Michael Laker (Hrsg.)
MARKETING FÜR
ENERGIEVERSORGER
Kunden binden und
gewinnen im Wettbewerb
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Geleitwort (Heinz Klinger)
Zum Inhalt dieses Buches (Michael Laker)
A. Grundlagen und Marktentwicklungen
1. Zehn Thesen zur Marktentwicklung (Michael Laker / Stefan Herr)
2. Wettbewerb in liberalisierten Strommärkten (Carsten Wallmeier / Jeremy Ford / Serkan Gülener)
3. Wettbewerbsstrategien (Michael Laker / Diether Tillmann)
B. Marketing-Mix
4. Marktsegmentierung (Andreas von der Gathen)
5. Produkt- und Dienstleistungsstrategien (Michael Laker / Stefan Herr)
6. Strom-Pricing im Wettbewerb (Michael Laker / Stefan Herr)
7. Marke und Kommunikation (Andreas Tesch / Georg Wübker / Michael Paul)
8. Vertriebsorganisation (Andreas Tesch / Denise Dahlhoff / Michael Paul)
9. Online-Marketing und E-Commerce (Ulf Munack)
C. Implementierung
10. Marketing- und Vertriebscontrolling (Alexander Pohl)
11. Kundenbindungscontrolling (Oliver Pfeifer / Michael Paul)
12. Vertriebs- und Marketinginformationssysteme (Stefan-Jörg Göbel)
13. Personalmaßnahmen (Thomas Meyer / Denise Dahlhoff)
Fazit und Ausblick (Michael Laker)
Autorenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Vorwort
Mit der Öffnung der Energieversorgungsmärkte bekommt das Marketing einen ganz zentralen Stellenwert für Energieversorgungsunternehmen (EVU), um bestehende Kunden binden und neue Kunden gewinnen zu können. Die von den EVU geforderte Lerngeschwindigkeit und das Veränderungsausmaß ist im Vergleich zu andern Branchen extrem hoch. Das vorliegende Buch soll einen „State of the Art“ zum Marketing für EVU geben. Entstanden ist das Buch vor dem Hintergrund langjähriger Beratungserfahrungen der Autoren bei dem Neuaufbau und der Weiterentwicklung von Marketing und Vertrieb in zahlreichen EVU. Im Vordergrund stehen somit sowohl grundlegende Marketingkonzeptionen als auch zahlreiche praxisorientierte Umsetzungsempfehlungen.
Obwohl das Buch aus einem Haus stammt, trägt jeder Beitrag die individuelle Handschrift der jeweiligen Autoren. Nur über die Authentizität von Inhalten und Form läßt sich ein Erfahrungstransfer glaubwürdig bewerkstelligen.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Praktiker, insbesondere an die Unternehmensführungen sowie an Führungskräfte und Mitarbeiter mit Marketing- und Vertriebsaufgaben in EVU. Für Kunden sollen Anregungen für die künftigen Entwicklungen auf den Energieversorgungsmärkten gegeben werden. Aber auch Wissenschaftler erhalten zahlreiche Hinweise für ihre Forschungsarbeiten, vor allem hinsichtlich der Wirkung erstmals eingesetzter Marketinginstrumente.
Das Entstehen dieses Buches ist unmittelbar mit der gemeinsamen Zusammenarbeit aller Autoren mit zahlreichen EVU verbunden. Mein Dank gilt in erster Linie meinen Mitarbeitern, die ihre unschätzbaren Erfahrungen mit großem Engagement in den Einzelbeiträgen eingebracht haben. Ich danke auch den vielen Führungskräften und Mitarbeitern aus den EVU, mit denen wir in den letzten Jahren zahlreiche anregende Diskussionen führen durften. Besonderer Dank gebührt Carsten Wallmeier, Diether Tillmann und Stefan Herr, die mit großer Energie und unermüdlichem Einsatz wesentlich dazu beigetragen haben, daß aus Einzelfragmenten letztlich ein Gesamtwerk wurde. Nadja Johannes hat mit großer Geduld und Sorgfalt das Manuskript erstellt, auch ihr danke ich herzlich.
Bonn, im Herbst 1999
Michael Laker
Geleitwort
Angesichts der dramatischen Veränderung auf den Märkten der leitungsgebundenen Energieversorgung wie Strom und Gas suchen Unternehmen und Kunden nach Hilfestellungen für ihre Entscheidungen.
Die Liberalisierung des Stromsektors hat in Deutschland Versorgungsunternehmen und Kundenbeziehungen zum Teil revolutionär verändert. Ein Preisverfall bisher nicht gekannten Ausmaßes auf der einen Seite hat andererseits den Unternehmen neue strategische Ausrichtungen abverlangt und ausnahmslos dafür gesorgt, daß der Kunde in den Mittelpunkt unternehmerischer Überlegungen gestellt worden ist. Versorgungsunternehmen und Kunden haben dabei Neuland entdeckt, das weder theoretisch und noch weniger praktisch erschlossen war.
Die Verfasser dieses Buches füllen damit eine von den Versorgungsunternehmen schmerzlich empfundene Lücke in der umfangreichen Marketing-Literatur: Marketing für Energieversorger unter liberalisierten Bedingungen bedurfte dringend einer soliden Aufarbeitung. Dabei wissen die Verfasser, wovon sie schreiben: Sie haben mehrere Unternehmen bei ihrem Übergang vom Monopolbetrieb zu einem markt- und kundenorientierten Dienstleister beratend begleitet. Ihre bei diesem Prozeß gewonnene Erfahrung kombiniert mit Erkenntnissen aus anderen Ländern mit schon liberalisierten Energiebranchen machen das Buch zu einem unverzichtbaren Standardwerk für jeden, der sich in der Unternehmensspitze, aber auch in den operativen Ebenen mit dem Thema Kundenbindung und Akquisition befaßt.
Das Werk zeichnet sich besonders auch dadurch aus, daß es sich nicht nur auf Analysen der Marketing-Strategien beschränkt, sondern konkrete Handlungsempfehlungen für den Praktiker enthält.
Ich bin überzeugt, daß hier ein Standardwerk entstanden ist, das nicht in den Bücherschrank gehört, sondern aufgeschlagen auf den Schreibtisch.
Dr. Heinz Klinger
Präsident der Vereinigung Deutscher
Elektrizitätswerke e.V. (VDEW)
Zum Inhalt dieses Buches
Michael Laker
Seit April 1998 sind die Stromversorgungsmärkte in Deutschland liberalisiert. Jeder Kunde kann aus dem Kreis der Anbieter frei wählen und ist nicht mehr zwangsläufig an einen festen Lieferanten gebunden. Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) stehen damit untereinander im Wettbewerb um Kunden. Bis zum Sommer 1999 richteten sich die Angebote der EVU ausschließlich an letztverbrauchende Industrie-, größere Dienstleistungs- und Gewerbekunden sowie an sogenannte Weiterverteiler. De jure konnten zwar ebenfalls ab April 1998 Haushaltskunden von neuen Anbietern beliefert werden, de facto waren dafür kostenintensive Zählerneuinstallationen (Leistungsmessung, schreibende Messung) und die Entrichtung relativ hoher Entgelte für die Fremdnutzung der Leitungsnetze erforderlich. Für den 30. September 1999 wurde eine ökonomisch tragbare Lösung auch für Kleinverbraucher erwartet. Im dritten Quartal 1999 wurde deshalb – in Erwartung dieser ökonomisch tragbaren Lösung – der Wettbewerb auch um die privaten Haushalte eröffnet.
Damit können in Deutschland auch de facto alle Kunden ihren Anbieter frei wählen.
Eine Branche, die jahrzehntelang als Lehrbuchbeispiel für ein natürliches Monopol galt, ist damit in kürzester Zeit dem freien Spiel des Wettbewerbs ausgesetzt. Für die EVU bedeutet dies, schnell und wirksam Ansätze für die Kundenbindung und -gewinnung zu entwickeln und einzusetzen.
An der Speerspitze der EVU stehen mit Marketing und Vertrieb plötzlich Disziplinen, die für diese Unternehmen völlig neu sind. Durch die bestehenden Überkapazitäten in Europa und die Schwierigkeit, sich im Wettbewerb über das Kernprodukt zu differenzieren, erhöhen sich der Druck auf die Lerngeschwindigkeit und der Zwang zur Professionalität weiter. Das vorliegende Buch widmet sich diesen neuen Disziplinen.
Marketing soll dabei verstanden werden als umfassende und ganzheitliche Marktausrichtung des eigenen Unternehmens. Dieses Begriffsverständnis stimmt mit dem der gängen Marketing-Literatur überein. Der Leser fragt sich – auf den ersten Blick zu Recht –, warum hier ein spezielles Werk zum Marketing für Energieversorger geschrieben wurde. Sowohl zum Marketing als auch für die Elektrizitätswirtschaft liegen zahlreiche einschlägige Publikationen vor. Die Begründungen für ein spezifisches Marketing für EVU liegen, insbesondere in der jetzigen Situation, auf unterschiedlichen Ebenen.
Das Produkt Strom weist einige Charakteristika wie Leitungsbindung oder aber Nicht-Lagerbarkeit auf, die eine unmittelbare Übertragung des bekannten Produkt- und Dienstleistungsmarketing nicht zulassen.
Die bisherige Monopolsituation hat sowohl marktseitig als auch unternehmensintern zu Besonderheiten geführt, denen das Marketing Rechnung tragen muß. Als Beispiele seien hier lediglich genannt: Kundenheterogenität, Bestandssicherung und gleichzeitig Neukundengewinnung auf der externen Seite und völliger Neuaufbau von Marketing und Vertrieb unternehmensintern.
Die Schnelligkeit und das Ausmaß der Marktöffnung in Deutschland erfordern ein ebenso schnelles und konzentriertes Handeln der EVU. Zeit für Trial-and-Error-Versuche bleibt den Unternehmen nicht.
Das vorliegende Buch ist speziell vor diesem Hintergrund entstanden. Es integriert konzeptionelles Marketingwissen, langjährige praktische Marketing-/Vertriebserfahrungen in Energieversorgungsmärkten und umsetzbare Impulse aus anderen Branchen.
Auf dieser Basis soll ein Beitrag geleistet werden, damit die EVU ihre Marketing- und Vertriebs-„Hausaufgaben“ effektiver und effizienter lösen, innovative Wege der Marktbearbeitung kennenlernen und somit ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig steigern können. Allen Einzelbeiträgen ist es ein Anliegen, Wege der Differenzierung gegenüber Wettbewerbern aufzuzeigen, damit die Branche den bereits eingeschlagenen Weg eines ruinösen Preiswettbewerbs verlassen kann. Insofern werden für EVU neue Marketing-Elemente wie Markenaufbau und Vertriebskanalmanagement spezifisch aufgearbeitet und scheinbar vertraute Instrumente wie Pricing und Personalstrategie vor dem geänderten Ordnungsrahmen neu dargestellt.
Auch wenn die einzelnen Marketinginstrumente in dem Buch separat bearbeitet werden, kommt es für die EVU auf einen ganzheitlichen Ansatz und Einsatz des Marketinginstrumentariums entsprechend der Unternehmenszielsetzung und -zielpositionierung an. In einem derart aufbrechenden Markt haben die EVU – neben dem aufgezeigten Handlungsdruck – enorme Handlungs- und Positionierungsalternativen. Für die EVU ist es von extremer Wichtigkeit, schnell und nachhaltig eine eigenständige Positionierung zu finden und zu besetzen. Insofern werden auch keine Patentrezepte, sondern vielmehr verschiedene Optionen dargestellt und diskutiert.
Neben aller Euphorie, die die Themen Kundenbindung und -gewinnung auslösen können, gilt auch für diese beiden Dimensionen das ökonomische Prinzip. Dies bedeutet, daß sich Aktionen, sowohl zur Kundenbindung als auch zur Kundengewinnung, zumindest mittelfristig „rechnen“ müssen. Weder Marketing noch Kundenorientierung sind Selbstzweck, sondern müssen einen nachweisbaren Beitrag zur Realisierung der Unternehmensziele liefern. Insofern dürfen die EVU, die im Marketing bisher eher wenig unternommen haben, auch nicht in die andere Extremposition verfallen. Die zum Teil gigantischen Investitionen in Preissenkungen und Werbeaktivitäten in der ersten Zeit der Marktoffensive sind vor diesem Hintergrund eher kritisch zu werten. Hier gilt die Devise: optimale und nicht maximale Marketingintensität. Diese Bewertungsphilosophie des Marketing liegt diesem Buch zugrunde.
In Teil A des Buches werden zunächst die Grundlagen des Marketing und die Marktentwicklungen in Deutschland und in bereits liberalisierten Märkten aufgearbeitet. Die bisherigen Entwicklungen in Deutschland werden dargestellt und die sich abzeichnenden Entwicklungen in Form von Thesen diskutiert. Es folgt eine Auseinandersetzung mit den Entwicklungen ausländischer Energieversorgungsmärkte, wie denen in Großbritannien, Skandinavien, aber auch USA und Neuseeland. Abgeschlossen wird der erste Teil des Buches mit einer ganzheitlichen Darstellung verschiedener Strategieoptionen im Wettbewerb.
Der Teil B widmet sich dann den einzelnen Instrumenten des Marketing-Mix. Grundlage für die aktive Marktbearbeitung ist die Marktsegmentierung auf Kundenseite. In Kapitel 4 werden unterschiedliche Arten und die damit korrespondierenden Zielsetzungen der Marktsegmentierung aufgezeigt.
Dem schließen sich vier Kapitel zu den klassischen Marketing-Mix-Instrumenten an. In Kapitel 5 wird der Frage nachgegangen, über welche Produkt-/Dienstleistungskonzepte für unterschiedliche Zielgruppen ein Ausbruch aus dem Preiswettbewerb gelingen kann. Kapitel 6 wendet sich dann den verschiedenen Formen der Preisbildung nicht nur für Strom, sondern auch für Bündelangebote und Paketangebote entlang der Wertschöpfungskette zu. Zielsetzung ist auch hier, intelligente Preisformen herauszuarbeiten, um nicht dem reinen kWh-Pricing ausgeliefert zu sein.
In Kapitel 7 wird sehr ausführlich diskutiert, wie EVU sprichwörtlich eine „Marke“ setzen können. Das gesamte Thema Branding wird eingebettet in die erforderliche Neuausrichtung der künftigen Kommunikationsstrategie. Ein Schlüsselfaktor im Wettbewerb ist die Ausgestaltung der Marketing- und Vertriebsorganisation. In Kapitel 8 werden die verschiedenen in der Organisation abzubildenden Funktionen diskutiert und das Zusammenspiel der verschiedenen Vertriebskanäle erläutert. Aufgrund der wachsenden Bedeutung der neuen Medien sind spezifische Ausgestaltungsformen dieses neuen Kommunikations- und Vertriebskanals in Kapitel 9 aufgenommen worden.
Teil C des Buches beschäftigt sich dann mit Fragen der Implementierung und wichtigen internen Instrumenten. So wird künftig das Marketing- und Vertriebscontrolling ein ganz zentrales Instrument der Erfolgssteuerung sein. In Kapitel 10 werden die einzelnen einzusetzenden Instrumente und mögliche Ausgestaltungsformen beschrieben. Es schließt sich ein spezielles Kapitel zum Thema Kundenbindungs-Controlling an. Hier werden Wege aufgezeigt, wie das extrem wichtige Thema Kundenbindungs-Management angegangen und umgesetzt werden kann. Welche verschiedenen Vertriebs- und Marketinginformationssysteme für einzelne Kundengruppen einzusetzen sind, ist Gegenstand des Kapitels 12. Die künftige Marketing-/Vertriebsunterstützung und -steuerung kann nur über ein wirksames DV-System erfolgen. Die inhaltlichen und instrumentellen Umsetzungsformen werden praxisnah dargelegt. Im letzten Kapitel werden wichtige Fragen für die künftige Personalstrategie diskutiert und konkrete Umsetzungsvorschläge gemacht.
Den Schluß des Buches bildet ein kurzer Ausblick auf zukünftige Herausforderungen der EVU in den Bereichen Marketing und Vertrieb.
A.
Grundlagen
und
Marktentwicklungen
1. Zehn Thesen zur Marktentwicklung
(Michael Laker / Stefan Herr)
2. Wettbewerb in liberalisierten Strommärkten
(Carsten Wallmeier / Jeremy Ford / Serkan Gülener)
3. Wettbewerbsstrategien
(Michael Laker / Diether Tillmann)
1. Zehn Thesen zur Marktentwicklung
Michael Laker / Stefan Herr
1 These 1: Konzentration auf Angebots- und Nachfrageseite
2 These 2: Neue Player auf dem Markt
3 These 3: Wandel zum internationalen Geschäft
4 These 4: Hohe Strompreisschwankungen
5 These 5: Produkt- und Unternehmensmarken
6 These 6: Neue Angebotsformen
7 These 7: Neue und heterogene Vertriebswege
8 These 8: Technologische Innovationen
9 These 9: Überlebensfaktoren Schnelligkeit und Finanzkraft
10 These 10: Erfolgsfaktor Marketing- und Vertriebskompetenz
Als am 29. 4. 1998 der Wettbewerb auf dem Strommarkt eingeläutet wurde, waren viele Energieversorger der Meinung, daß die Veränderungen langsamer und weniger umwälzend sein würden. Seitdem enthalten die Zeitungen täglich neue Meldungen über Fusionen, Kooperationen und Preissenkungen. Als im Juli 1999 der knallharte Wettbewerb im Privatkundengeschäft begann, haben viele Entwicklungen nochmals eine massive Beschleunigung erfahren. In zehn Thesen soll ein Zwischenfazit zu den bisherigen Entwicklungen gezogen sowie ein Ausblick auf die Entwicklungen gegeben werden, die der Branche noch bevorstehen.
1 These 1: Konzentration auf Angebots- und Nachfrageseite
Bisherige Entwicklungen
Fusionen, Kooperationen und strategische Allianzen wurden in den letzten Monaten ständig verkündet und vollzogen. Die regionalen Versorgungsunternehmen HEVAG, EMO, MEVAG und OSE, an denen PreussenElektra die Mehrheit hält, haben sich zur e.dis Energie Nord AG zusammengeschlossen. Zeitgleich fusionierten drei weitere PreussenElektra-Töchter (EVM, ÜZH und HASTRA) mit zwei Gasversorgern und tragen nun den Kunstnamen AVACON AG. Auch RWE Energie führte seine drei regionalen Energieversorgungsunternehmen (EVU) in den östlichen Bundesländern in einem neuen Unternehmen, der Envia AG, zusammen. Parallel dazu wurden die ehemals zwölf Regionalversorgungen der RWE Energie in je vier Netz- und Vertriebsregionen zusammengefaßt. Der bisherige Höhepunkt ist der Zusammenschluß von VEBA und VIAG mit ihren Stromtöchtern PreussenElektra und Bayernwerk. Der neue Stromgigant verfügt über ein zusammenhängendes Gebiet, das von der deutsch-dänischen bis zur deutsch-österreichischen Grenze reicht.
Neben Fusionen sind auch strategische Allianzen und Partnerschaften zu beobachten. Die Stadtwerke Hannover und PreussenElektra bringen ihre jeweiligen Kompetenzen in eine Vertriebspartnerschaft ein. Während die Stadtwerke Hannover die Erfahrungen im Endkundengeschäft in die Waagschale werfen, sorgt PreussenElektra für die kostengünstige Bereitstellung des benötigten Stroms. Mit dieser Arbeitsteilung von Vertrieb und Beschaffung waren die beiden Partner bereits bei der Evangelischen Kirche Deutschland erfolgreich.
Auf der kommunalen Seite bilden Stadtwerke Einkaufs- und Vertriebsgemeinschaften. Im Rhein-Main-Gebiet haben sich die Stadtwerke Mainz und Wiesbaden mit der HEAG, der Energieversorgung Offenbach und den Kraftwerken Mainz-Wiesbaden zusammengeschlossen, um in den Bereichen Erzeugung, Beschaffung und Vertrieb zusammenzuarbeiten. Eine weitere Kooperation von kommunalen Versorgern stellt die Energiehandelsgesellschaft Pfalz-Saar (EnPS) dar. Diese Gesellschaft besteht aus zwölf Stadtwerken, die auf der Beschaffungsseite bei ihrem Stromlieferanten eine Kostenersparnis von rund 40 Mio. DM ausgehandelt haben. Der Kostenvorteil soll durch eine gemeinsame Marketing- und Vertriebsstrategie an die Kunden weitergereicht werden.
Neben diesen nationalen Aktivitäten forcieren einige Verbundunternehmen massiv ihr Engagement in ausländischen Märkten. Das Bayernwerk und die Stadtwerke Verona, VEW Energie und die rumänische Stadt Brasov sowie RWE Energie und der russische Stromproduzent RAO, Moskau, sind nur einige Beispiele.
Auf der Nachfrageseite bündeln immer mehr Kunden ihren Strombedarf. Die Bewag hat mit VW einen Stromlieferungsvertrag für Berlin abgeschlossen, der neben der Konzernrepräsentanz auch rund 100 Abnahmestellen der zum Konzern gehörenden VW-Vertragshändler einschließt. Vasa Energy hat mit der Kinokette CinemaxX AG einen Vertrag für die Belieferung von 30 Standorten abgeschlossen. Die Stadtwerke Hagen haben zusammen mit der VEW Energie AG einen Bündelvertrag mit der Douglas-Gruppe unterzeichnet, zu der insgesamt 1443 Filialen gehören. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Allen gemein ist, daß die Kunden deutliche Preisnachlässe erzielen und eine Verringerung des Verwaltungsaufwandes erfahren. Die Stromlieferanten wiederum haben sowohl auf der vertrieblichen als auch auf der organisatorischen Seite (z. B. Klärung der Durchleitung) komplexe Anforderungen zu bewältigen.
Ausblick
Viele Kooperationen werden über kurz oder lang in Fusionen münden. Am Ende dieser Entwicklung werden einige multinationale Energiekonzerne sowie lokal tätige Unternehmen übrigbleiben, die mit den Energieriesen in Vertriebspartnerschaften agieren. Daneben wird es einige wenige Nischenanbieter geben. Um im Wettbewerb zu überleben, müssen die Energieversorger auch in den nächsten Jahren durch Fusionen und Kooperationen wachsen. Diese sind notwendig, um im Wettbewerb eine kritische Größe zu erreichen, wie die Fusion von VEBA und VIAG zeigt. Kosteneinsparungen ergeben sich durch die Zentralisierung von Querschnittsfunktionen, wie Abrechnung, Verwaltung, Personal und Marketing. Durch die zur Zeit herrschende „Fusionitis“ wird der Grundsatz „drum prüfe, wer sich ewig bindet“ oft sträflich vernachlässigt. Die starke Fokussierung auf rechtliche und ökonomische Aspekte von Fusionen führt dazu, daß wichtige Aspekte, wie unterschiedliche Unternehmenskulturen und Beurteilung der Unternehmen aus Kundensicht, vernachlässigt werden. Der auf eine Fusion folgende Veränderungsprozeß ist aber die mit Abstand schwierigste Aufgabe.
2 These 2: Neue Player auf dem Markt
Bisherige Entwicklungen
Neben ausländische EVU, die sich an deutschen EVU beteiligen oder eigene deutsche Tochtergesellschaften gründen, treten neue Unternehmen am Markt auf. Eines der agilsten Unternehmen ist die Ampere AG, die vom Berliner Abgeordnetenhaus als Strombroker beauftragt wurde, einen günstigen Stromlieferanten zu finden. Rund 195.000 DM Ersparnis pro Jahr hat der Wechsel von der Bewag zur EnBW gebracht. Neben Brokern agieren Banken und Versicherungen, die sowohl den Stromlieferanten als auch den Stromkunden neue Produkte und Dienstleistungen anbieten wollen. Die Dresdner Bank überlegt z. B. den Einstieg in den finanziellen Stromhandel. Neben der Beratung der Marktteilnehmer beim Absichern von Risiken ist die Übernahme des Risikomanagements angedacht.
Im Juni 1999 schreckte die bis dato weitgehend unbekannte Ares Energie AG die EVU-Branche auf. Durch das Angebot, günstigen Strom über die ProMarkt-Kette zu verkaufen, gelang dem Unternehmen zumindest ein Überraschungscoup. Insbesondere durch finanzstarke Partner gegründete Newcomer werden sich im Preiskampf behaupten können. Die Yello Strom GmbH, ein Tochterunternehmen der EnBW, wurde eigens für den Markt der Privatkunden gegründet. Fortum, der größte finnische Versorger, schickt die neu gegründete HanseStrom ins Rennen im Kampf um die Privatkunden. Fast unbemerkt blieben bisher die Erfolge des österreichischen Verbund (Austrian Energy AG), der im Süden Deutschlands schon zahlreiche Stadtwerke als Kunden gewinnen konnte.
Ausblick
Die Energieunternehmen kommen nicht umhin, in ihrer strategischen Ausrichtung die einfache, aber immens wichtige Frage nach der Einstufung der Player als Partner oder Wettbewerber zu beantworten. Einige Player können zur Abrundung des eigenen Geschäfts genutzt werden. So kombinieren z. B. die Bewag und die Allianz Energie- und Versicherungsleistungen. Über eine bundesweite, flächendeckende Präsenz, ein zentraler Wettbewerbsvorteil der Allianz, verfügt kein Energieversorger. Der Aufbau einer eigenen flächendeckenden Vertriebsorganisation ist kostspielig und zeitraubend. Um dies zu umgehen, bietet sich die Nutzung neuer Vertriebswege an. Auf dem Markt für regenerative Energien arbeiten z. B. die HEW und die Deutsche Shell eng zusammen. In Hamburg dienen die 42 Shell-Tankstellen als zusätzlicher Absatzkanal. Auch hier gelten die gleichen Grundsätze wie bei Fusionen. Die Partner müssen zusammenpassen, und die Kunden sollten die zusätzlichen Absatzwege akzeptieren. Das Verhältnis der Partner untereinander muß geklärt sein. Dazu gehört auch die Antwort auf die einfache, aber entscheidende Frage: „Wem gehört eigentlich der Kunde?“
3 These 3: Wandel zum internationalen Geschäft
Bisherige Entwicklungen
Die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit wurden bereits an einigen Beispielen aufgezeigt. Um eine gewisse Größe zu erreichen, sind Fusionen im In- und Ausland unerläßlich. Jedoch sollten die Kassen nur für erstklassische Akquisitionskandidaten angetastet werden. PreussenElektra verfolgt mit der Beteiligung an Sydkraft, dem zweitgrößten schwedischen Energieversorger, zwei Ziele. Einerseits kann auf diese Weise von einem wettbewerbserfahrenen Unternehmen gelernt werden, andererseits sichert sich PreussenElektra einen Zugang zu günstigem skandinavischen Strom. RWE Energie gründete die RWE Energy Trading, um eine tragende Rolle im internationalen Energiehandel zu spielen. Als Firmensitz dient London, der wichtigste Handelsplatz für Finanz- und Energiegeschäfte in Europa.
Ausländische Unternehmen drängen vermehrt auf den deutschen Markt. Neben amerikanischen, britischen und skandinavischen Unternehmen spielt der französische Versorger EdF eine sehr prominente Rolle. Um die europäische Vormachtstellung weiter auszubauen, will das Unternehmen stärker in den deutschen Markt eingreifen. Die Teilnahme an der deutschen Strombörse sowie das Interesse an dem Erwerb des zum Verkauf stehenden 25-Prozent-Anteils an der EnBW sind erste Schritte hierzu. Bisher verfügt EdF über 22 Auslandsbüros, davon neun in Europa. In Schweden, Österreich, Großbritannien und der Schweiz hält das Unternehmen Beteiligungen an namhaften Unternehmen. Der Erwerb von London Electricity stellte die bisher bedeutendste Übernahme dar. Fortum, der größte finnische Energieversorger, hat 1999 neben der Gründung von Hanse-Strom auch noch das Elektrizitätswerk Wesertal übernommen.
Ausblick
Das Geschäft wird in Zukunft nicht mehr rein national, sondern international sein. Um zu bestehen, müssen sich die Energieversorger an der ausländischen Konkurrenz messen lassen und auf internationalen Märkten bestehen.
Bei der Akquisition ausländischer Unternehmen muß im Rahmen der strategischen Überlegungen die zukünftige Rolle des übernommenen Unternehmens frühzeitig geklärt werden. Stichworte in diesem Zusammenhang sind Unabhängigkeitsgrad, eigener Marktauftritt, Zielkunden und zentrale Steuerung durch den Mutterkonzern. Wir gehen davon aus, daß mittelfristig ca. vier bis fünf Energiekonsortien in Kontinentaleuropa entstehen werden. Die großen internationalen Fusionen stehen noch aus, sie kündigen sich jedoch heute schon an.
4 These 4: Hohe Strompreisschwankungen
Bisherige Entwicklungen
Bisher unterlagen die Strompreise aufgrund der bestehenden Monopolsituation in Europa kaum Veränderungen. In den USA hat sich z. B. 1998 gezeigt, daß diese ruhige Situation durch die Liberalisierung gestört wird: Strompreise werden sehr viel anfälliger für Schwankungen. Diese Entwicklung wird forciert durch die entstehenden Strombörsen. Viele Energieversorger bereiten sich auf eine Strombörse durch den Aufbau von Handelsabteilungen, die Entwicklung von Absicherungsinstrumenten und neuen Strombörsenprodukten vor. Durch die Entscheidung, die Strombörse in Frankfurt einzurichten, sind die Aktivitäten der EVU nochmals beschleunigt worden. Sowohl auf der Einkaufsals auch auf der Vertriebsseite wird intensiv an neuen Produkten gearbeitet, um den neuen Anforderungen und Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden.
Ausblick
Die Abstimmung von Einkauf, Erzeugung und Verkauf wird in Zukunft den Gewinn entscheidend beeinflussen. Die mit dem Endkunden abgeschlossenen Verträge werden u. a. eine Strompreiskopplung an einen Strompreisindex vorsehen. Dabei sind verschiedenste Komponenten zu unterscheiden, wie z. B. der Anpassungsrhythmus an die Strompreisänderung oder eine Begrenzung der Anpassung nach oben und unten. Bisher hatten die deutschen Versorger nur die Möglichkeit der Orientierung am Schweizer Strompreisindex SWEP. PreussenElektra hat dies Anfang 1999 durch die Einführung eines eigenen Strompreisindexes mit dem Namen „Central European Power Index“ geändert. Die bisher beobachteten Schwankungen werden in einem voll ausgebildeten Markt noch deutlich ansteigen, wie dies auch in anderen Märkten, zum Beispiel in Norwegen und den USA, zu beobachten ist.
5 These 5: Produkt- und Unternehmensmarken
Bisherige Entwicklungen
Eine Reihe von Energieversorgern haben durch umfangreiche Kommunikationskampagnen ihre Unternehmen aus dem Schattendasein geführt. Ziel ist es, zunächst die Unternehmen bundesweit bekannt zu machen. Die Stadtwerke Hannover bewerben neben ihrem Unternehmen insbesondere ihre Produkte und Dienstleistungen. AVACON und e.dis Energie Nord haben durch die Schaffung vollkommen neuer Unternehmensnamen ein erstes Zeichen für das Branding von deutschen Energieversorgern gesetzt.
Das eigentliche Branding erfolgte erst im Zuge der Öffnung des Massenmarktes. RWE Energie machte den Anfang durch das Produkt Privatstrom. Die dazugehörige Web-Seite www.privatstrom.de wurde ebenfalls von RWE Energie belegt. Den Versuch, eine erste deutsche Strommarke zu schaffen, unternahm jedoch die EnBW durch die Gründung der Yello Strom GmbH. Dieser Gesellschaft wurde ein völlig neues Image gegeben, das mit der Farbe Gelb, dem Slogan gelb-gut-günstig und einem unverwechselbaren Design in kürzester Zeit den Privatkunden nahe gebracht wurde. RWE Energie reagierte mit dem Markennamen Avanza, PreussenElektra mit der Marke Elektra Direkt für Privatkunden.
Im Nischenmarkt Ökostrom sind ebenfalls erste Branding-Ansätze zu beobachten. Mit einprägsamen Namen wie Newpower (HEW und Shell), BonnNatur (Stadtwerke Bonn) oder Aqua Power (Bayernwerk) versuchen die Anbieter, ihre Tarife in den Köpfen der Kunden zu plazieren. Neben den Tarifen kann auch das gesamte Unternehmen mit einem aussagekräftigen Namen belegt werden. HEAG NaturPur AG, Naturstrom AG und Märkische Naturstromgesellschaft GmbH stellen hierfür Beispiele dar.
Ausblick
Im Kopf des Kunden ist eine Marke ein sogenannter „Information Chunk“, d. h. ein hochverdichtetes Informationsgebilde, in das alle bisherigen Erfahrungen und Kommunikationsmaßnahmen in abrufbarer Form einfließen. Im Wettbewerbsmarkt stellt Branding einen enorm wichtigen Wettbewerbsfaktor dar, der sorgfältig in die Marketingstrategie eingepaßt werden sollte. Die Marke hebt die Produkte und Dienstleistungen aus der Anonymität. Der Aufbau und die Pflege von Marken erfordern Weitsicht, Zeit und enorme finanzielle Anstrengungen. Um auf der europäischen Bühne erfolgreich mitspielen zu können, müssen noch größere Summen in das Branding investiert werden. Dies werden nur die größten Energieversorger bewältigen können.
6 These 6: Neue Angebotsformen
Bisherige Entwicklungen
Der Wandel vom Stromversorger zum Energiemanager wird in den Werbeslogans bereits konsequent propagiert. RWE Energie nennt sich „Energiemanager“, das Bayernwerk „powert Ideen“, und EnBW will „mit Energie etwas unternehmen“. Neben diesen Slogans werden den Kunden auch neue Produkte und Dienstleistungen angeboten. RWE Energie setzt verstärkt auf Komplettangebote, die Freiburger Energie- und Wasserversorgungs-AG hat in der breitangelegten Beratungskampagne „Meister Lampe“ bisher rund 800 Betriebe energetisch untersucht und dabei ein durchschnittliches Einsparpotential von 20 % aufgedeckt. Die Gruppen-Gas- und Elektrizitätswerk Bergstraße AG gewährt ihren Kunden, die Strom und Gas beziehen, einen Rabatt von 3% auf die Gaskosten. Dieses Paketangebot trägt den Namen „DUOplusVorteil“. Die PreussenElektra AG bewirbt seit März 1999 ihre beiden neuen Produkte „Energie • Analyse & Service Programm“ sowie „Wärme • Kälte & Service Programm“. Beide Produkte werden zusammen mit den Vertriebspartnern deutschlandweit angeboten. Von VEW Energie erhält ein Kunde aus der Branche Gießerei, der einen vierjährigen Stromvertrag abschließt, kostenlos einen neuen Schmelzofen von ABB.
Ausblick
Prinzipiell sind solchen neuen Angebotsformen keine Grenzen gesetzt. Um ein glaubwürdiger Lieferant in den Augen des Kunden zu bleiben, muß aber darauf geachtet werden, daß die Partner-Unternehmen, mit denen zusammen Angebote ausgearbeitet und offeriert werden, zum eigenen Unternehmen passen. Darüber hinaus muß sichergestellt sein, daß die vom Unternehmen gewünschten Verbundeffekte auch durch den Kunden wahrgenommen werden. Dies zeigt obiges Beispiel von VEW Energie: Der Kunde hätte sicherlich auch schon vorher einen Ofen von ABB bei einer anstehenden Neuanschaffung in Betracht gezogen.
Weiteres Kriterium ist die Einbeziehung der Kundenwünsche. Wenn diese außen vor gelassen werden, wird sehr häufig am Kundenwunsch vorbei ein Angebot entwickelt werden, das von ihm allenfalls bedingt akzeptiert wird. Um die Kundenwünsche zu erfassen, sind systematische Kundenbefragungen unerläßlich. Die Kenntnis der Kundenwünsche garantiert die Entwicklung von Produkten, die vom Konsumenten als interessant und kaufwürdig angesehen werden. Nach der ersten Preiswelle im Wettbewerb und den damit einhergehenden Konsolidierungen auf der Anbieterseite wird es einen deutlichen Innovationsschub am Markt geben. Neue Angebote – sei es resultierend aus der Powerline-Technologie oder aus Kombinationsformen mit neuen Dienstleistungen – werden dann zum differenzierenden Faktor im Wettbewerb.
7 These 7: Neue und heterogene Vertriebswege
Bisherige Entwicklungen
Die Zielgruppen sowie die Unternehmenspositionierung haben entscheidenden Einfluß auf die Vertriebswege. Zunächst erfordern die beiden Segmente Geschäfts- und Privatkunden eine differenzierte Vertriebsstrategie. Diese Segmente müssen weiter unterteilt werden und über unterschiedliche Vertriebskanäle angesprochen werden. Im Segment Privatkunden bietet sich u. a. der Vertrieb über Call Center, Einzelhandel, Tankstellen, Versandkataloge und eigene Shops an.
Bei der Vermarktung von Ökostrom arbeiten Shell Deutschland und HEW zunächst in Hamburg zusammen. Abhängig vom Verkaufserfolg von Ökostrom an den Hamburger Shell-Tankstellen kann diese Partnerschaft auf Deutschland ausgedehnt werden. Der Handelsgigant Metro hat mit dem Bayernwerk die EuroPower Energy GmbH gegründet, deren Geschäftszweck der europaweite Stromhandel ist. Die Tochtergesellschaft EuroPower Private vermarktet Strom für Privatkunden über die Verkaufsflächen des Metro-Konzerns. Die Yello Strom GmbH verkauft ihren Strom u. a. über Call Center und über die Kataloge des Otto-Versandes.
Ausblick
Da die meisten großen Unternehmen im Energiesektor ihren Strom und daran gekoppelte Leistungen deutschlandweit anbieten, besteht die Gefahr, durch Auswahl der falschen oder zu vieler Vertriebspartner ein Vertriebschaos zu generieren, das nicht den gewünschten Erfolg bringen und nicht mehr beherrschbar sein wird. Um ein solches Chaos zu vermeiden, müssen die unterschiedlichen Absatzkanäle aufeinander abgestimmt werden. Ferner dürfen nicht zu viele Kanäle einbezogen werden, da sonst aus rein organisatorischen Gründen die Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten schwierig wird. Hier spielt unmittelbar die Harmonisierung der Preis- und Kommunikationspolitik mit hinein. Das gleiche Produkt darf weder von unterschiedlichen Vertriebspartnern auf sich widersprechende Weise angeboten werden, noch dürfen die Preise für verschiedene Vertriebswege zu stark differieren.
Die Gewinnung geeigneter Absatzpartner spielt eine ebenso große Rolle wie die Wahl eines Partners für neue Produkte. Nur die Partner, die zum eigenen Unternehmen passen und mit denen „man sich auf der Straße sehen lassen würde“, kommen überhaupt als Kandidaten in Frage. Weiterhin ist zu beachten, daß Überlegungen in dieser Richtung nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen, da sonst die interessanten Vertriebswege durch Wettbewerber blockiert sind.
8 These 8: Technologische Innovationen
Bisherige Entwicklungen
Einige Stromkonzerne sind an der Entwicklung von Brennstoffzellen, der Verbesserung von Solarzellen sowie der Erprobung von Powerline Communication (PLC) und Strom-per-Chip-Karte intensiv beteiligt. PLC eröffnet die Möglichkeit des Zusammenwachsens von Telekommunikation, Medien wie TV und Internet, Energieversorgung und Energiedienstleistungen über die Stromleitungen. RWE Energie will bis zur Cebit 2000 eine marktreife Lösung für PLC präsentieren, um den Kunden Telekommunikations- und Energiedienstleistungen (z. B. Wartungs- und Störungsmanagement) anbieten zu können.
Die französische EDF stellt ihren Kunden im neuen Tarif „TEMPO“ unterschiedliche Arbeitspreise in Rechnung. Diese werden in Abhängigkeit von den Kosten für die Beschaffung des Stromes seitens des EVU gebildet. Da zum Jahresanfang „preiswerte und teure“ Tage nicht festgelegt werden können, werden die Preise beim Kunden auf einem mit einer beliebigen Steckdose zu verbindenden Gerät über verschiedenfarbige Lämpchen angezeigt. Zur Informationsübertragung in den Haushalt dienen die Stromleitungen, so daß man hier, wenn auch nicht von Powerline-„Communication“, so doch von einem Datentransfer in begrenzter Menge sprechen kann. Der Einsatz von Stromkarten als ein weiteres Beispiel wurde u. a. von den Stadtwerken Hannover und Bremen getestet.
Ausblick
Sollten die Kunden Stromkarten akzeptieren und die EVU-Branche sich auf einen Standard für Stromkartenzähler einigen, stößt der Wettbewerb im Strommarkt in eine völlig neue Dimension vor. Es ist zu erwarten, daß Stromkarten von einer nicht unerheblichen Anzahl Kunden akzeptiert würden. Hierdurch läßt sich dem Call-by-Call-Verfahren im Telekommunikationsbereich näherkommen: Ein Kunde könnte beispielsweise Karten mehrerer Anbieter kaufen. Dies gestattet dem Kunden, auf wechselnde Preise sozusagen online einzugehen, indem er immer die Karte desjenigen Anbieters verwenden kann, der den im jeweiligen Moment günstigsten Strom anbietet. Die Realisierungskosten sind durch die Notwendigkeit, neue Zähler zu installieren, relativ hoch. Zudem müßte eine solches Konzept von mehreren EVU getragen werden, damit es sich als Standard am Markt etablieren kann. Für Deutschland sehen wir diese Entwicklung eher nicht.
Im Bereich der Zählertechnologie erwarten wir sowohl den Einsatz von einfachen und sehr günstigen Geräten als auch intelligente Zähler, die mit ihren Zusatzfunktionen die Tür zu neuen Dienstleistungen öffnen.
Bei sämtlichen technischen Neuentwicklungen muß ständig beobachtet werden, welche Anforderungen sich hierdurch an Marketing, Vertrieb und Organisation ergeben. Eine mangelnde Ausrichtung an den Markterfordernissen wäre insofern fatal, als daß technisch ausgereifte Produkte kreiert würden, das Unternehmen aber nicht in der Lage wäre, diese zu vermarkten.
9 These 9: Überlebensfaktoren Schnelligkeit und Finanzkraft
Bisherige Entwicklungen
Derzeit dominiert die Finanzkraft vor der Schnelligkeit. VEBA/VIAG und RWE trennen sich von Randaktivitäten, um ihre Kassen für Akquisitionen und den Preiswettbewerb im Strombereich zu füllen. Weiterhin wird die Finanzkraft für den Aufbau von Produkt- und Unternehmensmarken sowie zur Gewinnung neuer Mitarbeiter verwendet. Die Schaffung von Call-, Billing- und Service-Center sowie die Restrukturierung von Marketing und Vertrieb sind Maßnahmen, um die Schnelligkeit im Wettbewerb zu erhöhen. Einige Energieversorger offerieren weitergehende Servicegarantien für Kernleistungen, die mit Zeitgarantien verknüpft sind. Sollten die zugesagten Zeitgarantien z. B. für eine Antwort auf eine Anfrage nicht eingehalten werden, erhält der Kunde eine Entschädigung.
Ausblick
Die meisten EVU sind nach wie vor sowohl in ihren Entscheidungen wie auch in der Umsetzung sehr träge, langsam und risikoscheu. Schnelligkeit ist aber von sehr hoher Bedeutung bei Überlegungen, wie auf die wachsende Konkurrenz durch Fusionen, Allianzen oder Kooperationen reagiert werden kann. Auch hier ist eine zügige Entscheidung notwendig, da ansonsten der Markt geeigneter Kandidaten leergefegt sein wird. Der Faktor Finanzkraft spielt die zweite wichtige Rolle. Denn das alte Sprichwort „Die Schnellen fressen die Langsamen“ gilt nur bedingt, wenn die Kasse leer ist. Insofern wird künftig der Markt sowohl von den Schnellen als auch von den Reichen bestimmt werden.
10 These 10: Erfolgsfaktor Marketing- und Vertriebskompetenz
Bisherige Entwicklungen
Jedes Wochenende sind in großen Tageszeitungen Stellenanzeigen der EVU in den Bereichen Vertrieb und Marketing zu finden. Einige Dutzend ehemalige Berater oder Mitarbeiter aus Markenartikelunternehmen sind als Marketingleiter, Key-Account-Manager oder Vertriebsspezialist zu einem EVU gewechselt. EnBW hat als erstes EVU in Deutschland verstärkt Branchenspezialisten aus den entsprechenden Zielbranchen gewonnen und damit ihre Branchenteams besetzt. Ein Ende dieses Einkaufs von externem Know-how ist noch nicht in Sicht. Neben der Rekrutierung von Mitarbeitern aus wettbewerbsintensiven Branchen werden auch die Organisationsstrukturen für Marketing und Vertrieb neu geschaffen und auf die Zielkundensegmente ausgerichtet.
Ausblick
Die Rekrutierung von neuem Personal wird in den EVU in der nächsten Zeit weitergehen. Die Einstellung neuer Mitarbeiter ist für jedes Unternehmen, das unter den sich verändernden Bedingungen bestehen will, ein, wenn nicht der kritischste Faktor. Es muß Wert darauf gelegt werden, daß die neuen Mitarbeiter die Kompetenzen mitbringen, die bisher in EVU nicht notwendig waren, aber jetzt unabdingbar sind. Eine der schwierigsten Hürden ist die Integration der neuen Mitarbeiter in die Organisation. Zum einen werden durch eingefahrene Strukturen im Unternehmen Barrieren aufgebaut, zum anderen kennen die neuen Mitarbeiter nur Unternehmen, die nach erheblich anderen Gesichtspunkten funktionieren. Die Überwindung dieser Gegensätze kann nur von einer Seite vorgenommen werden: das Unternehmen selbst muß sich wandeln, damit der Mitarbeiter die Kompetenzen und Stärken einbringen kann.
Auch die Aspekte erfolgsabhängige Vergütung und flexible Arbeitszeiten sind im wesentlichen neu, da hierfür bisher weder eine Notwendigkeit noch eine Bemessungsgrundlage vorhanden waren. Ferner ist ein richtiger Mix aus alten und neuen Mitarbeitern zu bilden, damit die branchenspezifischen Kompetenzen im Unternehmen vorhanden bleiben. Diese Personalanforderungen stellen die Energieversorger vor vollkommen neue Aufgaben und Herausforderungen. Unter allen wichtigen Erfolgsfaktoren ist der Personalfaktor jedoch der mit deutlichem Abstand wichtigste und wird gleichzeitig als solcher vielfach nicht erkannt.
2. Wettbewerb in liberalisierten Strommärkten
Carsten Wallmeier / Jeremy Ford / Serkan Gülener
1 Einleitung
2 Deregulierungsmodelle
3 Europäische Strommärkte
3.1 Großbritannien
3.2 Norwegen
3.3 Schweden
4 Internationale Strommärkte
4.1 Kalifornien
4.2 Pennsylvania
4.3 Neuseeland
5 Fazit
1 Einleitung
Während sich der Liberalisierungsprozeß in Deutschland noch in seinen Anfängen befindet, sind andere Länder in Europa und im Rest der Welt schon einige Schritte voraus und blicken auf mehrjährige Erfahrungen mit deregulierten Strommärkten zurück. Aus diesen Erfahrungen können und sollten die deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVU) Erkenntnisse und Anregungen für ihr Handeln ziehen und wichtige Hinweise für mögliche künftige Entwicklungen des deutschen Strommarktes erhalten. Hierbei gilt es zu bedenken, daß die Ausgangssituationen in den betrachteten Ländern zum Teil sehr unterschiedlich waren und sich die Märkte aufgrund dieser Unterschiede, der verschiedenen vom jeweiligen Staat gewählten Deregulierungsansätze und aufgrund unterschiedlicher Verhaltensweisen auf Kundenseite anders entwickelt haben. Deshalb lassen sich die Erfahrungen nicht unreflektiert auf Deutschland anwenden.
Im folgenden werden die Länder Großbritannien (einschließlich Nordirland), Norwegen, Schweden, USA (Kalifornien, Pennsylvania) und Neuseeland betrachtet. Diese Länder wurden aus drei Gründen ausgewählt. Erstens befinden sie sich in einem fortgeschrittenen Liberalisierungsstadium und sind dem deutschen Strommarkt zeitlich voraus. Zweitens weisen die Strommärkte Unterschiede auf, zum einen in der allgemeinen Struktur des Marktes, zum anderen im gewählten Deregulierungsansatz. Dadurch kann eine Vielfalt von Lehren für den deutschen Markt gewonnen werden. Drittens und abschließend sind die Strommärkte zwar unterschiedlich, die betrachteten Volkswirtschaften befinden sich jedoch in einem ähnlich entwickelten Stadium wie die deutsche, so daß die gewonnenen Erkenntnisse durchaus relevant sind.
Ehe die ausgewählten Länder näher untersucht werden, wird ein Überblick über mögliche Deregulierungsmodelle gegeben. Bei der Analyse der verschiedenen Länder wird das gewählte Reformmodell benannt und die Marktentwicklung seit Beginn des Deregulierungsprozesses skizziert. Im Vordergrund der Betrachtungen steht allerdings die dann folgende Analyse der Marketingaktivitäten der am Markt tätigen Akteure. Im einzelnen werden dazu die angebotenen Produkte, die Preisstrategien, die Kommunikationsaktivitäten sowie der Vertrieb in den jeweiligen Ländern genauer untersucht.
Abschließend werden aus den vorangegangenen Analysen ein Fazit und einige Lehren gezogen.
2 Deregulierungsmodelle
Vorrangiges Ziel der Deregulierung von Strommärkten ist es, Wettbewerb in den Markt zu bringen und so den Kunden eine größere Auswahl an Anbietern und Produkten zu Wettbewerbspreisen zu ermöglichen.
Notwendig für alle Reformen ist ein Aufbrechen der bisher vertikal integrierten Wertschöpfungskette in die Bereiche Erzeugung, Übertragung, Verteilung und Vertrieb.1 Eine derartige Trennung eröffnet die Möglichkeit, die Wettbewerbsbereiche (Erzeugung und Vertrieb) und die natürlichen Monopolbereiche (Übertragung und Verteilung) regulatorisch getrennt zu behandeln und zu ökonomisch effizienteren Marktergebnissen zu gelangen. Den ehemaligen vertikal integrierten Monopolisten soll so keine Möglichkeit mehr zur Cross-Subventionierung von verschiedenen Wertschöpfungsbereichen und zur Verschleierung von Preisen für die einzelnen Bereiche gegeben werden. Die Trennung kann in unterschiedlichem Grade durchgeführt werden, von einer rein buchhalterischen Trennung über eine organisatorische bis hin zu einer eigentumsrechtlichen Trennung.
Um das Ziel einer Wettbewerbs- und damit Effizienzsteigerung zu erreichen, können verschiedene Wege beschritten werden, wobei grundsätzlich drei verschiedene Reformmodelle unterschieden werden können: die öffentliche Ausschreibung, das Durchleitungsmodell und die Strombörse/das Pool-Modell.2 Diese Modelle sind jeweils unterschiedlich gut geeignet, das Ziel eines gesteigerten Wettbewerbs zu erreichen.
Beim Ausschreibungsmodell können zum einen die Stromerzeugung, zum anderen die Versorgungsgebiete ausgeschrieben werden. Im Falle einer Ausschreibung der Stromerzeugung werden benötigte Erzeugungskapazitäten für Ersatz- bzw. Erweiterungsinvestitionen öffentlich ausgeschrieben. Die Stromerzeuger, die zum Zuge gekommen sind, verkaufen ihren Strom dann über langfristige Verträge an den Netzbetreiber. Hintergrund dieses Modells ist der Gedanke, daß auf die Stromerzeugung der Großteil der Gesamtkosten fällt und daß durch die Ausschreibung von Erzeugungskapazitäten Wettbewerb an entscheidender Stelle induziert wird. Problematisch an diesem Modell ist jedoch, daß bestehende Kapazitäten nicht dem Wettbewerb ausgesetzt werden. Zudem findet bei der Reinform dieses Modells kein Wettbewerb im Stromvertrieb statt. Im Falle einer Ausschreibung der Bedarfsdeckung der Versorgungsgebiete wird das Recht zur befristeten Exklusivversorgung von bestimmten Gebieten ausgeschrieben. Da die Verteilung und der Handel hierbei gebündelt ausgeschrieben werden, führt jeder Versorgerwechsel dazu, daß auch das jeweilige Netz den Besitzer wechseln muß. Neben den damit zusammenhängenden organisatorischen Fragen treten auch besitzrechtliche Probleme auf. Zudem werden sich unabhängige Erzeuger ohne Verteilungsnetz und reine Stromhändler aufgrund mangelnder Erfahrungen mit dem Netzbetrieb kaum an den Ausschreibungen beteiligen. So kommen lediglich die bestehenden Versorgungsunternehmen zum Zuge, so daß dieses Modell nur zu einem sehr beschränkten Wettbewerb um den Stromverkauf führt.