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Inhalt

Vorwort

Vorwort der Geschäftsleitung

Die besten Schlepper der Welt

Wie die heutige BUGSIER entstand

1914 bis 1923: Krieg und Annäherung an die Hapag

Die Bergung der AVARÉ: Ein enormer Prestigegewinn

Schuchmann kommt

Jahre der Konsolidierung

Bergung unter Lebensgefahr

Erneut Krieg – wieder bricht das Geschäft zusammen

Die Räumung des Suezkanals – Bugsier auf der Weltbühne

Reeder Schuchmann auf Albert Ballins Stuhl?

Die ersten Frachterneubauten nach langer Pause

Die goldene Zeit des Hochseeschleppgeschäfts

Eine neue Zeit

Flottenausbau am laufenden Band

Das Containerzeitalter beginnt

Ein tragischer Unfall – und ein kleines Wunder

Die „Mittelklasse“

Noch einmal: Suezkanal-Räumung

Am Rande des Abgrunds

Zum dritten Mal: Bugsier räumt im Suezkanal auf

Bugsier – Partner der Ölförderung

Neue Schiffe – schwacher Markt

Schwere Zeiten

Neue Perspektiven

Zwei neue Notschlepper

Schiffslisten

Frachtschiffe

Schlepper

Bergungsfahrzeuge

Anhang

Index der Schiffsnamen

Danksagung

Bildnachweis

Impressum

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Hamburg und Bremerhaven – das sind die beiden im Laufe der Reedereigeschichte gewachsenen Zentren der Bugsier Reederei. Die beiden Stiche stellen Teile der Flotten der Bugsier, Hamburg (oben) und der Reederei W. Schuchmann, Bremerhaven, vor dem jeweiligen Stadtpanorama dar. Die Grafiken dürften etwa gegen Ende der 1930er-Jahre entstanden sein und befinden sich zu Dekorationszwecken im Stammhaus Hamburg am Johannisbollwerk am Hamburger Hafen, das auf der Hamburg-Darstellung rechts unterhalb der Michaeliskirche zu erkennen ist.


Vorwort

Um eine Chronik über 150 Jahre Firmengeschichte verfassen zu können, benötigt man viel Material – Dokumente, Briefe, Fotos und andere Unterlagen, die möglichst den gesamten Zeitraum des Bestehens des Unternehmens abdecken. Dies ist in den meisten Fällen unmöglich, und so obliegt es dem Chronisten, aus dem vorhandenen Material mit Logik, dem Wissen um die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und (nicht zu viel) Fantasie einen Text zu schreiben, der dem tatsächlichen Verlauf der Firmengeschichte möglichst nahekommt. Dabei ist unbestritten, dass eine annähernd lückenlose Dokumentation umso schwieriger wird, je weiter die Begebenheiten zurückliegen und desto weniger Material über bestimmte Zeitspannen aufzutreiben ist.

150 Jahre Bugsier zu recherchieren und aufzuschreiben war einerseits nicht schwer, weil es sich um ein Unternehmen handelt, dessen Betätigungsfeld immer faszinierend und facettenreich war und über das zu fast allen Zeiten immer wieder in Zeitungen und anderen Organen berichtet wurde. Andererseits haben aber auch, was bei einem oft so stark im öffentlichen Interesse stehenden Schlepp- und Bergungsunternehmen wie der Bugsier Reederei auch nicht verwunderlich ist, Legendenbildungen dazu geführt, dass über bestimmte Zeiträume oder Entwicklungen unterschiedliche Darstellungen existieren. Um hier größtmögliche Klarheit zu bekommen, habe ich über Monate in den verstaubten Kisten und Kartons, abgelegenen Regalen und Abseiten des Bugsier-Kontorhauses am Hamburger Johannisbollwerk gestöbert und gewühlt. Dass ich das durfte und dabei gelegentlich auch auf äußerst vertrauliche Dokumente stieß, habe ich dem grenzenlosen Vertrauen zu verdanken, das mir der Bugsier-Geschäftsführer Jan-Wilhelm Schuchmann und sein Neffe Sven Schröder entgegengebracht haben, ebenso wie auch der Finanzchef der Reederei, Thomas Pagel. Wenig später schenkte mir Hajo Schuchmann in Bremerhaven das gleiche Vertrauen, indem er mir die Archivschränke der Bugsier Reederei und der Reederei W. Schuchmann in Bremerhaven öffnete. Sie alle haben mir Einblicke in alle verfügbaren Unterlagen gewährt, ohne auch nur einmal mein Interesse an diesem oder jenem zu hinterfragen. Dafür möchte ich ganz herzlich danken und ihnen versichern, dass ich das in mich gesetzte Vertrauen niemals missbraucht habe.

Danken möchte ich aber auch allen aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern der Bugsier Reederei, die mir bei diesem Buch geholfen haben. Sie waren ohne Zögern bereit, mir ihr Wissen und ihre Erinnerungen über die selbst erlebte, jüngere Geschichte ihrer Reederei weiterzugeben. Da ich selbst einmal Bugsier-Mitarbeiter war, kam es während der Recherche zu diesem Buch zu äußerst erfreulichen, von mir bis dahin niemals für möglich gehaltenen Wiedersehen mit ehemaligen Vorgesetzten und Kollegen. So war es möglich, eine unterhaltsame und informative Schilderung von „150 Jahren Bugsier“ zusammenzustellen.

Hamburg, im September 2016
Jan Mordhorst

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Jan-Wilhelm Schuchmann ist im Jubiläumsjahr der Bugsier Reederei der alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer. Der fünffache Familienvater stellt nach seinem Urgroßvater Wilhelm Schuchmann bereits die vierte Generation seiner Familie in der Reedereigruppe Bugsier/Schuchmann dar. Er leitet die Geschicke der Reederei im Jubiläumsjahr seit gut 25 Jahren. Das Kontorhaus am Johannisbollwerk Nr. 10 direkt am Hamburger Hafen ist seit 1930 Firmen- und Stammsitz der Bugsier Reederei. Im „Stammhaus Hamburg“ befindet sich die operative Verwaltung der Reederei mit ihren verschiedenen Abteilungen, der Finanzverwaltung, der Projektabteilung, der Decks- und Maschineninspektion und dem Personalbüro.

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Hajo Schuchmann leitet das Bugsier-Büro in Bremerhaven, das 2016 hauptsächlich die Disposition des Seebergungskrans und der Pontonflotte sowie Seeschiffsassistenz auf Weser und Jade und die Festmacherei in Bremerhaven betreibt. Das Foto zeigt ihn vor dem Eingang des ehemaligen und immer noch existierenden Bugsier-Büros am Kaiserhafen I in Bremerhaven. Die bronzenen Firmenschilder der Reederei W. Schuchmann und der Bugsier Reederei mit dem Nordischen Bergungs-Verein dürften etwa in den 1920er-Jahren dort angebracht worden sein. Das derzeitige Bugsier-Büro in Bremerhaven befindet sich seit etwa 20 Jahren ganz in der Nähe der alten Geschäftsräume in der Geo-Plate-Straße an der Kaiserschleuse.

Vorwort der Geschäftsleitung

150 Jahre Bugsier – das bedeutet nicht weniger als 150 Jahre deutsche Schifffahrtsgeschichte. Die heutige Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Gesellschaft mbH & Co. KG – 1866 in Hamburg gegründet als „Vereinigte Bugsir-Dampfschiffs-Gesellschaft Actiengesellschaft“ – hat die gesamte Entwicklung der Handelsschifffahrt von der Segelschiffszeit bis hin zu den heute üblichen Spezialschiffen mit extrem hohem technologischen Standard nicht nur durchlebt, durchlitten und erfahren, sondern in bestimmten Bereichen auch mitgeprägt, und das sogar weit über die Landesgrenzen hinaus. Man denke hier nur an die überragende Ingenieurleistung, als in den Jahren 1969/70 die damals mit Abstand größten und kräftigsten Hochsee- und Bergungsschlepper der Welt in Dienst gestellt wurden. Diese wurden maßgeblich von unseren Ingenieuren entworfen und entwickelt. Sie fuhren mit Bugsier-Personal und unter unserer Hausflagge. Hochseeschlepper solcher Größe waren zur damaligen Zeit der Aufbruch in eine neue Zeit und in der Schleppschifffahrt auch in neue Dimensionen. Darüber hinaus hat die Bugsier Reederei in der europäischen Linienschifffahrt und der weltweiten Frachtschifffahrt eine Rolle gespielt. Aber auch zwei verheerende Weltkriege mit unermesslichen Verlusten an Mitarbeitern und fast der gesamten Flotte musste die Reederei in ihrer Geschichte verkraften – und sie hat es verkraftet, zweimal, mit dem unerschütterlichen Willen zur Fortsetzung des Geschäfts, und nicht zuletzt auch mit einer gehörigen Portion Freude und Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrer Arbeit.

Wir sind Jan Mordhorst sehr dankbar, dass er sich die Mühe gemacht hat, die bewegte Geschichte unserer Reederei nachzuzeichnen und das, was er in etwa einjähriger Recherche zusammengetragen hat, für die Nachwelt aufzuschreiben. Das Ergebnis halten Sie in Händen.

Seit Dezember 1926 liegt das Schicksal der Bugsier Reederei in den Händen unserer Familie, der Familie Schuchmann. Wir betreiben heute das Geschäft der Seeschiffsassistenz auf Elbe, Weser, Jade und in den Seehäfen Mecklenburg-Vorpommerns, Schwergutarbeiten mit Kränen und Pontons, Festmacherei und Ölbekämpfung, die Gestellung von Notschleppern in Nord- und Ostsee sowie Dienstleistungen aller Art für die Offshore-Öl-, Gas- und Erneuerbare-Energien-Industrie partnerschaftlich in nunmehr vierter Generation. Die fünfte Generation ist ebenfalls bereits angetreten. Immer wieder mussten unsere Väter, unsere Großväter und natürlich unser Urgroßvater Wilhelm Schuchmann, der 1884 im damaligen Geestemünde den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, Rückschläge hinnehmen und wirtschaftliche und gesellschaftliche Stürme überstehen. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein. Aber sie und die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Reederei haben bisher alle Klippen umschifft und immer wieder den richtigen Kurs für die Zukunft gefunden.

Hamburg, im September 2016
Jan-Wilhelm Schuchmann – Hajo Schuchmann

Die besten Schlepper der Welt

Die Nordsee war ruhig an diesem Pfingstsonntag des Jahres 1984. Vorausberechnet ruhig könnte man sagen, denn Schleppreisen in dieser Dimension müssen vor ihrem Start äußerst präzise durchkalkuliert und vorbereitet werden …

… und dazu gehören auch eigentlich unvorhersehbare Faktoren wie das Wetter. Anlass für die gründliche Vorbereitung war, eine gigantische Öl- und Gas-Förderplattform zur Energiegewinnung auf hoher See auf ihre endgültige Position in der Nordsee zu überführen.

Zehn Tage zuvor hatte sich im norwegischen Yrkefjord der bis dahin größte und aufwendigste Schleppzug aller Zeiten in Bewegung gesetzt – auf den Weg gemacht vom geschützten Bauplatz des Monstrums tief drinnen im Fjord bis zur endgültigen Seeposition auf der Vikingbank im norwegischen Anrechtsgebiet der Nordsee. Die Reise führte über eine Distanz von 50 Seemeilen (rund 92 Kilometer) durch die zerklüfteten norwegischen Fjorde mit Kursänderungen von bis zu 90° zur offenen Nordsee und dann noch einmal 250 Seemeilen (rund 463 Kilometer) über die 300 Meter tiefe Norwegenrinne hinweg zur finalen Absenkposition im Statfjord-Ölfeld der staatlichen norwegischen Ölgesellschaft Statoil.

Es war also damals beileibe keine besonders lange Schleppfahrt, dafür aber eine, die es in sich hatte. STATFJORD C war die dritte (und größte) eines Trios von Förderplattformen der Gesellschaft Statoil, bei denen die Tagesproduktion an Rohöl jeder einzelnen der drei Plattformen ausreicht, um kilometerlange Asphaltstraßen zu verlegen, Industrieanlagen und Schiffsmotoren anzutreiben, öffentliche Gebäude und Krankenhäuser zu beheizen, den Kraftfahrzeugverkehr mit Treibstoff zu versorgen, Kerosin für Flugzeuge zu liefern und Privathaushalte und Industrie mit Erdgas zu versorgen. Als Führungsschlepper bei der Positionierung von STATFJORD C mit dabei: die Hochsee- und Bergungsschlepper OCEANIC und ARCTIC der Hamburger Bugsier-Reederei. Neben den beiden Flaggschiffen der deutschen Hochseeschlepperflotte waren noch drei niederländische und drei norwegische Hochseeschlepper mit dabei – kurz: Das Beste, was Europas Schleppreedereien zu bieten hatten, war hier am Start. Alles zusammengerechnet waren Schlepper mit einem Maschinenvermögen von rund 100 000 PS und einer Zugleistung von knapp über 1000 Tonnen eingesetzt – eine zuvor in dieser Form noch nicht dagewesene Ballung an Schleppkraft.

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Auf bis zu neun Windstärken steigerte sich das Sturmtief, das der Schleppzug mit der Förderplattform STATFJORD C (im Hintergrund) zu durchfahren hatte. Die Schleppreise wurde dadurch zwar verzögert, war aber zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form gefährdet und konnte wenige Tage später programmgemäß abgeschlossen werden.

Superlative waren bei dieser denkwürdigen Operation durchaus angebracht, handelte es sich bei der Förderplattform STATFJORD C mit einer Wasserverdrängung von 760 000 Tonnen und einer Höhe vom Boden bis zur Bohrturmspitze von fast 300 Metern doch um das damals größte und vor allem um das schwerste jemals über See transportierte Objekt. Allein der Betonsockel („Caisson“) enthielt 130 000 Kubikmeter Beton – genug, um für 5000 Familien Wohnungen zu errichten. Auf dem Deck ein achtstöckiges Hotel mit 287 Kabinen, Restaurants, Kino, Aufenthaltsräumen und Krankenstation. Die Energieversorgung stellte ein eigenes Kraftwerk mit einer Leistung von 38 000 Kilowatt sicher. Aber nicht nur die technischen Dimensionen überstiegen alles bis dahin Dagewesene, auch hinsichtlich der Präzision beim Aufstellen auf dem Meeresgrund wurden Maßstäbe gesetzt: „The centre of the caisson must fall within a circle with a radius of 25 metres. The heading must be 293° +−5°“, lautete die Vorgabe. Eine Toleranz von 25 Metern in der Standortgenauigkeit und von 5° in der Ausrichtung, das war bei den vorliegenden Dimensionen bei STATFJORD C ein durchaus ehrgeiziges Ziel!

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Das sind die besten Schlepper der Welt: Neben drei niederländischen Einheiten (links, Mitte und rechts) hatten auch ARCTIC (2. v. l.) und OCEANIC in zentraler Position an dem Betonkoloss mit einer Wasserverdrängung von rund 760 000 Tonnen angespannt, um diesen auf die spätere Dauerposition in der zentralen Nordsee zu überführen.

Nach Auswertung der Wetteraufzeichnungen über Jahrzehnte lässt sich ein sogenanntes „Wetterfenster“, ein Zeitraum mit der geringsten Schlechtwetterperiode ermitteln, das in der mittleren Nordsee – statistisch gesehen – etwa Anfang bis Mitte Juni liegt. Also war der für die Rekordschleppreise gewählte Zeitpunkt durchaus sinnvoll – eine Garantie für das Eintreten eines solchen Wetterfensters war es indes nicht. So musste bei der Verschleppung der STATFJORD C bereits vier Tage, nachdem sich das bizarre Gespann in Bewegung gesetzt hatte, die exakt vorausberechnete Planung über den Haufen geworfen werden: Ein unerwartet aufziehendes Tiefdruckgebiet brachte kurz vor Erreichen der Zielposition bis zu neun Windstärken, sodass der gewaltige Schleppzug nur noch auf der Stelle treten konnte und auf Wetterbesserung warten musste. Allerdings war man auf solche unvorhersehbaren Ereignisse bestens vorbereitet, und alternative Abläufe, ein sogenannter „Plan B“, war – auch für eine Vielzahl von anderen denkbaren unerwarteten Vorkommnissen – vorhanden. Gefährlich werden konnte der Sturm den Schleppern nicht, schon gar nicht der wie festgenagelt im Wasser stehenden Betonkonstruktion STATFJORD C, aber bei hohem Wellengang, der sich zwangsläufig bei starkem Wind aufbaut, werden die Schleppverbindungen ganz anders als bei glattem Wasser zum Teil sogar extrem belastet. Also galt für die Besatzungen der Schlepper allerhöchste Konzentration. Denn der Bruch einer oder mehrerer Schleppdrähte hätte wirklich unabsehbare Folgen gehabt, ganz zu schweigen davon, dass es nahezu unmöglich gewesen wäre, hier draußen auf See die im geschützten Fjord mit hohem technischen Aufwand hergestellte Verbindung, die in einer Wassertiefe von 70 Metern an der Betonplattform befestigt war und über zahlreiche Schwimmkörper zur Abfederung von plötzlich auftretenden Belastungen zu den sechs Schleppern führte, erneut aufzubauen. Allerdings lagen auch für einen solchen Fall Alternativkonzepte vor. Es sollte einfach nichts dem Zufall überlassen werden.

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70 Meter unter der Wasseroberfläche befanden sich die Fixpunkte für die Schlepptrossen der insgesamt sieben Hochseeschlepper für die STATFJORD C. Auf dieser Schemazeichnung ist die Struktur der Plattform und des Schleppgeschirrs sowie die gegebenen Dimensionen gut zu erkennen.

„Die besten Schlepper der Welt“ seien für diese Operation bestellt worden, hieß es damals in norwegischen Schifffahrtskreisen – kein Wunder, bei einem Wert des geschleppten Objekts von etwa drei Milliarden US-Dollar kann man sich nicht mit dem Zweitbesten zufrieden geben. Die Hamburg/Bremerhavener Bugsier-Reederei besaß damals elf Hochsee- und Bergungsschlepper mit Antriebsleistungen von 4200 bis 13 500 PS, sechs kombinierte See- und Hafenschlepper bis 2000 PS sowie 24 reine Hafenschlepper. Sie verfügte damit nicht nur über eine hochmoderne Flotte von Fahrzeugen dieses speziellen Schiffstyps, sondern zählte auch zu den führenden Schleppreedereien der Welt und genoss aufgrund von jahrzehntelang zur Zufriedenheit der Kundschaft ausgeführten Schleppaufträgen einen ausgezeichneten Ruf.

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Wenn das schwere Schleppgeschirr der ARCTIC klar gemacht wird, ist die gesamte Decksbesatzung im Einsatz. Im Vordergrund der mächtige geflochtene Perlonrecker, der plötzliche Stoßbelastungen auf das Schleppgeschirr elastisch auffangen soll.

Nachdem der Sturm sich gelegt hatte und auch der Seegang merklich zurückgegangen war (eine Positionierung durfte trotz der nahezu unbeweglich im Wasser stehenden Betonplattform nicht bei Seegang mit Wellenhöhen von zwei Metern und darüber erfolgen) konnte die letzte Etappe dieser historischen Schleppreise in Angriff genommen und nur wenige Stunden später, am Pfingstsonntag 1984, erfolgreich abgeschlossen werden. „Our heading is onetenth degree off course and we are eight metres off the cross. You all did a phantastic job, I shall say thank you, Gentleman.“ Nach diesen erlösenden und anerkennenden Worten von Nick Storey, dem Gesamtleiter dieser denkwürdigen Operation, die er am 10. Juni 1984 um 6.27 Uhr per UKW an die beteiligten Schlepperbesatzungen durchgab, war ein Schleppauftrag erledigt, der zwar bei Weitem nicht der längste oder weiteste, dafür aber der aufwendigste und wegen der enormen bewegten Werte der am meisten beachtete in der damaligen Zeit war. Abgesehen von dem weltweiten Interesse, das diesem Stück Seefahrtsgeschichte damals entgegengebracht wurde, hatte die Verschleppung der STATFJORD C auch innerhalb der Bugsier-Reederei einen gewissen Seltenheitswert, denn Aufträge, die die beiden Flaggschiffe der Bugsier-Schlepperflotte, die „Superschlepper“ ARCTIC und OCEANIC, während ihrer rund zwanzigjährigen gemeinsamen Zeit unter der Kontorflagge der Bugsier-Reederei im Tandem, also gemeinsam ausführten, waren eher die Ausnahme. Schlepper der Bugsier hatten erneut Schleppgeschichte geschrieben.

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Einmal in Fahrt, ist ein Objekt mit einer solchen Masse kaum zu stoppen. Deswegen verlief die Fahrt durch die teilweise sehr engen Fjorde Norwegens mit Kursänderungen von bis zu 90° auch im Schritttempo.

Wie die heutige BUGSIER entstand

Knapp 120 Jahre früher sah die Welt der Schifffahrt noch gänzlich anders aus: Dampfgetriebene Schiffe waren Mitte des 19. Jahrhunderts erst im Begriff, eine Alternative zu den alt hergebrachten und in vielerlei Hinsicht bewährten Segelschiffen zu werden …

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… Besonders interessant war der Wettstreit zwischen dem Schaufelrad und der gerade erst erfundenen Schiffsschraube, der mit einem grandiosen Sieg der Schiffsschraube endete. 1862 wurde in England der letzte große reine Schaufelraddampfer gebaut (SCOTIA), und die legendäre gigantische GREAT EASTERN, der erste stählerne Überseedampfer, der 1859 entstand, erhielt sowohl Schaufelräder mit einem Durchmesser von 17 Metern als auch eine neuartige Schiffsschraube mit 7,30 Meter Durchmesser.

Wirtschaftlich war die GREAT EASTERN ein Fehlschlag, aber hinsichtlich des Schiffbaus und der Antriebsform stellte sie trotzdem ein wichtiges Kapitel in der Schifffahrtsgeschichte dar. An Erdöl als Treibstoff für Schiffe, dessen Suche in untermeerischen Ölquellen in der Blütezeit der Bugsier-Reederei viele Jahrzehnte später einen so großen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens haben sollte, war noch nicht zu denken gewesen. Vielmehr waren Torf, Holz und Kohle die gängigen Energieträger, und diese galt es nicht nur über Land, sondern zunehmend auch über das Wasser zu befördern. Aber beileibe nicht für nur Brennstoffe, auch für Rohstoffe, die von Übersee importiert werden mussten, Nahrungsmittel wie Getreide und Baustoffe, zu denen damals natürlich an vorderer Stelle Holz und Sand gehörten, mussten geeignete Transportkapazitäten für ihre Beförderung geschaffen, bereit gestellt und unterhalten werden. Diese See- und Überseeschiffe, zumeist noch Segler, aber auch schon die ersten Dampfschiffe darunter, waren in den vielfach engen Flussrevieren und Häfen sehr unbeweglich. Sie benötigten zum An- und Ablegen sowie beim Ein- und Auslaufen Schlepperassistenzen.

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Ob die Dimensionen in dieser Darstellung im richtigen Verhältnis zueinander stehen, mag dahingestellt sein – eindrucksvoll war die Erscheinung des ersten stählernen Dampfschiffes der Welt, der GREAT EASTERN, auf jeden Fall. Dagegen wirken die kleinen Schleppdampfer, die um den Bug des Kolosses herumschwirren, wie Spielzeug.

Dazu hatten 1866 mehrere Segelschiffsreeder unter Führung des Hamburger Werftbesitzers Bernhard Wencke laut Gesellschaftsstatut vom 6. Januar 1866 die „Vereinigte Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft“ in das Hamburger Handelsregister eintragen lassen. Der Zweck der Gesellschaft bestand vor allem darin, die Segelschiffe der Gesellschafter der „Vereinigten Bugsir“ in die Elbe hinein- und wieder herauszuschleppen, weil diese wegen ihrer Größe, die bereits damals zwar nicht rapide, dennoch aber zu wachsen begann, in dem engen Elbefahrwasser nicht mehr selbstständig manövrieren konnten – damit zumindest aber, wenn sie es dennoch schafften, viel Zeit verloren. Die Gesellschaft hatte sich schnell zum größten Schleppbetrieb Hamburgs entwickelt, denn die von ihr angebotenen Dienste waren auch bei anderen Segelschiffsreedern sehr gefragt.

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Nach ihrer Verschmelzung mit der Leichter-Gesellschaft zu Hamburg im Jahre 1898 änderte die Vereinigte Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft ihren Firmennamen in Vereinigte Bugsir- & Frachtschiffahrt-Gesellschaft.

Bernhard Wencke, dessen Unternehmen ab 1868 als B. Wencke Söhne firmierte, saß zusammen mit den Reederei- und Bankhausvertretern von Rob. M. Sloman jr., Deutsche Bank, Knöhr & Burchard, Adolph Kirsten und F. Laeisz im Aufsichtsrat der Deutsch-Australischen Dampfschiffs-Gesellschaft. Zwischen 1885 und 1900 zählten Wenckes Schiffe zu den größten Hamburger Seglern, so die EUTERPE von 1885 mit 2052 NRT und eine weitere EUTERPE von 1890 mit 2051 NRT. Größter Segler war damals die POTOSI von F. Laeisz mit 3854 NRT, zweitgrößter die PITLOCHRY, ebenfalls von F. Laeisz, mit 2972 NRT. Bis 1900 war B. Wencke Söhne mit Ausnahme eines Jahres mit bis zu 26 Schiffen die größte Hamburger Segelschiffsreederei. Erst zur Jahrhundertwende übernahm F. Laeisz, der bis dahin mit kurzem Abstand gefolgt war, die Führung in der Rangliste der Hamburger Reedereien.

B. Wencke Söhne gehörte mit dem Vollschiff TERPSICHORE, möglicherweise auch mit der auf der eigenen Werft gebauten Bark KALLIOPE, zu den Pionieren der Hamburger Reedereien in der Petroleumfahrt. Das Gros der Flotte war allerdings in der Salpeter- oder Reisfahrt beschäftigt. Kaufmann Wencke besaß also allerbeste Kontakte zur gehobenen Hamburger Reederschaft, womit der „Vereinigten Bugsir“ ein erfolgreicher Start sicher war. Nach dem Tod Bernhard Wenckes im Jahr 1867, nur ein Jahr nach der Gründung seiner neuen Hamburger Schleppreederei, hatte sein Sohn Friedrich die Leitung der Segelschiffsreederei übernommen und später verfügt, dass diese nach seinem Ableben nicht fortgeführt, sondern liquidiert werden sollte. Diese Verfügung kam 1905 mit dem Tod Friedrich Wenckes zum Tragen. Die noch verbliebenen 16 Schiffe gingen mit allen Kontrakten auf die „Rhederei-Aktiengesellschaft von 1896“ über.

Über die Anfänge der professionellen Schleppschifffahrt in Deutschland ist nur wenig überliefert. Klar ist aber, dass seitdem Schifffahrt betrieben wird, immer wieder Schiffe in Notlagen geraten sind und Hilfe nötig hatten oder beansprucht haben. Bevor der spezielle Schiffstyp „Schlepper“ eingeführt wurde, war man auf See weitgehend auf freundschaftliche Hilfe von anderen Schiffen angewiesen, die mit Sicherheit auch irgendwie honoriert wurde. Nur feste Regeln, geschweige denn ein Schleppgeschäft, das diese Bezeichnung auch verdiente, gab es damals noch nicht.

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Etwas Aufschluss über die Anfänge im deutschen Schleppgeschäft kann der Verein Hanseatischer Transportversicherer (VHT), Hamburg/Bremen, die älteste Assekuranz-Vereinigung der Welt, geben: Im Jahre 1857 schlugen die Gesellschafter des damals noch als Verein Hamburger Assecuradeure (VHA) firmierenden Unternehmens ihren Mitgliedern vor, eine Dampfschifffahrtsgesellschaft zu gründen, mit der ein Schleppdampfer betrieben werden sollte. Hintergrund dieser Überlegung war wohl, dass einige Fischer, die Fahrzeugen von Mitgliedern des VHA auf See geholfen hatten, für ihre Hilfe weit überzogene Forderungen geltend gemacht hatten und solche Hilfeleistungen mit einem eigenen Schlepper zumindest im Küstenbereich der Nordsee und in der Deutschen Bucht günstiger ausgeführt werden könnten.

Eigentlich handelte es sich bei den horrenden Forderungen der Schiffer für ihre Hilfe, die ihnen mehr oder weniger zufällig in den Schoß gefallen war, um glatte Erpressung oder Piraterie. Diesen Forderungen war man als Leidtragender zumeist hilflos ausgeliefert. Der Plan, einen eigenen Schleppdampfer bauen zu lassen, wurde von der Mitgliederversammlung des Versicherungsvereins gebilligt, und der Hamburger Reiherstiegwerft erteilte man den Auftrag, zum Preis von 110 750 Bancomark einen eisernen Bugsierdampfer zu bauen. Dieses im Jahre 1858 fertiggestellte Schiff erhielt den passenden Namen ASSECURADEUR und kann getrost als der erste deutsche Seeschleppdampfer bezeichnet werden.

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Der erste bekannte professionelle Schleppdampfer in Deutschland war ASSECURADEUR, der von den Versicherungsgesellschaften eingesetzt wurde, um bei Seenotfällen ihrer Kunden nicht den bisweilen völlig überzogenen Forderungen bei Hilfeleistungen durch andere Schiffe ausgeliefert zu sein.

In das Hamburger Handelsregister wurde am 22. Juli 1859 als Eigentümer des neuen Schleppers die Firma „Assecuranz Dampfboot-Gesellschaft“ eingetragen. Als Gründer traten auf: Carl Eduard Buck, August Wilhelm Müller, Johann Martin Böhrt und Hermann Theodor Kleinschmidt. Die Führung des Schleppers wurde Kapitän P. C. Bennitt übertragen. Er wurde in Cuxhaven stationiert und sollte Hilfeleistungen und Bergungen im Bereich der Elbmündung und auf der Unterelbe ausführen.

Nach zehn Jahren erfolgreichen Bergungsdienstes der ASSECURADEUR wurde die Unternehmensform geändert und der Schlepper durch eine Art von Genossenschaft der Mitglieder des VHA weiterbetrieben. Nach dem Ausscheiden von Kapitän Bennitt wurde auch der Schlepper ASSECURADEUR verkauft. Der Verein zog sich daraufhin aus dem eigenen Bergungsgeschäft zurück und überließ dieses den inzwischen vorhandenen berufsmäßigen Schlepp- und Bergungsgesellschaften. Eine solche war nämlich auch inzwischen in dem vormaligen Einsatzgebiet der ASSECURADEUR aktiv geworden, und zwar die 1866 gegründete Vereinigte Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft, die im Jahre 1871 den Schlepper ASSECURADEUR in die Bereederung übernahm. Das sind die Ursprünge der heutigen Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Ges. mbH & Co. – zumindest was die Schleppschifffahrt angeht.

Hinsichtlich der Frachtschifffahrt liegen die Ursprünge der heutigen Bugsier Reederei in der am 13. April 1889 in das Hamburger Handelsregister mit einem Aktienkapital von 500 000 Mark eingetragenen „Leichter-Gesellschaft zu Hamburg“, deren eigentlicher Zweck in dem „Betrieb der Leichter-Schiffahrt in den Hamburger, Altonaer und Harburger Häfen, auf dem Elbstrom und dessen Nebenflüssen sowie von der Elbe aus nach anderen Häfen“ bestand. Dieses Unternehmensziel war allerdings etwas hochgesteckt, denn in den ersten Jahren beschränkte sich die Tätigkeit der Leichter-Gesellschaft tatsächlich auf die Vermietung von Leichtern für den Verkehr im Hafen und auf Frachtfahrten auf der Unterelbe. Besonderes Augenmerk hatte man aber bereits sehr früh auf die Leichterung der großen Frachtsegler und -dampfer gelegt, die infolge des damals für die Größe der Schiffe unzureichenden Zustands des Elbefahrwassers bei Brunshausen (dem heutigen Stadersand) vor Anker gehen mussten. In den ersten Jahren hatte sich die „Leichter-Gesellschaft“ zehn Leichter, aber keinen Schlepper angeschafft.

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Eine Veränderung im Vorstand der Leichter-Gesellschaft zu Hamburg wurde im „Öffentlichen Anzeiger“ des Amtsblatts der Freien und Hansestadt Hamburg am 28. Juni 1896 bekannt gegeben.

Der Umfang dieses Geschäfts nahm aber in den nächsten Jahren mit der Vertiefung des unterelbischen Fahrwassers immer weiter ab, denn die Segelschiffe und großen Dampfer konnten nun ohne Leichterung bis nach Hamburg fahren. Daher verschob sich das Schwergewicht des Geschäfts der Leichter-Gesellschaft allmählich immer mehr in Richtung auf die Linienfrachtschifffahrt. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung hatte die Leichter-Gesellschaft 1890 eine regelmäßige Schleppschifflinie von Hamburg nach Bremen eingerichtet, für die sie nun einen ersten eigenen Seeschlepper anschaffte. Die Einrichtung dieser Linie sorgte damals für einigen Wirbel, denn auf diesem Gebiet tummelten sich bereits einige andere Reedereien, allen voran der Norddeutsche Lloyd aus Bremen, dem weitere Konkurrenz überaus lästig war. So schlossen beide Wettbewerber 1894 ein Übereinkommen, sodass an dieser Front zunächst Ruhe herrschte. 1892 unternahm die Leichter-Gesellschaft – zunächst versuchsweise – einen Liniendienst von Hamburg nach der Ems, gab diesen aber wegen der unbefriedigenden Ergebnisse aber bald wieder auf. Nach der Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals (heute Nord-Ostsee-Kanal) richtete sie eine Linie nach Kiel ein, die jedoch auch sehr bald wieder aufgegeben werden musste, weil einerseits das Ladungsangebot nicht ausreichte und andererseits die Kanalgebühren mehr als ein Viertel der Frachteinnahmen verschlangen. So blieb die Bremen-Linie über eine lange Zeit das Rückgrat des ganzen Betriebs.

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Die Hausflagge der Vereinigten Bugsir- und Frachtschiffahrt-Gesellschaft besaß damals schon die auch heute noch bestehende Farbkombination mit dem roten und dem blauen Dreieck, jedoch natürlich noch mit den seinerzeit den Firmennamen kennzeichnenden Buchstaben VBFG.

Daneben versuchte die Leichter-Gesellschaft jede sich bietende Gelegenheit auszunutzen, auch nach anderen Zielhäfen, vor allem an der Ostsee, Ladung zu beschaffen. Die Hafenleichter wurden daher nach und nach abgestoßen. Die finanziellen Ergebnisse der Leichter-Gesellschaft waren zu dieser Zeit eher mäßig, denn bereits in ihrem Gründungsjahr sah sich die Gesellschaft erfahrenen und in ihrem Geschäft überaus tüchtigen Wettbewerbern gegenüber. Es gelang ihr aber, sich durch den Erwerb einer Flotte von Flussleichtern eines Konkurrenten durchzusetzen und sich damit einen festen Platz bei der Kundschaft zu erobern. Die erforderlichen Mittel für diese Übernahme wurden durch eine Verdopplung des Aktienkapitals auf eine Million Mark beschafft. Dieses erhöhte Kapital konnte lange nicht verzinst werden, und erst 1897 konnten die Verluste der Vorjahre getilgt und erstmals eine Dividende von fünf Prozent verteilt werden. In das Jahr 1897 fielen auch die ersten Schritte für die Aufnahme eines Verkehrs nach dem Dortmund-Ems-Kanal, dessen Eröffnung für das Jahr 1898 vorgesehen war, tatsächlich aber erst 1899 erfolgte.

Um diesen Verkehr aufnehmen zu können, reichte das zur Verfügung stehende Material der Leichter-Gesellschaft aber nicht aus, ebenso fehlten die Mittel, um solches Material – insbesondere geeignete Schlepper – anzuschaffen. Man fragte deshalb bei der Vereinigten Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft an, ob diese bereit sei, ihr mit den erforderlichen Schleppern auszuhelfen. Diese hatte nämlich mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, denn auch deren Geschäftsgrundlage hatte sich infolge der Änderung des Verhältnisse gehörig verschoben. Der Rückgang der Segelschifffahrt schränkte nicht nur das eigentliche Geschäft der Überführung der wenig beweglichen Segelschiffe im engen und flachen Elbefahrwasser immer mehr ein. Darüber hinaus drückte bei gleichbleibendem Angebot an Schleppern die schwindende Nachfrage nach ihnen die Höhe der Schlepplöhne. Daher hatte die Vereinigte Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft kurz bevor sich die Leichter-Gesellschaft mit ihrer Anfrage an sie wendete, den Plan gefasst, zur besseren Auslastung ihrer Schlepper sogenannte Schleppschiffe anzuschaffen und damit Frachtschifffahrt in der Nord- und Ostsee zu betreiben. Das hätte notwendigerweise zu einem Wettbewerb mit der Leichter-Gesellschaft geführt, der die finanziellen Grundlagen beider Gesellschaften aufs Äußerste strapaziert hätte.

Um dies zu vermeiden, beschlossen sie ihre Verschmelzung, die auf einer Generalversammlung der Aktionäre am 28. Februar 1898 erfolgte. Die Leichter-Gesellschaft änderte zu diesem Zweck ihren Firmennamen in „Vereinigte Bugsir- und Frachtschiffahrt-Gesellschaft“ und erhöhte ihr Kapital um eine auf nunmehr zwei Millionen Mark, wovon 900 000 Mark Aktien an die Aktionäre der damit in der neuen Firma aufgehenden Vereinigten Bugsir-Dampfschiff-Gesellschaft gegeben wurden.

Die Leichter-Gesellschaft verfügte damals über 25 Schleppschiffe von 250 bis 600 Tonnen Tragfähigkeit mit zusammen 5817 BRT und zwei Schlepper mit zusammen 315 BRT, die Vereinigte Bugsir über 13 Schlepper mit zusammen 1736 BRT und Antriebsleistungen von bis zu 550 PSi. Die durch die Vereinigung dieses Materials glücklich und den Erfordernissen des damaligen Marktes optimal entsprechend zusammengesetzte Schiffsflotte ermöglichte es der neuen Gesellschaft, eine Reihe weiterer Linien einzurichten, neben denen in großem Umfang auch freie Fahrt (Trampfahrt) und auch das reine Schlepp- sowie das Bergungsgeschäft betrieben werden konnte. Immer wieder hatte es nämlich im Hamburger Hafen und auf dem Flusslauf der Unterelbe mehr oder weniger schwere Havarien gegeben, die ein Sinken des betroffenen Schiffes zur Folge hatte. Einige der Leichter der Leichter-Gesellschaft waren in solchen Fällen zu Hebefahrzeugen umfunktioniert worden, wozu sie aufgrund ihrer Bauart mit glatten, durchgehenden Decks auch hervorragend geeignet waren. Zudem hatten sich die Besatzungen auf diesen Leichtern im Laufe der Jahre zu regelrechten Bergungsspezialisten gewandelt, was sich auch schnell herumgesprochen hatte. Solches Fachwissen war damals selten, und so kam es, dass der Leichter-Gesellschaft im Falle von Schiffsuntergängen gerne die Hebung von gesunkenen Schiffen übertragen wurde. Außerdem bestanden noch gute Verbindungen zum Verein Hamburger Assecuradeure, der ja in vielen Fällen von Havarie und Schaden ein Wörtchen mitzureden hatte.

Die Frachtschifffahrt entwickelte sich nach dem Zusammenschluss prächtig: 1899 wurde gleichzeitig mit der Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals erneut eine Linie von Hamburg nach Emden eingerichtet, diesmal unter besseren Voraussetzungen. Es folgten Verbindungen nach Wilhelmshaven und Oldenburg (1901) und nach Leer (1902), wobei Letztere durch die „Vereinigte Bugsir“ von der Dortmund-Ems-Schleppgesellschaft übernommen werden konnte. 1903 erfolgte die Aufnahme eines Liniendienstes von Hamburg nach Kopenhagen, die allerdings zu einem heftigen Konkurrenzkampf mit der dänischen „Det Forenede Dampskibsselskab“ führte, die ihrerseits daraufhin einen eigenen Liniendienst von Hamburg nach Bremen eröffnete.

Die Hamburger „Bugsir“ (bereits damals hatte sich der bis heute gebliebene Firmenname „die Bugsier“ in der Schifffahrtswelt festgesetzt) eröffnete schließlich weitere Linien nach Aarhus und Aalborg. Nach einjährigem erbitterten Wettbewerb kam es schließlich zu einer Verständigung zwischen beiden kämpfenden Gesellschaften, die zur Folge hatte, dass die „Vereinigte Bugsir“ fortan nur noch Liniendienste nach Kopenhagen und Odense betrieb.

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Spezialisten in Sachen Schiffsbergung waren die Besatzungen der Vereinigten Bugsir nicht von Anfang an, aber sie hatten mit ihren zahlreichen Leichtern die dafür hervorragend geeigneten Fahrzeuge. Nach und nach entwickelten sie sich aber zu ausgewiesenen Experten bei der Hebung, Bergung und Räumung von Schiffen und funktionierten zu diesem Zweck einige Leichter um. So waren beispielsweise die Frachtleichter VEREINSBL ATT und DAHEIM (oberes Bild) zu Hebeschiffen umfunktioniert worden, ebenso wie CHRONIK und RUNDSCHAU (unten). Die Erfahrungen, die bei diesen Einsätzen gewonnen wurden, machten die Leute der „Bugsir“ zu anerkannten Experten, zunächst auf den heimischen Gewässern, später, als „Bugsier“, in ganz Deutschland und sogar in der Welt.

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Werbeprospekte der „Vereinigten Bugsir“ aus dem Jahre 1903. Schon damals hatte die Reederei großen Wert darauf gelegt, ihre Qualifikation und ihren hohen technischen Standard ihren Kunden und solchen, die es werden sollten, nahezubringen.

In einem Reedereiprospekt aus dem Jahre 1903 wird der Unternehmenszweck der „Vereinigten Bugsir- und Frachtschiffahrt-Gesellschaft“ wie folgt umschrieben: „Schleppen von Schiffen jeder Grösse, Pontons, Docks, Baggern, Elevatoren etc., Hilfeleistung in Seenot. Bergung gestrandeter und gesunkener Schiffe. Frachtschiffahrt mit Schleppschiffen in der Nord- und Ostsee“. Die Flotte der Vereinigten Bugsir- und Frachtschiffahrt-Gesellschaft, ansässig im Hamburger Kontorhaus Steinhöft 3, bestand 1903 aus 18 Schleppdampfern von 240 bis 1500 PS (insgesamt 9064 PS) und 35 Schleppschiffen bzw. Leichtern mit einer Tragfähigkeit von 18 125 Tonnen.

Flaggschiff der Schlepperflotte war der Neubau ROLAND (II), gebaut auf der Werft Schömer & Jensen in Tönning und am 9. April 1903 in Dienst gestellt. Hatte man sich bisher darauf beschränkt, schwere Schleppzüge nur innerhalb von Nord- und Ostsee zu übernehmen, so sah man sich mit dem Doppelschrauben-Schleppdampfer ROLAND (II) nunmehr in der Lage, solche Transporte auch über den Atlantik, nach dem Mittelmeer und nach dem Fernen Osten schleppen zu können. Eine Bunkerkapazität von 425 Tonnen sicherte dem Bergungsdampfer „eine 25-tägige Bewegungsfreiheit unter vollem Dampf“. Alle Schleppdampfer waren seinerzeit mit dreibzw. vierfachem schweren Schleppgeschirr ausgerüstet. Außerdem hatte man allen Dampfern „neuerdings einen Raketenapparat mitgegeben, durch welchen es ihnen ermöglicht wird, auch bei schlechtestem Wetter eine Verbindung mit dem zu schleppenden Schiffe herzustellen oder zu erneuern“.

Die Geschäftsleitung beteuerte damals, dass erste Pflicht der Schlepperkapitäne es sei, bei dem in Not geratenen Schiff „unentwegt auszuharren, solange dieses es wünscht oder die Umstände es erfordern. Seit bald vier Jahrzehnten hat unsere Gesellschaft an diesem Prinzip festgehalten und sich dadurch das Vertrauen der Reedereien und der Assekuradeure erworben, und es wird immer unsere erste Aufgabe bleiben, uns dieses Vertrauen fernerhin zu erhalten.“

Der Neubau ROLAND muss aber in irgendeiner nicht überlieferten Hinsicht seine Auftraggeber nicht zufriedengestellt haben, denn bereits etwas über ein Jahr nach der Indienststellung wurde der Schlepper nach Russland verkauft. Er ging bereits ein weiteres Jahr später im Mai 1905 in der Seeschlacht bei Tsushima im Chinesischen Meer verloren.

Das bis dahin auf die Nord- und Ostsee sowie den Ärmelkanal beschränkte Schleppgeschäft konnte mit dem Ausbau der Schlepperflotte weiter ausgedehnt werden, und im Jahr 1904 wurden die ersten Schleppreisen nach dem Mittelmeer programmgemäß und ohne Beschädigungen oder Verluste ausgeführt. Die Vergrößerung der Flotte erlaubte auch einen großzügigen Ausbau des Bergungsgeschäfts.

Die rationellere Dampfschifffahrt begann allmählich die Leichter aus ihrer Fahrt zu verdrängen. Daher sah sich die „Vereinigte Bugsir“ gezwungen, eine Anzahl Leichter abzustoßen und durch Frachtdampfer zu ersetzen. Folgerichtig reihte die Vereinigte Bugsir- und Frachtschiffahrt Gesellschaft ab dem Jahr 1906 in ihre Flotte von Schleppschiffen und Schleppern ihren ersten Frachtdampfer ein: Den Anfang machte der auf der damals sehr renommierten Werft Stettiner Oderwerke A.G. erbaute Dampfer HEROLD, 1363 BRT groß und angetrieben von einer Kolbendampfmaschine mit 747 PSi. Dampfer HEROLD blieb noch bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der „Bugsir“-Flotte und musste 1919 als Reparationsleistung an England abgegeben werden. Ihm folgten 1907/08 zwei weitere Neubauten. Sie waren für die Fahrt nach Emden bestimmt, da die Linienfahrt in die Ems und die Fahrt an den Ostfriesischen Inseln vorbei für Schleppzüge sehr unbequem und bei bestimmten Wetterlagen auch äußerst gefährlich war. Das hatte die „Bugsir“ in den zurückliegenden Jahren schmerzlich zu spüren bekommen, denn mehrfach waren Leichterschleppzüge während der Passage der ostfriesischen Inseln bei schlechtem Wetter in Seenot geraten und einige von ihnen sogar total verloren gegangen – zumeist mit der gesamten Besatzung.

Der erste dieser beiden Neuzugänge war der Dampfer EMDEN, ebenfalls in Stettin erbaut, mit 709 BRT aber etwas kleiner als sein Vorgänger HEROLD. Die EMDEN ist insofern eines der bemerkenswertesten Schiffe der „Bugsier“, weil sie das mit Abstand dienstälteste Frachtschiff der gesamten Reedereigeschichte werden sollte und mit ihm außerdem in den schweren Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg der vollkommen zum Erliegen gekommene Frachtverkehr der Bugsier-Reederei wieder aufgenommen werden konnte. Erst 1953 wurde der treue Dampfer, der während der gesamten Zeit seiner Existenz nur den einen Namen EMDEN getragen hatte, nach einer sagenhaften Fahrzeit von 46 Betriebsjahren in Bremerhaven endgültig außer Dienst gestellt.

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Der Zweischornsteiner ROLAND war eine eindrucksvolle Erscheinung. Allerdings gehörte er nicht lange zur Flotte der VBFG, sondern wurde schon etwas über ein Jahr nach der Indienststellung nach Russland verkauft. Bereits im Mai 1905 ging er in der Seeschlacht von Tsushima verloren.

Die „Bugsir“ erhöhte die Zahl ihrer Frachtdampfer fortan kontinuierlich, sodass die Reederei bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bereits über neun Frachtdampfer und ein Motorfrachtschiff verfügte. Dem gegenüber sank naturgemäß die Anzahl der Schleppschiffe und der Leichter, die ihren höchsten Stand im Jahre 1902 mit 41 Fahrzeugen und 14 801 BRT erreicht hatte, 1914 aber nur noch 22 Einheiten umfasste. Zusammen genommen betrug die Tragfähigkeit der Frachter und Leichter 1914 insgesamt 26 300 Tonnen. Hinzu kamen noch sechs Hafenfahrzeuge mit einer Tragfähigkeit von 2020 Tonnen sowie drei Barkassen und drei Dampfwindenschuten. Das erwähnte eine Motorschiff war ein Motorleichter, der für den durchgehenden Verkehr nach Löschplätzen am Dortmund-Ems-Kanal bestimmt war. Diesen hatte die „Vereinigte Bugsir“ 1907 aufgrund eines neuen Patents gemeinsam mit einem weiteren Interessenten bauen lassen und später alleine übernommen. Es war der in Holland gebaute, rund 40 Meter lange und 8,52 Meter breite Leichter SCHALK mit einer Tragfähigkeit von 500 Tonnen.

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Der Frachtdampfer EMDEN (hier bei einer Fahrt im Kaiser-Wilhelm-Kanal) wurde 1907 in Dienst gestellt und löste im Liniendienst von Hamburg nach Emden die Frachtleichter ab. Die Leichterschleppzüge waren auf der Reise nach Emden außerhalb der ostfriesischen Inseln bei Schlechtwetter oft großen Gefahren ausgesetzt, und viele von ihnen gingen dort verloren – zumeist mitsamt der Besatzung und natürlich der Ladung. Die neuen Frachtdampfer boten dann erheblich mehr Sicherheit.

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Ein typisches Schleppschiff der damaligen Zeit war der Frachtleichter DEUTSCHE WARTE. Mit einer Länge von 58 Metern und einer Tragfähigkeit von 1225 Tonnen war dies der größte Leichter der „Vereinigten Bugsir“. Er wurde 1900 in Tönning erbaut.

An dieser Stelle vielleicht ein paar Worte zur Namensgebung der „Bugsir“-Schiffe: Während die Frachter (überwiegend benannt nach norddeutschen Flüssen, teilweise mit der Endung „-au“) und Schlepper (benannt nach Göttern aus der griechischen und nordischen Mythologie) sowie auch eine große Zahl der Schleppschiffe (benannt nach deutschen Flüssen und andere mit der Endung „-felde“ für Dörfer aus der ländlichen Hamburger Umgebung) durchaus konservative Namen trugen, fiel die Benennung einer großen Zahl der Frachtleichter doch sehr aus dem damals (und auch heute noch) üblichen Rahmen und bewies sogar eine gewisse Art von Humor: Sie trugen Namen von Zeitungen und Zeitschriften, heute würde man vielleicht „Magazinen“ oder „Periodika“ sagen, wobei Schiffsnamen von Publikationen wie beispielsweise das von 1848 bis ins „Dritte Reich“ erschienene Berliner Witzblatt „Kladderadatsch“, das mit humorvollen Geschichten gefüllte Heft „Schalk“, das seit 1895 herausgegebene Periodikum „Jugend“ („zur Unterhaltung und Belehrung der Jugend“) oder das seit 1888 erscheinende „Illustrierte Familienblatt, Gartenlaube‘“ ein gehöriges Maß an Augenzwinkern der Gesellschafter der „Bugsir“ bewiesen.

Diese Namensgebung ist bis heute in der deutschen Seeschifffahrt einmalig. Allerdings waren auch die Benennungen verschiedener Hebeschiffe nach menschlichen Charaktereigenschaften, wie KRAFT, WILLE und später ENERGIE und AUSDAUER sowie die plattdeutschen Aufforderungen HIEV („heb!“) und GRIEP („greif!“) alles andere als konservativ. Sie passten jedoch ausgezeichnet zu den Aufgaben und Tätigkeiten der Schiffe, für die sie bestimmt waren, nämlich das Bergen, Heben, Räumen, Zugreifen und Hieven sowie Abtransportieren von havarierten oder gesunkenen Schiffen. Das erforderte nämlich beim Heben und Zugreifen nicht nur viel Kraft und Energie, sondern eben auch ein gehöriges Maß an Willen und Ausdauer.

Die Leitung der Vereinigten Bugsir hatte in den ersten Jahren vielfach gewechselt. 1893 bis 1896 war F. C. Bramslöw der Direktor der Leichter-Gesellschaft gewesen, ein ehemaliger Fahrensmann und Kapitän der Reederei B. Wencke Söhne, 1900 bis 1912 war dann M. Böger Direktor der Vereinigten Bugsir. Nach seinem Übetrtritt zur Austral-Linie traten Max Mörck und C. Thiessen an seine Stelle. Mörck war 1908 in die Vereinigte Bugsir eingetreten und erhielt 1909 Prokura. Ein Jahr später wurde er in den Vorstand berufen. Er war bis zur Übernahme durch Behrend Schuchmann im Dezember 1926 Vorstand der Reederei. Den Vorsitz im Aufsichtsrat führte seit der Gründung der Leichter-Gesellschaft Henry Lütgens, Mitinhaber der Firma Lütgens & Reimers, in die er 1875 eingetreten war. Nach dem Tod seines Vaters Johann Friedrich Lütgens erbte Henry Lütgens die Firma und konnte sie in der Wachstumsphase des Hamburger Hafens bis 1910 erfolgreich ausbauen, bis er sie 1920 an die Hapag verkaufte. Lütgens & Reimers trat in späteren Jahren einmal in eine überaus wechselvolle Beziehung zur Bugsier-Reederei. Aber dazu später mehr.

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Vor der Insel Helgoland bargen die beiden Bugsier-Hebeschiffe KRAFT und WILLE im Juli 1938 das dort nach einer Kollision gesunkene Hamburger Küstenmotorschiff THÜRINGEN.