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Band 147

 

Das verfluchte Land

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Farm 147, 27. September 2050

2. TOMOKOL AMBA, 12. August 2051

3. TOMOKOL AMBA, 12. August 2051

4. TOMOKOL AMBA, 13. August 2051

5. Tirenuut, 17. August 2051

6. Raumhafen Tirenuut, 17. August 2051

7. Raumhafen Tirenuut, 17. August 2051

8. Raumhafen Tirenuut, 17. August 2051

9. TOMOKOL AMBA, 17. August 2051

10. Tirenuut, 17. August 2051

11. Farm 147, 18. August 2051

12. Farm 147, 18. August 2051

13. Raumhafen Tirenuut, 18. August 2051

14. Raumhafen Tirenuut, 18. August 2051

15. Raumhafen Tirenuut, 18. August 2051

Epilog: Jenseits der Stadt, 18. August 2051

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. In der Folge beginnt für die Erde ein friedvolles Zeitalter – zuletzt wurde der Frieden durch die Invasion übermächtiger Fremdwesen unterbrochen.

Ende Juni 2051 beginnt der Wiederaufbau der verwüsteten Erde. In dieser Situation werden Perry Rhodan, Atlan und Tuire Sitareh von einer unbekannten Macht entführt.

Rhodan und Sitareh finden sich im Sternenreich der löwenähnlichen Gurrads wieder. Beide hat das Geisteswesen ES auf dieselbe Mission geschickt – die Suche nach METEORA. Sie steuern den Planeten Ambaphal an, die heilige Welt der Gurrads. Dort hoffen sie, mehr über METEORA zu erfahren.

Die Gefährten erreichen eine Agrarwelt, wo sie Zwischenstation machen müssen, um ihr Raumschiff zu reparieren – und geraten in eine erbitterte Auseinandersetzung um DAS VERFLUCHTE LAND ...

1.

Farm 147, 27. September 2050

 

Der schleichende Tod war nicht zu erahnen. Ganz im Gegenteil: Farm 147 erwartete reiche Ernte. So weit das Auge reichte, wogten die Ähren im Wind. Kräftige Halme mit schwerem Korn. Gewachsene Schönheit.

Auf der anderen Seite des Farmhauses zeigten die Appalabäume ihre Früchte. Ihre Beeren waren faustgroß geworden und strahlten in einem intensiven Rot. In all seinen Jahren auf der Farm hatte Gurrenham die Appalas nie in solcher Pracht gesehen. Nie hatte der verfluchte Boden von Farm 147 solche Schätze hervorgebracht.

Dennoch war es vielleicht das letzte Mal. Oder zumindest das letzte Mal mit ihm als Vorarbeiter. Wenn kein Wunder geschah, würde die Autarkie die Farm beschlagnahmen. Der Schuldenberg war erdrückend. Sie konnten den Tribut und die Zinsen nicht mehr entrichten, selbst ohne die Diebstähle, selbst ohne Furrahs Krankheit.

Ob dieses Wunder eintrat, würde sich an diesem Tag erweisen.

Gurrenhams Magen knurrte. Er blickte zur Bergkette jenseits der Skyline von Tirenuut. Die Sonnen standen erst knapp über den Gipfeln. Es war noch früh, viel zu früh, um die knappe Mittagsration anzurühren.

Das Ganze war grotesk. Er müsste nur fünfzig Schritte machen, um sich mit Appalas den Magen vollzuschlagen, bis seine Mähne vom roten Saft nur so troff. Und doch durfte er die Früchte nicht einmal kosten. Jede Beere, die er aß, konnte nicht verkauft werden.

Es würde nicht mehr lange dauern, bis Dorgrav kam. Gurrenham hasste den Mann. Dorgrav war selbstgefällig, eitel, verschlagen und rücksichtslos. Aber als Dignitar der Autarkie war sein Wort Gesetz, und er zögerte keine Sekunde, es von seinen Standortkombattanten mit Gewalt durchsetzen zu lassen.

Wenn Dorgrav entschied, dass die Schulden gestundet würden, wenn Furrah irgendwann wieder aufstehen konnte und niemand mehr in die Kasse griff, würde Farm 147 es vielleicht schaffen. Womöglich verblieb sogar ein kleiner Überschuss für modernere Maschinen, mit denen im nächsten Jahr die Erntemenge erhöht werden konnte. Vielleicht gelang es ihnen allen gemeinsam, das Ruder noch einmal herumzureißen.

Gurrenham ging zu den Appalas. Zwanzig Erntearbeiter trugen Kiepen mit den schweren Beeren, brachten sie zum Lastgleiter und leerten sie. Dann traten sie den Rückweg in die Plantage an, um die nächste Fuhre zu ernten. Gurrenham sah der steten Prozession zu.

Seit einigen Jahren schon gab es Ernteroboter, die mit den wild verzweigten, kräftigen Appalaästen zurechtkamen und die Beeren ernten konnten, ohne die Pflanzen zu beschädigen.

Allerdings konnte Farm 147 diese Roboter nicht bezahlen.

Er nahm eine Beere aus dem Gleiter. Das Fell auf seinem Handrücken stellte sich auf, als er in die Antigravitationszone griff. Wenigstens funktionierte diese Technik noch, sodass die unten liegenden Früchte nicht von den oberen Schichten zerquetscht wurden. Wenn der Gleiter auch noch kaputtging, hätte das die Ernte erheblich komplizierter gemacht.

Gurrenham lief das Wasser im Mund zusammen. Seine Hand begann zu zittern. Mit äußerster Selbstbeherrschung zwang er sich, die Köstlichkeit wieder zurückzulegen.

Der nächste Arbeiter leerte seine Kiepe. Gurrenham bedeutete ihm, zu warten.

Nach wenigen Minuten hatte er alle zwanzig Erntehelfer versammelt. Sie wirkten erschöpft. Erschöpft und ausgehungert. Sie genossen die unerwartete Pause und lehnten sich matt an den Lastgleiter.

»Dorgrav kommt her.« Gurrenham merkte, wie abgekämpft er selbst klang. Er riss sich zusammen. »Furrah spricht mit ihm über die Tributzahlungen. Wir brauchen eine Stundung, sonst wirft die Autarkie uns alle von der Farm.«

Er schaute sich die Gesichter an. Dies waren einst alles kräftige, stolze Männer gewesen. Die meisten von ihnen hatte er selbst eingestellt. Damals waren sie imposante Gestalten, kräftig, mit wilden Mähnen. Anders als jene Gurrads, die in der Stadt verweichlichten und mehr Zeit für die Fellpflege als für echte Arbeit aufbrachten, oder jene, die sich in den Kneipen zu Tode soffen.

Und nun? Seit Reoroesther Statthalterin auf Doka geworden war, hatte sie die Abgaben jedes Jahr erhöht, und Dorgrav hatte sie jedes Jahr umso gnadenloser eingetrieben. Immer weniger blieb für die Farm übrig.

Dies war der Tag, an dem Furrah würde eingestehen müssen, dass sie den Tribut nicht erbringen konnte. Wie reagierten diese stattlichen Männer darauf? Gurrenham las Sorge in manchen Blicken, Angst in anderen.

Die meisten jedoch wirkten völlig apathisch. Ihnen war offenbar längst egal, was geschehen würde. Das jagte Gurrenham den größten Schrecken ein.

Aus dem Augenwinkel sah er Rimloh aus dem Haus treten. Seine Tochter kam zu ihnen. Ihr Anblick setzte bei Gurrenham neue Energie frei. Sie mussten es schaffen, Dorgrav zu überzeugen – allein schon ihretwegen!

»Wenn Furrah ihn überzeugen kann, unsere Schuld für ein Jahr auszusetzen, können wir es schaffen.« Gurrenham sprach beschwörend. »Aber dazu muss auch Dorgrav glauben, dass wir es schaffen können. Wenn er also nachher da ist, dann gebt alles! Arbeitet, als wäre es das Schönste auf ganz Doka! Ladet die Appalas hier auf den Gleiter, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt! Wenn wir es wirklich schaffen, dass er uns vom Haken lässt, gibt es heute Mittag eine Extraration für euch alle, und abends ...«

Mitten im Satz hielt er inne. Hefrat hatte den Kopf gedreht, und im Licht der tief stehenden Sonne hatte die Mähne unter seinem Kinn rot aufgeglänzt.

»Hefrat, komm her!«, befahl Gurrenham.

Innerlich flehte er, dass er sich täuschen möge. Hefrat war einer der erfahrensten Arbeiter. Einer der zuverlässigsten. Es durfte nicht sein, dass ausgerechnet Hefrat ...

Doch es war so. In Hefrats Mähne klebte Appalasaft.

»Warum?«, fragte Gurrenham leise.

Hefrat antwortete nicht. Er hielt den Blick gesenkt.

»Hast du noch mehr genommen?« Einmal mehr fiel Gurrenham auf, wie dürr der Arbeiter geworden war.

Mit einer schlaffen Bewegung griff Hefrat in die Tasche. Er zog zwei Appalas heraus.

Gurrenham nahm sie und warf sie zum Rest der Ernte. »Geh!«, sagte er. »Lass dich auszahlen. Du brauchst nicht wiederzukommen.«

Hefrat ging mit gesenktem Kopf und ohne Widerworte.

»Vater!«, rief Rimloh.

Er fuhr zu ihr herum und knurrte.

Rimloh machte einen Schritt rückwärts.

Gut so. Frau oder nicht – mit ihren fünfzehn Jahren hatte sie hier keine Autorität. Sie war noch viel zu jung, um über das Geschehen auf der Farm zu bestimmen. Das durfte nur ihre Mutter.

Gurrenham wandte sich wieder den anderen Arbeitern zu. »Das ist ganz genau das, was nicht passieren darf, wenn Dorgrav nachher hier ist! Wenn er glaubt, wir stehlen Teile der Ernte, wird die Autarkie nur noch mehr Abgaben fordern! Habt ihr das verstanden?«

Er sah jedem einzelnen seiner Arbeiter in die Augen. Wie zuvor erkannte er Sorge, Angst, Apathie – und in manchen von ihnen ein wenig Zorn.

Das war gut. Zorn setzte Kräfte frei, und genau die mussten sie unter Beweis stellen.

»In Ordnung«, sagte er entschieden. »Wieder an die Arbeit! Wenn Dorgrav kommt, denkt einfach daran, was ihr am liebsten mit ihm machen würdet. Und mit der verdammten Statthalterin. Aber macht weiter mit der Ernte. Arbeitet, als ginge es um euer Leben!«

Die Arbeiter drehten sich um und trotteten zurück in die Plantage.

Gurrenham wartete, bis sie außer Hörweite waren, dann fuhr er seine Tochter an. »Was fällt dir ein, meine Autorität infrage zu stellen?«

»Wie kommst du dazu, Hefrat zu entlassen? Weißt du, wie lange er hier schon ...«

»Ja«, grollte Gurrenham. »Ich habe ihn selbst angestellt.«

»Er braucht das Geld!«

»Er hat uns bestohlen!«

Es gab wenig, das einen solchen Zorn in Gurrenham weckte. Mit den Diebstählen hatte der Niedergang von Farm 147 begonnen, vor zehn oder elf Jahren. Jedes Jahr waren Erlöse verschwunden, sodass nichts für schlechte Zeiten zurückgelegt werden konnte. Furrah und er hatten nie herausgefunden, wer dahintersteckte. Schon damals hatte er an einen Fluch geglaubt.

Schließlich war es vom einen Tag auf den anderen zwar damit vorbei gewesen, aber ohne dass sie den Täter je entlarvt hatten. Den Fluch indes hatten sie trotzdem nicht abschütteln können, denn zur gleichen Zeit war Furrah krank geworden. Dass die Bücher mittlerweile wieder stimmten, hatte ihnen also nichts genutzt. Furrahs Behandlungskosten überstiegen sogar noch die Summen, die alljährlich in irgendwelchen dunklen Kanälen versickert waren. Und jedes Jahr erhöhte Reoroesther die Abgaben.

Gurrenham wollte sich daher nicht zusätzlich mit Dieben herumschlagen. »Er hat uns bestohlen«, wiederholte er leise und gefasster, aber nicht weniger zornig.

»Drei Beeren!«, schrie Rimloh ihn an. »Weil er Hunger hatte!«

Gurrenham lachte auf. »Ich habe auch Hunger! Aber ich sag dir was: Wenn du die Farm irgendwann von deiner Mutter erbst, kannst du Essen verschenken, wie du möchtest. Solange jedoch Furrah krank ist und ich verantwortlich bin, kümmere ich mich als Allererstes darum, dass die Autarkie nicht das ganze Land hier an sich reißt!«

Es mochte ein verfluchtes Land sein – aber es war ihr Land. Sie lebten davon. Sie hatten nichts anderes.

Eines Tages würde Rimloh das einsehen. In ihrem Alter hatte er auch noch an Gerechtigkeit geglaubt. Inzwischen reichte ihm das schiere Überleben.

»Deswegen komme ich«, sagte Rimloh.

»Weshalb?«, spottete Gurrenham. »Willst du die Autarkie absetzen?«

»Am liebsten ja«, antwortete Rimloh ernst. »Aber das meine ich nicht. Mutter schickt mich wegen der Verhandlungen mit Dignitar Dorgrav. Sie ist tatsächlich wach. Aber sie hat so starke Schmerzen, dass sie ihn nicht empfangen kann. Sie muss das Mittel nehmen. Du musst mit Dorgrav sprechen.«

Gurrenham stockte der Atem. Das durfte nicht sein. Nicht ausgerechnet an diesem Tag!

Furrah musste immer häufiger Helmat nehmen. Das Medikament ließ sie schlafen, teilweise tagelang. Aber doch nicht, wenn Dorgrav kam!

»Es ging nicht anders«, sagte Rimloh leise. »Sie hat es wirklich versucht. Ich habe sie selbst gesehen. Aber sie konnte vor Schmerzen kaum sprechen.«

Wortlos drückte er seine Tochter an sich. Ihre Mutter – die Frau, die er liebte – dämmerte unter dem Einfluss des Helmat dem Ende dieses Tages entgegen. Und wenn sie kein Heilmittel entdeckten, dann bald auch dem Ende ihres Lebens.

Dignitar Dorgrav repräsentierte die Autarkie, und er zögerte nicht, seine Macht einzusetzen. Aber letztlich war er nur ein Mann. Furrah als gestandene Gurradfrau hätte ihn in seine Schranken verweisen können. Aber wie sollte Gurrenham als einfachem Mann das gelingen?

In dieser Konstellation war das Gespräch schon gescheitert, bevor es überhaupt begonnen hatte. Der Fluch, der ihrer aller Leben zur Hölle machte, hatte erneut zugeschlagen.

 

Dorgravs Gleiter waren unverwechselbar. Selbst aus großer Distanz hatten sie keine Ähnlichkeit mit den Maschinen von Farm 147. Schwarz, elegant, tödlich und selbstverständlich brandneu.

Gurrenhams Herz schlug schneller, während das Geschwader aus neun Flugfahrzeugen das Farmhaus ansteuerte. Warum kam Dorgrav mit so vielen Standortkombattanten? Sollte das lediglich standesgemäß Eindruck schinden? Oder war Furrahs Anfrage bereits entschieden? Kam die Polizeitruppe der Autarkie aus Tirenuut angeflogen, um die Farm gewaltsam zu räumen?

Gurrenham zwang sich zur Ruhe. Mit Dorgrav musste er auf Augenhöhe verhandeln. So wie Furrah es getan hätte. Er würde dem Dignitar nicht als der Vorarbeiter Gurrenham entgegentreten, sondern als der Stellvertreter der Farmeignerin. Als Vater ihrer Erbin.

Rimloh hielt sich an seiner Seite. Wenn sie nur ein paar Jahre älter gewesen wäre ... Aber das war sie nun mal nicht, also musste Gurrenham selbst mit Dorgrav sprechen. Der einfache Landarbeiter, der aus eigener Kraft aufgestiegen war, musste einem Dignitar der Autarkie die Stirn bieten.

In einer perfekten V-Formation landeten die Gleiter auf dem freien Platz vor dem Farmhaus.

Einige Momente geschah gar nichts. Gurrenham spürte, wie sich sein Gesichtspelz vor Nervosität sträubte. Was wurde nun von ihm erwartet?

Nach scheinbar endlosen Augenblicken öffnete sich die Schiebetür des vordersten Fahrzeugs. Ein Gurrad in schwarzer Uniform stieg aus – Dorgrav. Er sah genauso bedrohlich aus wie in den Nachrichtenholos. Der Staub des Farmbodens wirbelte auf und legte sich auf den breiten Stiefel, dessen Glanz sofort ermattete.

Der Dignitar sah an sich hinab und sog scharf die Luft ein, als er die Beeinträchtigung seiner Garderobe bemerkte. Er warf Gurrenham einen gereizten Blick zu, als wäre es dessen Schuld, dass Farmland aus Erde bestand.

Enervierend langsam kam Dorgrav auf Gurrenham und Rimloh zu. Der Dignitar betrachtete das Korn zur Linken, die Früchte zur Rechten, die Wohn- und Arbeitsgebäude hinter Gurrenham, alles mit dem Ausdruck unverhohlener Abscheu.

»Wo ist Furrah?«, fragte er.

Gurrenham versuchte, sein Gegenüber nicht anzustarren. Er war fassungslos. Anscheinend hatte Dorgrav seine Mähne tatsächlich eingeölt und gestriegelt. Das mochte in Tirenuut Mode sein – hier auf dem Land wurde man dafür ausgelacht.

Außer man kam mit neun schwer bewaffneten Gleitern im Rücken.

»Sie bittet untertänigst um Vergebung«, beantwortete Gurrenham die Frage. »Sie ist schwer erkrankt und nicht in der Lage, Ihnen den notwendigen Respekt zu erweisen. Sie hat mich gebeten und bevollmächtigt ...«

»Soso«, unterbrach Dorgrav. »Furrah möchte mir also keinen Respekt erweisen.«

Sofort fühlte Gurrenham aufkeimende Panik. »Sie kann es nicht!« Noch schlimmer. »Ich meine, sie ist bewusstlos. Die Schmerzen sind so schlimm, dass sie Helmat nehmen musste. Sie wird den ganzen Rest des Tages schlafen und hat mich gebeten ...«

Mit einer Geste brachte Dorgrav ihn zum Schweigen. »Es ist unschicklich, mich hierherzubitten und dann nicht zu empfangen.« Er wandte sich Rimloh zu. »Wer bist du?«

Rimloh senkte den Blick zu Boden.

Gurrenham wollte für sie antworten, doch wieder verbot ihm Dorgrav das Sprechen. »Ich habe sie gefragt!«

Unsicher hob Rimloh den Kopf. »Ich darf eigentlich noch nicht mit Erwachsenen sprechen, Herr. Ich warte noch auf meine erste Phase.«

»Die wird sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.« Dorgrav ließ den Blick über Rimlohs Körper streichen. »Und ich befehle dir, zu sprechen!«

»Wie Sie gebieten, Herr. Ich bin Rimloh, Furrahs Tochter und die designierte Erbin von Farm Eins-Vier-Sieben.«

»Ich wusste nicht, dass Furrah eine Tochter hat.« Dorgrav zeigte sich erstaunt. »Wen hat sie als Vater erwählt?«

Rimloh nickte in Gurrenhams Richtung.

Dorgrav lachte ihn aus. »Eine der wenigen Frauen außerhalb von Tirenuut, und sie hat ausgerechnet dich in ihr Rudel aufgenommen? Und du willst es geschafft haben, eine Tochter zu zeugen?«

Gurrenham fühlte den Spott wie Schläge. Alles ihn ihm schrie danach, dem geölten Dignitar die Klauen durchs Gesicht zu ziehen. Doch er neigte nur den Kopf und sagte: »Ja, Herr.«

Dorgrav sah ihn fast ein wenig enttäuscht an. Doch Gurrenham konnte keinen Vertreter der Autarkie attackieren. Insbesondere nicht mit neun möglicherweise schussbereiten Begleitfahrzeugen in dessen Rücken.

Der Dignitar klatschte in die Hände. »Genug über Skurrilitäten geplaudert. Kommen wir zum Geschäftlichen. Rechnet ihr ernsthaft damit, dass die Autarkie auf den Tribut verzichtet?«

Gurrenham war überfahren von dem rasanten Themenwechsel. »Wir ...« Er schaute zu Rimloh und rügte sich sofort selbst, dass er vor den Augen des Dignitars Hilfe bei einem Kind suchte. »Nein«, rief er, »niemals käme uns das in den Sinn! Kein Verzicht, Furrah hofft nur auf Stundung. Sie ist schwer krank, und wenn sie erst geheilt ist, zahlen wir, was wir schuldig sind. Wir haben ein gutes Jahr! Geben Sie uns nur etwas Raum zum Atmen, dann können wir neue Maschinen kaufen, und nächstes Jahr wird der Ertrag umso höher. Dann können wir umso mehr Tribut erbringen!«

Hektisch sah er über die Schulter. Seine Arbeiter trugen Appalabeeren aus der Plantage, als gelte es ihr Leben. Seine Ansprache hatte gewirkt.

Dorgrav sah in dieselbe Richtung. Nachdenklich strich er sich durch die Mähne unterhalb des Kinns. »Erstaunlich, in der Tat. Möglicherweise ist euer Tribut bislang zu niedrig angesetzt.«

»Nein!« Gurrenhams Entsetzen brach sich Bahn. »Nein! Es ist ein gutes Jahr für uns, ein ungewöhnlich gutes Jahr! Wenn Sie uns nur ein bisschen Raum geben, können wir mit den Erträgen ...«

»Wir sind an das Gesetz der Autarkie gebunden. Die Sakrosankte Totalität ist eindeutig, und sie kennt keine Ausnahmen.« Der Dignitar lachte leise, als habe er eine unerwartet amüsante Geschichte gehört. »Wo kämen wir denn hin, wenn wir willkürlich auf manche Tribute verzichten würden, während alle anderen Farmen zahlen?«

»Es geht doch nur um ein paar Monate Stundung«, flehte Gurrenham. »Dann können wir ...«

»Auf keinen Fall«, unterbrach Dorgrav. »Wenn die Farm nicht genug einbringt, müsst ihr den Tribut eben anders erwirtschaften.«

»Wie?«, rief Gurrenham. »Wie sollen wir denn ...«

Dorgrav fletschte die Zähne. »Ich bin sicher, euch fällt etwas ein. Ihr habt seltene Kostbarkeiten hier auf der Farm.« Er neigte den Kopf in Rimlohs Richtung. »In Tirenuut gibt es viele Männer, die in keinen Harem erwählt worden sind. Sie werden recht freigiebig sein, wenn Rimloh ihnen nach ihrer ersten Phase ihre Gunst schenkt.«

Gurrenham erstarrte einen Augenblick. Schlug ihr Gast gerade vor, dass seine Tochter, seine einzige Tochter, sich verkaufen sollte?

Es gab keine andere Art, diese Worte zu deuten.

Gurrenham brüllte und warf sich auf Dorgrav.

Mitten im Sprung trafen ihn die Strahlen von zweien der neun Gleiter. Paralysatoren.

»Vater!«, schrie Rimloh entsetzt.

Er fiel vor Dorgrav den Staub. Er konnte den Kopf nicht drehen, sah nur die matten Stiefel.

»Bleib, wo du bist, Kind.« Dorgravs Stimme klang eisig. »Du hast völlig recht. Es steht dir nicht zu, mit Erwachsenen zu sprechen.«

Der Dignitar ging in die Hocke. Er achtete darauf, dass der Staub seine Hose nicht beschmutzte.

Mit einem Stoß gegen die Schulter drehte Dorgrav Gurrenham auf den Rücken und sah zu ihm hinab. »Ihr werdet den Tribut zahlen. So oder so. Aber selbstverständlich möchten wir euch als treuen Untertanen der Autarkie Hilfe anbieten.«

Gurrenham gurgelte. »Was ... willst ...« Er bekam seinen Sprechapparat nur schwer unter Kontrolle.

»Was ich gesagt habe: Ihr werdet den Tribut anders erwirtschaften müssen.« Dorgrav klang nun genauso selbstgefällig wie zu Beginn des Gesprächs. »Die Farm gibt euch alle Möglichkeiten dazu. Das Korn ist ja bald eingebracht, und die Bäume ...« Er sah hinüber zu den Appalas, die Gurrenham während der vergangenen zwanzig Jahre gepflegt und gezüchtet hatte. »Ihr könntet sie roden. Die Fläche bringt bei anderer Nutzung mehr Profit.«

»Welche ... Nutzung?«, brachte Gurrenham mühsam hervor.

Wieder zeigte Dorgrav seine Zähne. Er griff in die Tasche und zog ein Pflanzenblatt hervor. Er ließ es über Gurrenhams Schnauze hin und her pendeln.

Gurrenham riss die Augen auf. »Das ist Helmentas! Das ist ... verboten!«

»Lass die Ausdeutung der Sakrosankten Totalität meine Sorge sein«, erwiderte Dorgrav unbekümmert. »Ich bin recht sicher, dass die Standortkombattanten keine illegalen Pflanzen auf eurer Farm finden werden, solange ich meinen Anteil an der Ernte bekomme.«

»Aber ...« Wieder blieben die Worte fast in Gurrenhams Kehle stecken, und er wusste nicht, ob es an der Paralyse lag oder an dem Entsetzen über Dorgravs Vorschlag. »Helmentas vergiftet den Boden! Dort kann jahrelang nichts anderes wachsen!«

»Muss es auch nicht.« Dorgrav steckte die Pflanze wieder weg. »Helmentas kann man vier Mal im Jahr ernten, und jede einzelne Ernte bringt mehr Profit als das, was die ganze Farm sonst im Laufe eines Jahres einbringt. Wenn ihr in den Gebäuden da hinten ...« Er wedelte mit der Hand in die ungefähre Richtung der Lager und Maschinenhallen. »... das Kraut obendrein zu Helmenkit veredelt, verdient ihr sogar noch mehr. Genug, um die Statthalterin zu bezahlen, um mich zu bezahlen und um eure Schulden abzutragen. Und wenn ihr die erst mal los seid, behaltet ihr sogar einen üppigen Gewinn.« Dorgrav stand auf. »Alternativ pfände ich die Farm. Sie dürfte zumindest einen brauchbaren Teil dessen wert sein, was an Tributrückständen bereits aufgelaufen ist. Aber dann müsste ich das Kraut selbst anbauen, und seien wir ehrlich: Ich tauge nicht zum Farmer. Also macht ihr das für mich, und wir sind alle glücklich, oder?«

Gurrenham schwieg. Dorgrav wollte, dass er den Boden vergiftete, um die tödlichste Pflanze auf ganz Doka anzubauen! Mit großem Aufwand war das Helmentas so gut wie ausgerottet worden, und nun sollte er ...

»Wir bauen kein Helmentas an, und wir kochen kein Helmenkit!«, schrie Rimloh. »Wissen Sie überhaupt, was diese Droge auslöst?«

»Oh ja«, sagte Dorgrav leichthin. »Sie bewirkt die Dankbarkeit der Statthalterin, die Milde der Standortkombattanten und ein sorgloses, schuldenfreies Leben für Farm Eins-Vier-Sieben. Es ist ein ganz wunderbares Kraut. Beinahe magisch.«

Mit der Stiefelspitze stieß er Gurrenham leicht in die Rippen. »Beeilt euch mit der Ernte. In einer Woche landet das Schiff mit eurem neuen Saatgut. Ich erwarte eure Kooperation. Ansonsten ...« Er deutete über die Schulter zu dem schwarzen Geschwader der Standortkombattanten. »Diese Maschinen haben auch noch andere Waffen als nur Paralysatoren.« Er verneigte sich vor Rimloh. »Es war mir eine Ehre, junge Dame.«

Damit wandte er sich ab und ging zurück zu seinem Gleiter.

 

Rimloh half Gurrenham auf die Beine. Die Knie gaben unter ihm nach. Seine Tochter stützte ihn, um ihn einigermaßen auf den Füßen halten.

»Das kannst du nicht machen«, beschwor sie ihn. »Wir können das nicht tun!«

»Und was schlägst du vor?« Das Sprechen gelang nun besser, aber noch immer fühlte Gurrenhams Zunge sich geschwollen an. Unter Schmerzen drehte er den Kopf zu den Erntenden. Sie alle hatten seine Demütigung aus der Ferne bezeugt.

»Wir finden einen Weg!«, rief Rimloh trotzig.

»Du hast ihn gehört.« Gurrenhams Kopf kippte vor. Die Nackenmuskeln hatten noch nicht wieder genug Kraft, um ihn aufrecht zu halten. Seine Mähne fiel ihm in die Augen. »In einer Woche ist der Tribut fällig, oder sie vertreiben uns von der Farm. Und wenn sie das erst getan haben, haben wir immer noch Schulden, aber kein Einkommen mehr.« Vor seinem geistigen Auge erschien kurz das Bild, wie Rimloh ihren Körper verkaufte, um die Schulden ihrer Familie zu zahlen. »Uns bleibt nur das Helmenkit.«

»Wir können das nicht tun!«, flehte Rimloh noch einmal. »Tausende können daran sterben, vielleicht Zehn- oder Hunderttausende! Das wird Furrah niemals zulassen!«

Gurrenham löste sich aus ihrem Arm und blieb mit zitternden Knien auf eigenen Beinen stehen. »Du hast recht, Tochter.« Wieder versagte seine Stimme.

Rimloh war völlig überrascht. »Wirklich? So einfach? Ich dachte, du lässt dich tatsächlich zwingen ...«

»Du hast recht, Tochter«, wiederholte Gurrenham grimmig. »Es steht dir wirklich noch nicht zu, mit Erwachsenen zu sprechen.«

Rimloh sah ihn entsetzt und mit offenem Mund an. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte ins Haus.

Wie am Morgen ließ Gurrenham den Blick über die Felder schweifen.

Der Fluch war zurück. Wenn die Helmentaskräuter erst einmal ihre giftigen Wurzeln in den Boden gebohrt hatten, war es um Farm 147 geschehen.

Dieses Mal endgültig.

2.

TOMOKOL AMBA, 12. August 2051

 

»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun«, sagte Perry Rhodan ruhig.

Der Gurrad präsentierte seine eindrucksvoll spitzen Klauen. »Was sollte mich hindern?«, gab der Löwenmensch knurrend zurück.

»Es wäre ein Fehler, von dem du dich nicht mehr erholen würdest.« Rhodan lächelte freundlich.

Es war nicht klug, einen Gurrad zu reizen – insbesondere nicht, wenn dieser gleich eine verheerende Niederlage einstecken würde. So viel hatte er in der kurzen Zeit schon gelernt, die er mit diesem stolzen Volk zu tun hatte.

»Erklär es mir!«, verlangte Vanjak.

»Schau her«, forderte Rhodan den Widerständler auf. »Selbstverständlich kannst du mit dem Springer meine Dame schlagen. Wenn der Springer jedoch seine Position verlässt, ist dein Turm schutzlos. Ich kann ihn mit dem Läufer schlagen, der hier auf der anderen Seite des Bretts lauert.«

»Aber ich habe dich dann in zwei Zügen geschlagen!«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Wenn dein Turm nicht mehr im Spiel ist, kann ich meinen eigenen Turm auf deine Grundlinie ziehen und deinen König bedrohen. Je nachdem, wo dein Springer dann steht, hast du schon verloren oder verbringst den Rest des Spiels damit, vor meinen Angriffen zu fliehen.«

Vanjak brüllte auf und fegte die improvisierten Figuren vom Brett.

Rhodan seufzte und machte sich ans Aufräumen. Dem impulsiven Gurrad das Schachspiel beizubringen, erforderte einiges an Geduld.

Aber genau das war schließlich Zweck der Übung. Je frustrierender das Spiel, desto mehr lenkte es Vanjak vom Tod Valeeraas ab.

»Entschuldige.« Der Gurrad half ihm und stellte die Figuren für die nächste Partie bereit.

Rhodan lächelte. Das mit der Impulskontrolle mochte noch nicht so richtig klappen, aber Vanjak erwies sich als hartnäckig und zielstrebig. Trotz aller Rückschläge gab er niemals auf. Eine wichtige Eigenschaft für einen Krieger, der sich in den Reihen der Mutama-Rebellen dem Kampf gegen die Ambaphalitische Autarkie verschrieben hatte.

Rhodan drehte das Brett. »Fang du diesmal an.«

Vanjak bewegte den ersten kleinen Kunststoffkegel, der als Bauer diente.

Rhodan erwiderte und versenkte sich gedanklich in das Spiel. Er selbst profitierte auch von dem Zeitvertreib. Die Untätigkeit drohte ihn sonst um den Verstand zu bringen. Er hatte zwar nicht den Verlust einer aufkeimenden Liebe zu betrauern, aber ...

Sein Blick schweifte durch die Kabine und blieb auf dem Spind haften, in dem vor Jahrhunderten ein ursprünglicher Passagier der TOMOKOL AMBA seine Garderobe untergebracht hatte, inzwischen ergänzt um Rhodans spärliche Habseligkeiten. Außer der Pilgerkutte, die er trug, hatte er nicht viel auf diese seltsame Reise mitnehmen können.

Vanjak zog den nächsten Bauern zwei Felder vorwärts.

Rhodans Fingerspitzen verharrten kurz über einem Bauern, wanderten dann zu einem Springer und kehrten wieder zurück.

»Du bist nicht bei der Sache«, bemerkte Vanjak.