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Zum Titel

Christine Klinger und Brinja Goltz gaben schon wenige Tage nach ihrem Kennenlernen in Norwegen in der Küche eines Studentenwohnheims legendäre Kostproben ihrer Sangeslust. Weder ABBA noch Cat Stevens oder Lolita sind seitdem vor ihnen sicher. So nennen sie sich seit 1996 «die Zirpen».

Die Autorinnen

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Christine Klinger wurde 1972 in Adliswil geboren. Sie wohnt in Ostermundigen bei Bern. Lieber als Weihnachten selbst mag sie die Adventszeit. Dann strickt sie leidenschaftlich gerne Christbaumkugeln, zündet Kerzen an, schaut ihre Lieblingsserien und kocht Eintöpfe.

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Brinja Goltz kam 1971 in Berlin zur Welt und lebt heute in Buckenhof bei Erlangen bei Nürnberg. Sie teilt mit Christine ihre Vorliebe für die Adventszeit und wird schwach bei weißem Glühwein, gefüllten Lebkuchenherzen und alten Weih-

Christine Klinger

und Brinja Goltz

Zirpende Weihnacht

Ein literarischer Adventskalender

© 2016 Christine Klinger und Brinja Goltz
Umschlag, Illustration: Christine Klinger

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback 978-3-7345-5254-0
Hardcover978-3-7345-5255-7
e-Book978-3-7345-5255-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Liebe Leserin, lieber Leser

Die Weihnachtszeit ist die Zeit des Konsums, der großen Gefühle, vor allem aber ist es die Zeit, in der man sich Geschichten erzählt. Auf den folgenden Seiten finden Sie gereimte und ungereimte Geschichten, solche, die zum Nachdenken anregen, Sie zum Schmunzeln bringen oder berühren. So, wie das Leben eben so spielt. Nehmen Sie sich jeden Tag 1-20 Minuten Zeit, wir verführen Sie gerne in unsere Weihnachtswelt.

Bevor Sie mit der Lektüre des ersten Textes beginnen, gibt es jedoch noch Einiges zu beachten. Zum Beispiel handelt es sich hier zwar um ein schönes Beispiel der Kooperation zwischen Deutschland und der Schweiz. Im Sinne einer rundum gelungenen Völkerverständigung muss aber zum einen erwähnt werden, dass man in der Schweiz für das ß keine Verwendung hat, in Deutschland dagegen sehr wohl. Und zum anderen gibt es Begriffe, die im Nachbarland wenig oder gar nicht bekannt sind. Sie werden darum jeweils mit einem * markiert und am Ende eines Textes genauer erläutert. Auch länderspezifische Formulierungsunterschiede werden zu finden sein. Am besten entdecken Sie diese gleich selbst. Es lebe die Vielfalt der deutschen Sprache!

Und noch etwas: Dies ist ein Adventskalender. Lesen Sie nur einen Text am Tag. Wer vorblättert, muss mit unangenehmen Folgen rechnen. Einmal Vorblättern ist noch nicht so schlimm, da spriessen einem nur ein paar Tannenzweige unter den Armen. Beim zweiten Mal wachsen auch welche aus den Ohren. Richtig unangenehm wird's beim dritten Mal, da wächst einem nämlich ein ganzer Tannenbaum auf dem Kopf. Jawohl, Sie haben richtig gelesen: Nicht ÜBER den Kopf, sondern AUF dem Kopf. Möchten Sie das? Wohl kaum. Also blättern Sie bitte nicht vor! Die Autorinnen dieses Adventskalenders lehnen jegliche Haftung für angewachsene Tannenzweige und -bäume ab.

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1

 

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Politik in der Backstube

Es war mal eine Eins,
die wollte lieber keins
von diesen Brunsli*
braun,
die über Nachbars Zaun
hinüberschauten süss
mit ihren braunen Füss'.
Die Eins wollt' ihre Ruh
und macht' die Türe zu.

Was soll das in der Weihnachtszeit?
Gewalt und Elend weit und breit! Die Eins wollt' lieber all's vergessen,
in Ruh und Frieden Weissbrot essen.
Ein Gritibenz**, ganz selbst gemacht,
geformt hatt' sie ihn letzte Nacht;
im Ofen lag er auch schon lange
mit Fitze***, Schal und gold'ger Wange.
Doch weil die Brunsli sie gestört,
hat sie's vergessen. Unerhört! Und als sie in die Küch' gerannt,
da war ihr Weissbrot schon verbrannt.

*Das Brunsli ist ein Schweizer Weihnachtskeks aus Gewürzen, gebranntem Kirschwasser, Eiweiss, Mandeln, Mehl und Schokolade. Es stammt ursprünglich aus der Region Basel. Sein Name rührt von der braunen Farbe, die es der dunklen Schokolade verdankt.

**Der Gritibenz ist ein Adventsgebäck aus süssem Hefeteig in der Form eines stilisierten Mannes. Die Gebäckfigur stellte ursprünglich einen Bischof mit einem tönernen Bischofsstab dar. Das Gebäck ist auch in anderen europäischen Ländern anzutreffen, etwa als Stutenkerl, Weck(en)mann, Klausenmann, Grättimaa, Dambedei oder Krampus.

***Die Fitze ist die Rute des St. Nikolaus.

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2

 

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Die 2 und Weihnachten

Heute ist der 2. Dezember, und die Zwei ist eine sehr wichtige Zahl in der Weihnachtszeit.

In zwei plus zwei Tagen kommt der Nikolaus und in zweiundzwanzig Tagen ist sogar Weihnachten!

Relativ unbekannt ist die Tatsache, dass die Heiligen Drei Könige erst mal nur zwei waren. Zwei Könige waren quasi Nachbarn, und als sie den Stern am Himmel sahen, rief der eine von seinem Fenster dem anderen König quer über die Straße zu (sie waren wirklich enge Nachbarn): «Lass uns dem Stern folgen. Hol du ein paar Goldmünzen aus dem Keller, ich nehme eine Handvoll vom Geschmeide meiner Frau. Irgendwas sagt mir, dass wir nicht ohne Geschenke losgehen sollten. Und auf dem Weg dahin nehmen wir noch den dritten König mit, der hat immer ein paar witzige Geschichten auf Lager, da wird uns die Zeit nicht lang!»

Ja, so kam es, dass die Heiligen Zwei Könige sich auf den Weg zur Krippe machten und erst unterwegs den dritten König aufgabelten.

Aber das wird in den Geschichten interessanterweise nie erwähnt…

Und ist eigentlich nur mir aufgefallen, wieviel Zweien sich in unseren Weihnachtsliedern tummeln?

In der Weihnachtsbäckerei gibt's von allem immer zwei. Zwischen Mehl und Milch macht so mancher Knilch zwei leck're Sorten Krümelei. In der Weihnachtsbäckerei, in der Weihnachtsbäckerei.

Oder: Lasst uns froh und munter sein und dann gleich zwei Stiefel hinstell'n. Lustig, lustig, tralalalala…

Nicht zu vergessen ein kleines Gedicht: Advent, Advent, ein Lichtlein brennt, erst eins, dann zwei, vergesst den Rest, genießt nur die Zeit bis zum großen Fest.

Eine ganz wichtige Zwei in der Weihnachtszeit ist dieses Pärchen: Weihnachtsmann und Christkind. Sie teilen sich die Arbeit am Heiligen Abend, das wäre ja sonst auch gar nicht zu schaffen. Man hat aber auch schon von Familien gehört, zu denen beide kommen. Ob es dann doppelt so viele Geschenke gibt am ZweimalZwölften, also dem 24.? Das will ich jetzt nicht glauben…

Ich wünsche jedenfalls noch wunderschöne 22 Tage Weihnachtszeit und viel Spaß beim Öffnen der verbliebenen 22 Kalenderseiten! Und wer mag, gönnt sich für die Lektüre einen Keks und einen Punsch – oder auch zwei!

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3

 

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Die guten Dinge

Aller guten Dinge sind…

Geschenke einpacken

mit einer Freundin Tee trinken

zu ABBA durch die Küche tanzen

mit dem Stiefel das Eis von zugefrorenen Pfützen aufbrechen

auf einem Berggipfel stehen, den man aus eigener Kraft bestiegen hat

morgens nach dem Aufwachen wohlig in die Matratze furzen

den Brief von einer Freundin im Briefkasten finden

auf dem Schlitten einen Berg hinuntersausen

stricken

in 36° C warmes Badewasser eintauchen

Eiszapfen abbrechen und lutschen

Kerzen anzünden

auf dem Fahrrad laut singen

die Teigschüssel auslecken

im Schnee mit Armen und Beinen den Engel machen

mit dem Flugzeug abheben

die Käsekruste vom Grund der Fonduepfanne kratzen

dem Geschirrspüler bei der Arbeit zuhören

Geschenke auspacken

… viel mehr als drei

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4

 

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Der Professor hat einen Plan

Konrad Lavenstein war ein neugieriger Mensch. Im positiven Sinne. Er wollte hinter die Dinge sehen, sie ergründen und im besten Fall begreifen. Und er war interessiert an seinen Mitmenschen. Als Germanistikprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen hatte er bis zu seiner Emeritierung diese Vorlieben erfolgreich vereinen können. Verschiedene seiner Forschungsarbeiten waren weit über die universitäre Welt hinaus bekannt geworden. Und seine Studenten hatten ihn stets geschätzt, da er sich offen und ernsthaft mit ihren Ideen auseinandergesetzt hatte. Er galt als unbestechlich, aber auch als gütig und interessiert.

Im Ruhestand fehlte Lavenstein jetzt der intensive Austausch mit Jung und Alt, und so kam er eines Abends im Dezember auf eine ziemlich verrückte Idee.

Als er kurz vor Mitternacht noch einen Spaziergang in der Innenstadt machte, um sich nach einer größeren Aufräumaktion in seinem Arbeitszimmer ein wenig durchpusten zu lassen, führte ihn sein Weg die stille Fußgängerzone hinunter zum Schlossplatz, wo die Buden der Erlanger Waldweihnacht vor kurzem geschlossen hatten. Der Duft nach Glühwein und Bratwürsten, nach Tannenzweigen und gebrannten Mandeln hing noch immer in der Luft. Lavenstein atmete genüsslich ein und sah vom Schloss hinüber zum Palais Stutterheim, in dem seit ein paar Jahren die örtliche Stadtbibliothek untergebracht war. Ein wunderschöner Barockbau, der innen behutsam und gelungen modernisiert worden war. Lavenstein hielt sich dort sehr gerne auf und streifte eigentlich jede Woche durch die Stockwerke, kam mal hier, mal dort mit den Bibliothekaren ins Gespräch, die ihn schon lange mit Namen kannten.

Vor dem Palais lag die Weihnachts-Eisbahn still und verlassen da. Keine Menschenseele war hier in dieser winterkalten Nacht, und die weihnachtlichen Lichter auf dem Platz leuchteten nur für ihn. Da kamen ihm Eichendorffs Worte in den Sinn, weil sie genau beschrieben, was er sah und fühlte, und ohne darüber nachzudenken, rezitierte er:

«Markt und Straßen steh'n verlassen, still erleuchtet jedes Haus, sinnend geh' ich durch die Gassen, alles sieht so festlich aus.» – Eine junge Frau, die just in diesem Augenblick an ihm vorbeigekommen war, drehte sich zunächst irritiert zu ihm um, bis sie die Zeilen des Gedichts erkannte und lächelnd fortfuhr: «An den Fenstern haben Frauen buntes Spielzeug fromm geschmückt. Tausend Kindlein stehn und schauen, sind so wunderstill beglückt.» Die beiden Fremden, der ältere Mann und die junge Frau, ergriffen strahlend die Hand des anderen, wünschten einander eine schöne Weihnachtszeit und gingen auseinander. Just in diesem Moment hatte der Professor einen Einfall: Gleich am nächsten Tag würde er durch die Stadt gehen und die Menschen um sich herum mit Zitaten aus Weihnachtsliedern überraschen. Nicht alle würden so reagieren wie die junge Frau eben, aber neugierig auf die Reaktionen war er allemal. Soviel stand fest!

Konrad Lavenstein fand in jener Nacht nur wenig Schlaf, denn er hatte noch eine Weile Internetrecherche in Sachen weihnachtlicher Liedtexte betrieben. Ein starker Tee mit extra viel Kandis weckte am Morgen seine Lebensgeister, und mit besonderer Sorgfalt wählte er seine Garderobe aus. Als ihm gefiel, was er im Spiegel sah – einen distinguierten, freundlichen älteren Herrn in dunkelblauem Kaschmirmantel, dezent kariertem Schal und gut geschnittenem Hut – zog er sich seine Lederhandschuhe an und verließ seine Wohnung in der Altstadt.

In Höhe des Neustädter Kirchenplatzes setzte er seinen Plan das erste Mal in die Tat um. Die Kirchenglocken läuteten gerade zur zehnten Stunde, als ihm eine mittelalte Frau auffiel, die mit ihrem Fahrrad an einer der kahlen Platanen stand und dabei aussah wie eine Trauerweide: Die dunkelblonden Haare fielen schlaff auf die Schultern ihres sackähnlichen Mantels, und der Blick war lustlos zu Boden gerichtet. Vielleicht benötigte sie etwas Aufmunterung? Also ging er mit federnden Schritten auf sie zu und stellte mit Blick auf den Kirchturm lächelnd fest: «Süßer die Glocken nie klingen als zu der Weihnachtszeit, 's ist, als ob Engelein singen wieder von Frieden und Freud'.» – Sie sah Lavenstein an, als habe er ihr gerade verkündet, dass es in Kürze geringelte Erdmännchen hageln werde, stieg auf ihr Fahrrad und ergriff die Flucht.