Copyright © 1992, Ingvar Ambjørnsen

 

Übersetzt von Gabriele Haefs

 

Copyright der überarbeiteten eBook-Ausgabe © 2014 bei Hey Publishing GmbH, München

 

Die Norwegische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel »Flammer i snø« im J.W. Cappelens Forlag, Oslo

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Covergestaltung: Sarah Borchart, ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © Christine Poppe

ISBN: 978-3-942822-83-1

 

Flammen im Schnee ist der sechste Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof. Eine Auflistung weiterer Titel finden Sie am Ende des Buches (bitte hier klicken).

 

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Schwul, na und? Warum manche es hassen, wenn andere sich lieben, können Peter und der Prof so gar nicht nachvollziehen. Die Taten eines mysteriösen Feuerteufels zu ergründen, ist da schon eher ihr Fall.

 

Es war dunkel, er konnte ganz in der Nähe sein – ich hörte keine Schritte mehr. Ich blieb stehen und ging in die Hocke, denn jetzt quälte mich der Rauch und ich wusste, dass die Luft am Boden besser sein würde. Es ist nicht meine Aufgabe, diesen Typen festzunehmen, dachte ich. Aber es ist meine verdammte Pflicht, einen Blick auf ihn zu werfen oder es wenigstens zu versuchen, damit die Bullerei brauchbare Anhaltspunkte hat.

 

Während sich Oslos jüngste Privatdetektive mutigen Herzens auf Pyromanenjagd begeben, kommen ihnen Zweifel an der Courage von Gøran. Profs älterer Bruder arbeitet für die größte Zeitung der Stadt und schafft es nicht, die üble Schmutzkampagne gegen einen schwulen Prominenten zu verhindern – und das, obwohl es sich bei dessen Partner um Gørans und Profs Bruder Leif handelt. Als in die Wohnung des Paares eingebrochen wird, offenbaren sich Zusammenhänge, denen Peter und der Prof unbedingt auf den Grund gehen wollen ...

 

»Flammen im Schnee« ist der sechste Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – wo Rauch ist, da ist auch Feuer!

Schneeschmelze im Dezember

Es war wirklich Zeit, nach Hause zu gehen. Es war fast halb zwei und ich kriegte so langsam die richtige Bettschwere. Bjørn und Morten hatten sich schon davongemacht, zusammen mit Trude. Gro hatte sich René gekrallt und sich mit ihm im Schlafzimmer der Eltern eingeschlossen. Der Prof und Jorun hatten sich im Badezimmer verbarrikadiert, ich konnte hören, dass sie in der Badewanne Wal und Stockente spielten. Draußen auf dem Balkon machte Jon sich für seine übliche Fassadenkletterernummer bereit, das machte er immer, wenn er zwei Bier zu viel intus hatte. Diesmal hatte ich keinen Bock auf den Versuch, ihm das auszureden. Gros Wohnung lag schließlich im ersten Stock und außerdem war seit gestern ganz schön viel Schnee gefallen.

Um mich herum herrschte das Chaos. Es war kein wildes Fest gewesen, aber es passiert ja so leicht, Kartoffelchips in den Teppich zu treten und Aschenbecher und Gläser rumzustoßen, wenn man tanzt und ein bisschen aufgekratzt ist. Wer einen aufgeblasenen Gummi an die Lampe gehängt hatte, wusste ich allerdings auch nicht.

Ich stand auf, ging in die Küche und warf schnell zwei Löffel kaltes Chili con Carne ein, dann machte ich mich auf den Weg zum Badezimmer.

Ich klopfte an.

»Prof. Könnt ihr nicht mal bald den Stöpsel rausziehen? Diese Party scheint zu Ende zu sein. Und ich will jetzt nach Hause und ins Bett.«

Kichern und Platschen.

»Der Prof sagt, ihr hättet Platz im Taxi?«, fragte Jorun.

»Aber sicher doch«, antwortete ich. »Aber die Badewanne könnt ihr nicht mit auf den Rücksitz nehmen. Und ich bin da nicht mal zu einem Versuch bereit.«

»Sei doch nicht so ungeduldig!«, mahnte der Prof.

»Es ist halb zwei«, sagte ich. »Und ich kipp gleich um. Ich ruf jetzt ein Taxi. Um diese Zeit dauert das meistens eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten, aber vielleicht geht es ja auch schneller. Mit anderen Worten: Ihr solltet euch ganz schnell den Rücken abtrocknen.«

Sie versuchten ein paar Proteste, aber die waren ziemlich halbherzig. Es hörte sich jedenfalls so an, als ob sie aus der Badewanne stiegen.

Ich rief die Zentrale an und die Frau dort versprach mir ein Auto, das in einer halben Stunde kommen sollte.

»Zehn Minuten!«, rief ich den beiden Badelöwen zu. »Wir haben Glück!«

Irgendwas da drinnen kippte um und die Laune des Prof näherte sich dem Nullpunkt. Das entnahm ich den Worten, mit denen er Jorun erzählte, was ich für ein Langweiler wäre.

 

Draußen war es sternenklar und einige Grad minus.

»Und wo steckt jetzt das Taxi?«, fragte der Prof und starrte mich skeptisch an, während er die rechte Hand als Handtuch für seine nassen Haare benutzte.

»Tja …«, sagte ich.

Jorun lachte. Sie lachte fast immer. Ihre munteren blauen Augen wanderten vom Prof zu mir und wieder zurück. »Du kapierst doch wohl, dass er uns verarscht hat, Prof?«

Der Prof stellte seine Fingerfrottiererei ein und fragte eiskalt: »Stimmt das, Pettersen?«

»Verarscht? Ich hab ja wohl niemanden verarscht!«

»Und was hat die Taxizentrale dir gesagt, Peter?«

»Weiß ich nicht mehr genau«, behauptete ich. »Aber ich hatte den Eindruck, dass es schnell gehen würde.«

Er stöhnte und drehte sich zu Jorun um, die wieder losprustete. »Hast du das gehört, Jorun? Peter Pettersen hat mit der Taxizentrale gesprochen und einen Eindruck bekommen! Ich glaube, ich ticke aus! Meine Haare sind bis in die Wurzeln gefroren, raffst du das nicht?«

»Da ist es doch schon!«, sagte ich.

Eine Viertelstunde zu früh. Hin und wieder muss der Mensch eben etwas Glück haben haben!

Als wir losfuhren, konnten wir sehen, dass Jon sich gerade mit einem Laken vom Balkon abseilte.

»Der spinnt ja vielleicht!«, sagte der Prof.

»Vielleicht«, meinte ich. »Wenn es normal ist, alles wegzufressen und sich dann für den Rest des Abends in die Badewanne zurückzuziehen, wenn man bei jemandem eingeladen ist.«

Und Jorun lachte.

 

Jorun wohnte in der Schweigaardsgate, gleich beim Harald Hårdrådes Plass. Wir fuhren zuerst zu ihr. Der Prof sprang blitzschnell aus dem Taxi, um ihr die Tür zu öffnen. Und als der erfahrene Mann von Welt, der er gerne sein wollte, brachte er natürlich die volle Nummer. Begleitete sie zur Tür, dann gab's einen Kuss auf beide Wangen und aufs Maul und (nehme ich an) einige wohlgesetzte Floskeln, die er wahrscheinlich in irgendeinem Roman gefunden hatte. »Romantischer Typ«, sagte der Taxifahrer.

»Das können Sie wohl sagen«, sagte ich mit Blick aufs Taxameter. »Hupen Sie doch bitte mal energisch.«

Der Taxifahrer seufzte und beugte sich vor. »Bring ich nicht übers Herz. War ja auch mal jung, nicht? Dachte schon, heute würde niemand mehr in der Haustür rumknutschen.« Er drehte sich zu mir um und musterte mich mit Augen, die in dem runzligen Gesicht jung, echt nagelneu wirkten. »Keine Panik. Ich weiß, was die Tour von hier nach Torshov kostet.«

Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Dachte an meine Bettdecke. An die weiche Matratze. Das Kopfkissen. Und ich dachte an den Prof. Meinen besten Kumpel, der in Torshov einen Stock unter mir wohnte. Wir kannten uns schon vom Sandkasten mit den zwei blauen Plastikspaten her und hatten zusammen einige wahnwitzige Abenteuer erlebt. Wenn wir beide zusammen waren, und das waren wir eigentlich fast immer, schienen wir Menschen anzuziehen, die in einer Krise steckten oder auf irgendeine Weise Ärger hatten.

Die letzten Monate waren verhältnismäßig ruhig gewesen und ich dachte, dass das wohl davon kam, dass wir zum ersten Mal nicht pausenlos zusammen waren. Jorun Olsen war in unser Leben getreten. Der Prof hatte sich ganz einfach eine Freundin zugelegt. Es war fast nicht zu glauben. Da hatte er jahrelang Komplexe wegen seiner Wampe mit sich rumgeschleppt. Einige Male war er total fertig gewesen und hatte mir anvertraut, dass er niemals bei irgendeiner landen würde, und dann stand eines Tages ganz plötzlich Jorun Olsen da und wollte ihn, und das am liebsten rund um die Uhr. Fast wurde ich ein bisschen eifersüchtig. Die beiden hatten viele Gemeinsamkeiten.

Beide waren ziemlich kluge Leute. Und beide interessierten sich für so abgelegene Dinge wie amerikanische Filme aus den vierziger Jahren und Bücher von Leuten, von denen kein Mensch außer ihnen je gehört hatte. Jorun war »ein Fund«, wie der Prof sagte. In Wirklichkeit hatte sie ihn gefunden. In der Stadtbücherei. Am Regal für übersetzte Lyrik. Ein romantischerer Start für eine Beziehung war ja wohl kaum vorstellbar. Jedenfalls nicht für den Prof und Jorun Olsen.

 

Jetzt kam er angelatscht. Riss die Tür auf und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Der Taxifahrer fuhr los und rutschte die Straße hinunter.

»Jetzt hoffe ich ja bloß, dass du nicht zu viel versprochen hast«, sagte ich. »Wenn du einer Frau erzählst, dass du sie für den Rest deines Lebens lieben wirst, dann bist du in der Regel auf Kollisionskurs mit der Wirklichkeit. Rein statistisch …«

»Halt die Klappe, Peter! Du hast mir heute Abend die ganze Tour vermasselt, ist dir das klar?«

»Ach, ja? Meinst du, du wolltest ihr gerade die Ohren waschen, als ich angefangen habe rumzunerven?«

Er grinste. »Sie ist wirklich in Ordnung, Peter.«

»Stimmt. Ich finde, ihr habt einander verdient.«

»Meinst du wirklich?«

»Natürlich. Und ich lade sie auch nicht mehr ins Kino ein, wenn du mit deinen Eltern wandern gehst. Davon krieg ich ganz einfach ein schlechtes Gewissen!«

»Du, dabei hattest du auch keine glückliche Hand. Allein schon die Vorstellung von Jorun im Spaghettiwestern!«

Ich hielt die Klappe. Er hatte wie üblich das letzte Wort gehabt. Ich würde es nie lernen!

Wir fuhren durch die nachtstillen Straßen. Bei den einzigen Menschen, die zu sehen waren, handelte es sich um irgendwelche Festteilnehmer, die auf wackeligen Beinen ihre Betten und neue Träume ansteuerten. Ich fuhr um diese Zeit gern durch die Stadt. Denn nachts gehen die Menschen eine Art Waffenstillstand ein. Alle, die sich zu Hause oder beim Job streiten, schlafen jetzt wie die Wickelkinder und träumen vielleicht davon, über grüne Wiesen zu schweben. Das dachte ich mir jedenfalls so.

Aber als wir nach Birkelunden kamen, nahm die Idylle ein jähes Ende. Ein Streifenwagen stand quer über der Straße und zwei Uniformierte winkten uns zurück. Weiter vorn konnte ich zwei Feuerwehrwagen und eine Masse Leute sehen, die eines von den alten Steinhäusern anglotzten. Ich kurbelte das Fenster runter und streckte den Kopf hinaus. Aus dem vierten Stock quoll kohlschwarzer Qualm und durch Spalten im Dach stiegen dünne Rauchsäulen zum Nachthimmel hoch.

»Muss wohl umdrehen«, murmelte der Taxifahrer und legte den Rückwärtsgang ein.

»Wir steigen hier aus«, sagte der Prof und griff nach seiner Brieftasche. Ich zog auch mein Geld aus der Tasche und wir teilten uns wie verabredet den Fahrpreis.

Der Fahrer salutierte und bat uns, Jorun von ihm zu knutschen. Dann verschwand er mit seinem AD 25478 in Richtung Stadtmitte.

In Birkelunden standen massenhaft Leute auf der Straße herum. Und in den Nachbarhäusern hingen die Gaffer in den Fenstern. Wenn irgendwer in dieser Gegend im Moment davon träumte, über grüne Wiesen zu schweben, dann musste es sich dabei um Säuglinge oder Pillenfreaks handeln.

»O verdammt!«, sagte der Prof. »Das sieht aber ganz schön dramatisch aus. Wenn da oben noch Leute sind …«

Die beiden Feuerwehrautos fuhren ihre Aluminiumleitern aus und die Feuerwehrleute traten mit Schläuchen und Gasmasken an und allem, was dazugehört. Zwei von ihnen verschwanden oben in den Rauchmassen. Bald darauf schleppte einer einen Menschen an, der zu einem wartenden Krankenwagen heruntergelassen wurde. Er verschwand mit Sirenengeheul. Obwohl die Feuerwehrleute ihre Schläuche jetzt auf das Zentrum des Brandes richteten, schien das Feuer nur immer noch mehr um sich zu greifen. Der Qualm, der durch das Dach quoll, wurde immer dicker und plötzlich loderten zwischen den Dachziegeln orangefarbene Flammen auf. Dreißig Sekunden später brannte das ganze Dach und die Feuerwehrleute mussten sich zurückziehen, weil es einfach zu heiß war.

»Die Bude ist erledigt«, sagte ich. »Die oberste Etage wird total abgefackelt und die Wohnungen in den unteren werden in Aquarien verwandelt.«

»In Eisblöcke«, korrigierte der Prof. »Alles wird in Eis gegossen werden, sowie die Hitze sich gelegt hat. Im Moment schmilzt um die ganze Butze herum der Schnee, aber warte bloß bis morgen. Arme Schweine.«

Die armen Schweine sahen, gelinde gesagt, ziemlich erbärmlich aus. In geliehenen Mänteln und in Wolldecken gewickelt drängte sich eine Gruppe von Menschen um die Besatzung der Krankenwagen und sah zu, wie all ihr Hab und Gut vernichtet wurde. Zwei kleine Kinder wurden in den Krankenwagen gepackt, um sich aufzuwärmen. Eine ältere Dame weinte.

Auf einmal entdeckte ich in der Menge Filla. Filla war ein Jahr älter als der Prof und ich und eine spezielle Nummer. Wir waren im Laufe der Jahre einige Male mit ihm aneinander geraten, aber nach einem dramatischen Abenteuer, in das wir alle drei verwickelt gewesen waren, hatten wir das Kriegsbeil begraben. Der Prof und ich hatten beschlossen, dass Filla »einen guten Kern« hatte, wie man so sagt. Er spielte ein bisschen mit Drogen herum und knackte auch mal ein Auto, wenn er sich langweilte, aber trotzdem hatte er sein Leben irgendwie im Griff. Und ich hatte sogar das Gerücht gehört, er hätte einen Job an einer Tankstelle an Land gezogen.

Ich rief ihn und er kam zu uns herübergelatscht. Seine fettige Mähne hing ihm in die Augen und die ewige Kippe klebte wie immer mitten in seinem Grinsen.

»Ganz nettes Feuerwerk, was? Angeblich hat irgendein Psycho mit dem Feuerzeug zugelangt.«

»Spinnst du?«, fragte der Prof. »Ein Pyromane?«

»Wird jedenfalls behauptet. Den Typ, der abgeseilt wurde, kenne ich übrigens. Brodersen heißt er.« Filla lachte. »Der gute alte Gusse. Alle können mal Pech haben.«

»Ist er tot?«, fragte ich.

»Nein, er schien zu atmen. Er ist Kettenraucher, genau wie ich. Wir können was vertragen.« Wieder lachte Filla sein wieherndes Lachen.

»Hat er allein gewohnt?«, erkundigte sich der Prof.

»Meistens ja. Aber er hatte immer eine Menge Frauenkisten laufen. Lasst uns hoffen, dass er heute Abend keine angebaggert hat.«

»O ja«, sagte ich. »Denn aus der Bude kommt niemand mehr lebend raus.«

Krachend stürzte das Haus ein und lange Flammen loderten aus den geborstenen Fenstern im vierten Stock. Ein Funkenregen stob vom brennenden Dachboden auf und ergoss sich über die Dächer der Nachbarhäuser. Es sah schön und erschreckend zugleich aus. Flammen im Schnee. Langsam starben sie. Zu langsam für die Feuerwehr, die nun eingesehen hatte, dass dieses Haus verloren war, und die sich jetzt darauf konzentrierte, den Brand zu begrenzen. Die Wasserstrahlen wanderten an den Nachbarhäusern hin und her.

»Filla!« Ein Typ von vielleicht vierzig Jahren drängte sich durch die Menschenmenge auf uns zu. Er trug Jeans und einen gewaltigen Lammfellmantel. Klein war er, hatte dunkle Haare und dunkle Augen, die - gelinde gesagt - wild aussahen. Er packte Filla, aber der wich zwei Schritte zurück und riss sich los.

»He, immer mit der Ruhe, Roger!«

»Mit der Ruhe? Was zum Teufel ist hier los? Ist Gusse noch rausgekommen? Nun sag schon, zum Henker!«

»Stadtteilfest«, sagte Filla. »Und wir haben uns ums Lagerfeuer versammelt, wie du siehst.«

Der Kerl semmelte Filla voll eine ins Gesicht. »Ist Gusse noch rausgekommen, hab ich gefragt!«

Filla fuhr mit der Hand über die getroffene Wange und sah viel gefährlicher aus, als er war. »Gusse ist im Krankenhaus. Er ist vorhin weggefahren worden. Weiß nicht, wie's ihm geht, aber gelebt hat er jedenfalls. Du kannst ja die Bullerei oder die Leute vom Krankenwagen fragen.«

Roger nickte, jetzt ruhiger, und ließ sich Feuer geben.

»Weißt du, wie der Brand entstanden ist?«

»Angeblich Brandstiftung.«

Roger nickte langsam und ich konnte seinen Augen ansehen, dass er in Gedanken versunken war. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und war weg.

»Was für ein reizender Mensch!«, sagte der Prof.

Filla zuckte mit den Schultern. »Der ist im Grunde in Ordnung. Dumm von mir, zuerst große Sprüche zu klopfen statt ihm gleich zu erzählen, dass sein Kumpel aus der Hölle da oben rausgekommen ist. Warten kann der Alte einfach nicht.«

Ich gähnte so sehr, dass ich schon dachte, meine Mundwinkel würden gleich einreißen. »Ich glaube, ich will jetzt nach Hause. Hier brennt's doch noch bis morgen Nachmittag«

»Ich komm mit«, murmelte der Prof.

Wir verabschiedeten uns von Filla und machten uns auf den Weg nach Torshov.

 

Es war fast halb vier, als ich mich in unsere Wohnung schlich. Ich streifte meine Daunenjacke ab und ging auf Zehenspitzen durchs Wohnzimmer. Plötzlich wurde das Licht eingeschaltet und ein splitternackter Vater bewegte sich im Halbschlaf aufs Klo zu. Er hatte die Augen nicht richtig aufgemacht und seine langen Haare standen in alle Richtungen ab. Er sah aus, als ob er ein paar Runden im Wäschetrockner gedreht hätte.

»Himmel, schon auf?« Er betrachtete mich aus zusammengekniffenen roten Augen. Aus solchen Augen, die er immer von zwei Glas Rotwein zu viel kriegt.

»Gerade zur Tür reingekommen«, sagte ich.

»Jetzt? Um halb vier? Du experimentierst doch wohl nicht mit Amphetamin?«

»Nicht im Entferntesten«, antwortete ich. »Der Prof und ich sind unten in Løkka hängen geblieben. Ein Pyro hat bei Birkelunden ein ganzes Mietshaus abgefackelt.«

Mein Vater kratzte sich am Bauch. »O verdammt! Aber ich bepiss mich gleich.« Er stürzte zum Klo.

»Nacht«, sagte ich und lief auf mein Zimmer. Alle Batterien waren leer und ich weiß nicht mehr, wie ich ins Bett gekommen bin.

Der Prof explodiert, dass es im Treppenhaus nur so kracht

Natürlich träumte ich vom Feuer. Ich stand im hundertsiebenundvierzigsten Stock und die ganze Bude brannte. Neben mir am Fenster stand Filla, rauchte eine nach der anderen und schnippte die Kippen ins Flammenmeer. »Macht nix«, sagte er. »Wir zwei können schon was vertragen.« Ich wollte ihm gerade sagen, er sollte die Klappe halten, als plötzlich die ganze Wand zusammenbrach und wir durch Rauch und Flammen taumelten.

Ich fuhr auf und war hellwach. In meinem Zimmer stand Klein-My mit einer dampfenden Tasse Tee in der Hand. Ihre blauen Augen betrachteten mich interessiert. »Du hast geschrien!«, sagte sie. »Wie ein gebrochenes Schwein!«

»Gestochen!«, sagte ich. »Das Schwein schreit, wenn der Metzger es in den Kopf sticht.«

»Warum macht er das denn?«

»Damit wir Koteletts und Wurst essen können. Und Braten zu Weihnachten.«

Sie dachte jetzt schwer nach. Ihr Gesichtchen war in bekümmerte Falten gelegt. »Macht er das Schwein tot?«

»Muss er«, antwortete ich. »Sonst läuft der Braten doch im Wohnzimmer rum.«

Sie lachte. Zum Glück. Sie war gerade in einer Phase, wo sowohl der Tod als auch Tiere unglaublich wichtig waren, und ich hatte Angst, die kleine Schweineepisode könnte sich zu einem unbehaglichen Weihnachtsessen entwickeln.

»Ist der Tee für mich?«, fragte ich, um mich auf ein anderes Thema zu stürzen.

»Ja. Da ist ganz viel Zucker drin. Und Milch.«

»Du bist spitze. Hast du den selbst gebraut?«

»Ein bisschen.«

Das bedeutete, dass sie den Teebeutel in das heiße Wasser gesteckt hatte. »Ich hab die tollste Schwester auf der ganzen Welt«, protzte ich.

»Erzähl mehr von dem Schwein!«

»Nix«, wehrte ich ab. »Dazu ist es noch zu früh am Tag. Schweinische Geschichten werden mitten in der Nacht erzählt.«

Mutter kam herein. Sie trug nur ein Hemd und sah ziemlich müde aus, obwohl mein Wecker halb zwölf zeigte. »Hallo, Süßer! Dein Vater muss von dir eine Unterhose leihen, er hat keine saubere mehr. So geht's eben, wenn er mit Waschen an der Reihe ist, nicht wahr?«

»Nicht die Boxershorts!«, sagte ich und schlürfte den Tee.

»Spinnst du?«, fragte sie und zog die unterste Kommodenschublade heraus. »Den Anblick möchte ich mir lieber ersparen. War's denn nett gestern Abend?«

»Ganz großes Kino. Der Prof und Jorun sind total scharf aufeinander.«

»Das finde ich, ehrlich gesagt, ganz schön süß, Peter. Und was ist mit dir? Irgendwer scharf auf dich oder umgekehrt?«

»Im Moment ziehe ich es vor, sexuell enthaltsam zu leben«, sagte ich. »Aber an Angeboten fehlt es nicht. Danke der Nachfrage.«

Sie richtete sich auf und sah mich an. »Ach du meine Güte, Peter! Na los, My, wir müssen deinen Papa anziehen!«

Sie marschierte hinaus.

 

Mutter und Vater wollten an diesem Sonntag die Galerie F 15 auf Jeløya besuchen. Zwei Kollegen von Vater hatten da eine Ausstellung und Leffy wollte alle im Lkw hinfahren.

»Vier Stück auf dem Vordersitz«, sagte ich und biss in mein Käsebrot. »Das macht sich gut, wenn ihr in eine Kontrolle geratet. Und Leffy braucht doch seinen Führerschein, wenn er seinen Job behalten will!«

»Wegen so einer Bagatelle verliert niemand den Führerschein«, meinte Vater. »Aber erzähl uns mehr über diesen Brand heute Nacht. Oder habe ich das bloß geträumt?«

Ich erzählte ihnen von dem Brand.

»Und das war also Brandstiftung?«, fragte Mutter, als ich fertig war.

»Das sagt Filla. Und der ist meistens gut informiert.«

»So was Übles!«, sagte Vater und griff nach der Leberwurst. »Pyros machen mir eine Höllenangst! Es ist noch gar nicht so lange her, dass da unten so ein Wahnsinniger mit seinen Streichhölzern Amok gelaufen ist! Ich glaube, er hat zehn, zwölf Brände gelegt, ehe sie ihn erwischt haben.«

Es schellte. Vater machte auf und kam mit Leffy zurück. Leffy hatte Reif im Pferdeschwanz und war im Gesicht rot vor Kälte.

»Hallo, Leute! Das ist ja vielleicht eine Saukälte draußen! Bei mir war es vorhin minus zehn.« Er küsste Mutter auf die Wange. »Gib mir doch ein Spiegelei aus. Irgendein Penner hat heute Nacht meinen Kühlschrank ausgeräumt.

Drei Sardellen und eine halbe Zitrone, das ist einfach kein Frühstück für einen erwachsenen Mann, verstehst du?« Ohne auf Antwort zu warten machte er sich ans Werk. Toastete Brot und briet und tat. »Wo hast du das Ketchup, Rolf? Spiegelei ohne Ketchup geht nicht, weißt du.«

»Steht genau vor deiner Nase«, sagte Vater ohne sich umzusehen. »Hast du von dem Brand unten in Løkka gehört?«

»Aber sicher. Ich komm gerade daher. Es brennt immer noch, verdammte Axt.«

»Peter sagt, es wäre ein Pyromane gewesen.«

Leffy schob sein Spiegelei auf den Toast und begrub das Ganze in Ketchup. »Ja, das hab ich auch gehört. Wenn das stimmt, dann stehen uns ja nette Zeiten bevor.«

»Der Metzger sticht das Schwein mitten in den Kopf!«, sagte My. »Das hat vielleicht geschrien!«

Leffys Gabel blieb vor seinem geöffneten Mund stehen. Ketchup tropfte auf seinen Pullover.

 

Als sie endlich losgefahren waren, räumte ich den Tisch ab und spülte. Das Wetter im Hinterhof war prima: Die Sonne beschien die Mauern und der Schnee war immer noch weiß. Ich beschloss beim Prof reinzuschauen und ihn auf einen ordentlichen Spaziergang mitzuschleifen. Von hier bis zum Frognerpark. Mindestens. Wenn wir ein paar Imbissbesuche einschoben, würde er es schaffen.

Ich wollte gerade die Tür hinter mir zuziehen, als ich hörte, wie die Wohnungstür von Prof & Co. aufgerissen wurde.

»… dann steig doch bei deinem Scheißkäseblatt aus, Mann!«, hörte ich den Prof brüllen. »hör’ mir dein Gefasel jedenfalls nicht länger an!«

»Aber hör doch mal her«, probierte es ein anderer, und soweit ich verstehen konnte, war das Gøran, einer der Brüder vom Prof.

»Ich höre weder her noch sonst wohin! Und jetzt verpiss dich gefälligst! Du verpestest mir noch die ganze Luft!«

Ich konnte Gøran seufzen hören. Und als ich mich übers Geländer beugte, sah ich ihn für einen Moment auf der Treppe.

Hinter ihm wurde die Tür zugeknallt.

Ich blieb ganz still auf dem Treppenabsatz stehen und hörte Gørans Schritten auf der Treppe zu. Bis er die Haustür erreicht hatte und verschwand.

Eins stand fest: So wütend hatte ich den Prof noch nie erlebt. Nie! Und ich hatte auch noch nie auch nur ein einziges negatives Wort über Gøran von ihm gehört. Die beiden Brüder vom Prof waren um einiges älter als er, so viel älter, dass sie für ihn fast wie zwei Onkel gewesen waren. Den Ältesten, Leif, bekam ich nur selten zu sehen. Aber Gøran begegnete mir oft, er hatte uns sogar ein paar Mal geholfen, als wir ziemlich in der Klemme gesteckt hatten.

Ich ging die Treppe hinunter. Zögerte kurz, schellte.

Sofort wurde die Tür aufgerissen, der Prof musste gleich daneben gestanden sein.

»Wenn du nicht …« Dann sah er, dass er es mit mir zu tun hatte. Er gab sich alle Mühe sich zusammenzureißen, das konnte ich sehen, aber es fiel ihm offenbar nicht leicht. »Ach, hallo … ich dachte, das wäre … ich meine …«

»Du dachtest, es wäre dein Bruderherz, nicht wahr? Dem hast du's ja vielleicht gegeben!«

Das Gesicht vom Prof war jetzt knallrot und er atmete schwer. Anstrengend, so wütend zu sein. »Tut mir Leid, Peter, aber ich bin jetzt einfach nicht gesellschaftlich aufgelegt. Zum Glück sind die Alten nicht da.«

»Spuck's aus«, sagte ich. »Kann ich irgendetwas …«

»Nein, kannst du nicht! Lass mich einfach in Ruhe.«

Ich zeigte ihm meine Handflächen, um zu beweisen, dass ich aufgab. »Okay, Prof. Deine Entscheidung. Wenn du sie bitterlich bereust, bin ich oben.«

Plötzlich hatte ich keine Lust mehr auf eine Expedition in den Westen der Stadt.

Ich ging wieder nach oben und haute mich vor die Glotze. Irgendeine Naturdoku. Die hatte ich schon fünfmal gesehen und das war nur gut so, jetzt brauchte ich mich nämlich nicht auf die Handlung zu konzentrieren. Ich sah die Bilder und hörte den Kommentar, aber meine Gedanken waren einen Stock tiefer, beim Prof. Was um Himmels Willen war zwischen den beiden Brüdern gelaufen, dass der Prof dermaßen Amok lief? Ich kam zu der Erkenntnis, dass es irgendetwas mit dem Dagbladet zu tun haben musste, wo Gøran arbeitete. Sonst hätte der Prof ihn ja wohl nicht aufgefordert, »bei seinem Scheißkäseblatt auszusteigen«. Aber worum ging es denn bloß? Bisher hatte ich immer den Eindruck gehabt, dass der Prof ziemlich stolz darauf war einen Bruder zu haben, der beim Dagbladet arbeitete und fast jeden Tag seinen Namen gedruckt sah. Aber jetzt hatte er es sich offenbar anders überlegt und dafür musste es einen ganz konkreten Grund geben.

Weiter kam ich in meinen Spekulationen nicht, denn draußen in der Diele klingelte das Telefon.

Ich ging hin und nannte meinen Nachnamen.

»Bist du das, Peter?«

»Speaking.«

»Ja, hallo, hier ist Jorun …«