cover

Prof. Dr. Harald Lesch

ASTROPHYSIK
WELT-MODELLE

DAS UNIVERSUM, Teil 1 Der Anfang von allem

DAS UNIVERSUM, Teil 2 Dunkle Kräfte und Energien

DAS UNIVERSUM, Teil 3 Der Kreislauf der Materie

© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH

2011, München/Grünwald

www.komplett-media.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

HEROLD Auslieferung Service GmbH

www.herold-va.de

Inhaltsverzeichnis

Teil 1 – DER ANFANG VON ALLEM

Hubble und die Expansion des Universums

Das Raum-Meer

Die Zeit, die es nicht gab

Relativitätstheorie

Quantenmechanik

Der Urknall

Was übrig bleibt

Die erste Nukleosynthese

Die Materie entsteht

Nicht perfekt temperiert

Teil 2 – DUNKLE KRÄFTE UND ENERGIEN

Die Dunkle Materie

Die Dunkle Energie

Die Insel des Lichts

Der Tanz der Galaxien

Teil 3 – DER KREISLAUF DER MATERIE

Sterne und Kerne

Das Leben und Sterben der Sterne

Der große Kreislauf der Materie

Von Scheiben und Kugeln

DAS UNIVERSUM 1

Der Anfang von allem

1

Der Anfang von allem

Die Explosion

Der Urknall

Die Materie entsteht

DER ANFANG VON ALLEM

Was war die Ursache für die Entstehung des Universums? Hier zeigen sich die Grenzen der physikalischen Fundamente. Nötig wäre eine Verschmelzung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik. Aber wie?

DIE EXPLOSION

Zunächst war das Universum sehr klein, sehr dicht und sehr heiß. Aber dann fing es an, sich wie eine Explosion auszubreiten. Und doch auch wieder nicht. Wo hinein expandiert das Universum und was passierte, als es sich immer weiter ausdehnte und abkühlte?

DER URKNALL

Jetzt endlich sind die Kräfte da. Es beginnt sich etwas zu bilden: die Kerne von Wasserstoff- und Helium-Teilchen tau-chen auf, die schon längst wieder ausgestorben sind. Eine Hierarchie der Wirkungen verändert das sich abkühlende Universum. Woher kamen die kleinen Abweichungen vom perfekten Urknall?

DIE MATERIE ENTSTEHT

Die Materie nabelt sich von der Strahlung ab. Die Atomkerne fangen die Elektronen ein. Das Universum ist so kalt geworden, dass sich hier und da Verdichtungen bilden, die Keime zukünftiger Galaxien. Woher kamen diese Keime und wieso ist das Universum heute so leer?

Der Anfang von allem

Der Anfang von allem ist der Anfang von allem, was es in der Welt gibt und damit auch der Anfang von der Welt selbst. Die Welt, so wie wir sie naturwissenschaftlich verstehen, besteht nicht nur aus diesem Planeten Erde, sondern aus der Milchstraße, aus vielen Milchstraßen, aus Galaxienhaufen, letztendlich aus dem ganzen Universum. Eine der Urfragen der Naturwissenschaften ist: Hat das Universum einen Anfang gehabt?

Das ist eine Frage, die nicht nur die Naturwissenschaften stellen, sondern natürlich auch jede Religion. Was ist der Grund dafür, dass es überhaupt etwas gibt? War es Schöpfung? Also gab es etwas, wie immer man es nennen will, das diese Welt in ihre Existenz geworfen hat? Oder ist die Natur letztendlich etwas, was sich selbst erzeugt?

Jetzt gibt es ein Problem. Das gedankliche Problem nämlich, dass wir „Nein“ sagen können. Genau das wird dazu führen, dass Sie immer wieder den Kopf schütteln werden, während ich Ihnen erzähle, was wir Physiker meinen, wie die Welt angefangen hat.

Wir reden davon, dass die Welt einen Anfang hatte, irgendwann. Sofort werden Sie sagen: „Na und, was war denn vor dem Anfang?“

Wenn man einen Anfang definiert hat, was war denn vor dem Anfang, den man definiert hat? Da muss doch etwas davor gewesen sein. Und das ist das Problem. Merken Sie es. Das Problem ist, dass man „Nein“ sagen kann zu einer Aussage. Ich sage Ihnen, „die Welt hatte einen Anfang,“ Sie sagen, „nein, der Anfang war gar nicht der Anfang, es gibt einen anderen Anfang.“

Achten Sie darauf, wenn wir jetzt über Kosmologie reden, also über die Entwicklung des gesamten Kosmos, dass man da leicht in eine Falle läuft. Aber fangen wir mal an.

Hubble und die Expansion des Universums

Wie ist man eigentlich auf die Idee gekommen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben könnte? Das geht letztlich auf eine Beobachtung zurück, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gemacht worden ist. Nämlich die Beobachtung, dass die Galaxien, also die Milchstraßen, diese Sterneninseln, hunderttausend Lichtjahre große Sterneninseln, dass die sich von unserer Milchstraße wegbewegen. Wir haben das gemessen. Man misst das Licht. Astronomie ist ja – wie soll man sagen – Lichtkunde, fortschrittliche Lichtkunde. Wir Astronomen machen nichts anderes als Ägyptologen auch tun. Ägyptologen lesen aus den Hieroglyphen etwas über das Leben der alten Ägypter. Wir Astronomen lesen aus dem Licht der Sterne etwas über das Leben der Sterne, über das Leben des Universums. Wir lesen aus dem Licht etwas heraus.

So hat auch Edwin Hubble aus dem Licht der Galaxien abgelesen, dass diese Galaxien sich von uns entfernen. Licht: Das elektromagnetische Spektrum reicht vom Radiobereich, das sind die besonders langen Wellen, bis hin zum Röntgenbereich, das sind die ganz kurzen Wellen. Wir Menschen können die elektromagnetischen Wellen im so genannten sichtbaren Bereich, also im optischen Licht sehen. Hubble hat mit einem Fernrohr optische Strahlung der Galaxien aufgenommen und in der Strahlung dieser Galaxien Spektrallinien gefunden. Das ist kein Wunder, denn das Licht der Galaxien kommt von Atomen, und die Atome sind aufgebaut aus Atomkernen. Um die Atomkerne herum laufen die Elektronen. Je nach dem, auf welchem Energieniveau diese Elektronen sind, geben sie die eine oder andere besondere Lichtsorte ab, die sich durch ihre Spektrallinien unterscheiden.

Wo diese Linien auftauchen, hängt auch davon ab, wie die Lichtquelle sich bewegt. Bewegt sie sich von uns weg, dann wird eine ursprünglich bei einer ganz bestimmten Frequenz vorhandene Spektrallinie zum Roten hin verschoben, also zu den langen Wellen. Bewegt sich eine Lichtquelle auf uns zu, dann wird sie ins Blaue, also zu den kürzeren Wellen verschoben.

Das kennt man auch von den Schallwellen. Das ist die berühmte Geschichte mit dem Feuerwehrwagen, der sich mit Blaulicht und vollem Tatütata auf uns zu bewegt: Der Ton wird höher. Dann bewegt sich der Wagen von uns weg, und der Ton wird tiefer.

Genau das gleiche passiert bei Lichtwellen, wenn sich die Objekte, die Licht ausstrahlen, entsprechend bewegen. So konnte Hubble zeigen, dass Galaxien sich von unserer Milchstraße entfernen. Und zwar umso schneller, das war das Sensationelle, umso schneller, je weiter sie von uns entfernt sind.

Mit anderen Worten, man hat ein Bild vor Augen wie: Das Universum ist ein Teig. In diesem Teig sind lauter Rosinen. Nehmen wir einen Hefeteig, der auch noch aufgeht. Dann kann man messen, dass die Rosinen sich am schnellsten voneinander entfernen, die am weitesten voneinander entfernt sind.

Also, was man damit zeigen kann, und was Hubble in den 20er Jahren des 20.Jahrhunderts feststellte, war, dass das Universum expandiert.

Das Raum-Meer

Wie bei jeder Bewegung, die man vorwärts und rückwärts denken kann - der Wagen ist jetzt hier, also war er vorher da – lässt sich folgern, dass das Universum expandiert, jetzt und heute.

Wenn ich sehe, dass alles von mir wegfliegt, dann muss es früher kleiner gewesen sein, dann ist möglicher Weise die ganze Materie, die es jemals in diesem Universum gegeben hat, irgendwann mal in einem Punkt konzentriert gewesen. Wichtig ist jetzt: Edwin Hubble hat nicht nur festgestellt, dass das Universum expandiert, sondern er hat auch noch festgestellt, dass diese Expansion überall gleichförmig ist. Egal, wo man hinguckt am Himmel.

Je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, umso schneller entfernen sie sich. Das hat er in den 1920er Jahren festgestellt und danach sind immer mehr und mehr, immer bessere Beobachtungen gemacht worden.

Seitdem spricht man von einem expandierenden Universum, wobei - Achtung, aufgemerkt - nicht die Galaxien expandieren oder der Planet Erde oder sonst was, sondern das einzige, was expandiert, was sich ausbreitet, ist der Raum.

Auf diesem „Raum-Meer“ bewegen sich die Galaxien wie Schiffe. Die werden einfach davon getrieben.

Wenn wir eine Galaxie beobachten, die eine Entfernungs-Geschwindigkeit von knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde hat, fällt Ihnen etwas auf: Das ist ganz nah an der Lichtgeschwindigkeit. Dann würde man natürlich sofort sagen: Moment mal, nichts kann sich schneller bewegen als Licht. Das aber merkt die Galaxie gar nicht. Das einzige, was sich ausbreitet, ist der Raum, sonst nichts.

Das Entscheidende ist, dass Sie mitgekriegt haben, dass mit einem optischen Teleskop die Entdeckung von Objekten, die sehr weit von uns entfernt sind, zu dem Gedanken geführt hat, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss. Die Expansion des Universums, die Ausbreitung von Galaxien innerhalb des für uns sichtbaren Universums, hat sofort und auf sehr klare Weise zu diesem Gedanken geführt. Das ist das Zusammenwirken von Kosmologie und gesundem Menschenverstand.

Sie werden an anderen Stellen merken, dass das möglicher Weise nichts miteinander zu tun hat, aber hier hat es etwas miteinander zu tun, weil man sich die Expansion des Universums so vorstellt wie eine gewaltige Explosion. Wobei das gedankliche Schwierigkeiten ergibt.

Haben Sie schon einmal gesehen, dass zum Beispiel bei einer Explosion von einer Bombe spontan eine Tasse aus Meissner Porzellan entsteht? Natürlich nicht. Aber genau so etwas sehen wir im Universum.

Die Zeit, die es nicht gab

Wenn Sie abends zum Himmel blicken, sehen Sie Sterne. Wenn Sie aber genauer hinsehen, mit Beobachtungsinstrumenten, dann sehen Sie einen riesigen, leeren Raum. In diesem riesigen, leeren Raum gibt es hier und dort immer mal wieder eine Sterneninsel. Und je weiter Sie rausschauen, umso weniger Sterneninseln sehen Sie noch. Aber Sie sehen immer noch riesige, große Leerräume. Da ist nichts. An den Rändern dieser Leerräume ist die Materie angesammelt. Komisch, das sollte eigentlich nicht sein. Bei einer ordentlichen Explosion müsste eigentlich alles gleichmäßig verteilt sein. So ist es aber nicht.

Also zurück zur Expansion. Die Expansion des Universums führt sofort zu dem Gedanken, dass das ganze einen Anfang gehabt hat, dass der Anfang von allem irgendetwas gewesen ist.

Dieser Gedanke war eine Revolution in der Astronomie, denn bis dahin hatte man gedacht, das Universum sei ewig, war immer schon da. Immer. Es gab keinen Anfang. Man hat sich darüber keine Gedanken gemacht.

Die Geschichte der Astronomie ist erst mal die Geschichte des Sonnensystems. Ist die Erde nun der Mittelpunkt der Welt? Oder ist die Sonne der Mittelpunkt der Welt?

Die Frage hat sich relativ schnell erledigt. Da hat man erst einmal gemerkt, die Erde ist nicht im Mittelpunkt. Man hat gedacht, die Sonne ist im Mittelpunkt, ist sie aber nicht. Die Sonne ist einer von vielen Sternen in der Milchstraße. Die Milchstraße ist ein Gebilde aus 100 Milliarden Sternen. Da scheint die Sonne also auch nichts Besonderes zu sein. Kurz bevor Hubble die Expansion des Universums feststellte, hat man also zum ersten Mal erkannt, dass es noch andere Galaxien gibt. Das ist noch nicht so lange bekannt. Man dachte ja ursprünglich, die anderen Galaxien seien Gasnebel, die zu unserer Milchstraße gehören. Man wusste von den anderen Galaxien erst kurz bevor Hubble die Expansion des Universums entdeckte. Das ging also Hand in Hand. Die Beobachtungsmöglichkeiten wurden besser und besser. So passierte etwas Tolles, nämlich, dass zum ersten Mal der Gedanke in den Naturwissenschaften auftauchte, dass das Universum einen Anfang hatte. Dass es also etwa gab, einen Akt gab, der dieses Universum in seine Existenz geworfen hat. Damit entsteht natürlich auch ein Riesenproblem für die Naturwissenschaft. Aufgrund der logischen Struktur unseres Gehirns können wir die Frage stellen, was war davor? Was war vor diesem Anfang?

Aus der Beobachtung, dass das Universum expandiert findet man eine fundamentale Erkenntnis über den Anfang des Universums und damit auch über die Begrenzung der Möglichkeiten von naturwissenschaftlicher Beschreibung. Die Physik als Grundlage für die Astronomie kann keine beliebigen Fragen beantworten, zum Beispiel, was vor dem Urknall gewesen ist? Oder dem Beginn?

Ich habe jetzt das Wort „Urknall“ schon verwendet, weil das die Standardtheorie für den Beginn ist. Was vor dem Anfang des Universums gewesen ist, können wir nicht wissen. Warum? Weil wir Kausalitäts-Junkies sind. Wir sind darauf angewiesen, zwischen Ursache und Wirkung Unterschiede zu finden.

Wenn wir irgendetwas in der Welt beobachten und wir interessieren uns für die Welt, dann wollen wir aus einer Wirkung eine Ursache erkennen. Also, zuerst kommt die Ursache, dann kommt die Wirkung. So muss es natürlich am Anfang des Universums auch gewesen sein. Es muss einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang gegeben haben. Was aber war die Ursache für den Anfang des Universums? Das konnte man nicht wissen. Irgendwann, wenn wir den Anfang des Universums festlegen, können wir über die Ursachen, die davor waren, nichts mehr aussagen. Wenn es eine erste Ursache gegeben haben muss, nämlich den Anfang des Universums, dann können wir natürlich eine Ursache für die erste Ursache nicht wissen. Die „nullte Ursache“ oder so, was soll das sein? Das heißt, wir haben hier eine echte Beschreibungsgrenze. Hier geht es nicht weiter. Physikalische Theorien werden über „die Zeit vor dem Anfang“ nichts sagen können. Warum nicht? Weil es keine Zeit gibt, davor. Es gibt nichts davor, gar nichts.

Das ist ein bisschen so wie mit der eigenen Existenz. Wir sind seit unserer Geburt da. Wir könnten jetzt ganz kleinlich sagen, wir sind da, seit sich die Samenzelle und die Eizelle unserer Eltern verschmolzen haben. Aber davor gab es uns nicht. Vor dem „Akt“ gab es uns nicht. Wir waren im Bereich der Möglichkeiten, wir waren noch keine Wirklichkeit. Das ist der große Unterschied. Wir können in den Naturwissenschaften nur Dinge bis zu einem bestimmten Punkt beschreiben.

Eine dieser Grenzen, eine dieser fundamentalen Grenzen der Beschreibungsfähigkeit ist der Anfang des Universums. Davor kommen wir nicht.

Noch einmal, zum Abrunden dieser Vorstellung, das war jetzt ein bisschen Philosophie und Physik zusammen: Die Entdeckung der Expansion des Universums führte die Menschen auf dem Planeten Erde zu der Idee, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss und nicht schon ewig war. Es muss Gründe dafür geben, dass sich das Universum als eine große materielle Struktur, in der es Galaxien, Sterne, Planeten und manchmal auch Lebewesen gibt, in seine Existenz geworfen hat. Es muss richtige physikalische, innerphysikalische Gründe geben. Kosmologie ist immer Innenarchitektur des Kosmos. Die Kosmologie kann keine Aussage machen über die Dinge vor dem Kosmos oder außerhalb des Kosmos.

Denn seien wir doch mal ehrlich, Expansion bedeutet doch immer auch automatisch die Frage, wo hinein expandiert denn das Universum? Nicht nur der Anfang, sondern auch wo hinein? Aber darüber wissen wir genau so wenig, wie über die Zeit vor dem Anfang des Universums, über die Zeit, die es gar nicht gab.

Relativitätstheorie

Das Universum hatte einen Anfang, gut, aber mit so einer Aussage gibt man sich als Physiker natürlich nicht zufrieden. Man möchte gerne wissen, ob man physikalische Prinzipien dazu erdenken und berechnen kann, mit denen sich ein solcher Anfang des Universums in irgendeiner Art und Weise qualitativ darstellen lässt? Qualitativ heißt mit anderen Worten, man kann etwas rechnen.

Physik lebt ja sehr stark vom Berechnen, und die Kosmologie als Physik des Gesamtuniversums verlangt natürlich schon eine besondere Art der Berechnung, nämlich eine Berechnung von Eigenschaften, die sozusagen „All-Eigenschaften“ sind.

Gehen wir einmal gedanklich zurück und stellen uns vor, das Universum wird immer kleiner und kleiner. Wir lassen erst mal die gesamte Materie so, wie sie ist.