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Alexandre Dumas

 

Capitän Richard

 

Gemälde aus dem Kriegerleben unter Napoleon I.

 

 

 

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp


Digitalisierung: Gunter Pirntke


2016 andersseitig.de



ISBN

9783961182411 (ePub)

9783961182428 (mobi)


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Dresden

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Erster Teil.

 

I. Der spanische Katechismus.

Etwa fünfzehn Stunden von München, das in den Reisehandbüchern eine der höchstgelegenen Städte nicht nur Bayerns, sondern Europas genannt wird, fünf Stunden von Augsburg, der altberühmten Reichsstadt, wo 1530 das lutherische Glaubensbekenntnis von Melanchthon entworfen wurde, zwanzig Stunden von Regensburg, wo von 1662 bis 1806 die deutschen Reichsstände versammelt waren, erhebt sich die kleine Stadt Donauwörth, wie ein vorgeschobener Posten die Donau überragend.

 

Vier Landstraßen vereinigen sich in dem uralten Städtchen, wo Herzog Ludwig der Strenge auf einen unbegründeten Verdacht hin die unglückliche Maria von Brabant enthaupten ließ. Zwei dieser Straßen führen über Nördlingen und Dillingen nach Stuttgart und Frankreich, die beiden andern vermitteln den Verkehr mit Österreich. Die beiden ersten laufen am linken Donauufer bin; die beiden andern, am rechten Ufer, vereinigen sich bei Donauwörth zu einer einfachen hölzernen Brücke.

 

Jetzt hat das Städtchen durch die Eisenbahn und die Dampfschifffahrt eine gewisse Wichtigkeit erlangt und es herrscht ein ziemlich reges Leben, aber im Anfange dieses Jahrhunderts war es noch nicht so.

 

Der alte Ort, der in gewöhnlichen Zeiten von der Göttin der Einsamkeit und von dem Gott des Schweigens zur Residenz erkoren schien, bot indes am 17. April 1809 ein für die zweitausendfünfhundert Einwohner so ungewohntes Schauspiel, dass mit Ausnahme der Wiegenkinder und der lahmen Greise die ganze Bevölkerung auf den Beinen war und insbesondere die Gasse, bei der sich die von Stuttgart kommenden Landstraßen vereinigten, und den Schlossplatz anfüllten.

 

Am 13. April Abends hatten drei Postchaisen, von Packwagen begleitet, vor dem Gasthofe »zum Krebs« angehalten. Aus dem ersten Reisewagen war ein General gestiegen, der, wie der Kaiser, einen kleinen Hut, und über seiner Uniform einen grauen Rock trug; aus dem andern war ein ganzer Generalstab hervorgekommen Es hatte sich das Gerücht verbreitet, der Sieger von Marengo und Austerlitz habe in dem bevorstehenden Feldzuge gegen Österreich das Städtchen Donauwörth zum Mittelpunkt seiner Operationen erkoren.

 

Dieser General, der von Neugierigen am Gasthofsfenster als ein Mann von sechs- bis siebenundfünfzig Jahren erkannt wurde, war nach der Behauptung Wohlunterrichteter der alte Kronmarschall Berthier, Fürst von Neuchâtel, und man versicherte, der Kaiser werde in zwei bis drei Tagen nachfolgen. Er hatte in der Nacht nach seiner Ankunft nach allen Richtungen Couriere abgeschickt und eine Zusammenziehung von Truppen angeordnet, die schon am folgenden Tage begann. Man hörte in und um Donauwörth nur Trommelwirbel und Trompetenstöße, und von allen vier Himmelsgegenden rückten bayerische, württembergische und französische Regimenter an.

 

Vor allem ein Wort über die beiden alten Feinde Frankreich und Österreich, und über die Umstände, die den zwischen Napoleon und dem Kaiser Franz II. geschlossenen Preßburger Frieden gebrochen hatten und nun das sonst so stille Städtchen mit Kriegslärm erfüllten.

 

Der Kaiser Napoleon war mit Spanien im Kriege. Der Vertrag von Amiens war nämlich nur ein Jahr in Wirksamkeit gewesen; England hatte den König Johann VI. Von Portugal bewogen, seine gegen den Kaiser der Franzosen übernommenen Verpflichtungen zu brechen. Als Napoleon die Nachricht erhielt, schrieb er nur folgende mit seinem Namen unterzeichnete Zeile: »Das Haus Braganza hat aufgehört zu regieren.« Johann VI. aus Europa vertrieben, musste sich über den atlantischen Ozean flüchten und in den portugiesischen Kolonien eine Zuflucht suchen.

 

Camoëns hatte bei dem Schiffbruch, den er an der Küste von Cochinchina litt, sein unsterbliches Gedicht gerettet, das er mit der einen Hand hielt, während er mit der andern schwamm. Johann VI. war gezwungen, in dem Sturme, der ihn nach Rio-Janeiro trieb, seine Krone loszulassen. Er fand jenseits des Ozeans freilich eine andere und ließ sich zum Ersatz für sein europäisches Königreich zum Kaiser von Brasilien ausrufen.

 

Die französischen Heere marschierten durch Spanien und nahmen Portugal in Besitz. Junot wurde zum Gouverneur ernannt. Portugal war so unbedeutend, dass man nur einen Gouverneur an die Spitze der Verwaltung stellte.

 

Aber die Pläne des Kaisers beschränkten sich keineswegs auf den Besitz des Ländchens. Der Preßburger Friede, der Österreich nach der Schlacht bei Austerlitz aufgenötigt worden war, hatte Eugen Beauharnais zum Vizekönig von Italien gemacht; der Tilsiter Vertrag, der Preußen und Russland nach der Schlacht bei Friedland aufgenötigt worden war, hatte Hieronymus Bonaparte zum Könige von Westphalen gemacht: es handelte sich darum, Joseph zu entfernen und Murat an seine Stelle zu setzen.

 

Die Vorkehrungen waren getroffen. Ein geheimer Artikel des Vertrages von Tilsit ermächtigte den russischen Kaiser, Finnland in Besitz zu nehmen, und den französischen Kaiser, sich Spaniens zu bemächtigen. Man musste nur eine günstige Gelegenheit abwarten. Diese fand sich bald. Murat war mit geheimen Instruktionen in Madrid geblieben. König Carl IV. beklagte sich sehr über die Zerwürfnisse mit seinem Sohne, der ihn zur Abdankung gezwungen hatte und unter dem Namen Ferdinand VII. sein Nachfolger geworden war.

 

Murat riet Carl IV., sich an seinen Bundesgenossen Napoleon zu wenden. Carl IV., der nichts mehr zu verlieren hatte, nahm den Schiedsspruch mit Dank an; Ferdinand VII., »der nicht der Stärkere war, willigte ungern und mit banger Besorgnis ein.

 

Murat überredete Vater und Sohn, sich nach Bayonne zu begeben, wo Napoleon sie erwartete. Sobald sie in der Höhle des Löwen waren, wurde die streitige Angelegenheit rasch entschieden. Carl IV. legte zu Gunsten Josephs die Krone nieder, da Ferdinand VII. derselben nicht würdig sei. Napoleon ergriff nun mit der rechten Hand den Vater, mit der linken den Sohn, und schickte den Ersten in das Schloss zu Compiègne, den Zweiten in das Schloss zu Valancay.

 

Joseph verließ Neapel, und Murat, der die ganze spanische Angelegenheit geleitet hatte, erhielt den Thron beider Sizilien zum Geschenk.

 

Russland war ganz damit einverstanden, denn dieses Manöver war ja mit seinem Wissen ausgeführt worden und es bekam überdies seine Entschädigung; aber England, das nur das Continentalsystem gewann, war keineswegs zufrieden; es richtete seine gierigen Blicke auf Spanien und hielt sich bereit, den ersten Aufstand zu benutzen.

 

Dieser Ausstand ließ nicht lange auf sich warten. Am 27. Mai 1808 brach der Aufruhr an zehn verschiedenen Punkten aus, namentlich in Cadiz, wo die französische Flotte, die sich nach der Niederlage bei Trafalgar dahin geflüchtet hatte, von den Insurgenten in Besitz genommen wurde.

 

In wenigen Wochen verbreitete sich nun durch ganz Spanien der folgende Katechismus:

Wer bist Du, mein Sohn?

Spanier von Gottes Gnaden.

Was meinst Du damit?

Ich meine damit, dass ich ein Ehrenmann bin.

Wer ist der Feind unserer Glückseligkeit?

Der Kaiser der Franzosen.

Was ist der Kaiser der Franzosen?

Ein Unhold, der Urheber alles Bösen, der Zerstörer aller Güter, der Sitz aller Laster.

Wie viele Naturen hat er?

Zwei: die menschliche und die teuflische Natur.

Wie viele Kaiser der Franzosen gibt es?

Einen wirklichen in drei trügerischen Personen.

Wie heißen sie?

Napoleon, Murat und Manuel Godoy.

Welcher von den dreien ist der böseste?

Sie sind alle drei gleich schlecht.

Wovon stammt Napoleon ab?

Von der Sünde.

Und Murat?

Von Napoleon.

Und Godoy?

Von der unreinen Vermischung Beider?

Wie heißt der Geist des Ersten?

Hoffart und Despotismus.

Und des Zweiten?

Raubsucht und Grausamkeit.

Und des Dritten?

Habgier, Verrat und Unwissenheit.

Was sind die Franzosen?

Vormalige Christen, die Ketzer geworden sind.

Welche Strafe verdient der Spanier, der seine Pflichten verletzt?

Den Tod und die Schmach der Verräter.

Wie müssen sich die Spanier aufführen?

Nach den Vorschriften unsern Herrn Jesus Christus.

Wer wird uns von unsern Feinden befreien?

Das gegenseitige Vertrauen und die Waffen

Ist es Sünde, einen Franzosen umzubringen?

Nein; im Gegenteil, man verdient den Himmel, wenn man einen dieser ketzerischen Hunde totschlägt.

 

Das waren sonderbare Grundsätze, aber sie standen im Einklange mit der Rohheit und Unwissenheit des Volkes, das dieselben in Anwendung brachte. Die Folge davon war eine allgemeine Erhebung und das Resultat der letzteren war die Kapitulation von Bayern, das ist die erste Schmach, die unsere Heere seit 1792 erlitten.

 

Die Kapitulation war am 22. Juli geschlossen worden. Am 31. landete eine englische Armee in Portugal. Am 21. August wurde die Schlacht von Vimeiro geliefert, wo die Franzosen zwölf Geschütze und fünfzehnhundert Tote und Verwundete verloren. Endlich am 30. folgte der Vertrag von Cintra, der Junot und seine Armee nach Frankreich heimschickte.

 

Diese Nachrichten brachten in Paris eine furchtbare Wirkung hervor Napoleon wusste dem Unglück nicht anders abzuhelfen als durch seine Gegenwart. Er hatte Recht; Gott war noch mit ihm und sein Glücksstern noch nicht untergegangen; die Wunder von Rivoli, von den Pyramiden, von Marengo, Austerlitz, Jena, Friedland sollten sich auf spanischem Boden wiederholen. Er drückt dem Kaiser Alexander die Hand, versichert sich der Freundschaft Preußens und Österreichs, die der neue König von Sachsen von Dresden und der neue König von Westphalen von Kassel aus überwachten, bringt achtzigtausend alte Soldaten aus Deutschland mit, hält auf dem Durchmarsch in Paris an, um dem gesetzgebenden Körper anzuzeigen, dass die Adler bald auf den Türmen von Lissabon flattern werden, und setzt seinen Marsch nach Spanien fort.

 

Am 4. überschreitet er die spanische Grenze; am 10. nehmen die Marschälle Soult und Bessières die Festung Burgos, erobern zwanzig Kanonen, metzeln dreitausend Spanier nieder und machen ebenso viele Gefangene. Am 12. vernichtet der Marschall Victor das Heer La Romana’s und Black’s bei Espinosa, tötet ihnen achttausend Mann und zehn Generale, macht zwölftausend Gefangene und nimmt ihnen fünfzig Kanonen. Am 20. vernichtet der Marschall Lannes bei Tutela die unter Palafor und Castasios stehenden Armeen, nimmt ihnen dreißig Kanonen, macht dreitausend Gefangene und tötet viertausend Mann.

 

Die Straße nach Madrid war frei. Dem Einzuge in die Residenz Philipps V. stand kein Hindernis mehr im Wege; der Erbe Ludwigs XIV. wusste den Weg nach allen Hauptstädten zu finden. Überdies kam ihm eine Deputation der Stadt Madrid entgegen, um ihm ihre Huldigungen darzubringen und ihn demütigst um Gnade zu bitten.

Treten Sie auf die Plattform des Escorial, Sire, und lauschen Sie: auf allen Seiten werden Sie nichts als Siegesecho vernehmen. Hören Sie nur: Der Ostwind bringt das Getöse der Kämpfe bei Cardeden, Elinas, Liobregat, San Felice und Molino del Rey — fünf neue Namen in unsere Jahrbücher zu schreiben, und in Catalonien kein Feind mehr. — Auch der Westwind, Sire, wird Ihren Ohren gar lieblich schmeicheln; er weht von Galicien herüber und meldet Ihnen, dass Soult die Nachhut Moore’s geschlagen und eine spanische Division entwaffnet hat; noch mehr, er hat die Engländer auf ihre Schiffe zurück getrieben, die ihre Segel aufgespannt haben und verschwunden sind; ihr Oberbefehlshaber und zwei Generale liegen tot auf der Wahlstatt. Und der Nordwind bringt Ihnen die Kunde von der Einnahme Saragossas; man hat achtundzwanzig Tage gekämpft, ehe man in die Stadt drang, und achtundzwanzig Tage noch kämpfte man von Haus zu Haus, wie in Sagunt, wie in Numantia und Calahorra. Männer, Weiber, Kinder, Greise, Priester haben gekämpft; Jetzt sind die Franzosen Herren von Saragossa, oder vielmehr der Trümmer der vormaligen Stadt. Und der Südwind, Sire, bringt Ihnen die Kunde von der Einnahme von Oporto; der Ausstand ist in Spanien gedämpft, wenn nicht unterdrückt; Portugal ist besetzt, wenn nicht wieder erobert. Sie haben Wort gehalten, Sire, Ihre Adler flattern auf den Türmen von Lissabon.

 

Aber wo sind Sie denn, Sire, und warum sind Sie so schnell wieder fortgeeilt? — Ja, richtig, die Engländer, Ihre Erbfeinde, haben Österreich durch trügerische Vorspiegelungen verführt: Sie wären fünfhundert Meilen entfernt, Sie könnten Ihre Streitkräfte nicht entbehren, der Augenblick sei günstig; der Papst Pius Vll. hat sie in den Bann getan, wie einst Heinrich IV. von Deutschland und Philipp August von Frankreich; man müsse diesen Augenblick benützen, um Ihnen Italien zu nehmen, und Sie aus Deutschland zu vertreiben.

 

Und Österreich hat es geglaubt, es hat hunderttausend Mann unter die Waffen gerufen und unter den Befehl der Erzherzoge Carl, Ludwig und Johann gestellt. Ziehet hin, meine schwarzen Adler, hat es ihnen zugerufen, und zerreißet die roten Adler Frankreichs.

 

Am 17. Jänner reiste Napoleon zu Pferde von Vallavolid ab; am 18. kam er nach Burgos, am 19. nach Bayonne. Dort nahm er einen Wagen, und als ihn jedermann noch in Altkastilien glaubte, klopfte er am 22. um Mitternacht an das Thor der Tuilerien und begehrte Einlass. Man staunte, den künftigen Sieger von Eckmühl und Wagram zu sehen.

 

Der künftige Sieger von Eckmühl und Wagram war übrigens in sehr übler Laune, als er nach Paris kam. Er hatte wohl Ursache dazu. Der spanische Krieg, den er für ersprießlich gehalten hatte, war ihm zuwider, aber einmal begonnen hatte er wenigstens den Vorteil, die Engländer auf den Kontinent zu locken.

 

Wie der afrikanische Riese, fühlte sich Napoleon wirklich stark, wenn er die Erde berührte. Wäre er Themistokles gewesen, würde er die Perser in Athen erwartet und Athen nicht in den Golf von Salamis verlegt haben. Die Glücksgöttin, die ihm stets treu gewesen war, die ihn von der Etsch bis zum Nil, vorn Niemen bis zum Manzanares begleitet, hatte ihn bei Abukir verlassen, bei Trafalgar verraten.

 

Und in dem Augenblicke, als er drei Siege über die Engländer errungen, als er ihnen zwei Generale getötet, den dritten verwundet, als er sie übers Meer zurückgetrieben, wie es einst Hektor in Achills Abwesenheit mit den Griechen gemacht hatte, — in einem solchen Moment sah er sich auf einmal gezwungen, die Halbinsel zu verlassen.

 

Es war zwei Uhr nach Mitternacht, als er die Tuilerien betrat, aber er warf kaum einen Blick auf sein Bett und ging aus seinem Schlafgemach in sein Arbeitszimmer.

»Man wecke den Großkanzler,« sagte er, »und benachrichtige den Polizeiminister, den Oberkämmerer, dass ich sie erwarte — den Ersteren um vier, den Andern um fünf Uhr.«

 

»Soll Ihre Majestät die Kaiserin von Höchstdero Ankunft in Kenntnis gesetzt werden?« fragte der Türsteher, dem dieser Befehl erteilt wurde.

 

Napoleon sann einen Augenblick nach.

»Nein,« sagte er, »ich wünsche zuvor den Polizeiminister zu sprechen. Bis zu seiner Ankunft soll mich niemand stören, ich will schlafen.«

Der Türsteher entfernte sich und Napoleon blieb allein.

»Ein Viertel auf drei,« sagte er auf die Tischuhr blickend, »nur halb drei Uhr will ich aufmachen.«

 

Er warf sich in einen Lehnstuhl, ließ die linke Hand auf der Seitenlehne ruhen, steckte die rechte in die Weste, schloss die Augen, seufzte leise und schlief ein.

 

Napoleon besaß wie Cäsar die seltene Gabe, einzuschlafen wo er konnte und wann er wollte, und so lange zu schlummern, wie es seine Zeit erlaubte. Wenn er gesagt hatte: ich will eine Viertelstunde schlafen, so war er gemeiniglich schon wach, wenn der Adjutant, der Türsteher oder Sekretar, der ihn wecken sollte, zu der bestimmten Stunde erschien. Ein anderer seltener Vorzug war, dass er, ohne in einen Zwischenzustand zwischen Schlaf und Wachen zu treten, augenblicklich vollkommen wach war; sobald er seine Augen aufschlug, waren seine Gedanken so klar und bestimmt wie vor dem Entschlafen.

 

Kaum hatte sich daher die Tür hinter dem Palastdiener, der die drei Staatsmänner rufen sollte, geschlossen, so schlief Napoleon schon, und sonderbar! keine Spur der Leidenschaften, die an ihm nagten, war auf seinem Gesichte zu sehen.

 

Eine einzige Wachskerze brannte im Zimmer. Als der Kaiser den Wunsch geäußert, einige Minuten zu schlafen, hatte der Türsteher die beiden Armleuchter fortgetragen, deren zu helles Licht den kurzen Schlummer Napoleons hätte stören können. Er hatte nur den Handleuchter, mit welchem er die Kerzen angezündet, da gelassen.

 

Das Zimmer war daher nur matt erhellt, und die Gegenstände hatten in diesem Halbdunkel ein phantastisches Aussehen. Ein solches Halbdunkel suchen die Traumgötter die den Schlummer stören, oder die Gespenster, welche die Reue wecken.

 

Ein solcher Traumgott schien dieses helle Dunkel oder diese dunkle Helle erwartet zu haben, denn kaum hatte Napoleon die Augen geschlossen, so hob sich der Tapetenvorhang, der eine kleine geheime Thür verbarg, und es erschien eine weiße Gestalt, die in ihrem leichten Gewande und mit ihren schwebenden geräuschlosen Bewegungen einer überirdischen Erscheinung glich.

 

Die weiße Gestalt verweilte einen Augenblick in der dunklen Thür, dann ging sie leise auf den Schläfer zu, streckte aus ihrem leichten Gewande die schöne weiße Hand hervor und legte sie auf die Rücklehne des Sessels, dicht neben das Haupt, das einem römischen Imperator anzugehören schien.

Dann betrachtete sie das schöne ruhige Antlitz eine Weile mit unaussprechlicher Zärtlichkeit, seufzte leise, legte die linke Hand auf ihr Herz, um die ungestümen Schläge desselben zu dämpfen, neigte sich langsam und den Atem anhaltend und berührte die Stirne des schlafenden Kaisers mehr mit ihrem Hauch als mit ihren Lippen. Bei dieser Berührung, wie leicht sie auch war, zuckten die Muskeln dieses Gesichtes, das bis dahin so unbeweglich gewesen war wie ein Wachsbild. Die weiße Gestalt wich schnell zurück.

 

Diese Bewegung war übrigens kaum bemerkbar und dauerte nur einen Augenblick. Das ruhige Antlitz; das durch diesen Hauch der Liebe leicht bewegt worden war, wie das spiegelglatte Wasser eines Sees durch die säuselnde Abendluft, nahm seine vorige Heiterkeit und Unbeweglichkeit wieder an; die Gestalt trat an den Schreibtisch, schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier, wandte sich wieder zu dem Schläfer, schob das Papier in die Weste, dicht neben seine Hand, die fast eben so weiß und so zart war wie die ihrige und verschwand ebenso geräuschlos wie sie gekommen war.

 

Einige Sekunden nach dem Verschwinden dieser Erscheinung und als die Tischuhr eben halb drei schlagen wollte, erwachte der Kaiser und zog die Hand aus der Weste.

 

Die Uhr schlug. — Napoleon lächelte, wie Augustus gelächelt haben würde, als er sah, dass er sich im Schlafe wie im Wachen zu beherrschen wusste, und nahm ein Papier auf, das er aus der Weste gerissen und zu Boden geworfen hatte.

 

Auf dem Papiere bemerkte er einige geschriebene Worte und näherte sich dem Lichte; aber er hatte die Schriftzüge erkannt, bevor er sie entziffern konnte. Er seufzte und las:

»Du bist da. Ich habe Dich geküsst, das ist mir genug. Deine Dich über alles Liebende.«

 

»Josephine!« sagte er gerührt, und sah sich um, als hätte er erwartet, sie im Hintergrunde des Zimmers erscheinen zu sehen. Aber er war allein.

 

In diesem Augenblicke ging die Tür auf, der Türsteher trat mit den beiden Armleuchtern ein und meldete:

»Se. Exzellenz der Herr Erzkanzler.«

 

Napoleon stand auf, lehnte sich an das Kamin und wartete.

Hinter dem Türsteher erschien die eben gemeldete hohe Person.

 

 

II. Drei Staatsmänner.

 

Regis de Cambacérès war damals ein Mann von sechsundvierzig bis siebenundvierzig Jahren, also vier bis fünf Jahre älter als Napoleon. Er war sanft und wohlwollend von Charakter und ein gelehrter Jurist. Er war anfangs Steuerrat gewesen und 1792 Mitglied des Convents geworden. Am 19. Jänner 1793 hatte er für den Aufschub der Hinrichtung des Königs gestimmt, und 1794 war er Präsident des Wohlfahrtsausschusses geworden. Im Jahre1795 hatte er das Portefeuille der Justiz erhalten ; 1799 hatte ihn Bonaparte zum zweiten Konsul gewählt, und endlich im Jahre 1804 war er zum Erzkanzler ernannt, zum Reichsfürsten erhoben und mit dem Titel eines Herzogs von Parma beschenkt worden.«

 

Cambacérès war von mittlerer Größe und zur Beleibtheit geneigt; dabei ein Feinschmecker, elegant, vornehm in Haltung und Benehmen. Er hatte sich die Hofmanieren mit ungemeiner Schnelligkeit und Leichtigkeit angeeignet und sich dadurch beidem großen Erneuerer des sozialen Gebäudes sehr beliebt gemacht.

 

Überdies hatte er in den Augen Napoleons noch ein anderes Verdienst. Cambacérès hatte wohl eingesehen, dass der große Mann, dereinst sein vertrauter Freund gewesen und nun sein Monarch geworden war, Anspruch auf seine Ehrerbietung hatte. Ohne gerade unterwürfig zu seyn, ohne sich zum Schmeichler herabzuwürdigen, beobachtete er gegenüber dem Erwählten des Schicksals, der damals in ganz Europa gefürchtet wurde, die Haltung eines aufrichtigen Bewunderers.

 

Eine Viertelstunde hatte ihm genügt, um eine Toilette zu machen, die in einem Kreise von Hofleuten tadellos gewesen wäre, und obgleich mitten im Schlafe geweckt, erschien er um halb drei Uhr früh eben so heiter und munter, als ob ihn der Kaiser um sieben Uhr abends, nach dem Diner hätte rufen lassen.

 

Aber das Gesicht des Kaisers war keineswegs so freundlich wie das seinige. Der Erzkanzler, etwas betroffen, machte eine Bewegung, die einem Rückzuge nicht unähnlich war.

 

Napoleon, dessen Adlerblick, die größten und die kleinsten Dinge nicht entgingen, erriet die Ursache dieser plötzlichen Betroffenheit und sagte mit herzgewinnender Freundlichkeit:

»O, kommen Sie, kommen Sie, Herr Erzkanzler, Ihnen zürne ich nicht.«

 

»Und ich hoffe, dass Ew. Majestät mir nie zürnen werden,« antwortete Cambacérès, »denn Ihre Ungnade würde mich sehr unglücklich machen.«

 

Der Kammerdiener entfernte sieh, die Armleuchter zurücklassend.

»Constant,« sagte der Kaiser zu ihm, »schließen Sie die Thür, bleiben Sie im Vorzimmer und führen Sie die Person, die ich erwarte, in den grünen Salon.«

 

Dann wandte er sich wieder zu Cambacérès und sagte tief aufatmend: »Ach! da bin ich wieder in Frankreich, in den Tuilerien! Wir sind allein, Herr Erzkanzler, und können ganz offen reden.«

»Sire,« sagte der Erzkanzler, »abgesehen von der Ehrerbietung, die meinen Worten Schranken setzt, spreche ich nie anders mit Ew. Majestät.«

 

Der Kaiser sah ihn scharf an.

»Sie mühen sich ab, Cambacérès; Andere suchen sich geltend zu machen und an dasselbe Tageslicht zu treten, Sie hingegen treten immer weiter in den Schatten. Das gefällt mir nicht. Bedenken Sie, dass Sie nach mir der erste Mann im Staate sind.«

 

»Ich weiß, dass Ew. Majestät mich nach Ihrer Güte und nicht nach meinen Verdiensten behandelt haben.«

 

»Sie irren sich, ich habe Sie nach Ihrem Werte behandelt, und deshalb habe ich Ihnen die Einrichtung der Gesetzpflege übertragen. Aber das Kriminalgesetzbuch wird nicht gefördert; ich hatte Ihnen gesagt, dass es im Jahre 1808 beendet werden sollte, und heute haben wir den 22. Jänner1809. Der gesetzgebende Körper ist während meiner Abwesenheit versammelt geblieben, aber das Gesetzbuch ist nicht fertig, und wird vielleicht noch nicht in drei Monaten beendet. «

 

»Erlauben mir Ew. Majestät, über diese Angelegenheit offen zu reden?« fragte der Erzkanzler.

 

»Das versteht sich, Cambacérès sagte der Kaiser.

 

»Sire, ich bemerke nicht mit Besorgnis — denn solange Ew. Majestät das Zepter oder Schwert halten, fürchte ich nichts — aber mit Bedauern, dass sich überall ein Geist der Unruhe und Zügellosigkeit zu zeigen beginnt . . .«

 

»Ich weiß es, erwiderte Napoleon, »und bin hierher geeilt, um zugleich diesen Geist und die Österreicher zu bekämpfen.«

»Zum Beispiel der gesetzgebende Körper, Sire . . .«

»Der gesetzgebende Körper!« wiederholte Napoleon, die Achseln zuckend.

»Der gesetzgebende Körper,« fuhr Cambacérès fort, ohne sich irr machen zu lassen,« brachte früher nur eine schwache Opposition von zwölf bis fünfzehn Stimmen zusammen; jetzt bietet er uns die Spitze, zweimal waren bei der Abstimmung achtzig, und einmal hundert schwarze Kugeln . . .«

»Ich bebe die gesetzgebende Versammlung auf!«

»Nein, Sire, wählen Sie, wählen Sie einen Moment wo sie günstiger gestimmt ist. Aber Ew. Majestät müssen in Paris bleiben; wenn Sie hier sind, geht alles gut.«

»Ich weiß es, aber leider kann ich nicht hier bleiben.«

»Das ist nicht gut.«

»Sie haben Recht, Cambacérès . . . Ich werde daran denken; wenn ich’s vergessen sollte, so erinnern Sie mich daran.«

»Ew. Majestät sagten, dass Sie nicht in Paris bleiben können . . .«

»Glauben Sie denn, ich sei in vier Tagen von Valladolid gekommen, um hier zu bleiben? Nein, in drei Monaten muss ich in Wien sein.«

»O! Sire,« sagte Cambacérès mit einem Seufzer, »immer Krieg?«

»Diese Sprache hätte ich von Ihnen nicht erwartet, Cambacérès. . . mache ich denn den Krieg

»Sire, der Krieg in Spanien . . .«

»Ja, den vielleicht. Aber warum hatte ich ihn unternommen? weil ich des Friedens in Norden versichert zu sein glaubte, mit Russland verbündet, mit Westphalen und Holland verbrüdert, mit Bayern befreundet, von Preußen, dessen Armee auf 40.000 Mann zusammengeschmolzen ist, nichts befürchtend, konnte ich ahnen, dass Österreich, dessen Adler nach dem Verlust Italiens nur noch einen Kopf hat, im Stande sehn werde, 500,000 Mann gegen mich zu bewaffnen? Es scheint wahrlich der Lethe, und nicht die Donau bei Wien zu fließen; denn man hat die früheren Erfahrungen vergessen, aber die neuen Erfahrungen, die man machen wird, sollen nicht so leicht vergessen werden, dafür stehe ich. Ich will den Krieg nicht, ich habe kein Interesse dabei, und Europa ist mein Zeuge, dass mein ganzes Streben, meine ganze Aufmerksamkeit auf das von den Engländern gewählte Schlachtfeld, nämlich auf Spanien, gerichtet war. Österreich, das die Engländer schon einmal im Jahre1805 rettete,. als ich über die Meerenge von Calais gehen wollte, rettet sie wieder, indem es mich in dem Augenblick aufhält, wo ich im Begriffe war, sie ins Meer zu werfen. Ich weiß wohl, dass sie an einem andern Orte wieder zum Vorscheinkommen, wenn sie verschwinden; aber England ist nicht wie Frankreich, eine kriegerische Nation, es ist ein Handelsvolk — Karthago ohne Hannibal. Ich würde es endlich geschwächt oder zur Herbeiziehung seiner Truppen aus Indien gezwungen haben, und wenn nur der Kaiser Alexander Wort hält, o! dann soll Österreich diese Seitenwendung teuer bezahlen! Es muss entweder auf der Stelle seine Truppen entlassen, oder einen Vernichtungskrieg gewärtigen. Wenn es mich über seine künftigen Absichten beruhigt, so stecke ich selbst das Schwert in die Scheide; denn freiwillig ziehe ich es nur in Spanien, und gegen die Engländer. Wenn nicht, so lasse ich 400.000 Mann gegen Wien rücken, und in Zukunft wird England keine Bundesgenossen mehr auf dem Kontinent haben.«

 

»400.000 Mann?« fragte Cambacérès.

»Sie möchten gern wissen, wo sie sind, nicht wahr?«

»Ja, Sire, ich sehe kaum 100.000 über die Sie jetzt verfügen könnten.«

»So! man fängt an, meine Soldaten zu zählen, und Sie, Herr Erzkanzler, sind der erste Zweifler!«

»Sire! . . .«

»Man sagt, es sind nur 200.000, nur 150.000, nur 1000 Mann da. Der Feldherr wird schwach, er hat nur noch zwei Armeen; jetzt ist der günstige Zeitpunkt, den wir benützen müssen . . . Die Leute irren sich.« — Napoleon berührte die Stirne mit der Hand, »hier ist meine Kraft,« er streckte beide Arme aus, — »und dies sind meine Kriegsheere . . . Sie wollen wissen, wie ich 400.000 Mann zusammen bringen werde? Ich will’s Ihnen sagen. . . nicht um ihretwillen, Cambacérès, Sie vertrauen vielleicht noch meinem Glücksstern, ich will’s Ihnen sagen, damit Sie es Anderen wieder sagen. Meine Rheinarmee besteht aus einundzwanzig Infanterieregimentern von je vier Bataillonen; sie sollten je fünf Bataillone stark sein, aber eine Täuschung wäre hier nicht am rechten Ort. Es sind also 84 Bataillone, das ist 70,000 Mann Infanterie. Außerdem habe ich meine drei Divisionen St. Cyre, Legrand, Bouvet; diese sind nur drei Bataillone oder 30.000 Mann stark. Es sind also 100.000 ohne die 5000 Mann der Division Dupas. Ich habe vierzehn Regimenter Kürassiere, welche 12.000 Reiter in ihren Reihen zählen, und sich mit den in den Depots befindlichen auf 14.000 bringen lassen. Ich habe 17.000Mann leichte Infanterie; außerdem kann ich aus dem Süden leicht 5 bis 6000 Dragoner kommen lassen. Wir haben also schon 100.000 Mann Infanterie und mehr als 30.000 Reiter.«

»Sire, das macht zusammen erst 130.000 Mann, Ew. Majestät sagten 400.000.«

»Warten Sie nur, dazu kommen 20.000 Mann Artillerie, 20.000 Mann Garde, 100.000 Deutsche.«

»Alles dies, Sire, macht erst 270.000 Mann«

»50.000 nehme ich von meiner italienischen Armee, sie marschieren durch Steiermark und vereinigen sich in Bayern mit mir. Rechnen Sie dazu 10.000 Italiener und 10.000 Franzosen, die ich aus Dalmatien herbeiziehe und wir haben70.000 Mann mehr.«

»Zusammen also 340.000 Mann«

»Nur Geduld, Sie werden sehen, dass wir mehr zusammen bringen, als wir brauchen.«

»Ich weiß nicht, Sire, woher Sie die übrigen nehmen werden.«

»Sie vergessen meine Conscribirten, Herr Erzkanzler; Sie vergessen, dass Ihr Senat im September vorigen Jahres zwei Aushebungen bewilligt hat.«

»Ja wohl, Sire: die eine von 1809 ist schon unter den Waffen, und die von 1810 darf nach dem Gesetz im ersten Jahre nur im Innern des Landes dienen.«

»Ganz recht, aber glauben Sie, dass 80.000 Mann für 115 Departements genügen? Nein, ich bringe die Aufhebung auf 100.000, und lasse je 20.000 aus den Classen von 1809, 1808, 1807 und 1806 einberufen: das macht 20,000 Mann von 20 bis 23 Jahren, während die von 1810 erst 18 Jahre alt sind, und ich habe Zeit, diese heranwachsen zu lassen.«

»Sire, die 115 Departements liefern jährlich nur 337.000 Mann im dienstfähigen Alters 100.000 Mann wären mehr als der vierte Teil dieses Containments, und es gibt keine Bevölkerung, die nicht bald zu Grunde geht, wenn man ihr jedes Jahr den vierten Teil der jungen Männer nimmt . . .«

»Wer sagt Ihnen denn, dass man sie ihr jedes Jahr nehmen wird? Ich nehme sie von vier Jahren, und befreie die früheren Classen; einmal ist nicht immer. Diese 80.000 Mann lasse ich durch meine Garde einüben und ausbilden; sie versteht sich darauf, es ist für sie eine Arbeit von drei Monaten. Im April werde ich mit 400.000 Mann an der Donau stehen, dann wird Österreich wie heute meine Legionen zählen, und wenn es mich zwingt loszuschlagen, so wird Europa erschrecken vor den Streichen, die ich führen werde.«

Cambacérès seufzte und fragte: »Haben Ew. Majestät sonst nichts zu befehlen?«

»Der gesetzgebende Körper soll sich morgen versammeln.«

»Sire, er hält seit Ihrer Abreise Sitzung.«

»Es ist wahr; morgen werde ich mich einfinden und ihm meinen Willen kundgeben.«

Cambacérès entfernte sich. Aber er kehrte wieder um und sagte: »Ich sollte Ew. Majestät an einen gewissen General Mallet erinnern.«

»Ja, es ist wahr, aber ich will erst mit Herrn Fouché reden. Sagen Sie, wenn Sie durch das Vorzimmer gehen, dass ich Herrn Fouché zu sprechen wünsche; er muss im grünen Salon sein.«

Cambacérès verneigte sich; als er an der Thür war, rief ihm Napoleon sehr freundlich nach: »Adieu, lieber Erzkanzler!«

Cambacérès entfernte sich beruhigter für sich selbst, aber in großer Besorgnis für Frankreich.

 

Als er fort war, ging Napoleon mit starken Schritten im Zimmer auf und ab. Seit neun Jahren der Regierung— denn das Konsulat hatte sich von einer monarchischen Regierung kaum unterschieden — hatte er trotz der Bewunderung, die er einflößte, zuweilen offenen Tadel, sogar Anfeindungen erfahren, aber nie war ein Zweifel laut geworden. Jetzt zweifelte man an seinem Glücksstern, und dieser Zweifel war zuerst in seiner Armee, in seiner Garde, bei seinen alten Kriegern laut geworden. Die verhängnisvolle Kapitulation von Bayern hatte seinem Ruhm den ersten furchtbaren Stoß gegeben. Varus hatte sich wenigstens mit seinen drei Legionen, die Augustus von ihm zurückverlangte, niederhauen lassen. Varus hatte sich nicht ergeben. Schon in Valladolid wusste Napoleon alles was Cambacérès soeben gesagt hatte, und noch andere Dinge. Tags vor seiner Abreise hatte er Musterung über seine Grenadiere gehalten; er wusste dass diese Prätorianer gemurrt hatten, dass sie in Spanien bleiben sollten, und wollte diese von der Sonne Italiens und Ägyptens gebräunten Gesichter in der Nähe sehen, um zu wissen, ob sie die Vermessenheit haben würden, unzufrieden zu sein. Er stieg vom Pferde und ging zu Fuß durch ihre Reihen. Die Grenadiere präsentierten düster und schweigend das Gewehr, nicht ein einziger Ruf: »Es lebe der Kaiser!« wurde gehört; ein einziger Soldat sagte leise: »Sire, nach Frankreich!«

 

Das hatte Napoleon erwartet. Er riss ihm das Gewehr aus den Händen und schleppte ihn vor die Fronte.

»Taugenichts!« sagte er zu ihm. »Du verdientest, dass ich Dich erschießen ließe! — Ich weiß wohl,« sagte er laut zu dem ganzen Corps, »Ihr wollt nach Paris zurück, um daselbst euer Schlaraffenleben und eure Dirnen wiederzufinden. Doch daraus wird nichts, Ihr bleibt unter den Waffen bis eure Zöpfe schneeweiß sind«

 

Er warf dem Grenadier das Gewehr wieder in die Arme. Der Soldat ließ es vor Schmerz fallen.

In diesem Augenblicke der Erbitterung bemerkte er den General Legendre, der die Kapitulation von Baylen mit unterzeichnet hatte. Er ging mit zornglühenden Blicken auf ihn zu. Der General blieb stehen, als ob seine Füße in der Erde Wurzel geschlagen hätten.«

»Ihre Hand, General,« sagte er.

 

Der General streckte zagend die Hand aus. »Ich begreife nicht,« sagte Napoleon, indem er sie betrachtete, »dass diese Hand, als sie die Kapitulation von Baylen unterzeichnete, nicht verdorrt ist!«

Und er wandte sich mit dem Ausdrucke der Verachtung ab, wie von einem Verräter.

Der General, der die Kapitulation nur auf höheren Befehl unterzeichnet hatte, war wie vernichtet.

 

Napoleon stieg wieder zu Pferde und ritt nach Valladolid zurück, von wo er, wie erwähnt, am folgenden Tage nach Frankreich abreiste.

Er war in dieser Stimmung, als sich die Thür wiederauftat und der Türsteher meldete:

»Se. Exzellenz der Polizeiminister.«

Das blasse Gesicht Fouché’s erschien zögernd und furchtsam in der Thür.

 

»Ja, Herr Fouché,« sagte Napoleon, »ich begreife wohl, dass Sie zögern, vor mir zu erscheinen.«

 

Fouché gehörte zu den Charakteren, die vor der unbekannten Gefahr zurückbeben, aber darauf losgehen oder sie erwarten, sobald sie eine Gestalt angenommen hat.

 

»Ich, Sire?« erwiderte er, seinen Kopf mit den gelblichen Haaren, mit der blassen Gesichtsfarbe, mit den Vergissmeinnichtaugen und dem großen Munde aufwerfend; »warum sollte ich, der Kartätschenmann von Lyon, Bedenkentragen, mich vor Ew. Majestät zu zeigen?«

 

»Weil ich kein Ludwig XVI. bin!«

 

»Ew. Majestät geruhen — und es ist nicht das erste Mal — auf mein Votum vom 19. Jänner anzuspielen.«

»Nun, wenn ich’s täte?«

»Dann würde ich antworten, dass ich als Mitglied des Convents nicht dem Könige, sondern der Nation den Eid geleistet hatte, und diesen Eid habe ich gehalten.«

»Und wem haben Sie am 13. Thermidor des Jahres VII den Eid geleistet? etwa mir?«

»Nein, Sir.«

»Warum haben Sie mir denn am 18. Brumaire so gute Dienste geleistet?«

»Ew. Majestät wollen sich huldreichst erinnern, dass Ludwig XIV. sagte: der Staat bin ich! . . . Am 18. Brimaire waren Sie die Nation, und deshalb diente ich Ihnen.«

»Aber das hinderte mich nicht, Ihnen 1802 das Portefeuille der Polizei zu entziehen.«

»Ew. Majestät hofften einen geschickteren, wenn nicht treueren Polizeiminister zu finden; Sie gaben mir das Portefeuille 1804 zurück.«

 

Napoleon ging einige Schritte vor dem Kamin hin und her; er blickte starr vor sich nieder und zerdrückte das Papier, das die wenigen Worte Josephines enthielt. Plötzlich blieb er stehen, sah seinen Polizeiminister scharf an und sagte:

»Wer hat Sie ermächtigt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen?«

 

Wäre Fouché nicht so weit von dem Lichte entfernt gewesen, so hätte man sehen können, dass sein Gesicht noch blässer wurde als zuvor.

»Sire,« sagte er, »ich glaube zu wissen, dass Ew. Majestät die Scheidung sehnlich wünschen.«

»Habe ich diesen Wunsch gegen Sie geäußert?«

»Ich habe gesagt: ich glaube zu wissen, und glaubte Ew. Majestät einen Dienst zu erweisen, wenn ich die Kaiserin auf dieses Opfer vorbereitete.«

»Ja, schonungslos, wie alles was Sie tun.«

»Sire, Niemand kann sein Naturell ändern: ich habe meine Laufbahn als Lehrer bei den Vätern des Oratoriums begonnen, und hatte in dieser Eigenschaft unbändige Knaben im Zaum zu halten, später ist mir etwas von der Ungeduld aus meiner Jugendzeit geblieben; ich bin ein Obstbaum, man darf keine Blumen bei mir erwarten.«

»Herr Fouché, Ihr Freund,« und Napoleon betonte diese beiden Worte absichtlich stark, »Ihr Freund Talleyrand empfiehlt seinen Untergebenen immer: nur keinen Eifer. Ich will diesen Grundsatz von ihm borgen, um ihn auf Sie anzuwenden. Dieses Mal haben Sie wirklich zu viel Eifer gezeigt; ich will nicht, dass man in Staatssachen oder Familienangelegenheiten die ersten Schritte tue.«

Fouché schwieg.

 

»Weder kommt es,« fuhr Napoleon fort, »dass Sie jetzt wieder der beste Freund Talleyrand’s sind, nachdem Sie sein erbitterter Feind waren? Zehn Jahre lang haben Sie sich gegenseitig gehasst und angeschwärzt: Sie nannten ihn einen frivolen Diplomaten, und er nannte Sie einen plumpen Intriganten; Sie verachteten eine Diplomatie, welche, wie Sie sagten, von der Siegesgöttin ins Schlepptau genommen wurde; er verspottete den eitlen Prunk mit einer Polizei, die bei der allgemeinen Unterwerfung leichtes Spiel habe und sogar überflüssig sei. Sind denn die Verhältnisse wirklich so bedenklich, dass Sie sich, wie Sie behaupten, für die Nation opfern und Beide Ihre alte Feindschaft vergessen? Sie haben die Vermittlung dienstfertiger Personen angenommen und haben sich öffentlich ausgesöhnt. öffentlich besucht; Sie haben einander zugeflüstert, es sei möglich, dass mich in Spanien das Messer eines Fanatikers, in Österreich eine Kanonenkugel treffe; nicht wahr, das Haben Sie gesagt?«

 

»Sire,« antwortete Fouché, »die spanischen Dolche wissen die großen Monarchen zu finden, das hat man bei Heinrich IV. gesehen; die österreichischen Kanonenkugeln wissen die großen Feldherren zu treffen, das hat man bei Turenne und dem Marschall Berwiek gesehen.«

»Sie beantworten eine Tatsache mit einer Schmeichelei,« erwiderte Napoleon; »ich bin nicht tot, und will nicht, dass mein Nachlaß schon bei meinen Lebzeiten geteilt werde.«

»Sire, daran denkt Niemand, am allerwenigsten wir.«

 

»Sie dachten so wenig daran, dass Sie meinen Nachfolger schon erkoren hatten. Warum lassen Sie ihn nicht im Voraus krönen? Der Augenblick ist günstig, der Papst hat mich in den Bann getan . . . Glauben Sie denn, die französische Krone passe nicht aus jeden Kopf? Aus einem Kurfürsten von Sachsen kann man wohl einen König von Sachsen machen, aber aus einem Herzog von Berry macht man nicht so leicht einen König von Frankreich oder einen Kaiser der Franzosen. Um das Eine zu werden, muss man ein Nachkomme Ludwig des Heiligen sein; um das Andere zu werden, muss man von meinem Geblüt sein. Sie haben freilich ein Mittel, um den Moment, wo ich nicht mehr sein werde, zu beschleunigen . . .«

»Sire,« antwortete Fouché, »ich bitte Ew. Majestät, mir dieses Mittel zu nennen.«

»Morbleu! Sie dürfen nur die Verschwörer unbestraft lassen.«

»Verschwörer gegen Ew. Majestät sollten unbestraft geblieben sein? Haben Sie die Gnade, sie zu nennen.«

»O! das ist nicht sehr schwer: ich will Ihnen sogleich drei nennen.«

»Ew. Majestät meinen die angebliche Verschwörung, die der Polizeipräfekt Dubois entdeckt haben will.«

»Mein Polizeipräfekt Dubois ist nicht, wie Sie, der Nation, sondern mir ergeben.«

Fouché zuckte die Achseln; diese Bewegung entging dem Scharfblick Napoleons nicht.

»Sie zucken die Achseln, weil Sie nichts zu erwidern wissen,« sagte Napoleon, auf dessen Stirn sich ein Ungewitter zusammenzog; »wo es sich um Verschwörungen handelt, kann ich die Zweifler nicht leiden.«

»Kennen Ew. Majestät die Personen, um die es sich handelt?«

»Ich kenne zwei von den dreien; ich kenne den General Mallet, der ein unverbesserlicher Verschwörer ist.«

»Ew Majestät glauben, dass der General Mallet konspiriere?«

»Ich weiß es gewiss.«

»Und Ew. Majestät fürchten eine Verschwörung, anderen Spitze ein Tollhauskandidat steht?«

»Sie sind in einem doppelten Irrtum befangen, Herr Fouché: erstens fürchte ich nichts, und zweitens ist der General Mallet kein Tollhauskandidat.«

»Er hat wenigstens eine fixe Idee.«

»Ja wohl, aber Sie werden zugeben, dass er kein Narr ist, denn seine fixe Idee besteht darin, dass er einst, wenn ich dreihundert, vierhundert Meilen entfernt bin, meine Abwesenheit benutzen wird, um die Nachricht von meinem Tode auszusprechen und einen Aufstand hervorzurufen.«

»Halten Ew. Majestät die Sache für möglich?«

»So lange als ich keinen Erben habe, ja.«

»Eben deshalb habe ich es gewagt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen.«

»Auf diese Angelegenheit wollen wir nicht zurückkommen. Sie verachten Mallet, Sie haben ihn wieder in Freiheit gesetzt. Ich will Ihnen etwas sagen, was mein Polizeiminister mir hätte sagen sollen: Mallet ist nur einer der Fäden einer unsichtbaren Verschwörung, die sich im Heere anspinnt.«

»Ach ja, die Philadelphen . . . Glauben Ew. Majestät an die Magie des Obersten Oudet?«

»Ich glaube an Arena,« antwortete Napoleon, »ich glaube an Cadoudal, ich glaube an Moreau. Mallet ist einer von diesen Träumern, von diesen Illuminaten, von diesen Narren, wenn Sie wollen; aber für den gefährlichen Narren gehört die einsame Zelle und die Zwangsjacke; Sie haben den Ihrigen in Freiheit gesetzt . . Der zweite ist Servan; ist der ein Narr, ein Königsmörder?«

»Wie ich, Sire.«

»Ja, aber ein Königsmörder aus der Schule der Gironde, ein vormaliger Verehrer der Madame Roland, ein Mann, der als Minister Ludwigs XVI. zum Verräter an ihm wurde und aus Rache für seinen Sturz am 10. August eine Hauptrolle spielte.«

»Er handelte gemeinschaftlich mit dem Volke.«