Inhaltsverzeichnis


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Das Gedicht von der Rose (Guillaume de Lorris)
Gargantua und Pantagruel (François Rabelais)
Die Prinzessin von Clèves (Marie-Madeleine de La Fayette)
Kandid (Voltaire)
Die Nonne (Denis Diderot)
Jakob und sein Herr (Denis Diderot)
Die Bekenntnisse (Jean Jacques Rousseau)
Emile oder über die Erziehung (Jean Jacques Rousseau)
Gefährliche Liebschaften (Pierre Ambroise Choderlos de Laclos)
Manon Lescaut (Antoine-François Prévost)
Die 120 Tage von Sodom (Marquis de Sade)
Atala & René (François René Chateaubriand)
Rot und Schwarz (Stendhal)
Die Kartause von Parma (Stendhal)
Eugénie Grandet (Honoré de Balzac)
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Der Graf von Monte Christo (Alexandre Dumas)
Die drei Musketiere (Alexandre Dumas)
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Der Glöckner von Notre-Dame (Victor Hugo)
Die kleine Fadette (George Sand)
Gamiani oder Zwei Nächte der Ausschweifung (Alfred de Musset)
Die Kameliendame (Alexandre Dumas)
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Tableaux parisiens (Charles Baudelaire)
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Cyrano de Bergerac (Edmond Rostand)
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Große Klassiker der französischen Literatur: 40+ Titel in einem Band

Übersetzer: Friedrich Bremer, A. Ellissen, Armin Schwarz, Hedwig Lachmann, Gottlob Regis, Arthur Schurig, Franz Blei, Hanns Floerke, H. Denhardt, Wilhelm Cremer, M. Capsius, Johanna Moellenhoff, Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Franz Dingelstedt
e-artnow, 2017
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-7320-4

Das Gedicht von der Rose
(Guillaume de Lorris)

Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
4.
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23.
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26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.

1.

Inhaltsverzeichnis

Das ist von der Rose die Geschichte,

Wo Amor's Kunst ich ganz berichte.


Es sagen Manche, daß im Traum'

Durchaus Nichts sei als Lüg' und Schaum –

Doch wahrlich giebt es Träume wohl

Die mehr sind als nur Schäume hohl,

Die sich erfüll'n in Wirklichkeit. –

Auch ist berühmt in alter Zeit

Ein Mann, Makrobius genannt,

Der Träum' als eitel nicht erkannt.

Auch liest man von dem Traum, der schon

Erschienen König Cipio'n1.

Und wer da denkt, und wer da schreit,

Daß Narrheit sei und Albernheit,

Zu glauben, daß der Traum nicht Lug; –

Sag', wenn er will: ich sei nicht klug.

Mir für mein Theil bleibt sicher sta'n,

Daß Zeichen oft im Traum' geschahn,

Von Aergerniß und Lust der Leut'.

Denn Vielen träumt bei nächt'ger Zeit

Manch' Ding' nur dunkel übergleist,

Das nachher deutlich sich erweist.


Ich war kaum zwanzig Jahre voll,

Wo Minne anhebt ihren Zoll

Von Jünglingen. Wie meist ich thu',

Lieg' ich da eine Nacht in Ruh'

Und schlafe ziemlich fest und schwer –

Kommt mir im Schlaf' ein Traum daher,

Der, gar sehr bunt, mir wohl gefällt –

Doch gab's im Traum Nichts in der Welt,

Das dann nicht ganz so wär' gescheh'n,

Als wie es mich der Traum ließ seh'n:

Nun will ich diesen Traum erzähl'n,

Recht Euern Herzen zu empfehl'n,

Wie Minn' im Traum mich hat ergötzt;

Und wollt ihr wissen nun zuletzt,

Wie ich will nennen das Gedicht,

Von dem der Anfang hier geschieht?

S' ist von der Rose die Geschichte, –

Wo Künst' der Minn' ich all' berichte.

Der Stoff ist neu und gut daran. –

Gott geb', daß dies nun leiden kann

Sie, der zu Lieb' ich es erdacht;

Sie hat so hohe Ehr' und Macht,

Hat sich der Lieb' so werth erweist,

Daß sie mit Recht die Rose heißt.


Mir scheint's, als wenn es länger wär',

Doch mind'stens ist's fünf Jahre her;

Im Wonnemond' war's, da träumte ich –

In jener Lustzeit, wonniglich,

Wo freudetrunken jeder Staub,

Wo neu sich decken will mit Laub

Ein jeder Busch, ein jeder Zaun –

Wo Nichts Du schmucklos magst erschau'n:

Die Bäume decken auf ihr Grün,

Das durch den Winter welk erschien;

Die Erd' erhebt sich selbst, ergötzt

Vom Thaue, der sie nun benetzt,

Wo bald die Armuth sie vergißt,

In der den Winter lang sie ist.

So eitel wird die alte Erd',
Daß sie ein neu Gewand begehrt.

Sie putzt und schmückt ihr Kleid so sehr,

Daß hundert Farben d'rauf und mehr,

Und indisch' persisch Kraut und Blum' –

Von manch' verschied'nem Färbethum'.

Ich meine, dieses ist das Kleid,

Deß' sich die Erd' am meisten freut.

Und dem Gevögel, das nicht sang

Die herbe Winterkälte lang,

In jener Zeit so arg und trüb';

Dem wird der Wonnemond gar lieb!

Sie zeigen lustig im Gesang,

Wie ihnen Freud' das Herz durchdrang,

Daß nun mit Macht ertönt ihr Schall.

Dort singt gar schön die Nachtigall,

Hier hört man anderes Geräusch,

Und dorten quält sich mit Gekreisch'

Die Kopflerch' und der Papagei,

Dort übt jung Volk sich, wie es sei

Recht lustig und verliebt so weit

In dieser schönen süßen Zeit;

Sehr hart muß sein, wer da nicht liebt,

Wo Lieder jedes Zweiglein giebt,

Der Vögel süßer Lustgesang

Der Brust erregt den gleichen Klang,

Wo aller Gram und Harm vorbei! –

Da träumt mir eines Nachts: es sei

So weit gerade, daß der Tag

Sich dämmernd bald erheben mag.

Vom Bette sprang' ich da behend',

Zog schnell mich an, wusch mir die Händ',

Und eine Silberangel fein

Nahm ich aus schmuckem Angelschrein,

Und fädelte die Angel ein. –

Da treibt mich's aus der Stadt, im Frei'n

Zu hören auf den Vogelsang,

Der durch die Büsche rings erklang

In dieser neuen Frühlingszeit. –

Ich klappe auf die Aermel beid'

Und schlendre fort so ganz allein

Und lausche auf die Vögelein,

Indem sich jed's zu singen müht,

Auf dem Gezweig', das rings erblüht –

Leichtmüthig, wonnevoll und froh.

Zu einem Bach gelang' ich so,

Den ich allda nun rauschen hör' –

Und schöner wüßt' ich's nirgends mehr

Als hier an dieses Baches Rand'

Von einem Hügel, der da stand,

Kam viel des Wassers mit Gewalt

Hell, rauschend und so kühlich kalt,

Wie'n Springquell oder Born zu seh'n,

Viel kleiner wohl nicht als die Seine –

Jedoch viel breiter noch ist die: –

Gesehen hab' ich nun noch nie,

Ein Wasser, das so herrlich floß.

So reizt' es mich und ich genoß

Noch länger diesen schönen Platz.

Des Wassers leuchtend heller Schatz

Mir meinen Muth erfrischt, erweckt; –

Und wohl beschützt und wohl bedeckt

Rinnt fort der Wasserquell im Gries.

Die Wiese schön und räumig, ließ

Nicht ab von dieses Baches Rand.

Gar schön und hell und heiter stand

Der Morgen sanft gemäßigt da.

Ich geh' nun, jener Wiese nah,

Die um die Ufer rings sich zieht

Zu der das schöne Wasser flieht.



1. Scipio, den Cicero zum Träger und Helden seiner philosophischen Phantasie gemacht hat, die unter dem Titel: somnium Scipionis(Traum des Scipio) bekannt ist.

2.

Inhaltsverzeichnis

Der Liebende spricht und redet da

Von sieben Bildern, die er sah:

Gemäld' an eines Haines Wand,

Die er für gut zu deuten fand,

Wie jed's gestaltet, wem es gleich',

Die Namen hört Ihr alsogleich:

Das erste Bild, das da man fand,

Dasselbe war der Hass benannt.


Ich war gegangen noch nicht weit,

Sah einen Hain ich, groß und breit,

Rings um ging einer Mauer Lauf –

Ein Bildniß war davor, und drauf

Gegraben auch viel manche Zeil':

Gemäld' und Bilder eine Weil'

Bewundr' ich gern da nach Gebühr.

Und Euch erzähl' und schreib' ich hier

Die Deutung dieser Bilder hin,

Wie sie mir kommen in den Sinn.

Haß.

In ihrer Mitte stand der Haß,

Der jedem Zorn' und Aerger was

Ein Gründer allem Anschein' nach:

Ingrimmig und gar zänkisch jach. –

Von arger Falschheit und Verrath

Dies Bildniß mir den Anschein hat.

Es war nicht allzuwohl geschmückt

Auch schien es etwas wild verrückt,

Und wild und rauh war sein Gesicht,

Die Nase grimm' emporgericht't.

Von großem Graus' ward es bedeckt,

Und war auch eben so versteckt

Von einem Schleier grausig wild.

Verrätherei.

Von gleicher Art ein ander Bild

Sah' ich zur Linken neben ihm,

Am Haupte stand der Name ihm:

Es war benannt: Verrätherei.

Schurkerei.

Ein Bildniß, welches Schurkerei

Von Namen hieß – stand rechter Hand,

Das ich von gleichem Wesen fand

Und an Gestalt auch glich es ihm:

Schien gar ein übeles Gethüm.

Voll Hochmuth war's und Zanksucht schon

Und übelredend und voll Hohn:

Zum Malen schickt es leicht sich an

Für den, der Bilder machen kann.

Es schien dies gar ein übel Ding

Voll Leid's und Streitens nicht gering.

Ein Weib, geneigt nicht allzusehr

Zu leisten die gebühr'nde Ehr.

Habsucht.

Dann war die Habsucht aufgehängt:

Das ist die, die uns Leute drängt,

Daß Jed's gern nimmt, doch Kein's gern giebt,

Die jeden Schatz zu sammeln liebt.

Das ist die, die zu Zinsen schier

Die Hände streckt aus großer Gier,

Zu sammeln was da gilt und gleißt:

Das ist die, die da stehlen heißt

Die Räuber und das Diebgesind'. –

Zu großem Jammer, großer Sünd'

Streckt sie die Hand am Ende aus.

Es ist die, die des Andern Haus

Bestiehlt, beraubet und betrügt,

Und ihn beschummelt und belügt.

Es ist dieselbe, die gar sehr

Mehrt der Betrüger großes Heer,

Daß oft wohl ihrer Kniffe Brauch

Den Wittwen und den Waisen auch

Ihr gutes Erbe ganz benimmt.

Verzwicket waren und gekrümmt

An selbem Bilde auch die Händ' –

Gar recht: weil Habsucht immer brennt,

Zu nehmen, wo sie Fremdes kriegt.

Habsucht gedenkt an Andres nicht,

Als zu ergattern fremdes Gut:

Habsucht ist Fremdem gar zu gut.

Geiz.

Ein andres Bildniß saß zur Zeit

Da mit der Habsucht Seit' an Seit':

Und Geiz war dieses zubenannt:

Gar schmutzig, widerwärtig stand

Dies Bild und mager und gar übel,

Und grünlich gelb wie eine Zwiebel.

Es war so gänzlich farbebar,

Daß mir es schien, als siech' es gar.

Es schien ein ganz verhungert Ding,

Das stets sich nur an Brod verfing',

Aus Sauerteig geknetet fest. –

Und außer dieser Dürrheit läßt

Ganz dürft'ge Tracht es sehen jetzt:

Ein Wamms, zerrissen und zerfetzt,

Als wie zerzerrt von Hunden gar –

So abgetragen schlecht es war.

Dran hing gar manches alte Stück.

Ein Umwurf hing ihm in's Genick

An einem Stab', gar klein zu schau'n.

Der Kutte Farbe, die war braun –

Am Umwurf' war kein' gute Falt',

Von schlechtem Zeuge arm und alt

Von schwarzen Lämmern, schlecht und krank:

Er dient' wohl zwanzig Jahre lang.

Es drängt sich eben nicht der Geiz

Zu Ankauf eines neuen Kleid's.

Denn wißt: das Kleid gar hoch ihm daucht,

So daß er's keineswegs gebraucht;

Denn würde vom Gebrauch es schlecht,

Dem Geize großen Kummer brächt'

Bedürfniß einer neuen Tracht,

Die nur für Geld würd' ihm gemacht.

Geiz hält 'nen Beutel in der Hand,

Den er jedoch gar sorglich band,

Und so verborgen bei sich hält,

Daß es lang' währt und schwer ihm fällt,

Eh' denn daraus er Etwas kriegt –

Doch wird ihm dies auch nöthig nicht.

Er ging ja von dem Sinn' nicht aus,
Zu nehmen Etwas je heraus.

Neid.

Dann gab es da das Bildnis Neid,

Der nie gelacht sein' Lebenszeit –

Den Nichts niemalen hat erfreut,

Als wo er Schaden oder Leid

Gesehn hat oder hat gehört;

Und Nichts Gefallen ihm gewährt

Als fehlgeschlagnes, übles Glück –

Und wenn er sieht groß' Mißgeschick

Einbrechen auf den braven Mann,

Das macht ihm großen Spaß alsdann.

Zu froh nur ist sein arger Muth,

Sieht ein Geschlecht von hohem Blut'

Er fallen und zu Schanden geh'n.

Doch sieht er Wen zu Ehr' ersteh'n

Durch hohen Geist und hohe Kraft –

Das ist was größtes Leid ihm schafft.

Denn wisset, daß ihm's schlecht gefällt,

Wenn Etwas gut geht auf der Welt.

Neid ist von solcher Grausamkeit,

Daß er nicht hegen kann Mitleid

Nicht für Genossen, noch Gefährt'.

Und kein Verwandter ihm gehört,

Dem er nicht stets verfeindet blieb';

Denn sicherlich ist's ihm nicht lieb,

Glückt's wem – und wenn's sein Vater wär'.

Doch wisset, daß nur allzuschwer

Und stark er führt die Bosheit aus.

Es macht ihm gar zu großes Graus

Und Leid, wenn wer was Gutes hat,

Was Kleines nur, das er nicht hat.

Sein schlecht' Herz zwickt und quält ihn recht,

So daß es Gott und Menschen rächt.

Der Neid versäumet keine Stund',

Der Welt zu bringen eine Wund'.

Ich wähne, daß er selbst nicht schätzt

Den Klügsten, den es giebt alljetzt

Diesseits der See, jenseits der See –

Dem er nicht Flecken anersäh'; –

Und wäre der auch noch so weis',

Daß er ihm könnt' um keinen Preis

Was Abbruch thun – doch sicherlich

Thät' er alsdann Genüge sich,

Zu schmälern seine Würdigung

Doch mindestens mit seiner Zung'.

Ich sah dem Neid auf dem Gemäld'

Gar schlechten Anblick auch gewählt:

Er blickte gar nicht anders mehr

Als gänzlich schielend schief und quer.

Die üble Sitte ließ ihn nicht,

Daß er hätt' können sein Gesicht

Auf Etwas lenken grader Weis' –

Stets schloß ein Auge er mit Fleiß,

Das er vor Groll und Gall' verzwickt,

Sobald er Einen wo erblickt,

Der schön und würdig ist bestellt;

Geliebt, gelobet von der Welt.

Trübsinn.

Und ganz dem Neide nahe stand

Trübsinn gemalet an die Wand.

Man sah's an seiner Farb' genug,

Daß er im Herzen Trauer trug,

Gelbsucht schien er zu haben gar,

Dagegen selbst der Geiz nichts war

An Blässe und an Magerkeit;

Denn Kummer, Sorge und viel Leid

Und Qual und Aergerniß dazu

Ließ ihn nicht Tag noch Nacht in Ruh.

Das hatte Gelbsucht ihm gebracht

Und bleich und mager ihn gemacht.

Fürwahr in solcher Peinigung

In solcher Herzens-Aufregung

Scheint mir es, war noch nie ein Mann.

Ich wähn' auch, daß nie Einer kann

Das minder thun, was ihm behagt,

Daß er zu flieh'n nicht mal mehr wagt,

Zu widersteh'n auf keine Art

Dem Kampf, der ihm im Herzen ward.

Zu sehr schon war sein Herz gerührt,

Der Kampf zu lang' schon fortgeführt.

Gar leidend schien er da zu sein,

Als wär's ihm nie gefallen ein,

Je aufzuheitern sein Gesicht.

Auch war sein Rock zum Besten nicht,

Am Aermel hatt' er Löcher gar,

Wie Ein's, das viel in Jammer war.

Sein Haar das war verworren viel,

Wie's auf den Nacken niederfiel,

So wie es Ingrimm, leidbewegt,

Und übel Loos zu haben pflegt.

Auch wiss't wohl und wahrhaftiglich,

Daß er geweint hat bitterlich:

Wär' Keiner, der ihn hätt' geseh'n,
Dem er nicht thät' zu Herzen geh'n,

Wie er sich selber rauft' und krallt'

Und seine Fäust' zusammenballt',

Wohl war zum Streite aufgeregt

Er jammervoll und leidbewegt.

Nichts ist, das ihm zur Freude dien',

Nicht trösten, stimmen kann man ihn.

Denn wem es trüb' um's Herze ist,

Der hat nicht, sehet zu und wißt,

Zu Tanze Lust und Narrethei'n;

Auch lässet nimmermehr sich ein,

Wer steht im Kampf' – mit Lust und Freud';

Zuwider sind sich Lust und Streit.

Alter.

Dann war das Alter aufgestellt,

Das etwas sich dahinter hält,

So wie es thut gemeiniglich:

Kaum aufrecht halten konnt' es sich

So was gebrechlich es und alt.

Ganz war verkommen die Gestalt,

Und häßlich, allen Schmucks beraubt.

'Ne Glatze war sein ganzes Haupt

Und weiß, als stünd's in Blüthe grad'; –

Es wär' darum nicht allzu Schad',

Sein Tod wär' grad' kein schlimmer Fall:

Verdorret sind die Sehnen all'

Vor Alter und Kraftlosigkeit,

Und seine Stärke, – vor der Zeit

Wohl voll und gut – ist jetzt zunicht.

Von Runzeln voll ist sein Gesicht.

Die Augen sind bedeckt mit Moos,

Der Mund ist längst der Zähne blos.

Da ist kein einz'ger mehr darin;

So sehr ist es vor Alter hin,

Daß schon es nicht mal mehr die Spann'

Von vieren Klaftern gehen kann.


Die Zeit, die fortgeht Tag und Nacht,

Und nimmer Aufenthalt sich macht,

Und die da von uns geht und schleicht,

So unvermerkt, daß leicht es däucht,

Sie bliebe steh'n auf einem Fleck' –

Und bleibt doch nie auf einem Fleck',

Und die nie aufhört fortzugeh'n,

So daß doch nimmer Einer wähn' –

Daß dies die gegenwärt'ge Zeit;

Fragt Ihr die Schriftgelehrsamkeit,

So ist die Zeit, indem ihr's denkt

Dreimal bereits davon gedrängt –

Die Zeit, die nimmer mehr einspricht,

Geht allsofort und kehret nicht,

Wie Wasser, welches ewig fließt

Und keinen Tropfen rückwärts gießt.

Die Zeit, vor der Nichts dauernd harrt,

Sei's Stahl auch oder noch so hart –

Die Alles aufzehrt und besiegt,

Die Zeit, die Alles weiter fügt,

Die Alles wachsen läßt und nährt –

Und Alles aufbraucht und verzehrt;

Die unsre Väter altern ließ. –

Und selbst die Kön'ge altern hieß,

Und die uns All' in's Alter zwingt,

Bis wo der Tod uns weiter bringt; –

Die Zeit hat Völker in Gewalt

Und macht das Alter selber alt

Und hart, daß auch an Hülfe gar

Mit keinem Wort zu denken war;

Zur Kindheit kehrt es so zurück,

Denn sicher hatt's nicht mehr Geschick –

So wähn' ich – noch Sinn und Gewalt,

Als wie ein Kind, zween Jahre alt.

Indeß nach meinem Sinn' und Fug'

War edel einst es wohl und klug –

Als es in besten Jahren stand –

Jetzt, wähn' ich, war es ohn' Verstand

Und ganz verkommen war es jetzt.

Ein Kragenmantel wohlbesetzt

Bedeckte enge ihm den Leib,

Wenn ich's noch richtig weiß und schreib':

Es war bekleidet warm und gut –

Dieweil es sonst zu kalt ihm thut.

Denn warm sind Alte wenig nur:

Das, wisset wohl, ist die Natur.

Heuchelei.

Gemalt war noch ein Bild dabei,

Es schien, daß dies voll Tücke sei,

Die Heuchelei, das ist sein Nam',

Die ist's, die in verstecktem Kram' –

Wenn Niemand sein kann auf der Hut,

Nicht zaudert, und gar Arges thut –

Dehmüthig-einfach, frömmelnd gar

Thut sie, sobald es offenbar –

Und scheint ein Wesen herrlich recht;

Doch unter'm Mond' ist Nichts so schlecht

Das sie nicht leicht in Anschlag nähm',

Das Bild hier gleichet gänzlich dem,

Und ist nach Aehnlichkeit gemacht,

Die niedre Haltung ist bedacht –

Ganz so bekleidet und beschmuzt,

Als wie die Sage selbst es putzt.

Ein Psalmbuch hielt sie in der Hand,

Und wißt, daß sie sich unterwand,

Zu thun, als wenn zu Gott sie fleh'

Und allen Heil'gen in der Höh'.

Sie kann nicht froh noch heiter sein,

Giebt sich gedankenvollen Schein,

Als denk' sie nur an Frömmigkeit. –

So trug sie auch ein hären Kleid;

Und wißt, sie war nicht eben dick;

Vom Fasten, schien's, kam sie zurück,

Von Farbe war sie bleich und todt; –

Des Himmelsgartens Eingang bot

Sich ihr und all' den Ihren nie;

Denn ganz mit Fleiß entstell'n sich die, –

So sagt die Heils-Urkund' uns schon –

Zu haben vor der Welt den Lohn

Und vor der Welt den guten Schein;

Doch Gott läßt dieses nimmer sein.

Dürftigkeit.

Zuletzt war da ein Bild gestellt:

Armuth, die keinen Pfennig Geld

Besitzt, – und gält's das Hängen ihr –

Ihr Kleid sogar verkauft sie schier;

Daß sie so nackt war als ihr Glück.

Wär' etwas noch die Zeit zurück,

Ich wähn', sie wär' erfror'n fürwahr,

Nur eine alte Hülle war,

Mit alten Lumpen Fleck an Fleck,

Ihr einz'ger Rock und ihre Deck'.

Kaum konnte sie verhüllen sich.

Da gab's zu zittern sicherlich.

Sie stand von Jenen etwas weit –

So steht ein schäbiger Hund zur Seit', –

Und so verkroch sie sich dabei.

Ein armes Ding, wo es auch sei

Trägt immer der Verachtung Wucht,

Und jede Stunde sei verflucht,

Die einen Armen mehr gebährt,

Denn solcher wird nie recht ernährt,

Nie gut gekleidet, wohl verseh'n,

Geliebt, gestützt durch irgend wen.

Die Bilder sah gar wohl ich an,

Die, wie ich wohl gemerket ha'n,

Von Gold und blauem Edelstein',

Die ganze Mauer nahmen ein.

Viereckig war die Mau'r, und groß

Und wohl verwahrt mit festem Schloß;

Anstatt der Hecken war ein Hain,

Da kam kein Schäfer je hinein.

Der Hain, der stand gar schön und hold,

So daß ich hätt' hinein gewollt

Durch Leitern oder Steiggerüst' –

Hinein trug ich gar groß Gelüst'.

Denn solche Wonne zu erseh'n

Gelang noch Keinem, wie ich wähn',

Als es in diesem Haine hat.

Da ist den Vöglein ihre Statt,

Ganz ohne Scheu und ohne Schreck.

Es gab auch niemals reichern Fleck

An Bäumen und an Vogelsang,

Der noch dreimal so viel erklang,

Als sonst im ganzen Frankenland;

Den Einklang gar sehr lieblich fand

Von ihren Lauten jedes Ohr –

Die Hügel lauschten selbst empor; –

Ich lauschte auch von Freud' empor

So lange sie vernahm mein Ohr.

Ich nähm' fürwahr nicht vieles Geld, –

Wenn mir der Eingang offenständ, –

Und ich nicht sollte sehen hie,

Wer drinnen war (Gott segne sie!):

Die Vogelschaar, die drinnen sprang,

Und da wohl wechselweise sang –

Die Liebetänz' und Deutelei'n,

Gefällig, artig, zierlich, fein.

Wie ich die Vöglein singen hör',

Fass't mich wohl mächtig das Begehr,

Durch welche Kunst und welche List

Der Garten zu betreten ist? –

Und wisset, daß ich nirgend da

Mir Zugang wußte oder sah,

Und keine Stell' des Eintritts hier. –

Kein Sterbens Mensch auch war, der mir

Was zeigte – ich war ganz allein –

Und litt gar viele Sorg' und Pein.

Zu diesem End' auch kam mir bei,

Daß niemals noch gewesen sei

So schöner Garten ohne Thür

Ohn' Leitern oder Trepp' dafür.

Und Ungeduld erfaßt mich gleich –

Ich ging herum um den Bereich

Des ganzen Vierecks, um die Wand,

Bis ich ein kleines Thürlein fand,

Gar wohl verwahrt und eng' und klein –

Wo anders kam man nicht hinein –

Dagegen richt' ich nun die Schläg',

Denn nimmer war ein andrer Weg.

3.

Inhaltsverzeichnis

Wie jetzt Frau Musse so viel that,

Dass sie die Thür geöffnet hat.


Ich schlug und stieß und im Verlauf'

Horcht' ich wohl manchmal wieder auf,

Ob denn gar Niemand hier zur Hand?`

Das Thürlein, das gar lockend stand,

Thät' auf ein edel' Mägdelein,

Das gar sehr lieblich war und fein.

Das Haar so gelb, wie Goldlack schaut,

So zart wie'n Küchlein war die Haut,

Stirn hell – gewölbt die Lider fein,

Die Augenwimpern war'n nicht klein,

Auch war sie ziemlich groß von Maß,

Und wohl gefallen mag die Nas' –

Ihr glänzt das Aug' wie keinem Falken

Zum Neid' und Aerger jedem Schalken.

Ihr Athem würzig war und süß,

Das Antlitz schön gefärbt sich wieß.

Der Mund, der war gar zierlich fein,

Sie hatt' am Kinn' ein Grübchen klein;

Am Hals von gutem Ebenmaß',

Den voll und üppig sie besaß,

Kein Bläschen, keine Warze war –

Und bis Jerusalem fürwahr,

Hatt' einen schöner'n Nacken Kein',

Der so sich zeigte glatt und rein.

Und ihre Haut war glänzend weiß,

Als unterm Zweig' gereiftes Eis,

Das erst gefallen frisch und neu:

Die Brust war wohlgestalt't und frei –

So schönen Weibes Busen fand

Wohl Keiner je in keinem Land'.

Ein schmuckreich Mützchen deckt die Stirn –

So hat es nirgends eine Dirn',

So hübsch und gar so wohl gemacht,

Auch war so schön es angebracht,

Wie all' mein' Lebtag nie ich's schaut'.

Der Rock lag wohl geschnürt und traut.

Ein Kranz von frischen Rosen hing

Auf des gestickten Mützchens Ring',

Ein'n Spiegel hielt sie in der Hand,

Indem das Haar ein Kamm verband,

Der war auf ihrem Haupt gar weit,

Gar passend und gar schön und breit.

Gestickt war'n beide Aermel reich,

Und daß die Hand blieb weiß und weich,

In weißen Handschuh'n sie erschien,

Das Kleid, das war von reichem Grün'

Mit Stickereien schön vollbracht,

Es schien aus ihrer ganzen Tracht,

Daß sie wohl litte wenig Noth;

So war sie anzuschauen roth

Und wohlgeschmückt; und gut gekleid't

Hatt' sie verlebt die Lebenszeit.

In Wonnezeit und Wonnemond

Hat keine Sorg' ihr beigewohnt

Um irgend was, als ganz allein:

Wie sie recht wohl geschmückt erschein'.


Nachdem die schmucke Magd mir hier

Geöffnet alsobald die Thür,

Bedankt ich mich gar süß alhie,

Und fragte sie alsbald auch, wie

Ihr Namen hieß', und wer sie wär'?

Auch war nicht spröd' sie dem Begehr'

Und gönnte Antwort meinem Gruße:

Genennet werd' alhier ich Muße –

Sprach sie, von Jedem, der mich nennt;

Reich, mächtig bin ich, wohl bekennt;

Ich nehm' zu Allem gute Zeit –

Denn an Nichts denk' ich weit und breit,

Als wie ich mich erfreu' und pflege

Und Kamm und Haar zurechte lege,

Wenn ich gekämmt und schon gemacht,

So ist mein Tagwerk auch vollbracht.

Ich bin vertraut und hold und gut

Dem lieblich hübschen Wohlgemuth.

Denn dieser Hain wird sein genannt,

Und aus dem Sarazenenland',

Hat die Gewächs' er holen la'n,

Und sie im Hain' gepflanzet an.

Und als die Bäume er gesetzt,

Ließ er die Mauer, die Ihr jetzt

Erblickt, errichten rings umher

Und ließ bemalen sie nachher

Mit Bildern, die nun an ihr steh'n,

Nicht lieblich freilich oder schön,

Vielmehr trübselig in der That,

Wie Ihr sie vorher selber saht. –

Oft kommt zu Schattens Hochgenuss'

An diesen Ort in den Verschluß

Herr Wohlgemuth und seine Leut',

Die sind voll Lust und Fröhlichkeit.

Auch jetzt ist sicherlich darin

Herr Wohlgemuth und horchet hin

Auf Wettgesang der Nachtigall'n

Mit Lerchen und den Vögeln all'n.

Erholung pflegt und Lust er dort

Mit dem Gefolg', denn schönrer Ort,

Und schönren Stelle sich zu freu'n,

Die könnte nirgend mehr wohl sein.

Die schönsten Leut', das wisset nur,

Die je Ihr seht auf einer Flur,

Sind zur Gesellschaft ihm erkürt,

Bei der er weilet und sie führt.


Als Muße dessen mich belehrt,

Und Alles ich gar wohl gehört,

Da sagte ich: Frau Muße seid

Mir schwierig darum nicht zur Zeit:

Wenn Wohlgemuth auch frohbegnügt

Mit seinem Troß sich hier vergnügt

Im Hain, sei die Gesellschaft schier

Wenn's möglich, nicht entzogen mir,

Daß ich sie mag vor Nacht noch seh'n,

Mich drängt's danach, dieweil ich wähn',

Daß die Genossenschaft gar fein

Und schön und höflich werde sein.


Ich trat ein, und sprach Nichts zuvor,

Wo Muße aufgemacht das Thor.

Und kaum daß ich am Haine war

So war ich froh und lustig gar.

Und wißt, ich wähnt', mir sei bescheert

Der Himmelgarten auf der Erd':

Der Ort, so trefflich fand ich ihn,

Daß er mir himmlisch gar erschien;

Denn so viel jetzt ich Kunde hab':

In keinem Himmelgarten gab

Es solche Lust, als im Gewühl'

Des Haines, der mir so gefiel.

Genug gab's da von Vogelsang

Den ganzen großen Hain entlang;

Der dort voll Nachtigallen war

Und hier voll Elstern oder Staar' –

Da gab es ganze Schul'n und Spiel',

Zaunkön'ge, Turteltauben viel',

Stieglitze, Schwalben allzumal,

Kopflerchen, Meisen ohne Zahl,

Feldlerchen waren da gemein,

Die mit den andren sich erfreu'n,

Nach Lust zu singen und Gebühr,

Und Amseln, Haidelerchen schier,

Wettstreitend da zu überschrei'n

Den Sang der andern Vögelein,

Auch Papageien gab es dort,

Und viele noch die an dem Ort,

In dem Gehölze, wo sie weil'n,

Gar schön zu singen sich beeil'n.

Sie machten trefflich ihre Sach',

Wie ich's Euch zeige allgemach.

Die Vögel sangen all' so schön,

Als wär'n sie aus des Himmels Höhn.

Wißt, daß der Anblick, wie ichs hörte,

Mir lange Zeit viel Lust gewährte,

Wohl war so schön die Weise, wie

Kein Sterblicher sie hörte nie.

So schön und süß war dieser Klang,

Daß er nicht schien nur Vogelsang.

Man könnte achten ihn für wahr

Als wie von der Seereinenschaar1

Die nach dem reinen Sang' zur Hand

Seereinen man hat zu genannt.


Die Vögel war'n mit Fleiß gekehrt

Zum Singen, d'rin sie wohl gelehrt,

Und wahrlich nicht ohn' Kunst im Sang',

Und wißt, als ich gehört den Klang,

Geseh'n das Grüne in dem Hain',

Da mocht ich wohl gar fröhlich sein;

Nie hatt' ich noch so große Freud'

Im Leben, als zu dieser Zeit,

Und von der Lust so hoch ergötzt

War ich gar voll von Wonne jetzt.

Da seh' ich wohl und weiß es gut

Was mir Frau Muße Liebes thut.

Daß, ihrer Freunde Göttin, sie

Versetzt mich in die Wonne hie,

Indem sie aufgeschlossen mir

Des laub'gen Haines enge Thür.


Und was gethan ich da sogleich,

Weiß ich's noch wohl, so sag' ich's Euch.

Zuerst, was Wohlgemuth wohl that,

Und was für Dienerschaft er hatt',

Sag' ich Euch jetzt ohn' viel Geschrei.

Und all' die Gärten nach der Reih',

Und ihre Bildung künd' ich dann.

Da nicht zugleich ich Alles kann,

Will nach der Reihe ich's erzähl'n,

Daß Niemand wisse, drum zu schmähl'n.


Gar großen Dienst, und süß und lieb

Zuvörderst dies Gevögel trieb.

Denn Lieb'- und Minnesänge stets

Sang seinem Schnabel nach ein Jed's,

Das Eine hoch, das And're tief,

Was nur die Lust zu Tage rief. –

Die süße Weise und die Lust

Gab keine kleine Wund' der Brust,

Doch als ein Weilchen ich gehört

Den Saug hab ich mich weggekehrt,

Den Herren selber sehn zu gehn.

Denn gut zu kennen wünscht' ich den,

Sein ganz Betragen, seinen Sinn;

Da ging ich denn zur Rechten hin,

Auf einem Nebengange jetzt,

Mit Münz' und Fenchel dicht besetzt.

Auch traf Herrn Wohlgemuth ich da

In einer Laub', und ziemlich nah

Ging ich zur Stelle, wo er saß,

Daselbst ergötzte er sich baß;

Es war'n bei ihm gar schöne Leut',

Sie sehend, wüßt' ich nicht bescheid,

Wo doch so schöne Leute her

Gekommen, denn es schien, als wär'

Das eine Flügelengelschaar,

So schön sah's Keiner, der je war.



1. Nur so wüßte ich mir das seltsame Wortspiel des alten Dichters mit seraines und Seraines (wie er die Sirenen nennt) wieder zu geben, indem ich auch im Deutschen nach Beispiel älterer Dichter (z.B. Fischarts Don Kühschote) das griechische Wort zu deutschem Anklang entstelle.

Fährmann.

4.

Inhaltsverzeichnis

Hier nennt der Liebende Fröhlichkeit,

Das ist 'ne Frau, die führt ohn' Leid

Den Reigen, ausgelassen ganz. –

Und diese führte nun den Tanz.


Die Leute, die ich jetzt genannt,

Die war'n zum Reigen grad' gewandt.

Und eine Frau sang ihnen heut –

Dieselbige hieß Freudigkeit –

Gar süß und schön sie das verstand,

Und wohl wie Keine so gewandt,

Wie Keine mit so schönem Klang' –

Es war ein Wunder, wie sie sang!

Wie hell die Stimm' und laut so recht,

Und nicht im Allermind'sten schlecht.

Zu schlagen wußte sie das Maß

Mit ihrem Fuße, wo sie saß –

Sie war gewohnt, zu sein schon lang

An jedem Ort' die Erst' im Sang'

Denn Singen das war so ihr Fach,

Das trieb sie gerne und gemach.


Dann sah den Reigen ziehen ich,

Die Leute schwenken wonniglich,

Und ziehen manches schöne Rund,

Manch schönen Gang auf grünem Grund'.

Dann sah ich Pfeifenbläser, ja,

Auch Harfner, Tausendkünstler da.

Die Einen sangen Rundgesäng',

Die Andren lotharing'sche Kläng' –

Auch gab es Tänzerinnen und

Auch Beckenschlägerinnen rund,

Die wußten gar zu spielen schön,

Und ließen gar nicht das Getön

Der Becken, daß es stimmte gar

Zugleich, und fehlt' auch nie ein Haar.

Zwei Mädchen, niedlich und gewandt,

In bloßem einfachen Gewand' –

Die führten einen Reigen an

Und ließen den Herrn artig dann

Den Kegel in dem Reigen sein –

Doch davon spricht es sich nicht fein.

Wie sie da schwenkten fügsam sich;

Die Eine kam gar wonniglich

Zur And'ren vor, und war'n sie nah,

Da drückten sie sich beide da

Wohl Mund an Mund, – wie ich bericht',

So küßten sie sich in's Gesicht.

Sie wußten's zu entwirr'n so wohl –

Ich weiß nicht, wie ich's malen soll

Doch nie wohl wollt' ich fort von da,

So lang' ich diese Leute sah.

Die so sich übeten mit Glanz'

In kunstvoll'm Reigen und im Tanz!

5.

Inhaltsverzeichnis

Hier gibt der Liebende Bescheid,

Was dieser Reigen wohl bedeut',

Und wie die Adlichkeit er sieht,

Die ihn aus Freundschaft zu sich zieht,

Und die die Weise ganz ihm zeigt,

In welcher sich der Reigen neigt.


Den Reigen dort nun, wie er war,

Beschaut' ich mir, so lang' bis gar

Ein Fräulein, schön und wohl gemeit,

Mich aufgeweckt – die Adlichkeit –

Die stark und zierlich auch. Bewahr'

Dich Gott vor Schaden immerdar! –

Sprach Adlichkeit, wie sie mich sah:

»Nun, guter Freund, was macht Ihr da?«

Spricht Adlichkeit – »so kommt doch näh'r

Und in den Reigen mit hierher,

Hier neben uns, wenn's Euch gefällt.«

Und ohne Zaudern unverstellt

Trat in den Reigen ich nun ein,

Und thät mich dessen sehr erfreun.

Doch wißt, wie ich mich sehr ergetzt,

Daß Adlichkeit mir zugesetzt,

Auffordernd mich zum Tanz mit ihr;

Doch trug zum Tanz ich nicht Begier,

Um keinen Preis nur wagt' ich mich;

Doch macht' ich flugs an's Ansehn mich

Der Reigen, Runde, Gäng' und Kreis',

Des ganzen Tanzes Art und Weis'.


Und aller dieser Tänzer Schaaren,

Die nenn' ich jetzt Euch, wer sie waren:

Herr Wohlgemuth war schön und werth,

Nie möcht' ich schau'n mehr auf der Erd' –

Und nirgends fändet Schöner'n Ihr:

Das Antlitz war wie'n Apfel schier,

So roth und weiß in schönem Bund',

Gar zierlich war es, schön und rund.

Die Augen licht – Mund süß – davon

Stieg hoch und frei die Nas' empor. –

Blond war das Haar und lockig viel

Von Schultern auf die Knie' es fiel,

Und um den Gurt geringelt mild,

Es schien das Ganz' als wie ein Bild;

So war er schön und wohl gefügt,

An allen Gliedern wohl geschmiegt,

Sie waren schwellend, leicht und schnell,

Es lebt kein schönerer Gesell.

Er hat nicht Schnauz- – noch Backenbart,

Kein Zwickelbärtchen keiner Art

Wie's wohl so jungem Burschen ließe,

Mit Stickerei in Sammetfrieße,

Mit Vöglein drauf in Gold gemalt

Sein ganz Gewand gar köstlich stralt.

Es war sein Umrock, wohl umhüllt,

Mit reichlichem Besatz' erfüllt;

Mit Schmuck besetzet drüberhin –

Die Schuh' von einer Meisterin,

Sie war'n mit Schnüren wohl verseh'n,

Aus Gunst und Freundschaft war's gescheh'n,

Daß eine Traut' ihm wand zum Glanz

Von Rosen einen schönen Kranz.


Mißt Ihr, von welcher Traut' es kam?

Frau Heiter, die ihm gar nicht gram –

Sie tanzte heut so froh gerad,

Wie sie vor sieben Jahren that,

Als ihre Lieb' sie ihm gewährt –

Die Hand hält er ihr, lieb und werth

Die liebreich sie im Tanz ihm beut;

Sie liebten sehr sich wechselseit.

Ein Schöner war's und eine Schön',

Der jungen Rose gleich zu sehn

Und all' so zart war ihre Haut,

Daß ich sie leicht zu ritzen traut'

Mit einem ganz, ganz kleinen Dorn' –

Glatt, weiß und rein die Stirne vorn,

Gewölbt und braun die Augenbrau'n,

Die Augen groß, und so zu schaun,

Daß stets sie lachten, ehe noch

Der Mund es that – der's wollte doch.

Und von der Nas', was sag ich jetzt,

Daß sie kein Wachs so fein ersetzt!

Ganz, ganz klein war ihr Mund, es scheint,

Zum Kuss' gemacht für ihren Freund.

Das Haupt stieg blond und licht empor.

Was schwatz' ich Euch noch lange vor?

Sie war gar schön und wohl geschmückt,

Die Kleider reich mit Gold gestickt. –

Sie hat 'nen Hut, 'nen schönen neu'n,1

Ich sähe zwanzig wohl und neun,2

Doch niemals hab' ich noch gesehn,

Ein'n Hut so schön von Seide stehn.

Und eine Kante, gülden ganz,

Erhöh'te ihres Kleides Glanz,

Vom selben Stoff' wie Sein's, jedoch

War's wohl viel malen schöner noch!



1. Nuef, neu und nuef, neun.

2. Nuef, neu und nuef, neun.

6.

Inhaltsverzeichnis

Hier sagt der Liebende geschickt,

Mit was der Gott der Lieb' geschmückt.


An sie schloß sich auf einer Seit'

Der Gott der Lieb' – der da gebeut

Den Minnegöttern, wenn er spricht.

Der hält den Liebenden Gericht,

Der dämpft der Leute Stolz fürwahr,

Und Herren werden Knechte gar,

Und Mägdlein werden Mägde dann,

Trifft zu hoffärtig er sie an.

Der Gott der Lieb' von Ansehn glich

Nicht einem Büblein sicherlich.

An Schönheit war er wohl gemeit,

Jedoch zu schließen nach dem Kleid',

Fürcht' ich, daß Manches ihm gebricht.

Sein Kleid, das war von Seiden nicht, –

Ein Kleid von Blumen ihn umschwebt,

Von Minnegöttern schön gewebt,

Mit zierem Schmuck', mit Wappenschild'

Mit Wappenvögeln, Löwenbild'

Und Pardel und noch viel' Gethier,

Das war ringsum des Rockes Zier,

Gemalt mit Blumen jeder Farb',

Mit denen er sich Schmuck erwarb.

Denn aller Blumen Weis' und Art

'Ne Auswahl hier vereinet ward;

Da wuchs wohl eine Blume kaum,

Die hier nicht wär' von Strauch und Baum' –

Nicht veilchen- und nicht himmel-blau,

Nicht roth, nicht weiß, nicht gelb, noch grau.

Manch' Rosen- und manch' Lilien-Blatt

Man auch wohl eingewebet hat.

Von Rosen deckte ihm ein Kranz

Das Haupt. Und Nachtigall'n im Tanz'

Sich flatternd um den Kopf ihm drehn,

Die Blätter zittern von dem Weh'n –

Denn Vögel waren überall –

So Papagei wie Nachtigall,

Ein Lerchen- und ein Meisen-Heer –

Es war, als wenn er 'n Engel wär',

Als kam' er aus des Himmels Mitt'.

Lieb' hatte einen Jüngling mit,

Den hatt' er immer bei der Hand,

Und Süßblick ward er zu benannt.

Er schaute zu, wie da man spielt

Und singt. Zwei türk'sche Bogen hielt

Er aber dar dem Liebegott'.

Von einem Holze war der ein',

Dess' Frucht mag wenig heilsam sein.

Und oben und auch unten schwoll

Der Bogen ganz von Buckeln voll.

Der and're war von Weidenholz',

Gar wohl geschwungen, schön und stolz,

Geglättet war er fein und licht,

Mit Gold beleget reich und dicht.

Da gab's Fraunbilder zier genug,

Und Ritter fein und schön und schmuck.

Die Bogen hielt Süßblick allda,

Der gar nicht wie ein Bub' aussah;

Mit zehen Pfeil'n beim Herrn er stand –

Fünf hielt er in der rechten Hand.

Die Feder und die Kerbe war

An den fünf Pfeilen herrlich gar –

Sie waren all' mit Gold' bespitzt,

Und haarscharf war'n sie zugespitzt,

Um durch und durch zu dringen ein;

Dran thät nicht Stahl noch Eisen sein;

Da hatt' es Nichts, als Gold daran,

Nur grad' die Federn und die Spann':

Da war'n die bärt'gen Pfeil' von Gold'

Hineingefügt und eingerollt.


Der best' und schnellste zum Gebrauch

Von diesen Pfeil'n – der schönste auch –

Und welchem auch am schönsten ließ

Der Schmuck der Feder – Schönheithieß. –

Der zweit' – am Mindsten macht er wund,

Hieß Einfachheit, das ward mir kund,

Und Unbefangenheit genannt

War einer noch, um den sich wand

Als Feder Frisch' und Adlichkeit.

Ein vierter hieß Geselligkeit.

Und das war ein gesenkter Pfeil,

Nicht weit zu fliegen war sein Theil –

Doch wer nur nah ihn in sich trug,

Dem that er immer an genug.

Der fünfte – Artigkeit hieß der,

Der traf von all'n am Mindsten schwer:

Nicht, daß er groß viel Gutes macht,

Doch hat er allso huldvoll Acht –

Daß der, den dieser Pfeil verletzt

Am eignen Weh sich fast ergetzt –

Er lässt beinahe völlig heil,

Drum macht am Mind'sten Schmerz der Pfeil.


Fünf and're Pfeile trug die Link' –

Die hatten Deutung schlechter Ding' –

Und schwärzer war ihr Holz und Stahl

Als wie der Höllenteufel Zahl.

Der erste – Hoffarth nennt sich der,

Der zweite taugte nicht viel mehr,

Es war sein Name Schurkerei –

Und der war von Verrätherei

Durchzogen und mit Gift gebannt,

Der dritte aber hieß nun Schand',

Der vierte hieß Verzweiflung jetzt.

Der fünfte aber und der letzt';

Der war wohl Wahnwitz ohne Frag'.

Die fünfte war'n von einem Schlag'

Und glichen all' sich gänzlich fast.

Und ihnen auch war angepaßt,

Der eine Bogen, der war krumm,

Von Knoten voll und schief rundum;

Der mußte tragen diese Pfeil',

Denn sie war'n ganz das Gegentheil

Ohn' Zweifel von dem andren Bund'.

Ich kann nun thun nicht Alles kund

Von ihrer Stärke, ihrer Macht,

Es wird mit Wahrheit und Bedacht'

Noch Jed's erzählt – was es bedeut'

Geräth nicht in Vergessenheit.

Bevor ich meine Kunde schließ'

Bedeut' ich Euch noch alles dies.


Doch jetzt beschäftigt mich noch ganz

Jene Gesellschaft in dem Tanz'

Daß ich die Wendungen beschreibe

Und all' das Wesen und Getreibe:

Der Gott der Lieb' hat sich gekehrt

Zu einer Fraue hold und werth

Gar traulich hin zu ihr er kam,

Und Schönheit war der Frauen Nam'.

Und wider einen jeden Pfeil

Hatt' sie ein gutes Tugendtheil.

Sie war nicht dunkel, war nicht braun,

Licht war sie, wie der Mond zu schaun,

Dagegen auch die Sternelein

Erscheinen nur als Lichter klein.

Die Haut die war so fein wie Thau

Und einfach war sie wie 'ne Frau,

Die schon verlobt – wie Lilien rein –

Und ihr Gesicht war weiß und fein.

Und wie sie fein und lieblich blinkt,

War sie gesalbt nicht, noch geschminkt,

Auch hatt nicht Grund sie sicherlich,

Zu putzen, zu verstellen sich.

Das Haar war blond und war so lang,

Daß tief es zu den Fersen drang –

Schön war die Nas' und Aug' und Mund.

Mich faßte Wonn' in Herzens Grund',

So Gott mir helf' – so oft ich denk',

Wie schön jed' Glied' und jed' Gelenk;

So Schöne gab's nicht unter'm Mond.

Kurzum sie war ganz jung, ganz blond,

Herzlieblich, offen, frei und zier,

Und voll und niedlich – edel schier.

7.

Inhaltsverzeichnis