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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74091-256-7
»Wir telefonieren heute Abend«, versprach Elli und nahm Johannes zum Abschied noch einmal in die Arme. Jetzt waren sie schon fast ein halbes Jahr ein Paar, aber niemand durfte von ihrer Liebe wissen. Diese Hütte im Moor durfte doch nicht auf ewige Zeiten der einzige Ort sein, an dem sie sich frei begegnen konnten.
»Ich verspreche dir, wir werden eine Lösung finden. Wenn meine Eltern mich vor die Wahl stellen, dann werde ich mich für dich entscheiden.« Johannes küsste Elli auf ihr Haar und hielt sie eng umschlungen. Er würde sich niemals von ihr trennen. Er liebte sie von ganzem Herzen.
»Ich hoffe, sie werden es nicht so weit kommen lassen, mein Liebling«, flüsterte Elli und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Sie schloss die Augen, atmete seinen Duft, der sie an Wiesen im Morgentau erinnerte, und hörte zu, wie sein Herz schlug. Ganz gleichmäßig und in dem ihr so vertrauten Takt. Alles an Johannes war ihr vertraut. Das blonde Haar, sein Lächeln und die grünbraunen Augen, die ihr verrieten, wie sehr er sie liebte, jedes Mal aufs Neue, sobald er sie ansah.
»Du weißt, dass du der wichtigste Mensch für mich bist«, versicherte ihr Johannes.
»Ich will aber nicht, dass du dich mit deiner Familie überwirfst. Genauso wenig möchte ich meine Eltern vor den Kopf stoßen.«
»Vielleicht geht es aber nicht anders.«
»Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, sie wieder miteinander zu versöhnen.«
»Du glaubst immer an das Gute, Elli, ich weiß«, sagte Johannes, als sie ihre Augen wieder öffnete und ihn anschaute. »Ich wünschte, es wäre alles gut und sie würden uns unser Glück gönnen.« Er betrachtete sie voller Zuneigung. Die großen blauen Augen, die langen dunkelblonden Locken, die ihr zartes Gesicht umrahmten. Warum konnten seine Eltern nicht das sehen, was auch er sah? Eine liebenswerte junge Frau, die ebenso wenig wie er etwas mit diesen alten Auseinandersetzungen der beiden Familien zu tun hatte.
»Wenn wir nicht mehr an das Gute glauben, dann sind wir verloren«, sagte Elli leise.
»Nein, nicht wir sind verloren. Wir haben uns. Aber sie werden ihre Kinder verlieren.«
»Nimm das Gespräch an«, bat Elli und löste sich von ihm.
Es war bereits das dritte Mal innerhalb von fünf Minuten, dass es mit dem Klingelton läutete, den er seinem Vater zugewiesen hatte. Vermutlich ging es um etwas Wichtiges, wenn er so hartnäckig blieb.
»Hallo, Vater«, meldete sich Johannes, nachdem er sein Handy aus der Jeanstasche gezogen hatte.
»Wo steckst du, Junge? Wir haben ein Problem mit der Abfüllmaschine. Komm bitte sofort in die Molkerei«, hörte Elli Friedbert Gernike, Johannes’ Vater, sagen.
»Ich bin unterwegs«, sagte Johannes und beendete das Gespräch. »Tut mir leid, ich muss los«, wandte er sich wieder an Elli.
»Du bist der Ingenieur bei euch im Haus. Wenn eine Maschine still steht, dann ist es deine Aufgabe, sie wieder zum Laufen zu bringen«, antwortete Elli lächelnd.
»Ich sehne den Tag herbei, an dem ich ihm sagen kann, dass ich bei dir bin, wenn er auf der Suche nach mir ist.«
»Wir bekommen das hin. Es wird uns etwas einfallen, wie wir sie von unserer Liebe überzeugen können. Und jetzt lass uns gehen.« Elli schaute sich noch einmal in der Hütte um, ob sie auch nichts liegen gelassen hatten.
Die Hütte stammte noch aus der Zeit, als in Bergmoosbach Torf abgebaut wurde, um es als Brennmaterial zu nutzen. Inzwischen diente sie als Schutzhütte für Moorwanderer. Lydia Draxler, die sich in Bergmoosbach um den Tourismus kümmerte, hatte sie mit zwei Holzbänken, einem Tisch und einem Schrank möbliert, in dem sie auch Decken und ein paar Konserven aufbewahrte. Eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass jemand von einem Unwetter überrascht wurde und in der Hütte länger ausharren musste. Aber das kam nur selten vor.
Wenn Elli und Johannes sich zum Essen trafen, dann in der Hütte im Moor. Nirgendwo sonst fühlten sie sicher. Einmal hatten sie sich in München verabredet und waren beinahe einem Ehepaar in die Arme gelaufen, das mit den Gernikes befreundet war. Sie wussten beide, dass sie so nicht auf Dauer leben konnten. Es musste sich endlich etwas ändern.
»Wir sehen uns bald wieder«, sagte Johannes, als sie vor der Hütte auf ihre Räder stiegen, nachdem Elli die Tasche mit dem Geschirr und dem Tischtuch in ihren Fahrradkorb gepackt hatte. Das Geschirr gehörte zu dem Service, das ihre Mutter für sie nach und nach gekauft hatte, damit es am Tag ihrer Hochzeit komplett war. Elli konnte sich nicht vorstellen, einen anderen als Johannes zu heiraten, deshalb hatte sie das Geschirr vor ein paar Wochen mit ihm gemeinsam zum ersten Mal benutzt.
»Du hast es eilig, fahr einfach los«, forderte Elli ihn auf, als er auf seine Uhr schaute.
»Aber wir fahren doch immer ein Stück zusammen«, antwortete er überrascht.
»Ich weiß, aber du wirst dringend in der Molkerei erwartet, und ich habe noch ein wenig Zeit. Mach dir keine Gedanken um mich, ich werde mich ganz sicher nicht verfahren«, versicherte sie ihm lächelnd.
»Pass auf dich auf, mein Engel«, sagte Johannes und warf ihr noch eine Kusshand zu, bevor er auf den Weg einbog, der entlang einer Reihe Birken aus dem Moor herausführte.
Elli trat ganz langsam in die Pedale. Sie hatte zu Hause erzählt, dass sie mit einer Freundin zum Mittagessen verabredet war und erst gegen zwei zurück sein würde. Ihre Standardausrede, wenn sie sich mit Johannes traf. Sie hielt an dem Holzsteg an, der über das Moor führte und den sie auf ihrem Nachhauseweg zum Siegnerhof überqueren musste.
Sie schaute auf die Wiesen, die sich im hellen Sonnenschein vor ihr ausbreiteten und fragte sich, warum ihr Leben so kompliziert sein musste. Als sie das blonde Haar auf dem Ärmel ihres weißen Pullovers entdeckte, nahm sie es behutsam in die Hand, betrachtete es eine Weile und übergab es dann dem sanften Wind, der es über die Wiesen hinwegtrug.
Vielleicht wird er sich irgendwann ebenso leicht von mir entfernen, weil ihm klar wird, dass wir beide keine Zukunft haben, dachte Elli und auf einmal spürte sie einen tiefen Schmerz. So als wäre es bereits sicher, dass Johannes und sie niemals offiziell zusammen sein konnten. Sie stieg von ihrem Fahrrad und schob es über den Holzsteg, als ihr auf einmal die Tränen über die Wangen liefen. Auch wenn sie an das Gute in jedem Menschen glaubte, in ihrem Fall bedurfte es eines Wunders, um den Graben zu überwinden, der die Gernikes und die Siegners seit so vielen Jahren trennte.
»Es ist töricht, auf ein Wunder zu warten«, flüsterte sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Hallo, Elli!«, rief die ältere Frau in dem hellblauen Dirndl, die mit einem Korb voller Blüten auf der anderen Seite des Holzstegs stand.
»Hallo, Traudel!«, antwortete Elli und winkte Traudel Bruckner, der guten Seele aus dem Haus der Seefelds.
»Was ist mit dir, Kind?«, fragte Traudel besorgt, als Elli näherkam und sie ihre verweinten Augen sah.
»Ich kann nicht darüber reden, Traudel«, seufzte Elli.
»So schlimm?« Traudel sah die junge Frau mitfühlend an. Sie kannte Elli schon seit ihrer Geburt und sie hatte immer den Eindruck gehabt, dass sie mit ihrem Leben zufrieden war. »Ist es wegen der Arbeit auf eurem Hof? Dein Vater hat erzählt, dass du ein Semester mit deinem Studium aussetzt, um bei euch auszuhelfen.« Konrad Siegner hatte sich vor kurzem den Fuß gebrochen, und Elli half nun ihrer Mutter bei der Arbeit auf dem Hof und ließ ihr Betriebswirtschaftsstudium ruhen.
»Die Arbeit ist es nicht, und das Semester hole ich schon wieder auf. Es ist etwas anderes«, sagte Elli leise und kämpfte erneut mit den Tränen.
»Komm, Herzl, setzen wir uns ein bissel«, entgegnete Traudel. Sie legte ihren Arm um die Schultern der jungen Frau und führte sie zu einer Bank am Rand der Wiese.
»Denkst du, dass man auf sein eigenes Glück verzichten muss, wenn für andere, die man liebt, dieses Glück ein Unglück ist?« Elli sah Traudel aus tränenverhangenen Augen an. Seit Monaten quälte sie sich mit dieser Frage, aber sie konnte sie sich einfach nicht beantworten. Wenn sie mit Johannes zusammen war, dann schien alles möglich, aber sobald sie sich getrennt hatten, nagten die Zweifel an ihr, ob das, was sie sich so sehr wünschten, jemals wahr werden konnte.
»Das Glück kennt viele Neider, Kind, und ja, manchmal leidet auch jemand unter dem Glück eines anderen. Aber wenn wir von der Liebe sprechen, und ich glaube, das tun wir, dann gibt es kein Abwägen. Wenn die Liebe erst einmal da ist, dann lässt sie sich nicht einfach wieder fortschicken. Wenn du die Chance hast, glücklich zu werden, warum solltest du darauf verzichten?«
»Weil ich meinen Eltern furchtbar wehtun würde.«
»Warum denn das?«, fragte Traudel verwundert. Sie kannte Ellis Eltern nur als liebevolle Menschen, die für das Glück ihrer Tochter jedes Opfer bringen würden.
»Ich liebe einen Mann, dem sie niemals die Hand reichen würden. Wir können uns immer nur heimlich treffen, aber wie lange kann so eine Liebe gut gehen?«
»Jetzt machst du mich aber wirklich neugierig, Kind.«
»Wenn ich es dir erzähle, dann darf es aber niemand sonst erfahren. Versprichst du mir das?« Elli konnte diese Last einfach nicht mehr mit sich herumtragen. Traudel kannte alle Beteiligten, vielleicht konnte sie ihr sogar einen Rat geben, der ihr helfen würde, ihre Liebe zu Johannes zu retten, ohne ihre Eltern vor den Kopf zu stoßen.
»Du kannst mir vertrauen, Elli«, versicherte ihr Traudel und sah sie mitfühlend an. »Wer ist der Mann, den du glaubst, nicht lieben zu dürfen?«
»Johannes Gernike«, antwortete Elli leise.
»Mei, der Johannes, da brauchst wahrlich viel Geduld, bis sie diese Verbindung akzeptieren«, seufzte Traudel.
»Mama würde ja vielleicht noch ein Einsehen haben, aber Papa und Johannes’ Eltern niemals.«
»Was deiner Familie angetan wurde, das lässt sich auch nicht einfach so vergessen«, sagte Traudel.
»Aber weder Johannes noch ich sind verantwortlich für das, was passiert ist. Und unsere Väter eigentlich auch nicht.«
»Johannes’ Vater hätte das Unrecht wieder gut machen können.«
»Das sagt Johannes auch, aber sein Vater meint, dass die Siegners selbst schuld sind, dass es so gekommen ist, dass sein Vater nur nach Recht und Gesetz gehandelt hatte.«
»Nach wessen Recht und Gesetz? Nach seinem eigenen? Dein Großvater war damals in einer Notlage. Er hatte eine schlechte Ernte gehabt und die Scheune war während eines Unwetters eingefallen.«
»Und weil die Banken ihm keinen Kredit geben wollten, sprangen die Gernikes großzügig ein, sehr großzügig, wie sie heute noch betonen.«
»Nein, es war nicht großzügig, es war eine abgekartete Sache. Die Gernikes wussten, dass die Äcker, die sie sich als Sicherheit für den Kredit geben ließen, in Kürze zu Bauland erklärt würden. Hätten sie es deinem Großvater gesagt, wären seine finanziellen Probleme gelöst gewesen.«
»Ja, das weiß ich, stattdessen haben sie die Milchpreise gesenkt, mein Großvater konnte den Kredit nicht mehr bedienen und sie haben die Äcker bekommen.«
»Die sie dann reich gemacht haben. Dein Vater war damals noch ein Kind, aber er hat erleben müssen, wie es ist, wenn man Angst um seine Existenz hat.«
»Mama sagt immer, dass wir noch Glück hatten, dass die Gernikes uns den Hof mit seiner Weide und den Acker zur Anzucht für das Viehfutter gelassen haben. So konnte Opa wenigstens seine Milchwirtschaft wieder aufbauen.«
»Damit haben sie ihr schlechtes Gewissen beruhigt. Natürlich wusste auch der alte Gernike, dass er deinen Großvater schamlos über den Tisch gezogen hatte.«
»Eigentlich müsste ich einen großen Bogen um diese Familie machen. Aber ich habe Johannes schon immer gern gehabt, und beim Feuerwerk in der letzten Silvesternacht, da stand er zufällig neben mir und dann haben wir uns einfach geküsst, so als hätten wir beide schon ganz lange auf diesen Moment gewartet. In dieser Nacht wurde uns beiden klar, dass wir uns lieben.«
»Das ist eine komplizierte Verbindung, Elli, das muss ich zugeben.« Traudel stellte den Korb mit den selbst gepflückten Blüten neben sich auf die Bank, legte die Hände in den Schoss und beobachtete den Zitronenfalter, der vor ihr über die Wiese flatterte. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, mit Johannes von hier fortzugehen?«, wandte sie sich nach einer Weile wieder an Elli.
»Ja, wir haben darüber nachgedacht. Aber Johannes soll doch im nächsten Jahr die Molkerei übernehmen. Es war auch immer sein Wunsch, das Familienunternehmen weiterzuführen. Seine Ingenieurausbildung und die Lehre in der Molkerei, damit hat er sich auf seine Rolle vorbereitet. Er will ein Chef sein, der sich auskennt, der auch mitanpacken kann, wenn seine Angestellten Hilfe brauchen. Dieser Traum würde platzen, wenn wir fortgingen. Würden sich unsere Eltern versöhnen, dann wäre alles ganz leicht.«
»Ich glaube, vorher wird das Moor zur Wüste«, seufzte Traudel. »Trotzdem.«
»Trotzdem was?«, hakte Elli nach, als Traudel innehielt.
»Es gibt nur eines, was Johannes und dich weiterbringt. Ihr müsst euren Eltern die Wahrheit sagen.«
»Ja, irgendwann müssen wir das tun, aber ich fürchte mich davor. Meine Eltern waren immer gut zu mir. Ich hatte nie vor, sie zu verletzen. Und auch Johannes’ Eltern werden sicher nichts unversucht lassen, uns auseinanderzubringen, sobald sie von uns erfahren.«
»Ihr seid erwachsen, Elli. Niemand kann euch verbieten, euch zu treffen.«
»Irgendetwas wird ihnen einfallen, um uns unglücklich zu machen.« Elli umklammerte die Bank mit ihren Händen, als müsste sie ihr Halt geben.
»Du hast völlig recht, du und Johannes, ihr könnt überhaupt nichts für diese verfahrene Angelegenheit. Das sollte allen Beteiligten einleuchten.«
»Aber die Gräben sind einfach zu tief, die sich zwischen unseren Familie aufgetan haben.«
»Es gibt immer einen Weg, Unrecht wieder gut zu machen oder ein Unrecht zu verzeihen. Eure Liebe könnte die beiden Familien versöhnen.«
»Die Betonung liegt auf könnte«, entgegnete Elli, und dabei klang sie nicht wirklich zuversichtlich.
»Solange eure Eltern nichts von euch wissen, können sie sich mit dieser Form der Aussöhnung aber auch nicht befassen. Deshalb, Herzl, sprich mit deinen Eltern.«
»Das wird ein unangenehmes Gespräch.«
»Mag sein, aber es ist unumgänglich. Danach weißt du, woran du bist, und kannst dementsprechend handeln.«
»Und wenn sie mich vor die Wahl stellen?«
»Dann triffst du deine Wahl, und Johannes wird es auch tun.«
»Wenn er sich gegen seine Familie entscheidet und es irgendwann bereut, dann werden wir kein gutes Leben haben.«