »Steve und ich haben noch Zeit. Ich liebe ihn über alles, das hat sich wohl inzwischen herumgesprochen, aber ich habe auch an meinen Eltern gesehen, wie schnell etwas kaputtgehen kann, wenn einem etwas in die Quere kommt.«

»Deine Eltern haben beide Medizin studiert, und soweit ich weiß, hat der eine dem anderen nicht das Schwarze unter den Nägeln gegönnt. Du und Steve, ihr passt zueinander. Eine Rangerin und ein angehender Biologe, gibt es eine bessere Kombination? Oder willst du etwa selbst heimlich heiraten?«

Julie richtete sich auf. »Ich hab im Augenblick, ehrlich gesagt, ganz andere Sorgen. Bingo und Sammy schwächeln noch ein bisschen und haben Schwierigkeiten, sich an das Gespann zu gewöhnen.« Sie hatte die Huskys vor einem Monat von einem Freund des Superintendents bekommen, ein wahrer Glücksfall, denn mit sechs Hunden brauchte man beim Iditarod gar nicht mitzumachen. Manche Musher traten mit zwölf oder vierzehn Hunden an. Die Gefahr, dass unterwegs ein oder zwei Hunde krank wurden und ausfielen, war groß.

»Du hast ein gutes Team«, sagte Carol, »das wird noch.«

Auf der Böschung erschien einer der neuen Ranger und machte durch ein Handzeichen auf sich aufmerksam. »Ranger Schneider! Ranger Wilson! Der Superintendent will Sie sprechen! Sie möchten bitte gleich zu ihm kommen!«

Superintendent John W. Green empfing sie in seinem Büro. Er war ein stattlicher Mann mit grauen, militärisch kurz geschnittenen Haaren und trug eine maßgeschneiderte Uniform, die ihm wie angegossen passte. Ranger Erhart saß am Besprechungstisch, einen Becher Kaffee in beiden Händen.

»Ranger Erhart hat mir bereits von Ihrem nächtlichen Ausflug berichtet«, sagte Green. »Ich hoffe, Ihren Huskys ist nichts passiert. Schon seltsam, dass wir uns ausgerechnet vor Tierschützern in Acht nehmen müssen. Als ob wir nicht genug mit Tierquälern zu tun hätten. Sie haben die beiden verfolgt?«

»Bis zur Hauptstraße«, bestätigte Carol, »dann riefen wir Ranger Erhart an. Wir sahen die Verdächtigen in einem Geländewagen davonfahren und hatten die Hoffnung, sie irgendwo aufspüren zu können. Glücklicherweise ist uns das auch gelungen.« Sie setzten sich zu Ranger Erhart an den Besprechungstisch. »Wir waren sehr überrascht, als wir erfuhren, dass wir es mit Vertretern einer Tierschutzorganisation zu tun hatten. Keiner von uns hatte jemals von Animal Brigade gehört.« Sie blickte Erhart an. »Auch Ranger Erhart nicht.«

»Das hat sich inzwischen geändert«, ergriff der Chief Ranger das Wort. »Während Sie bei den Hunden waren, habe ich mit einigen Kollegen telefoniert und Erkundigungen eingezogen. David Porter und Victoria Roswell stehen selbst bei Animal Brigade in der Kritik. Sie sind beide um die dreißig und studieren Biologie an der Uni in Anchorage. Dort waren sie im letzten Semester allerdings selten zu sehen. Nach Meinung mehrerer Kollegen handelt es sich um zwei fanatische Aktivisten, die sich einbilden, alle Huskys vor ihren Besitzern retten zu müssen. Bisher beschränkten sich ihre Aktivitäten und Proteste auf die Gegend um Anchorage, deshalb haben wir hier oben auch nicht von ihnen gehört. Sie sind der Meinung, dass Huskys nicht vor einen Schlitten gehören. Am liebsten würden sie das Iditarod verbieten.«

»Aber das ist Unsinn«, meldete sich Julie zu Wort. »Huskys ziehen für ihr Leben gern einen Schlitten. Sehen Sie sich doch unsere Hunde an. Die können es gar nicht erwarten, angespannt zu werden, wenn ich bei den Zwingern auftauche. Für sie gibt es nichts Schöneres, als bei klirrender Kälte durch die Wildnis zu laufen. Die beiden haben keine Ahnung!«

Der Superintendent deutete ein Nicken an. »Uns brauchen Sie das nicht zu erzählen, Ranger Wilson. Wir wissen alle, was gut für unsere Huskys ist, und das erzählen wir auch den vielen Besuchern, die zu unseren Vorführungen kommen. Aber große Teile der Öffentlichkeit wissen das nicht. Viele Leute glauben tatsächlich, dass wir die Huskys quälen, indem wir sie vor einen Schlitten spannen.« Er wandte sich an Carol und Julie. »Wie wäre es, wenn Sie eine Pressemeldung verfassen, in der Sie den Lesern erklären, wie gut es die Huskys bei uns haben? Sie arbeiten täglich mit den Huskys und können das sicher am besten. Bis morgen früh nach dem Frühstück?«

»Natürlich, Sir«, antwortete Carol für beide.

»Ich frage mich nur, was sie ausgerechnet bei uns wollen«, sagte Julie. »Warum protestieren sie nicht in Anchorage vor den Iditarod Headquarters?«

»Das tun sie ja«, erklärte Erhart, »aber das reicht ihnen offensichtlich nicht. Ich nehme an, sie wollen mehr Publicity und versuchen deshalb, bei uns was auf die Beine zu stellen. Eine spektakuläre Aktion, die sich gut in den Medien macht. So wie Greenpeace vor etlichen Jahren, als sie mit ihren Schlauchbooten unterwegs waren und japanische Walfänger im Pazifik enterten.«

»Und was könnte das sein?«

»Keine Ahnung, aber wenn sie jemanden auf dem Zettel haben, dann Ihre Hunde, Julie. Sie werden den Huskys nichts tun, aber irgendwas Spektakuläres haben sie sicher im Sinn. Ich habe meine Leute bereits angewiesen, die Gegend so stark wie während der Hochsaison im Sommer zu überwachen, und die State Troopers wissen auch Bescheid. Ich werde außerdem einen Mann bei den Hunden abstellen. Und Sie möchte ich bitten, die Augen offen zu halten.«

»Ich werde nicht klein beigeben!«, reagierte sie trotzig.

»Das brauchen Sie auch nicht«, mischte sich der Superintendent ein. »Ich bin die restlichen Wochen bis zum Rennen bereit, Ihnen die nötige Zeit zum Training zu geben. Wie Sie wissen, ist im Winter nur wenig los. Aber ich möchte Sie bitten, sich nicht von dem Pärchen provozieren zu lassen. Wir wehren uns mit einer Pressemitteilung, die ist wesentlich effektiver. Und während meines Vortrags nächste Woche in Fairbanks werde ich ebenfalls auf die Vorwürfe von Animal Brigade eingehen.« Er blickte Erhart an. »Weiß man denn schon Näheres über die beiden? Sind sie irgendwo aktenkundig?«

Erhart schüttelte den Kopf. »Näheres weiß ich noch nicht. Meines Erachtens sind sie clean. Ich weiß nur, was ich Ihnen schon gesagt habe, und dass David Porter einen reichen Vater hat, der ihn großzügig unterstützt. Wahrscheinlich auch wegen seines schlechten Gewissens. Er ist irgendein hohes Tier bei einem Ölkonzern und auf der ganzen Welt unterwegs. Seine Frau ist mit einem seiner Kollegen durchgebrannt, und David hält wohl nur noch zu ihm, weil er ohne seine Finanzspritzen nicht über die Runden käme. Victoria Roswell, seine Freundin, unterstützt ihn vor allem durch ihr gutes Aussehen.«

»Bonnie und Clyde?«

»So ungefähr.« Bonnie Parker und Clyde Barrow waren ein bekanntes Gangster-Pärchen in den 1930er-Jahren gewesen. Sie raubten Banken aus und freuten sich über jedes Foto, das von ihnen in der Presse erschien. »Bisher haben sich David und Victoria noch nichts zuschulden kommen lassen, aber das kann sich bald ändern. Auch die Greenpeace-Leute mussten öfter vor den Kadi.«

»So schlimm wird es schon nicht werden«, sagte Green, »aber ich erwarte, dass Sie die beiden im Auge behalten, Ranger Erhart. Ich möchte keine bösen Überraschungen erleben. Wir haben hier, weiß Gott, schon Sorgen genug.«

Die Huskys warteten bereits ungeduldig, als Julie mit ihrem Schlittensack zu den Zwingern kam. »Sorry«, entschuldigte sie sich bei ihnen, »ich musste noch zu einer Besprechung mit dem Super. Ich weiß inzwischen, wer euch heute Nacht genervt hat. Der Super will, dass wir die Augen offen halten.«

Ob die Huskys sie verstanden, ließen sie sich nicht anmerken. Wie vor jeder Tour waren sie wohl viel zu aufgeregt, um an irgendetwas anderes zu denken, besonders jetzt, da sie sich auf das Iditarod vorbereiteten. Allein am besseren Fressen und den ausgedehnten Touren merkten sie, dass sie bald an einem Rennen teilnehmen würden. Und das intensive Training verriet ihnen, dass Julie sie während dieses Rennens hart fordern würde.

Julie legte den Huskys die Geschirre an und klinkte sie an die Führungsleine. Ganz vorn liefen Chuck, ihr Leithund, und der starke Bronco, dahinter der erfahrene Apache und der lausbubenhafte Curly und in der dritten Reihe der ehrgeizige Blacky und der ruhige Nanuk. Neu in ihrem Team waren Bingo und Sammy, die ihren Platz direkt vor dem Schlitten hatten. Den jungen Noatak nahm sie im Schlittensack mit, er würde unterwegs Gelegenheit bekommen, einige Meilen mitzulaufen und sich an das Geschirr und das Gespann zu gewöhnen.

Es war immer noch dunkel, als sich Julie von ihrer Freundin verabschiedete und den Schlitten auf die Park Road lenkte. Flackerndes Nordlicht begleitete sie auf den ersten Meilen und warf bunte Flecken auf den Schnee. Klirrende Kälte lag in der Luft. Temperaturen bis zu dreißig Grad unter null waren im Januar keine Seltenheit. Der Wind blies verhalten, rauschte leise in den Schwarzfichten am Wegesrand und trieb leichte Schleier vor sich her.

Bis zum Savage River war die Straße geräumt, und sie kamen zügig voran. Auf der breiten Straße, zu beiden Seiten durch aufgeworfene Schneewälle begrenzt, konnten sich die Huskys nach Herzenslust austoben. Sie waren während des anstrengenden Trainings in den letzten Wochen noch stärker und widerstandsfähiger geworden, legten sich mit vermehrter Kraft in die Geschirre, hatten sich aber ihre Anmut und Eleganz bewahrt. Wenn sie beim Laufen erst einmal den stetigen Rhythmus gefunden hatten, der ein erfolgreiches Gespann ausmachte, zeichnete sich jeder einzelne Muskel gegen ihr weiches Fell ab, und man fühlte sich an elegante Rennpferde erinnert. Besonders Chuck tat sich hervor, ohne dass er vergaß, auf die Umgebung zu achten.

Jenseits des Savage River wurde der Trail schmaler. Andere Ranger hatten ihn mit Snowmobilen in den Schnee gefahren, und die restliche Arbeit hatte Julie selbst besorgt, als sie den Trail mit ihren Schneeschuhen festgestampft hatte. Seit sie zum letzten Mal unterwegs gewesen war, hatte es kaum Neuschnee gegeben, und sie musste nur von den Kufen, wenn der Wind eine Schneewehe über den Trail geschoben hatte. Die Huskys ließen sich durch solche Widrigkeiten kaum aufhalten und blieben in der Spur. Auf den tausend Meilen des Iditarod würden sie ganz andere Hindernisse überwinden müssen.