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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich
WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Wolfgang Pauli – ein Portrait

Von Prof. Ernst Peter Fischer

Träume eines Genies

„Es geht mir um die ganzheitlichen Beziehungen zwischen Innen und Außen, welche die heutige Naturwissenschaft nicht enthält, die aber die Alchemie vorausgeahnt hat und die sich auch in meiner Traumsymbolik nachweisen lässt. Ich bin an die Grenze des heute Erkennbaren gekommen und habe mich sogar der Magie genähert. Dabei bin ich mir darüber klar, dass hier die drohende Gefahr eines Rückfalls in primitivsten Aberglauben besteht und dass alles darauf ankommt, die positiven Resultate und Werte der Ratio dabei festzuhalten.”

Dieser Satz stammt von Wolfgang Pauli, der von 1900 bis 1958 gelebt hat, 1954 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden ist und meiner Ansicht nach einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts war, ohne dass irgend jemand außerhalb der Fachkollegen von ihm Kenntnis genommen hätte.

Wolfgang Pauli ist ein ungeheuer tiefer Denker, ein „gefährlicher“ Denker, bei dem man unentwegt gewissermaßen „sein Leben einsetzen muss“, wenn man seine Gedanken nachvollzieht. Er selbst hat das auch getan. Sie ahnen schon, durch die kleinen Worte, die er benutzt – „Ganzheitlichkeit“, „innen“, „außen“, „Traumsymbolik“, „Alchemie“, „Magie“ – wie ungeheuer weit sich sein Denken spannt. Es ist eines der großen Rätsel, dass man so wenig von Pauli weiß. Ich habe das Gefühl, dass es damit zu tun hat, dass es Mut braucht, sich auf Pauli einzulassen. Ich möchte Sie dazu einladen, das zu tun.

Pauli hat uns sehr viel zu sagen, Pauli hat aber auch ein schwieriges Leben geführt, das sich nachzuvollziehen lohnt. Er hat sehr viele Briefe mit dem Psychologen Carl Gustav Jung gewechselt, die über Traumsymbolik handeln. Er war bei Carl Gustav Jung in Behandlung und inzwischen weiß man, dass die ganze Traumdeutung Jungs auf Träumen von Pauli beruht.

Etwas einseitig, wenn man so will, denn es sind die Träume eines Genies. Die Träume einer Person, die mit diesen unbewussten Regungen etwas vom Weltbild der Physik seiner Zeit verstehen wollte. Pauli hat versucht auch das auszunutzen. Er hat sich auf Psychologisches und Physikalisches eingelassen. Er hat versucht, Kollektives seiner Zeit zu verstehen, also das, was die Philosophen den Zeitgeist nennen. Wie kann man das erfassen?

Er hat sich gefragt, wieso die Atomphysik ausgerechnet zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglich wird, was das bedeutet. Was es bedeutet, dass dabei auch Atomenergie freigesetzt wird.

Die „dunkle“ Seite der Wissenschaft

Pauli hat auch gefragt, ob wir in der westlichen Wissenschaft etwas falsch machen, wenn wir uns nur auf die kühle Ratio einlassen. Warum wir nicht versuchen, unsere Gefühle einzusetzen. Bei Pauli ist also eine ungeheure Menge zu erkunden.

Er ist 1900 in Wien geboren, 1958 in Zürich gestorben. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in der Schweiz verbracht. Er hat in München studiert und ein paar Assistentenjahre in Hamburg gearbeitet, auf die wir noch eingehen werden. Er war durch und durch Europäer, Abendländer, wie er das ausgedrückt hat. Er hat nur kurze Zeit in den USA verbracht, die Zeit des 2. Weltkrieges, weil er einer der ganz wenigen Physiker war, die gar nichts mit der Entwicklung der Atombombe zu tun haben wollten. Weil er das, psychologisch gesehen, als die dunkle Seite der Wissenschaft verstanden hat.

Im Jahre 1945 war er noch in den USA, genau gesagt in Princeton, dem Institut, an dem damals auch Albert Einstein arbeitete. Pauli war gerade im Institut, als mitgeteilt wurde, dass er in diesem Jahr den Nobelpreis für Physik bekommen würde. Natürlich feierte man das in Princeton. Bei dieser Gelegenheit passierte etwas Besonderes: Das berühmteste Mitglied des Institutes, Albert Einstein, war zugegen. Er stand auf und hielt eine spontane Tischrede. Das hat er nie davor und auch danach nie wieder getan, nur dieses eine Mal - für Pauli. Einstein wollte damit ausdrücken, dass Wolfgang Pauli sein geistiger Sohn sei. Dass eigentlich Pauli derjenige sei, der die Physik am besten versteht. Der am besten versteht, in welche Richtung Einstein denkt. Einstein hoffte sogar, dass Pauli sein Nachfolgeram berühmten Institute for Advanced Study in Princeton werden würde.

Die Personen, die damals dabei waren, haben alle applaudiert und gehofft, dass Pauli das wahr machen würde. Aber Wolfgang Pauli ist nach Zürich zurück gegangen, weil er sich in der Schweiz wohl fühlte, weil er sich in Europa wohl fühlte. Er war Europäer, er wollte wieder da hin.

Diese kurzen Skizzen weisen darauf hin, dass es um Wolfgang Pauli ein Rätsel gibt. Das Rätsel kann man simpel so formulieren: Als er hundert Jahre alt wurde, nämlich im April des Jahres 2000, gab es keine Biographie über ihn. Warum ist einer der größten Denker, der von den Fachkollegen nur in einem Atemzug mit Isaac Newton und Albert Einstein genannt wird, so unbekannt?

Faszination des Unbewußten

Ich glaube, er ist so unbekannt, weil er etwas unheimlich ist. Er ist unheimlich in seiner mathematischen Durchdringung der physikalischen Wissenschaften. Das ist sozusagen nur die „Tagseite“ dessen, was bei Pauli eine Rolle spielte. Er ist vor allem unheimlich, weil er sich auf die „Nachtseite“, auf das Empfindsame, auf das Gefühl eingelassen hat. Weil er versucht, das Unbewusste, das bei jedem Physiker eine Rolle spielt, mit zu bedenken und in seiner Qualität zu verstehen. Sich auf das Unbewusste einlassen, auf das Faszinierende, das aus dieser Welt kommt, heißt ja eventuell auch, an dieser Stelle die Kontrolle der Rationalität zu verlieren.

Wir wissen über diese „Nachtseite“, über diese „Schattenseite“ in Paulis Leben aber auch erst seit ein paar Jahrzehnten, genauer gesagt, seit den 1980er Jahren, als der umfangreiche Briefwechsel von Wolfgang Pauli editiert wurde. Inzwischen sind 8 oder 9 Bände erschienen mit fast 10.000 Seiten. Sie können also den Rest Ihres Lebens damit verbringen, Briefe von Wolfgang Pauli zu lesen. Und es würde sich sogar lohnen, denn es ist eine ungeheure Fülle des Wissens, die da verarbeitet wird, über die Physik, über die Philosophie, über die Religion, über die Geistesgeschichte.

Pauli ist ein ungeheurer spannender Charakter. Es treffen sich heute noch einige Leute, die versuchen, nur einige seiner Grundgedanken zu verstehen. Ich möchte mich jetzt langsam diesem Phänomen, diesem großen Denker, nähern. Eine seiner Grundeinstellungen besteht darin, dass wir gewisserma-ßen immer aus zwei Seiten bestehen. Wir haben also die Möglichkeit des bewussten Denkens, des rationalen Umgangs. Wir haben aber auch die Möglichkeit des unbewussten Wissens. Die Welt besteht also aus Irrationalitäten.

Skylla und Charybdis

Wir haben die Möglichkeit, gewissermaßen durch Emotionen, durch Gefühle etwas zu wissen. Wir haben aber auch die Möglichkeit, etwas durch unseren Verstand, unsere Vernunft zu wissen. Pauli ist der Meinung, dass unsere Lebensspur eine schwierige Balance zwischen diesen beiden Polen hat. Der Weg, auf dem wir versuchen zur Wahrheit zu kommen, führt genau zwischen diesen beiden Polen hindurch – oder in seiner Formulierung:

Zwischen der Skylla eines blauen Dunstes von Mystik und der Charybdis eines sterilen Rationalismus. Dieser Weg wird immer voller Fallen sein und man kann nach beiden Seiten abstürzen.”

Das ist ein wichtiger Punkt auf den wir ganz zum Schluss noch einmal eingehen wollen. Eine Gesellschaft kann nicht nur abstürzen, wenn sie auf Rationalität verzichtet, sondern eine Gesellschaft kann auch abstürzen, wenn sie nur auf Rationalität baut. Reine Rationalität bringt Bomben hervor. Reine Rationalität bringt Umweltzerstörung hervor. Die Frage ist, wie man das vermeiden, wie man das verhindern kann? Das ist keine Frage – so meint Pauli – der Rationalität, sondern des Gegenstücks von Rationalität, das man „Emotionalität“ oder „Gefühl“ nennen könnte. Etwas, das wir langsam wieder anfangen zu entdecken.

Wir wissen längst, dass das, was die Computer berechnen, also was Rationalität erfassen kann, durch Bauchentscheidungen, durch herzliches Hinwenden besser verstanden werden kann. Viele Manager legen inzwischen Wert darauf, dass sie „aus dem Bauch heraus“ entscheiden.