CADE CHANDRA

BAND 3

 

 

 

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

 

© Cover: Thomas Knip

 

ISBN ePub 978-3-86305-212-6

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Hanns Kneifel

 

CADE CHANDRA

JÄGER DER GOLDENEN GÖTTER

 

 

1 – Die Paläste von Pharlevinc

 

Die kleinen Ohren des Hengstes zuckten, das silberfarbene Tier schüttelte sich und keilte mit beiden Hinterhufen aus. Breite Sandfontänen wirbelten über den Dünenhang. Cade Chandra zog den Zügel straff, aber der Hengst streckte den Schädel, biss auf die Trense und machte einen Sprung, dann trabte er den Dünenhang hinunter. Als er den Strand erreichte, lehnte sich Cade zurück, gab den Zügel frei und hielt sich am Sattelhorn fest. Die langen Enden der Sporen berührten die Mittelpunkte der schwarzen Flecke am Bauch des Lemekh. Das Tier stieß einen Schrei aus und wurde schneller.

Cade riss am Zügel und steuerte auf das Wasser zu, in den weichen Sand hinüber. Die überlangen Beine bewegten sich noch schneller, die breiten Hufe dröhnten im Trab. Der Kamelhals lag fast waagrecht und wippte; das Tier begann zu schwitzen. Wieder setzte Cade die Sporen ein und grinste: Einen vierten Abwurf würde er nicht erleben.

Er stellte sich in den großen Steigbügeln auf, klatschte mit der flachen Hand auf die Flanke und den Hals des Hengstes und forderte das störrische Tier noch mehr. Der rasende Trab im nassen Sand zehrte an den Kräften. Als die Hufe riesige Wasserfontänen hochschleuderten, duckte sich Cade nicht, sondern genoss den Regen salziger Tropfen. Der Hengst trabte schneller, mehr als zwei Ormil weit durchs Wasser, dann keuchte er.

Cade zog den Kopf des Tieres herunter, ließ das Lemekh wenden und dirigierte es mit Kandare und Sporen ins tiefe Wasser. Der knochige, schlanke Körper kühlte ab. Langsam trabte Cade zurück; das Tier gehorchte auf jeden Schenkeldruck.

»So, mein neuer Freund«, sagte Cade erschöpft, aber zufrieden. »Für die Dauer unserer Zusammenarbeit weißt du, wer der Chef ist.«

Fell, Sattel und Kleidung troffen; aus der geflochtenen Mähne rann Wasser. Cade dirigierte den Hengst zur Oase, ritt in den Schatten der großen Plattform vor den Ställen und kletterte aus dem Sattel.

»Du hast ihn besiegt, Vater der Sporen?« Naueran tippte anerkennend gegen das Jadeschmuckstück des Stirnreifs. Cade starrte in die reptilartigen Augen des Reittieres. Sie befanden sich einen halben Orhun über seinem Kopf und blinzelten.

»Mühsam.« Cade klopfte den Hals des Hengstes und gab Naueran die Zügel. »Er gehorcht mir.«

»Er wird dir von heute an immer gehorchen, Herr Cade.« Der Stallknecht führte das Lemekh in den dunkleren, kühlen Teil des Stalles. Cade kletterte in ein Sandboot und steuerte wieder in die Sonnengrelle hinaus. Er wollte sehen, wie gut seine Truppe mit den Wüstenrennen zurechtkam.

Auf dem höchsten Punkt der Sanddüne hielt das Wüstenboot leise summend an. Wie eine Scheibe aus flüssigem Platin brannte die Sonne. Soweit das Auge reichte, breitete sich Sand aus; flimmernde Hitze und keine Spur von Bewegung, von sichtbarem Leben, wenigstens im Südwesten bis weit in den Nordwesten der Wüste hinein.

 

Die Schale des Bootes aus Flechtwerk, einigen Durminverstrebungen und einer Hülle aus Lemekh-Leder knarrte und knisterte. Der kaum wahrnehmbare heiße Wind ließ Sandkörner über den Dünenhang rieseln. Rechts neben dem hochgewölbten Bug, halb im Schatten des knöchernen Galions, rutschte Cade aus dem Sitz.

»Heiß, grell und viel zu groß für einen Jäger.«

Die gesamte Strahlung der Sonne schien sich im Metallspiegel eines der wenigen Kontrollinstrumente zu sammeln. Cade Chandra blinzelte, sah die Sonnenbräune seines Gesichts und den buschigen Schnurrbart. Die Spitzen waren zusammengedreht und hingen abwärts; vom linken Ende löste sich ein dicker Schweißtropfen. Er funkelte wie ein Tautropfen bei Sonnenaufgang, und Cade fühlte, wie noch mehr Schweiß aus seinen Achselhöhlen tropfte.

»Wo seid ihr, kühlende Brisen an den unermesslichen Stränden von 2001 Islands?«, murmelte er. Er gab sich die Antwort: sie waren längst Vergangenheit. Jetzt schwitzte er. Eine Tätigkeit, die er verabscheute – aber er musste sich eingestehen, dass er das letzte Fettpolster verloren hatte und dass seine Muskeln wieder perfekt arbeiteten. Mehr Vorteile konnte er bis jetzt diesem Wüstenplaneten nicht abgewinnen. Er steuerte das Schwebegefährt die Düne hinunter und auf den weiten Strand zu. Cade vermied es, sich ablenken zu lassen. In der Weite dieses majestätischen Planeten lauerten Geheimnisse und Gefahren; weniger für ihn und sein kleines Team als für Pharlevinc und das Imperium. Von rechts näherte sich eine Staubspirale. Vor der Wolke, die im Sonnenlicht glühte und unendlich langsam in die Richtung des Meeres trieb, zeichneten sich winzige Gestalten ab. Cade schob den Fahrthebel vor und steuerte das Boot über eine Folge langer Sandhügel hinweg, die gegen das Ufer zu niedriger wurden und vage Spuren von Bewuchs zeigten; dürre Queller und die Rispen seidigen Strandhafers. Die kochende Luft schien zu zittern, das Trappeln von zehn Dutzend Hufen wurde lauter.

 

»Wie immer im gestreckten Galopp: meine Damen und Herren Freunde.« Über der niedrigen Brandung drehte Cade das Gefährt und nahm die dunkle Brille ab. Fünfzehn Frauen und ebenso viele Männer versuchten seit drei Tagen, sich mit den Wüstentieren vertraut zu machen. Er hatte seine Erfahrungen mit den schnellen, genügsamen Lemekh schon hinter sich: blaue Flecke, drei Stürze in heißen Sand und eine deutliche beiderseitige Abneigung.

»Aber Storzia schafft es wieder einmal.«

Leichte Sättel, schwere Satteltaschen, Wasserbehälter, Waffen und Ausrüstung waren auf den Rücken der silberfarbenen Tiere festgeschnallt. Eine Mannschaft aus Planetariern und Imperiumsangehörigen stand in den Steigbügeln oder saß in den kantigen Sätteln. Die Lemekh bewegten sich in einem abenteuerlich schnellen Trab, streckten die langen Hälse und waren ebenso leistungsfähig und bedürfnislos wie die Diop von Khalakwolt.

Storzia hob den Arm, als er an Cade vorbeitrabte, und stieß ein lang gezogenes Trillern aus. Cade setzte die Brille auf, wich vor der Staubwolke aus und horchte in sich hinein; er schien sich der Natur dieser Wüstenwelt so gut angepasst zu haben, wie es ihm auf Khalakwolt und 2001 Islands gelungen war.

»Ich komme zurück. Die Reiter sind in einer halben Stunde da.« Er verschob das Kombinationsarmband, weil es schweißnass war und sich ein hellerer Streifen auf dem Unterarm bildete. »Wirf ein paar Eisstückchen ins Schwimmbecken, Geliebte.«

»Habaqoc lässt gerade Tee kochen.« Amourea kicherte. »Er ist ein lüsterner junger Mann.«

»Junger Mann! Zwei Jahre älter als ich. Ende.«

Cade steuerte das Boot zur Oase zurück. Die Reiter hatten sich in Gruppen geteilt und übten noch einmal den Trab zwischen Dünen und über den Sand. Habaqoc Jezirah Tshan, Psammarch dieser Halbinsel, hatte das Erbe seiner Vorfahren erweitert, verschönert und bereichert; seit das Imperium vom Planeten Pharlevinc jährlich eine beachtliche Menge kristalliner Kohlenwasserstoffe bezog, lebte er in angemessener Unbescheidenheit. Cade kam in den Schatten der Gebäude, deren Decken unter einer dicken Sandschicht verborgen waren, umsteuerte schlanke Säulen und ließ das Boot neben vierzehn anderen in unterschiedlicher Farbe zu Boden sinken.

Kireen, einer der vielen Diener, legte den braunen Zeigefinger an den synthetischen Bernstein des Stirnreifs.

»Zufrieden mit dem Boot, Fürst der unerschrockenen Suche?«

Er verbeugte sich. Cade sprang über die Bordwand.

»Völlig. In sieben Tagen, Hüter der geflochtenen Wunderlichkeiten, brechen wir auf. Sage bitte dem Herrn des Palastes, dass wir abends mit ihm sprechen müssen.«

»Er wird euch erwarten.«

Cade nickte und schob die Brille in die Stirn. Er hatte nicht vor, diese Art des Dialogs tagtäglich zu praktizieren, aber mitunter empfand er gewisse Wendungen als amüsant. Er grinste in sich hinein, während er die breite Treppe hinauflief und dachte: In Wirklichkeit genießt du es doch wieder, Jäger des Mondsilbers, vorübergehend der Verantwortung für die Beta-Eridanis-Region entronnen und mit deinen alten Freunden zusammen zu sein.

Im Nordflügel des halb unterplanetarischen Palastes bewohnten er und seine Freunde den schönsten Teil. Von Chandras Zentrale und von einigen Terrassen gab es Ausblicke auf das Nutzwasserreservoir der Oase und auf das Zentrum des uralten grünen Bezirks inmitten gewaltiger Sandmassen. Cade schob einen dreifachen Vorhang zur Seite und nahm das Armband ab.

»Wie viele Geheimnisse hast du aufgedeckt, Amou?«

An der sandfarbenen Decke spiegelten sich die Reflexe des Wassers; durch kreisförmige Öffnungen über dem Bassin strahlte Sonnenlicht hinein. In allen Räumen herrschten Kühle und hohe Luftfeuchtigkeit.

Amourea saß an dem langen Tisch, der von Geräten aus Imperiumslabors vollgestellt war. An der Wand hing eine große, dreidimensionale Karte von Pharlevinc in flirrender Mercatorprojektion.

»Ich hab dreizehn Sonden über den Städten stabilisiert. Sie sammeln Informationen und funken sie in die CAPSIZAL. In kurzer Zeit können wir sie von hier aus abrufen, Cade.«

Er streckte die Beine aus und schaltete die Thermostiefel aus. Die Sonnenbrille klapperte zwischen Funkgeräten, Monitoren und holografischen Bildzeichnern.

»Wenn ich nicht wüsste, dass kein Problem so einfach ist, wie es zunächst scheint, wären wir nicht hier.« Er zog den Saum des Hemdes auf.

»Es geht nicht nur um das Zeug unter dem Sand. Es geht auch nicht nur um ein paar Tonnen gestohlenes Gold.« Amou hob die Schultern und raschelte mit den Armbändern. »Worum es wirklich geht, werden wir herausfinden, Liebster.«

»Hoffentlich.«

Ein weiter Vorhang glitt auf. Cornaza balancierte Teegeschirr, gewürztes Fladengebäck und in heißem Öl und mürbem Teig gebackene Meeresfrüchte auf einem Tablett.

»Hierher, Zierde des Palastes.« Cade schob Folien, Stifte und Bilder auf der Tischplatte auseinander. »Was sprechen die Männer der Salzkarawanen?«

Die junge Frau ließ wie vieles im »Kasr Nihaja«, dem Palast des Friedens, mehr als nur grundsätzliche Eigenarten dieser Kultur erkennen. Die späten Nachfahren der Flüchtlinge eines galaktischen Krieges hatten überlebt und sich seit dreieinhalb Jahrtausenden dem Planeten angepasst. Sie zeigten Relikte archaischer Terra-Kulturen. Ob auf Khalakwolt, 2001 Islands oder Pharlevinc – überall entdeckte Cade Verhaltensweisen aus der Urheimat des Homo sapiens: Cornaza sah aus wie die schönste Palastsklavin eines maurischen Provinzemirs aus einer archaischen Vergangenheit.

»Sie sprechen viel und sagen wenig, aber überall dort, wo sie reiten, steigt die Unruhe. Alle wissen's: Unheil und Seuchen des Hirns greifen nach den Pharlevincnoi.«

»Habaqoc sprach mit ihnen?« Cade sah gebannt zu, wie neun große Tropfen Honig sich schlierend im Tee auflösten.

»Er wird bald alles wissen. Vielleicht mehr als ihr.« Cornaza legte drei Finger an die Lenza, den Stirnreif. Sie trug einen funkelnden Topas. »Wie stets und immer.«

»Danke, Schwesterlein.« Auf einem Gerät blinkten Leuchtfelder. Amourea nickte und legte einen Finger auf den Schalter.

»Storzia?«

»Ja. Schwimmen wir ein paar Ormil?«

»Nicht, bevor du ein paar Liter Tee getrunken hast. Hier. Im Kommandostand.«

Storzia Grurs Stimme begann zu leiern: »Khyllach, Gamander, Efser und Hiri-Hiri. Und Abaton, die Wandernde …«

»Schon gut«, sagte Cade laut. »Jeden dieser Städtenamen werden wir noch zu hassen lernen. Ich kann sie auch auswendig. Komm her, Mann!«

»Bis demnächst.«

Cade grinste. »Ein loser Ton, eine Verachtung der Flottendisziplin, höchste Effizienz und schlechte Manieren. Meine alte Mannschaft! Was soll ich von ihnen halten?«

Der Glasstab klirrte im durchscheinenden Tonbecher, als Cade gedankenverloren umrührte.

»Das Höchste, wie wir wissen, Commander.« Amou schenkte ihm ein aufgesetztes Lächeln. »In einigen Tagen fängt die brutale Disziplin unserer Mission an. Denk daran, was uns DuRoy erklärt hat. Es geht um die Struktur eines Planeten mit rund fünfhundert Millionen Individuen.«

»Und um fast vierzig Tonnen Gold und Juwelen.«

»Und um mehr.«

Sie blickten sich über die Breite des Tisches und die Stapel der Unterlagen an. Ihre Gesichter waren ernst. Sie waren gewiss, auch diese Aufgabe lösen zu können. Aber trotz aller Unterstützung der Imperiumsflotte blieb die Mission ein planetenweites Rätsel, das nur wenige lösen konnten: Cade, Amourea Gonavard, Storzia Grur und Jadar Kastor. Und, vielleicht Habaqoc Jezirah Tshan, neunundvierzigster seines Geschlechts und Psammarch über fünf Prozent des Planeten.

 

Habaqoc Tshan, etwa vierzig Jahre alt, zwirbelte lange die Spitzen des Schnurrbartes, ehe er sich äußerte. »Nichts ist ganz sicher unter dem Licht der Sonne oder der Monde.« Über den Ausschnitten der Hallendecke funkelten die Sterne. Auf Cade wirkten sie wie eine Drohung. »Aber überall dort, wo Sand ist, gibt es keine Spuren. Noch schweigen die Thegne der dreizehn Städte. Noch weiß niemand von dem Diebstahl.«

»Offiziell nicht einmal ich.« Cade strich eine Falte seines Pseudoburnus' glatt. »Wir haben rund um den Planeten gesucht und geortet. Es hat nachweislich, drei Stunden nach deiner ersten Meldung, kein Raumschiff diesen Planeten verlassen. Nicht einmal ein windiges Raumboot.«

»Das weiß ich. Müßig, darüber zu sprechen und zu wiederholen, dass in neunzig Tagen die Wanderungen, Besuche, die Heiratsmärkte und alles andere beginnen. Ein paar Millionen Leute werden auf Lemekh und in Schwebebooten unterwegs sein.«

»Auch ich habe nichts gehört.« Jadar strich über seinen fast haarlosen Schädel. »Aber bei mir verkehren ja nur Fischer und Wüstenreiter aus dem Umkreis der Oase.«

»Ich erhoffe mir deutliche Spuren, wenn wir mit dem Raumschiff zu suchen anfangen«, sagte Amou. »Morgen!«

»Tochter der Sterne!« Der Psammarch schielte nach den Gläsern, in die Storzia drei Finger hoch Naqnaq goss. Ein Unterwasserscheinwerfer flackerte kurz und erlosch. »Das erhoffen wir alle.«

Prunk, hart an der Grenze zum Kitsch – Cade definierte ihn als archaisch-orientalisch –, zwischen filigranen Wänden umgab die kleine Gesellschaft. Sämtliche Gebäude bestanden aus einer Mischung von Sand und Zement, die Träger hatten einen Kern aus ordinärem, rostfreiem Stahl, und jede Einzelheit der Gebäude ließ die Handarbeit von Künstlern erkennen, die jene erstarrende Masse virtuos geformt hatten. Jede Wand schien ein einziges Ornament zu sein, jede Säule ein Kunstwerk, und jede scheinbar massive Fläche durchzogen geheime Gänge, Rohre, Kanäle und Flüstergalerien. Einst war Sedimentgestein zu Sand erodiert worden; seit Jahrtausenden baute man im Wüstengürtel auf diese Weise und überführte Sand wieder in festes Gestein. Die Kunstfertigkeit hatte längst einen Höhepunkt erreicht. Sessel aus geflochtenem Ried, unzählige Kissen, Lemekhhaarteppiche in bizarren Mustern und polierte Steintafeln als Tische bildeten überall stilvolle Ensembles.

»Wahnsinn!« Storzia Gru hob sein Glas. »Dreizehn Statuen, jede rund drei Tonnen schwer, verschwinden aus verschlossenen Häusern.«

»Aus Tempeln.« Die schwarzhaarige Frau trug ein Glas zu Habaqoc und ließ sich auf ein Knie nieder.

»Ihr dürft es niemandem verraten.« Der Psammarch roch an dem betäubenden Getränk. »Panik! Aufruhr! Lähmende Produktionsunterbrechung! Streik und unermessliche Lohnforderungen wären die unausweichliche Folge!«

Cade wippte, mit dem rechten Fuß und warf Storzia einen blitzschnellen Blick zu. Er sagte:

»Immer und überall finden sich Wüstenbewohner, die den Polbewohnern sagen, was sie anzuziehen haben. Fürst des Sandes. Wir wissen, dass wir nicht laut über unsichtbare Diebe reden dürfen. Hältst du uns für blöde?«

»Nein. Aber ihr seid zusammen mit meinen besten Leuten nur eine Hand voll.«

»Es müssen wahre Genies sein, Vater des Schreckens, denn der Lohn, den das Imperium ihnen und dir zahlt, ist horrend.«

Der Herrscher blieb ungerührt und nahm einen Schluck Naqnaq. Er grinste kalt.

»Umsonst ist nicht einmal der Tod. Gräber graben ist teuer. Euer Lebenswasser ist zu loben.«

Die heitere Unterhaltung täuschte: Jene dreizehn Städte waren über ein riesengroßes Wüstengebiet verstreut. Karawanenwege von Oase zu Oase, entlang überlebenswichtiger Wasserstellen verbanden die Megaoasen miteinander. Es ließ sich nicht ermitteln, an welchem Punkt der planetaren Vorgeschichte die Wanderungen zu Pilgerfahrten geworden waren. Seit Jahrtausenden opferte jeder Besucher wertvolle Steine oder so viel Gold, wie er konnte. Vermutlich war es ein Äquivalent für eine Steuer, Maut oder Unterhalt für Karawansereien, die vor Urzeiten einen volkswirtschaftlichen Sinn gehabt hatte. Ein paar Millionen halbe Gramm Gold … Jadar vollführte eine Geste der Ehrfurcht und kicherte trotzdem.

»Irgendwo hocken ein paar Kerle mit rußverschmierten Gesichtern und schmelzen ganz viele handliche Goldbarren. Und in den Tempeln starrt diese Menge hohläugig auf leere Sockel.« Er hielt sein Glas Storzia entgegen. Plötzlich fiel ihm eine andere Frage ein. »Wo steckt eigentlich deine schöne, blonde Freundin Zakhari?«

Storzia tat, als wollte er die Flasche nach ihm schleudern.

»Sie blieb auf Khalakwolt und stillt bald unseren Sohn oder das Töchterchen, du fetter Kneipenwirt.«

»Erinnere mich gelegentlich daran.« Naqnaq gluckerte in Jadar Kastors Glas. »Ich werde euch ein passendes Geschenk zukommen lassen.«

Sie saßen auf einer runden Terrasse, die sich wie eine Lotosblüte aus einem Pfeiler erhob, der seinerseits aus dem Grund des Bassins hervorwuchs. Unter ihnen badeten und schwammen Dutzende Palastangehörige. Von den Treibhäusern waren die Sonnensegel entfernt worden; es roch nach frischem Grün und fremdem Gewürz. Irgendwo quäkte ein Funkgerät. Aus Hunderten Vertiefungen strahlten indirekte Leuchtkörper.

»Morgen Nacht starten wir.« Cade deutete auf Amourea und sich. Seine grünen Augen funkelten. »Allein.«

»Ich stelle die Karawane zusammen«, sagte Exgardist Storzia Grur. »Deine Magazine, Psammarch Habaqoc, leeren sich.«

»Sprecht ihr heute Nacht mit den Imperiumsschiffen?«

»Nein.« Amourea strich ihr langes Haar in den Nacken. Es war noch feucht vom Schwimmen. Ihre großen blauen Augen strahlten wie seltene Aquamarine. »Denn wir sind sicher, dass es keine Planetenbewohner waren, die eure Heiligtümer geraubt haben.«

Jezirah Tshan pfiff durch die Zähne und fasste nach der Hand Hermogenes. Jadar grollte: »Oder kannst du dir vorstellen, wie jemand mit einem Sandschweber drei Tonnen massives Gold davonschleppt?« Er deutete mit der Hand, die das schwere Glas hielt. Auf einem niedrigen Tisch standen dreizehn Statuetten, jeweils zehn oder zwölf Orra groß, offensichtlich vergoldet. Sie wurden in unterschiedlichen Materialien überall verkauft und verschenkt. Auf Cades Arbeitstisch befanden sich Abgüsse aus Kunststein; angeblich die exakteste Verkleinerung. Die Originale waren fast drei Orhun1 groß und natürlich hohl.

»Nein, Vater der Muskeln«, sagte Habaqoc. »Dazu reicht meine Fantasie nicht.«

 

Seit drei Tagen trafen sie sich regelmäßig. DuRoys einziger Vertrauter auf Pharlevinc war Jezirah Tshan. Sein Herrschaftsbereich lag am weitesten von jedem Zentrum entfernt und war an zwei Seiten vom Meer umschlossen; es eignete sich hervorragend für geheime Starts und Landungen. Cade schauerte beim Gedanken daran, wie viel das Imperium als Miete für den Nordflügel gezahlt hatte. Er leerte sein Glas und beugte sich vor.

»Bevor uns die Müdigkeit eines heißen Tages übermannt, ergehen wir uns, sozusagen unter Sternen, Monden und wispernden Kronen deiner Traubenbäume, Habaqoc.«

»Ihr braucht keine Wachen.« Der Schwarzbärtige starrte die halbvolle Flasche an. »Die Schlangen sind ungiftig. Achtet auf die Flammenkäfer.«

»Darauf auch.« Cade zog Amou aus dem Sattel, verbeugte sich kurz und ging die zierliche Treppe hinauf. Weniger deutlich hörten sie das Klirren der Flasche an den Gläsern und die kühle, wohlmodulierte Stimme Habaqocs.

»Da deine schöne Freundin dich mit Abwesenheit schädigt, Jäger Storzia, darf ich dich wählen lassen zwischen den Schönheiten meines Hauses? Jenen, die dich Fremdling nicht als abstoßend empfinden?«

Storzias Antwort verstanden sie nicht; sie klang nicht im Mindesten empört.

 

Dichtes Gras, Schäfte von palmenartigen Bäumen und eine stellare Pracht, die womöglich noch großartiger war als in den lichtlosen Nächten Kh'alakwolts und 2001 Eilands, waren die Kulissen für den kurzen Spaziergang. Amourea legte den Arm um Cades Schultern und wisperte:

»Zufrieden mit dem Ziel, Geliebter? Dass du vor Tatendurst zitterst, merke ich.«

»Um unseren habgierigen Gastgeber zu zitieren: Der Anlass mag gering sein. Was sich daraus entwickelt, weiß niemand. Auf Khalakwolt wusste ich nicht, wer ich war. Auf dem Planeten der 2001 Islands war ich wieder ich selbst. Hier ahne ich, dass ein absolutes planetares Chaos unausweichlich ist, wenn wir sie nicht finden.«

Er streichelte das Widdergehörn einer weißen Sphinxfigur, die sich aus dem Gras erhob.

»Wir sind bald in der CAPSIZAL.« Amourea winkte zum Hirten hinüber, der die Rinder über die grasbewachsenen Dünen trieb. Es roch leicht nach Fäkalien. »Wir schaffen es, Cade.«

»Wir schaffen es immer.« Er blieb mürrisch. »Warum aber ausgerechnet wir?«

Sie hob die Schultern.

»Weil sich herumgesprochen hat, dass wir als Team unschlagbar sind.«

Er nickte und setzte sich zwischen die Schwingen eines sich aufbäumenden Vogels Rocks, zog Amou auf seine Knie und erwiderte: »Das Imperium hat uns aus unserem Urlaub auf 2001 Islands herausgeholt. Wir hatten kaum Zeit, die wichtigsten Entscheidungen zu treffen. Jeder setzte Vertreter ein, selbst du, selbst ich. Ich sage dir – das ist wieder solch ein teuflischer Auftrag, den wir erledigen müssen, weil niemand genug Phantasie hat, sich vorzustellen, was wirklich passiert ist und noch passieren kann.«

»Stimmt, Liebster.« Sie strich über sein Haar; es war kaum einen Fingerbreit lang. »Wir alle reden, denken, reden und rechnen: In wenigen Stunden aber fangen wir zu handeln an.«

Cade Chandra starrte seine Knie an. Zikaden lärmten in den Büschen. Ein Käfer feuerte eine Flammenlanze auf einige Heuschrecken ab und begann, die halb gerösteten Insekten zu fressen. Cade stand auf und fasste Amourea an den Schultern.

»Du hast Recht. Was wäre ich ohne deine Ratschläge?«

Sie biss in sein Ohrläppchen. »Ahnungslos. Ein Sandkorn unter Myriaden. Oder der Jäger Cade Chandra, der Unmögliches sofort erledigt.«

Er verzichtete auf eine Antwort und setzte den Spaziergang zwischen Bäumen, Treibhäusern, Grasweiden und steingefassten Wasserläufen fort. Tief unter ihren Sohlen summten die Pumpen der Wasserentsalzungsanlage. Weiß und von grauen Kratern vernarbt hob sich Qagmira über dem Meer.

Vom Rand der Oase führte ein kurzer Tunnel in die Düne hinein. Cade winkte aus der Luftschleuse; Yavusha trug Amoureas Ausrüstung über die Rampe und stellte sie in der Steuerkanzel ab.

»Wann werdet ihr das Sternenschiff aus dem Sand aufsteigen lassen?«, fragte er und berührte den Zirkon des Stirnreifs.

»Um Mitternacht.« Cade lehnte sich zurück und tippte einige Tasten. Der holografische Achaierhelm schwebte über dem Terminal, die weise Eule der Athena zwinkerte. »Und wir werden einige Tage lang ausbleiben.«

Er spielte einen Teil der Berechnungen und Informationen in die Speicher, hörte Amou irgendwo im Inneren der CAPSIZAL schalten und klappern und las, nachdem Yavusha das Schiff verlassen hatte, die Kurzfassung des Auftrages.

 

AUS: David J. Seydenblum: Vom Faustkeil zur kulturellen und zivilisatorischen Eigenständigkeit. (A Users Guide; für Prospektoren, Kapitäne und Steuermänner) (c) Shirkumar University Press, Bendal City, Benetnatch, My Tsaigonis/Morach-Delta Eridanis; AD 6407

 

»Der Planet PHARLEVINC, Sonne BLACK VELVET, besitzt zwei Monde: QAGMIRE und SAXER. Auf dem größten Mittelkontinent breiten sich um einen gebirgigen und überaus fruchtbaren, aber unbewohnten Kern große Sandwüsten aus. Neunzig Prozent der Bevölkerung bewohnen dieses Gebiet; dreizehn große Siedlungen: (im Uhrzeigersinn) Khyllach, Gamander, Abaton, Nacumera, Efser, PortCrow, Hiri-Hiri, Shalladim, Ihakait, Hosdain, Tseringh, Coimbra und Aventyre.

 

In der kühlen Jahreszeit findet reger Verkehr auf Karawanenwegen, entlang der Meeresküsten und durch lebensfeindliches Gebiet statt. Er dient dem Waren-, Informations- und Gedankenaustausch, durch Heiratsmärkte wird genetische Verarmung vermieden. Vergrößerung der »Goldenen Götter« durch Spenden der Gläubigen soll Wünsche erfüllen. Wenn der Diebstahl bekannt wird, bricht Chaos aus. (Die Tempel sind Bestandteile siedlungsferner Karawansereien.) Wissenschaftler vermuten, dass die bizarren Darstellungen der Götter – Sphingen, Gryphons, Einhörner, Phönixe usw. – einen unbekannten, übergeordneten Sinn ergeben.

 

Es wird vermutet, dass Nichtplanetarier für die Diebstähle verantwortlich sind. Der Planet wird aus dem Orbit überwacht. Die Anzahl möglicher Verstecke ist groß; siehe Kartenauswertungen.

 

Über den Wert der kristallinen Kohlenwasserstoffe für bestimmte Produktionen des Imperiums braucht im vorliegenden Fall nichts mehr gesagt zu werden. Längere Unterbrechungen der Förderung (Rache an den Dieben der Götterstatuen?) hätten katastrophale Folgen.«

 

Vance DuRoys Adjutant, Scavanger, hatte für Cade und dessen Team einen persönlichen Text hinzuschreiben lassen:

 

Habaqoc Jezirah Tshan, Herr im »Kasr Nihaja«, Psammarch (Herrscher des Sandes) ist absolut vertrauenswürdiger Agent und Bezugsperson für Imperiumsbehörden; Er ist geldgierig, aber ehrlich. Seine übersteigerten Ansprüche dienen indessen dem Wohlergehen der wachsenden Oase Xaymaqqa. Nach getarnter Ausladung des notwendigen Materials wird das Frachtschiff aus logistisch zwingenden Gründen abgezogen. General Chandras Team verfügt über Generalvollmacht.

 

»Das ist zwar schön und gut«, murmelte Cade, »aber es bringt uns auch nicht weiter.« Amourea stellte einen Satz Götterfigürchen auf den Tisch, mischte Getränke und setzte sich in den Kopilotensitz. Klickend und summend schalteten sich Subsysteme des Raumschiffes ein; auf Bildschirmen zuckten und wirbelten Linien und Farbschleier.

»Deine Skepsis am Anfang der Mission ist außergewöhnlich.« Amou drehte den Sessel. Cade warf einen Blick auf den Schleusenmonitor und ließ beide Schleusenportale zugleiten.

»Du bist auch von diesem widerborstigen Lemekhhengst nicht dreimal abgeworfen worden.«

»Mein Wallach war sanft.« Amou grinste und hob zwei Figuren auf, betrachtete sie und ließ die Fingerspitzen über die weiße Oberfläche der Minigötzen gleiten. »Seltsame Fabelwesen. Ihre Körper und Gliedmaßen sind geradezu ineinander verknotet.«

»Vielleicht finden wir heraus, warum das so ist.«

Er sah aufs Bordchronometer.

»Dreizehnmal drei Tonnen Gold und Edelsteine.« Er ging zwischen Wohnbezirk und Pilotenkanzel hin und her. »Ein Raumschiff voller frischer, hochglänzender Goldfranken. Dafür kann man einen Planeten kaufen. Und dazu die vielen Steine; niemand weiß, wie viele es sind.«

»Vielleicht wollen die Diebe wirklich einen Planeten kaufen. Wäre nicht das erste Mal.«

»Danke für den Hinweis. Notiert.« Cade tippte an die Schläfe. »Drei Tonnen Gewicht – das bedeutet auf jeden Fall, dass sie die Statue mit entsprechendem Gerät bewegt haben. Das Imperium behauptet, dass seit Jahrzehnten die CAPSIZAL das einzige Schiff auf dieser Welt ist.«

»Abgesehen von den Frachtern, deren Starts und Landungen stets kontrolliert wurden.«

»Sollten die Diebe Triebwerksenergien einsetzen, messen unsere Schiffe die Emissionen. Was mich daran erinnert …«

Er schaltete ein Funkgerät ein, ließ die Position eines Späherschiffes errechnen und regulierte die Helligkeit des Monitors.

»Sir?« Iyer Shabkar, der Wachhabende, salutierte kurz.

»Wir starten in zwei Stunden und verifizieren unsere Karten. Sonst sollten Sie keine anderen Triebwerke anmessen können.«

»Verstanden, Commander. Wir halten auch weiterhin Funkdisziplin?«

»Ja. Obwohl es unvorstellbar ist, dass uns jemand abhört. Wenn es irgendwo blinkt; benachrichtigen Sie mich sofort, klar?«

»Werde keine Sekunde zögern, Sir. Ende?«

Cade nickte und schaltete ab.

Kurz vor Mitternacht, als der rote Mond Saxer die Dünen aufglimmen ließ, hob sich die CAPSIZAL aus dem Versteck. Sand rieselte in breiten Bahnen von dem langen Oval. Cade ließ das Schiff bis auf fünfhundert Meter steigen, steuerte aufs Meer hinaus und in einem weiten Bogen auf die Stadt Aventyre zu, die am weitesten im Westen lag.

 

Seit mehr als fünf Jahrzehnten war Pharlevinc kartografiert. Cade verglich, als die CAPSIZAL in einem weiten Kreis um die Stadt schwebte, die holographischen Abbildungen der Wirklichkeit mit der Karte, las unzählige Beschriftungen und hielt das Schiff über der sogenannten Karawanserei an.

»Vergrößerung«, sagte Amou. »Hier. Der leere Tempel.« Hohe Mauern hielten in einem weiten, mathematisch runden Kreis die Wüste zurück. Straßen führten durch Tore, überall schienen kleine Würfel herumzuliegen; Gebäude in Sand-Zementbauweise. Der größte Kubus, von großen Bäumen umgeben, wuchs auf den Schirmen. Vier Wände, ein Dach, es schien keinen Eingang zu geben. Die Vergrößerung zeigte nur glatte Flächen, ohne Öffnungen oder Fugen.

»In ein paar Tagen sind wir hier und sehen uns alles ganz genau an«, sagte Cade. »Nur wenige Häuser im Kreis sind jetzt bewohnt.«

»Sie werden während der Pilgerzeit vollbesetzt sein.«

Jede Handbreit Boden war der Wüste abgerungen worden. Die Bäume wurden durch ein Netzwerk von schmalen Kanälen bewässert. Eine kleine Herde schwarz-gelb gestreifter Pharlevinc-Schafe weidete im Gras. Zwischen der Stadt und der Karawanserei verlief eine breite Straße, zwischen denen steinerne Fabelwesen auf niedrigen Sockeln kauerten; ähnlich den Götterfiguren.

»Wie wir wissen, brodelt es in neunzig Tagen hier. Menschenmengen. Märkte, Heiraten, Handel und all das übliche.« Amou schaltete die Vergrößerung zurück.

Cade bewegte die Steuerung. Das Schiff glitt auf eine Hügelkette zu, die im Norden die Stadt von der Wüste trennte. Zwei breite, gezackte Felsspalten, die tief in die kaum bewachsenen Hügel einschnitten, bildeten natürliche Pässe; auf ihrem Grund verliefen die Straßen. Cade sagte: »Eine drei Tonnen schwere Statue kann man nicht über einen halben Planeten schleppen. Wenn sie ein Raumschiff hätten, ein schweres Beiboot …«

»Aber es kann irgendwo in solchen Spalten versteckt sein. Da können wir hundert Jahre lang suchen, Cade.«

»Keine neunundachtzig Tage!« Er hob die Faust.

Ein weiteres Rätsel wurde größer, als Cade die Hügelkette abflog und auf der Übersichtskarte den Rand des Kontinentinneren sah: Wälder, Flüsse, Seen, große, saftige Savannen und keine Bewohner. Ein riesiges, fruchtbares Gebiet, vom Norden über Westen bis tief in den Süden von Wüste umrahmt. Eine Batterie von Linsen, Optiken, Sonden, Antennen und Detektoren richtete sich nach unten, und während das Schiff lautlos unter den Sternen dahinschwebte, füllten sich Teile der Computerspeicher mit einer Flut von Informationen. Aber es gab keinen Detektor, der unter einigen Dutzend Metern gewachsenem Fels einen Goldblock anmessen konnte.

»Menschen sind komplizierter als ihr Denken.« Amourea tippte die Koordinaten der Stadt Coimbra in den Autopiloten. »Zum Schmelzen können sich die Kerle Jahrzehnte Zeit lassen.«

»Mitunter ist unser Denken raffinierter als die Tricks von Golddieben.« Cade schob den Geschwindigkeitshebel vor. »Es wird eine lange Suche. Aber du und ich, Storzia und Jadar – wir schaffen es.«

»Hab ich je dran gezweifelt, Liebster?«

»Nein. Du nicht, aber ich.«

Das Imperium zahlte gut für die schwarzen Kristallblöcke. Jede Stadt besaß eine Anlage, die Trinkwasser herstellte. Meist waren es solarbetriebene Erhitzer, die Meerwasser verdampften und durch Sand und über Korallenbrocken leiteten, um es wieder anzureichern; große Felder von Glaspyramiden, an denen Wasser aus der Luft kondensierte, Rohrleitungen und Hochwasserbehälter prägten auch den Außenbezirk Coimbras.

Die Stadt, auf einem Felskegel erbaut, dehnte sich weit ins flache Land aus. Wie eine abenteuerlich zerklüftete Pyramide inmitten einer Ebene stachen Mauern, Türme und mehrstöckige Gebäude in den Nachthimmel, von Tausenden Lichtern erhellt.

Felder, Weiden und Kreisringe aus Wäldern zeigten, dass auch die Bewohner Coimbras den fruchtbaren Grüngürtel schrittweise ins Umland erweitert hatten. An der Straße aus Aventyre, deren Lauf das Schiff gefolgt war, ragte das Dach des Tempels aus einem Wald hervor, daneben stand wie eine riesige Säule ohne Kapitell, ein Wasserbehälter. Die Karawanserei, durch eine bizarr verlaufende Mauer abgegrenzt, lag in einer Senke, einige Orhun tiefer als die Ebene. Cade bewunderte die Stadtanlage; sie wirkte wie eine Insel in einem ruhigen Meer.

»Hier gibt's nicht einmal Felsspalten.« Er starrte auf die Monitore. »Ob sie das Ding im Sand vergraben haben?«

»Sie haben jedenfalls lange darüber nachgedacht«, sagte Amou. Cade nickte und drehte sich halb herum. »Wir suchen weiter. Zwischen Tsering und Hosdain liegt das größte Abbaugebiet für die schwarzen Kristalle. Dort verstecken wir tagsüber die CAPSIZAL.«

 

 

2 – Jagd auf goldene Götzen?

 

Der handgroße Käfer, dessen Rückendecke wie polierte Bronze schimmerte, drehte dem Wiesel blitzschnell das Hinterteil zu. Die Feuertilche hob die Fühler, das Wiesel stutzte. Dann jagten in mehreren kurzen Strahlen Feuer und Rauch aus dem Hinterteil des Feuerkäfers, der sich gleichzeitig schüttelte. Jaulend sprang das Wiesel in die Höhe und flüchtete über die groben Steine der Abraumhalde. Cade Chandra nickte und kratzte sich auf der Nase.

»Ein trefflicher Bombardierkäfer.« Er saß in der Schleuse und baumelte mit sonnengebräunten Beinen. »Eine weitere Seltsamkeit des Planeten, die wir noch nicht kennen. Wollen wir nach diesem herrlichen, spätnachmittäglichen Frühstück weiterforschen?«

»Tun wir. Ich habe alle Informationen der schwebenden Sonden abgerufen und flüchtig durchgesehen.« Amourea trug schon den weißen Borddress. »Nichts, das uns weiterhelfen würde.«

»Weil ich das geahnt habe, hab ich dir auch dabei nicht geholfen. Im Ernst. Es wäre ein Wunder gewesen.« Cade stand auf und sah sich in der riesigen Grube um.

Seit vielen Jahren schürften und gruben die Planetarier nach den PAK, den Polycyclischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen. Die Grube roch aufdringlich nach Veilchen, Rosenwasser und Lavendel; eine grauenhafte Mischung, wenn sie nicht entsprechend verdünnt wurde. Lange Stapel von Blöcken mit fünfzig Orra Kantenlänge standen entlang einer Verladestraße, die in einem Raumlandefeld endete. Einige uralte Hebegerüste aus Stahlträgern verrosteten auf einem Hang. Zwischen kultivierten, grünen Abraumhügeln und der wandernden Förderstelle erstreckten sich chaotische Täler und Aufschüttungen. Die CAPSIZAL lag, perfekt getarnt zwischen ihnen.

»Auch hier könnte man ohne viel Aufwand einen solchen Raub verstecken.« Cade faltete ein Badetuch auseinander. »Wer erwartet am zweiten Tag der intensiveren Suche einen Erfolg?«

»Du offensichtlich nicht, Liebster.«

»Keineswegs, Fürstin der Leidenschaft.«

Cade bediente sich sämtlicher Raffinessen der Hygienekabine, schlüpfte in den Borddress und sah auf den Monitoren, wie die Abendschatten länger wurden. Das Licht glitzerte auf den großen Feldern der Solarwassergeneratoren, unter deren pyramidenförmigen Glashauben Schmutzwasser verdunstete. Die Überwachungsschiffe im Orbit hatten sich nicht gemeldet. Cade starrte die planetare Karte an, tippte einige Notizen, fühlte abendliche Unruhe und erging sich in lautlosen Monologen. Wahrscheinlich war es doch klüger, selbst nachzusehen. Aber … wo? Er drehte sich herum und rief Amourea an:

»Hast du im Sandpalast diesen Fiesling kennengelernt? Nava Snoo, den sie Abu el-Haul nennen, Vater des Schreckens?«

»Nein. Habaqoc erwähnte ihn einmal kurz.«