image

Über den Autor

IMMANUEL KANT

wurde 1724 in Königsberg geboren und starb 1804 ebenda. Er kam aus einem einfachen pietistischen Elternhaus. Sein Studium der Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie finanzierte er sich unter anderem mit Billardspielen. Er war als Hauslehrer und Bibliothekar tätig, bevor er 1770 im Alter von 46 Jahren in Königsberg eine Professur für Metaphysik und Logik erhielt.

Kants Hauptwerke die Kritik der reinen Vernunft, die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft gelten heute als Höhepunkte der abendländischen Philosophie. Die in ihnen aufgeworfenen Fragen beeinflussen die moderne Philosophie des Geistes, die praktische Philosophie und Ethik und die Wissenschaftstheorie bis heute.

Zum Buch

Wenn es stimmt, dass die Geschichte der abendländischen Philosophie einen einzigen großen Fußnotenapparat zu Platon bildet, ist Immanuel Kant der wohl bedeutendste und kritischste Eintrag gelungen. Er stellte fest, dass der Ausweg aus der Platonischen Höhle, der Weg zur Wahrheit, zwar als Leitidee taugt, approximiert werden kann, vielleicht sogar eine schöne, aber in ihrer absoluten Lesart, unerreichbare Phantasie darstellt. Seine Einsicht war, dass wir die Dinge nur so wahrnehmen können wie sie uns durch die Bedingungen unseres Erkenntnisvermögens vorgegeben werden und wir für immer in der Höhle unseres Verstandesvermögens feststecken. Damit erledigt sich auch jegliche ernsthafte Diskussion über Gott oder die Welt hinter den Erscheinungen. Für Kant war Metaphysik ein Teil des Menschseins, doch zog er eine plausible Grenze zwischen dem Bereich des Erkennbaren und dem der Spekulation.

Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft erscheint spät, im 56. Lebensjahr des Autors. In Anbetracht des monumentalen Inhalts ist dies nicht verwunderlich: Kants Hauptwerk stellt nichts weniger als den Versuch dar, den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis nachzugehen. Kant stellt sich die Frage wie der Apparat, der unsere Urteile über die Welt hervorbringt, beschaffen ist, welche Mittel ihm zur Verfügung stehen und welchen Limitationen er unterliegt. Heute gilt die erste Kritik als eines der rigidesten, einflussreichsten, aber auch komplexesten Werke der abendländischen Philosophie.

Vollständige Ausgabe nach
der 2. Auflage 1787

„Denn Kants Lehre bringt in jedem Kopf, der sie gefasst hat, eine fundamentale Veränderung hervor, die so groß ist, dass sie für die geistige Widergeburt gelten kann.“

Arthur Schopenhauer

Immanuel Kant

Kritik der reinen Vernunft

Immanuel Kant

Kritik der
reinen Vernunft

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
https://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8438-0384-7

www.marixverlag.de

I N H A L T

image

K R I T I KD E RR E I N E NV E R N U N F T

Vorrede

Vorrede zur zweiten Auflage

Einleitung

I.

Von dem Unterschiede der reinen und empirischen Erkenntnis

II.

Wir sind im Besitze gewisser Erkenntnisse a priori, und selbst der gemeine Verstand ist niemals ohne solche

III.

Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme

IV.

Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile

V.

In allen theoretischen Wissenschaften der Vernunft sind synthetische Urteile a priori als Prinzipien enthalten

VI.

Allgemeine Aufgabe der reinen Vernunft

VII.

Idee und Einteilung einer besonderen Wissenschaft unter dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft

I.
T R A N S Z E N D E N T A L EE L E M E N T A R L E H R E

Erster Teil
Die transszendentale Ästhetik

§ 1

1.Abschn. Von dem Raume. § 2, 3

2.Abschn. Von der Zeit. § 4–7

Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik. § 8

Zweiter Teil
Die transzendentale Logik

Einleitung. Idee einer transzendentalen Logik

I. Von der Logik überhaupt

II. Von der transzendentalen Logik

III.Von der Einteilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialektik

IV. Von der Einteilung der transzendentalen Logik in die
transzendentale Analytik und Dialektik

Erste Abteilung. Die transzendentale Analytik

Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe

1.Hauptst. Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe

1.Abschn. Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt

2.Abschn. Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen. § 9

3.Abschn. Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien. § 10–12

2.Hauptst. Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe

1.Abschn. Von den Prinzipien einer transzendentalen Deduktion überhaupt. § 13

Übergang zur transzendentalen Deduktion
der Kategorien. § 14

2.Abschn. Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. § 15–27

Zweites Buch. Die Analytik der Grundsätze

Einleitung. Von der transzendentalen Urteilskraft überhaupt

1.Hauptst. Von dem Schematismus der reinen
Verstandesbegriffe

2.Hauptst. System aller Grundsätze des reinen Verstandes

1.Abschn. Von dem obersten Grundsatze aller
analytischen Urteile

2.Abschn. Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile

3.Abschn. Systematische Vorstellung aller
synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes

1)Axiome der Anschauung

2)Antizipationen der Wahrnehmung

3)Analogien der Erfahrung

Erste Analogie. Grundsatz der Beharrlichkeit der
Substanz

Zweite Analogie. Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität

Dritte Analogie. Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft

4)Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt

Widerlegung des Idealismus

Allgemeine Anmerkung zum System der
Grundsätze

3.Hauptst. Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena

Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe

Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe

Zweite Abteilung. Die transzendentale Dialektik

Einleitung

I.

Vom transzendentalen Schein

II.

Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transzendentalen Scheins

A. Von der Vernunft überhaupt

B. Vom logischen Gebrauche der Vernunft

C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft

Erstes Buch. Von den Begriffen der reinen Vernunft

1. Abschn. Von den Ideen überhaupt

2. Abschn. Von den transzendentalen Ideen

3. Abschn. System der transzendentalen Ideen

Zweites Buch. Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft

1.Hauptst. Von den Paralogismen der reinen Vernunft

Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele

Beschluss der Auflösung des psychologischen Paralogismus

Allgemeine Anmerkung, den Übergang von der rationalen Psychologie zur Kosmologie betreffend

2.Hauptst. Die Antinomie der reinen Vernunft

1.Abschn. System der kosmologischen Ideen

2.Abschn. Antithetik der reinen Vernunft

Erste Antinomie

Zweite Antinomie

Dritte Antinomie

Vierte Antinomie

3.Abschn. Von dem Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite

4.Abschn. Von den transzendentalen Aufgaben der reinen Vernunft, in so fern sie schlechterdings müssen aufgelöst werden können

5.Abschn. Skeptische Vorstellung der kosmologischen Fragen durch alle vier transzendentalen Ideen

6.Abschn. Der transzendentale Idealismus, als der Schlüssel zu Auflösung der kosmologischen Dialektik

7.Abschn. Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits der Vernunft mit sich selbst

8.Abschn. Regulatives Prinzip der reinen Vernunft in Ansehung der kosmologischen Ideen

9.Abschn. Von dem empirischen Gebrauche des regulativen Prinzips der Vernunft in Ansehung aller kosmologischen Ideen

I.

Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Zusammensetzung der Erscheinungen zu einem Weltganzen

II.

Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Anschauung

Schlussanmerkung und Vorerinnerung

III.

Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen

Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit

Erläuterung der kosmologischen Idee einer Freiheit

IV.

Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Abhängigkeit der Erscheinungen, ihrem Dasein nach überhaupt

Schlussanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft

3.Hauptst. Das Ideal der reinen Vernunft

1.Abschn. Von dem Ideal überhaupt

2.Abschn. Von dem transzendentalen Ideal (Prototypon transcendentale)

3.Abschn. Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen

4.Abschn. Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes

5.Abschn. Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes

Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens

6.Abschn. Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises

7.Abschn. Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft

Anhang zur transzendentalen Dialektik

Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft

Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft

II.
TRANSZENDENTALE METHODENLEHRE

Einleitung

1.Hauptst. Die Disziplin der reinen Vernunft

1.Abschn. Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche

2.Abschn. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen Gebrauchs

Von der Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft

3.Abschn. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen

4.Abschn. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise

2.Hauptst. Der Kanon der reinen Vernunft

1.Abschn. Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft

2.Abschn. Von dem Ideal des höchsten Guts

3.Abschn. Vom Meinen, Wissen und Glauben

3.Hauptst. Die Architektonik der reinen Vernunft

4.Hauptst. Die Geschichte der reinen Vernunft

Anmerkungen

K R I T I KD E R
R E I N E NV E R N U N F T

 

Sr. Exzellenz
dem
Königl. Staatsminister

F R E I H E R R NV O NZ E D L I T Z

Gnädiger Herr!

Den Wachstum der Wissenschaften an seinem Teile befördern, heißt an Ew.E x z e l l e n zeigenem Interesse arbeiten; denn dieses ist mit jenen nicht bloß durch den erhabenen Posten eines Beschützers, sondern durch das viel vertrautere eines Liebhabers und erleuchteten Kenners, innigst verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels, das gewissermaßen in meinem Vermögen ist, meine Dankbarkeit für das gnädige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Exzellenz mich beehren, als könne ich zu dieser Absicht etwas beitragen.

Demselben gnädigen Augenmerke, dessen Ew.E x z e l l e n zdie erste Auflage dieses Werks gewürdigt haben, widme ich nun auch diese zweite und hiermit zugleich alle übrige Angelegenheit meiner literarischen Bestimmung und bin mit der tiefsten Verehrung

Ew. Exzellenz

untertänig gehorsamster
Diener

Königsberg
den 23sten April 1787

Immanuel Kant

V O R R E D E

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

In diese Verlegenheit gerät sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, zu entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, dass auf diese Art ihr Geschäft jederzeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, dass auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse steht. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, dass irgendwo verborgene Irrtümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten heißt nunM e t a p h y s i k.

Es war eine Zeit, in welcher sie dieK ö n i g i naller Wissenschaften genannt wurde, und wenn man den Willen für die Tat nimmt, so verdiente sie, wegen der vorzüglichen Wichtigkeit ihres Gegenstandes, allerdings diesen Ehrennamen. Jetzt bringt es der Modeton des Zeitalters so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen und die Matrone klagt, verstoßen und verlassen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot generis, natisque potens – nunc trahor exul, inops – Ovid. Metam.

Anfänglich war ihre Herrschaft unter der Verwaltung derD o g m a t i k e r,d e s p o t i s c h.Allein, weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten Barbarei an sich hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und nach in völligeA n a r c h i eaus, und die Skeptiker, eine Art Nomaden, die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrennten von Zeit zu Zeit die bürgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Glück nur wenige waren, so konnten sie nicht hindern, dass jene sie nicht immer aufs Neue, obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder anzubauen vorsuchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als sollte allen diesen Streitigkeiten durch eine gewisseP h y s i o l o g i edes menschlichen Verstandes (von dem berühmtenL o c k e) ein Ende gemacht und die Rechtmäßigkeit jener Ansprüche völlig entschieden werden; es fand sich aber, dass, obgleich die Geburt jener vorgegebenen Königin aus dem Pöbel der gemeinen Erfahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaßung mit Recht hätte verdächtig werden müssen, dennoch, weil dieseG e n e a l o g i eihr in der Tat fälschlich angedichtet war, sie ihre Ansprüche noch immer behauptete, wodurch alles wiederum in den veralteten wurmstichigenD o g m a t i s m u sund daraus in die Geringschätzung verfiel, daraus man die Wissenschaft hatte ziehen wollen. Jetzt, nachdem alle Wege (wie man sich überredet) vergeblich versucht sind, herrscht Überdruss und gänzlicherI n d i f f e r e n t i s m u s,die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, aber doch zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer nahen Umschaffung und Aufklärung derselben, wenn sie durch Übel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden.

Es ist nämlich umsonst,G l e i c h g ü l t i g k e i tin Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln zu wollen, deren Gegenstand der menschlichen Naturn i c h tg l e i c h g ü l t i gsein kann. Auch fallen jene vorgeblichenI n d i f f e r e n t i s t e n,so sehr sie sich auch durch die Veränderung der Schulsprache in einem populären Tone unkenntlich zu machen gedenken, wofern sie nur überall etwas denken, in metaphysische Behauptungen unvermeidlich zurück, gegen die sie doch so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist diese Gleichgültigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften ereignet und gerade diejenigen trifft, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen zu haben wären, man unter allen am wenigsten Verzicht tun würde, doch ein Phänomen, das Aufmerksamkeit und Nachsinnen verdient. Sie ist offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiftenU r t e i l s k r a f t1des Zeitalters, welches sich nicht länger durch Scheinwissen hinhalten lässt und eine Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis aufs Neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlosen Anmaßungen nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen könne, und dieser ist kein anderer als dieK r i t i kd e rr e i n e nV e r n u n f tselbst.

Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie,u n a b h ä n g i gv o na l l e rE r f a h r u n g, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen, als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien.

Diesen Weg, den einzigen, der übrig gelassen war, bin ich nun eingeschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Abstellung aller Irrungen angetroffen zu haben, die bisher die Vernunft im erfahrungsfreien Gebrauche mit sich selbst entzweit hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, dass ich mich mit dem Unvermögen der menschlichen Vernunft entschuldigte; sondern ich habe sie nach Prinzipien vollständig spezifiziert und, nachdem ich den Punkt des Missverstandes der Vernunft mit ihr selbst entdeckt hatte, sie zu ihrer völligen Befriedigung aufgelöst. Zwar ist die Beantwortung jener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatisch schwärmende Wissbegierde erwarten mochte; denn die könnte nicht anders als durch Zauberkräfte, darauf ich mich nicht verstehe, befriedigt werden. Allein, das war auch wohl nicht die Absicht der Naturbestimmung unserer Vernunft; und die Pflicht der Philosophie war: das Blendwerk, das aus Missdeutung entsprang, aufzuheben, sollte auch noch soviel gepriesener und beliebter Wahn dabei zunichte gehen. In dieser Beschäftigung habe ich Ausführlichkeit mein großes Augenmerk sein lassen, und ich erkühne mich zu sagen, dass nicht eine einzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüssel dargereicht worden. In der Tat ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Einheit: dass, wenn das Prinzip derselben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, unzureichend wäre, man dieses immerhin nur wegwerfen könnte, weil es alsdann auch keiner der übrigen mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen sein würde.

Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Gesichte des Lesers einen mit Verachtung vermischten Unwillen über, dem Anscheine nach, so ruhmredige und unbescheidene Ansprüche wahrzunehmen, und gleichwohl sind sie ohne Vergleichung gemäßigter als die eines jeden Verfassers des gemeinsten Programms, der darin etwa die einfache Natur derS e e l e,oder die Notwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu beweisen vorgibt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkenntnis über alle Grenzen möglicher Erfahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demütig gestehe: dass dieses mein Vermögen gänzlich übersteige, an dessen statt ich es lediglich mit der Vernunft selbst und ihrem reinen Denken zu tun habe, nach deren ausführlicher Kenntnis ich nicht weit um mich suchen darf, weil ich sie in mir selbst antreffe und wovon mir auch schon die gemeine Logik ein Beispiel gibt, dass sich alle ihre einfachen Handlungen völlig und systematisch aufzählen lassen; nur dass hier die Frage aufgeworfen wird, wie viel ich mit derselben, wenn mir aller Stoff und Beistand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen dürfe.

So viel von derV o l l s t ä n d i g k e i tin Erreichung einesj e d e n,und derA u s f ü h r l i c h k e i tin Erreichung allerZ w e c k ezusammen, die nicht ein beliebiger Vorsatz, sondern die Natur der Erkenntnis selbst uns aufgibt, als der Materie unserer kritischen Untersuchung.

Noch sindG e w i s s h e i tundD e u t l i c h k e i tzwei Stücke, die die Form derselben betroffen, als wesentliche Forderungen anzusehen, die man an den Verfasser, der sich an eine so schlüpfrige Unternehmung wagt, mit Recht tun kann.

Was nun dieG e w i s s h e i tbetrifft, so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen: dass es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei, zu meinen und dass alles, was darin einer Hypothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht für den geringsten Preis feil stehen darf, sondern sobald sie entdeckt wird, beschlagen werden muss. Denn das kündigt eine jede Erkenntnis, die a priori feststehen soll, selbst an: dass sie für schlechthin notwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch viel mehr, die das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewissheit sein soll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheischig mache, in diesem Stücke geleistet habe, das bleibt gänzlich dem Urteile des Lesers anheim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemt, Gründe vorzulegen, nicht aber über die Wirkung derselben bei seinen Richtern zu urteilen. Damit aber nicht etwas unschuldigerweise an der Schwächung derselben Ursache sei, so mag es ihm wohl erlaubt sein, diejenigen Stellen, die zu einigem Misstrauen Anlass geben könnten, ob sie gleich nur den Nebenzweck angehen, selbst anzumerken, um den Einfluss, den auch nur die mindeste Bedenklichkeit des Lesers in diesem Punkte auf sein Urteil, in Ansehung des Hauptzwecks, haben möchte, bei Zeiten abzuhalten.

Ich kenne keine Untersuchungen, die zur Ergründung des Vermögens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung der Regeln und Grenzen seines Gebrauchs, wichtiger wären als die, welche ich in dem zweiten Hauptstücke der transzendentalen Analytik, unter dem Titel derD e d u k t i o nd e rr e i n e nV e r s t a n d e s b e g r i f f e,angestellt habe; auch haben sie mich die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Mühe gekostet. Diese Betrachtung, die etwas tief angelegt ist, hat aber zwei Seiten. Die eine bezieht sich auf die Gegenstände des reinen Verstandes und soll die objektive Gültigkeit seiner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sie auch wesentlich zu meinen Zwecken gehörig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglichkeit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht, mithin ihn in subjektiver Beziehung zu betrachten und, obgleich diese Erörterung in Ansehung meines Hauptzwecks von großer Wichtigkeit ist, so gehört sie doch nicht wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, erkennen und nicht, wie ist das Vermögen zu denken selbst möglich? Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ursache zu einer gegebenen Wirkung ist, und insofern etwas einer Hypothese Ähnliches an sich hat (ob es gleich, wie ich bei anderer Gelegenheit zeigen werde, sich in der Tat nicht so verhält), so scheint es, als sei hier der Fall, da ich mir die Erlaubnis nehme, zum e i n e n,und dem Leser also auch freistehen müsse, anders zum e i n e n.In Betracht dessen muss ich dem Leser mit der Erinnerung zuvorkommen: dass, im Fall meine subjektive Deduktion nicht die ganze Überzeugung, die ich erwarte, bei ihm gewirkt hätte, doch die objektive, um die es mir hier vornehmlich zu tun ist, ihre ganze Stärke bekomme, wozu allenfalls dasjenige, was Seite 78 bis 79 gesagt wird, allein hinreichend sein kann.

Was endlich dieD e u t l i c h k e i tbetrifft, so hat der Leser ein Recht, zuerst died i s k u r s i v e(logische)D e u t l i c h k e i t,durch Begriffe, dann aber auch einei n t u i t i v e(ästhetische)D e u t l i c h k e i t,durch Anschauungen, d. i. Beispiele oder andere Erläuterungen in concreto zu fordern. Für die erste habe ich hinreichend gesorgt. Das betraf das Wesen meines Vorhabens, war aber auch die zufällige Ursache, dass ich der zweiten, obzwar nicht so strengen, aber doch billigen Forderung nicht habe Genüge leisten können. Ich bin fast beständig im Fortgange meiner Arbeit unschlüssig gewesen, wie ich es hiermit halten sollte. Beispiele und Erläuterungen schienen mir immer nötig und flossen daher auch wirklich im ersten Entwurfe an ihren Stellen gehörig ein. Ich sah aber die Größe meiner Aufgabe und die Menge der Gegenstände, womit ich es zu tun haben würde, gar bald ein und da ich gewahr ward, dass diese ganz allein, im trockenen, bloßs c h o l a s t i s c h e nVortrage das Werk schon genug ausdehnen würden, so fand ich es unratsam, es durch Beispiele und Erläuterungen, die nur inp o p u l ä r e rAbsicht notwendig sind, noch mehr anzuschwellen, zumal diese Arbeit keineswegs dem populären Gebrauche angemessen werden könnte und die eigentlichen Kenner der Wissenschaft diese Erleichterung nicht so nötig haben, ob sie zwar jederzeit angenehm ist, hier aber sogar etwas Zweckwidriges nach sich ziehen konnte. AbtT e r r a s s o nsagt zwar: Wenn man die Größe eines Buchs nicht nach der Zahl der Blätter, sondern nach der Zeit misst, die man nötig hat, es zu verstehen, so könne man von manchem Buche sagen:d a s se sv i e lk ü r z e rs e i nw ü r d e,w e n ne sn i c h ts ok u r zw ä r e.Andererseits aber, wenn man auf die Fasslichkeit eines weitläufigen, dennoch aber in einem Prinzip zusammenhängenden Ganzen spekulativer Erkenntnis seine Absicht richtet, könnte man mit eben so gutem Rechte sagen:m a n c h e sB u c hw ä r ev i e ld e u t l i c h e rg e w o r d e n,w e n ne sn i c h ts og a rd e u t l i c hh ä t t ew e r d e ns o l l e n.Denn die Hilfsmittel der Deutlichkeit helfen zwar inT e i l e n,zerstreuen aber öfters im Ganzen, indem sie den Leser nicht schnell genug zur Überschauung des Ganzen gelangen lassen und durch alle ihre hellen Farben gleichwohl die Artikulation oder den Gliederbau des Systems verkleben und unkenntlich machen, auf den es doch um über die Einheit und Tüchtigkeit desselben urteilen zu können, am meisten ankommt.

Es kann, wie mich dünkt, dem Leser zu nicht geringer Anlockung dienen, seine Bemühung mit der des Verfassers zu vereinigen, wenn er die Aussicht hat, ein großes und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollführen. Nun ist Metaphysik, nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wissenschaften, die sich eine solche Vollendung, und zwar in kurzer Zeit und mit nur weniger, aber vereinigter Bemühung, versprechen darf, so dass nichts für die Nachkommenschaft übrig bleibt, als in derd i d a k t i s c h e nManier alles nach ihren Absichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im Mindesten vermehren zu können. Denn es ist nichts als dasI n v e n t a r i u maller unserer Besitze durch reine Vernunft, systematisch geordnet. Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gänzlich aus sich selbst hervorbringt, sich nicht verstecken kann, sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald man nur das gemeinschaftliche Prinzip desselben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit dieser Art Erkenntnisse, und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne dass irgendetwas von Erfahrung, oder auch nur besondere Anschauung, die zur bestimmten Erfahrung leiten sollte, auf sie einigen Einfluss haben kann, sie zu erweitern und zu vermehren, macht diese unbedingte Vollständigkeit nicht allein tunlich, sondern auch notwendig, Tecum habita et noris, quam sit tibi curta supellex. Persius.

Ein solches System der reinen (spekulativen) Vernunft hoffe ich unter dem Titel:M e t a p h y s i kd e rN a t u r,selbst zu liefern, welches, bei noch nicht der Hälfte der Weitläufigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben soll, als hier die Kritik, die zuvörderst die Quellen und Bedingungen ihrer Möglichkeit darlegen musste, und einen ganz verwachsenen Boden zu reinigen und zu ebnen nötig hatte. Hier erwarte ich an meinem Leser die Geduld und Unparteilichkeit einesR i c h t e r s,dort aber die Willfährigkeit und den Beistand einesM i t h e l f e r s;denn, so vollständig auch alleP r i n z i p i e nzu dem System in der Kritik vorgetragen sind, so gehört zur Ausführlichkeit des Systems selbst doch noch, dass es auch an keinena b g e l e i t e t e nBegriffen mangle, die man a priori nicht in Überschlag bringen kann, sondern die nach und nach aufgesucht werden müssen, imgleichen, da dort die ganzeS y n t h e s i sder Begriffe erschöpft wurde, so wird überdem hier gefordert, dass eben dasselbe auch in Ansehung derA n a l y s i sgeschehe, welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit ist.

V O R R E D E

zur zweiten Auflage

Ob die Bearbeitung der Erkenntnisse, die zum Vernunftgeschäfte gehören, den sicheren Gang einer Wissenschaft gehe oder nicht, das lässt sich bald aus dem Erfolg beurteilen. Wenn sie nach viel gemachten Anstalten und Zurüstungen, sobald es zum Zweck kommt, in Stecken gerät, oder, um diesen zu erreichen, öfters wieder zurückgehen und einen andern Weg einschlagen muss; imgleichen wenn es nicht möglich ist, die verschiedenen Mitarbeiter in der Art, wie die gemeinschaftliche Absicht verfolgt werden soll, einhellig zu machen: so kann man immer überzeugt sein, dass ein solches Studium bei weitem noch nicht den sicheren Gang einer Wissenschaft eingeschlagen, sondern ein bloßes Herumtappen sei, und es ist schon ein Verdienst um die Vernunft, diesen Weg wo möglich ausfindig zu machen, sollte auch manches als vergeblich aufgegeben werden müssen, was in dem ohne Überlegung vorher genommenen Zwecke enthalten war.

Dass dieL o g i kdiesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, lässt sich daraus ersehen, dass sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehrlicher Subtilitäten oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen als Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört. Merkwürdig ist noch an ihr, dass sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint. Denn, wenn einige Neuere sie dadurch zu erweitern dachten, dass sie teilsp s y c h o l o g i s c h eKapitel von den verschiedenen Erkenntniskräften (der Einbildungskraft, dem Witze), teilsm e t a p h y s i s c h eüber den Ursprung der Erkenntnis oder der verschiedenen Art der Gewissheit nach Verschiedenheit der Objekte (dem Idealismus, Skeptizismus u. s. w.) teilsa n t h r o p o l o g i s c h evon Vorurteilen (den Ursachen derselben und Gegenmitteln) hineinschoben, so rührt dieses von ihrer Unkunde der eigentümlichen Natur dieser Wissenschaft her. Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen lässt; die Grenze der Logik aber ist dadurch ganz genau bestimmt, dass sie eine Wissenschaft ist, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (es mag a priori oder empirisch sein, einen Ursprung oder Objekt haben, welches es wolle, in unserem Gemüte zufällige oder natürliche Hindernisse antreffen) ausführlich darlegt und strenge beweist.

Dass es der Logik so gut gelungen ist, diesen Vorteil hat sie bloß ihrer Eingeschränktheit zu verdanken, dadurch sie berechtigt, ja verbunden ist, von allen Objekten der Erkenntnis und ihrem Unterschiede zu abstrahieren, und in ihr also der Verstand es mit nichts weiter, als sich selbst und seiner Form zu tun hat. Weit schwerer musste es natürlicher Weise für die Vernunft sein, den sicheren Weg der Wissenschaft einzuschlagen, wenn sie nicht bloß mit sich selbst, sondern auch mit Objekten zu schaffen hat; daher jene auch als Propädeutik gleichsam nur den Vorhof der Wissenschaften ausmacht, und wenn von Kenntnissen die Rede ist, man zwar eine Logik zur Beurteilung derselben voraussetzt, aber die Erwerbung derselben in eigentlich und objektiv so genannten Wissenschaften suchen muss.

Sofern in diesen nun Vernunft sein soll, so muss darin etwas a priori erkannt werden, und ihre Erkenntnis kann auf zweierlei Art auf ihren Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden muss) bloß zub e s t i m m e n,oder ihn auchw i r k l i c hz um a c h e n.Die erste istt h e o r e t i s c h e,die anderep r a k t i s c h eE r k e n n t n i sder Vernunft. Von beiden muss der reine Teil, so viel oder so wenig er auch enthalten mag, nämlich derjenige, darin Vernunft gänzlich a priori ihr Objekt bestimmt, vorher allein vorgetragen werden, und dasjenige, was aus anderen Quellen kommt, damit nicht vermengt werden; denn es gibt üble Wirtschaft, wenn man blindlings ausgibt, was einkommt, ohne nachher, wenn jene in Stecken gerät, unterscheiden zu können, welcher Teil der Einnahme den Aufwand tragen könne und von welchem man denselben beschneiden muss.

M a t h e m a t i kundP h y s i ksind die beiden theoretischen Erkenntnisse der Vernunft, welche ihreO b j e k t ea priori bestimmen sollen, die erstere ganz rein, die zweite wenigstens zum Teil rein, dann aber auch nach Maßgabe anderer Erkenntnisquellen als der der Vernunft.

DieM a t h e m a t i kist von den frühesten Zeiten her, wohin die Geschichte der menschlichen Vernunft reicht, in dem bewundernswürdigen Volke der Griechen den sicheren Weg einer Wissenschaft gegangen. Allein man darf nicht denken, dass es ihr so leicht geworden wie der Logik, wo die Vernunft es nur mit sich selbst zu tun hat, jenen königlichen Weg zu treffen, oder vielmehr sich selbst zu bahnen; vielmehr glaube ich, dass es lange mit ihr (vornehmlich noch unter den Ägyptern) beim Herumtappen geblieben ist, und diese Umänderung einerR e v o l u t i o nzuzuschreiben sei, die der glückliche Einfall eines einzigen Mannes in einem Versuche zustande brachte, von welchem an die Bahn, die man nehmen musste, nicht mehr zu verfehlen war und der sichere Gang einer Wissenschaft für alle Zeiten und in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeichnet war. Die Geschichte dieser Revolution der Denkart, welche viel wichtiger war als die Entdeckung des Weges um das berühmte Vorgebirge und des Glücklichen, der sie zustande brachte, ist uns nicht aufbehalten. Doch beweist die Sage, welcheD i o g e n e sd e rL a e r t i e runs überliefert, der von den kleinsten, und, nach dem gemeinen Urteil, gar nicht einmal eines Beweises benötigten, Elementen der geometrischen Demonstrationen den angeblichen Erfinder nennt, dass das Andenken der Veränderung, die durch die erste Spur der Entdekkung dieses neuen Weges bewirkt wurde, den Mathematikern äußerst wichtig geschienen haben müsse und dadurch unvergesslich geworden sei. Dem Ersten, der deng l e i c h s c h e n k l i g e nT r i a n g e ldemonstrierte (er mag nunT h a l e soder wie man will geheißen haben), dem ging ein Licht auf; denn er fand, dass er nicht dem, was er in der Figur sah, oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen, sondern durch das, was er nach Begriffen selbst a priori hineindachte und darstellte (durch Konstruktion), hervorbringen müsse, und dass er, um sicher etwas a priori zu wissen, der Sache nichts beilegen müsse, als was aus dem notwendig folgte, was er seinem Begriffe gemäß selbst in sie gelegt hat.

Mit der Naturwissenschaft ging es weit langsamer zu, bis sie den Heeresweg der Wissenschaft traf; denn es sind nur etwa anderthalb Jahrhunderte, dass der Vorschlag des sinnreichenB a c ov o nV e r u l a mdiese Entdekkung teils veranlasste, teils, da man bereits auf der Spur derselben war, mehr belebte, welche eben sowohl durch eine schnell vorgegangene Revolution der Denkart erklärt werden kann. Ich will hier nur die Naturwissenschaft, so fern sie aufe m p i r i s c h ePrinzipien gegründet ist, in Erwägung ziehen.

AlsG a l i l e iseine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen oderT o r r i c e l l idie Luft ein Gewicht, was er sich zum Voraus dem einer ihm bekannten Wassersäule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in noch späterer ZeitS t a h lMetalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab2; so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, dass die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, dass sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf. Die Vernunft muss mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen lässt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Und so hat sogar Physik die so vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß, dasjenige in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von dieser lernen muss und wovon sie für sich selbst nichts wissen würde. Hierdurch ist die Naturwissenschaft allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, da sie so viel Jahrhunderte durch nichts weiter als ein bloßes Herumtappen gewesen war.

DerM e t a p h y s i k,einer ganz isolierten spekulativen Vernunfterkenntnis, die sich gänzlich über Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe (nicht wie Mathematik durch Anwendung derselben auf Anschauung), wo also Vernunft selbst ihr eigener Schüler sein soll, ist das Schicksal bisher noch so günstig nicht gewesen, dass sie den sicheren Gang einer Wissenschaft einzuschlagen vermocht hätte; ob sie gleich älter ist als alle übrigen und bleiben würde, wenn gleich die übrigen insgesamt in dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarei gänzlich verschlungen werden sollten. Denn in ihr gerät die Vernunft kontinuierlich in Stecken, selbst wenn sie diejenigen Gesetze, welche die gemeinste Erfahrung bestätigt (wie sie sich anmaßt) a priori einsehen will. In ihr muss man unzählige Male den Weg zurück tun, weil man findet, dass er dahin nicht führt, wo man hin will, und was die Einhelligkeit ihrer Anhänger in Behauptungen betrifft, so ist sie noch so weit davon entfernt, dass sie vielmehr ein Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spielgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgendein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, dass ihr Verfahren bisher ein bloßes Herumtappen und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen sei.

Woran liegt es nun, dass hier noch kein sicherer Weg der Wissenschaft hat gefunden werden können? Ist er etwa unmöglich? Woher hat denn die Natur unsere Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht, ihm als einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachzuspüren? Noch mehr, wie wenig haben wir Ursache, Vertrauen in unsere Vernunft zu setzen, wenn sie uns in einem der wichtigsten Stücke unserer Wissbegierde nicht bloß verlässt, sondern durch Vorspiegelungen hinhält und am Ende betrügt! Oder ist er bisher nur verfehlt; welche Anzeige können wir benutzen, um bei erneuertem Nachsuchen zu hoffen, dass wir glücklicher sein werden, als andere vor uns gewesen sind?

Ich sollte meinen, die Beispiele der Mathematik und Naturwissenschaft, die durch eine auf einmal zustande gebrachte Revolution das geworden sind, was sie jetzt sind, wären merkwürdig genug, um dem wesentlichen Stücke der Umänderung der Denkart, die ihnen so vorteilhaft geworden ist, nachzusinnen und ihnen, so viel ihre Analogie, als Vernunfterkenntnisse, mit der Metaphysik verstattet, hierin wenigstens zum Versuche nachzuahmen. Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken desK o p e r n i k u sbewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun, was dieA n s c h a u u n gder Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müsste, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei diesen Anschauungen, wenn sie Erkenntnisse werden sollen, nicht stehen bleiben kann, sondern sie als Vorstellungen auf irgendetwas als Gegenstand beziehen und diesen durch jene bestimmen muss, so kann ich entweder annehmen, dieB e g r i f f e,wodurch ich diese Bestimmung zustande bringe, richten sich auch nach dem Gegenstande, und dann bin ich wiederum in derselben Verlegenheit, wegen der Art, wie ich a priori hiervon etwas wissen könne; oder ich nehme an, die Gegenstände oder, welches einerlei ist, die