Impressum

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Neuausgabe 2016

Copyright © 2017, booksnacks,

ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH

Made in Stuttgart with ♥

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-96087-123-1

Titel- und Covergestaltung: Özer Grafik Design, Maja Schollmeyer

unter Verwendung eines Motivs von
© Bernd Libbach/fotolia.com

Korrektorat: Daniela Höhne, Daniela Pusch

Krimis (fast) ohne Mord ist ein zusammengeführtes Werk der bereits bei dp DIGITAL PUBLISHERS erschienenen booksnacks mit den Titeln Krimi ohne Mord (ISBN 978-3-96087-006-7), Triduum Sacrum (ISBN 978-3-96087-009-8), Tod auf dem Betze (ISBN 978-3-96087-008-1), Salzstangen und Cola (ISBN 978-3-96087-007-4), Im Land der Mafiosi (ISBN 978-3-96087-005-0), Der Puma mit den drei Streifen (ISBN 978-3-96087-004-3) und Chatroulette (ISBN 978-3-96087-003-6).

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.


Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Krimis (fast) ohne Mord



Thomas Kowa

Über dieses E-Book

Ein Krimi ohne Mord? Geht das überhaupt? Ja, meint Thomas Kowa. In der momentanen Regionalkrimiflut morden sich durch jedes kleine Dörfchen drei Serientäter, ist es da nicht an der Zeit, wieder ein wenig realistischer zu werden? Sollte man als Autor nicht auch mal anderen Verbrechen eine Chance geben? Es gibt so schöne Entführungen, Heiratsschwindeleien und Raubüberfälle, bei denen kein Blut fließt und die trotzdem spannend sind. Und manchmal auch lustig. Doch keine Angst, die eine oder andere Leiche serviert uns der Autor dann doch noch …

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Krimi ohne Mord

»Fünf Tote?« Kommissar Kampen hielt sein Handy näher ans Ohr. »In einer Buchhandlung?«

»Es war während einer Lesung«, antwortete Hilfskommissar Hering. Sein Assistent war wie immer schon vor Ort, während Kampen noch versuchte, den Plan auf Google-Maps mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Er war nervös.

Kein Wunder, auf Sylt hatten sich Mordfälle bisher ausschließlich in irgendwelchen Regionalkrimis ereignet. Mindestens zwanzig Serien gab es, Dünen-Doppelmörder, Watt-Würger und Krabben-Killer inklusive. Doch das hatte alles nichts mit der Realität zu tun, denn die bescherte Kampen nichts als Handtaschen-, Badetaschen- und Apfeltaschen-Diebstähle.

Und jetzt gab es gleich fünf Tote auf einmal? Auf diese Chance hatte Kampen zwanzig Jahre lang gewartet. Endlich konnte er zeigen, was in ihm steckte.

Doch müsste das ausgerechnet heute sein? Seine Füße schrien nach einer Pause, sein Magen nach Abendessen und diverse andere Körperteile nach einem Feierabendbier. »Und wie sind sie gestorben?«, fragte Kampen. »Kollektiver Herzinfarkt, weil das Buch so spannend war?«

»Na ja«, brummelte Hering. »Aquaristik für Buchhalter klingt nicht gerade prickelnd, oder?«

Kommissar Kampen runzelte die Stirn. Lesungen, waren das nicht stinklangweilige Veranstaltungen auf denen jemand unmotiviert ins Mikrofon grummelte, während das Publikum krampfhaft versuchte, den Büroschlaf nachzuholen? »Was ist mit Selbstmord?«, fragte Kampen. »Kommt das in Frage?«

»Unwahrscheinlich«, antwortete Hilfskommissar Hering. »Ihre Pulsadern sind intakt, vom Stuhl ist auch keiner gesprungen, jedenfalls nicht mit einem Seil um den Hals. Und Züge, vor die man sich werfen könnte, fahren für gewöhnlich nicht durch Buchhandlungen. Die fünf sind einfach umgekippt. Einer nach dem anderen.«

Ein paar Minuten später stieg Kampen aus dem Dienstwagen und schaute auf sein Handydisplay. Und dann wieder in die echte Welt. Das Haus vor ihm sah verdächtig nach einer Buchhandlung aus. Er wählte Herings Nummer. »Ich bin jetzt da«, sagte Kampen. »Wo muss ich hin?«

»Direkt in den ersten Stock in die Krimi-Ecke.« Kampen betrat das Gebäude, spitzte die Nase, und lief schnurstracks auf die silbernen Tabletts mit der Vernissageverpflegung zu. Ohne lang nachzudenken, stopfte er eines der rosafarbenen Fischröllchen in seine Essenseingabe. »Sind die fünf Opfer verwandt, verschwägert?«, fragte er.

»Zwei Brüder und drei Schwestern«, antwortete Hering. »Von sechs verschiedenen Vätern.«

»Fünf Kinder von sechs Vätern? Wie geht das denn?««

»Schon mal was von Sandwich gehört?«, fragte Hering.

Kampen nahm noch ein weiteres Fischröllchen. »Das muss aber ein ganz schön großes Sandwich gewesen sein …«

Hering seufzte. »Betrifft natürlich nur eines der Opfer. Bei ihm läuft eine Vaterschaftsklage, stehen zwei Typen zur Auswahl. Alles völlig normale Verhältnisse.«

»Und alle von ein und derselben Mutter?«

»Hm«, antwortete Hering. »Wenn man mal von der Leihmutter absieht.«

»Leihmutter?«

»Klar«, sagte Hering. »Kennst du das nicht? Ist wie Carsharing, nur mit Schwangerschaften.«

»Klar kenn ich das.« Kampen nahm noch ein Röllchen. Er wartete schon so lange auf einen Mordfall, da kam es auf ein paar Minuten auch nicht mehr an. Die Toten würden bestimmt nicht weglaufen. »Aber warum sollte eine offensichtlich gebärfähige Mutter Carsharing machen?«

»Du meinst Leihmutterschaft«, korrigierte ihn Hilfskommissar Hering.

Kampen hasste das. Immerzu musste Hering beweisen, dass er mehr als eine abgenagte Fischgräte im Kopf hatte. »Sag ich doch«, schob er nach. »Warum hat sie das Kind nicht selbst auf die Welt gebracht?«

»Die Mutter meinte, ihr Becken wär schon dick genug und es könnten ja mal andere den Stress haben. Da hat sie ihre Gärtnerin so lange bearbeitet, bis die sich hat breitschlagen lassen, den Balg auf die Welt zu bringen.«

»Gärtnerin?«, fragte Kampen. »Hat die denn ein Alibi?«

»Nee, aber Erfahrung mit der Aufzucht von Samen.«

»Sehr witzig!« Kampen überlegte, ob er noch etwas anderes probieren sollte, blieb aber den Röllchen treu. »War die Gärtnerin auch auf der Lesung?«

»Indirekt schon«, antwortete Hering. »Sie hat das Buch geschrieben.«

»Aquaristik für Buchhalter?«, fragte Kampen. »Geschrieben von einer Gärtnerin?«

»Sie meint, sie wäre eben auch Wassergärtnerin. Schließlich sind wir hier auf Sylt.«

»Danke, dass du mich daran erinnerst«, seufzte Kampen. »Das hätte ich sonst glatt vergessen.« Dieses Mal nahm er gleich zwei Röllchen auf einmal.

»Sag mal, wo bleibst du denn eigentlich?«, fragte Hering. »Hast du dich in der Buchhandlung verlaufen?«

»Hab noch ein paar Spuren im Foyer gesichert.« Schweren Magens verließ Kampen das Buffet. »Hast du irgendeine Theorie woran die fünf gestorben sind?«

»Hab ich«, antwortete Hering. »Es lag am Kugelfischsushi.«

»Kugelfischsushi?«

»Diese kleine Häppchen da am Eingang«, sagte Hering. »Hast du die nicht gesehen?«

»Diese runden Dinger, die aussahen wie schwule Rollmöpse?«, fragte Kampen. »Fand ich total lecker …« Er stoppte mitten im Satz, in erster Linie, um Platz für den Finger im Mund zu machen. Er schaffte es exakt bis aufs Klo.

Zumindest vom Universum aus betrachtet.

Tatsächlich reiherte er direkt auf den Büchertisch mit den neuesten Hausfrauen-Sado-Maso-Schmonzetten aus dem Land der unbegrenzten Prüderie. Er fühlte sich wie eine halb aufgeblasene Luftmatratze und kippte in eine kunstvoll zusammengebaute Pyramide aus den letzten zwanzig Donna-Leon-Krimis.

»Ich glaube, du meinst den Hundslachs, die neueste Delikatesse aus Japan«, erklärte Hilfskommissar Hering. »Das Kugelfischsushi sah aus wie Tischtennisbälle mit Augen.«

Kampen richtete sich langsam wieder auf. »Das heißt, ich muss doch nicht sterben?«

»Irgendwann müssen wir alle sterben«, antwortete Hering. »Manche früher, manche später.«

Kampen nahm ein Schluck Wasser vom Buffet. Hoffentlich war das nicht auch vergiftet. »Gibt es eigentlich schon einen Verdächtigen?«

»Hm.«

»Und wer ist es?«, fragte Kampen.

»Das sag ich dir wenn du endlich da bist. Wie gesagt, Krimi-Ecke, erster Stock.«

Kampen schleppte sich in das Obergeschoss. Dort stand sein Hilfskommissar, so alleingelassen wie der letzte Hering einer Fischkonserve. »Wo sind denn die Leichen?«, fragte Kampen.

»Hat die Spurensicherung schon weggebracht.«

»Und die Zeugen?«

»Warten nebenan auf die Gegenüberstellung.«

Kampen zog die Augenbrauen hoch, sein Assistent schien ganze Arbeit geleistet zu haben. Dabei wollte er den Fall doch aufklären! »Und wer ist nun der Verdächtige?«

»Ist gerade angekommen.«

Kampen blickte sich um. Er und Hering waren allein im Raum. »Wo denn?«

»Welches Auto fährst du eigentlich?«, fragte Hering.

»Was? … äh … einen Fiat Multipla.«

»Der ist so hässlich, das reicht schon als Verbrechen«, antwortete Hering. »Und groß genug für fünf Fischplatten ist er auch.«

»Was?«

»Wo warst du eigentlich zur Tatzeit, vor zwei Stunden?«, fragte Hering.

Kampen blickte seinen Assistenten ungläubig an. »Willst du jetzt ein Alibi von mir?«

»Hast du eines oder nicht?«

»Ich brauch doch kein Alibi!«, antwortete Kampen. »Ich bin der Kommissar!«

»Und das schützt dich automatisch davor, kriminell zu werden?«, fragte Hering.

»Natürlich nicht. Aber ich bin ja wohl nicht verdächtig.« Kampen schaute seinen Assistenten an. Doch der nickte nicht einmal.

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Hering stattdessen. »Wo warst du vor zwei Stunden?«

Kampen warf Hering einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich hab heute frei, schon vergessen? Also ist das meine persönliche Angelegenheit.«

»Persönliche Angelegenheit?« Hering schüttelte den Kopf. »Wenn dir ein Verdächtiger damit kommt, gibst du dich einfach so zufrieden?«

»Nein, aber schließlich bin ich kein Verdächtiger, oder?«

Hering reagierte nicht.

»Oder?«, fragte Kampen erneut.

»Wenn du kein Verdächtiger bist, wie erklärst du dir dann, dass wir Spuren von dir am Tatort gefunden haben?«, sagte Hering. »Obwohl du angeblich eben erst hier angekommen bist.«

»Ich war hier bestimmt schon mal einkaufen.« Kampen winkte ab.

»Und deswegen sind deine Fingerabdrücke an jeder Leiche?«, fragte Hering. »Und an jeder Fischplatte?«

»Äh … das mit der Fischplatte kann ich erklären.«

Hering schüttelte den Kopf. »Dazu ist es jetzt ein wenig zu spät.« Bevor Kampen reagieren konnte, drehte Hering ihm die Hände auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. »Du bist verhaftet.«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

»Doch, wir müssen nämlich zur Gegenüberstellung«, sagte Hering. »Du wurdest von Zeugen beobachtet.«

Hilfskommissar Hering schleppte ihn zur nächsten Tür und öffnete sie. Kampen blickte in einen kleinen Saal. Seine Kollegen, die Chefin, die Spurensicherer, alle standen sie dort. Und die Jungs von der Streife, die dafür bekannt waren, Verdächtige schon mal der Bierfolter auszusetzen.

»Dort wo du jetzt hingehst, ist es nicht schön«, erklärte Hering. »Schmerzen werden dich peinigen, dein Hirn wird so unzuverlässig wie ein ICE im Winter, oder im Sommer, oder auch im Herbst, jedenfalls total schrottig, und unbegründete Ängste werden dein Leben von nun an bestimmen.«

Kampen schluckte. Die Bierfolter.

»Alles Gute zum Fünfzigsten«, rief Hering.

»Was?« Bevor Kampen etwas sagen konnte, jubelten alle. Am lautesten sein hinterhältiger Assistent, der ihn unter Vortäuschung falscher Ermordungen hierher gelotst hatte.

Auf eine Überraschungsparty. Die Jungs von der Streife reichten ihm ein Bier und stießen mit ihm an.

Kampen ging zu jedem Gast und freute sich, dass ihn niemand vergessen hatte.

Da schlich sich eine kleine Träne an und mischte sich in sein Glück. Er wischte sie beiseite. Denn er wusste, irgendwann würde auch er es schaffen, auf Sylt einen Mord aufzuklären.

›Triduum Sacrum‹ (lateinisch für die heiligen drei Tage) entstand als Auftragsarbeit für den Kanton Glarus, der eine Anthologie mit Krimis herausgeben wollte, die alle im Kanton Glarus spielen sollten. Nun muss man wissen, der Glarus ist mit nur 40.000 Einwohnern einer der kleinsten Kantone der Schweiz, also im Grunde eine Kleinstadt. Und wenn da siebenundzwanzig Krimiautoren einfallen, kann es schon eng werden :-).

Wir haben wirklich alle alten Kriminalfälle und sonstigen Skandale aus dem Glarus ausgegraben und unsere Ideen vorgestellt. Ein Fall war so brisant, dass man der Autorin das vereinbarte Honorar anbot, aber nur, wenn sie ihre Geschichte gar nicht erst schreibt. Sie ist natürlich nicht darauf eingegangen und ihre Story ist dann trotzdem wie alle anderen erschienen, und zwar 2014 in der Anthologie ›Mord und andere Verbrechen‹ im Baeschlin Verlag.

Ich habe mir eine historische Geschichte über Schuld und Sühne ausgesucht, die des ewigen Lichts aus Näfels. Doch statt zu erzählen, wie das damals alles war, habe ich einfach mal geschaut, was passiert, wenn dieses ewige Licht auf einmal nicht mehr brennt.

Triduum Sacrum

»Ich hab das ewige Licht ausgeblasen!« Lisa strahlte vor Begeisterung, wie es nur Fünfjährige können.

Ich schaute sie mit großen Augen an. »Du hast was?«

»Da vorne das Licht.« Lisa deutete mit dem Finger in Richtung des Altars. »Die Frau da hat gemeint, das wäre ein ganz besonderes Licht.« Sie zeigte auf eine ältere Dame, die gerade aus der Kirche ging. »Deswegen hab ich es ausgeblasen. Weil ich hab doch heut Geburtstag.«

Ich schloss die Augen. Offensichtlich war es keine gute Idee gewesen, mit dem Kindergarten in die Kirche zu gehen. Zwanzig Fünfjährige multiplizierten sich nun einmal zu hundert Prozent Chaos, egal an welchem Ort. »Aber das ewige Licht darf man nicht ausblasen!«, sagte ich.

Lisa zuckte mit den Schultern. »Da hängt kein Schild, dass es verboten ist!«

»Aber es heißt ewiges Licht, weil es ewig brennen soll.«

»Was heißt ewig?«, fragte Lisa. »Ist das länger als bis zu den Sommerferien?«

Ich stürzte nach vorn zum Altar. Ein bauchiger, vergoldeter Kelch hing dort, kunstvoll verziert, mit Engeln, die von seinem Rand hinabblickten. Auf dem Kelch thronte ein länglicher roter Windschutz. Natürlich war er durchsichtig, so dass man das ewige Licht brennen sehen konnte.

Wenn es denn gebrannt hätte.

Mir wurde schwarz vor Augen.

Denn auch wenn ich kein regelmäßiger Kirchgänger war, wusste ich, dass das ewige Licht an diesem Ort – in Näfels im Schweizer Kanton Glarus – ein ganz besonderes war.

Ich hatte es vor dem Ausflug extra noch einmal nachgelesen: Im Jahre 1357 erschlug der Niederurner Konrad Müller den Oberurner Heinrich Stücki und verpflichtete sich als Sühne für den Unterhalt des ewigen Lichts in der Pfarrkirche Mollis aufzukommen, ewiglich.

Seitdem brannte das Licht.