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Martina Hoblitz

Nur eine schwache Stunde


Wie unschwer zu erkennen, hab ich mich ein wenig von den beliebten Internatsgeschichten wie "Hanni und Nanni" etc. beeinflussen lassen. Als junges Mädchen hab ich diese Geschichten regelrecht verschlungen.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

NUR EINE SCHWACHE STUNDE

 

 

von Martina Hoblitz

 

 

 

Kapitel 1




Das vornehme Mädchenpensionat <Felsenburg> wirkte von weitem tatsächlich wie eine trutzige Ritterfestung aus dem Mittelalter. – Als Kerstin Brockmann mit ihrem kleinen, bis unters Dach voll gepackten Auto vorfuhr, fühlte sie sich wie in alte Zeiten zurück versetzt. Irgendwie erwartete man das Auftauchen eines steifen Butlers und einer alten Gräfin.

 

Was die alte Dame betraf, lag man da nicht einmal so falsch. Die Direktorin, Gertrud von Rotbusch, stammte aus einer uralten Adelsfamilie. Doch dieser Zweig war total verarmt, und der Titel zählte schon lange nichts mehr. – Trotzdem beharrte die Frau auf dem <von> im Namen; rein aus Prinzip.

 

Doch sie war gar nicht so streng und verknöchert, wie es auf den 1.Anschein wirkte. – Bei ihrem Vorstellungsgespräch konnte Kerstin erleichtert feststellen, dass die Direktorin recht moderne Ansichten vertrat, was die Erziehung junger Mädchen betraf. Und sie kannte tatsächlich keine Standesdünkel! Die Tochter des Bankdirektors wurde genauso behandelt wie die Tochter des Bäckers. Auch Titel und Vermögen halfen den Mädchen nicht bei schlechtem Betragen oder schlechten Noten. ---


Nun unterrichtete Kerstin 2 Fächer, die bei den meisten Schülern ziemlich beliebt waren. Während der Deutschstunden hatte sie nie irgendwelche Schwierigkeiten gehabt, und der Kunstunterricht lief quasi so nebenbei. Überhaupt wäre sie gern an der Schule geblieben, wo sie über 5 Jahre tätig gewesen war. Obwohl es sich dabei um ein streng katholisches Gymnasium (einem Kloster angegliedert) handelte.

 

Doch gerade das wurde für Kerstin zum Problem, als sie sich vor einem Jahr von Frank scheiden ließ. Scheidung und katholische Kirche, das ging einfach nicht zusammen! Aber nur wegen des Jobs mit Frank zusammen bleiben, ging auch nicht. Zumal die Neue schon in den Startlöchern stand.

 

Es war eine einvernehmliche Scheidung, aber das machte die Sache für den Schulträger auch nicht besser. Geschieden war halt geschieden, und Kerstin hatte auch keine Lust auf einen langen Behördenkrieg. – Sinnigerweise war ihr Ex-Mann Rechtsanwalt und riet ihr vehement davon ab. ---


Allerdings hätte sie auch nie gedacht, dass es so schwer werden würde, eine neue Anstellung zu finden. Obschon sie nun sehr darauf achtete, eine Schule in freier Trägerschaft zu finden. Bloß keine kirchliche Einrichtung mehr! –

 

Über das Arbeitsamt erhielt sie dann das Angebot vom Internat <Felsenburg>. Die einzige Bedingung, die gestellt wurde, erfüllte Kerstin in vollem Umfang: sie sollte lediglich weiblichen Geschlechtes sein! ---

Das Einstellungsgespräch mit der Direktorin gestaltete sich für Kerstin sehr aufschlussreich. Zunächst erklärte die ältere Dame, warum sie auf einen rein weiblichen Lehrkörper bestand. Alle männlichen Lehrer, die sie bisher hatten, konnten irgendwann der Versuchung nicht mehr widerstehen und erlagen den Reizen der Schülerinnen. – Fr.v.Rotbusch betonte, sie hätte keinesfalls etwas gegen zwischenmenschliche Beziehungen, aber schließlich war der Großteil ihrer Zöglinge noch minderjährig, und das ging ja nun gar nicht!

 

Kerstin amüsierte sich insgeheim über die Bezeichnung <zwischenmenschliche Beziehungen>. Bei aller Aufgeschlossenheit kam der guten Dame das Wort <Sex> wohl doch nicht über die Lippen. – In diesem Zusammenhang stellte sie die Frage nach dem Aufklärungsunterricht und erhielt die Auskunft, das wäre schon durch die Biologielehrerin Fr.Kornbach geschehen. Nun war Kerstin sehr gespannt darauf, diese Dame kennen zu lernen.

 

Schließlich wagte sie noch den Vorstoß, die Direktorin auf eine andere Gefahr hinzuweisen. Mutig meinte sie: „Fr.v.Rotbusch, wenn der Lehrkörper nur aus Frauen besteht, haben Sie auch bedacht, dass es so etwas wie lesbische Beziehungen gibt?“

 

Statt empört zu reagieren, rief die Direktorin wahrhaftig betroffen aus: „Du meine Güte! Daran hab ich wirklich nicht gedacht.“ Dann warf sie Kerstin einen eindringlichen Blick zu. „Haben Sie etwa diese Neigung?“

 

Erschrocken wehrte Kerstin ab: „Um Gottes Willen, nein! – Aber ich muss Ihnen gestehen, dass ich seit einem Jahr geschieden bin.“ – „Das ist mir egal!“ behauptete die Direktorin mit sichtbarer Erleichterung.

 

Vorsichtig erklärte Kerstin: „Nun, das war aber der Hauptgrund, weshalb ich meine vorherige Stellung verloren hab.“

 

Fr.v.Rotbusch hatte währenddessen in den Bewerbungsunterlagen geblättert und nickte nun verständig. „Ah ja, ich lese grad hier, Sie waren vorher an einem katholischen Gymnasium in Trägerschaft eines Nonnenordens.“ – „Ja, einige meiner Kolleginnen waren Schwestern, und das Kloster lag gleich nebenan.“ – „Aha, drum! – Nun, hier bei uns zählt das nicht. Es ist egal, ob Sie Single, verlobt, verheiratet, geschieden, Witwe oder nur liiert sind! Hauptsache, Sie halten einen vernünftigen Unterricht ab und führen die Mädchen zu einem guten Abschluss. – Übrigens ist unsere Schülerzahl absichtlich sehr begrenzt, damit die Klassen nicht so groß sind. Tatsächlich haben Sie je nach Jahrgang nur 12 bis 15 Schülerinnen vor sich.“ – „Das ist sehr gut durchdacht, Frau Direktor!“ lobte Kerstin und war begeistert.

 

Eine so kleine Klasse müsste sie doch mit links meistern können? Da war sie ganz andere Dimensionen gewohnt. –

 

Dann fügte Fr.v.Rotbusch noch hinzu: „Und ich betone Ihnen gegenüber noch einmal: Lassen Sie sich nicht von Vermögen oder Titel beeinflussen! Hier zählt nur die individuelle Leistung der Mädchen. Den Lernschwachen wird geholfen und Talente gefördert. – Ich sehe, Sie unterrichten auch Kunst. Wenn Sie da ein Talent entdecken, immer unterstützen! Wer weiß, was daraus werden kann?!“

 

Kerstin war von diesen modernen Ansichten der Direktorin so überwältigt, dass sie nur stumm, aber zustimmend nicken konnte.



Andrea Färber sah ihrem älteren Bruder Matthias mit großen, ängstlichen Augen dabei zu, wie er ihren Koffer und Rucksack im Kofferraum des altersschwachen Kombis verstaute.

 

„Meinst du wirklich, es ist das Richtige, mich in dieses Internat zu stecken? Warum kann ich denn nicht bei dir bleiben und hier zur Schule gehen?“

 

Matthias seufzte und erklärte mit einem Stirnrunzeln: „Haben wir das nicht lang und breit besprochen? Hier in der Nähe gibt es kein Gymnasium. Und du willst doch Abi machen. Ob du nun jeden Tag kilometerweit fährst oder dich in einem Internat einquartierst, bleibt sich gleich. Wichtig ist mir, dass du nicht allein bist. Und ich bin doch dauernd unterwegs auf Montage.“

 

Andrea schlug unwillig die Arme unter und meinte trotzig: „Es gibt Mädchen in meinem Alter, die haben schon ´ne eigne Wohnung!“ – „Unsinn! Aber nicht mit 16! – Sei vernünftig! Lern fleißig, bau ein gutes Abi, und die ganze Welt steht dir offen!“

 

Er lächelte sie aufmunternd an und schlug den Kofferraum zu. Da löste sie ihre verkrampfte Haltung, lächelte zaghaft zurück und sagte: „In Ordnung! Aber eins musst du mir versprechen! Wenn’s mir da zu grauslig ist, holst du mich auf der Stelle da weg! – Nach den Fotos sieht der Kasten aus wie’n Geisterschloss. Würd mich nicht wundern, wenn’s da spukt.“

 

Da lachte Matthias schallend. „Da hast du ja genug Stoff für deine kleinen Fantasiegeschichten.“

 

Mürrisch entgegnete Andrea: „Mach dich nicht immer lustig über mein Schreiben! – Ich hoffe, ich finde wieder so ´ne nette Deutschlehrerin wie Fr.Meier!“ – „Du wirst es sehn. – Jetzt steig endlich ein, damit wir los kommen! Ich will nicht über die Autobahn rasen, sondern ganz ruhig und gemütlich fahren.“

 

Die Geschwister wechselten einen traurigen Blick. – Vor einem ¾ Jahr waren ihre Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglückt; ihr Vater war ein sehr flotter Fahrer gewesen.


Kerstin war absichtlich einen Tag vor der großen Ankunftshektik im Internat eingetroffen, weil sie sich in Ruhe umsehen und mit den Begebenheiten vertraut machen wollte. – Ihre Kollegin Loretta Janus, Lehrerin für Musik und Sport, aber schon seit 2 Jahren im Internat tätig, dachte ähnlich. Vor allem war sie gespannt auf die neue Kollegin, welche die Direktorin schon angekündigt hatte. Hoffentlich war sie nett und unkompliziert und nicht so ein alter Drachen wie die Kornbach? –


Sie war sehr überrascht, als sie Kerstin bei der Hausmutter traf. Erfreut stellte Loretta fest, dass die Neue wohl ungefähr in ihrem Alter war und scheinbar hatte sie Humor. Gerade als sie zu den beiden trat, lachte sie herzlich über einen Scherz der drallen Babette, die sich über Kerstins superschlanke Figur lustig machte und behauptete, sie würde sie schon aufpäppeln, denn eine hübsche Frau bräuchte auch ein paar weibliche Rundungen.

 

Ungezwungen stellte sich Loretta vor, und während sie sich die Hand reichten, bot Kerstin ihr ebenso ungeniert das Du an. – Schließlich kochte Babette eine Kanne Kaffee und lud die beiden jungen Frauen zu sich in die Küche ein. Sie plauderten zu dritt fröhlich über den Schulalltag.

 

So erfuhr Kerstin, dass außer ihr und Loretta nur noch Frau Franziska Kornbach, die Lehrerin für Mathematik und Biologie im Internat wohnte; alle anderen Lehrkräfte wohnten in der nahen Umgebung und kamen nur zum Unterricht.

 

Dann ließ sich Loretta richtig über die Mathelehrerin aus. „Die olle Kornbach musst du mit Vorsicht genießen! – Rauchst du?“ – „Ab und zu. Nicht regelmäßig.“ – „Schon schlecht. Sie hasst Raucher. Und ich rauch Kette. – Trinkst du?“

 

Kerstin grinste. „Nicht übermäßig. Mal ein Glas Wein oder ein Bier. Je nach Stimmung.“ – „Nicht schlecht. Die Kornbach pichelt sich gern mal einen. Sie glaubt, das weiß keiner. Aber es ist unter Lehrern und Schülern ein offenes Geheimnis.“ – „Was sagt denn die Direx dazu?“ – „Die tut so als bemerkt sie’s nicht. Du hast sicher schon erkannt, wie goldig unser Oberst ist? Glaubt immer an das Gute in allem und jedem. Naja, so richtig übertreiben tut die olle Kronbach auch nie. Kommt nur alle paar Wochen mal vor. Aber wenn’s dann passiert ist, sollte man ihr anderntags tunlichst aus dem Weg gehen. – Gut für die Mädchen, dass es immer nur am Wochenende geschieht, wenn sie nicht unterrichten muss.“ – „Und was machst du so an den Wochenenden? Kann man hier auch raus?“ erkundigte sich Kerstin mit hoch gezogenen Augenbrauen.

 

Da lachte Loretta. „Ist doch kein Gefängnis! Aber zum richtigen Ausgehen braucht’s schon ein Auto. Der nächste Ort, wo was los ist, liegt 35 km entfernt.“ – „Kein Thema! Ich hab eins.“ – „Ich nicht.“ seufzte Loretta neidisch.

 

„Wie bist du denn her gekommen?“ – „Mit Bahn und Bus.“ – „Dann nehm ich dich eben mit!“ erklärte Kerstin schlicht und einfach.

 

„Gleich am kommenden Sonntag?“ fragte Loretta aufgeregt.

 

„Klar! Du musst mir doch zeigen, was hier so los ist.“