Toni der Hüttenwirt 108 – Der schöne Roland

Toni der Hüttenwirt –108–

Der schöne Roland

Roman von Friederike von Buchner

Der alte Goldschmied, Juwelier und Uhrmachermeister Ferdinand Unterholzer hatte angekündigt, dass er am nächsten Wochenende zusammen mit Berni Steiniger auf die Berghütte kommen wollte. Toni und Anna freuten sich sehr. Toni hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen, weil er immer noch nicht herausgefunden hatte, wer diese Sophie war. Toni war sich sicher, dass es leicht sein würde, über diese junge Frau Bernis Herzensmadl zu finden. Doch in Waldkogel gab es niemand, der Sophie hieß und die jung genug war, um eine Freundin oder Kollegin von Bernis geheimnisvoller Franzi zu sein.

»Toni, dann frage den Bürgermeis­ter«, riet Anna ihrem Mann. »Der Fellbacher ist dir bestimmt behilflich. Er kann im Melderegister nachsehen.«

»Ja, Anna, daran habe ich auch schon gedacht. Ich werde morgen die Kinder in die Schule fahren und gleich danach Fritz Fellbacher im Rathaus besuchen. Es ist schwierig, diese Sophie zu finden. Berni kennt auch ihren Nachnamen nicht.«

»Ich weiß, Toni! Sie kann auch nur Sophie gerufen werden. Sie kann vielleicht Sophia heißen.«

»Ich werde sehen, Anna! Sollte ich keinen Erfolg haben, dann werden wir uns etwas anderes einfallen lassen müssen. Der Ferdinand und Berni kommen an einem der nächsten Wochenenden, sagte er am Telefon. Wir werden es bereden. Irgendeine Lösung wird es schon geben.«

»Richtig, Toni! ›Wo ein Wille ist, ist ein Weg‹, lautet eine alte Weisheit.«

Anna kuschelte sich eng an Toni. Sie gähnte.

»Denke nicht mehr daran! Ich bin müde, lass uns schlafen gehen! Außerdem bin ich ein bissel eifersüchtig, wenn wir im Bett liegen und du an fremde, geheimnisvolle, junge Madln denkst«, neckte Anna ihren Mann.

Toni küsste sie.

»Wie kannst nur so etwas denken? Willst mich provozieren? Dann werde ich dir das Gegenteil beweisen müssen?«

Sie lachten und nahmen sich zärtlich in die Arme.

Toni, Tonis Vater, Xaver Baumberger, und Bürgermeister Fritz Fellbacher wechselten sich wochenweise ab, Franziska und Sebastian morgens mit dem Auto auf der Oberländer Alm abzuholen und in die Schule nach Waldkogel zu fahren. Diese Vereinbarung war damals getroffen worden, als Franziska und Sebastian nach dem Unfalltod ihrer Eltern von Toni und Anna als Pflegekinder auf der Berghütte aufgenommen wurden. Weil die Berghütte hoch in den Bergen lag und die Straße nur bis unterhalb der Oberländer Alm reichte, hatte das zustimmende Jugendamt damals Schwierigkeiten gemacht. So war die Regelung getroffen worden. Inzwischen hatten Toni und Anna die Geschwister adoptiert, die beiden trugen auf eigenen Wunsch den Namen Baumberger. Sie waren endlich eine richtige Familie. Die wechselnden Fahrdienste wurden aber wie bisher weitergeführt. In dieser Woche fuhr Toni die Kinder in die Schule.

Bürgermeister Fritz Fellbacher saß in seinem Amtszimmer. Toni wurde immer sofort vorgelassen, auch wenn er keinen Termin hatte.

»Grüß Gott, Toni!«

»Grüß Gott, Fellbacher!«

»Setz dich, Toni! Magst einen Kaffee?«

Toni nickte.

»Was gibt es? Ist des nur ein Freundschaftsbesuch oder hast du etwas auf dem Herzen? Ist was mit den Kindern?«

»Naa, denen geht es gut! Sie würden sich freuen, wenn du uns mal bald wieder auf der Berghütte besuchen würdest.«

»Ja, es wird mal wieder Zeit. Die beiden sind ja für mich so etwas wie Patenkinder. Sie haben sich gut ­entwickelt seit dem Tode ihrer Eltern.«

»Ja, das haben sie. Sie sprechen kaum noch davon. Neulich gab es auf der Berghütte mal wieder eine Bemerkung eines Gastes. Der sagte, dass die Anna und ich schon jung angefangen haben müssten, wenn wir schon so große Kinder hätten. Der Basti hatte es gehört. Er wurde richtig böse. ›Hör auf, so deppert über unsere Eltern zu reden!‹, herrschte er den älteren Hüttengast an. ›Des geht dich gar nix an. Unsere Eltern lieben sich, und wir sind ganz besondere Kinder der Liebe, mehr noch als andere Kinder. Aber warum des so ist, des geht dich nix an. Also, noch einmal so dummes Geschwätz und du bist hier die längste Zeit Hüttengast gewesen.‹ Die Franzi stellte sich neben ihren Bruder, stemmte die Arme in die Seite. Sie schloss sich der Drohung ihres Bruders an.«

Fritz Fellbacher lachte. Toni erzählte weiter.

»Die Anna und ich waren in der Küche der Berghütte und hörten durch das offene Fenster die Auseinandersetzung mit an.«

»Und was hast gemacht?«

»Nix. Wir taten so, als hätten wir es net gehört. Aber gefreut hat es uns schon sehr.«

»Mei, des glaube ich, Toni. Des war eine richtige Liebeserklärung der beiden.«

»Ja, des war es. Der Gast war so verblüfft, dass er sich bei den Kindern entschuldigte. Er trank sein Bier aus und ging.«

»Mei, sind die beiden herzig. Die Geschichte muss ich dem Zandler erzählen, dem wird sie auch gefallen.«

»Sag unserem Herrn Pfarrer Grüße von mir!«

»Des mache ich, Toni!«

Die Vorzimmerdame des Bürgermeisters brachte den Kaffee. Fritz Fellbacher schmunzelte und war voller Freude über die Liebeserklärung der Bichler Waisenkinder.

»Lieber Fellbacher, die Plauderei über die Kinder, des ist net der Grund meines Besuches. Ich brauche deine Hilfe, Bürgermeister.«

»Des ist meine Aufgabe!«

»Also, du kennst doch auch des Elektro- und Lampengeschäft Steiniger in Kirchwalden?«

»Mei, sicherlich! Der Steiniger ist ein Parteispezi von mir.«

Toni zog die Stirn in Falten.

»Was gibt es? Schaut so aus, als würde dir des net gefallen?«

»Wie man es nimmt, Fellbacher! Auf jeden Fall bitte ich dich, dem gegenüber nix verlauten zu lassen. Sonst bekäme der Berni daheim vielleicht Ärger. Um den geht es nämlich.«

»Den Berni, den kenne ich auch gut. Des war damals ein Drama, als seine Eltern verunglückten. Sein Onkel und seine Tante sind kinderlos und haben den Buben aufgenommen und groß gezogen. Der Berni war damals noch ein Säugling. Er wird sich an seine Eltern nicht erinnern können. Was ist mit ihm?«

Toni rieb sich das Kinn. Er dachte eine Augenblick nach.

»Der Berni steckt in einer Zwickmühle. Er ist verliebt. Er wollte das aber vor seiner Tante geheim halten. Die hat schon einmal einen Keil dazwischen getrieben, als ihr des Madl net gepasst hatte, in des sich Berni verliebt hatte. Des liegt schon eine Zeitlang zurück. War wohl eine Jugendliebe. Aber jetzt hofft er wohl, der Frau fürs Leben begegnet zu sein. Aber die beiden verfehlen sich. Er hat dem Madl seine Handynummer gegeben. Doch des Madl hat sich net bei ihm gemeldet. Der Berni hat herausgefunden, dass des Madl aus Waldkogel sein soll. Es wird Franzi gerufen. Einen Nachnamen hat er nicht. Seit Wochen kamen an unsere Franzi immer wieder liebe Briefe mit Geschenken. Es waren kleine goldene Anhänger, wie sie die Madln an Armbändern tragen. Ein Absender stand net drauf. Die Briefe waren nur mit ›Berni‹ unterschrieben. An Hand der kleinen Schmuckverpackung haben Anna und ich herausgefunden, dass er die Anhänger beim Ferdinand Unterholzer gekauft hatte. Über den haben wir erfahren, dass es sich um den Berni Steininger handelt. Der ist immer noch ganz verzweifelt und voller Liebeskummer. Jetzt haben wir Berni auf die Berghütte eingeladen. Wir wollen ihm helfen, sein Herzensmadl zu finden. Ein Weg dahin könnte sein, die Freundin des Madls zu finden. Sophie wird sie gerufen. Sie soll hier aus Waldkogel sein. Leider weiß der Berni ihren Nachnamen auch net. Ich habe mich schon umgehört, aber sie net gefunden.«

»Ah, du zählst auf meine Hilfe!«

»Ja, Fellbacher! Der Berni hat auch ein bissel Schwierigkeiten mit dieser Sophie. Des Madl scheint selbst Gefallen an ihm zu haben und eifersüchtig sein, verstehst?«

»Wie heißt des modern? Zickenkrieg, nennt man des, wenn ein Madl einem andern Madl sein Glück net gönnt.«

»Wobei des eine Beleidigung für jedes Zicklein ist!«

Die Männer lachten.

»Dann will ich mal sehen, was ich für dich und den Berni tun kann. Wenn des Madl, des Franzi gerufen wird, sich net bei dem Berni gemeldet hat, dann hat es kein Interesse oder sie hat Bernis Handynummer verloren oder die Sophie hat intrigiert.«

»So denke ich mir des auch, Fellbacher!«

Der Bürgermeister rief seine Sekretärin herein. Er gab ihr die Anweisung, im Melderegister der Gemeinde Waldkogel zu forschen.

Sie wollte sich sofort darum kümmern.

»Des geht ja heute alles über den Computer, Toni. Es wird net lange dauern. Ich kenne mich damit net so aus, aber dafür habe ich meinen guten Geist draußen im Vorzimmer. Bin eben noch vom alten Schlag.«

»Bist schon richtig, Fellbacher! Wir wissen alle, was wir an dir als Bürgermeister haben.«

Sie tranken Kaffee und warteten.

»Was willst machen, wenn wir die Sophie gefunden haben? Es können auch mehrere Madln sein, die Sophie heißen.«

»Ich will mit ihr oder mit ihnen reden.«

Bürgermeister Fellbacher dachte nach. Er schüttelte den Kopf.

»Naa, Toni, naa! Wir machen des anders! Ich kümmere mich darum. Wenn ich als Bürgermeister frage, dann werde ich wahrscheinlich eher was herausbekommen.«

»Ah, du wirst deine ganze amtliche Autorität in die Waagschale werfen.«

»Genau, Toni! Des wird dann gleich sehr amtlich aussehen, wenn ich mich nach einer Franzi erkundige. Warum ich das tue …, mei, es geschieht aus amtlichen Gründen. Von mir verlangt keiner Einzelheiten.«

»Bist schon ein ganz raffinierter Hund, Fellbacher«, lachte Toni. »Aber ich bin einverstanden. ›Der Zweck heiligt die Mittel‹, sagt man.«

»Ja, so ist es!«

Es dauerte nicht mehr lange, dann kam die Sekretärin herein.

»Ich habe eine Sophie gefunden, die vom Alter her passen könnte. Sie wohnt im Neubaugebiet, drüben in Marktwasen. Dann gibt es noch zweimal den Namen Sophia. Aber die beiden Frauen sind wesentlich älter. Hier steht alles drauf.«

Sie reichte dem Bürgermeister Fellbacher den Computerausdruck. Er bedankte sich. Nachdenklich schaute er auf das Blatt Papier.

»Was ist, Fellbacher?«

»Alles in Ordnung! Ich habe mir nur gerade eine weitere Strategie überlegt.«

»Und die ist?«

»Lass dich überraschen, Toni! Ich werde der Sache so bald wie möglich nachgehen. Noch heute kümmere ich mich darum. Sobald ich etwas weiß, melde ich mich bei dir! Wollte ohnehin mal wieder auf die Berghütte kommen.«

»Des ist schön! Komme doch mal mit deiner ganzen Familie.«

»Des ist eine gute Idee.«

Toni und der Bürgermeister verabschiedeten sich voneinander.

Bürgermeister Fellbacher rief gleich seinen Freund Pfarrer Zandler an. Er musste ihm sofort davon erzählen, wie Sebastian und Franziska den vorlauten Hüttengast zurechtgewiesen hatten. Pfarrer Zandler lagen die beiden Kinder auch besonders am Herzen. Der Geistliche hatte sich damals nach dem Unfalltod sehr um sie gesorgt.

Nachdem das erledigt war, diktierte Bürgermeister Fritz Fellbacher einen Brief an Sophie Lanzer in Marktwasen. Marktwasen war zwar innerhalb der Gemeindegebietsreform vor Jahren eingemeindet worden, doch die Bewohner der Ortsteile Marktwasen und Waldkogel blieben mehr untereinander.

Bürgermeister Fellbacher schickte einen Boten nach Marktwasen und ließ den Brief persönlich zustellen. Er rieb sich die Hände. Das Schreiben würde seine Wirkung nicht verfehlen, freute er sich. Sicher würde sich Sophie Lanzer bald bei ihm melden. Fellbacher gab seiner Sekretärin Anweisung, der Sophie einen Termin zu geben, sobald sie anrufen würde. Dabei sollte sie keinerlei Andeutungen machen, wegen welcher Angelegenheit der Bürgermeister Sophie Lanzer persönlich sprechen wollte. Diese Strategie war auch ein Teil seines Planes.

*

Nicole stand auf dem Balkon und schaute hinunter auf den großen Parkplatz zwischen den Wohnblocks. Sie trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Ungeduldig wartete sie auf ihre Freundin Tamara. Endlich sah sie Tamara in ihrem kleine Sportwagen auf den Parkplatz rollen und aussteigen. Tamara schaute herauf und winkte Nicole zu.

»Na endlich!«, empfing Nicole die Freundin oben an der Treppe.

»Ja, es hat länger gedauert. Lass mich erst mal wieder Luft holen!«

»Keiner zwingt dich, die neun Stockwerke heraufzuspurten. Es gibt einen Aufzug!«

Tamara schmunzelte. Darüber waren sich die Freundinnen immer uneins. Es war schon fast zum Begrüßungsritual der beiden geworden, dass Nicole ihr Unverständnis über Tamaras sportlichen Ehrgeiz zum Ausdruck brachte. Tamara folgte Nicole in die Wohnung.

»Schläft Bine?«, fragte Tamara.

»Sie übernachtet bei einer Freundin! Deshalb war es mir so wichtig, dass du heute Abend kommst. Du weißt, wie neugierig die Kleine ist. Ich kann mich freier mir dir unterhalten, wenn Sabine nicht hier ist. Ich habe immer etwas Angst, dass sie mal aufwacht und uns belauscht.«

Sie setzten sich in die gemütliche Sitzecke des Wohnzimmers. Nicole hatte eine Platte mit belegten Brötchen gemacht. Sie schenkte Rotwein ein.

»Tut mir leid, dass du auf mich warten musstest. Nach der Aufführung gab es noch einen kleinen Umtrunk. Es war die hundertste Aufführung. Da konnte ich nicht so einfach gehen.«

Tamara arbeitete am Theater. Das war nicht immer so. Den Traum auf der Bühne zu stehen, hatte Tamara schon immer gehegt. Aber sie wusste, wie schwer es war, dauerhaft seinen Lebensunterhalt mit Theaterspielen zu verdienen. So hatte sie eine Ausbildung zur Büroorganisatorin gemacht. In diesem Fernkurs mit Wochenendseminaren hatten sich die jungen Frauen kennengelernt. Tamara mit ihrer Selbstsicherheit war Nicole gleich aufgefallen. Bald waren sie eng befreundet. Tamara wurde zu Nicoles inniger Vertrauten. Nicole war in der großen Stadt Berlin alleine. Sie wohnte erst seit kurzem in der Stadt, hatte keinerlei Anschluss und war zudem schwanger von einem Mann, der sie hatte sitzen lassen. Tamara unterstützte Nicole und wurde die Patin ihrer Tochter Sabine, die Bine gerufen wurde.

Die beiden Frauen prosteten sich zu.

»Was gibt es?«, fragte Tamara. »Du siehst aus, als würde mal wieder die Welt für dich zusammenbrechen?«

Nicole stand auf und holte aus ihrem verschlossenen Sekretär einen Brief. »Hier, lies selbst!«