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Michael A. Frank, Cornelia von Soisses

Das Grab des Tempelritters





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80331 München

Kapitel 1

Er sah auf die Uhr, die oben an der Wand hing. Noch sechs Minuten. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl herum. Wieder schielte er auf die Uhr, immer noch vier Minuten. Es schien, als ob die Zeit, wenn man auf etwas wartete, doppelt so langsam verging.

Dann endlich das erlösende Klingeln der Schulglocke!

Nicolas, Dennis und Jeffrey ließen fast gleichzeitig ihre Stifte fallen und schlugen die Bücher zu.

Endlich Sommerferien.

Mrs. MacCollins, die Klassenlehrerin, hatte gerade noch Zeit, schöne Ferien zu wünschen, da war der Klassenraum auch schon leer.

Vor der Schule stand auch schon Nicolas' Tante, die die Jungen abholen wollte.

"Na, ihr Rabauken, habt ihr es geschafft?", fragte sie und lächelte.

Dass Nicolas von seiner Tante abgeholt wurde, hatte einen ganz einfachen Grund. Seine Eltern waren zurzeit als Gastprofessoren in den USA. Er hatte die Wahl gehabt, ob er zu seinen Großeltern wollte, oder zu dem Bruder seiner Mutter. Er war heute noch froh darüber, dass er sich für das Letztere entschieden hatte. In Dennis, seinem Vetter, und Jeffrey, dem Sohn von Lord Kilburne, hatte er neue gute Freunde gefunden.

"Wie wäre es mit einem Eis zur Feier des Tages?" Susan MacAshton sah sich fragend nach den Jungen um. Sie hätte gar nicht zu fragen brauchen. Die drei waren begeistert. Kurz später löffelten sie in der Stadt jeder einen Eisbecher mit reichlich Sahne.

"Was machen wir denn jetzt in den Ferien?" Jeffrey sah erwartungsvoll in die Runde.

Dennis und Nicolas blickten ihn an. "Na, viel können wir ja nicht machen. Liz und Scott fahren morgen weg, und dann sind wir drei unter uns. Uns wird schon etwas einfallen", meinte Dennis.

Scott und Liz waren ihre Freunde aus dem Dorf Kilburne, das, wie Schloss Kilburne, am Loch Kilburne lag.

"Was meinst du, Mum?" Dennis' Mutter sagte nichts, sie lächelte nur ein wenig.

Nachdem alle ihr Eis gegessen hatten, fuhren sie zurück nach Schloss Kilburne, wo sie alle wohnten. Nicolas sah aus dem Fenster und blickte auf Loch Kilburne.

Als er das erste Mal am Ufer des Sees gestanden hatte, war er gar nicht so glücklich gewesen. Das war gleich am Tag nach seiner Ankunft. Da hatte er noch nicht gewusst, was alles auf ihn zukommen würde. Der Geist von Lord Isaac, der ihn heimgesucht hatte, und der Schatz, den sie gefunden hatten, hatte einiges in seinem Leben und im Leben der anderen verändert. Nicolas' Eltern wussten zwar von dem Schatz, aber die Sache mit dem Geist hatten sie ihnen vorsichtshalber verschwiegen.

Wer wusste, ob sie das überhaupt geglaubt hätten, und wenn sie aus den USA wieder zurück wären, war immer noch Zeit dafür. Aber sie waren stolz auf Nicolas und freuten sich für die Familie Kilburne.

Vorher stand es nicht gut um Schloss Kilburne und um die Familie. Sie hatten zwar keine Schulden gehabt, aber so ein großes Schloss wie Kilburne Castle kostete einen Haufen Geld. Nachdem geklärt war, dass der Schatz der Familie gehörte, wurde die Situation besser für alle. Zwar hatte ein entfernter Verwandter des Lords versucht, an den Schatz zu kommen, was aber scheiterte.

Immer wenn Nicolas am Ufer von Loch Kilburne stand, dachte er an Lord Isaac, den ehemaligen Geist von Schloss Kilburne. Manchmal vermisste er ihn sogar.

"Los, steig aus." Dennis holte ihn aus seinen Gedanken. Verwirrt schüttelte Nicolas den Kopf.

Die drei purzelten aus dem Auto. Im Haus rannten sie durch die Küche in ihre Zimmer und stopften ihre Rucksäcke mit ihren Schulsachen in die hintersten Ecken ihrer Schränke.

Dann trafen sie sich wieder in der Küche. Nicolas' Tante stand am Herd und kümmerte sich um das Essen.

"Wascht euch die Hände, das Essen ist gleich fertig. Die anderen kommen auch gleich."

Die anderen waren Nicolas' Onkel Patrick und Lord und Lady Kilburne. Die beiden kamen dann auch einen Moment später mit Nicolas' Onkel im Schlepptau.

Sie setzten sich an den großen Tisch und langten kräftig zu.

Nach dem Nachtisch sagte Nicolas' Tante: "Ich habe eine Überraschung für euch!"

"Was für eine Überraschung?", wollten die Jungen wissen.

"Ihr fahrt morgen in den Urlaub", sagte sie. Dennis und Nicolas jubelten. Nur Jeffrey verzog sein Gesicht.

Bis Nicolas plötzlich fragte: "Wissen Mum und Dad das?"

"Ja, natürlich wissen sie das, wir haben alles besprochen, und sie haben nichts dagegen."

"Was schaust du denn so komisch?", fragte Dennis, dem der Gesichtsausdruck von Jeffrey aufgefallen war.

"Na, warum wohl? Wenn ihr wegfahrt, bin ich ja ganz alleine hier."

"Wieso das denn?", mischte sich Lord Kilburne ein. "Du fährst natürlich mit! Das ist ja wohl klar."

"Ich darf mit? Mann, das ist ja klasse!", freute sich Jeffrey.

"Na, was hast du denn gedacht? Das ist alles schon geregelt. Wir können euch junges Gemüse sowieso im Augenblick nicht gebrauchen", scherzte der Lord.

In der Tat gab es sehr viel zu tun, und er hätte keine Zeit für die Jungen gehabt.

"Ähm", machte Dennis. "Wo fahren wir eigentlich hin?" Fragend sah er seine Mutter an.

"Auf die Isle of Tyn."  Nicolas guckte ratlos. "Wo ist das denn?"

"Das ist an der Atlantikküste von Schottland. Also müsst ihr einmal fast quer durch das Land fahren."

"Aber weshalb gerade dorthin?" Dennis sah zu seiner Mutter.

"Kannst du dich noch an Tante Pamela erinnern? Jedenfalls hast du sie immer so genannt."

Dennis überlegte kurz. "Ja, da dämmert mir was, aber das ist schon lange her."

"Das stimmt leider. Wir sehen uns viel zu selten, dafür, dass wir beste Freundinnen sind", sagte seine Mutter.

"Jedenfalls hatte sie uns, also dich, mich und deinen Vater, eingeladen, sie zu besuchen. Sie führt auf der Insel ein kleines Hotel. Aber im Augenblick ist bei uns an Urlaub nicht zu denken, deswegen haben wir gedacht, ihr drei könntet hinfahren. Die Insel ist nicht groß, nur knapp sechshundert Einwohner, aber im Gegensatz zu Kilburne eine Großstadt", lachte sie.

"Kann man da überhaupt etwas unternehmen?" Dennis verzog sein Gesicht.

"Täusch dich da mal nicht. Dort gibt es einiges für Touristen, sogar ein kleines Hallenbad. Ihr könnt also auch schwimmen gehen. Nicht zu vergessen: Wandern, Golf spielen und reiten kann man da auch."

"Mensch, ist doch egal, Hauptsache wir sehen mal etwas anderes", meinte Jeffrey.

"Außerdem wird uns schon etwas einfallen."

"Jeffrey hat recht, und nun los, geht Koffer packen! Nehmt nicht so viel mit, ihr könnt bei Pamela eure Sachen auch waschen. Und ihr müsst eure Koffer selber schleppen und zwei Mal umsteigen",

trieb Dennis' Mutter die Jungen an.

"Wann müssen wir denn überhaupt los morgen?", fragte Dennis.

"Der Zug geht morgen früh um sieben von Elgin."

"Um sieben Uhr? Und das in den Ferien!" Die Jungen stöhnten und schoben ab zum Koffer packen.

Nicolas stand vor seinem Schrank und überlegte, was er einpacken sollte. Auf jeden Fall seine Badehose. Er war ein begeisterter Schwimmer. Nicolas kramte gerade in seinem Schrank, als Dennis durch die Verbindungstür ins Zimmer kam. Er setzte sich auf einen Stuhl und fragte: "Was hältst du davon, dass wir in die Ferien fahren?"

Nicolas sah ihn erstaunt an. "Was soll ich davon halten? Ich finde es klasse."

"Ja, aber auf so eine kleine Insel, da ist doch nichts los."

"Willst du lieber hierbleiben und die Ferien über schuften?", fragte Nicolas.

"Schuften? Wieso?" Dennis blickte ihn fragend an.

"Na, überleg doch. Wenn wir hier bleiben, dann werden wir garantiert irgendwo eingespannt. Bestimmt im Garten und im Park, wenn der jetzt wieder in Ordnung gebracht werden soll."

Dennis überlegte einen Moment. "So gesehen hast du recht, stimmt. Dann doch lieber ein paar Wochen einsame Insel und Langweile."

"Ich glaube nicht, dass wir uns langweilen werden. Ich habe ein komisches Gefühl im Bauch", meinte Nicolas.

Erschrocken blickte ihn Dennis an. "Was für ein komisches Gefühl?"

"Frag mich nicht. Ich kann es dir nicht genau sagen."

"Du mit deinen komischen Bauchgefühlen. Du weißt, was das letzte Mal passiert ist", murmelte Dennis. Jeffrey, der in dem Moment ins Zimmer kam, hatte es dennoch gehört.

"Wer hat ein komisches Gefühl?"

"Nicolas", antwortete Dennis. Jeffrey sah ihn entgeistert an.

"Oh, Mann", stöhnte Nicolas. "Nun schaut mich nicht so an. Ich kann doch auch nichts dafür, dass Sir Isaac ausgerechnet mich ausgesucht hatte. Und einen Traum habe ich auch nicht gehabt."

"Na, ja", meinten Dennis und Jeffrey, "warten wir mal ab."

"Aber etwas anderes, was nehmt ihr denn alles mit? Ich weiß nicht, was ich einpacken soll." Jeffrey sah ratlos drein.

"Mum sagte, wir sollten nicht so viel mitnehmen", erinnerte sich Dennis.

"Also ich nehme auf jeden Fall einen Pullover mit und zwei Jeans und eine kurze Hose", sagte Nicolas.

"Den Rest weiß ich auch noch nicht so genau."

"Nimmst du etwas zu lesen mit?", fragte Jeffrey.

"Nö. Bücher sind mir zu schwer. Vielleicht eins, das ich auch während der Fahrt lesen kann, aber mehr nicht." Nicolas zog einen Pullover aus dem Schrank und warf ihn auf sein Bett.

"Ich habe vorhin mal im Atlas nachgesehen, wo die Insel ist. Ich habe sie zwar gefunden, aber groß ist sie nicht. Sie ist ziemlich lang, aber nicht besonders breit und sehr felsig. Außer Spazieren gehen werden wir da nicht viel machen können. Aber egal, Hauptsache Ferien", grinste Jeffrey.

Es klopfte, und Dennis Mutter kam in das Zimmer. "Wie weit seid ihr? Oder habt ihr noch gar nicht angefangen?", fragte sie. Nicolas deutete auf den Stapel Wäsche, der auf seinem Bett lag.

Dennis verschwand in sein Zimmer, und Jeffrey wollte seine Mutter suchen, damit sie ihm helfen konnte. Koffer packen war nicht so sein Ding. Spät am Abend waren sie dann doch fertig und hatten alles Notwendige eingepackt. Was vierzehnjährige Jungen eben notwendig finden.

Man saß noch etwas im Wohnzimmer der Familie Kilburne zusammen und ließ den Tag dann ausklingen. Es wurde noch besprochen, wer die Jungen zum Bahnhof nach Elgin bringen sollte. Das Los fiel auf Nicolas' Onkel, der dann auch gleich den allgemeinen Aufbruch einleitete, denn sie mussten sehr früh losfahren. Jeffrey ging in sein Zimmer, wo der fertig gepackte Koffer stand, den dann doch seine Mutter für ihn gepackt hatte, weil Jeffrey sich ein wenig dusselig dabei angestellt hatte.

Nicolas und Dennis wünschten sich eine gute Nacht, und Nicolas war alleine in seinem Zimmer.

Er zog sich seinen Schlafanzug an, obwohl es doch einigermaßen warm war, schließlich war Sommer, und stellte sich vor das Fenster. Er blickte hinaus und sah in der Ferne Lichter vom Campingplatz, der jetzt auch gut besucht war. Gleich daneben, nicht weit entfernt, sah er das Dorf Kilburne.

Nicolas dachte daran, wie er zum ersten Mal den Nebel über dem See gesehen hatte, und was für ein Abenteuer daraus entstanden war. Wenn jetzt Nebel über dem See lag, dann war es ein ganz einfacher stinknormaler Nebel und kein Geist. Sir Isaac hatte seinen Frieden gefunden.

Er kam jeden Tag an dem Bild vorbei, das jetzt seinen Platz in der Ahnengalerie im großen Treppenhaus gefunden hatte. Manchmal glaubte Nicolas, der Mann auf dem Bild würde ihm zulächeln. Nicolas zog die Vorhänge vor und legte sich ins Bett. Plötzlich richtete er sich auf und kramte in der Schublade seines Nachttisches. Bald hätte er das Wichtigste vergessen, sein Amulett.

Er wusste immer noch nicht genau, was es damit auf sich hatte, aber sobald seine Eltern wieder zurück waren, würde er seinen Vater danach fragen. Nicolas trug es nicht immer, aber mit in die Ferien wollte er es doch nehmen. Er strich mit der Hand darüber, und es fühlte sich ganz normal an.

Er hängte es sich um den Hals und löschte das Licht wieder. In sechs Stunden musste er schon wieder aufstehen. Nicolas schlief unruhig in dieser Nacht. Er träumte von einem goldenen Kreuz und von einem Ritter, der eine Art Gewand trug, das er nicht kannte. Zwischendurch wurde er immer mal wieder wach und schwitzte heftig. Er tastete zögernd nach seinem Amulett, aber das war vollkommen normal. Es fühlte sich nicht warm an wie sonst, wenn sich etwas Besonderes tat, es fühlte sich immer noch ganz normal an. Nicolas stand auf, ging ins Bad und trank einen Schluck Wasser.

Er sah sein Gesicht im Spiegel. Seine Backen waren leicht gerötet, und seine Haare standen wirr von seinem Kopf ab. Reiß dich zusammen, dachte er bei sich. Das werden schöne Ferien, und du bildest dir nur wieder etwas ein. Nicolas ging zurück ins Bett, knipste die Nachttischlampe aus und drehte sich auf die Seite. Kurze Zeit später war er eingeschlafen.

 

Kapitel 2

Müde und unausgeschlafen saßen die Jungen am Frühstückstisch. Alle drei hatten nicht gut geschlafen, besonders Nicolas. Er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Anscheinend gelang ihm das auch. Dennis' Mutter hatte schon Berge von Sandwiches gemacht und packte sie gerade in die verschiedenen Rucksäcke. Dennis gähnte. "Nimm die Hand vor den Mund!", ermahnte sie ihn. Sein Vater hatte die Koffer schon im Auto verstaut und drängte zum Aufbruch.

"Los kommt Jungs, wir müssen los!", sagte er.

Die drei tranken ihren Kakao aus, und dann begann das große Abschiednehmen.

Jeffrey umarmte seine Eltern und versprach, sich zu benehmen. Dennis und Nicolas taten das Gleiche bei Susan. "Ruf an, wenn ihr angekommen seid", sagte sie. "Und passt auf eure Sachen auf, seht zu, dass ihr auch den richtigen Bahnsteig erwischt beim Umsteigen. Und lasst keinen Abfall im Zug herumliegen."

"Mum!", meinte Dennis genervt. " Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr. Wir werden das schon hinbekommen, glaub mir. Nicolas ist den ganzen Weg von London hier hoch alleine gefahren, dann wird das auch klappen."

Es gab ein letztes Händeschütteln, und dann war es aber auch wirklich Zeit aufzubrechen.

Dennis setzte sich vorne neben seinen Vater. Nicolas und Jeffrey stiegen hinten ein.

Jeffrey kämpfte noch mit dem Paket Käse aus der eigenen Käserei, den er mitnehmen musste als Gastgeschenk, während Nicolas die Augen schloss und versuchte, etwas zu dösen. Bis Elgin waren es gut zwanzig Minuten mit dem Auto. Da es noch sehr früh war, gab es keine Probleme mit einem Parkplatz.

Die Jungen holten ihre Koffer aus dem Kofferraum, und Dennis' Vater lud sie auf einen Gepäckwagen, den er besorgt hatte. Er suchte mit den Jungen ein Abteil und wuchtete die Koffer hinein.

Dann musste er auch schon wieder aus dem Zug aussteigen, denn der würde gleich abfahren. Die drei verabschiedeten sich kurz und schmerzlos, winkten noch einmal aus dem Fenster, als der Zug sich in Bewegung setzte, und suchten sich ihre Plätze. Nicolas saß am Fenster und Dennis ihm gegenüber, daneben lümmelte sich Jeffrey in den Sitz. Noch waren sie alleine im Abteil, aber das würde wohl nicht so bleiben. Nicolas sah aus dem Fenster und erblickte sein Spiegelbild. Er sah, dass sich seine rotbraunen Haare schon wieder selbstständig machten. Da konnte er machen, was er wollte, sie blieben nie lange ordentlich. In seinen fast grünen Augen meinte er, ein Funkeln zu sehen, das konnte aber auch ein Lichtreflex gewesen sein, und seine Mundwinkel zeigten leicht nach oben, sodass er immer ein leichtes Grinsen im Gesicht hatte. Er sah hinüber zu Dennis, der die Augen geschlossen hatte. Seine blonden Locken waren fast so widerspenstig wie seine eigenen Haare. Seine braunen Augen waren ein Kontrast zu den blonden Haaren. Er war fast so groß wie Nicolas, aber schlanker. Dann besah er sich Jeffrey. Was bei Jeffrey sofort auffiel, waren seine unglaublich blauen Augen und die pechschwarzen Haare. Jeffrey sah gut aus. Nur seine Nase war etwas zu groß. Wie sagte man doch früher so schön: Er hatte eine aristokratische Nase.

Nicolas war immer noch froh, dass er die beiden als Freunde hatte. Als er damals nach Kilburne kam, hatte er Angst gehabt, dass sie sich nicht verstehen würden. Aber gleich von Anfang an waren sie ein Herz und eine Seele.

"Ich habe Hunger", meinte Dennis, der die Augen wieder geöffnet hatte.

"Jetzt schon? Wir sind doch gerade erst losgefahren." Nicolas schüttelte den Kopf.

"Ja, und? Das weiß doch mein Magen nicht, und der will etwas haben." Dennis kramte in seinem Rucksack und holte sich ein Sandwich heraus. Fröhlich kauend sah er aus dem Fenster.

Gerade als er aufgegessen hatte, kam auch schon Loch Ness in Sicht. Neugierig schaute Nicolas aus dem Fenster.

"Suchst du nach Nessie?", fragte Jeffrey scherzhaft. Nicolas grinste.

"Na, könnte doch sein, dass ich Glück habe", scherzte er. Dann war der See auch schon wieder aus dem Blick, und sie fuhren in den Bahnhof von Inverness ein. Sie suchten ihre Sachen zusammen und begaben sich zur Tür. Am Bahnsteig nahm Nicolas den anderen die Koffer ab, und sie machten sich auf den Weg in die Bahnhofshalle. Auf der Anzeigetafel sahen sie, dass sie noch fünfzehn Minuten Zeit hatten. Der Bahnsteig war schnell gefunden, aber Nicolas konnte es nicht lassen, einige Postkarten vom Loch Ness zu kaufen.

"Was willst du denn damit?", fragte Dennis neugierig.

Er suchte eine heraus, auf der Nessie zu sehen war. "Die schicke ich Mum und Dad", grinste er.

"Na, die werden sich freuen", murmelte Jeffrey und grinste ebenfalls.

"Ja, das denke ich auch." Nicolas lachte.

Der Zug, der sie zu ihrer nächsten Station bringen sollte, stand schon abfahrbereit da.

Sie suchten sich ein leeres Abteil und fanden eins am Anfang des Zuges. Sie wuchteten ihre Koffer in die Gepäckablage und machten es sich für die nächsten Stunden bequem. Die Fahrt nach Glasgow würde drei Stunden dauern. Noch hatten sie das Abteil für sich alleine und konnten sich breitmachen. Nicolas packte jetzt auch ein erstes Brot aus, genau wie Jeffrey. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen und versuchte, etwas Schlaf nachzuholen. So richtig wollte ihm das nicht gelingen. Ihm ging der Traum von letzter Nacht nicht aus dem Sinn. Das Gewand, das der Ritter getragen hatte, kannte er zwar nicht, aber er hatte das Gefühl, es irgendwoher doch zu kennen. Nicolas überlegte, ob er den anderen davon erzählen sollte. Gerade als er anfangen wollte, öffnete sich die Abteiltür und eine ältere Dame fragte: "Ist hier noch ein Platz frei? Und stört euch der Hund?"

Hinter der Dame kam ein selten schöner Golden Retriever zum Vorschein.

"Ja, natürlich ist hier noch Platz, und der Hund stört natürlich überhaupt nicht, wenn wir ihn nicht stören", grinste Jeffrey.

"Nein, er ist ein ganz Lieber. Er tut niemandem was." Sie setzte sich Jeffrey gegenüber, der immer noch sein Brot in der Hand hatte. Erwartungsvoll sah der Hund ihn an.

"Henry! Aus! Man bettelt nicht!", flüsterte die Dame, aber da war es schon zu spät. Jeffrey hatte ihm ein Stück von seinem Brot vor die Nase gehalten.

"Nun, junger Mann, jetzt haben Sie einen neuen Freund", seufzte die Dame.

"Jeder, der ihm etwas zu futtern gibt, ist sein Freund. Davon lässt er sich nicht abbringen", meinte sie.

"Als Wachhund wäre er völlig ungeeignet", sprach sie weiter. "Jedem Einbrecher, der ihm ein Stück Wurst gibt, dem würde er noch beim Einpacken helfen." Die Jungen lachten.

"Fahrt ihr in die Ferien?", wollte sie wissen.

"Ja", antwortete Nicolas. Und bevor sie weiter fragen konnte: "Wir fahren auf die Isle of Tyn."

"Oh, dort ist es sehr schön. Ich war früher öfters dort, aber das ist schon lange her."

Henry hatte in der Zwischenzeit eine Pfote auf Jeffreys Knie gelegt und wollte mehr. Sein neuer Freund war ihm sympathisch. Der Schaffner öffnete die Tür und verlangte die Fahrkarten. Mit einem Auge schielte er dabei auf den Hund, sagte aber nichts.

Zu Henrys Leidwesen stiegen er und sein Frauchen nach drei Stationen wieder aus, und er musste seinen neuen Freund wieder verlassen.

"So einen Hund wünsche ich mir auch", meinte Jeffrey.

"Frag doch deinen Dad", bemerkte Dennis. "Er würde gut zu euch passen."

"Das werde ich auch machen, wenn wir zurück sind, verlass dich drauf."

Langsam näherten sie sich Glasgow, und sie begannen, ihre Sachen zusammenzusuchen.

Allmählich fingen sie an, sich wirklich auf die Ferien zu freuen. Auch wenn es nur eine kleine Insel war. Als der Zug in Glasgow einfuhr, packten sie sich ihre Koffer und Taschen und warteten, bis der Zug hielt. Draußen auf dem Bahnsteig blieben Jeffrey und Nicolas beim Gepäck stehen, und Dennis besorgte einen Gepäckwagen. Nun ging die Sucherei nach dem richtigen Bahnsteig wieder los.

Auf der Anzeigetafel sahen sie, dass sie noch Zeit hatten, und Nicolas ging los und besorgte erst einmal etwas Vernünftiges zu essen für alle. Dann machten sie sich auf den Weg zu ihrem Zug nach Irvine.

Diesmal hatten sie kein so großes Glück und mussten sich ein Abteil mit einem Mann und einer Frau teilen, die einen ziemlich unfreundlichen Eindruck machten. Sie kamen in das Abteil, kurz nach dem die Jungen sich ihre Plätze gesucht hatten.

"Könnt ihr bitte die Fensterplätze freimachen? Ich will am Fenster sitzen", blaffte die Frau die Jungen an.

Dem Mann war das sichtlich peinlich.

"Schatz, hier vorne an der Tür ist doch auch noch Platz", murmelte er.

"Das ist mir egal, ich will ans Fenster." Nicolas und Jeffrey sahen sich perplex an.

Dann grinste Nicolas.

Und wenn Nicolas so frech grinste, dann führte er etwas im Schilde. Und tatsächlich.

Er sah Jeffrey an und sagte: "Würden Eure Lordschaft in Betracht ziehen, dieser Lady Euren Platz zu überlassen?" Dennis bekam einen Hustenanfall.

Jeffrey dagegen spielte mit.

"Wenn die Lady mich höflich fragen würde, dann könnte ich es in Betracht ziehen, darüber nachzudenken, ob ich eventuell der Lady meinen Platz überlassen würde. Aber auch nur dann." Nicolas blickt zu der Frau, dann auf Dennis, der sich den Bauch hielt.

"Tut dir etwas weh?", fragte er ganz arglos.

Dennis japste nach Luft.

"Mein Bauch ... tut ... weh", japste er.

Sprachlos sah die Frau von einem zum anderen. Empört drehte sie sich zu ihrem Mann um.

"Herbert, nun sag doch auch mal was!" Herbert sagte aber nichts, sondern fasste seine Frau an den Schultern und drückte sie auf den Sitz bei der Tür.

"Entweder du sitzt hier, oder du darfst draußen auf dem Gang stehen. Weit ist es ja nicht."

"Herbert! Was fällt dir ein?" Seine Frau sah ihn mit einem giftigen Blick an.

"Bei deinem Benehmen fällt mir langsam nichts mehr ein", murmelte er.

"Die drei jungen Männer waren zuerst hier und gut ist. Und wenn du einmal in die Zeitung schauen würdest, anstatt in deine dusseligen Modezeitschriften, dann wüsstest du, wer die drei jungen Männer sind." Und an Jeffrey gewandt: "Ich bitte für meine Frau für ihr Benehmen um Verzeihung, Mylord."

Sie schlenderten dorthin und trafen auf einen sichtlich gelangweilten Mitarbeiter.

Nicolas grüßte zurück und sagte: "Wir würden gerne wissen, wie wir am besten zum Hafen kommen?"

"Wir wollen zur Isle of Tyn. Wir sollen am Hafen abgeholt werden."

"Also, am billigsten ist es mit dem Bus, aber dann müsst ihr noch weit laufen mit eurem ganzen Gepäck. Oder ihr schmeißt zusammen und teilt euch ein Taxi. Das wäre am einfachsten."

Der Mann nahm sein Handy zur Hand und telefonierte kurz. Nachdem er aufgelegt hatte, sagte er:

"Ich hoffe, euer Abholer ist schon da, denn warten, bis er kommt, kann ich leider nicht", meinte der alte Herr. "Das macht nichts", meinte Jeffrey. "Der wird uns ja wohl nicht vergessen."