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Inhaltsverzeichnis

Der schwarze Handschuh
Das Gespenst
Folgen eines satirischen Artikels
Märchen vom toten Körper, unbekannt, wem gehörig
Die Sylphide
Prinzessin Mimi
Prinzessin Zizi
Anmerkungen
Nachwort
Editorische Notiz
Copyright

Anmerkungen

DER SCHWARZE HANDSCHUH

 

Erstveröffentlichung: in Literaturbeilagen der Zeitschrift Russkij invalid, 1838, No 1 und 2.

1

Benjamin Franklin (1706–1790), nordamerikan. Aufklärer, Wissenschaftler und Staatsmann, Führer der Unabhängigkeitsbewegung.

2

Lat. «Befestigungsanlagen», militärische Einrichtungen.

3

Die Fruchtwechselwirtschaft, vgl. Die Sylphide; auch die Mechanisierung derselben.

4

Jeremy Bentham (1748–1832), brit. Jurist, Begründer des Utilitarismus, vgl. hierzu Prinzessin Mimi (Anm. 39).

5

James Thomson (1700–1748), schott. Lyriker; sein Hauptwerk The Seasons, 1726–1730, wurde 1801 von Joseph Haydn vertont.

6

William Paley (1743–1805), brit. Philosoph, On the Principles of Moral and Political Philosophy, 1785; On Natural Theology.

7

Clarissa; or the History of a Young Lady, berühmter Roman des brit. Schriftstellers Samuel Richardson (1689–1761), erschienen 1748.

8

Der russ. Gutsbesitzer alten Schlags, Symbolfigur des Leibeigenenregimes, aber auch des russ. Schlendrians.

9

Die russ. Adelsgesellschaft wählte sich ihren Friedensrichter (Adelsmarschall); über dessen gesellschaft – liche Funktion vgl. Ausgang der Novelle Prinzessin Zizi.

10

Dienstrang gemäß der russ. Rangtabelle im militärischen wie im Zivilbereich, auch im Sinne von: Titel.

11

Laut Rangtabelle unterster Grad: Kollegienregistrator; Titel, der so gut wie nichts galt (außer dass er Stationsaufseher davor schützte, von Reisenden verprügelt zu werden – vgl. Aleksandr Puškin, Der Stationsaufseher ).

12

Frz. «Geburtshelfer».

13

Die vierzigtägigen Fasten vor Ostern, während deren auch der Opern – und Theaterbetrieb ruhte.

14

Ferdinando Galiani (1728–1787), Diplomat, Freigeist und Freund der frz. Enzyklopädisten; berühmt die posthum 1818 erschienene Correspondance de l’Abbé Galiani mit Mme d’Epinay.

15

Frz. «Witz», im Russ. als Lehnwort, älter für «Kalauer».

16

Frz. «Morgenkleid», bequemer Damenüberrock (ein Kämm – bzw. Pudermantel).

17

Frz. «Auf Wiedersehen, hoffe ich.»

18

Festliche Reiterumzüge.

19

Eigentlich Redgauntlet, historischer Roman von Walter Scott (1771–1832), erschienen 1824.

DAS GESPENST

 

Erstveröffentlichung: in Literaturbeilagen der Zeitung Russkij invalid, 1838, No 40.

1

Frz. Lehnwort für den Eilpostwagen, die Kurier – Postkutsche.

2

Beliebtes Kartenspiel zu viert, erfunden während des nordamerikan. Freiheitskriegs, gespielt mit der Whistkarte.

3

Übersinnliches Phänomen, das 1833 in St. Petersburg für Aufregung gesorgt hatte. Aleksandr Puškin im Tagebuch vom 17. Dezember 1833: «In einem der zur Behörde des Höfischen Marstalls gehörenden Häuser haben sich die Möbel einfallen lassen, sich zu bewegen und zu hüpfen; die Sache kam vor die Direktion – Fürst V. Dolgorukij ordnete eine Untersuchung an. – Einer der Beamten rief den Popen, doch während des Gebets wollten Stühle und Tische nicht still stehen.» Vgl. hierzu auch Nikolaj Gogol, Die Nase.

4

Discours en vers sur l’homme, philosophischer Gedichtzyklus Voltaires (1694–1778), von 1734–1738; die Epître à Uranie von 1722 mit der Fundamentalkritik am Aberglauben des Christentums, ebenfalls ein Gedicht, nahm Voltaire erst ab 1772 in Werkausgaben auf.

5

Frz. «Bequemlichkeit», «Komfort».

6

Vgl. Nikolaj Gogol, Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen.

FOLGEN EINES SATIRISCHEN ARTIKELS

 

Erstveröffentlichung: Almanach Mnemozina, 1824, No 3.

1

Als «Ganzes» wurde der Roman weder geschrieben, noch war er als solcher konzipiert, sondern als in sich abgeschlossene Satire auf den russ. Literaturbetrieb der Zeit.

2

Lat. «Des Menschengeschlechts Mutter und Schlange fürwahr ist die Dummheit.»

3

Fiktiver Name, abgeleitet vom Verbum dvinut’: «etwas bewegen», «vorwärtsbringen».

4

Russ. mucha: «Fliege».

5

Fiktiver Name, passend zur späteren Diskussion: «sie reihten ein, klassifizierten, urteilten» (russ. rjadili).

6

Als Bild für: Aufgeblähtheit; der «krankhafte Zustand des thierischen und menschlichen Körpers, welcher in einer regelwidrigen Anhäufung wässerichter oder lymphatischer Flüssigkeit sowol in einer von den Höhlen des Körpers als auch unter der äußern Haut besteht» (Brockhaus, 1827).

7

Lies: Moskau.

8

Évariste Forges de Parny (1753–1814) und Charles Hubert Millevoye (1782–1816), frz. Dichter.

9

Charles Batteux, genannt auch Abbé Charles (1713–1780), frz. Ästhetiker, Kunsttheoretiker, Les beaux arts reduits à un même principe, 1746, dt. v. August Schlegel, 1769, «und in einem Auszuge von Gottsched» (Brockhaus 1827).

10

Anspielung auf die zahlreichen frivolen Romane der Comtesse de Genlis (1746–1830), eigentlich Stéphanie – Félicité Du Crest de Saint – Aubin, Hofdame, Gegnerin der Revolution, später Schutzbefohlene Napoléons; Leçons d’une gouvernante (1791), Contes moraux (1802). «Als Schriftstellerin ist Z. eines jener Talente, die keine neuen Wege bahnen und ihre Zeit nicht überleben, aber geschickt und erfinderisch ihre kleineren Bedürfnisse befriedigen» (Brockhaus- Efron, russ. 1894).

11

Aleksandr Puškin (1799–1837), erste epische Versdichtung aus dem Jahr 1824, eines seiner in Russland populärsten Werke.

12

Marie de Rabutin – Chantal, Marquise de Sévigné (1626–1696), erlangte Ruhm durch ihre Lettres (1753, vollständig 1818) und den «Styl einer geistreichen Frau vom Stande» (Brockhaus, 1827).

13

Françoise d’Issembourg d’Happoncourt de Graffigny (1695–1758), meistgelesene frz. Schriftstellerin des 18. Jh.; der von Odoevskij genannte Briefroman erschien 1747 und war ihr größter Erfolg.

14

Genlis vgl. Anm. 10; François Guillaume DucrayDuminil (1761–1819), populärer Autor seichter Fortsetzungsromane, gemeinsam mit der Comtesse de Genlis Vertreter des roman gothique oder roman terrifiant , des Schauerromans.

15

Frz. «Philosophie, unterrichtet in zwei Lehrstunden», und: «Die Kunst zu denken, reduziert auf drei Wörter».

16

Frz. «Auf dass Ihre zärtlichen Schriften, diktiert von den Musen, nicht verlassen Ihre Hand, Tag und Nacht durchgeblättert.»

17

Jean François de Laharpe (1739–1803), frz. Dichter, Kritiker, eleganter Stilist, Mitglied der Academie ab 1776; Lycée, ou cours de littérature ancienne et moderne (1799–1805), 16 Bände.

18

Abgeleitet von russ. musor: «Kehricht», «Dreck».

19

Sprechender Name, zusammengesetzt aus frz. vide: «leer», und fier, fière: «stolz».

20

Anspielung auf die poln. Herkunft des Petersburger Pressezaren und obersten Geschmacksrichters (und Feindes Puškins) Faddej Venediktovič Bulgarin (1789–1859); auch dessen Freund O. I. Senkovskij (1800–1858, Pseudonym: Baron Brambeus) war aus Wilna gebürtig.

21

Nicolas Boileau alias Despréaux (1636–1711) ; Laharpe vgl. Anm. 17. Als Protégé Louis’ XIV. galt Boileau als einflussreicher Sachwalter des literarischen Geschmackssinns in Frankreich.

22

«Man hat die Frau v. S. des Mangels an Geschmack beschuldigt, weil sie Racine’s poetische Verdienste nicht begriff; aber dies war ihrer Vorliebe für Corneille zuzuschreiben» (Brockhaus, 1827).

23

Meint den Streit um die richtige (offizielle) Orthografie des Französischen zwischen Modernisierern und Traditionalisten in der Académie, ausgelöst durch eine Denkschrift Charles Perraults 1673.

24

Arouet: bürgerlicher Name Voltaires; Alexis Piron (1689–1773), frz. Dichter, Dramatiker; in die Académie zwar gewählt, die Wahl durch Louis XV. aber nicht bestätigt.

25

La Bruyère, Jean de (1645–1696), frz. Schriftsteller, Moralist, sein Hauptwerk, Les caractères de Théophraste, traduit du grec, avec les caractères et les mœurs de ce siècle, erschien 1688; in die Académie gewählt wurde er 1693, mit königlichem Beistand; seine Antrittsrede, in der er seinen Unterstützern (den «anciens») unverhohlen dankte, führte zum Eklat.

26

Frz. «Oh! charmant und im rechten Augenblick! er ist ein Liebhaber der guten Literatur!»

27

Frz. «Das ist die unserer großen Meister – nicht wahr?»

28

Span. Eintopfgericht.

29

Lat. «vom Lager her, Vater»; «Conticuere omne intentique ora tenehant inde toro pater», aus der Aeneis des Vergil.

30

Fiktiver Name, von vampir.

31

Fiktiver Name, von russ. achat’: (vor Bewunderung, Erstaunen) «Ach!» sagen.

32

Farbe der Uniformen der III. Abteilung, d. i. der politischen Polizei, vgl. Aleksandr Puškin, Geschichte des Dorfes Gorjuchino.

33

Carbonari: politischer Geheimbund in Süditalien zur Befreiung Italiens Anfang des 19. Jh.; in den Augen seiner Gegner eine Art Mafiaorganisation, Staatsverbrecher.

MÄRCHEN VOM TOTEN KÖRPER, UNBEKANNT, WEM GEHÖRIG

 

Erstveröffentlichung: Bunte Märchen, Sanktpeterburg 1833, erster eigener Erzählungsband V. F. Odoevskijs. Dort ausgewiesen als «Gesammelt von Irinej Modestovič Gomozejko, Magister der Philosophie und Mitglied verschiedener gelehrten Gesellschaften, herausgegeben von V. Bezglasnyj». (Der Name des anonymen Herausgebers bedeutet: «unmündig», «nicht stimmberechtigt».)

 

Motto – Zitat der Erzählung Die Nacht vor Weihnachten aus Nikolaj Gogols Novellensammlung Abende auf dem Vorwerk von Dikanjka, 1831 von Gogol (1809–1852) herausgegeben unter dem Pseudonym Rudyj Panjko.

1

Fiktiver Landkreis, irgendwo in Russland; erscheint, als Familienname (Reženskij), mehrfach im Werk Odoevskijs, vgl. Die Sylphide.

2

Fikt. Dorf mit sprechendem Namen, etwa: «Natašas Möhrenfeld oder – beet» (morkovka: «Mohrrübe»).

3

Arš. für Aršin, russ. Längenmaß (Elle), entspricht 71,1 cm, Veršok: 44,45 mm.

4

Bäuerliche Form der Namengebung, bestehend aus dem Patronym (Vatersnamen): Sohn des Sevastjan; den vollen Namen des Gerichtsschreibers vgl. w. u. im Text.

5

Der Dorfälteste, Dorfvorsteher.

6

Untersuchungsrichter, zugleich örtlicher Polizeichef.

7

«Reise» ironisch – den Weg in die Verbannung nach Sibirien legten die Häftlinge in Ketten und unter Bewachung zu Fuß zurück.

8

Russ. Gebäck, Topfkuchen.

9

Kein offizieller Titel nach Rangtabelle, am ehesten: ein Kollegienregistrator, 14. Rangklasse.

10

Held zahlreicher russ. Volksbücher über das sagenhafte Altertum Russlands.

11

Held eines berühmten Volksbuchs von A. Komarov, 1779, Umständliche und getreue Beschreibung der guten und bösen Taten des russischen Gauners, Diebs und Räubers Vanja Kain, seines ganzen Lebens und seiner sonderbaren Abenteuer.

12

Held der populären Beschreibung der Wallfahrt des Kaufmanns Trifon Korobejnikov nach Jerusalem, Ägypten und dem Berg Sinai, 1783 hg. v. V. G. Rubanov.

13

Einsaitiges Streichinstrument zur Begleitung epischer russ. Volksgesänge.

14

Eroberung Konstantinopels durch die Türken: 1453; sämtliche Motive aus der Wallfahrt Korobejnikovs, vgl. Anm. 12; so auch der Vogel Strothokamyl – der Vogel Strauß.

15

Leichter Reisewagen, aus dem Poln., vgl. das dt. Lehnwort Kibitke (gebräuchlich im 19. Jh.).

16

Sprechender Name, etwa: «der mit dem milden Herzen».

DIE SYLPHIDE

 

Erstveröffentlichung: Sovremennik, Buch V, 1837, dort mit dem Vermerk: «Reval, 1836». Erste Übertragung «Aus dem Russischen» von Karl August Varnhagen von Ense (und Varnhagens erste Übersetzung aus dem Russischen überhaupt) im Freihafen. 2. Jg., Erstes Heft, Altona 1839, S. 74–109.

 

«Sylphen (griech., Sylvani), im polytheistisch – pantheistischen System des Paracelsus Elementargeister (s. d.), deren Wohnort die Luft war, und die zum Dienst der Menschen bereit waren. Ein solcher war Oberon (s. d.). Sylphiden heißen die weiblichen Luftgeister» (Meyer’s neues Konversationslexikon, 2. Auflage 1867).

1

Frz. «Große Geduld», ein Zeitvertreib, Legespiel, gespielt mit zwei Kartensätzen zu je 52 Blatt.

2

Die 200 Jahre währenden kriegerischen Auseinandersetzungen Russlands mit der Pforte waren 1829 vorläufig beendet; hier: Aufregungen aus grauer Vorzeit.

3

Verwechslung des frz. Königs Karl X., 1830 durch die Julirevolution gestürzt, mit dem Bruder des span. Königs Ferdinand VII., der den Thron beanspruchte und die Carlistenkriege (1833–1840) auslöste.

4

Ivan Fjodorovič Šponjka, Titelgestalt aus Nikolaj Gogols Novelle Ivan Fjodorovič Šponjka und sein Tantchen, 1832, aus Band II der Sammlung Abende auf dem Vorwerk bei Dikanjka, 1834.

5

Zitat aus einer Arie aus der Oper Tancredi (1813) von Giacchino Rossini (1792–1868).

6

Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493–1541), Autorität als gelehrter Alchemist, Astrologe, Mystiker und Philosoph; Graf Ga – balis: Le comte de Gabalis ou Entretiens des sciences secrètes, Paris 1670, anonym herausgegebene Schrift des Abbé Villars de Montfaucon (um 1635–1673), vgl. E. T. A. Hoffmann, Der goldene Topf: «da nach Gabalis und Swedenborg den Elementargeistern durchaus nicht zu trauen» (Zwölfte Vigilie); Arnaldus Villanova (um 1235–1311), scholastischer Arzt, Pharmazeut und Alchemist; Raimundus Lullus: Ramon Llull (um 1230–1316), katalan. Theologe und Mystiker, europaweit bekannt für seine Christusvisionen.

7

Lat. «Dem Wissenden genügt es»; Plautus, Persa, IV, 7;19, geflügeltes Wort.

8

Vgl. einleitende Anm.

9

Zwiebelpflanzenart auf kurzen traubigen Blütenständen, mit durchdringend süßem Geruch.

10

Walrat, Fettsubstanz, auch Öl, Spermöl, das an der Luft schnell ranzig wird, vgl. Prinzessin Mimi.

11

Varnhagen übersetzt «kräftigende Wanne»; Heilmethode aus der fernöstlichen (tibetischen) Medizin, wonach die kräftigenden Substanzen der Bouillon auch durch die Haut aufgenommen werden.

12

Lat. «Angesicht», «Antlitz».

13

Zur Erleichterung der Lage der leibeigenen Bauern dem Belieben des Leibeigenenbesitzers anheimgestellte Reform (vor Aufhebung des Leibeigenenregimes 1861): Umwandlung des Frondiensts in ein rechtsgültiges Pachtverhältnis.

14

Der berühmte «Schlafrock» (turkotatar. Wort).

PRINZESSIN MIMI

 

Erstveröffentlichung: Biblioteka dlja čtenija (Bibliothek zur Lektüre), 1834, Buch Nr. 7.

1

Frz. «Caesars Frau muss über jeden Verdacht erhaben sein.»

2

Prinzessin Mimi ist wie Prinzessin Zizi eine Tochter des Fürsten Tugouchovskij (Schwerhörig) aus Aleksandr Griboedovs klassischer Gesellschaftskomödie Weh dem, der denkt aus dem Jahre 1824, posthum uraufgeführt in zensierter Gestalt in St. Petersburg 1829; Griboedov lebte von 1795 bis 1829. Der Text der Komödie war jedoch in Abschriften verbreitet und begründete Griboedovs Ruhm als einen der ersten russischen Dichter. In der Komödie haben die Prinzessinnen jeweils einen albernen Satz im III. und im IV. Akt, 7. Szene.

3

Verweis auf den hohen Anteil Deutscher und Baltendeutscher in der russ. Verwaltung, im Militär.

4

Frz. «Halten Sie sich rechts.»

5

Von russ. granica: «Grenze» –«der über die Grenze gekommen ist», «Grenzgänger».

6

Russ. auch in der Bedeutung von «Affäre», «Liebesgeschichte »,«Romanze».

7

Vgl. frz. ravir: 1. «gewaltsam nehmen», «entführen»; 2. «bezaubern», «entzücken».

8

Im alten Griechenland die den Frauen abgeteilten Räume im Haus; später auch Harem des Kaisers, in dem die Frauen für ihn weben mussten.

9

Von russ. rif: «Riff», «Klippe»; rifit’: «reffen».

10

Diminutiv von Marija.

11

Stehpult des Priesters in der russ. – orthodoxen Kirche.

12

Vgl. Goethes Faust I.

13

Frz. «Man plaudert, man lacht, man ist glücklich.»

14

Für russ. obed, nicht das Mittagessen, sondern die Hauptmahlzeit, die gegen fünf Uhr nachmittags eingenommen wurde.

15

Seitenhieb auf Faddej V. Bulgarin (1789–1859) und dessen «satirisch – sittliche» Romane nach fremden Mustern; verschärft ist der Spott durch den Hinweis auf die nichtadelige Herkunft Bulgarins: Gesellschaft, «zu der sie keinen Zutritt haben».

16

Russ. skvernyj: «mies», «miserabel».

17

Wohnzelt mittelasiatischer Nomadenvölker.

18

In Weh dem, der denkt; Hr. N. und Hr. D., die letzten im Personenverzeichnis, haben im III. Akt, 14 und 15, einen einzigen Auftritt, in dem sie das Gerücht verbreiten, der Räsonneur und Spötter, Held Čackij, sei wahnsinnig geworden.

19

Verballhornung von Vincenzo Bellini (1801–1835), ital. Komponist, nach dem das Opernpublikum verrückt war, sehr zum Ärger des Musikkritikers Odoevskij, der den Ausdruck prägte: « Eine Zeit lang bellinierte unser Opernpublikum».

20

Romantisches Drama von Alexandre Dumas père (1802–1870), auf Petersburger Bühnen ab 1832.

21

Achter Rang in der russ. Beamtenhierarchie.

22

Staatsrat, vierte Rangklasse.

23

Partie im Whistspiel; bei Odoevskij: «Robbert».

24

Beim Whist die angespielte Farbe nicht bedienen, Farbe nicht bekennen.

25

Meint die tonangebende Strömung in St. Petersburg, Bulgarin u. a. mit ihren «satirisch – sittlichen» und pseudohistorischen Romanen; sie hatte Gogol 1836 in Buch I des Puškinschen Sovremennik (Der Zeitgenosse) einer scharfen Kritik unterzogen; in Heft III schrieb auch Odoevskij eine Philippika gegen sie: Über die Feindschaft gegen die Aufklärung.

26

Pierre de Bourdeille, seigneur de Brantôme (1527–1614), Staatsmann und Autor galanter Geschichten.

27

Vasilii Kirillovič Trediakovskij (1703–1768), russ. Dichter, Übersetzer der Voyage de l’Isle d’Amour (1663) von Paul Tallemant (1642–1712).

28

Frz. «wenn du mich weinen machen willst».

29

Im «eingeschobenen Kapitel» der Odyssee, in dem Hephaistos Kriegsgott Ares und seine untreue Frau Aphrodite fesselt.

30

Frz., weibliches Kleidungsstück, Überwurf.

31

Frz. «Das heißt auf der Höhe seiner Zeit sein.»

32

Im Original dt.

33

Bewohner der Inselkette zwischen Alaska und Kamčatka, hier im Sinne von: Eingeborenen.

34

Meint das 8. Kapitel des Versromans Evgenij Onegin, Str. XV: «in Londons höchsten Kreisen / wird vulgär er genannt».

35

Frz., Fachsprache des Theaters, Rollenfach: der Naive.

36

Stéphanie – Félicité Du Crest de Saint – Aubin, Marquise de Sillery, Comtesse de Genlis (1746–1830), frz. Pädagogin und Romanautorin.

37

Mesmerscher Magnetismus, benannt nach seinem Begründer, dem in der Puškinzeit viel diskutierten Franz Anton Mesmer (1734–1815).

38

Evariste Désiré Desforgues Parny (1753–1814), frz. Dichter, Klassiker der Epoche Ludwigs XVI., be – wundert von Chateaubriand und Béranger.

39

Jeremy Bentham (1748–1832), brit. Jurist, Begründer des Utilitarismus: des Nutzens als Grundlage für die Moral und das größtmögliche Glück einer größtmöglichen Zahl von Menschen; als Gegner dieser Lehre schrieb Odoevskij die symbolisch – utopische, 1839 im Sovremennik veröffentlichte Satire Die namenlose Stadt.

40

Die Napoleonischen Kriege erfuhren 1812 mit dem Überfall auf Russland und dem Brand Moskaus ihre Wende.

41

Tatar. auch «Arkalyk»: enger Rock, Hausrock.

42

Anspielung auf Renée – Caroline de Frontallamy, Marquise de Créqui (1714–1803), frz. Salondame, jung verwitwet und als geistreich berühmt.

43

Walrat, Fettsubstanz, auch Öl, Spermöl, das an der Luft schnell ranzig wird.

44

Das heutige Lettland, seit dem Frieden von 1721 russ. Ostseeprovinz mit der «deutschen» Universität von Dorpat, bevorzugtem Ziel russ. Elitestudenten; im russ. Verständnis: Ausland.

45

Frz. «… die Zukunft liegt nicht in des Menschen Hand, Majestät, die Zukunft liegt bei Gott.»

46

Frz. «Sie werden mich mit ich weiß nicht was für moralischen Gemeinplätzen langweilen, die alle im Munde führen und die lauthals verkündet werden, vorausgesetzt, niemand ist gezwungen, sie zu befolgen.» –«Aber wenn die Leute sich ins Laster stürzen?» –«Das ist standesgemäß.» – Rameaus Neffe, Dialogroman von Denis Diderot (1713–1784), erschienen 1813 (Übersetzung v. Caroline Vollmann).

PRINZESSIN ZIZI

 

Erstveröffentlichung: Otečestvennyja zapiski (Vaterländische Annalen), 1839, Buch I. Geschrieben vor 1836.

1

Vermutlich ironisch gemünzt auf Odoevskijs ehemalige Freunde aus dem Kreis der Ljubomudry (Weisheitsfreunde), die im engl. Stil zu Geschäftsleuten, Fabrikbesitzern geworden waren; vgl. Prinzessin Mimi, Anm. 39.

2

Frz. «und der Baron ist (um Themen) verlegen».

3

Anspielung auf die sog. «sentimentale» Schule, Vorläuferin der russ. Romantik.

4

Vgl. Griboedov, Weh dem, der denkt: Čackij im Schlussmonolog des III. Akts: «Selbst bei Chinesen sollte uns ein wenig int’ressieren / Die Weisheit ihrer Unkenntnis von Ausländern.»

5

Griboedov verballhornt den Vornamen Zinaida (abgeleitet v. griech. «Zeug», gen. «Zenon») zu ihrem «vornehmen» französelnden Diminutiv Zizi.

6

Im Moskauer Archiv für Altertümer; gemäß Befehl aus dem Jahr 1811 durften dort Beschäftigte sich in anderen Behörden oder bei Privatpersonen nach alten Dokumenten umsehen, um sie dem Archiv zu übergeben. Stehender Begriff der Puškinzeit, auch Odoevskij war eine Zeit lang Archivjüngling.

7

Russ. gorodok: «Kleinstadt», was auf G.s Herkunft verwiese.

8

Für: «Provinz», Hauptstadt der Tataren.

9

Schärpen, Shawls.

10

Russ. rak: «Krebs»; rakita: «Silberweide».

11

Nikolaj Michailovič Karamzin (dt. «der Ganze»; 1761–1826), russ. Schriftsteller und Historiograf: Geschichte des russischen Staates; begründete die «sentimentale Schule» in Russland mit der Erzählung Die arme Liza.

12

Josèphe de Laporte (1713–1779), frz. Schriftsteller, ehemaliger Jesuit; Verfasser des Le voyageur français ou la connaissance de l’ancien et du nouveau monde (1765–1795), 26 Bände.

13

Meint den Moskauer Vestnik Evropy (Boten Europas), eine 1802–1830 in Moskau erschienene Halbmonatsschrift, in der u. a. Žukovskij, Deržavin, I. Dmitriev publizierten; nicht zu verwechseln mit der St. Petersburger Zeitschrift gleichen Titels, die ab 1866 Turgenev, Gončarov u. a. veröffentlichte.

14

Berühmter, auch in Russland viel gelesener Briefroman von Samuel Richardson (1689–1761), 1748 erschienen, 8 Bände.

15

Vasilij Andreevič Žukovskij (1783–1852), vielleicht populärster russ. Lyriker der Zeit, Übersetzer von Goethe, Homer, Schiller, als Erzieher der Zarensöhne einflussreiche Person bei Hofe, unterhielt wie Odoevskij jahrzehntelang einen literarischen Salon in St. Petersburg.

16

Vorname in iron. Spiegelung zum Familiennamen, Vladimir: «Beherrsche die Welt»; Lukjanovič vom Vornamen Lukjan, lat. lux, «das Licht».

17

Zweigeschossiges Handelszentrum in St. Petersburg mit zahlreichen Läden und Geschäften am Nevskij Prospekt.

18

Silbenrätsel der simplen Art.

19

Von griech. paraskene: «Freitag», Fastentag der russ. – orthodoxen Kirche; Diminutive des Vornamens: Paša, Pašenjka.

20

Russ. rad: «Freude», auch: «Mühe»; hiervon radet’: 1. «sich sorgen», «sich eifrig bemühen»; 2. «etwas zur falschen Zeit tun».

21

Die Post kam im Russland jener Zeit nicht täglich, sondern nur zweimal wöchentlich.

22

Frz. «sicheres Auftreten», auch: dreist.

23

Bedeutet: Er ist eigentlich ein armer Schlucker, womit die Intrige im Weiteren begründet ist.

24

Hauptthema der literarischen Diskussionen der Puškinzeit: der Gegensatz von Klassik und Romantik.

25

Russ. «der Herr» ; stehender Begriff für den Leibeigenenbesitzer alten Zuschnitts.

26

Frz. un poète manqué: «ein verhinderter Dichter»; bei Childe Harold’s Pilgrimage handelt es sich um ein episches Gedicht Lord Byrons, entstanden 1812–1818.

27

Benannt nach Christian – Wilhelm Hufeland (1762–1836), dt. Mediziner und Arzt, der sich um die Bekämpfung der Blattern verdient machte.

28

Silvio Pellico (1789–1854), ital. Schriftsteller; gemeint ist eine zeitgenössische russ. Übersetzung der Schrift Dei doveri degli homini, die Puškin besprochen hatte als «Evangelium», das zu lesen «ein ewig neues Vergnügen» sei.

29

Johann Gaudenz Freiherr von Salis – Seewis (1762–1834), Schweizer Staatsmann und romantischer Dichter. Der Name des russ. Übersetzers ist nicht bekannt.

30

Lat. «Beratung» eines Krankheitsfalls durch mehrere Ärzte.

31

Im Russ. komisch und provinziell klingender Name, von lat. flos, floris: «Blume».

32

Vgl. Aleksandr Puškins dramatisches Gedicht Rusalka, 1. Szene; Der Fürst: «Mein lieber Freund, du weißt: / Auf dieser Welt ist auf kein Glück Verlass …»

33

Sprichwort, im Russ. wörtlich: «Bares ist heilig.»

34

Freikauf war schon zu jener Zeit möglich, aber diesen Handel vornehmen durfte natürlich nur der Besitzer, nicht der Verwalter.

35

Frz. «Wie denn das! wir werden ihn zwingen, es zurückzugeben, der aufgerissene Rachen.»

36

Vgl. Puškins Fragment über Prosa: «Genauigkeit und Kürze, das sind die ersten Eigenschaften der Prosa. Sie verlangt Gedanken und nochmals Gedanken – ohne sie sind die glänzendsten Ausdrücke nichts wert.»

Nachwort

«Was ist das Schlimmere an ihnen –
die Seelen oder ihre Zungen?»

Aleksandr Griboedov

Aleksandr Puškins tragischer Duelltod im Januar 1837 ist unzählige Male beschrieben worden, sei es in Romanform, sei es als soziologische Analyse, als kriminalistische Recherche – doch niemand, kein noch so gelehrtes Werk, nicht einmal Jurij Lotmans bewundernswertes Buch über den russischen Adel hat uns ein so eindrucksvoll – lebendiges Bild von der Atmosphäre jener «besseren Gesellschaft» der Zeit vermittelt wie Fürst Odoevskij (sprich: Adòjevskij) mit diesem Doppelporträt der Prinzessinnen Mimi, 1834, und Zizi, 1839. Dieses Hohelied der Heuchelei und Verlogenheit macht geradezu sinnlich fassbar, woran Puškin – und nicht nur er – allmählich erstickt ist: an der unentrinnbaren Enge jener Welt der Konventionen und des schönen Scheins. Und diese Welt, deren Teil er war, kannte Fürst Odoevskij von innen wie kaum ein anderer.

In der russischen Literatur, die sich zu Beginn der 1830er – Jahre in der Übergangsphase von der Lyrik, als deren Vollender Puškin gilt, hin zur erzählerischen Prosa befand, bedeutete Odoevskijs Doppelnovelle einen neuen, von Puškin selbst hochgeschätzten eigenen Ton: Prinzessin Mimi und Prinzessin Zizi bezeichnen den Beginn der «realistischen» gesellschaftspsychologischen Analyse. Sie bereiten den Boden für Romane wie Anna Karenina (zu dem sich Lev Tolstoj übrigens durch ein Prosafragment Puškins inspirieren ließ), und nicht ohne Grund steht dem Erstling Dostoevskijs, dem Briefroman Arme Leute 1847, der den Autor mit einem Schlag berühmt machte, ein Motto aus ei – ner Novelle des Fürsten Odoevskij voran.

Fürst Vladimir Fëdorovič Odoevskij lebte von 1803 bis 1869. Aus einem der ältesten Adelsgeschlechter Russlands stammend, war er einer der gebildetsten und am vielseitigsten begabten Männer seiner Zeit, nicht nur als Schriftsteller und Literaturkritiker: Odoevskij, selbst ausübender Musiker, war auch ein versierter Musikkritiker, der für die Verbreitung der Werke Beethovens in Russland eintrat und der sich, als einer der belesensten Männer, gleich Doktor Faustus für die vergessenen Wissenschaften des Mittelalters wie Alchimie, Mystik und Okkultismus ebenso interessierte wie für die neue deutsche Philosophie oder für die Werke E.T.A. Hoffmanns, dessen ironische Phantastik ihm verwandt war und die er bewunderte: Die Russischen Nächte, Odoevskijs bekanntestes Werk aus dem Jahre 1844, folgen in ihrem definitiven Aufbau Hoffmanns Serapions-Brüdern.

Doch damit wären Odoevskijs Rolle und Bedeutung in der russischen Literatur, genauer der Prosa, nur unzureichend beschrieben. In die Diskussion, besser gesagt in den zu Beginn der 1830 er – Jahre ausgefochtenen Streit um das Recht russischer Erzähler auf originär russische Themen und Typen, um ihr Recht, sich mit der russischen Gesellschaft ihrer Gegenwart auseinanderzusetzen, hat Odoevskij als Autor ebenso wie als Kritiker – u. a. in Aleksandr Puškins berühmter Zeitschrift Der Zeitgenosse (Sovremennik) 1836 – lebhaft eingegriffen, etwa mit dem polemischen Aufsatz Über die Feindschaft gegen die Aufklärung, in dem er das faule Erfolgsrezept Petersburger «Roman» – Autoren offenlegte: Man nehme einen französischen Roman, setze russische Namen ein und sehe hin: «Es ist immer noch dasselbe französische Melodram.» Die Petersburger Erfolgsautoren, allen voran der Romane schreibende Kritikerpapst Bulgarin, Autor der «abenteuerlichen und romantischen Geschichten des Iwan Wyschygin, oder der russische Gilblas» (auf Deutsch herausgegeben von A. Kaiser, erschienen 1830 in Leipzig bei Wilhelm Rauck), dürften verstanden haben.

Aleksandr Puškin, dem gemeinhin die Einführung der Volkssprache in die russische Literatur, gleichsam als persönliche Einzelleistung, zugeschrieben wird, hatte dies in seinem romantischen Märchen und in seinem chef-d’œuvre, dem Versroman Evgenij Onegin, vorexerziert; er stand damit jedoch keineswegs allein. Die Volkssprache hatte bereits der «russische Lafontaine», der Fabeldichter Ivan Krylov (1768–1844), meisterlich eingesetzt; in vorzüglichem umgangssprachlichen Russisch ist Aleksandr Griboedovs geniale Gesellschaftskomödie Weh dem, der denkt 1824 gehalten, der Odoevskij die Titelfiguren seiner beiden Novellen entlehnt hat. Im zweiten und im dritten Akt der Komödie Griboedovs treten Fürst Tugouchovskij (der Name bedeutet so viel wie «schwerhörig») und Gattin nebst «ihren sechs Töchtern» auf, von denen nur zwei einen Namen tragen: Zizi und Mimi.

Erst daraufhin folgte, gleichsam wie eine Sternstunde, die Geburt der russischen Prosa 1831, mit den Erzählungen des verstorbenen Ivan Petrovič Belkin, «herausgegeben von A.P.», also Puškin, und, im selben Jahr, Band I der «kleinrussischen Novellen» Nikolaj Gogols, Abende auf dem Vorwerk bei Dikanjka, «herausgegeben vom Imker Rudyj Panjko». Der Dritte im Bunde war 1833 Fürst Odoevskij, der, mit Puškin ebenso bekannt wie mit dem sechs Jahre jüngeren Gogol, seine Bunten Märchen veröffentlichte, wobei er sich, wie Puškin und Gogol, hinter einem Pseudonym «Irinej Modestovič Gomozejko» versteckte. Odoevskij, der 1830 die «Künstlernovelle» Beethovens letztes Quartett und 1832 die Opere des Cavaliere Giambattista Piranesi publiziert hatte, ist in diesen seinen Märchen in der Tat «bunt»: Neben hoffmannesken, grotesk – komischen Szenen aus der Petersburger Gesellschaft, etwa Das Märchen darüber, wie gefährlich es für junge Mädchen ist, scharenweise über den Nevskij Prospekt zu gehen, stehen phantastisch – komische Szenen aus dem Volksleben, die an Puškins Erzählung vom Sargschreiner denken lassen, etwa das hier in die Auswahl aufgenommene Märchen vom toten Körper, unbekannt, wem gehörig.

Aus dem Umkreis dieser Märchen dürfte ein Entwurf stammen, der der Novelle Prinzessin Mimi zuzuordnen ist und der für den Charakter der Titelheldin eine bemerkenswerte Erklärung liefert: Im Keller ihres Hauses «wohnte eine höchst ehrenwerte Familie von Teufeln, die sich mit den schönen Künsten befassten: der Vater fabrizierte Seifenblasen, die Mutter verbreitete Klatschgeschichten, und die Tochter sang sehr ausdrucksvoll Di tanti palpiti»; in diesen Keller drang ein Dämon «von sehr schlechten Manieren ein, der mit seinem Schwanz Fortepiano spielte und, in der Sprache der Mehlhändler sprechend, einer ‹russischen Novelle› entsprungen schien». Dieses phantastische Element, zugleich ein Seitenhieb auf die Petersburger «Verfasser», hat Odoevskij in der definitiven Fassung der Prinzessin Mimi wohlweislich gestrichen. – Unter den Zeitgenossen war Odoevskijs Novelle überaus populär; der Kritiker V.G. Belinskij nannte diesen Text «eine der besten russischen Novellen».

Prinzessin Zizi, geschrieben vor 1836, hatte Fürst Odoevskij Aleksandr Puškin – für dessen Almanach Sovremennik – übergeben, der diese Novelle als «prächtige Sache» bezeichnete: «Natürlich enthält Prinzessin Zizi mehr Wahrheit als die Sylphide. Aber jede einzelne ihrer Gaben ist ein kostbares Gut.»

Als Vladimir Odoevskij 1844 seine Gesammelten Werke in drei Bänden herausgab, darunter die zum Zyklus Russische Nächte neu geordneten Künstlernovellen, stellte der Kritiker Belinskij lako – nisch fest, Odoevskijs klangvoller Name sei heute «bekannter als das Werk», und dieses ist bis 1869, dem Todesjahr seines Autors, nie wieder aufgelegt worden. In den Jahrzehnten, in denen Belinskijs radikale Schüler in der literarischen Kritik das Wort führten, geriet es in Vergessenheit, und schon das maßgebliche enzyklopädische Wörterbuch der Čechovzeit bedauert, dass es sich bei dieser Werkausgabe um ein «bibliophiles Rarissimum» handele. In den Zeiten nach 1917 galt der Fürst nur mehr als «mystischer Denker, der gegen Materialismus und Demokratisierung feindselig» eingestellt gewesen sei – eine grobe Klitterung: Odoevskij hat wie kaum ein anderer seines Standes das Reformwerk Alexanders II. begrüßt und sich die Feindschaft der Aristokraten zugezogen – und dessen «talentierte Novellen, vereinigt in den Russischen Nächten (1844), durchdrungen sind von idealist. Romantismus» (Kleine Sowjetenzyklopädie, Bd. VI, 1930). Von einer historisch – kritischen Gesamtausgabe sind wir, demnach, heute weiter entfernt denn je. Zu Unrecht, denn der Fürst gehört mit seinem formal wie inhaltlich avancierten Erzählwerk in die vorderste Reihe der russischen Klassiker. Karl August Varnhagen von Ense, der im hohen Alter Russisch lernte, um Aleksandr Puškin im Original lesen zu können, hatte dafür ein feines Gespür und übersetzte für den Freihafen 1839 Odoevskijs Sylphide ins Deutsche.

Sie alle – ob Turgenev, ob Tolstoj, ob Dostoevskij – haben Vladimir Odoevskijs Nähe gesucht, seine Freundschaft und den geistigen Austausch mit ihm geschätzt. Dostoevskij bekannte 1861 in einem Brief, dass er ihn «sehr verehre und viele seiner Werke liebe». Mit Odoevskijs Erzählungen Der Brigadier und Sebastian Bach wird Lev Tolstojs Lebender Leichnam in Verbindung gebracht, und auf Ivan Turgenevs Prosagedicht Genug antwortete Odoevskij in späten Jahren mit dem Aufsatz Nicht genug. Anton Čechov, dem Verschlossenen, der über seine literarischen «Väter» so ungern Auskunft gibt, dürfte Odoevskij gleich zwei Mal beim Finden eines Buchtitels Pate gestanden haben: Čechovs erste Erzählsammlung, 1884, illustriert von seinem Bruder Nikolaj, hießen Märchen der Melpomene, die zweite, 1886, waren die Bunten Erzählungen .

Mehr noch entzückt haben dürfte Anton Čechov – und nicht nur ihn – der leichte, elegante, bisweilen spöttische Ton des Fürsten in seinen Stücken aus dem Adelsleben, seien es Der schwarze Handschuh, Das Gespenst oder Die Sylphide, sei es der Blick ins Dasein des kleinen Beamten auf dem Lande – im Märchen vom toten Körper, unbekannt, wem gehörig. Der geschliffene Stil des Fürsten Odoevskij, seine Fantasie und seine Beobachtungsgabe sind frisch geblieben wie am ersten Tag – was nicht zuletzt damit zu tun haben dürfte, dass uns «Eigenschaften» wie Ehrsucht, Eitelkeit, Geiz und Eigennutz, Bosheit und Niedertracht seither keineswegs fremd geworden sind.

 

Peter Urban

Editorische Notiz

Alle Erzählungen des Bandes wurden übersetzt nach der Ausgabe: V.F. Odoevskij, Sočinenija v dvuch tomach, Werke in zwei Bänden, hg. v.V.I. Sacharov, Moskau, Chudožestvennaja literatura, 1981; Band 2, Novellen [Povesti]. Diese Ausgabe stützt sich auf die dreibändige Werkausgabe von 1844 und reproduziert Odoevskijs Texte «unter Berücksichtigung der später erfolgten Redaktion durch den Autor». Kursivierungen im Text sind Hervorhebungen durch den Autor, bei Fußnoten innerhalb des Texts handelt es sich um Anmerkungen Odoevskijs.

Die Zwillingsnovellen Prinzessin Mimi und Prinzessin Zizi sind mit kürzerem Nachwort bereits 2003 in der Manesse Bücherei – Reihe erschienen; deren Textgestalt wurde für die vorliegende Ausgabe an die aktuell gültige Rechtschreibung angepasst. Alle anderen Erzählungen wurden vom Herausgeber für die Manesse Bibliothek der Weltliteratur neu, zum Teil erstmals ins Deutsche übersetzt und kommentiert.