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Olbrich/Schmidt

Die Verflossenen

Heike Olbrich
Jörg Schmidt

Die Verflossenen

Risiken und
Nebenwirkungen

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Die Berichte in diesem Band basieren auf Interviews.
Namen und biographische Details wurden auf Wunsch der Personen geändert.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Dezember 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 1999)
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0
www.christoph-links-verlag.de, mail@christoph-links-verlag.de
Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin
unter Verwendung eines Fotos von Christian Härtel
Satz: LVD GmbH, Berlin

ISBN 978-3-86284-253-7

Inhalt

Vorwort

Der unsichtbare Dritte: Eine Einführung

Verliebt – verlobt – verflossen: Wie sich Paarkultur verändert

Partnerwechsel ist kein Tabu mehr

Der Mythos ewiger Liebe und Partnerschaft

Wo Verflossene weiter präsent sind: Patchworkfamilien

Scheiden tut weh: Formen der Trennung

Phasen der Trennung

Strategien nach der Trennung

Was von den Verflossenen bleibt

Spuk der Verflossenen: Wie frühere Liebesbeziehungen weiterwirken

Stolpersteine, die man selbst mitbringt

Butler James und das Tigerfell: Gefahr von Wiederholungen

Hauptsache Harmonie: Angst vor Auseinandersetzungen

Nicht mit mir: Angst vor Autonomieverlust

Reale Fesseln

Der Ex kommt durch die Hintertür

Sex mit dem Ex

Verhängnisvolles Samaritertum

Freunde und Familienangehörige als Hindernis

Kinder und finanzielle Zwänge

Mentale Fesseln

Das Double: Alten Mustern verhaftet

Wenn der neue Partner ein Abbild des Verflossenen werden soll

Der ewige Maßstab: Verklären des Verflossenen

Falsche Lehren

Einfluß der Verflossenen auf das Selbstbild

Ungeprüfte Lektionen

Männer sind Schweine – alles Schlampen außer Mutti: Aufbrechen von Pauschalurteilen

Mißtrauen blockiert

Verflossene als Ausrede und Alibi: Selbstblockaden

Bis hierher und nicht weiter: Näheblockaden

Mein (Schutz-)Panzer gehört mir: Harmonieblockaden

Fatale Nachwirkungen

Rachegefühle

Wiedergutmachen im zweiten Anlauf

Strafende und indirekte Botschaften an den Verflossenen

Verflixte Vorgänger: Die Verflossenen des Partners

Neid auf frühere Gemeinsamkeiten

Vergleich mit den Vorgängern

Ärger mit den Vorgängern

Wenn der Partner seinen Ex vergöttert

Wenn der Partner seinen Ex schlechtmacht

Erzähl doch mal – schweig: Verflossene als Gesprächsthema

Altlasten entsorgen: Wie man unangenehme Nachwirkungen überwinden kann

Vergangenheit klären

Falscher Partner oder falscher Zeitpunkt?

Eine Beziehung – viele Perspektiven

Eigene Muster und Prägungen erschließen

In Klausur gehen: Ursachen erkennen

Zu sich finden: Den Ex abhängen

Verinnerlichte Kritik loswerden und eigene Erwartungen bestimmen

Willkommen in der Gegenwart

Weg mit dem Selbstmitleid!

Sich selbst verzeihen

Dem Ex verzeihen

Nebenwirkungen und Narben akzeptieren

Weichen in Richtung Zukunft stellen

Die »andere Hälfte« wiederfinden

Strategien zur Verhaltensänderung: Durchstarten!

Schlußwort

Anhang

Empfehlungen

Danksagung

Anmerkungen

Verwendete Literatur

Vorwort

Wenn wir in den letzten Monaten gefragt wurden, zu welchem Thema wir gerade arbeiten, waren die Reaktionen auf unsere Antwort – »Über Verflossene« – höchst unterschiedlich. Sie reichten von »Na, das wird ja bestimmt ein lustiges Buch« bis hin zu »Oh Gott, wie schrecklich!«.

Die Bandbreite der Reaktionen spiegelt zugleich die verschiedenen Haltungen wider, die man zu seinen Verflossenen haben kann: von heiter bis gewittrig. Besonders häufig war die Bemerkung: »Da solltet ihr mich mal interviewen, über meine Verflossenen könnte ich tagelang erzählen!«

Liebesbeziehungen – auch vergangene – sind häufig ein Thema im Freundes- und Bekanntenkreis. Und die Geschichten sind ganz unterschiedlich: vom Verlieben bis zum Trennen.

Dabei ist es interessant, wie andere es mit ihren Verflossenen halten. Schnell stellt man fest, daß das, was man erlebt hat, auch andere kennen. Daher hat es uns bei unseren Recherchen gewundert, daß es bislang noch kein Buch über die Verflossenen gab.

Tatsächlich haben wir mit Dutzenden Frauen und Männern über ihre früheren Beziehungen gesprochen: über Liebe, Leid und Trennung. Wir haben sowohl Singles als auch Menschen die in Partnerschaften leben, befragt. Schließlich betrifft das Thema sowohl Frauen und Männer auf Partnersuche als auch Menschen in Beziehungen. Bei geschlechtsspezifischen Unterschieden haben wir beide Perspektiven berücksichtigt und beschrieben. Interessanterweise waren unsere männlichen Interviewpartner der Meinung, daß Frauen sich viel leichter trennen. Unsere Gesprächspartnerinnen sahen das anders: Sie hatten keinen Zweifel daran, daß Trennungen für Männer viel problemloser seien als für Frauen.

Bei der Vielzahl der Gespräche sind wir den Fragen nachgegangen, was von Ex-Lieben tatsächlich übrigbleibt, wie vergangene Partnerschaften weiterwirken, welche Risiken und Nebenwirkungen die Verflossenen haben. Das interessierte uns vor allem aus journalistischer Neugierde, aber auch, weil wir – wie fast alle – »Mehrfach-Verflossene« sind.

Entstanden ist kein Ratgeber mit Tips und Tricks zum richtigen Umgang mit Ex-Partnern – das war nicht unsere Absicht –, sondern eine Sammlung reichhaltiger Erfahrungen, aus denen sich praktische Schlußfolgerungen ableiten lassen, wenn man denn will. Durch die Einbeziehung verschiedener Trennungsexperten sind zugleich einige hilfreiche Anregungen mit eingeflossen.

Auch wenn es inzwischen normal und alltäglich geworden ist, Verflossene zu haben, die in vielen Fällen mit schönen Erinnerungen verbunden sind, gibt es doch genügend Risiken und Nebenwirkungen, die es sich lohnt, einmal genauer zu betrachten.

Heike Olbrich & Jörg Schmidt

Berlin, im Juli 1999

Der unsichtbare Dritte: Eine Einführung

»Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung«

(Cindy und Bert)

Insgeheim zählt Caroline Stallmeyer mit, wie viele Gläser Wein der Mann an ihrer Seite trinkt. Sie kennt ihn noch nicht lange. Aber sie fühlt: Das könnte ein Mann zum Verlieben sein. Als er den nächsten Wein bestellt, wird sie nervös: »Schon das dritte Glas!« Sie beginnt, Argumente für ihn zu sammeln: Es ist Wochenende, morgen muß er nicht arbeiten. Angespannt beobachtet sie, wie schnell er trinkt. Nein, er ist kein Trinker, beschließt sie, dafür fehlt ihm die Selbstverständlichkeit beim Trinken. Als die 42jährige Heilpädagogin aus Teltow gerade anfängt zu entspannen, begeht der Mann einen folgenschweren Fehler. Er bestellt noch ein Glas Wein. Das vierte. Schluß, aus! Das war’s. Gerade noch mal davongekommen. Jetzt wäre sie doch fast wieder bei einem Alkoholiker gelandet.

Auf ihre Reaktion angesprochen, erklärt sie kategorisch: »Das hat mit meinem Ex-Mann Klaus überhaupt nichts zu tun.« Wirklich nicht? Der Verflossene von Caroline war Alkoholiker.

Szenenwechsel. Susanne Ahrens freut sich: Gerade rief ihr Ex-Freund Andreas an und fragte, ob er für zwei Tage bei ihr wohnen könnte. Seine Freundin und er würden einen Berlin-Trip planen; ob es okay wäre, wenn sie übers Wochenende zu ihr kämen? »Kein Problem!« sagte Susanne, »ich freue mich. Dann lerne ich auch endlich deine neue Freundin kennen.«

Susanne ist 30 Jahre alt und arbeitet als Zahntechnikerin. In ihrer alten Heimatstadt Osnabrück waren Susanne und Andreas fünf Jahre lang ein Paar. Dann kam es irgendwann zum ersten großen Krach, schließlich zum zweiten und zum dritten, und vor drei Jahren trennten sie sich. Susanne zog nach Berlin. Nachdem die Wunden bei ihnen so ziemlich verheilt waren, trafen sie sich wieder. Beiden war klar, daß sie einfach nicht zusammengepaßt hatten und mit anderen Partnern wahrscheinlich besser klar kämen. Sie vereinbarten, ein freundschaftliches Verhältnis zueinander zu bewahren. Sie sahen sich zwar selten, schickten sich aber regelmäßig Urlaubskarten und telefonierten an den Geburtstagen miteinander. Hätte man Susanne gefragt, wie sie ihr Verhältnis zu Andreas beschreiben würde, sie hätte »gelassen« geantwortet. Sie lebt in einer neuen Beziehung, und auch Andreas hat eine neue Partnerin.

So freute sich Susanne ehrlich auf den bevorstehenden Besuch der beiden. »Andreas sah aus wie damals«, erzählt sie, »er hatte sich überhaupt nicht verändert. Und dann sah ich, daß hinter ihm ein graues Mäuschen die Treppen raufschlich. Ich dachte: ›Wen schleppt er denn da an? Das kann doch wohl nicht seine neue Freundin sein!‹ Andreas hatte nämlich immer tolle Freundinnen.« Aber Monika, dies unscheinbare Wesen, war tatsächlich die neue Flamme ihres Verflossenen. »Abends im Restaurant unterhielten Andreas und ich uns angeregt, und seine Freundin sagte die ganze Zeit kein Wort. Eine todlangweilige Frau! Blaß und farblos!« Bestimmt eine Verlegenheitslösung, dachte Susanne, die tollen Frauen in Andreas’ Umgebung waren vielleicht gerade alle vergeben. Als sie Andreas für einen Moment alleine sprechen konnte, fragte sie ihn: »Und, wie läuft’s so mit euch?« – »Wunderbar«, sagte Andreas. »Wir verstehen uns großartig.« Er grinste und sagte: »Übrigens, wir heiraten. Kannst du dir das vorstellen? Und ich werde Vater! Wie findest du das?« Am liebsten hätte Susanne ihm den Wein ins Gesicht gekippt, so stocksauer und gekränkt war sie.

Im nachhinein findet sie ihre Reaktion ziemlich überzogen, abgesehen davon, daß es ihr eigentlich egal ist, wen ihr Verflossener heiratet. Was in ihr hochkam, war die Vorstellung: »Wie kannst du so eine Frau heiraten, wenn du mit mir zusammen warst!«

Jede Liebe hinterläßt Spuren. So haben die meisten Männer und Frauen zumeist einen Verflossenen, der sie noch sehr beschäftigt, mindestens eine Liebesgeschichte, die immer noch in ihnen rumort. Und fast alle kennen diese Geschichten auch von Freunden und Bekannten. Da ist der Mann, dem noch nach vielen Monaten schwer ums Herz wird, wenn er das Parfüm riecht, das seine Ex-Frau immer trug. Da ist die Frau, die schnell das Radio ausschaltet, wenn das Lieblingslied ihres Ex-Freundes gespielt wird. Vertraute Kleinigkeiten lösen Wehmut und Zorn, Trauer und Wut aus. Das ist so und wird sich, solange Menschen sich trennen, wohl auch nicht vermeiden lassen. Es sind kleinere und manchmal auch größere emotionale Klippen, die umschifft werden müssen. Und das braucht Zeit.

Irgendwann kommt der Tag, an dem der Mann das Parfüm wieder riechen und die Frau das Lied wieder hören kann, ohne dadurch in eine Krise zu geraten. Dann endlich sind die Verflossenen nicht mehr überall präsent.

Aber es kann auch anders kommen. Im Unterbewußtsein graben sich mitunter Spuren ein, die so tief sitzen, daß man von ihnen im Alltag kaum etwas ahnt. Doch plötzlich tauchen sie bei der Partnersuche oder in neuen Beziehungen wieder auf: Spuren längst vergangener Zeiten, die man hinter sich gelassen glaubte. Hier treten jene Nebenwirkungen zutage, die als Risiko mit jeder Trennung verbunden sind.

Ob beim nächsten Mann tatsächlich alles anders wird oder ob man immer wieder über das gleiche Problem stolpert, liegt zu einem großen Teil an emotionalen Spukgestalten, die viele Menschen unbewußt mit sich herumtragen. Grund genug, sie genau unter die Lupe zu nehmen, damit der oder die unsichtbare(n) Dritte(n) in den neuen Beziehungen sichtbar werden können. Denn nur mit Sichtbarem läßt sich streiten und irgendwann vernünftig umgehen.

Andernfalls stolpert man womöglich in den Trugschluß von Pauschalurteilen. »Männer sind doch echte Gefühlskrüppel«, sagt eine Frau in einem Café. Die beiden Frauen, die mit ihr am Tisch sitzen, nicken resigniert. »Frauen zocken dich ab! Denen geht es nur um deine Kohle«, verkündet dagegen der Mann am Tresen. »Das kannste aber laut sagen«, pflichtet ihm sein Nachbar bei.

Weniger laut ausgesprochen, aber um so problematischer in ihren Wirkungen sind Ableitungen und Lehren aus früheren Beziehungen, die falsch, störend oder gar destruktiv sind. Sie sollten erkannt und außer Kraft gesetzt werden. Solcher Ballast aus Ex-Beziehungen muß irgendwann entsorgt werden. Und da die meisten Männer und Frauen schon mindestens eine Liebesbeziehung hinter sich haben, kennen sie diese Trennungsrückstände. Dazu gehören nicht nur verletzter Stolz und Schuldgefühle, sondern auch Angst vor Nähe und oft Minderwertigkeitsgefühle.

Dieses Buch will beim Aufspüren derartiger Reste helfen: Wo lauern die Risiken und Nebenwirkungen, die Verflossene hinterlassen können? Wie kann mit ihnen umgegangen werden?

Um solchen Verflossenen, die sich als belastende Phantome gestalten, auf die Spur zu kommen, haben wir monatelang mit Männern und Frauen unterschiedlichen Alters, verschiedenster Berufe und aus verschiedenen Orten gesprochen und haben uns mit ihren Geschichten beschäftigt. Anschließend haben wir Experten in Beziehungs- und Trennungsfragen konsultiert: Paartherapeuten, Scheidungsanwälte, Pastoren, Mediatoren und Psychologen in Beratungsstellen. Aus all diesem Material ist unser Buch entstanden: Fallbeispiele und Hintergrundinformationen wechseln sich ab.

Am Ende der Kapitel folgen weiterführende Fragen, die als Anregung zur Selbstreflexion gedacht sind. Vielleicht können sie ein wenig dazu beitragen, mit falschen Vorstellungen aufzuräumen und zu einem souveräneren Umgang mit den Verflossenen zu finden.

Verliebt – verlobt – verflossen: Wie sich Paarkultur verändert

»That’s life!«

(Frank Sinatra)

Liebesbeziehungen und Partnerschaften sind im Leben von zentraler Bedeutung. Ohne Partner scheinen die allermeisten Männer und Frauen nicht leben zu können, ohne eine Beziehung sieht das Leben offensichtlich freudlos und grau aus – so wird es zumindest nicht zuletzt in den Medien vermittelt.

»Ab Anfang 20 fühlt man sich doch als Außenseiter, wenn man keine Freundin hat«, meint Christoph Hessler. Er ist 26 Jahre alt und arbeitet als Barkeeper in Hamburg. Drei längere Beziehungen hat er bislang hinter sich, zur Zeit ist er solo. Bei manchen Gelegenheiten, so gesteht er, erfindet er einfach eine Frau, von der er erzählen kann. Und manchmal springt eine gute Freundin als Vorzeige-Partnerin ein. »Es sieht einfach besser aus! Auf der Hochzeit meines Cousins und bei der Geburtstagsfeier eines Kollegen habe ich Angelika mitgenommen. Und so, wie wir uns verhalten haben, dachten alle, wir wären ein Paar. Das war ja auch der Sinn der Sache.« Obwohl Christoph den Paarzwang »blöd und stressig« findet, unterwirft er sich ihm – manchmal.

Wir leben in einer Pärchenkultur. Egal, wohin der Blick auch fällt: Paare, Paare, Paare! Ob im Restaurant oder im Urlaub, ob in Spielfilmen oder Werbespots – überall Paare. Und die Singles schauen derweil »Herzblatt« und studieren die Kontaktanzeigen in den Stadtmagazinen oder der Wochenendausgabe der Tageszeitungen.

Sehr viele Menschen fühlen sich unvollständig, wenn sie nicht Teil eines Paares sind. Das fällt immer dann auf, wenn sie selbst gerade partnerlos sind. Alles ist auf Zweisamkeit ausgerichtet.

Liebe und Partnerschaft stehen beim persönlichen Glücksgefühl nach wie vor an erster Stelle. Das belegen Zahlen: Alle zwei Jahre fragt das Allensbacher Institut für Demoskopie die Deutschen, worin sie den Sinn ihres Lebens sehen. Unangefochten den Höchstwert auf der Rangliste erreichte 1997 die Antwort: »Daß ich glücklich bin, viel Freude habe«.1 Auf Platz 2 kam der Lebensgenuß – und nicht etwa die Karriere oder die Erziehung der Kinder.

Und was macht Menschen glücklich? Wohlstand, Frieden, ein sicherer Arbeitsplatz? Die meisten Teens und Twens antworten: Liebe. Die etwas älteren Semester stellen dagegen zumeist ein harmonisches Familienleben an erste Stelle.2

Und das ist zunächst nachvollziehbar. In einer Partnerschaft zu leben hat eindeutig Vorteile. Niemand muß lange nach einem Begleiter fürs Kino, für die Party oder den Urlaub suchen. Egal, ob für die Freizeit, für Sorgen und Erfolge, die zu teilen sind, für Sex oder zum Schmusen – immer ist jemand da. Manche Aufgaben übernimmt der Partner, auch das ist ein Vorteil. »Bügelst du meine Hemden, repariere ich die Waschmaschine.« Je nach Persönlichkeit und Vorliebe werden Aufgaben verteilt. Der eine ist kontaktfreudig, bemüht sich um den Freundeskreis, hält die Beziehung zu den Verwandten aufrecht und sorgt dafür, daß man zu Festen eingeladen wird. Der andere ist häuslich, kümmert sich intensiv um die Familienmitglieder samt Hund und Kanarienvogel, pflegt den Garten und verwandelt das Haus in ein gemütliches Nest. Das ist praktisch. Und manchmal auch lästig.

Davon berichtet Bettina Aust. Sie lebt in Trier, ist 37 Jahre alt und arbeitet als Goldschmiedin. Seit Jahren verbringt sie ihren Urlaub in Frankreich, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Karl. Als sie sich kennenlernten, sprachen beide gleich gut französisch. Doch wenn sie im Urlaub nach Frankreich kamen, redete automatisch Karl: Er orderte die Hotelzimmer, bestellte das Essen und fragte nach dem Weg. »Anfangs war mir das sogar ganz recht. Mich kostet es Überwindung, französisch zu reden, und Karl ist eher der Typ, der einfach drauflosquatscht.« Doch diese Aufgabenteilung begann sich zu verselbständigen. Irgendwann machte Bettina überhaupt nicht mehr den Mund auf, und Karl wurde durch die Übung immer besser. Als Bettina eines Tages in Trier auf der Straße von einem Franzosen angesprochen wurde, der nach dem Weg fragte, fühlte sie sich überfordert. Sie stotterte zwei, drei Worte und sah sich hilfesuchend nach Karl um. »Karl hat ihm radebrechend den Weg beschrieben. Ich war stinksauer, am meisten auf mich! Die paar Sätze hätte ich nämlich auch noch rausgebracht.«

Das Leben zu zweit erleichtert manche Dinge. Es verhindert dafür andere. Mehr und mehr verlassen sich nicht wenige auf ihren Partner, vergessen und verlernen dadurch vieles und werden schließlich ungeübt im Alleinleben. Es ist tatsächlich nicht nur ein Gerücht, daß es immer noch Männer gibt, die nie in ihrem Leben eine Waschmaschine bedient oder sich ein Essen gekocht haben. Und genauso gibt es Frauen, die noch nie eine Sicherung ausgewechselt oder einen Scheck ausgestellt haben.

Nach den Eltern kommt in der Regel kaum ein Mensch so nah an einen anderen heran wie der Liebespartner. Niemand sonst kennt einen so gut und hat schon so viele unterschiedliche Situationen erlebt, einen beglückwünscht, getröstet, bewundert oder verflucht. Dadurch werden Liebesbeziehungen auch »psychische Spiegel, die uns zeigen, wer wir sind. Die Formen des Umgangs miteinander haben direkte Auswirkungen auf unser Selbstwertgefühl und formen das geistige Bild, das wir von uns selbst haben – das heißt, unser Selbstbild«, bemerkt die amerikanische Psychologin Harriet Braiker.3 Das enge Zusammensein mit einer anderen Person birgt die Chance, sich selbst besser kennenzulernen. Es ermöglicht, andere Seiten an sich wahrzunehmen und manches von sich deutlicher, in Abgrenzung zum Partner, zu erkennen. Doch ist dies auch nicht ganz ohne Risiko, denn wer will schon wissen, welche weniger liebenswerten Seiten man hat?

Der Partner verwächst im Laufe der Beziehung zu einem Teil der eigenen Identität. Das macht es schwer, im Falle einer Trennung aus dem Wir wieder zwei getrennte Ichs zu formen. Es ist mühsam und schmerzlich, das dichte Geflecht der Beziehung zu entzerren. Die Freundin von ... wird wieder zur Singlefrau. Aus dem idyllischen »Dieses Jahr verbringen wir Weihnachten ganz allein« wird ein scheinbar bedauernswertes »Dieses Jahr verbringe ich Weihnachten ganz allein«. Was für ein Unterschied!

Partnerwechsel ist kein Tabu mehr

Liebe, Partnerschaft und Familie sind die Glücksgaranten der Nation – so sagen es die Zahlen. Aber zwischen dem Wunsch nach ewiger Beziehungsharmonie und der Realität klafft ein tiefer Spalt: Die Zahl der Heiraten ist seit Jahren rückläufig, und die Zahl der Scheidungen steigt. Die Trennung von einem Partner ist zu einer alltäglichen Erfahrung geworden. Nahezu jeder hat Verflossene, manche nur einige wenige, andere gleich ein Dutzend.

Nach wie vor aber bleibt die Zweierbeziehung die angestrebte Lebensform, das Single-Leben gilt fast allen nur als Übergangslösung. Und auch die meisten Singles haben vor nicht allzu langer Zeit in einer festen Beziehung gelebt.4 So ist es bezeichnend, daß in Deutschland jährlich allein rund 300 Millionen Mark von Männern und Frauen für Partnervermittlungen durch Heiratsinstitute ausgegeben werden.5

Jede Kultur, jede Gesellschaft und jede Generation hat ihre eigenen Vorstellungen davon, wie Paare zusammenzuleben haben. So sind auch die Erwartungen, die ein Partner zu erfüllen hat, und die Gründe, die für eine Trennung akzeptiert werden, in starkem Maße gesellschaftlichen Veränderungen und Moden unterworfen. Diese Vorstellungen haben sich in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt. Scheidungen beispielsweise bedeuten längst keine Abweichung mehr von der Norm.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Zwei von fünf Ehen gehen auseinander. Treibende Kraft dabei sind die Frauen: In den alten Bundesländern (inklusive Westberlin) initiieren sie zu 57,5 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar zu 72,9 Prozent die Scheidung.6 Dem entspricht, daß bereits nach sechs Jahren Ehe nur noch etwa 48 Prozent der Frauen ihren Ehemann erneut heiraten, immerhin aber 82 Prozent der Männer sich erneut für ihre Ehefrau entscheiden würden.7 Und im Sommer 1989 antworteten bei einer Untersuchung in den USA, bei der über 2 000 Frauen in Hypnose und in Abwesenheit ihres Mannes befragt wurden, 64 Prozent sofort und spontan mit »Nein«, als ihnen die Frage gestellt wurde, ob sie ihren Partner noch einmal heiraten würden.8

1997 gab es in Deutschland einen neuen Höchststand an Scheidungen mit sieben Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Scheidungsquote, das heißt der Anteil der Scheidungen pro Jahr gemessen an den geschlossenen Ehen, ist zwischen 1960 und 1995 in den alten Bundesländern von 8,5 Prozent auf 39,5 Prozent gestiegen.9 Dabei sind es – entgegen der landläufigen Meinung – überwiegend nicht die flüchtigen und kurzen Beziehungen, die geschieden werden, sondern langjährige Partnerschaften. Über die Hälfte der 1997 amtlich getrennten Ehen haben länger als neun Jahre gehalten. Ein Blick in die Statistik zeigt zudem, daß sich Paare ohne Kinder wesentlich häufiger scheiden lassen: Nach fünf Jahren Ehe war die Hälfte der kinderlosen Paare, aber nur ein knappes Fünftel der Paare mit Kindern geschieden.10

Was ist passiert, daß aus verliebt – verlobt – verheiratet nun verliebt – verlobt – verflossen wurde? Werden Trennungen in zunehmendem Maße auf die leichte Schulter genommen? Haben sich Männer und Frauen schlichtweg daran gewöhnt, daß Ehen nicht mehr ewig halten? Oder haben Ehe und Partnerschaft einen so geringen Stellenwert, daß sie mittlerweile leichten Herzens und ohne ernsthafte Bemühungen beendet werden?

Trennung: eine Sache der Gewöhnung?

Ehe und Partnerschaft stehen nach wie vor hoch im Kurs, ihre Bedeutung ist in den letzten Jahren sogar eher wieder gewachsen als zurückgegangen. Zugleich sind die Ansprüche, die die meisten an eine Liebesbeziehung und an einen potentiellen Partner stellen, gestiegen. Kaum einer will sich mehr mit halbherzigen Arrangements begnügen, die irgendwie funktionieren.

Ein Blick auf einige der Hintergründe der steigenden Scheidungsraten macht das deutlich:

Menschen leben heute wesentlich länger als noch vor 200 Jahren. Das heißt, daß der Zeitpunkt »bis daß der Tod euch scheidet« bei einem Paar erst sehr viel später eintritt als früher. Und ob man 15 oder 60 Jahre lang neben dem gleichen Partner wach wird, ist ein gewaltiger Unterschied.

Bis vor einigen Jahren funktionierte noch eine Reihe von wirksamen äußeren Klammern, die Ehen zusammenhielten. Geschieden zu sein galt vielen als Makel. Eltern und Nachbarn, Arbeitgeber, Vermieter und Kirche machten Geschiedenen das Leben oft schwer. Wer vor 30 Jahren aus einer Ehe aussteigen wollte, hatte viel mehr Gründe als heute, sich das noch einmal gründlich zu überlegen.

Die Ehe war früher nicht zuletzt eine Wirtschaftsgemeinschaft mit klarer Rollenaufteilung. Was Männer und Frauen in der Ehe zu tun und zu lassen hatten, war nichts, was sie aushandeln konnten und was mehr oder weniger individuell entschieden wurde. Die Partner waren gezwungen zusammenzubleiben, um wirtschaftlich zu überleben.

Viele dieser Gründe, die Ehen damals zusammengeschweißt haben, besitzen heute kaum noch Gültigkeit. Gütertrennung, gesellschaftlicher Wandel, bedeutend höhere Lebenserwartungen und vieles mehr haben dazu geführt, daß für Männer und Frauen gilt: Sind sie unzufrieden in ihrer Ehe oder ihrer Partnerschaft, können sie die Beziehung auflösen und gehen.

Besonders radikal hat sich der Stellenwert von Ehe und Scheidung bei Frauen verändert. »Die Scheidungsrate ist in den letzten 25 Jahren vor allem deshalb angestiegen, weil die Frauen historisch erstmals die Chance hatten, eine Scheidung materiell zu überleben. Erst mit der Änderung des Scheidungsrechtes in den 70er Jahren hatten die Frauen Anspruch auf Unterhalt von ihren geschiedenen Männern. Nach dieser Gesetzesänderung schoß die Scheidungsrate hoch«, betont Frauke Decker vom Berliner Verein Zusammenwirken im Familienkonflikt. Und sie weiß, wovon sie spricht. Seit einigen Jahren engagiert sich die Psychologin zusammen mit Juristen, Pädagogen und Psychologen als Mediatorin und hat vor allem mit Paaren während und nach Scheidungen zu tun.11

Zudem haben immer mehr Menschen eine der Botschaften der modernen Gesellschaft angenommen: »Leben heißt Veränderung«. So werden zum Beispiel die sogenannten Patchwork-Biographien im Berufsleben immer akzeptabler. Es ist kein Manko mehr, wenn der erlernte oder studierte Beruf zugunsten eines anderen gewechselt wird und anschließend noch ein weiterer Wechsel erfolgt. Hauptsache, man ist erfolgreich damit!

Im Privatleben gilt das gleiche. Männer und Frauen werden ständig aufgefordert, sich unter den angebotenen Produkten genau umzusehen und das Beste zu wählen. Wieso sollte das, was für Banken, Fernsehprogramme und Telefongesellschaften gilt, nicht auch seine Berechtigung bei privaten Kontakten, Partnerschaften und Ehen haben? Der Wechsel ist auch hier kein Tabu mehr. Die Anzahl der Menschen, die in Fortsetzungsehen oder -familien12 leben, steigt beständig. Ohne daß es den meisten Menschen mittlerweile bewußt ist, sind von den bestehenden Ehen ein hoher Prozentsatz schon Zweitehen, denn heutzutage heiraten von den Geschiedenen etwa zwei Drittel wieder. In den USA wird übrigens zuweilen schon von der zweiten Ehe als der »eigentlichen Ehe« gesprochen, wohingegen man die Erstehe als »Versuchsehe« bezeichnet.13 Auch etwa 40 Prozent der geschiedenen Mütter und Väter mit minderjährigen Kindern wählen erneut einen Partner und heiraten wieder. Konkret heißt das: Neun Millionen Menschen leben hierzulande in einer Fortsetzungsehe.

Hinzu kommt, daß sich die Rollenverteilungen in Partnerschaften verändert haben. In Amerika zum Beispiel lebten vor zirka zehn Jahren (1987) nur noch zehn Prozent aller Familien wie eine traditionelle Familie, in der die Rollen entsprechend verteilt waren, der Vater das Geld verdiente und die Mutter zu Hause die Kinder versorgte.14

Der Mythos ewiger Liebe und Partnerschaft

Elisabeth Linke ist 54 Jahre alt und lebt in einem Münchner Vorort. Zur Zeit ist sie in heftige Auseinandersetzungen mit ihrem Noch-Ehemann verstrickt. In der Kanzlei ihrer Scheidungsanwältin beklagt sie sich bitter über den momentanen Streß und die Frustrationen der zurückliegenden Jahre. Für sie war die Ehe ein ständiger Kampf mit vielen Verletzungen und Demütigungen. Nun kommen noch häßliche Streite vor Dritten dazu und das Gerangel um Geld – alles Folgen ihrer Ehe. Am Ende des Gesprächs fragt Elisabeth ihre Scheidungsanwältin: »Sie sehen immer so glücklich und zufrieden aus. Sie sind bestimmt verheiratet, oder?« Obwohl sie gerade am eigenen Leib die negativen Folgen einer Ehe erfährt, bleibt ihr positives Bild vom Mythos Ehe ungebrochen. Doch die Notwendigkeit der Institution Ehe wird mehr und mehr in Zweifel gezogen. Hielten im Jahr 1949 noch 87 Prozent der Männer und 90 Prozent der Frauen die Ehe als Institution grundsätzlich für notwendig, waren im Jahr 1989 nur noch 62 Prozent der Männer und 65 Prozent der Frauen davon überzeugt.15

Trotzdem verbinden die meisten mit Ehe und Familie automatisch die Vorstellungen Zuhause, Heimat und Geborgenheit. Das selbst erlebte Arrangement Ehe bleibt überlagert vom Mythos Ehe. Und mit diesem Mythos sind die Vorstellungen davon verbunden, wie eine Ehe auszusehen und welche Bedürfnisse sie zu erfüllen hat. Doch Bedürfnisse ändern sich im Laufe des Lebens, ebenso die Vorstellung von einem passenden Partner: Mit Anfang 20 werden meistens andere Ansprüche als mit 40 oder 60 Jahren gestellt. Der Traumpartner für 20jährige muß wahrscheinlich äußerlich attraktiv und sportlich sein; zehn Jahre später werden dann andere Qualitäten und Eigenschaften bevorzugt.

In vielen Fällen sind Beziehungen hoffnungslos überfrachtet mit dem, was sie angeblich zu leisten haben. Der Partner soll möglichst alle anderen Menschen ersetzen und Freund, Liebhaber und Elternersatz in einem sein! Filme, Literatur und Musik unterstützen die fatale romantische Vorstellung, daß nur du, du, nur du allein mich glücklich machen kannst. Daß das nicht gutgehen kann, ist eigentlich klar, denn die eigene Erfahrung zeigt häufig, daß Glück durchaus mit höchst unterschiedlichen Partnern möglich ist. Und so romantisch sind die meisten auch nicht. Nicht erst nach einer Trennung erstellen viele kleinliche Ist/Soll-Rechnungen und führen heimlich Konten: Wieviel gebe ich, wieviel bekomme ich? Was unter dem Strich herauskommt, muß sich irgendwie ausgleichen.

Man sieht sie überall: Partner, die nebeneinanderher leben, sich anöden, die Seite an Seite zu Stein geworden sind. Sie hocken auf dem Sofa, im Restaurant oder im Flugzeug und wechseln kein Wort miteinander. Aus Gewohnheit – und nicht, weil gerade der Haussegen schief hängt. Die Trostlosigkeit ist hier nicht zu Gast, sondern zu Hause.

Bei solchen Anblicken stellt sich für viele die Frage: Ist es besser, mit einem Partner zusammenzubleiben, auch wenn das gemeinsame Leben für beide ohne jeden Reiz ist? Dabei scheint die Motivation, in einer eingeschlafenen Beziehung zu bleiben, für Männer meist größer zu sein. Die Psychologin Frauke Decker jedenfalls hat folgende Erfahrung gemacht: »Männer bleiben, auch wenn sie unzufrieden sind, oft lieber in der versorgten Familiensituation, als daß sie sich irgendwo ein Zimmer nehmen und sich um sich alleine kümmern. Allein wegen der täglichen Versorgung, die dann auf sie zukommen würde. Frauen machen sich gar nicht so klar, wieviel Service für Männer mit einer Partnerschaft verbunden ist. Da ist die Bereitschaft der Männer rational völlig verständlich, die Beziehung aufrechtzuerhalten, auch wenn sie nicht mehr so zufriedenstellend ist.«

Sollen sie aber tatsächlich die nächsten Jahre miteinander bestreiten, auch wenn sie sich kaum noch ertragen können oder – im besseren Fall (?) – sich seit vielen Jahren nichts mehr zu sagen haben? Was, wenn sie sich aus dem Weg gingen und jeder sein eigenes Leben lebte? Wäre da eine Scheidung nicht der bessere Weg?

Zu dieser Ansicht sind in den letzten Jahren immer mehr Menschen gekommen. Die Haltung gegenüber der unauflösbaren und lebenslänglichen Ehe hat sich grundlegend verändert. Viele Paare trennen sich inzwischen, wenn die Unzufriedenheit mit der Beziehung sehr groß ist. Scheidungen sind alltäglich geworden, lediglich Prominenten-Scheidungen stoßen noch auf Interesse. Schnörkellos bringt Frauke Decker die momentane gesellschaftliche Situation auf den Punkt: »Die Wahrscheinlichkeit, daß die Eltern sich trennen, bevor die Kinder erwachsen sind, ist heute größer als die Wahrscheinlichkeit, daß sie das nicht tun.«

Und dennoch bleibt die Einehe das unangefochtene Ideal, auch wenn die Realität durch serielle Monogamie gekennzeichnet ist, wie es der Psychologe Nathaniel Branden beschreibt: »Wir führen nur mit jeweils einem Partner eine Ehe, heiraten im Laufe unseres Lebens aber vielleicht nacheinander zwei oder drei verschiedene Partner.«16

Ab Mitte 20 haben die meisten Männer und Frauen mindestens einen Verflossenen. »Es werden immer mehr Menschen in ihrer Biographie eine oder mehrere Scheidungen aufweisen«, betont der Schweizer Paartherapeut Jürg Willi in seinem Buch »Was hält Paare zusammen?«. Seine Hochrechnung: »Es dürfte somit rund die Hälfte aller Erwachsenen eigene Erfahrung mit Ehescheidung haben, sei’s als Kind bei Scheidung der Eltern, sei’s beim Zerbrechen der eigenen Ehe.«17

Wo Verflossene weiter präsent sind: Patchworkfamilien

In vielen Familien sind die Verflossenen täglich präsent, denn zwei Drittel aller Geschiedenen heiraten wieder. Auf diese Weise bekommen viele Kinder zusätzlich zu ihren leiblichen Eltern einen Stiefelternteil. Aber auch die Scheidungsrate bei Zweitoder Mehrfachehen liegt um einiges höher als bei der ersten Ehe. Grund dafür sind die spezifischen Probleme dieser Familien. Alle Beteiligten – die Kinder, der leibliche Elternteil und der Stiefelternteil – müssen sich an die neue Konstellation gewöhnen. Und das ist meistens nicht ganz unproblematisch, weil in Stieffamilien Erwachsene und Kinder schon einen schweren Verlust erlitten haben und erfahren mußten, was eine Trennung bedeutet. Sie haben einen Menschen – Partner, Mutter oder Vater – verloren, der ihnen sehr nahestand, sie fühlen sich oft im Stich gelassen und müssen den Verlust einer wichtigen Bezugsperson verkraften.

Der Stiefelternteil, der neu in eine Familie kommt, muß seinen Platz in einem eingespielten System finden, das auch ohne ihn funktioniert hat. Dabei wird er in der Regel bald feststellen, daß der Platz, den er einnehmen möchte, schon vergeben ist – an den Verflossenen seines Partners. Der leibliche Vater oder die leibliche Mutter werden für die meisten Kinder immer ihr Vater oder ihre Mutter bleiben, egal, ob die Eltern sich getrennt haben oder nicht. Der Stiefelternteil muß lernen, mit einem Vorgänger zu leben. Und den Stiefkindern muß zugestanden werden, ihrem leiblichen Elternteil treu zu bleiben, da zwischen den Kindern und dem leiblichen Elternteil häufig eine Verbundenheit bestehenbleibt, die unabhängig von der Beziehung zum Stiefelternteil existiert.

Doch viele Kinder lehnen den Stiefelternteil anfangs ab. Dies auszuhalten ist nicht einfach. Je stärker die Bindung des Kindes an den leiblichen Elternteil war, desto schwerer hat es der neue Partner. Ist der leibliche Elternteil gestorben, ist die Ablehnung zumeist noch heftiger, zumal verstorbene Eltern in der Regel von den Kindern viel stärker idealisiert werden als geschiedene.18 Herma Michelsen, Leiterin der Erziehungs- und Familienberatungsstelle Charlottenburg (EFB)19 in Berlin, weist in diesem Zusammenhang allerdings auf einen anderen Aspekt hin. Sie hat in ihrer Arbeit mit Stieffamilien auch die Erfahrung gemacht, daß Stiefelternteile mitunter eine »sehr positive Funktion haben: Sie können ausgleichen und Verhaltensweisen in das Familiensystem hineinbringen, die für alle sehr hilfreich sind.«

Aber nicht nur für den Hinzukommenden, auch für den leiblichen Elternteil ist die neue Situation schwierig. Viele machen sich daher Gedanken, ob sie ihren Kindern einen neuen Partner zumuten können. Sie haben ein schlechtes Gewissen und plagen sich mit Schuldgefühlen. Nicht selten kommt es zu Loyalitätskonflikten. Plötzlich finden sie sich zwischen den Fronten: Auf der einen Seite steht der neue Lebensgefährte und auf der anderen Seite die Kinder. Und wenn dann noch Konflikte mit dem Verflossenen über die gemeinsamen Kinder ausgetragen werden, bricht der Ex-Partner immer wieder in die neue Beziehung ein. Ein überaus schwieriges Problem: Der leibliche Elternteil muß sich in allen Fragen, die die Kinder betreffen, mit seinem Verflossenen abstimmen. Doch wenn er dabei die Rolle und die Interessen des neuen Partners ignoriert oder vernachlässigt, gibt es Unfrieden: Der Neue wird ausgeschlossen, abgeschoben und fühlt sich wie das fünfte Rad am Familien-Wagen.

Es gibt noch ein drittes Problemfeld. Paare, die gemeinsame Kinder haben, können sich gar nicht rückstandslos trennen. Beide Partner werden ihrem Verflossenen immer wieder begegnen – ob sie wollen oder nicht. Sie werden die Sorge und Verantwortung für die Kinder miteinander teilen müssen, und das vielleicht noch über Jahrzehnte! Immer wieder wird ihnen ihr Verflossener über den Weg laufen: bei Schulveranstaltungen und Geburtstagen, bei der Konfirmation, Heirat oder Taufe.

Den ehemaligen Partnern wird geradezu ein Spagat abverlangt: Als Paar sind sie gescheitert und als Eltern müssen sie weiterhin funktionieren, gemeinsame Aufgaben wahrnehmen und Entscheidungen treffen. Das neue Kindschaftsrecht, das am 1. Juli 1998 in Kraft getreten ist, hat neue Maßstäbe gesetzt. Es schreibt das Recht des Kindes auf beide Elternteile fest und verpflichtet die Partner zur Kooperation. Da hat der eine seinen Ex-Partner endlich erfolgreich abgeschüttelt, und nun muß er sich über Besuchsregelungen mit ihm auseinandersetzen. Ein anderer wurde schmählich sitzengelassen und muß sich trotzdem mit seinem treulosen Verflossenen an einen Tisch setzen, um das Wohl des Kindes nicht zu gefährden. Die gemeinsame Sorge um die Kinder führt dabei oft zu heftigen Konflikten. Nicht selten wird der Paarkampf über die Kinder weitergeführt, beispielsweise durch das Verweigern der Besuchsrechte oder der Unterhaltszahlungen.

Die Hannoveraner Pastorin Marlies Ahlers kennt diese besonderen Trennungsschwierigkeiten aus ihrer seelsorgerlichen Arbeit in der Gemeinde nur zu gut: »Wenn ein Paar durch gemeinsame Kinder Kontakt halten muß, kommt es häufiger vor, daß der verlassene Partner bei den Treffen wieder Hoffnung schöpft. Da wird von dem Verlassenen leicht etwas hineininterpretiert, nach dem Motto: ›Letzten Sonntag war es doch so schön zusammen im Zoo. Die ganze Familie vereint – vielleicht wird es ja wieder was mit uns!‹.« Doch dies sind zumeist gefährliche Illusionen.

Scheiden tut weh: Formen der Trennung

»Everytime we say good bye, I die a little«

(Cole Porter)

Glaubt man einem Lied von Paul Simon, gibt es »fifty ways to leave your lover«. Ob sich ein Weg ohne Schmerz, Trauer, Wut und Kränkung darunter befindet, ist unwahrscheinlich. Es gibt eben Situationen, an die sich niemand gewöhnen kann. Wer darauf spekuliert, sollte es schnell vergessen.

Bei einer Studie der Wissenschaftler Holmes und Rahe wurden Ende der 60er Jahre Männer und Frauen gefragt, welches Ereignis in ihrem Leben für sie am schlimmsten wäre.20 Auf Platz 1 landete die Aussage: »Der Tod meines Partners« und auf Platz 2 »Scheidung und Trennung vom Ehepartner«. Erst auf den folgenden Plätzen finden sich Gefängnisaufenthalte und schwere Krankheiten, was nun auch nicht unbedingt leichte und streßfreie Ereignisse sind. Das zeigt einmal mehr, wie sehr die meisten Menschen Angst vor Trennungen haben.

In der Tat gelten Trennungen als äußerst kritische Lebensereignisse, die das Gleichgewicht durcheinanderbringen, denn sie bedeuten stets einen Verlust und häufig sogar eine Katastrophe. Für beide (Ex-)Partner geht ein Lebensabschnitt zu Ende, und was danach kommt, ist höchst ungewiß. Nicht zuletzt deshalb bleiben viele Männer und Frauen lange in Beziehungen, in denen sie längst unglücklich sind. Wie läßt Shakespeare Hamlet sagen: »Daß wir die Übel, die wir haben, lieber ertragen, als zu unbekannten fliehen.«

Was Trennungen zusätzlich schwermacht: Mit dem Ende der Partnerschaft enden nicht automatisch die Gefühle. Beziehungen, die über eine lange Zeit gewachsen sind, lassen sich nicht von heute auf morgen lösen, nur weil es dem Verstand so paßt! Auf die meisten Männer und Frauen, die sich trennen wollen, wartet eine harte Zeit, denn die Kosten der Trennung sind hoch: seelischer Streß, Probleme mit den Kindern, der Wohnung, dem Geld. Gründe genug, um Trennungen so lange zu meiden als irgendwie möglich.