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Dem Andenken des im Juni 2016 verstorbenen österreichischen Jazzhistorikers Prof. Klaus Schulz gewidmet

Inhalt

Ein Leben für die Musik

Amerika im Umbruch

25. April 1917, Newport News, Virginia

Bessie Smith, die erste schwarze Diva

Ella und die »Harlem Renaissance«

Die ersten Jazzmusikerinnen

Ein erstes Vorbild: Connee Boswell

Der Savoy Ballroom wird Ellas Lieblingslokal

Swing: Die Tanzmusik der 1930er-Jahre

Benny Carter entdeckt Ellas Talent

Das Debüt im Harlem Opera House

Chick Webb, der »König des Savoy«

Im Plattenstudio mit Teddy Wilson und Benny Goodman

Auf dem Weg zum Star

Benny Goodman in der Carnegie Hall: Ein Meilenstein

1938 der erste große Hit: A-Tisket, A-Tasket

»Leader of the Band« – mit 22 Jahren

Die erste Ehe ist ein Flop

Eine Combo statt der Big Band

Eine musikalische Revolution in Minton’s Playhouse

New York 52nd Street: Das neue Kreativzentrum des Jazz

Ab 1944: »Jazz At The Philharmonic« durchbricht Rassenschranken

Rassismus in Europa: Die Nazis verbieten »Nigger-Jazz«

Ella scattet sich durch Flying Home

Mit der Dizzy Gillespie Big Band in den Südstaaten

Die neue Liebe heißt Ray Brown

1947: Oh, Lady Be Good und How High The Moon

Jazz und Rauschgift – ohne Ella!

Norman Granz vergoldet Ellas Talent

Die Plattenfirmen umwerben Ella

»Jazz At The Philharmonic« erobert mit »Lady Fitz« Europa

1954: Norman Granz wird Ellas Manager

Eine Filmrolle in Pete Kelly’s Blues

Ella wird in Houston verhaftet

Funk und Soul als Begleitmusik der Bürgerrechtsbewegung

Leonard Bernstein: »Jazz ist Kunst«

Ein fulminanter Start bei Verve: Das Cole Porter Songbook

1956: Ella And Louis

»First Lady Of Song«

Eine unglückliche Affäre

Porgy And Bess

Ella Fitzgerald At The Opera House

Am Filmset mit Nat »King« Cole in St. Louis Blues

Der Glücksfall Nelson Riddle

1960: Mack The Knife

Count Basie: »Ella ist wundervoll«

Nina Simone: Mississippi Goddam

Nica de Koenigswarter, adelige Jazz-Mäzenin

Tommy Flanagan wird Ellas Pianist

Erfolg auf Kosten der Gesundheit

Das Zwischenspiel bei Capitol und Reprise

Ella landet bei Pablo Records

In memoriam Duke Ellington

Die Zeit der vielen Ehrungen

Ein Interview

Ella Fitzgerald: »Ich singe, was ich fühle«

»Sassy« und »Lady Day«

»We love Ella!«

Ellas Vermächtnis: Jazz bringt die Menschen zusammen

Anhang

Biographie

Die wichtigsten Ehrungen

Diskographie (Auswahl)

Filmographie

Bibliographie

Register

Ein Leben für die Musik

13 Grammys, zahlreiche akademische Ehrungen, Dutzende Poll-Siege als »Beste Sängerin« in DOWNBEAT und anderen Jazzmagazinen, die Verleihung der National Medal of Arts 1987 und der Presidential Medal of Freedom 1992 – das sind nur einige Marksteine in der 60-jährigen Karriere der Ella Fitzgerald (25. April 1917–15. Juni 1996). Neben Billie Holiday, deren künstlerische Laufbahn freilich wesentlich kürzer währte, war sie gewiss die bedeutendste Sängerin des Jazz.

Duke Ellington sagte einmal: »Was ihre Musikalität betrifft, steht Ella außerhalb jeder Kategorie.« Und von Ellas Kollegin Betty Carter ist diese Aussage überliefert: »Sie kann denken, sie kann improvisieren.« Nnenna Freelon wiederum, eine wesentlich jüngere Sängerin, meinte einmal, wenn man einen Jazzstandard erarbeiten wolle und keine präzise Vorstellung von der richtigen Interpretation habe, brauche man nur die Aufnahme von Ella Fitzgerald anzuhören »und findet die akkurate Darstellung«. Einer von Ellas Klavierbegleitern, Jimmy Rowles, erzählte, sie habe mit der Musik gelebt, die alles für sie gewesen sei: »Sie kommt aus ihr. Wenn sie die Straße entlanggeht, hinterlässt sie Töne.«

Ella Fitzgerald nahm mehr Schallplatten auf als jede andere Jazzsängerin des 20. Jahrhunderts und gab auch mehr Konzerte rund um den Erdball als all ihre Kolleginnen. Sie hielt konstant ihr künstlerisches Niveau, war bescheiden, fast scheu, und schützte bei aller Liebe zu einem direkten Publikumskontakt ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit. Der Erfolg, der viele Jahre nach ihrem Tod auch im 21. Jahrhundert ungebrochen anhält, war Ella Fitzgerald wahrlich nicht in die Wiege gelegt worden. Sie hat ihn sich hart erarbeitet.

Der Saxophonist Flip Phillips meinte, ein großer Musiker sei jemand, der Time halten könne: »Und Ella konnte am großartigsten von allen Time halten. Mehr als alles andere ist es dieses, was sie in den Augen der Musiker als Musikerin auszeichnet.« Nicht zufällig hat ein anderer großer Saxophonist, Lester Young, der Billie Holiday »Lady Day« nannte, Ella Fitzgerald den Spitznamen »Lady Time« verpasst. Keine andere Sängerin des Jazz besaß eine größere Spannweite der Stimme als Ella Fitzgerald mit ihrem 3-Oktaven-Spektrum. Sie kam vom Swing, wurde in der Bebop-Ära mit ihrem Scat-Gesang berühmt und erlangte mit ihren Aufnahmen der Songbooks der großen amerikanischen Populärkomponisten schließlich eine weltweite Beliebtheit weit über den Kreis der Jazzenthusiasten hinaus. Aus der »First Lady Of Swing« wurde die »First Lady Of Jazz« und dann die »First Lady Of Song«. Nun agierte sie auf gleicher Höhe mit Frank Sinatra.

Der Spitzname »Lady Time« muss noch erklärt werden: Time beschreibt zunächst eine Taktart, und in time zu spielen meint die präzise Einhaltung des Taktmaßes. Das Timing ist im Jazz entscheidend für die Phrasierung und Interpretation. Es setzt ein solides Empfinden für ein konstantes Tempo voraus und beeinflusst somit die Qualität des swing, der das rhythmische Urphänomen des Jazz darstellt. Und Ella Fitzgerald stand eben für perfektes Timing.

Der amerikanische Jazzkritiker Will Friedwald hat die Wirkung ihres Gesanges treffend mit diesem Satz beschrieben: »Ella Fitzgeralds Kunst führt die Zuhörer aus sich heraus, um sie in sich gehen zu lassen.« Ihre idealen stimmlichen Voraussetzungen waren die Basis für ihren in der Jazzwelt unvergleichlichen Starruhm, den sie nicht zuletzt den Managerqualitäten ihres Betreuers Norman Granz verdankte.

Dieses Buch analysiert den künstlerischen Aufstieg der Ella Fitzgerald, der zu Lasten eines unglücklichen Privatlebens ging, und beschreibt ihren Stellenwert in der populären Musik Amerikas. Sie selbst und prominente Zeitzeugen kommen in dieser spannenden Lebensgeschichte zu Wort, in der es nicht zuletzt um die Rolle der Frau im Jazz und die Integration der Afroamerikaner in der Gesellschaft der USA geht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Ella Fitzgerald aufwuchs und ihre künstlerische Karriere startete, konnte wahrlich noch niemand ahnen, dass 2008 mit Barack Obama erstmals ein Afroamerikaner zum Präsidenten der USA gewählt werden würde.

Die Geschichte Nordamerikas war seit 1619, als in Jamestown, Virginia, ein Holländer die ersten zwanzig Afrikaner verkaufte, eng mit der Sklaverei verbunden. Im Jahr 1750 waren von den 1,5 Millionen Einwohnern in den 13 britischen Kolonien 300000 Sklaven, von denen die Hälfte auf den Plantagen in Virginia und Maryland arbeitete. 1808 verbot der Kongress den Sklavenimport aus Westafrika. Bis dahin hatte man ständig neue Sklaven aus Westafrika nach Amerika verschifft. Bei der Abschaffung der Sklaverei 1865 gab es in den USA rund vier Millionen Sklaven. Zwar wurden den schwarzen Männern nun formal die Bürgerrechte zugestanden, aber die weißen Südstaatler praktizierten weiterhin brutalen Rassismus. So wurde den Afroamerikanern in einigen Bundesstaaten durch die Einführung von unerschwinglichen Kopfsteuern oder Alphabetismus- und Wissensprüfungen das Wahlrecht entzogen. Die Namen schwarzer Wähler verschwanden aus Wählerlisten, man stahl oder fälschte Stimmzettel in Wohnvierteln von Afroamerikanern. Die Rassentrennung wurde in den sogenannten »Jim-Crow-Gesetzen« verankert, die Ehe zwischen Weißen und Schwarzen verboten. Die rassistischen Gewalttaten des Ku Klux Klan gegen Schwarze, Juden und Katholiken tolerierte die amerikanische Justiz. Und 1896 erklärte der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung für rechtmäßig. Bis in die 1960er-Jahre dauerte die Periode der Rassentrennung an.

Lange Zeit hatten Schwarze in Amerika nur im Sport sowie in Entertainment, Musik oder Tanz Aufstiegschancen. Oriental America hieß das von John W. Isham 1896 produzierte Musical mit erstmals ausschließlich afroamerikanischen Darstellern, das für kurze Zeit am Broadway in Palmer’s Theatre aufgeführt wurde. Im selben Jahr hatte Black Patti’s Troubadours mit Musik von Bob Cole und der Sängerin Sissieretta Jones an Proctor’s 58th Street Theatre in New York mehr Erfolg beim Publikum. Als erster afroamerikanischer Star am Broadway gilt übrigens der 1874 geborene Egbert Austin Williams, der 1903 in der musikalischen Komödie In Dahomey mitwirkte. Das erste rein afroamerikanische Musical, das es auf mehr als 500 Aufführungen brachte, hieß Shuffle Along und wurde vom Komponisten und Pianisten Eubie Blake mit dem Sänger und Textautor Noble Sissle geschrieben. Es startete im Mai 1921 an New York City’s 63th Street Theatre. Unter den Mitwirkenden befand sich Josephine Baker, Jahrgang 1906, die später als erste Afroamerikanerin in die französische Ehrenlegion aufgenommen wurde. Bei Shuffle Along war auch Florence Mills, geboren 1895, dabei, die bereits als Achtjährige im Musical Sons Of Ham auf der Bühne stand und die erste schwarze Entertainerin werden sollte, die es zu internationalem Starruhm brachte. »Blind Tom« alias Thomas Greene Bethune, Jahrgang 1849, war der erste berühmte afroamerikanische Konzertpianist und der 1871 geborene Joseph Douglass der erste schwarze Geiger, der eine Tour durch die USA unternahm. Harry Burleigh, Jahrgang 1866, gilt als der erste schwarze Komponist von Konzertmusik, der eine gewisse Bekanntheit erlangte.

Und Caterina Jarboro, die im Juli 1933 die Titelrolle in Verdis Oper Aida mit der Truppe der Chicago Civic Opera im Hippodrome Theatre in New York verkörperte, ist als erste Schwarze, die mit einem berühmten Opernensemble auftrat, in die amerikanische Musikgeschichte eingegangen. William Grant Still dirigierte als erster Afroamerikaner ein berühmtes Sinfonieorchester, nämlich 1936 die Los Angeles Philharmoniker, mit eigenen Kompositionen. Die 1897 geborene Marian Anderson sang 1935 in Salzburg, wo der Dirigent Arturo Toscanini von ihrer Stimme begeistert war, und stand 1955 als erste Afroamerikanerin auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York, wo sie die Ulrike in Verdis Maskenball verkörperte. Nur drei Wochen später sang mit Robert McFerrin, dem Vater des in unseren Tagen so populären Vokalakrobaten Bobby McFerrin, der erste Schwarze an der Met. Er gab den Amonasro in Verdis Aida. 1961 verkörperte schließlich mit Leontyne Price erstmals eine Afroamerikanerin bei einem Eröffnungsabend an der Met eine Hauptrolle, und zwar die Leonora in Verdis Il Trovatore. Im selben Jahr stand mit Grace Bumbry die erste Afroamerikanerin beim Wagner-Festival in Bayreuth auf der Bühne, als Venus in der Oper Tannhäuser.

Der fabelhafte schwarze Tänzer Bill »Bojangles« Robinson debütierte im Alter von 50 Jahren in Blackbirds Of 1928 am Broadway. Die erste afroamerikanische Tänzerin auf der Bühne der Met war Janet Collins 1951 in Verdis Aida. Für die Neuproduktion dieser Oper in der Saison 1963/64 wurde mit Katherine Dunham die erste schwarze Choreographin an die Met engagiert.

Auch Ella Fitzgerald war eine afroamerikanische Pionierin. Als erste Schwarze konnte sie nämlich bei der allerersten Grammy-Verleihung gleich zwei dieser Schallplattenpreise für 1958 erschienene Alben erobern. Damit reihte sie sich in die lange Reihe afroamerikanischer Künstler ein, deren Namen mit einem gesellschaftlichen Durchbruch verbunden sind. Gerade die Musik des Jazz und deren Protagonisten spielten bei der Überwindung der Rassenschranken in Amerika eine große Rolle.

Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Johannes Kunz

Wien, im Juni 2016