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© Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg 2003

 

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Cover und Illustrationen von Stefanie Scharnberg

E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin 2014

 

ISBN 978-3-86274-078-9

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Jonathan findet einen Nix und merkt nichts davon

Man stelle sich vor, Papa und Jonathan hätten in diesem Sommer nicht Urlaub an der Ostsee gemacht! Dann hätte Jonathan den Nix niemals kennengelernt, und das wäre doch schade gewesen.

Aber zum Glück sind sie wieder auf Olivers Campingplatz gefahren, und da fährt Jonathan sowieso immer am liebsten hin.

»Eigentlich könnte man ja erwarten, dass ich in meinem Alter auch endlich mal ans Mittelmeer fliegen könnte«, hat Papa gesagt. Und Jonathan hat gesagt, dass man das in seinem Alter eigentlich auch langsam mal erwarten könnte.

Aber sie haben es trotzdem nicht gemacht. Weil Papas Auto nämlich kaputtgegangen ist, und da mussten sie sich ganz kurz vor dem Urlaub ein neues kaufen.

»Und du verstehst doch, dass das Mittelmeer dann nicht mehr drin ist, Jonathan«, hat Papa gesagt. »Du ahnst ja nicht, was so ein Auto kostet.«

Das ahnt Jonathan wirklich nicht, aber er durfte trotzdem mit Papa losgehen und ein Auto aussuchen, und dann haben sie einen roten Japaner genommen, der noch fast ganz neu war. Papa und Jonathan haben ihn beide am besten gefunden.

»Aber einen ganz Neuen würde ich noch besser finden«, hat Jonathan gesagt. »Und einen Größeren auch.«

Da hat Papa geseufzt und gesagt, ein ganz neuer Großer ist so teuer, da müssten sie in den nächsten hundert Jahren jeden Tag trocken Brot essen.

»Und das willst du doch nicht, was, Sohn?«, hat Papa gesagt.

Darum haben sie das fast noch ganz neue Auto genommen, und nun können sie immer noch Käse auf ihre Brote legen, aber in die Sonne fliegen können sie nicht mehr.

»Du fährst ja sowieso immer am liebsten zu Olivers Wohnwagen, oder, Jonathan?«, hat Papa gesagt, und da hat Jonathan gemerkt, wie er so ein ganz warmes, glückliches Gefühl gekriegt hat.

»Am allerliebsten«, hat er gesagt.

Oliver ist Papas bester Freund, und er ist fast reich. Jedenfalls so reich, dass er einen Wohnwagen auf einem Dauercampingplatz an der Ostsee hat, und wenn Sommerferien sind, können Papa und Jonathan den immer für ganz wenig Geld mieten.

»Am allerallerallerliebsten fahr ich da hin«, hat Jonathan gesagt, und an dem Abend konnte er vor lauter Freude und Aufregung fast nicht einschlafen.

Und natürlich wird es wieder ganz genauso schön, wie es das an der Ostsee immer ist. Jeden Morgen fahren Papa und Jonathan mit dem Fahrrad zum Brötchenholen, und nach dem Frühstück spielt Jonathan mit Jasmin, die mit ihrer Oma und ihrem Opa in einem altmodischen Wagen eine Reihe hinter ihnen wohnt und leider eine alte Bestimmerin ist. Aber an der Ostsee findet Jonathan das nicht so schlimm.

Mittags macht Papa im Wohnwagen eine schnelle Dose warm, und nachmittags spielt Jonathan wieder mit Jasmin. Einmal ist ihm dabei eingefallen, dass Papa nun bestimmt wieder die ganze Zeit allein im Vorzelt sitzt und liest, und plötzlich hat Papa ihm so leidgetan in seiner Einsamkeit, und er hat Jasmin weiterbuddeln lassen und ist schnell zum Wohnwagen geflitzt.

»Da bin ich«, hat Jonathan gesagt.

Papa hat von seinem Buch hochgeguckt. »Hallo, Sohn«, hat er gesagt. Aber das Buch hat er nicht zugeschlagen.

»Vermisst du mich nicht?«, hat Jonathan gefragt.

Papa hat ihn nachdenklich angeguckt. »Bist du deshalb gekommen?«, hat er gefragt.

Jonathan hat genickt. »Ich hab jetzt Zeit«, hat er gesagt.

Da ist Papa aufgestanden und hat ihm durch die Haare gestrubbelt. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch ein bisschen lesen«, hat er gesagt, und da ist Jonathan wieder zu Jasmin zurückgesaust und hat sich ganz wunderbar fröhlich gefühlt. Jasmin hatte noch nicht mal gemerkt, dass er verschwunden war. Sie hat versucht, ganz alleine einen Damm gegen die Ostsee zu bauen.

Aber dann ist der Urlaub eines Tages doch zu Ende.

»Können wir nicht noch ein klitzeklitzekleines bisschenbleiben, Papa?«, fragt Jonathan. »Nur so sagen wir mal drei Stunden? Oder vier, fünf?«

Papa lacht. »Alles Schöne hat mal ein Ende«, sagt er. »Darum soll man glücklich sein, solange es dauert, Sohn.«

Und glücklich ist Jonathan ja eigentlich die ganze Zeit.

Aber zu Jasmin muss er doch schnell noch sausen, die jetzt mutterseelenalleine am Strand sitzt und sich Sand über die Beine kippt.

»Tschüs, Jasmin«, sagt Jonathan. »Ich muss jetzt leider fahren.«

»Ich bleib noch und bleib und bleib«, sagt Jasmin. »Ätschi.« Aber dann merkt sie vielleicht selber, dass das zum Abschied nicht so richtig nett war, und sagt noch schnell: »Du hast deine Muscheln vergessen.«

Was für ein Glück! Den ganzen Morgen hat Jonathan mit Jasmin Muscheln gesucht und sie in seinen kleinen alten Sandeimer getan, für den man mit fast acht vielleicht schon beinahe zu groß ist; aber zum Muschelsammeln ist er eigentlich noch gut. Und nun steht der Eimer immer noch am Strand neben einem riesigen Badelaken mit einer Mickymaus drauf, auf dem liegt ein junges Mädchen im Bikini und mit Schminke im Gesicht und einer ganz dicken Gänsehaut und hört mit geschlossenen Augen und Kopfhörern Musik aus dem Discman. Da schnappt Jonathan sich den Eimer einfach blitzschnell und rennt zu Papa zurück. Der ist schon fast ein bisschen ungeduldig geworden.

Und erst als sie an der Autobahn anhalten, weil Jonathan dringend mal muss und es wirklich nicht mehr bis zu Hause aushalten kann, bemerkt Papa den Eimer.

»Was ist das denn?«, fragt Papa. »Wieso steht der denn unter deinem Sitz? Ich denk, ich hab den vorhin in den Kofferraum gepackt?«

Und dann macht er die Kofferraumklappe auf, und tatsächlich, da steht der Eimer voller Muscheln zum zweiten Mal.

»Manno!«, ruft Jonathan erschrocken. »Zwillinge!«

»In der Tat«, sagt Papa. »Irgendwem hast du einen Sandeimer geklaut, Sohn.«

Jonathan schlägt sich die Hand vor den Mund. »Wir müssen zurückfahren, Papa, schnell!«, sagt er aufgeregt. »Der gehört dem Bikini-Mädchen! Ich hab nur gedacht, dass das meiner ist!«

Papa hat sich schon wieder hinter sein Steuer gesetzt und die Tür zugeschlagen. »Daraus wird nichts«, sagt er. »Du weißt, ich bin immer für Ehrlichkeit. Aber jetzt müssen wir nach Hause. Ich kann Oliver den Eimer ja geben, der nimmt ihn dann mit, wenn er das nächste Mal zu seinem Wohnwagen fährt. Der hat bestimmt nichts dagegen, ein Bikini-Mädchen zu suchen. War sie hübsch?«

Jonathan denkt einen Augenblick nach. Er weiß ja, dass er noch keinen richtig erwachsenen Geschmack hat. Tomaten mit Zwiebeln mag er zum Beispiel auch nicht. Und meistens findet er auch genau die Mädchen besser, die Papa langweilig findet.

»Sexy, glaub ich«, sagt er nachdenklich.

»Na, dann müssen wir ja kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir Oliver mit ihr belästigen«, sagt Papa und lacht. »Vielleicht hast du da ja sogar eine junge Liebe gestiftet.«

Und keiner von beiden hört, wie es zwischen den Muscheln im Eimer ärgerlich raschelt.

Jonathan merkt immer noch nichts

Zu Hause packt Papa die Koffer aus und stopft die schmutzige Wäsche in die Waschmaschine. Dann geht er auf den Balkon, um Jonathans schmutzige Schuhe zu putzen, und dabei verteilt er überall auf dem Boden den letzten Rest Sand von der Ostsee.

»Jonathan?«, sagt Papa. »Du kannst schon mal deinen Ranzen packen. Was du so brauchst am ersten Tag. Morgen geht der Ernst des Lebens wieder los. Und abends bin ich leider gleich verabredet.«

Jonathan seufzt. Das weiß er ja selber, dass morgen der Ernst des Lebens wieder losgeht. Da muss Papa ihn gar nicht erinnern.

»Und, Jonathan?«, ruft Papa. Wenn die Waschmaschine im Bad so laut rumpelt, kann man ihn gar nicht gut verstehen. »Vergiss nicht den Eimer! Gleich bringen wir Oliver den Schlüssel zurück.«

Da geht Jonathan ins Badezimmer, wo auf dem Fußboden die beiden Muscheleimer stehen. Eimerholen ist ja tausendmal besser als Schulsachenholen.

Zuerst muss Jonathan einen Augenblick überlegen, welcher Eimer der richtige ist, aber dann sieht er es genau. Das Bikini-Mädchen hat seinen Eimer vielleicht noch nicht so lange. Der Bikini-Mädchen-Eimer hat keinen einzigen Kratzer. Und Jonathans eigentlich eine ganze Menge.

»Jonathan?«, sagt Papa auf dem Flur. »Bist du so weit?«

»Ich komme!«, ruft Jonathan und schnappt sich den Eimer, aber dann bleibt er plötzlich noch einmal stehen. Weil er etwas gehört hat nämlich, ein Scheppern, als ob Muscheln gegeneinanderscheuern; aber nicht in dem Eimer, den er jetzt in der Hand hält. Da wäre es ja kein Wunder. Wenn man einen Eimer schüttelt, können die Muscheln schon mal gegeneinanderrasseln.

Aus dem anderen Eimer ist das Scheppern gekommen, aus Jonathans altem zerkratzten Sandeimer, der auf dem Fußboden steht und sich überhaupt nicht bewegt. Da können die Muscheln doch wohl nicht scheppern!

»Jonathan?«, ruft Papa wieder vom Flur, und jetzt klingt seine Stimme schon ein bisschen ungeduldig. »Was tust du denn da so lange?«

Jonathan starrt auf den Eimer auf dem Boden. Wenn der Eimer ganz still steht, da können die Muscheln doch wohl nicht scheppern?

Und genau in diesem Moment fängt die Waschmaschine an zu schleudern. Wwwwrmmmm!, macht die Waschmaschine. Wwwwrrrmmm!, und sie schleudert so heftig, dass sie richtig anfängt zu wackeln und die Waschmittelpackungen, die obendrauf stehen, ganz gefährlich anfangen zu hüpfen. Wenn eine zu dicht am Rand steht, kippt sie vielleicht sogar runter.

Jonathan schnauft. Da ist es ja kein Wunder, wenn auch die Muscheln im Eimer gegeneinanderklappern.

»Ich komme!«, ruft er und läuft zu Papa auf den Flur.

Und beide merken sie nicht, dass jetzt eine Stimme nach ihnen ruft, ziemlich schrill und ziemlich böse.

»Halt!«, ruft die Stimme, und wenn man genau aufpassen würde, könnte man sie sogar über dem Waschmaschinenschleudern deutlich hören. Aber Jonathan und Papa hören eben nicht hin. »Algenpest und Haigebiss! Hört ihr nicht! Hier sitzt noch einer! Menschenmänner! Hört mich keiner?«

»Na dann!«, sagt Papa und schlägt die Wohnungstür hinter sich zu. »Bringen wir Oliver seinen Schlüssel. Und damit ist der Urlaub dann endgültig zu Ende.«

»Schade, oder, Papa?«, sagt Jonathan. »Aber ich hab ja wenigstens meine Muscheln. Zur Erinnerung.« Und er guckt in den Eimer vom Bikini-Mädchen, und als Papa das Auto aufschließt und grade nicht aufpasst, schnappt Jonathan sich noch schnell zwei ganz besonders hübsche Muscheln und steckt sie in die Hosentasche. Die schenkt er morgen in der Schule Leo, als Souvenir aus den Ferien. Leo bringt ihm auch immer was aus dem Urlaub mit.

»Genau, du hast wenigstens deine Muscheln«, sagt Papa. Und beide wissen sie noch immer nicht, dass oben in der Wohnung noch eine ganz andere Ferienerinnerung auf sie wartet.

Sie hätten ja auch mal besser hinhören können.

Jonathan hat einen komischen Traum

In der Nacht wird Jonathan wach, weil er dringend aufs Klo muss. Das muss er sonst nachts eigentlich nie, aber nun hat er abends bei Oliver noch ganz, ganz viel Cola getrunken. Und als Papa ihm seinen Gutenachtkuss gegeben hat, hat Jonathan plötzlich gemerkt, dass er dringend mal aufs Klo gehen müsste. Aber dazu hatte er wirklich keine Lust mehr, wo er doch schon im Bett gelegen hat. Dazu war er wirklich viel zu müde.

Und nun ist Jonathan wach und liegt in seinem dunklen Zimmer und merkt, dass er nicht mehr lange warten kann.

»Ich muss ja gar nicht!«, flüstert er. »Ich muss ja überhaupt gar nicht!«

Aber natürlich weiß er, dass das geschwindelt ist. Wenn er jetzt nicht gleich geht, passiert ihm noch etwas Peinliches. Und das will Jonathan nun ganz bestimmt nicht.

Dass das Zimmer aber auch so dunkel sein muss und so still! Durch das geöffnete Fenster kommen überhaupt gar keine Straßengeräusche, und der Wind bauscht die Gardine, dass sie unheimliche Schatten wirft, die über den Boden kriechen und über die Spielzeugkommode.

»Das ist ja nur die Gardine!«, flüstert Jonathan, weil es manchmal hilft, wenn er sich selber tröstet. Das muss man ja manchmal, wenn kein anderer da ist. »Ich hab sowieso überhaupt keine Angst!«

Aber er weiß leider auch, dass das geschwindelt ist. Am liebsten würde Jonathan jetzt nach Papa rufen, bis der aufwacht, und dann würde Papa kommen und das Licht anschalten, und gar nichts wäre mehr gruselig.

»Papa?«, flüstert Jonathan. Wenn er nur so leise ruft, kann Papa ja nicht schimpfen. Aber wenn er nur so leise ruft, kann Papa ihn auch nicht hören, das ist das Problem. Und wenn Papa ihn hören könnte, würde er bestimmt ziemlich böse werden. Als er Jonathan seinen Gutenachtkuss gegeben hat, hat er extra noch mal gefragt, ob Jonathan nicht noch schnell mal aufs Klo will.

»Nicht dass du mich heute Nacht weckst, weil du mal musst!«, hat Papa gesagt. »Ich bin nämlich todmüde, Sohn! Und morgen muss ich wieder arbeiten!«

»Nee, tu ich ja nicht!«, hat Jonathan gesagt. Da hat er eben noch nicht gewusst, wie dringend es sich in der Nacht anfühlen würde.

Und wenn er Papa nun weckt, wird Papa böse, und morgen früh schimpft er mit Jonathan und sagt, da hat sich mal wieder gezeigt, dass es nicht gut ist, wenn Kinder abends noch so viel Cola trinken. Und in Zukunft darf Jonathan das nicht mehr, und basta.

Jonathan schiebt vorsichtig einen Fuß aus dem Bett. »Die Affen rasen durch den Wald«, singt er. Ganz, ganz leise. Das ist so ein lustiges Lied, und wenn man ein lustiges Lied singt, hat man vielleicht nicht mehr so viel Angst. »Der eine macht den andern kalt!«

Aber dann hört er erschrocken auf zu singen. Der eine macht den andern kalt, das ist ja grässlich! Da wird es einem ja noch viel gruseliger, wenn man das singt!

Und das ist eben genau das Schreckliche. Wenn es einem erst mal gruselig ist, wird alles immer nur noch gruseliger. Und darum muss Jonathan jetzt einen großen Satz machen und zur Tür hechten und das Licht einschalten. Dann fühlt er sich besser.

»Leise rieselt der Schnee«, singt Jonathan. Weihnachtslieder sind überhaupt nie gruselig. Wenn man Weihnachtslieder singt, geht es einem immer gleich besser. »Still und starr liegt der …« Dann schaltet er das Licht an.

»See«, sagt Jonathan, und jetzt weiß er schon gar nicht mehr, warum es ihm eben so unheimlich war. Sogar die Gardinenschatten sind verschwunden, und sein Kinderzimmer ist einfach nur noch sein Kinderzimmer und kein bisschen gruselig. Nur sehr, sehr still.

Das Licht auf dem Flur schaltet Jonathan auch noch an, und dann flitzt er zum Badezimmer. »Weihnachtlich glänzet der Wald«, flüstert er und drückt auf den Lichtschalter. Dann steht er ganz still.

Das Badezimmer ist so unordentlich, nein, wie unordentlich das Badezimmer ist! Und da sagt Papa immer, dass Jonathan aber doch nun wirklich groß genug ist, um sein Handtuch wieder aufzuhängen und die Seife zurück in die Seifenschale zu legen und das Waschbecken ein bisschen auszuspülen, wenn er die Zähne geputzt oder sich die Hände gewaschen hat.

Zu Jonathan sagt er das immer, aber selber macht er so eine Sauerei! Der Muscheleimer ist umgekippt, und alle Muscheln liegen auf dem Boden, und Papas und Jonathans Handtücher liegen zerkrumpelt daneben. Und sogar die Klobürste ist aus ihrem Halter gekippt und liegt auf den Fliesen, und das ist doch nun wirklich eklig. Dass Papa einfach ins Bett geht, wenn er vorher im Badezimmer so ein Chaos gemacht hat!

»Nee, du, aber wirklich!«, flüstert Jonathan und hockt sich aufs Klo.

Und da hört er die Stimme.

»Mach fix, mach fix!«, sagt irgendjemand unten auf dem Fußboden. Ziemlich unfreundlich. Aber zu sehen ist nichts. Zu sehen ist absolut gar nichts. »Hier wartet der Nix!«

»Hallo?«, flüstert Jonathan erschrocken, und es ist doch komisch, dass er eben noch so dringend gemusst hat, dass er dachte, vielleicht schafft er es nicht mal mehr bis zum Klo, und nun hat er es völlig vergessen. »Hallo, ist da jemand?«

»Hier wartet ein Opfer des Missgeschicks!«, sagt die Stimme wieder. Es ist eine unfreundliche Männerstimme, und das ist nun doch wieder gruselig. »Hier wartet verzweifelt – hier wartet – der Nix!«

»Hilfe!«, flüstert Jonathan und fängt fast an zu weinen. »Hilfe, Papa, Hilfe!«

Aber laut rufen mag er auch nicht. Was ist denn, wenn der unheimliche fremde Mann ihn dann packt? Der fremde Mann, der vielleicht sogar ein Geist ist. Unsichtbar ist er ja jedenfalls.

Und dann begreift Jonathan. Dass er so dumm sein konnte!

»Haha, ich bin aber auch vielleicht ein Blödi!«, flüstert er, und weil er so erleichtert ist, fällt ihm auch plötzlich wieder ein, warum er überhaupt ins Badezimmer gegangen ist. »Das ist ja alles nur ein Traum!«

Darüber hat Jonathan mit Papa schon mal gesprochen, dass man im Traum manchmal denkt, alles ist Wirklichkeit. Und dann gibt es gar keine Möglichkeit, rauszukriegen, ob es nun wirklich ein Traum ist oder nicht.

Aber diesmal ist es anders. Diesmal muss es ja ein Traum sein! Unsichtbare Männer, die nachts auf dem Klo nach einem rufen, gibt es in der Wirklichkeit schließlich nicht.

»Alles nur ein Traum!«, flüstert Jonathan erleichtert, und bevor er erledigt, was er eigentlich schon die ganze Zeit erledigen wollte, denkt er noch kurz, dass er dann ja auch gar nicht wirklich auf dem Klo sitzt, wenn nun alles ein Traum ist, und dass er dann morgen früh vielleicht aufwacht und hat ins Bett gepullert. Aber das ist leider nicht zu ändern.

»Na bitte!«, sagt Jonathan und drückt auf die Spülung. Und in dem Augenblick sieht er es.

Nein, wenn Jonathan nicht längst wüsste, dass er einfach nur träumt, würde er jetzt wirklich tot von der Klobrille fallen! Weil vor ihm auf dem Badezimmerboden langsam, ganz langsam etwas aufsteigt, das sieht aus wie Rauch und schlängelt sich vom Boden nach oben in die Luft, und während Jonathan noch überlegt, wer denn bloß im Badezimmer ein Feuer angezündet hat und dass das nun aber wirklich so quatschig ist, dass er keine Sekunde länger mehr glauben kann, dass dies hier vielleicht doch die Wirklichkeit ist, wird der Rauch langsam dichter und dichter und bekommt Farben und Formen, und dabei ächzt und stöhnt er die ganze Zeit.

»So eine Anstrengung!«, sagt der Rauch, aber jetzt ist er schon kein Rauch mehr, sondern ein kleiner Mann mit zotteligen grünen Haaren und einer komischen kleinen Gabel in der Hand. »Und das ist alles nur deine Schuld!«

Jonathan starrt den kleinen Mann an. Jetzt ist es ihm schon ganz egal, ob er träumt oder nicht. Kleine Männer, die nur ungefähr so groß sind wie eine Thermoskanne, können doch wohl wirklich nicht in Jonathans Badezimmer sein! Noch nicht mal im Traum.

»Wer bist du denn?«, fragt er. Vor so einem winzigen Mann hat Jonathan ganz bestimmt keine Angst. Nicht mal, wenn der immerzu mit seiner Gabel fuchtelt.

»Wer ich bin?«, sagt der kleine Mann böse, und jetzt schüttelt er sich, dass die Tropfen auf den Badezimmerboden spritzen. »Wer ich bin? Hab ich dir das nicht eben schon gesagt? Der Nix bin ich! Ich bin der Nix!«

»Oh«, sagt Jonathan verblüfft.

»Oh, was heißt oh!«, sagt der Nix böse. »Erst schleppst du mich hierher, dann lässt du mich die ganze Zeit in diesem muffigen Kabuff unsichtbar sein …«

»Ich hab dich nicht hergeschleppt!«, sagt Jonathan. »Echt nicht!«

»Ach nein?«, sagt der Nix, und jetzt wuselt er auf dem Boden ein bisschen dichter zu Jonathan hin.

»Hast du nicht den Muscheleimer gestohlen? Und hast du nicht …«

»Da warst du drin?«, fragt Jonathan überrascht. Dieser Traum macht wirklich Spaß. Hoffentlich vergisst er ihn nicht bis morgen früh. Den muss er beim Frühstück unbedingt Papa erzählen.