Erster Theil

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2. Eduard an Barton

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Seitdem Du mich verlassen, mein Barton, habe ich schon oft den waldigen Hügel erstiegen, wo ich zum letztenmal Deines vertrauten, freundschaftlichen Umgangs genoß. Du warst damals in einer ungewöhnlich feierlichen Stimmung, und Dein Auge schaute voll tiefer Rührung herunter in die heitere, weit um uns verbreitete Welt. »Welches Leben, welche Wirksamkeit in der ganzen Natur! sagtest Du. Stete Umschaffung, Verarbeitung, Veränderung, und eine Kraft, die immer bleibt; denn nur das Bleibende kann sich verändern. Aber was sie ist, diese Kraft, welche die Räder des Ganzen zusammen hält, daß kein Theil sich aus seinen Fugen herausreißen darf, die den Geist mit Formen bekleidet, und das Aufgelösete, nach Ruhe strebende, zu neuem Leben, neuer Thätigkeit zwingt? – Forsche nicht darnach; nur das, was sich verändert, können wir wahrnehmen, und das Bleibende erkennen wir, wie unser eignes Wesen, aus seinen Wirkungen. Ja, Eduard, fuhrst Du fort, wir lernen unser inneres Leben immer deutlicher und schöner kennen, je wirksamer wir in dem äussern sind. Laß uns dem großen, guten All aufs innigste angehören, und unser Selbst nur in dem Ganzen wiederfinden. Der Mensch fängt damit an, Alles von Andern zu erwarten, und soll damit enden, Andern so viel er kann zu gewähren. Es giebt eine Zeit, wo er sich unglücklich fühlt, wenn Andere ihm nichts sein wollen, und wieder eine andere, wo es ihm Bedürfniß ist, der Welt etwas zu sein. Du hast den Weg bis dahin natürlich und gut vollendet; ich gebe Dich mit frohem Muth der Welt; und verlasse Dich, weil Du es werth bist, allein zu stehen.« – Dieses, und noch manches andere fällt mir ein, so oft ich den Hügel ersteige, und ich liebe diese Erinnerungen. – O! ich begreife wohl Deine Absicht, Theurer! Du sahest meine Anhänglichkeit an Dich, meine feurige Bewundrung Deiner seltnen Eigenschaften, und Du fürchtetest, meine Eigenthümlichkeit könnte bei diesen Empfindungen leiden, das Lebendige, Wahre in mir könnte zu einer künstlichen, nachgeahmten Tugend herabsinken, die immer unfruchtbar bleibt, so vortrefflich auch ihr Vorbild sein mag. Deshalb hättest Du mich verlassen, auch wenn keine andre Geschäfte Deine Gegenwart verlangt hätten. Aber Dein Bild wird nie aus meinen Gedanken weichen, und in den Stunden des Unmuths, wie in Stunden der Weihe, wird es, wie ein freundlicher Genius, tröstend oder theilnehmend vor meiner Seele schweben. Ja, Du hast mich der Welt gegeben, ein heitres gutgebildetes Wesen, stehe ich vor ihr, und blicke mit Lust in die weite, lebensvolle Sphäre hin, wo auch ich mit wirken soll und will. Eindrücke aller Art strömen mit Macht an mein Herz, und ich brenne vor Verlangen, dem Ganzen, durch Wort und That, das wieder zu geben, was es so wohlthuend in mir erweckte. Ich kann Dir nicht beschreiben, Barton, wie sehr mich ein frohes Selbstgefühl zuweilen emporhebt, und glücklich macht. So war ich am gestrigen Abend in einer Gesellschaft junger Männer, die sich versammelt hatten, um fröhlich zu seyn. Wir hatten Musik, tranken, und die herrschende Idee eines Jeden mahlte sich bald lebendiger und stärker im freien Gespräch. Barton! hier fühlte ich recht meinen Werth; ich fühlte mich voll Kraft, reich an Erfindung eine ganze Welt zu beglücken, stark an Entschließung, trotz allen Verhältnissen, der Natur getreu zu leben. Ich sah um mich her – die meisten schienen mir kraftlos, künstlich, verstimmt – nicht Einer, der sich zu meinen Gefühlen hätte emporheben können. Mitleid und Stolz bestürmten mich wechselsweise so sehr, daß ich es nicht aushalten konnte. Hinaus in die freundliche Abendwelt lief ich, und an den einsamen Ufern des Stroms, wo nur die Abendwinde mit geistigen Stimmen mich umsäuselten, fand ich mich inniger, glücklicher wieder. Ich sank auf die Kniee und küßte die Blumen und die Erde, im Gefühl einer namenlosen Liebe. – O! was sind alle Genüsse der Sinne gegen das Entzücken eines solchen Augenblicks! – ein dumpfes, unterbrochenes Geräusch störte meine Begeisterung. Es kam aus dem Wasser, und ich entdeckte bald durch die Gesträuche etwas Lebendiges in dem Strom. Ein Knabe war es, der noch spät am Ufer geangelt hatte, und unvorsichtig in die Fluth hinabgegleitet war. Er kämpfte noch matt gegen die Wellen. Ich sprang sogleich hinein, und brachte ihn, ohne Gefahr, leicht und glücklich ans Ufer. Seine Besinnung kehrte nach einiger Mühe bald zurück, und ich führte ihn zu seinen, um ihn besorgten, Aeltern, deren Wohnung er mir beschrieb. Das Kind hatte ein bedeutendes Gesicht, und selbst die Keckheit, womit er sich heimlich an den Fluß geschlichen hatte, gefiel mir; es freute mich doppelt, ihn gerettet zu haben. Hierauf gieng ich zurück an den Strom, entkleidete mich, und tauchte von neuem in die lauen Fluthen. Der gewölbte Himmel mit Mond und allen leuchtenden Sternen stand in unermeßlicher Tiefe unter mir im Wasser. Ich durchkreuzte die Fluren des Himmels und verwirrte der Sterne ewige Bahnen. Ueber mir, unter mir und in mir war Himmel.

Ein einziges thut mir weh, Barton! daß sich mein Vater so lange von mir trennt, daß ich in manchen Augenblicken nicht zu ihm eilen kann, zu ihm, dem ich mein ganzes Glück verdanke, und dem mein Anblick gewiß belohnend sein müßte. -Jetzt erst fange ich an zu begreifen, wie er auf mich gewirkt hat. In vielem, wo ich sonst nur das planlose Spiel des Zufalls fand, ahne ich jetzt die wohlthätige Einwirkung eines vernünftigen heitern Geistes, der die Umstände gerade so für mich zusammenreihte. Mein Vater hielt mir nie langweilige Vorstellungen meiner Lebenspflichten, die nur den Verstand berühren und das Herz unbewegt lassen; nur durch lebendige Eindrücke suchte er mich zu bilden, und so blieb die Eigen-thümlichkeit und Freiheit meines Gemüths ungekränkt. Wenn ich in die Zeiten meiner Kindheit zurückgehe, wie eine lachende Welt mich, von der Wiege an, umfing, und alles einen Quell von Lebenslust in meine Brust senkte, der wie ich hoffe, unversiegbar sein wird. – Selbst das Zimmer, worin ich lebte, der erste Schauplatz meiner Erfahrungen und meiner Spiele, hat ein angenehmes Bild von Harmonie und Fröhlichkeit in mir zurückgelassen, und ich weiß noch ganz genau, welche Farben, welche Gemälde es zierten, welche Aussicht es gewährte. Mein Auge gewöhnte sich an heitre, liebliche Formen, und mein kindisches Herz war mit unsichtbarer Gewalt an das Schöne gebunden; ich unterließ das Schlechte, nicht weil es böse, sondern weil es häßlich war. So ward die Sinnlichkeit zuerst in mir gebildet, und mir eine Freundin an ihr erzogen, bis ich älter ward, und mein Verstand erwachte. Von dem glücklichen Wahn erfüllt, daß man Alles lernen, Alles begreifen könne, war ich unermüdet in Fragen, und vielleicht ward meine Wißbegierde noch geflissentlich gereizt. So lernte ich Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte, mit immer neuer Lust und dankbarem Gefühl, und der Baum der Erkenntniß trug mir nur süße Früchte, bis ein reiferes Alter mir durch das Gefühl meines beschränkten Wissens auch die bittern darreichte. Aber jetzt brach ein neues Leben für mich an. Mein Vater, hieß es, müßte eine Reise in verschiedene Gegenden Europa's thun, und ich sollte ihn begleiten. Das heitre Bild menschlicher Thätigkeit wuchs vor meinen Augen immer mehr, wie der Raum um mich her. Unter der Menge neuer, lebendiger Vorstellungen verlohr ich das Andenken an mich selbst; meine erwachende Phantasie umgab die Natur mit einem ätherischen Schimmer; die Strahlen der Kunst berührten meine Seele mit heiliger Ahnung, und eine Welt von neuen Gestalten bildete sich in meinem Busen aus. Ich dachte nur so viel als gerade nöthig war, um meine Genüsse schöner und an ziehender zu machen, und so genoß ich Glücklicher! alle Freuden der Jugend, von Phantasie, Gefühl und Geschmack zu Allem begleitet, und nur dann verlohren sie ihren Reiz für mich, wenn die Grazien sich von ihnen weggewandt hatten. – – Freylich bin ich stolz geworden. Diesen Nacken hat noch kein Unglück gebeugt, immer hat ein günstiger Zufall mir, wenn ich sorgen wollte, die Hand geboten, und selten habe ich einen Wunsch verfehlt. Ja, ich traue mir Kraft genug zu, die Gewährung meiner Wünsche, so hoch sie fliegen mögen, der Welt abzuzwingen, und von dem Schicksal die Erfüllung meines Berufes zum Glück zu fordern. Aber Barton, mein Gefühl ist lebendig und gut; es giebt Menschen, die ich hasse, aber ich könnte sie dennoch beglücken, stände es in meiner Macht; und selbst die, welche ich verachten muß, bedaure ich zugleich. Meine Leidenschaften sind heftig, ich weiß es, aber sie brechen sich in sanfte Farben, wie Regentropfen im Sonnenstral, vor dem allmächtigen Schönheitssinn, der mein ganzes Wesen durchdringt und emporhebt. – Und ist nicht dieser Sinn, wenn wir frei genug denken, ihn aufs Ganze zu verbreiten, das größte, heiligste in uns? – wie weit erhebt er uns über eine engherzige Sinnlichkeit! Diese zieht nur einen kleinen Zirkel um uns, wählt wankelmüthig bald dies, bald jenes, und selbst das höchste Interesse, das sie an Andere binden kann, wird durch den Tod zerrissen. Aber jenes Gefühl, dessen heilige Rührung durch die ganze Gattung gefühlt wird, durch welches eine wahrhaft schöne Handlung, eine große Empfindung, die vor Jahrhunderten verübt oder gefühlt ward, und auf unser persönliches Wohl oder Weh keinen Einfluß hat, Thränen des reinsten Wohlgefallens in unser Auge lockt – dies Gefühl entstand mit der Menschheit, erhielt sich und dauert fort.

Du siehst, mein Lieber, daß ich Deine Auffoderung, Dir viel, und viel von mir selbst zu schreiben, treulich in Erfüllung setze. Ich habe jetzt mehr als je über mich nachgedacht, und ich hoffe, dies soll nicht ohne Nutzen gewesen seyn. Ja, Barton, ich erwarte viel von mir selbst. In dieser jugendlichen Freudigkeit gedeihen gute Entschlüsse, und die Kräfte, die ich in mir fühle, sollen eine wohlthätige Erscheinung werden, und die Fackel der Thätigkeit auch in fremden Gemüthern anzünden. Das handelnde Leben, ohne welches die edelsten Gesinnungen unfruchtbar bleiben, und alle Kraft des Gedankens verschwindet, reizt mein Verlangen, und ich brenne vor Sehnsucht mein eignes Wesen, in Wort und That, wieder zu finden.

Leb wohl, mein Freund, und laß mich bald von Dir hören.

3. Eduard an Barton

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Liegt es in meiner gegenwärtigen Stimmung, oder ist es ein besondrer Reiz dieser Gegend, was mir diese Stadt so angenehm macht, daß ich sie ungern verlassen würde, auch dann, wenn mir der nähere Umgang des vortrefflichen Mannes, dem ich empfohlen bin, nicht so viel wahren Vortheil gewährte, als er wirklich thut? – Ich denke mir oft, hier sollte ich eigentlich gebohren sein, und lebhaft sehnte ich mich schon sonst in diese Gegend, gleichsam als wären Theile in mir, die hier erst ihr wahres Vaterland finden würden. Und so viel ist gewiß – bin ich gleich nicht unter dem Einfluß dieses schöneren südlichen Himmels gebohren, so wird doch vieles hier in mir erzeugt, was mir ein neues schöneres Daseyn gewährt. Ein unbeschreibliches glückliches Gefühl steht mit mir auf, winkt mir ins Freie, belebt mir jede Ansicht. Blühende Mandelbäume, schmeichelnde Lüfte, muntre Vögel, die in den zarten Schatten des sprossenden Gesträuchs frölich umher hüpfen, alles, alles erhebt mein Herz mit freudiger Ahnung. Viele Stunden, die nicht ernstere Beschäftigungen einnehmen, weihe ich der Musik. Die Mitternacht findet mich oft im Genuß dieser bezauberten Welt, und kaum bin ich des Morgens wach, so tragen mich die lockenden Töne bald wieder in ihr geheimnißvolles Vaterland hin.

Vor einigen Wochen ist Nanette Sensy hier angekommen. Sie hatte meine Wohnung bald erfahren, und kam, anstatt mich zu sich rufen zu lassen, selbst zu mir. Wir waren seit mehrern Jahren getrennt, und unser Wiedersehen war so fröhlich, herzlich, so kindlich, als Du Dir nur denken magst. Erinnerungen an das väterliche Haus, an unsere Jugendspiele, und ein lustiges Verwundern über jede kleine Veränderung, die wir gegenseitig an uns bemerkten, erfüllten die ersten Stunden, und seitdem vergeht kein Tag, wo wir nicht, allein oder in Gesellschaft, zusammen sind. Ich finde sie sehr liebenswürdig, und es ist mir herzlich wohl bei ihr. Sie ist jetzt Witwe und ist, wo möglich, noch heitrer, muthwilliger, unbefangner geworden, als sie vor ihrer Verheirathung war. Es leben hier in der Nähe mehrere ihrer Verwandten, und da ihr die Gegend gefällt, so gedenkt sie lange hier zu bleiben.

Gestern hatten wir ganz in der Frühe, noch mit einigen Andern, eine Wallfahrt nach einem ziemlich fern gelegenen Dorfe gethan, dessen Lage uns sehr romantisch beschrieben wurde, und es auch wirklich war. Nanette war sehr ermüdet, als wir zurückkamen und wollte die noch übrigen Stunden des Tages allein sein. Ich hingegen fühlte mich noch sehr munter, und da der Abend schön war, ließ ich mein Pferd satteln und suchte das Freie. Sehnsucht nach menschlichem Anblick lockte mich auf die Landstraße, wo ich in jeden Wagen, der mir begegnete, neugierig hinein sah und mich damit belustigte, aus dem Aussehen der Reisenden auf ihren Stand, Gewerbe, Charakter und Vorhaben zu schließen. In dem letzten, den ich sah – denn für die folgenden hatte ich kein Auge mehr – schlummerte in einer Ecke des Wagens eine unbeschreiblich schöne, weibliche Gestalt. Du weißt, wie mich Schönheit, wenn und wo ich sie auch finde, unwiderstehlich anzieht, – wie mußte sie in diesem Moment auf mich wirken, da sie mich so empfänglich gegen jeden Eindruck fand! – Ich wandte um, der Wagen fuhr langsam, und ich hatte Zeit, sie ruhig zu betrachten. Der Schlaf goß eine liebliche Unbestimmtheit über die schönen Züge, in denen kein herrschender Ausdruck sichtbar war, und mich dünkt, ein wahrhaft schönes Gesicht dürfe auch nie einen andern Ausdruck haben, als den, einer reinen Harmonie, welchen es von der Natur empfängt. – Die schöne Schläferin erwachte endlich, und nun fielen meine Blicke auch auf ihre Begleitung, auf die ich zuvor gar nicht geachtet hatte. Es war ein bejahrter Mann, mit einem sehr bedeutenden Gesicht, welches wunderbar anziehend und zurückstoßend war. Ein leichter Gram schien um die Augen zu schweben, und flößte Theilnahme ein, doch ein kaltes verächtliches Lächeln bewachte den Mund und zerstörte schnell jenen Eindruck wieder. Die Stirne zeigte Hoheit und das Auge schien geübt, in fremden Seelen zu lesen. Ich sah bald daß meine Blicke ihm lästig waren, und fühlte selbst das Unschickliche derselben. Ich nahm nun einen andern Weg, und träumte noch viel über die beiden. Nie schienen mir zwei Geschöpfe sich so unähnlich zu sein, wie diese, und der Gedanke daß sie wol auf irgend eine Art zusammen gehören möchten, machte mich beynah traurig. Aber der holde Eindruck des Schönen beherrschte mich bald wieder rein und ungetheilt. – Schönheit gleicht dem Genie; sie ist freie Gabe der Götter, und als solche hat der Wille der Menschen keinen Theil daran. Was selbst erworbner Reiz des Betragens langsam hervorbringt, ist bei ihr das Werk eines Augenblicks: die angenehme Rührung, welche mein Herz bewegte, goß einen höhern Reiz über die ganze Natur um mich her. Der Glanz der Abendsonne schien mit überirdischer Klarheit auf den Baumwipfeln zu ruhen – der Rheinstrom und die romantische Ferne, die einsamen Höhen und der frische duftige Wiesengrund mit dem lebendigen Gewühl von Menschen und Thieren – das zarte Laub, das, kaum entfaltet, freudig im Abendwind flüsterte.-Alles schien verklärt, harmonisch, ahnungsvoll. – O! ich bin so glücklich, mein Freund! – Mein einziger Wunsch ist, daß ich tausend Leben haben, tausend Formen beleben, alle Verhältnisse durchirren, alle mögliche frohe Empfindungen fühlen könnte, und meine einzige Sorge, daß irgend eine Fähigkeit ungeweckt in meiner Seele schlummern, irgend eine Freude ungefühlt vor mir vorüber rauschen möchte!

4. Amanda an Julien

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Dein Brief hat mich angenehm gerührt. Du schilderst mir Deine Lage so gefühlvoll, Du bist so harmonisch mit Dir und Deiner Welt, Deine folgsame Phantasie führt Dich nicht über Deinen Kreis hinaus, und haucht nur ein blühenderes Kolorit über die Bilder des gewöhnlichen Lebens. Wie glücklich bist Du, meine Julie! – komm zu mir und lehre mich in meiner Lage zu sein, was Du in der Deinigen bist. Dein Anblick wird die stillen Bilder unserer frühen Jugend an Blumenketten der Erinnerung vor meine Seele führen, und meine gespannte Stimmung wohlthätig mildern. – Wenn wir uns allein fühlen, mag sich dann der lieblichste Sonnenschein in goldnen Wellen über die Gegend ergießen; ein gleichgültiger Tag nach dem andern vergeht, und die Freude wird Wehmuth für den, der sie nicht theilen kann. Und ich bin allein! allein in der lebendigsten Natur, über deren fröhlichste Bilder dies Gefühl einen schwermüthigen Schleier zieht. Diese duftenden Lauben wollen ein liebendes Gespräch, diese reizenden Irrgänge wollen eine Bedeutung. – Ach! vielleicht trennt nur ein blühendes Gebüsch, ein leichter Pfad den Gegenstand von mir, der es würdig wäre, meine Gefühle zu theilen! vielleicht wandelt auch er allein, mit dem schönen, unbefriedigten Herzen, erstaunt, die todte Natur so lebendig, und die lebendige Welt so todt zu finden! Er weiß es nicht, daß die, welche einzig ihn verstehen kann, so nahe bei ihm ist; er flieht das Glück, das er sucht – ein schadenfroher Dämon führt ihn ewig bei mir vorbei!

Du lächelst über meine Schwärmereien, Julie, aber laß mir sie, die allein mir Bürge sind, daß ich noch glücklich sein kann. Glücklich ist der Mensch nur in seinem Gefühl. Er kann zufrieden sein, mit sich, mit der Welt, durch Vernunft, durch reine Würdigung der Dinge – aber jene göttlichen Momente, wo der schöne Eindruck nur Bilder und keine Begriffe in uns erweckt, jene Augenblicke voll Unendlichkeit die wir undeutlich nennen, weil die Sprache für sie zu arm ist – diese liegen nur in unserm Gefühl. Zu lange, o! zu lange hat mein Sinn an den Reizen einer zufälligen Umgebung gehangen, zu lange habe ich unter den Freuden des Lebens mit kalter Ueberlegung gewählt, ich möchte nicht mehr wählen, ich möchte hingerissen sein. Die Seligkeit, die in dem Tausch der Seelen, in dem Gedanken liegt, die Welt in einem fremden Herzen schöner zu genießen, diese süße Trunkenheit der Gefühle, warum versagt sie mir das Schicksal, nur mir allein? – In früher Jugend stand das Bild eines solchen Glücks lebhaft vor meiner Seele; Jahre lang schien es verschwunden zu sein, aber jetzt stellen Einsamkeit und Phantasie es mir mit neuen Reizen dar. Soll ich sterben, ohne je geliebt zu haben? und habe ich dies Glück nicht durch eigene Schuld verscherzt? – Wenn dies so ist, Julie, so werde ich ewig über mein Geschick trauern müssen, ohne deshalb unzufrieden mit mir selbst sein zu können, denn die Gründe meiner Handlungen konnten irrig sein, aber unrecht waren sie nicht. – Damals als ich mit Albret bekannt wurde, warst Du nicht bei mir, und ich glaube daß ich jene Tage mit Recht für den Zeitpunkt halten kann, wo Du in Deinem ganzen Leben den wenigsten Antheil an mir genommen hast. Es war unsre erste Trennung. Du reis'test mit Deinem jungen, kaum zum Gatten gewordnen, Liebhaber nach Deinem neuen Wohnorte, und natürlich daß Dir da im ersten süßen Rausch einer ganz aus Liebe geschloßnen Verbindung, wohl wenig Zeit, an Deine Freundin zu denken, übrig blieb. Es hat mir, die gerade in diesen Momenten fester an Dir hing, als je, manche Thräne gekostet; desto erfreulicher ist mir jetzt der Gedanke, daß eine Zuneigung, welche dieser Klippe, der gefährlichsten, die weiblicher Freundschaft drohet, zu trotzen wußte, auf der ganzen Reise des Lebens keinen Schiffbruch mehr zu besorgen hat. Ich blieb allein, und bemerkte zum erstenmal, nicht ohne Befremdung, daß unsre Denkungsart nichts weniger als gleichförmig sei. Ich dachte mir Dich als unaussprechlich glücklich, und grämte mich recht sehr, daß ich es auf Deinem Wege nicht sein und nie werden zu können glaubte. Ich hielt Dich für besser, weil Du glücklicher warest, und glaubte fast, ich verdiene von Dir vergessen zu sein. Unser gemeinschaftlicher Freund, der redliche Brenda, besuchte mich oft, und suchte mir Deine Abwesenheit vergessen zu machen, aber es wollte ihm nie recht gelingen. Er schien sich immer fester an mich zu ketten, und auch ich glaubte Neigung für ihn zu fühlen, – vielleicht nur, weil Du mir gesagt hattest, daß Du es wünschtest. Aber diese Neigung erfüllte mein Herz nicht so sehr, daß darinnen nicht tausend Phantasieen noch Raum gefunden hätten. Es war mir süß, wenn ich an die Zukunft dachte, wie Kinder bei halbgeschloßnen Augen, eine Menge rosiger, goldner, verworrner Gestalten vor mir hinschweben zu sehen. Ich konnte mir das Leben unmöglich wie einen geraden, offnen Weg denken, wo man schon beim Eintritt das Ende übersehen kann; vielmehr liebte ich mir einen, verschlungenen seltsamen Pfad voll romantischer Stellen und wechselnden Lichts zu träumen. Unser Freund, das wußte ich, war für diese Ideen nicht gestimmt, sie betrübten ihn sogar und verursachten manches Mißverständniß zwischen uns; demohngeachtet blieb er der einzige Gegenstand meiner jugendlichen Anhänglichkeit. – Jetzt kam Albret in unsre Stadt. Sein erster Anblick machte einen tiefen aber unangenehmen Eindruck auf mich. Zwar konnte er, obgleich nicht mehr jung, mit allem Recht auf den Namen eines schönen Mannes Anspruch machen, aber in seinen Zügen war etwas so zerstörtes, gewaltsames, willkührliches, das allen den sanften fröhlichen Bildern, die ich mir von Liebe und Lebensgenuß gezeichnet hatte, grausam Hohn zu sprechen schien. Mein Vater hatte viel Geschäfte für ihn zu besorgen, er sagte mir, daß er ihn schon ehedem, auf Reisen an verschiednen Orten kennen gelernt hätte, und hegte von seinem Charakter eine eben so hohe Meinung, wie von seinen Reichthümern. Ich sah ihn oft, und lernte ihn nie kennen; denn er hatte in seinem Wesen etwas so entfernendes, willkührliches und planmäßiges, daß es mir nicht möglich war, etwas anders, als daß er unergründlich sei, von ihm zu wissen. Indessen übte die Reife seiner Urtheile, und die Sicherheit, der Gleichmuth seines Betragens über meinen Verstand eine stille Gewalt aus, ohne daß die Kluft, welche die Verschiedenheit unserer Gefühle zwischen uns legte, dadurch ausgefüllt worden wäre. – In jener Zeit sah ich meinen Vater von einer, mir unbekannten Unruhe gequält; sein Betragen gegen mich ward weicher und zärtlicher als je, und wenn er mich betrachtete, traten ihm oft die Thränen in die Augen. Einst kam er zu mir – ich sehe es noch, wie er vor mir stand – die ganze ehrwürdige, alternde Gestalt, Ausdruck des Kummers, und der schöne Zug reiner Güte in seinem Gesicht, mit Rührung und Unruhe vermischt. – »Mein Kind, sagte er, Unglücksfälle haben unser kleines Glück vernichtet; mein Vermögen ist verlohren, und auch selbst dies kleine Eigenthum, worinnen wir bis jetzt frei und zufrieden lebten, müssen wir verlassen. Ich zittre nicht für die wenigen Tage, die ich noch zu durchleben habe, aber dein Schicksal bricht mir das Herz. Die Umstände vergönnten mir nicht, dir eine Erziehung zu geben, welche die, in dir vielleicht schlummernden Talente hätte gehörig entwickeln können, damit du jetzt in ihrer Ausbildung Mittel zu einem leichten und anständigen Unterhalt finden möchtest. Aber du lebtest bis jetzt in freien, sorgenlosen Verhältnissen, und dein eignes Wesen ist mehr für Freiheit als Dienstschaft gemacht; du giebst lieber als du empfängst, und du kannst nur glücklich sein, wenn es in deiner Macht steht, glücklich zu machen. Was sollen dir diese Eigenschaften, die dein Schmuck sein würden, wenn du reich wärest, in deiner nunmehrigen Lage? wie wirst du, armes Kind, nun die Dienstbarkeit, das Eingeschränkte, Kümmerliche ertragen können?« – Ich war betroffen, denn ich hatte, leichtgesinnt wie eine freie, unverkümmerte Jugend immer ist, nie an die Quellen meines sorgenfreien Lebens und also auch nie an ihre Versiechung gedacht, und fühlte jetzt mit Erröthen, daß ich wirklich sogleich kein Mittel wußte, die Sorge für meine Erhaltung selbst zu übernehmen. Indessen kam mir das alles nicht so grausend vor, wie meinem Vater, und tröstend sagte ich ihm: Nein! bester Vater, wir werden nicht ganz unglücklich sein! es werden mir Mittel einfallen, ich werde Aussichten finden – – Es hat sich eine gefunden, sprach er wieder, und wenn es dir möglich ist, dieser zu folgen, so bittet dich dein Vater, thue es! Albret verlangt deine Hand; er wird dir ein heitres, genußvolles Leben, deinem Vater ein sichres, sorgenfreies Auskommen verschaffen. Du wirst von Einem Menschen abhängen, aber in übrigen frei sein. Bedenke, wie selten Liebe allein eine ehliche Verbindung schließt, wie selten vorzüglich ein Weib in ihrer abhängigen Lage darauf Anspruch machen kann! bedenke, daß du Bedürfnisse und Wünsche hast, welche ein freies, nicht von ängstlichen Sorgen bekümmertes Leben verlangen, und daß jene Freiheit, welche uns in den Stand setzt, den äussern Verhältnissen, mehr und mehr eine selbstbeliebige Form zu geben, am leichtesten durch Reichthum erreicht wird. Ich verlasse dich jetzt; aber Albret verlangt schnelle und entscheidende Antwort; bedenke daß die Ruhe deines Vaters davon abhängt.

Und so, Julie – denn mein Herz wiederstand dem bittenden Vater nicht, und ich hielt es für verdienstlich das dunkle, traurige Gesicht zu überwinden, welches mich von dieser Verbindung zurückzuziehen schien – ward ich in wenig Tagen Albrets Gattin, denn er verlangte die schnelle Vollziehung unsrer Verbindung mit einem Eifer, den ich für wahre herzliche Liebe zu mir nahm. – Ach! dies war es nicht! ganz andre Wünsche, andre Zwecke fesselten ihn an ferne, mir unbekannte Gegenstände und zogen ihn in andre Gegenden, und unsre Verheirathung ward nur darum so beschleunigt, damit er sogleich nach seinen, bei Florenz gelegnen Gütern reisen konnte, wohin ihn ein heftiges Verlangen trieb. Die allen meinen Wünschen zuvorkommende Artigkeit meines Gatten, tröstete mich anfangs über den Mangel an Vertrauen und Herzlichkeit, welchen ich nur allzubald fühlte, und ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, ihm durch mein Betragen sein Zutrauen abzugewinnen und selbst an seinem Wesen, vielleicht manches umändern zu können – und erst dann, als ich wahrgenommen, daß er mich zu wenig achtete, um mir seine Geheimnisse mitzutheilen, ja, daß er mich oft als Mittel zu mir unbekannter Absichten brauchte, ist diese Hofnung gänzlich von mir gewichen. Bald nach unsrer Trauung ward mein Vater gefährlich krank, und ich bemerkte mit tiefem Schmerz, daß Albrets Bekümmerniß, mehr dem Verdruß, unsre Reise verzögert zu sehn, als dem Antheil an dem geliebten Alten zuzuschreiben war.

Er starb, der zärtlichste der Väter, dem in der liebenden Brust seines Kindes, ein stilles aber unvergängliches Denkmal seiner Herzensgüte und seiner Liebe zurückgeblieben ist. – Mit aller Mühe konnte ich Albrets Einwilligung zu einer Reise zu Dir nicht erlangen, und nur daß er selbst sich gezwungen sah, noch einige nothwendige Geschäfte abzuthun, bestimmten ihn endlich dazu. Da kam ich zu Dir, meine Julie, mit allen meinen Leiden, meinen Sorgen, meinem Wahn und meinen Hoffnungen. Unsre Herzen fanden sich bald wieder; Deine heitre Stimmung theilte sich mir unvermerkt wieder mit, und Deine ruhige Vorstellungsweise half mir an meiner Lage manche neue, angenehme Seite entdecken. Doch gestehe ich Dir auch, Julie, daß ich Dich oft beneidete, wenn ich Dich traulich an der Seite eines Mannes sah, mit dem Dich nur Neigung verbunden hatte. Eure Thorheiten kamen mir zuweilen belachenswerth vor, ich schalt Dich damals oft, wegen Deiner gänzlichen Hingebung, der sorglosen Nachlässigkeit Deines Betragens, aber ich fand Dich glücklich. In euren kleinen Zänkereien selbst, die oft entstanden, weil ihr euch einander ganz ohne allen Schein, alle Verstellung zeigtet, lag etwas, das mit gefiel. Die Erinnerung an eure Liebe vereinigte euch bald von neuem, und die stille Harmonie eurer Herzen hielt das Band fest, das Leichtsinn und Laune umsonst zu zerreissen drohten. Vielleicht verschönerte sich Dein Glück in meiner Phantasie, aber ich gestehe dies, so oft ich daran dachte, ward ich traurig, und fühlte es mit schmerzlicher Lebhaftigkeit, daß Harmonie sich nicht erkünsteln läßt.

Diese bei Dir verlebte Zeit hatte mir jedoch dazu verholfen, daß ich die Reise nach Florenz nun mit neuem Muth und neuer Lebenslust antreten konnte. Der Schmerz über den Verlust meines Vaters war gemildert; vorige Träume und Wünsche kehrten zurück, und die Phantasie stellte meinem neu auflebenden, ahnungsvollen Herzen in die Ferne manches reizende Gemälde hin. Mit Vergnügen erinnere ich mich noch jetzt der ersten Tage unsrer Reise. Der volle Farbenschimmer des Herbstes war über die Gegend verbreitet, kleine Büsche wallten goldnen Locken ähnlich, die Hügel hinab; weisse Gewebe flogen über den Boden, und der Himmel war in zarte silberne Dünste gehüllt. Nie bin ich heitrer gewesen, als da, habe nie freier, jugendlicher gefühlt, nie der Tage, die mich erwarteten, mit froherer Zuversicht entgegen gesehn. An den Gedanken, die Welt zu sehen, knüpfte sich alles, was Phantasie, Hang zum Vergnügen und Verlangen nach reiferen Begriffen sich nur wunderbares, liebliches und belehrendes zu denken vermögen.

Doch so blieb es nicht lange. Ich dachte oft an Dich, meine gute Julie, und nie hab' ich Dich schmerzlicher vermißt, nie hat mir ein theilnehmendes Herz so sehr gefehlt, als wenn wir durch neue bezaubernde Gegenden kamen – Gegenden, bei denen ich, obgleich an die liebliche Hoheit meiner vaterländischen Ansichten gewöhnt, in ein tiefes, wonnevolles Staunen gerieth – und Albret bei allem ganz kalt blieb, und meine Entzückungen beinah verächtlich belächelte. Immer schien sein Sinn mit Ungeduld in die Zukunft zu streben; die meiste Zeit war er still und in sich gekehrt, und nie gieng ihm die Reise schnell genug. Ich suchte alles hervor, was mich über sein Betragen trösten konnte, und gewiß habe ich viele frohe, sehr frohe Momente gehabt. Viel jugendliche Träume, viel Wünsche sind mir erfüllt worden, ich war oft glücklich, nur mein Herz war nie hingerissen, nie befriedigt! Und Julie! sollte ich vielleicht diesen Träumen nicht einmal nachhängen? – aber warum erinnert mich denn Alles daran, daß Liebe das höchste Glück des Lebens ist, warum muß ich allenthalben sehn, wie sie die niedrigste Lage veredeln, und der Dürftigkeit und Abgeschiedenheit selbst ein zauberisches, beneidenswerthes Ansehen leiht? – Meine Fenster gehen auf der einen Seite in einen benachbarten Garten, den ein Gärtner mit ein paar jungen Töchtern bewohnt. Die Welt wird wohl nie ihren Namen nennen, niemand als die nächsten Nachbarn kennen sie, ihr Anzug, ihre Beschäftigungen verrathen ihren Mangel an allen Gütern des Glücks, aber die Liebe hat sich ihrer angenommen. Bei frühem Morgen, wenn noch alles schläft, schleicht die eine von ihnen an die Planke, und öfnet leise die Thüre. Unruhig erwartend geht sie auf und ab, und fährt bei jedem Geräusch zusammen, das der Morgenwind an der halbofnen Thüre macht. Bald erscheint ein junger wohlgebildeter Mann, sie hüpft ihm entgegen – sie sind so jugendlich, so froh, und sie genießt in diesen Augenblicken die reichste Entschädigung für alles, was ihr die Laune des Glücks versagte! ich gestehe Dir, daß ich ihre frohen Unterhaltungen schon öfter mit dem höchsten Interesse belauscht habe – doch hinter der Jalousie, damit mein Anblick ihre Freude nicht störte.

5. Amanda an Julien

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