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HANS RAUSCHER

WAS GESAGT WERDEN MUSS

aber nicht gesagt werden darf

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

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1. Auflage

© 2017 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH,

Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Minion Pro, DIN OT

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

ISBN 978-3-7110-0066-8

eISBN 978-3-7110-5123-3

Inhalt

Vorwort:
Über unbequeme Wahrheiten, die man aussprechen muss

1.Haben die Trump-Le Pen-Strache-Wähler vielleicht recht?

2.Es gibt nur ein Thema: Zuwanderung

3.Die Furcht vor der ganz großen Fluchtwelle aus Afrika

4.»Lügenpresse« – Ist Journalismus noch glaubwürdig?

5.Die Zweiklassengesellschaft – Wer auch in schwierigen Zeiten Privilegien hat

6.Der neue Krieg gegen die Frauen

7.»Das wird man doch noch sagen dürfen« – Das Problem mit der »Political Correctness«

8.Was gesagt werden muss: Es kann auch alles den Bach hinuntergehen

VORWORT:

ÜBER UNBEQUEME WAHRHEITEN, DIE MAN AUSSPRECHEN MUSS

Was nicht gesagt werden darf, aber gesagt werden muss. Gibt es das in einer Demokratie überhaupt? Darf man da nicht alles sagen (solange es nicht strafrechtlich relevant ist)? Viele Bürger sind allerdings der Meinung, dass man in dieser Demokratie – mit deren Zustand sie zu 54 Prozent nicht zufrieden sind (Umfrage ATV Österreich-Trend, durchgeführt von Peter Hajek Opinion Strategies, Juni 2016) – doch nicht alles sagen darf. Weil es »die Mächtigen« nicht wollen, weil die »Political Correctness« alles erstickt und weil die »Lügenpresse« oder, sanfter, die »Mainstream-Medien« alles in ihrem Sinn manipulieren.

Dieselben Bürger sagen dann allerdings – meist anonym – auf Facebook, Twitter und Co. so viel, dass bei diesem Hass und dieser verbalen Gewaltbereitschaft echte Besorgnis aufkommt.

Doch abseits von Verschwörungstheorien und Shitstorms müssen sich die Vertreter der liberalen Demokratie sehr wohl die Frage stellen: Wird bei uns wirklich »alles« gesagt? Werden wirklich alle scheinbaren und tatsächlichen Tabuthemen aufgegriffen? Gibt es ein paar große unbequeme Wahrheiten, die nicht genügend oder gar nicht ausgesprochen werden?

Dieses Buch versucht ein paar von diesen großen Themen aufzugreifen.

Das Jahr 2017 wird bestimmt von der großen Angst vor den Rechtspopulisten: In den USA hat mit Donald Trump einer die Wahl gewonnen. In den Niederlanden und in Frankreich wurde ein Sieg nicht für unmöglich gehalten, was sich zumindest in Holland nicht bewahrheitete. Im Herbst war ein Erfolg in Deutschland zu erwarten. In Österreich waren sie in den Umfragen stärkste Partei. Daran schließt gleich die Frage an: Haben die Wähler der Rechtspopulisten, die diese vor allem wegen der Zuwanderung wählen, vielleicht doch recht? Ist die Lage der »Abgehängten«, der Wutbürger, der Modernisierungsverlierer vielleicht wirklich so schlecht?

Das größte unbequeme Thema unserer Zeit ist die Zuwanderung. Es wird zwar sehr viel diskutiert und darüber geschrieben, aber kaum einer dieser Beiträge dringt zum Kern vor, stellt schonungslos die wirklichen Fragen:

Die Mehrheit der österreichischen, der europäischen Bevölkerung ist gegen Zuwanderung. Ganz besonders gegen solche aus muslimischen Ländern. Können wir ohne Zuwanderung leben? Haben wir bisher die richtige Zuwanderung gehabt? Ist eine Integration bestimmter, vor allem muslimischer Gruppen möglich? Was tun mit den möglichen neuen Flüchtlingswellen, vor allem einer noch nie dagewesenen aus Afrika?

Ist der Linkspopulismus mancher Regierender eine taugliche Antwort? Und: Ist ein System, wie es die Rechten wollen – eine Autokratie nach dem Muster Putins, Orbáns oder Erdoğans – das Richtige?

Daran knüpft sich gleich die Frage, ob die Medien jahrelang zu wenig hingesehen haben, was sich da bei den Anhängern der Rechtspopulisten tut? Ob die Medien vielleicht wirklich »gesteuert« werden und vom wem?

Wenn man darüber spricht, dass sich in der Krise die Lage mancher Menschen so verschlechtert hat, dass sie sich von der Demokratie enttäuscht fühlen, dann muss man auch darüber sprechen, dass es auch in der Krise noch viele Gruppen gibt, die erstaunliche Privilegien haben. Man kann sehr wohl von einer »Zweiklassengesellschaft« sprechen.

Noch wenig diskutiert wird eine Entwicklung, die man als einen »neuen Krieg gegen die Frauen« bezeichnen könnte – einerseits Hassorgien im Internet gegen prominente, selbstbewusst auftretende Frauen, andererseits ein Rückbau der Frauenrechte durch Macho-Politiker – und das mehr als drängende Thema der Frau in den islamischen Zuwanderergesellschaften.

Fazit: Die alten Gewissheiten – darunter der Wohlstand und der soziale Frieden in Europa – sind so gewiss nicht mehr. Ein Super-GAU wie der Verlust der Errungenschaften der liberalen Demokratie ist denkbar. Eine Antwort darauf lautet: mehr infrage stellen, in der Debatte mutiger sein, über das reden, worüber vermeintlich nicht geredet werden darf.

1.

HABEN DIE TRUMP-LE PEN-STRACHE-WÄHLER VIELLEICHT RECHT?

Worüber gesprochen werden muss: der drohende Zusammenbruch der alten Ordnung in Europa unter dem Ansturm des autoritären Rechtspopulismus. Warum es den Menschen immer noch relativ gut geht, und warum sie trotzdem scharenweise zu den Rechtspopulisten abwandern. Ob es auch einen Linkspopulismus gibt, der sich einiges vom Rechtspopulismus abgeschaut hat. Und ob die politisch-wirtschaftliche Elite ihre Zukunftsfähigkeit verloren hat.

Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst totalen Umbruchs einer jahrzehntelangen, erfolgreichen politischen Ordnung. Man kann sie »Nachkriegsordnung« nennen. Wenn sie fällt, ist die Welt, wie wir sie kennen, vorbei. Es ist, trotz allem, eine Welt von Frieden, Wohlstand und Freiheit.

Das Gespenst kann man in Begriffe fassen, es sind die des autoritären Rechtspopulismus und der illiberalen Demokratie, an die Macht geschwemmt durch eine Welle von Wahlsiegen rechtspopulistischer Parteien. Wenn dieses politische Modell den endgültigen Sieg erringen sollte, sind alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte dahin. Man muss es so alarmistisch sagen.

Aber warum »alarmistisch«? Ist es nicht das gute Recht des Wahlvolkes, eine politische Ordnung, die ihm nicht mehr passt oder seinen Bedürfnissen nicht mehr zu genügen scheint, zu verändern oder eben umzustürzen? Noch dazu, wo es sich nicht um gewaltsame Revolutionen handelt, um eine Reihe von Putschversuchen? Wir reden hier über ganz normale Vorgänge an der Wahlurne, von freien, allgemeinen und geheimen Wahlen, in denen eben ein ganz anderes demokratisches und auch gesellschaftliches Modell herbeigeführt wird oder werden könnte.

Was nicht gesagt werden darf, aber gesagt werden muss, könnte also so lauten: Vielleicht haben die Wähler der rechtspopulistischen Parteien ja recht?

Zunächst in dem Sinn, dass sie ihre Interessen derzeit nicht ausreichend vertreten sehen. Dass ihnen »das System« rein materiell nicht oder nicht mehr gibt, was sie mit einiger Berechtigung erwarten können oder bisher erwarten durften. Vielleicht, weil sie sich von einer gesellschaftlichen Entwicklung, der Zuwanderung, überrollt fühlen, zu der sie nie jemand wirklich gefragt hat und die sie so nicht wollen.

Das wäre sozusagen ein berechtigter Protest.

Aber man kann in der Diskussion noch einen Schritt weiter gehen. Vielleicht ist es tatsächlich Zeit für ein anderes System, für eine andere Art von Demokratie, eine die härter durchgreift und weniger auf die Rechte des Einzelnen und von Minderheiten Rücksicht nimmt. Das wäre ein System, das zwar die Führer der rechtspopulistischen Parteien – von Trump über Le Pen bis hin zu Putin – mehr oder minder offen anstreben beziehungsweise schon erreicht haben, aber vielleicht nicht alle der Protestwähler wirklich wollen. Wobei es allerdings etwa in Österreich Umfragen gibt, wonach sich bis zu 40 Prozent »einen starken Führer an der Staatsspitze« wünschen, »der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss«. Das bestätigte eine Umfrage des SORA Instituts vom Oktober 2015. Im September 2014 betrug die Zustimmung zu dieser »Starker Mann«-Aussage schon 28 Prozent, 2009 schon 20 Prozent, aber 2007 nur 10 Prozent.

Dazu sagen und dazu denken muss man aber immer ein anderes Ergebnis des SORA Instituts: Für 85 Prozent ist die Demokratie immer noch die beste Regierungsform. Aber das wäre dann eben vermutlich eine illiberale Demokratie. Es wird gewählt, aber eine starke Führungspersönlichkeit soll letztendlich entscheiden, ohne sich viel um essenzielle Institutionen der Demokratie wie Wahlen und Parlament kümmern zu müssen.

Auf die möglichen Ursachen für diese nicht unbeachtliche Entwicklung wird gleich einzugehen sein. Und dann geht es um die entscheidende Frage: Haben die Bürger, die so weit gehen würden, nicht plausible Gründe dafür?

Wir wollen also auch an dieser Stelle diskutieren, was nicht oder kaum gesagt werden darf, aber gesagt werden muss: Haben die Donald-Trump-Marine-Le Pen-Geert-Wilders-Frauke-Petry-HC-Strache-Norbert-Hofer-etc.-Wähler nicht vielleicht doch recht?

Sind ihre Wahlmotive faktenbasiert, bis zu einem nennenswerten Grad berechtigt und daher irgendwie legitim, oder haben diese »Wutbürger« nur maßlos übertriebene Ängste? Sind sie vielleicht undankbar und »verwöhnt« durch einen – zumindest in Europa immer noch funktionierenden – Sozialstaat? Und: Haben sie eine Vorstellung davon, was passiert, wenn die Rechtspopulisten wirklich an die Macht kommen und das ganze über 70 Jahre alte Nachkriegssystem tatsächlich kippt?

Das ist es, worüber zu wenig und zu wenig ehrlich geredet wird, was aber gesagt werden muss. Denn wir befinden uns knapp vor dem Bruchpunkt.

Der liegt im Frühsommer 2017, wenn in Frankreich über das Schicksal nicht nur dieses wichtigen europäischen Landes, sondern auch über den Zusammenhalt des Kontinents, über die Europäische Union an sich entschieden wird. Wenn, was nicht mehr ausgeschlossen erscheint, die rechtsextreme Populistin Marine Le Pen am 7. Mai die Stichwahl und damit die Präsidentschaft gewinnt, dann ist das bisherige System erschüttert. Le Pen hat angekündigt, ein Referendum über den Austritt aus der EU abzuhalten. Selbst wenn sie dieses verliert, wird sie das bisherige Gerüst der europäischen Zusammenarbeit, die Achse Frankreich-Deutschland, zerstören. Sie will aus der NATO austreten und damit dem Finanzier ihres Wahlkampfes, dem russischen Autokraten Wladimir Putin, schlagartig ein ungeheures Einfluss- und Drohpotenzial gegenüber Europa in die Hand geben. Sie will Frankreich nach außen, auch wirtschaftlich, abschotten und nach innen, vor allem in Sachen muslimischer Bevölkerung, ein hartes, kaum noch demokratisches und rechtsstaatliches Regime einführen.

Europa wird danach nicht wiederzuerkennen sein. Es wird wieder in eine Ansammlung rivalisierender Staaten und Kleinbündnisse zerfallen, und es wird nur noch sehr schwer möglich sein, dem Ansturm illiberaler bis ausgesprochen rechtsextremer politischer Kräfte standzuhalten.

Ein Sieg des autoritären Rechtspopulismus in Frankreich wäre der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die schon vorher und auch außerhalb Europas eingesetzt hat. In Osteuropa haben in Ungarn und Polen politische Kräfte die Macht übernommen, die zwar immer noch Wahlen abhalten lassen, aber die Institutionen des Staates in ihren Griff gebracht haben und immer erfolgreicher jede Opposition und kritische Öffentlichkeit abwürgen. In etlichen Ländern Westeuropas – Frankreich, Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien – erzielten rechtspopulistische, autoritäre Parteien große Erfolge. Auch in Italien ist der radikale Populismus immens stark, wenn er sich dort auch in Gestalt der »MoVimento 5 Stelle« (Fünf-Sterne-Bewegung) linkspopulistisch gibt, in Wahrheit aber genauso illiberal, fremden- und europafeindlich ist wie die Rechten.

In den USA ist dem Rechtspopulismus mit der Wahl Donald Trumps ein gewaltiger Durchbruch gelungen, und in Großbritannien hat eine relativ kleine, rechtspopulistische Protestpartei die regierenden Konservativen zu dem unheilvollen Referendum über den Austritt aus der EU und in der Folge zu einer Abkehr von einem gemeinsamen europäischen Interessenausgleich getrieben. Kein Wunder, dass Marine Le Pen Ende Jänner auf dem Koblenzer Kongress der europäischen Rechtspopulisten (auch die FPÖ war dabei) jubelnd auf einen »Dominoeffekt in ganz Europa« hoffte: »2016 war das Jahr, in dem die angelsächsische Welt erwacht ist. Ich bin mir sicher, dass 2017 das Jahr sein wird, in dem die Völker des kontinentalen Europa erwachen.«

Was ist geschehen? Warum wenden sich die Völker Europas, die Völker des liberalen Westens plötzlich populistischen Wutparteien zu? Warum werden die traditionellen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Parteien, also die Christdemokraten und Sozialdemokraten, die so lange gut 70 bis 80 Prozent des gesamten politischen Lebens abdeckten, plötzlich existenziell von einwanderungsfeindlichen, populistischen, illiberalen bis rassistischen Parteien bedroht?

Es gibt natürlich jede Menge an gescheiten, tiefschürfenden und auch durch Befragungen abgesicherten Erklärungsversuchen dafür. Nach allen Erfahrungen der letzten Jahre lässt sich der populistische Wähleraufstand aber auf drei große, reale Umbrüche zurückführen:

1)Die Bedrohung traditioneller Lebensstile durch Zuwanderung.

2)Der Verlust des Zukunftsoptimismus. Man kann streiten, ob sich – in Österreich – die reale Lage der Menschen tatsächlich generell verschlechtert hat. Stichworte: hohe Arbeitslosigkeit, Stagnation oder Rückgang der Arbeitseinkommen, Prekariat, Abwanderung von gut bezahlten Jobs in der Güterproduktion, für die eine einfachere Ausbildung genügt. Aber das wahre Problem, das sich in vielen Umfragen und Einzelgesprächen zeigt, ist das mangelnde Vertrauen in die Zukunft. Man erwartet Verschlechterungen, und vor allem gibt es keine Gewissheit mehr, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben werden.

3)Verlust des Vertrauens in die etablierten Eliten. Im Österreich der ersten Nachkriegsjahrzehnte gab ein Großteil der Österreicher seine politische Selbstbestimmung an die beiden großen Parteien Mitte-Links und Mitte-Rechts ab und bekam dafür Sicherheit. Einen Job im staatlichen oder staatsnahen Sektor (der viel größer war als heute), eine Sozialwohnung und einen immer stärker ausgebauten Sozialstaat mit Gesundheitsversorgung und einer gesicherten Pension. Heute ist »Politiker« nahezu ein Schimpfwort, das Vertrauen in die Regierung in die Gegend von 15 bis 20 Prozent gesunken und eine radikale rechtspopulistische Partei in den Umfragen konstant bei 30 Prozent und damit stärkste Kraft. Die alte Ordnung ist tot.

Das sind drei sehr wirkungsmächtige Entwicklungen. Sie können nicht einfach so aus dem Nichts kommen. Sie können nicht vollkommene Hirngespinste von ungebildeten, frustrierten Hacklern mit autoritären Neigungen sein.