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Cover

Vorwort

Nr. 1 – Kristalltod

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: MERLIN

1. Los Angeles

2. New York

3. Los Angeles

4. Manchester, Connecticut

5. Los Angeles

6. Manchester, Connecticut

7. Los Angeles

8. Manchester, Connecticut

9. Los Angeles

10. Manchester, Connecticut

11. Los Angeles

12. Manchester, Connecticut

13. Los Angeles

14. Manchester, Connecticut

Epilog: MERLIN

Nr. 2 – Das Artefakt von Ganymed

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ganymed

2. MERLIN

3. Ganymed

4. MERLIN

5. Ganymed

6. MERLIN

7. Ganymed

8. Terrania

9. Terrania

10. MERLIN

11. Terrania

12. Ganymed

13. MERLIN

14. Terrania

Nr. 3 – Galileo City

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. MERLIN

2. Terrania

3. MERLIN

4. Ganymed

5. MERLIN

6. Ganymed

7. MERLIN

Nr. 4 – Syndikat der Kristallfischer

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Splitter

Aus den Fugen

Splitter

MERLIN, alles andere als freundlich

Splitter

Spiel um einen großen Traum

Splitter

Prophet des eigenen Glaubens

Splitter

Unterwegs, auf der Flucht

Splitter

Im Labor

Splitter: Das Triumvirat

Nr. 5 – Jupiters Herz

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Jupiter

2.

3.

4. Jupiter

5.

6.

7.

8.

Nr. 6 – Gravo-Schock

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. CHARLES DARWIN II

2. Ganymed, Ovadja Regio

3. CHARLES DARWIN II

4. Ganymed, Ovadja Regio

5. CD-K 7

6. CHARLES DARWIN II

7. Ganymed, Ovadja Regio

8. CHARLES DARWIN II

9. Vor Galileo City

10. CD-K 7

11. Galileo City, Verwaltungszentrale

12. CHARLES DARWIN II

13. Galileo City, Verwaltungszentrale

14. Galileo City, Materiallabor

15. Galileo City, Materiallabor

Nr. 7 – MERLINS Todesspiel

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Vor dem Spiel

Der werfe den ersten Stein

Runde 1: Der geschlossene Raum

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Ein leichtes Kräuseln des Bildes

Runde 2.1: Der Pilzwald

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Wer kämpft für das Licht?

Runde 2.2: Noch immer im Pilzwald

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Vergib mir jeden Zweifel

Runde 3: In den Tiefen des Jupiteranischen Ozeans

Absolution

Halbzeit

Nr. 8 – Wie man Sterne programmiert

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Die Arche

Qala stirbt

Schelekesch

Schatztropfen

Pioniere

Der Bund von Ducphaun

Die Krankheit freier Wille

Bekehrungen

QI TAQROSCH

Eine gottlose Dimension

Die Schwarze Festung

Nr. 9 – DANAE

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Verräter

Runde 4: Dschinnistan

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Befreier

Runde 5: Neo-Dracula

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Der alte Magier

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Zurück im Casino

Runde 6.1: Fair Play

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Büßer

Runde 6.2: Ende des Fair Play

Nach dem Spiel

Erlöser

Nr. 10 – Ganymed fällt

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ganymed

2. MERLIN

3. Ganymed

4. MERLIN

5. Ganymed

6. MERLIN

7. Ganymed

8. MERLIN

9. Ganymed

10. MERLIN

11. Ganymed

Nr. 11 – Countdown für MERLIN

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

T minus 22 h 41 min: Der Countdown beginnt

1. Genesis

2. Exodus

3. Wehen der Anarchie

4. Schwanengesang

5. Tod und Leben

6. Auf zur TYCHE!

7. TSUNAMI und SHIVA

Nr. 12 – Der ewige Lügner

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Eine neue Droge für die Erde. Der Tod kommt vom Jupiter.

 

Eine neue Droge im Sonnensystem: Tau-acht gibt den Süchtigen übernatürliche Fähigkeiten – wirkt aber sehr schnell tödlich. Die Spur des Gifts führt zum Jupiter.

Auf dem gewaltigen Planeten erkennt Perry Rhodan: Tau-acht ist nur der Vorbote einer noch viel größeren Gefahr.

 

Zwölf spannende Science-Fiction-Romane aus dem PERRY RHODAN-Universum ergeben ein abgeschlossenes Epos.

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Nr. 1

 

Kristalltod

 

Eine neue Droge für die Erde – und ein Rhodan verschwindet spurlos

 

Wim Vandemaan / Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die weiteren besiedelten Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern und Sternenreichen der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Unerklärliche Ereignisse geschehen in der tödlichen Atmosphäre des Jupiters und auf Ganymed, seinem größten Mond. Eine mysteriöse Droge verbreitet sich über die Welten des Sonnensystems.

Perry Rhodan setzt alles daran, den Feind aufzuspüren und dessen Pläne zu durchkreuzen. Denn die Bedrohung lauert nicht nur auf dem Jupiter, sondern bereits auf der Erde. Hier muss Rhodan erkennen: Die gefährlichste Waffe des Gegners ist der KRISTALLTOD ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner kehrt zu seinen Wurzeln zurück.

Chayton Rhodan – Ein entfernter Verwandter spielt mit hohem Risiko.

Spiros Schimkos – Der Ingenieur befreit sich von allen Zwängen.

Pao Ghyss – Die Schönheit vom Ganymed öffnet Spiros die Augen.

Prolog

MERLIN

27. Dezember 1460 NGZ

 

Der Tau funkelte.

Die Dose, in der Chayton Rhodan den Kristallstaub verwahrte, war rund und kaum größer als eine antike Taschenuhr. So viel Macht, so viel Schönheit, so viel Freiheit auf so kleinem Raum.

Chayton bewegte das Gefäß höchst vorsichtig, um nichts von dem wertvollen Staub an einen Lufthauch zu verlieren. Das Tau-acht fing das kalte Licht der Faktoreibeleuchtung ein, verwandelte es in etwas Wunderbares. Schillerndes Türkis, wie die Wellen einer Lagune. Smaragdgrün, Purpur, das Indigo einer warmen Sommernacht.

Er benetzte die Spitze seines Zeigefingers mit der Zunge, tippte leicht auf das Pulver. Einige Partikel blieben haften. Er verteilte sie auf seinen Lippen, dann leckte er sie sanft auf.

Es prickelte.

Chayton lächelte. Das war sein kleines Ritual. Es erinnerte ihn daran, wie er das erste Mal Tau-acht genommen hatte: Er hatte es von Paos Lippen geküsst.

Damals hatte diese winzige Menge ausgereicht, um ihn in die Klarheit zu führen. Inzwischen brauchte er mehr, und er musste es auf andere Weise nehmen. Auf die übliche Weise.

Chayton griff nach der Pipette und sog etwas Tau auf, dann schraubte er die Dose wieder zu. Mit Daumen und Zeigefinger fixierte er ein Augenlid, mit der anderen Hand hob er die Pipette.

Die Spitze des gläsernen Röhrchens schwebte vor seiner Pupille. Dieser Moment machte ihm jedes Mal Angst. Doch die Belohnung war wunderbar.

Der Tau sprühte ihm entgegen, löste sich in der Tränenflüssigkeit, entfaltete seine Magie. Über den Sehnerv fand er unmittelbar ins Gehirn.

Chayton Rhodan spürte den Jupiter, das Magnetfeld, die Schwerkraftverwerfungen. Er spürte die Wasserstoff-Helium-Atmosphäre, in der die Faktorei schwebte und erntete. Er spürte die Hyperkristalle.

Den Tau.

Er spürte seine eigene Macht.

Er war vom selben Blut wie Perry Rhodan. Er war zu Großem bestimmt.

Und er war bereit.

Er steckte das Tau-acht ein und machte sich auf den Weg.

 

*

 

Mit hocherhobenem Haupt schritt Chayton durch die Korridore der Faktorei. Er war fast am Ziel: Immer mehr Menschen kamen ihm entgegen – und auch Arkoniden, Jülziish, Cheborparner und andere Außerirdische. Die Ladenzeilen im Zentrum von MERLIN heischten mit schriller und aufdringlicher Werbung um Aufmerksamkeit. Chayton hätte sich weder die extravagante Kleidung noch die erlesenen Delikatessen oder die diskret erbrachten Dienste leisten können.

In den etwas abgeschiedeneren Ecken lagen einige träge Körper. Die, die wieder schliefen. Die Bedauernswerten, die nicht stark genug waren für den Tau.

Oder die ihn sich nicht mehr leisten konnten. Wenn er an diesem Tag versagte, würde es ihm genauso ergehen.

Aber er würde nicht versagen. Er war unbesiegbar.

Amüsiert bedachte er die wechselhafte Entwicklung des eigenen Vermögens. Noch vor einem Vierteljahr hatte er nicht geahnt, was das Schicksal für ihn bereithielt, wusste nichts von Pao, nichts von dem Tau. Seine Rücklagen waren aufgebraucht gewesen, und er hatte wieder Geld verdienen müssen.

Der Auftrag war ihm gerade recht gekommen: Drei Monate lang sollte er MERLINS komplexes System von Schirmfeldprojektoren, Antigravitationsgeneratoren und Antriebsmodulen an die neuesten Erkenntnisse anpassen, die aus der Forschungsstation Cor Jupiter in der Tiefe des Gasplaneten stammten.

Der Auftrag war gut bezahlt. So gut, dass er danach mindestens ein Jahr zu Hause bei seinen Kindern und seiner Schwester hätte verbringen können.

Wie sehr diese drei Monate sein Leben verändert hatten. Er hatte Pao getroffen und Tau-acht kennengelernt!

Ein dürrer Jülziish riss Chayton aus seinen Gedanken. »Gib es mir«, krächzte der Blues. »Ich will nicht wieder schlafen ...«

Chayton ging vorbei, ließ die schwache Kreatur zurück. Er hatte keinen Sinn für Schwäche. Er selbst musste schließlich auch stark sein, in jeder einzelnen schlaflosen Nacht, seit Pao ihn verlassen hatte.

Immerhin war ihm der Tau geblieben.

Sein frisch erworbenes Vermögen hingegen hatte sich bis auf einen kleinen Rest wieder verflüchtigt. Er hatte sich die Rücklagen für das komplette nächste Jahr ins Auge gestäubt.

Nun würde er sich alles zurückholen.

Vor ihm lag MERLINS Mittelpunkt. Damals, als die Faktorei noch ein Schiff der Liga Freier Terraner gewesen war, hatte sich hier die Zentrale befunden. Nun war dort das Casino. Ein Torbogen aus Bronze, fünf Meter hoch und ebenso breit, gewährte ihm Zugang.

Er fühlte sich ganz leicht, als er über die Schwelle schritt. Und dafür musste er nicht einmal seine Gabe einsetzen.

 

*

 

Hunderte Lebewesen jeder erdenklichen Spezies scharten sich um die Spiele, allen voran Menschen von der guten alten Erde und ihre leichter gebauten, höher gewachsenen Vettern vom Jupitermond Ganymed. Arkoniden umringten einen Würfeltisch. Der Robotcroupier gab Karten aus. Einer der Spieler warf mit Schwung drei Würfel über die lange, grüne Bahn. Wo sie den Tisch berührten, leuchteten farbige Felder auf.

Chayton verstand nicht, wie aus dem Zusammenwirken von Würfelaugen, Farbfeldern und Kartenwerten der Gewinner bestimmt wurde. Es interessierte ihn auch nicht. Er suchte etwas Klassischeres.

Aber zunächst musste er seine Chancen abschätzen.

Chayton sah sich langsam um. Er bemühte sich, völlig ruhig zu wirken. Er sah die Parcours-Bieter, die ein Holo umringten. Zwei Teams bewegten sich durch die Stationen in den unteren Decks, stellten sich den Aufgaben dort. Die Übertragung zeigte, wie glühende, schwebende Fäden einen der Spieler durchbohrten. Wer auf sein frühes Ende gesetzt hatte, konnte sich nun über einen schönen Gewinn freuen.

So, wie Chayton ihn gleich einstreichen würde.

Er wusste, dass er es schaffen konnte. Er konnte alles schaffen, was er sich vorgenommen hatte. Er war zu Großem bestimmt.

Reichtum? Selbstverständlich. Nie wieder würden seine Kinder oder seine Schwester sich Sorgen um ihr Auskommen machen müssen. Caruu, Buster und Payette würden gar nicht wissen, was sie mit all den Galax machen sollten, die er heimbringen würde.

Ruhm? Daran war ihm nicht gelegen. Er hatte einen berühmten Verwandten, mit dem er für kein Tau-acht des Universums tauschen mochte.

Liebe?

Nur noch ein paar Minuten, bis er ausreichend Mittel hatte, um Pao Ghyss zu suchen. Sie zu finden und zurückzugewinnen. Wo immer in der Milchstraße sie sein mochte.

Einer der Techno-Jaguare kam auf ihn zu. »Kann ich helfen?«, fragte das geschmeidige Tier mit wohlklingender Frauenstimme.

»Ich schaue mich um«, sagte Chayton. »Es ist mein letzter Tag auf MERLIN, und ich möchte ihn feiern. Ich muss mich nur entscheiden, wie.«

»Du bist am richtigen Ort«, bestätigte die robotische Raubkatze. »Wünschst du Beratung zu den Spielen?«

Chayton lächelte. Nur ein einziges Spiel war für ihn interessant, aber das durfte der Jaguar nicht wissen. Chayton lehnte das Angebot freundlich ab und ging tiefer in die Halle hinein.

Im Zentrum stand ein weiterer Torbogen, eine etwas kleinere Kopie des Eingangsportals. Die Holografie eines Mädchengesichts schwebte darunter, übermannshoch, ätherisch, unschuldig, allsehend. So zeigte sich DANAE, die Steuerpositronik auf MERLIN. Auch DANAE durfte nichts von dem mitbekommen, was er vorhatte.

Und niemand von der SteDat. Die Sicherheitskräfte in ihren blau-roten Uniformen hielten sich unauffällig in den dunkleren Winkeln des Casinos. Aber wenn die Techno-Jaguare einen Betrüger aufbrachten, war der Polizeidienst sofort zur Stelle. Die Verhaftung galt als die angenehmere Alternative zur Auseinandersetzung mit den Raubkatzen.

Techno-Jaguare, DANAE, SteDat. Er musste sie berücksichtigen, aber sie waren alle kein Hindernis für ihn. Er entdeckte den Roulettetisch, wartete, bis ein Ferrone seinen Platz freigab, und machte sich bereit.

 

*

 

Eine Runde lang beobachtete er das Spiel, ohne zu setzen. Spürte die Drehung des Rades, spürte den Lauf der Kugel. Das Rad wurde langsamer, das weiße Flirren auf den schwarzen und roten Feldern wandelte sich zu erkennbaren Ziffern. Die Kugel verlor an Geschwindigkeit, rollte in ihrer enger werdenden Spiralbahn dem Zentrum entgegen, traf auf einen der zehn kleinen Metallrhomben in der Kesselwand und sprang hinüber auf den rotierenden Teller mit den siebenunddreißig Zahlenfächern.

Auf diesen Augenblick kam es an. Die Kugel verlor ihren letzten Schwung, rollte abwärts auf die 19 zu.

Chaytons Gabe war der Telekinese ähnlich genug. Er konnte nicht die Kugel greifen und steuern, aber er konnte Schwerkraftvektoren manipulieren. Für einen kurzen Augenblick wurde die Kugel ein paar Milligramm leichter, rollte eine Winzigkeit langsamer. Statt in 19, rot, landete sie in dem Fach daneben.

»Vier, schwarz«, schnarrte der Robotcroupier.

Chayton unterdrückte ein Lächeln. Ein unauffälliger Blick in die Runde: Niemand hatte etwas bemerkt. Zufrieden ließ er die Jetons in der Hand klappern. Acht Fünfhunderter hatte er eingetauscht. Viertausend Galax waren alles, was ihm von den vierzigtausend geblieben war, die er in den drei Monaten auf MERLIN verdient hatte.

Nicht mehr lange.

»Faites vos jeux!« Der Croupier setzte den Teller in Bewegung. Sein Roboterarm griff in den Kessel, schoss die Kugel mit Luftdruck hinein.

Zwei Versuche würde Chayton sich gönnen. Nicht alles auf einmal setzen, das war zu auffällig. Er schob vier Jetons auf Rot.

Die Kugel rollte, der Teller drehte sich. Chayton fühlte, wie die Schwerkraft an den beweglichen Teilen zerrte, ahnte die Bewegungen voraus.

Ein plötzlicher Aufschrei riss ihn aus der Konzentration. Bei den Parcours-Zuschauern tat sich etwas: Die Techno-Jaguare hatten einen der Wettenden angesprungen und zu Boden geworfen. Zwei SteDat-Männer verließen ihre Posten, um dem Mann Handschellen anzulegen.

Die Ablenkung dauerte keine drei Sekunden, aber es hätte beinahe gereicht, um alles zu verlieren. Erst im letzten Moment zwang sich Chayton in die Konzentration zurück und dirigierte die Kugel auf 34, rot.

Das war knapp gewesen. Keine weiteren Fehler, mahnte er sich. Er mochte unbesiegbar sein – aber er musste trotzdem etwas für seinen Sieg tun!

Er sammelte seinen Gewinn ein. Sechstausend Galax lagen nun vor ihm, knapp ein halber Monatslohn.

Eine Arkonidin von der anderen Seite des Tisches lächelte ihn vielversprechend an. Hoffnung lag in ihren tiefdunkelroten Augen. Sie hatte verloren.

Chayton überlegte. Zweifellos war sie hübsch, aber sie war keine Pao Ghyss. Er beschloss, sie zu ignorieren. »Was ist da passiert?« Mit dem Kopf deutete er in Richtung der Parcours-Wetten.

»Verstoß gegen die Wettbedingungen«, sagte der Croupier ungerührt. »Ein Spieler hat darauf gesetzt, dass jemand in der dritten Runde ausscheidet. DANAE hat herausgefunden, dass er in die Zukunft sehen kann.«

Das war eine unangenehme Überraschung. Chayton hatte nicht damit gerechnet, dass DANAE tatsächlich ein Register der Psi-Fähigkeiten auf MERLIN führte. Was, wenn auch er selbst darin ...? Aber seine Gabe hatte sich erst vor Kurzem manifestiert. Die Positronik konnte nichts davon wissen.

»Was geschieht mit ihm?«, fragte er ruhig. Es gab keinen Grund zur Sorge. Er war unbesiegbar.

»Diese Information liegt mir nicht vor«, antwortete der Croupier. »Du kannst dich bei SteDat erkundigen. Faites vos jeux!«

Ganz bestimmt werde ich bei der Stationspolizei nachfragen, was mit Betrügern passiert, dachte Chayton. Unauffälliger geht es ja kaum.

Er musste seine Strategie ändern. Er hatte viele kleine Gewinne sammeln wollen, aber das erschien ihm nun zu riskant. Sobald er unwahrscheinlich oft gewann, würde DANAE ihn bemerken.

Lieber ein großer Gewinn. Nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht völlig abwegig. Solche Glücksfälle gab es beim Roulette.

Worauf sollte er setzen?

Er grinste. Natürlich, worauf schon? Er schob seine sechstausend Galax auf die Acht. Seine Hand in der Tasche spielte mit dem Tau-Döschen.

Die Kugel rollte.

Chayton verkrampfte, biss die Zähne aufeinander. Was tat er da? Es war eine Sache, die Kugel ein Feld weiterzubefördern, Schwarz oder Rot zu manipulieren. Aber sie in ein bestimmtes Feld hineinzubugsieren? Keine weiteren Fehler. Was er hier tat, war völlig idiotisch! Schnell streckte er die Hand aus ...

»Rien ne vas plus!«

Der Einsatz lag fest, durfte nicht mehr bewegt werden. Nun musste er es durchziehen.

Der Teller wurde langsamer. Wo war die Acht?

Wo war die verdammte Acht?

Er konnte die grüne Null erkennen. Die Acht lag fast genau gegenüber.

Die Kugel rollte die Kesselwand herab, sprang hinüber auf den Teller.

Auf die richtige Seite. Sie würde fünf oder sechs Fächer von der Acht entfernt fallen.

Riskant, aber möglich.

Chayton griff zu. Der Teller wurde etwas schwerer, kam schneller zur Ruhe. Die Kugel behielt ihre Geschwindigkeit bei, obwohl sie eigentlich eine Winzigkeit hätte beschleunigen müssen.

Sie schlug auf die Kante zwischen der 11 und der 30, sprang zurück und fiel dann auf der anderen Seite der 30 in die 8.

Chayton atmete erschöpft aus. Er hatte es geschafft!

Erleichtert sah er in die Runde. Alle anderen Spieler starrten ihn an.

Lauthals begann er zu jubeln. Er war doch unbesiegbar! Hoffentlich hatte niemand die kleine Verzögerung seiner Reaktion bemerkt – oder wenn doch, wurde sie gewiss der Überraschung zugeschrieben. 210.000 Galax schob der Croupier vor ihn, zusätzlich zu seinen 6000 Galax Einsatz.

Die Arkonidin hatte wieder verloren. Sie beugte sich etwas vor und gewährte ihm einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt. Er beachtete sie nicht. Chayton Rhodan hatte keine Zeit für Verlierer.

Er war reich. Er war reich! Um zweihunderttausend Galax anzusparen, hätte er normalerweise fünf Jahre arbeiten müssen!

Noch eine Runde, und er müsste nie wieder ...

Nein, mahnte er sich. Er hatte eben schon einen Leichtsinnsfehler gemacht, und nur Glück hatte ihn gerettet.

Er nahm die Chips und stand auf.

»Noch ein Gewinn, und du zählst zu den Großgewinnern«, sagte der Croupier.

»Kein Bedarf«, lehnte Chayton ab. »Ich habe genug.«

»Du musst nicht viel setzen«, informierte ihn der Roboter. »Drei Gewinne in Folge mit mehr als dreißigtausend Galax Gesamtgewinn, und du wirst mit Gold überschüttet.«

Wortwörtlich, dachte Chayton. Ein paar Mal hatte er von der Einkaufsstraße draußen die Glücklichen betrachtet, die in DANAES Torbogen durch den Goldregen schritten.

Nein, das war zu auffällig. Als Großgewinner würde man seine Spiele überprüfen, und dabei würden die Tempoveränderungen von Teller und Kugel auffallen.

Andererseits ...

»Faites vos jeux!«

Wenn er nun ein Monatsgehalt verlor, würde das die Aufmerksamkeit von ihm ablenken. Er setzte sich wieder und schob zwölftausend Galax auf Schwarz.

Die Kugel begann ihren Tanz.

»Die Regeln für den Großgewinn wurden gestern geändert«, informierte ihn der Croupier. »Die Gewinner erhalten jetzt neben dem Gold auch Tau-acht.«

Chayton erstarrte kurz. Tau-acht! Er hatte nur noch den Rest in seinem Döschen, und er wusste nicht, wie er auf der Erde an Nachschub kommen würde. Er hatte gehört, dass es die Droge in Los Angeles gab. Aber er konnte nicht sicher sein.

Die Kugel sprang aus dem Kessel über auf den Teller. Es sah so aus, als würde sie tatsächlich in einem schwarzen Fach landen. Verdammt, er konnte nicht einmal verlieren, wenn er das wollte!

Er griff zu, veränderte die Schwerkraft. Verlieren? Seine Spuren verwischen? Gewinnen? Tau-acht?

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Sein Zögern war idiotisch. Mit seinem Gewinn konnte er so viel Tau-acht kaufen, wie er wollte – hier auf MERLIN. Er konnte den Tau mitnehmen. Die Droge war so neu, dass der Transport nicht einmal verboten war.

Er lenkte die Kugel in ein rotes Fach und atmete tief durch. Es war vollbracht: Er hatte zwölftausend Galax verspielt, den Goldregen und das Tau-acht. Aber dafür brachte er mehr als zweihunderttausend Galax heim. Genug für sich, die Kinder und Payette. Genug, um Pao zu finden. Genug für den Tau.

»Einundzwanzig, rot.«

Chayton saß still und versuchte, seinen Herzschlag zu beruhigen. Er war überrascht, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen war. Wie lange er dafür gebracht hatte.

Wie lange war es gewesen? Wie lange hatte er die Kugel in der Schwebe gehalten?

Ein plötzlicher Druck auf seiner Schulter. Er drehte den Kopf und starrte in die goldenen Augen eines Techno-Jaguars. Die Tatze direkt neben seinem Hals zeigte vier messerscharfe Krallen.

»DANAE möchte mit dir über Schwerkraftanomalien sprechen«, ließ ihn das Tier mit seiner warmen Frauenstimme wissen.

Zu lange gezögert.

Ein Gefühl der Taubheit machte sich in ihm breit. Was geschah hier? Er war unbesiegbar!

Chayton sah, wie zwei SteDat-Leute auf den Roulettetisch zukamen. Einer der beiden hielt Handschellen bereit.

1.

Los Angeles

20. Januar 1461 NGZ

 

Perry Rhodan saß in der kleinen Raststätte dicht an der Straße zum Flughafen. Auf seinem Teller lag ein riesiges Steak, das er ruhig und systematisch aß. Daneben eine Schüssel mit Salat, eine Flasche Samuel Adams und ein halb volles Glas Bier.

Spiros Schimkos lächelte. Er wusste, dass Rhodan soeben drei Verhandlungen mit Direktoren großer Industrieunternehmen hinter sich gebracht hatte. Er hatte eine Deckadresse in Hongkong angegeben.

Schimkos warf einen Blick durch das Fenster. Draußen auf dem Parkplatz wartete ein Taxi mit Fahrer. Der Fahrer blätterte in einem altmodischen Magazin mit dürftig bekleideten Mädchen. Hin und wieder hob er fachmännisch den Blick und nickte; dann wippte die Zigarette, die er im Mundwinkel hielt.

Rhodan wirkte auf unbestimmte Art jung, erwartungsvoll, sehr selbstsicher.

Er ist zu jung, dachte Schimkos. Fünf Jahre zu jung. Wie alt? Fünfunddreißig?

Der echte Rhodan – der ewige Rhodan – war neununddreißig Jahre alt.

An seinem Nebentisch hatte sich ein Herr niedergelassen. Die dunklen Haare straff zurückgekämmt, machte er einen überaus gepflegten Eindruck, fast ein wenig zu gepflegt. Eine breitrandige Sonnenbrille verbarg seine Augen. Er zog eine Zeitung aus der Tasche und vertiefte sich in die Meldungen des Wirtschaftsteils. Geistesabwesend gab er eine Bestellung auf.

Dabei war die Bedienung durchaus ansehnlich, und Schimkos wusste, dass der Mann sonst hübschen Bedienungen nicht abgeneigt war.

Zumal, wenn sie ihm so vielversprechende Blicke zuwarfen wie diese Frau. Schimkos musterte ihr schwarzes Haar, das wie eine Wolke um ihren Kopf lag, ihre schlanken, nackten Arme mit dem dunklen Teint.

Kannte man ihren Namen? Schimkos tippte kurz auf das Infoholo in seinem Tisch, aber wie es schien, war der Name der Frau unbekannt. Er hob die schwere, irdene Schale und schlürfte von seinem Kaffee. Ein wenig erinnerte die Kellnerin ihn immerhin an Pao.

Allerdings hatte sie nicht Paos – ja, wie sollte er es nennen? Ihre Aura? Ihr Aroma?

Pao.

Er schaute zur Uhr. Nein, sie war noch nicht zu spät.

Schimkos sah, wie Rhodan seine Aufmerksamkeit wieder dem Steak zuwandte. Er schnitt, warf einen Blick auf das rosa Innere des Stückes, aß. Schnitt und aß.

Schimkos grinste. Ein Wahnsinnsprogramm, dachte er. Und konnte sich doch der Spannung nicht ganz erwehren. Gleich passiert es.

Es passierte. Der Herr am Nebentisch hatte die Zeitung beiseitegelegt. Auf seiner Stirn standen einige steile Falten. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich offensichtlich auf den Nachbarn, der soeben den geleerten Teller von sich schob. Mehrmals machte er Anstalten, sich zu erheben, aber er schien sich nicht sicher zu sein.

Nur Mut, dachte Schimkos in Richtung des Mannes mit dem schlichten, aber ordentlichen Jackett, als könnte der tatsächlich seine Gedanken lesen.

Und als hätte er in der Tat Schimkos' Gedanken gelesen, gab der Mann sich einen Ruck, stand auf und schritt zum Nebentisch. Er blieb vor Rhodan stehen, sah ihn fragend an und murmelte dann: »Sie gestatten? Ich möchte Sie etwas fragen.«

»Im Original spricht er Englisch mit einem leichten australischen Akzent«, informierte der Tisch Schimkos leise. »Wünschst du nähere Information?«

»Nur nicht«, lehnte Schimkos ab und lachte. Er nahm noch einen kleinen Schluck Kaffee. Es gab englische Fremdwörter im Terranischen, Relikte, eingelagert wie in Bernstein. Aber wer wollte so etwas wissen?

Schimkos sah Rhodan nicken. Angst hatte er selbstverständlich nicht – ein kleiner Druck auf den Gürtel des Anzugs, den er unter der Straßenkleidung trug, und er wäre von einer Energieglocke umgeben. Er sagte: »Bitte.«

Der andere Mann setzte sich und erwiderte: »Sie sind Perry Rhodan – nein, fürchten Sie nichts. Es liegt mir fern, Sie zu verraten. Aber – ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen soll, Mister Rhodan. Lesen Sie Zeitungen?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Im Augenblick nur wenig. Sicher, in den letzten Tagen ...«

»Vor knapp einer Woche stand allerhand über mich darin, wenigstens in Brisbane. Niemand glaubte es, aber es ist wahr. Ich bin John Marshall, wenn Ihnen das etwas sagt.«

Rhodan nickte. Er entsann sich offenbar, dass er die kleine Notiz gelesen hatte. Er hob die Augenbrauen. »Sie sind der Gedankenleser, Mister Marshall? Sie saßen neben mir am Tisch und fingen meine Gedanken auf. Es ist schon gefährlich, seine Gedanken frei spazieren gehen zu lassen.« Rhodan schüttelte den Kopf. »Wie lange können Sie das schon?«

»Seit meiner Kindheit, wenn auch nur unbewusst. Erst vor einer Woche wurde mir klar, dass ich Telepath bin. Aber ich weiß nicht, warum.«

»Wann wurden Sie geboren?«

»Ende 1945.«

1945 – das klang wie ferne Zukunft, und Schimkos musste sich in Erinnerung rufen, dass Marshall nicht das Jahr 1945 Neuer Galaktischer Zeitrechnung meinte, sondern ein Jahr der prä-galaktischen Zeit – Unendlichkeiten tief in der Vergangenheit.

Lange vor der Terminalen Kolonne TRAITOR.

Lange vor Monos.

Jahrzehnte noch, bevor Rhodan mit einem steinzeitlichen Raumschiff zum Mond geflogen war.

Spiros Schimkos lächelte, wie man über die törichten Gedanken lächelt, die man als Kind gehegt hat. Vergangenheit. Er hätte in keiner anderen Zeit leben wollen als in seiner Gegenwart. Die Vergangenheit erschien ihm als ein grauenvoller Ort – eine Region, in der Menschen endlos gelitten hatten, als harmlose Befindlichkeitsstörungen wie Karzinome den Tod bedeuten konnten, als überall Schmerz sein konnte, im Kopf, an den Zähnen – und als die Zähne, wenn sie denn verloren waren, nicht zum Nachwachsen angeregt werden konnten. Der Körper als Wildnis. Schimkos schüttelte sich leicht.

Kurz erschien ihm Paos Gesicht vor dem inneren Auge, und er glaubte, den Klang ihres sonderbar leisen, wie aus weiter Ferne herüberhallenden Lachens zu hören. Ihren eigenartigen Duft zu riechen: Eis, Limette und Blut.

Ohne sie wäre er nicht hier. Nicht in diesem geisterhaften Gasthaus mit der Holoschleife der Perry-Rhodan-und-John-Marshall-Fabel.

Wo wäre er sonst? Irgendwo. Sein Leben, das ließ sich nicht leugnen, litt an einer gewissen Richtungslosigkeit. Als hätte er sich verpuppt und hinge nun im Geäst der Zivilisation, ohne rechten Anlass, zu schlüpfen und loszufliegen.

Wohin auch? Die Welt war uniform.

Er hatte nichts gegen Uniformität. Sie garantierte Sicherheit. Und doch ... Manchmal war ihm, als müsste noch etwas geschehen, etwas Entscheidendes.

Etwas wie Pao?

Er war sich nicht sicher.

Jedenfalls: Er war hier. Wohin sie ihn eingeladen hatte. Oder sollte er besser sagen: Wohin sie ihn beordert hatte?

Er wartete auf sie. Und da sie noch nicht eingetroffen war, wandte Schimkos seine Aufmerksamkeit wieder der musealen, holografischen Szene zu, die in einer Endlosschleife den Gästen des John's vorgeführt wurde:

»Hiroshima«, sagte Rhodan sachlich. »Die Strahlung! Es muss also noch mehr Mutanten geben!«

Spiros Schimkos lachte in den Kaffee. Die Strahlung! So einfach hatte man es sich damals vorgestellt. Natürlich, die Strahlung. Das erklärte ja alles. Wer oder was strahlte denn da? Man hatte förmlich nichts gewusst.

»Mutanten?« Marshall gab Rhodan das Stichwort.

»Veränderung der Erbmasse, meist erblich. Der Strahlungseinfluss wirkte auf Ihr embryonales Gehirn, bevor Sie geboren wurden.«

Die Szenerie veränderte sich. Rhodan erhob sich wie schwerelos von seinem Stuhl, wandte sich den Zuschauern zu. Sein Tisch mit dem leeren Teller, dem Salat, dem Bier verblasste. Die Züge von John Marshall verfeinerten, verklärten sich zugleich, er wirkte geradezu entrückt.

Rhodan sagte – und schaute dabei jedermann ins Auge, der sich im Raum aufhielt: »Das war meine Zukunftsvision: Mutanten. Eine völlig neue Perspektive. Wenn es mir gelang, die fähigsten natürlichen Mutanten der Erde zu finden und für mich zu verpflichten, konnte ich eine Truppe aufstellen, die nicht zu schlagen war.«

Dann standen Rhodan und Marshall plötzlich nebeneinander, beide in schlichte lindgrüne Uniformen gekleidet. Auf der Brust von Marshall sah Schimkos das Symbol des Mutantenkorps: ein von einem goldenen Lichtkranz umgebenes Gehirn.

Das Multikom an Schimkos' Handgelenk pochte. Es war Paos Takt. »Ja?«, sagte er leise.

»Wo bist du?«, fragte Pao – oder die positronische Zofe mit Paos Stimme. Schimkos hatte schon einige Male mit der künstlichen Sekretärin verhandelt, bevor er bemerkt hatte, dass es nicht Pao war, mit der er sprach. Das sollte verboten werden, dachte er. Keine Zofe sollte die Stimme ihrer Besitzerin nachahmen dürfen.

»Bist du es?«, wollte er wissen.

Er hörte ihr Lachen. »Ich bin es. Wer sollte ich sonst sein?«

»Ich bin im John's«, sagte er. »Wie verabredet.«

»Natürlich«, gab die Stimme zurück. »Aber ich brauche noch eine Weile. Ich will uns noch etwas besorgen. Du wirst sehen.«

Etwas besorgen? Was? Wozu? Er war nicht in dieses Kaff gekommen, um irgendwem ein Souvenir mitzubringen. »Bist du schon in der Stadt?«, fragte er. Seine Stimme klang härter, drängender, als er gewollt hatte.

»Natürlich«, antwortete sie. Dann schwieg sie.

Schimkos hasste es, wenn sie ihn so hängen ließ. Er sagte seinerseits kein Wort. Wartete. Bis er es nicht mehr aushielt: »Bist du noch da?«

»Ja.«

»Wie lange brauchst du?«

»Eine Stunde. Vielleicht.«

Wobei das vielleicht zweifellos die Lizenz für eine weitere Stunde war.

»Gut«, sagte er, ein wenig verstimmt. »Was soll ich inzwischen tun?«

Die Stimme lachte. »Du bist schon groß. Das musst du selbst wissen. Sieh dir die Show an.«

Schimkos schaute auf. Die beiden Tische, an denen eben noch Rhodan und Marshall gesessen hatten, waren frei. Rhodan trat gerade durch die Tür herein, sah sich suchend um, setzte sich, griff nach der Karte. Gleich würde die Bedienung kommen, Rhodan würde ein Steak und ein Bier bestellen.

»Ich habe die Show schon gesehen«, sagte Schimkos. Er tippte seine Legitimation in die Zahlmulde des Tischs, überwachte die Abbuchung und stand auf. »Wo treffen wir uns?«

»Im John's«, entschied Pao. »Bleib, wo du bist.«

Spiros Schimkos seufzte. »Na schön. In einer Stunde also.« Er ärgerte sich. Er war erst einige Stunden in Los Angeles und hasste die Stadt schon; er versuchte, ein wenig von diesem frischen Hass für Pao abzuzweigen. Das würde ihn vielleicht aus ihrem Bann lösen. Dem Bann ihres merkwürdigen, verschollenen Lachens.

Er warf noch einen Blick auf die Zuschauer, die sich die Rhodan-Marshall-Szene ansahen, dann verließ er die Gaststätte.

2.

New York

20. Januar 1461 NGZ

 

Perry Rhodan stieg aus dem Interkontinentalshuttle. Die Sonne schien auf das Landefeld. Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und genoss die Wärme auf seinem Gesicht. Bewusst sog er die New Yorker Luft in seine Lungen. Den Fuß auf amerikanischen Boden zu setzen, fühlte sich ein wenig nach Heimkehr an – immer noch, obwohl er seit mehr als dreitausend Jahren nicht mehr auf diesem Kontinent wohnte.

Jemand rempelte ihn an. »Geht das hier mal weiter?«

Rhodan machte einen Schritt zur Seite und gab den Weg frei.

Ein Kind hatte ihn erkannt, zupfte seiner Mutter am Ärmel und zeigte auf Rhodan. Bevor noch mehr Menschen auf ihn aufmerksam wurden, zog er seine Verkleidung – Schirmmütze und Sonnenbrille – aus der geschulterten Tasche, machte sich unkenntlich und ging ins Terminal.

Sein offizieller Termin war erst am Folgetag, im Moment war er privat hier. Er würde seine Urururur-undsoweiter-Großcousine besuchen. Er kannte die Nachkommen seines Onkels Karl, die sich wieder in Manchester niedergelassen hatten, nur flüchtig. Es war mehr als zehn Jahre her, dass er Payette und Chayton kurz besucht hatte. Chaytons Kinder waren damals noch nicht einmal zur Schule gegangen. Inzwischen waren sie Teenager. Rhodan fragte sich, ob die beiden sich überhaupt noch an ihn erinnerten oder ob sie ihn nur aus dem Geschichtsunterricht kannten.

Nun kam also der berühmte Verwandte aus Terrania wieder einmal vorbei, und er kam mit schlechten Nachrichten. Da musste es zumindest nicht sein, dass sich seine Anwesenheit herumsprach und irgendwelche übereifrigen Trivid-Teams ihm Kameradrohnen hinterherschickten. Er zog die Mütze ein wenig tiefer.

Die Beschilderung wies ihm den Weg zur LFT-Kontaktstelle, bei der er für die Dauer seines Aufenthalts einen Gleiter reserviert hatte.

Er fand das Büro fast auf Anhieb, obwohl man das Terminal seit seinem vorigen Besuch umgebaut hatte. Fast zwölf Jahre war er nicht mehr hier gewesen. Eigentlich war es eine Schande, wie wenig er auf Terra reiste. Gerade in den vergangenen Jahren wäre Zeit dafür gewesen. Seit TRAITORS Rückzug hatte es erfreulich wenige planetare oder galaktische Krisen gegeben.

Zu seiner Überraschung arbeiteten tatsächlich Menschen in der Kontaktstelle. Offensichtlich war New York als Drehscheibe auf Terra immer noch wichtig und waren die Probleme der Reisenden vielfältig genug, dass nicht alles von einer Positronik gehandhabt werden konnte.

Der Mann und die Frau im Büro mochten beide Ende zwanzig sein. Er war blond, sie dunkelhaarig. Der Mann sprach gerade mit einer Besucherin, die ihrer hellblauen Hautfarbe nach wahrscheinlich von der Venus stammte.

Seine Kollegin strahlte Rhodan an. Manady Filpra stand auf dem Namensschild an ihrem Arbeitsplatz. »Willkommen in New York! Wie kann ich dir helfen?«

»Guten Morgen! Ich hatte einen Gleiter ...«

»Kodenummer?«, unterbrach ihn Manady.

Rhodan reichte ihr einen Speicherchip mit den Reservierungsdaten.

Manady legte den Chip auf die Lesefläche. »Wo geht's denn hin?«, fragte sie, während die Positronik arbeitete.

»Nach Manchester«, antwortete Rhodan wahrheitsgemäß. Übertreiben musste man es mit der Geheimhaltung auch nicht.

»Oh!« Manady strahlte. »Willst du zu der Ausstellung von diesen Jupiter-Künstlern, oder besuchst du die Perry Rhodan Experience?«

Rhodan lächelte gequält. Er hatte noch nie einen Fuß in die Touristenfalle gesetzt, die seinen Namen zu Geld machte, und er würde es ganz sicher auch dieses Mal nicht tun. »Zur Ausstellung«, sagte er.

»Die Rhodan Experience ist aber großartig!«, strahlte Manady. »Ich war schon fünfmal da! Allein, wie sie die Expedition in die Negasphäre nachmachen. Ich kann das nur empfehlen. Es ist fast so, als wäre man selbst Perry Rhodan!«

Rhodan nahm Mütze und Sonnenbrille ab und schenkte Manady Filpra sein freundlichstes Lächeln.

Der LFT-Mitarbeiterin entglitten die Gesichtszüge. Sie verstummte, obwohl ihr Mund sich noch weiterbewegte. »Ababer ...«, stotterte sie, als sie sich halbwegs wieder gefasst hatte.

»Vertrau mir«, sagte Rhodan, »wenn die Experience die Negasphäre realistisch darstellen würde, wärst du nicht fünfmal hingegangen. Aber ich freue mich, dass du Spaß hattest.« Ein Holo leuchtete auf. »Wie steht es denn mit meinem Gleiter?«

Manady hatte sich wieder im Griff, wenngleich sie noch immer etwas blass war. »Das muss ein Irrtum sein«, sagte sie nach einem Blick ins Holo. »Hier ist ein alter Dodge-Gleiter reserviert. Wir haben auch das neueste Modell von Laurin und Klement. Moment, ich buche das um ...«

»Auf keinen Fall!« Rhodan grinste. »Ich will den Dodge. Das ist der Dodge Comet, oder? Der rollfähige?«

Manady Filpra nickte. »Ja, das alte Vierrad-Modell. Aber warum? Der Laurin und Klement ist doch ...«

»... schneller, bequemer und in jeder erdenklichen Hinsicht moderner, ich weiß.« Rhodan steckte seinen Chip wieder ein, der nun den Freischaltkode enthielt. »Ich nehme den Dodge.«

Er verabschiedete sich, schob sich die Brille auf die Nase und ging gut gelaunt zum Fuhrpark.

 

*

 

Rhodan setzte sich hinter die altmodische Steuerstange und ließ die Räder ausfahren. Das Fahrzeug wackelte kurz, als der Antigrav abschaltete und das ganze Gewicht auf die Reifen sackte.

Jemand wie Manady Filpra konnte nicht verstehen, was er hier tat. Natürlich hätte er den modernen Gleiter nehmen können. Er hätte auch in Boston landen und von dort die kürzere Route fahren können. Oder, noch einfacher, direkt von Terrania aus nach Manchester fliegen.

Aber das hier war seine alte Strecke. Vor mehr als dreitausend Jahren war er, wann immer er sich länger in Manchester aufgehalten hatte, freitags über die Interstate 91 bis New Haven gefahren. Dann war es weiter über die 95 nach New York gegangen, und meist war er nach schlaflosen Nächten erst sonntags wieder zurückgekommen. Ohne Antigravantrieb, nur mit vier heißen Reifen auf der Straße.

Die Straßen hießen mittlerweile anders, hatten ihren Namen in drei Jahrtausenden unzählige Mal geändert. Aber noch immer führte die Route an der Küste entlang und bog dann Richtung Norden ab.

Einen Augenblick lang fühlte er Ehrfurcht über diese Form von Beständigkeit. Manche Römerstraßen in Europa waren sogar noch älter, um die fünftausend Jahre. Ganz allmählich reichte die menschliche Tradition an die von Arkons Sternenreich heran.

Aber an diesem Tag wollte er keine kosmischen Gedanken wälzen. Er wollte nur seine alte Route fahren. Er desaktivierte den Autopiloten und beschleunigte mit quietschenden Reifen.

 

*

 

Er schoss die ehemalige I-95 entlang. Rechts glitzerte der Long-Island-Sund, links erstreckten sich die Wälder Connecticuts. Vor dreihundert Jahren noch war das Land eine vegetationsarme Brache gewesen. Aber in Connecticut war es üblich geworden, Straftäter für kleinere Vergehen zum Sozialdienst zu verurteilen, falls sie ihre Geldstrafe nicht zahlen konnten. Oft wurden sie zur Hilfe bei Wiederaufforstungsarbeiten herangezogen. Ein sinnvolles Arrangement, befand Rhodan, als die neu entstandenen, majestätischen Mischwälder an ihm vorbeizogen.

Im ehemaligen New Haven bog er Richtung Norden auf die I-91 und begann den letzten Abschnitt seiner Reise. Auf Bodenniveau waren kaum Gleiter unterwegs. Der Großteil des Verkehrs spielte sich in dreißig bis sechzig Metern Flughöhe ab. Ein einzelner Bodengleiter tauchte immer mal wieder auf dem Rückmonitor auf, und nur alle paar Minuten kam ihm ein Fahrzeug entgegen.

Rhodan erreichte das Hartford County – nun war es nicht mehr weit. Vor ihm kam ein Gleiter in Sicht, der es etwas gemächlicher angehen ließ. Als Rhodan gerade zum Überholen ansetzte, bremste der andere plötzlich. Der Wagen brach aus und stellte sich quer.

Rhodan riss die Steuerstange an sich, konnte aber nicht rechtzeitig stoppen. Er zwang den Dodge nach links, wich dem immer noch schleudernden Wagen vor ihm aus und sah einen gewaltigen Baum näher kommen. Im Reflex aktivierte er den Antigrav und riss seinen Gleiter empor. Von unten schoss er in die niedrigste Flugebene hinein und zwang dort einige andere Gleiter zu gewagten Ausweichmanövern.

Rhodan lenkte den Gleiter aus dem Flugkorridor, aktivierte das Warnsignal der Positronik und atmete erst einmal tief durch. Sein Herz schlug wild. Das wäre beinahe das lächerlichste denkbare Ende seines langen Lebens geworden: gestorben bei einem Autounfall – einer Todesursache, die es auf Terra seit dem zweiundzwanzigsten Jahrhundert alter Zeitrechnung nicht mehr gab.

Vorsichtig senkte Rhodan den Gleiter wieder ab und kam neben dem Wagen zum Stehen, der sich vor ihm auf der Straße gedreht hatte. Er sah hinein. Ein junger Bursche hielt zitternd die Steuerstange umklammert. Neben und hinter ihm drängten sich sechs weitere junge Männer und Frauen.

Rhodan zog eine Augenbraue hoch. Der Gleiter war maximal für fünf Personen zugelassen. »Alles in Ordnung bei euch?«, fragte er.

Der Bodengleiter, den Rhodan die ganze Zeit hinter sich gehabt hatte, schoss hupend an ihm vorbei. Aus der anderen Richtung näherten sich blau und rot blitzende Lichter.

»Da war einer auf der Straße!« Der Fahrer sprach krächzend. Er hatte sich noch nicht wieder im Griff. »Ein Mann!«

Rhodan schaute sich um. Niemand war zu sehen. Seit dem Unfall waren keine fünfundvierzig Sekunden vergangen, und der Wald war nicht dicht genug, als dass man sich in so kurzer Zeit dort hätte verstecken können. »Wo?«, fragte er.

»Direkt vor uns«, sagte der Fahrer. »Er war plötzlich da. Ich musste bremsen, und dann war er wieder weg!«

Der Gleiter mit den rot-blauen Lichtern hielt auf der anderen Straßenseite. Manchesters Beauftragter für Öffentliche Sicherheit stieg aus. »Der Sheriff!«, rief jemand aus dem Fond des überfüllten Gleiters.

Rhodan lächelte kurz. Der Slang hatte sich also noch immer gehalten, auch wenn das Amt seit Jahrhunderten anders hieß.

Der Sheriff, den Rhodan selbst vor bald zwölf Jahren hier kennengelernt hatte, war anscheinend nicht mehr im Dienst. Denn der Mann, der auf sie zukam, war viel jünger – gerade mal Anfang dreißig, schätzte Rhodan. Er war groß, etwas dicklich und bewegte sich ein wenig unbeholfen. Seine schwarzen Locken trug er gegelt und mit Mittelscheitel. Rhodan konnte sich nicht entsinnen, dass eine solche Frisur irgendwann in den vergangenen drei Jahrtausenden als schick gegolten hätte.

»Was ist hier los?« Der Sheriff beugte sich vor und sah in den Wagen. »Schon wieder, Ray? Wirklich schon wieder? Alle raus da!«

Die sieben Männer und Frauen stiegen unter einigen Verrenkungen aus dem viel zu kleinen Fahrzeug. Alle bis auf den Fahrer bewegten sich ungeschickt. Ihre Augen waren glasig.

»Hast du was genommen, Ray?«

»Nein, Sheriff Kwong«, sagte Ray mit kläglicher Stimme. »Nur meine Freunde. Ich habe sie abgeholt, sie wollen sich die Ausstellung ...«

»Weißt du, was mir völlig egal ist?«

Rhodan trat etwas zurück und betrachtete das Schauspiel. Ähnliche Gespräche hatte er an ziemlich genau dieser Stelle mehrfach mit dem alten Sheriff Hartnell geführt, damals, Mitte der 1950er-Jahre alter Zeitrechnung.

»Mir reicht es«, schimpfte Kwong. »Mir reicht es wirklich. Dieses Mal kriegst du keine Verwarnung mehr. Ich kann nichts dagegen machen, dass du dieses Pack in die Stadt bringst. Aber du fährst gefälligst zweimal und nicht total überladen.« Kwong beäugte die schwankenden Gestalten. »Und wenn ich einen von euch in Manchester mit Drogen erwische ...« Er ließ den Satz unvollendet.

Rhodan überlegte, wie oft Kwong seiner Aufgabe nachging. War er ein offizieller Angestellter der Gemeinde, der den Auftrag hatte, sich um die Kleinigkeiten des Alltags zu kümmern? Sorgte er dafür, dass die Bürger das Gefühl hatten, das Gesetz wache über den Verkehr?

»Hier ist dein Strafbefehl.« Sheriff Kwong zog einen kleinen Ausdruck aus einem Gerät an seinem Gürtel.

»Zweihundert Galax?«, rief Ray entsetzt. »Woher soll ich zweihundert ...«

»Mir doch egal«, sagte der Sheriff. »Du kannst auch zwanzig Stunden Bäume pflanzen.«

Rhodan räusperte sich.

Der Sheriff wandte sich ihm zu. »Was willst du?«

»Bei allem Respekt, Sheriff«, sagte Rhodan bedächtig, »ist es nicht eigentlich üblich, die Unfallursache zu untersuchen, bevor Strafbefehle verteilt werden?«

»Ich kenne die Unfallursache«, erwiderte Kwong. »Sie heißt Ray Mandoki und nimmt alles, was in New York modern ist. Ich will dieses Zeug nicht in meiner Stadt haben. Kein weiteres Verfahren nötig.« Kwong sah Rhodan misstrauisch an. »Und wer bist du? Was machst du hier?«

»Ich war in dem hinteren Gleiter.« Rhodan deutete kurz auf den Dodge, dann nickte er in Ray Mandokis Richtung. »Der Fahrer sagt, dass jemand auf der Straße erschienen ist.«

Der Sheriff sah sich um. »Und, siehst du jemanden?«

»Nein«, gab Rhodan zu. Genau das nagte an ihm. Es war so schnell gegangen ... Hatte er vor dem Unfall nicht selbst eine Gestalt vor dem anderen Wagen gesehen? Nur für den Bruchteil einer Sekunde?

Rhodans Instinkt sagte ihm, dass Ray Mandoki weder log noch halluziniert hatte. Seine Mitfahrer mochten benebelt sein, aber der junge Mann selbst schien klar im Kopf. »Aber was wäre, wenn ...«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, fiel ihm der Sheriff ins Wort. »Wer bist du?«

Rhodan nahm Mütze und Brille ab.

Der Sheriff beäugte ihn misstrauisch. »Ist das ein Scherz?«

»Nein.« Allmählich wurde Rhodan ärgerlich. »Ich bin es wirklich. Ich soll morgen bei der Ausstellungseröffnung eine Rede halten.«

»Der berühmte Perry Rhodan kann nicht mal einen Gleiter steuern. Ich empfehle dir den Autopiloten.« Kwong grinste, als habe er den Witz des Jahrhunderts gemacht. Dann wurde er übergangslos wieder ernst. »Du gibst dein Gesicht für die Schmierfinken vom Jupiter her? Damit die noch mehr von diesem Pack nach Manchester locken?« Er zeigte auf Ray und dessen Begleiter, ohne hinzusehen.

Ich glaube, das ist der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, dachte Rhodan gereizt. »Bitte, Sheriff, lass uns zumindest einmal drüber nachdenken. Was ist, wenn da wirklich ein Mann aus dem Nichts ...«

»Ist das der Dodge, der eben hoch in die Gleiterbahn geschossen ist?«, unterbrach ihn Kwong erneut.

Rhodan bestätigte und versuchte noch einmal, seinen Gedanken zu Ende zu führen.

Kwong hörte nicht einmal zu.

Sein Gerät spuckte einen weiteren Strafbefehl aus. Der Sheriff drückte ihn Rhodan in die Hand. »Fahrzeugführung ohne Sicherheitspositronik«, las Rhodan dort, »Gefährdung der Flugsicherheit« und »überhöhte Geschwindigkeit«.

Rhodan starrte verblüfft auf seinen ersten Strafzettel seit Einführung der Neuen Galaktischen Zeitrechnung. Der Sheriff hatte ihn im Schnellgericht zu sechzig Stunden Forstarbeit oder sechshundert Galax Strafe verurteilt.

3.

Los Angeles

20. Januar 1461 NGZ

 

Die Düfte und die Farben der Stadt. Minze im Wind, Orangen, ein Hauch von Salz, der vom nahen Pazifik herüberwehte. Das Aroma von sonnenbeschienenem, erhitztem Metallplastik. Hatte er Geruchsreizen immer so viel Aufmerksamkeit gewidmet? Oder hatte ihm erst die Begegnung diese merkwürdig atavistische Dimension der Sinne aufgeschlossen?

Er stieß die Luft aus der Nase aus und sah sich um: viel nackte, in der Hitze glänzende Menschenhaut. Viel schlichte Eleganz, viel schreiende Kostümierung.

Schimkos besuchte Los Angeles zum ersten Mal. Er war ein Weltbürger, aber nicht unbedingt ein Bürger dieser Welt. Terra – das war für ihn wesensgleich mit seiner Heimatstadt Terrania. Die anderen Städte der Erde waren für ihn bloße Vororte, schiere Provinz, seiner Lebenszeit – und einer Besichtigung – nicht wert.

Er hatte auch den Städten der anderen großen Welten eine Chance gegeben. Er hatte das Squedon-Kont-Viertel auf Arkon gesehen und dafür die längste Reise seines Lebens hinter sich gebracht. Nett, aber nicht berauschend. Er hatte einige Monate versucht, in Thorta zu wohnen, in Sichtweite des Roten Palastes, aber das Klima auf Ferrol nicht vertragen, die feuchtheißen Schwaden, die wie ein Dunst waren aus den Dschungeln der Vorzeit.

Zwei Jahre immerhin hatte er auf Topsid zugebracht, in der Hauptstadt Kerh-Onf, unter dem violetten Nebel der Echsenwelt.

Er hatte festgestellt, dass die Stadt der Echsen von einer eigenartigen Modernität war, leicht, beinahe schwebend, eher die Luftspiegelung einer Stadt als eine materielle Wohnung. Die Nebel von Topsid waren wie kühle Gaze, und sie lagen leicht auf seiner Haut und auf seinem Gemüt. Nur die Dunklen Winde vom Omzrak-Massiv hatten ihm jene schweren Träume beschieden, unter denen viele Lemuroide auf Topsid litten. Träume, in denen alle Uhren rückwärts liefen und ein untergründiges, beinahe verständliches Wispern aus den Sümpfen klang, das nach Opfern rief und nach Beistand gegen eine namenlose Gefahr – Träume, aus denen man erschüttert und erschöpft erwachte wie nach vielen entbehrungsreichen Tagen Arbeit.

Nicht dass er aus Kerh-Onf geflohen wäre. Aber auf die Dauer hatte die Echsenstadt Terrania nicht ersetzen können, und es hatte ihn heimgezogen in die weiße Stadt am Goshun-See.

Natürlich hatte er auch Pao in Terrania kennengelernt, im Raumkapitän Nelson,––