Toni der Hüttenwirt 125 – Wenn ihr füreinander bestimmt seid...

Toni der Hüttenwirt –125–

Wenn ihr füreinander bestimmt seid...

Roman von Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-244-4

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Es war früh am Morgen. Auf der Oberländer Alm lud Toni die Lebensmittel in seinen Rucksack und füllte Bellos Packtaschen. Sebastian und Franziska saßen auf der Bank und tranken ein Glas frische Milch. Sie warteten. Die Kirchenglocke von Waldkogel schlug, es war kurz vor acht Uhr.

»Mei, heut’ lässt sich der Fellbacher aber Zeit! Wenn er jetzt nicht bald auftaucht, dann kommen wir zu spät in die Schule«, brummte Sebastian.

»Er wird schon kommen, Basti!«, sagte Franziska, die mehr Geduld hatte als ihr älterer Bruder.

Toni richtete sich auf und schaute auf seine Uhr.

»Der Basti hat Recht, Franzi. So spät hat euch der Fellbacher noch nie abgeholt. Vielleicht hat er eine Autopanne. Wenn er nicht bald kommt, dann fahre ich euch in die Schule.«

Es war ein weiter Weg, von der Berghütte über die Oberländer Alm hinunter, nach Waldkogel in die Schule, den Sebastian und Franziska jeden Tag zurücklegen mussten. Damals, als ihre Eltern bei dem tragischen Unfall am Hang des »Höllentors« ums Leben kamen, hatten Toni und Anna die beiden als Pflegekinder aufgenommen. Später adoptierten sie die beiden. Die Behörden in Kirchwalden hatten Toni und Anna nur die Pflegeelternschaft zugesichert, nachdem eine Regelung getroffen worden war, wie die beiden täglich von der Berghütte die Schule in Waldkogel erreichen konnten. Bürgermeister Fellbacher, Tonis Vater Xaver Baumberger und Toni fuhren die beiden Schulkinder abwechselnd von der Oberländer Alm ins Tal und brachten sie am Nachmittag wieder herauf. In dieser Woche war der Bürgermeister mit dem »Taxidienst« an der Reihe, wie es Sebastian nannte.

Tonis Handy klingelte. Er nahm das Gespräch an. Es war Bürgermeister Fellbacher. Toni unterhielt sich kurz mit ihm.

»Geht in Ordnung, Fellbacher, dann bringe ich die Kinder in die Schule. Wir sehen uns später!«

»Auf, ihr beiden! Geht schon mal zum Auto. Ich packe Bellos Taschen noch voll und schicke ihn auf die Berghütte.«

Toni verstaute noch weitere Pakete mit Butter und Käse rechts und links in den Packtaschen, die der junge Neufundländerrüde umgeschnallt hatte.

»So, Bello! Lauf zur Anna! Los!«

Bello, der ein kräftiger Hund war, ging los. Toni sah ihm lächelnd nach. Was würde ich ohne Bello machen? Er ist wirklich brav und ein richtiger Arbeitshund. Toni rief Anna an und kündigte an, dass Bello alleine kommen würde. Sie möge die Packtaschen leeren und ihn wieder zurück auf die Oberländer Alm schicken.

Dann ging Toni zum Auto. Sebas­tian und Franziska saßen schon auf der Rückbank des Geländewagens. Toni fuhr los.

»Warum kann der Fellbacher net kommen?«, fragte Franzi.

»Der hat zu tun! Er muss den Verkehr regeln, auf der Landstraße nach Kirchwalden, hat er gesagt.«

»So ein Quatsch!«, stieß Sebas­tian hervor. An seinem Tonfall war deutlich zu erkennen, dass er es für eine Ausrede hielt. »Ein Bürger­meis­ter regelt keinen Verkehr, das macht die Polizei.«

Franziska stimmte ihrem Bruder zu und fragte: »Warum regelt der Wolfi nicht den Verkehr?«

»Ich weiß es nicht, Kinder. Ein bissel sonderbar kommt mir des auch vor, aber das wird sich klären. Ich setze euch jetzt an der Schule ab, dann fahre ich hin. Heute Nachmittag weiß ich mehr.«

So geschah es dann auch. Toni brachte Franziska und ihren Bruder zur Schule und fuhr weiter in Richtung Kirchwalden. Er kam auf der Straße nicht sehr weit, bald stand er im Stau. Kurzentschlossen lenkte er seinen Allradgeländewagen ins Feld und ließ ihn dort stehen. Er ging über die Wiesen, bis er die andere Seite des Hügels erreichte, über den die kleine Landstraße führte.

Dann sah er, was los war. Ein großer Traktor, an dessen Anhängerkupplung ein großer Pflug hing, stand schräg auf der Straße. Der angekoppelte Pflug hing halb umgestürzt im Straßengraben. Die Straße war nur einspurig befahrbar und auch nur, wenn die Autos mit zwei Rädern auf dem Randstreifen fuhren.

Bürgermeister Fellbacher stand auf dem Dach des Traktors und schwenkte seinen Hut mit dem Gamsbart. Er regelte den Verkehr. Abwechselnd ließ er von jeder Seite die Autos passieren.

Toni blieb stehen und lachte.

»Mei, des ist ein Anblick, Fellbacher! Des werde ich fotografieren für die Jahrbücher von Waldkogel. Macht’s dir Spaß, Verkehrspolizist zu spielen? Ist des ein neues Hobby von dir oder schon Teil des nächsten Wahlkampfes?«

Toni zückte sein Handy und machte mehrere Fotos.

»Mei, Toni, hör auf! Ich finde des gar net lustig! Ich stehe seit sieben Uhr hier oben und versuche den Verkehr zu regeln. Was soll ich machen, die Leut’ wollen zur Arbeit.«

»Wo ist Wolfi? Warum regelt der Irminger nicht den Verkehr?«

Fritz Fellbacher hob die Hand, um die Autos aus Richtung Kirchwalden zu stoppen. Der Bürger­meis­ter schwenkte den Hut und ließ einen Schwung Fahrzeuge aus der anderen Richtung durchfahren.

»Der Gewolf hat Urlaub! Ich habe schon in Kirchwalden angerufen, aber die sagen, es kann noch etwas dauern, bis sie eine Streife schicken können.«

Toni kletterte auf das Dach des Traktors und löste den Bürgermeis­ter ab, der völlig erschöpft war. Nach einer weiteren halben Stunde hatte sich der Verkehrsfluss beruhigt.

Endlich kam auch der Abschleppdienst und zog die Landmaschine aus dem Graben.

Nach einer weiteren halben Stunde war die Straße wieder frei. Bürgermeister Fellbacher wischte sich mit dem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn.

»Komm, Fellbacher, ich lade dich zu den Eltern ins Wirtshaus ein. Du hast dir wahrlich ein schönes kühles Bier verdient, du Verkehrspolizist!«

»Da sage ich net nein!«

Etwas später saßen sie bei Tonis Eltern in der Wirtsstube. Xaver Baumberger, Tonis Vater, setzte sich dazu.

»Wie lange ist der Gewolf noch in Urlaub, Fellbacher?«

»Pah, des dauert noch drei Wochen, bis die Polizeistation hier wieder besetzt ist. Heute war sein ers­ter Urlaubstag – und dann muss gleich so etwas passieren!«

»Zum Glück wurde niemand verletzt«, versuchte Toni den Bürgermeister zu beruhigen.

»Toni, darum geht es net. Ich bin stocksauer auf die Polizeidienststelle in Kirchwalden. Es war bisher immer so, dass sie die Arbeit vom Wolfi mitgemacht haben, wenn er in Urlaub war. Sie waren immer sofort gekommen, aber heute haben sie Waldkogel im Stich gelassen. Aber das wird ein Nachspiel haben, Toni. Das schwöre ich dir, bei den Engeln vom ›Engelssteig‹!«

Es war unüberhörbar, dass Fell­bacher sehr ärgerlich war.

»Haben Sie dir gesagt, warum sie keinen Wagen mit Beamten schicken?«

»Ja, schon! Dreimal hab’ ich angerufen! Da gab es einen Massenauffahrunfall auf der Autobahn. Alle Polizeikräfte waren dort vor Ort.«

»Na sieht du, Fellbacher! Des ist dann doch verständlich!«

»Naa, des ist net verständlich! Wenn wir hier in Waldkogel mehr Beamte auf der Polizeistation hätten, dann käme so etwas nicht vor. Seit Jahren predige ich der Obrigkeit, dass wir hier einen zweiten Polizeibeamten brauchen. Aber meine Eingaben wurden abgelehnt, mit der Begründung, dass Kirchwalden net weit sei, und die Beamten dort immer bereitstehen würden. So ein Schmarrn! Des ist doch Augenwischerei! Gut, es war nur ein Stau auf der Landstraße, nix Dramatisches. Aber was wäre, wenn wir hier mal eine wirklich ernste Sache haben und sie nicht kommen können? Naa, naa, des kann so net weitergehen, Toni!«

»Bei uns in Waldkogel geschieht nix Schlimmes!«, schmunzelte Toni.

»Dein Wort in Gottes Ohr! Aber ich hab’ schon geahnt, dass etwas kommt, Toni. Gestern Abend stand eine kleine schwarze Wolke über dem ›Höllentor-Gipfel‹. Hast du sie auch gesehen?«, bemerkte Fellbacher leise.

Toni nickte.

»Ja, ich habe sie gesehen! Sie hat sich aber bald aufgelöst!«

»Schon, wir haben Glück gehabt. Aber es hätte auch etwas Schlimmes geschehen können, Toni. Jedenfalls kann des net so weitergehen. Ich werde jetzt andere Maßnahmen ergreifen!«

»Was willst machen?«, fragte Xaver.

»Ich fahre nach Kirchwalden und mache Druck. Die müssen hier in Waldkogel jemanden auf der Polizeistation stationieren, bis der Irminger aus dem Urlaub zurück ist!«

Bürgermeister Fellbacher trank den Rest Bier aus und stand auf.

»Danke und Pfüat euch!«

Er setzte seinen Hut auf und ging hinaus.

»Mei, so sauer hab’ ich den Fellbacher schon lange nimmer gesehen«, bemerkte Xaver Baumberger.

»Er macht sich Sorgen, Vater«, sagte Toni.

Meta Baumberger trat dazu.

»Ich kann ihn verstehen. Dieses Mal war es vergleichsweise harmlos, aber was ist, wenn mal wirklich etwas Schlimmes geschieht?«

»Mutter, was soll schon sein? Wir halten zusammen, und irgendwie wird schon alles geregelt werden.«

»Ich weiß net, Toni? Hast du schon mal aus dem Fenster gesehen?«

»Naa, warum?«

»Weil schon wieder eine schwarze Wolke überm ›Höllentor‹ steht!«

Toni und sein Vater gingen raus und schauten hinauf. Genau wie am Abend zuvor stand dort eine winzige schwarze Wolke. Toni rieb sich das Kinn. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten.

Seit alters her glaubten die Waldkogeler, dass ein Unglück passieren würde, wenn über dem Gipfel des »Höllentors« eine schwarze Wolke stand. Das bedeutete, dass der Teufel aus dem Tor zur Hölle geschaut hatte, das, der Sage nach, oben auf dem Gipfel war. Schaute der Satan heraus, dann drohte Waldkogel ein Unglück.

Meta Baumberger hatte die Küchenschürze abgelegt und das schwarze Tuch um die Schultern, das sie immer trug, wenn sie in die Kirche ging. Es war klar, Meta Baumberger war auf dem Weg in die Kirche.

»Stiftest für uns auch eine Kerze, Mutter!«, sagte Toni.

»Des mache ich immer, Toni!«, rief sie ihm zu.

Toni schaute sich den Himmel an. Er war blau. Nach einem Unwetter sah es nicht aus. Aber man konnte nie wissen. Vielleicht war die schwarze Wolke ein Vorbote für einen Wettersturz.

Toni bat seinen Vater, die Kinder nach der Schule bei ihnen zu behalten, falls das Wetter umschlug. Dann war es für Sebastian und Franziska zu gefährlich, von der Oberländer Alm auf die Berghütte zu wandern. Toni fuhr zurück.

*

Die Abendsonne stand über München. Gustav Baier saß neben seiner Frau Marlies im Garten ihres Hauses. Marlies strickte, Gustav rauchte eine Pfeife.

Er sah seine Frau an.

»Ist unser Madl wieder in seinem Zimmer?«

Marlies seufzte tief.

»Ja, so ist es, Gustl! Ich weiß auch nicht mehr, was ich machen soll. Die Lucie ist net wiederzuerkennen. Des geht jetzt schon seit dem Frühjahr so. Entweder ist des Madl nächtelang unterwegs und kommt erst heim, wenn es schon hell ist oder es verkriecht sich in sein Zimmer. Ich weiß mir wirklich keinen Rat mehr. Dabei ist des Madl net dumm.«

»Wenn es um die Liebe geht, dann spielt es keine Rolle, ob jemand dumm ist oder klug. Mit Vernunft ist nichts zu machen, da schlagen die Hormone Purzelbäume. Ich habe es ja auch schon mit logischen Argumenten versucht. Eher könnte man eine Stecknadel in einem Heuhaufen finden, als diesen Burschen in München, wenn er denn überhaupt aus München ist. München ist eine Großstadt, wie soll sie ihn da finden? Des ist doch so gut wie unmöglich!«

»Des habe ich ihr auch gesagt, Gustl. Trotzdem geht sie immer wieder in diese Disco und hofft, ihm dort wieder zu begegnen. Sie weiß nicht, wie er heißt. Sie weiß nicht, wo er wohnt oder woher er ist. Sie hat seine Telefonnummer nicht.«

»Ich weiß! Aber er ist in ihrem Herzen, und sie sucht ihn. Ich kann des kaum noch mit ansehen. Richtig schmal ist des Madl geworden.«

»Ja, sie hat keinen Appetit. Ich koche ihr seit Monaten jeden Abend eines ihrer Lieblingsessen, aber sie stochert nur darin herum. Du siehst es ja selbst. Ich frage mich, wie soll das weitergehen?«

»Das weiß ich auch nicht, Lissi! Als Eltern kann man für seine Kinder viel tun. Man schickt sie auf gute Schulen. Schaut, dass sie einen Beruf lernen, der ihnen Freude macht. Aber dann hört es auf. In wen und wann und unter welchen Umständen sie sich verlieben, da­rauf hat man keinen Einfluss. Des ist eben Schicksal.«

»Des stimmt, Gustl!«

»Kennen denn Lucies Arbeitskolleginnen den Burschen nicht?«

»Nein!«

»Vielleicht könnte Lucie eine Anzeige aufgeben in den Münchener Zeitungen. Sie kann es ja unter Chiffre machen«, überlegte Lucies Vater laut.

»Das ist eine verrückte Idee! Was glaubst du denn, was sich dann für Typen melden? Außerdem – was sollte sie schreiben? Sie kennt seinen Namen nicht, hat nur mit ihm getanzt und sich nett unterhalten. Das ist viel zu ungenau.«

»Sie kann ihn genau beschreiben, wie er aussah, was er anhatte. Es muss doch irgendeinen Anhaltspunkt geben.«