Cover

Dr. Norden Bestseller
– 211 –

Die Sekretärin

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-501-8

Weitere Titel im Angebot:

»Fräulein Geßler, bitte zum Chef«, tönte es aus der Sprechanlage.

»Schon wieder«, murmelte Andrea Geßler seufzend. »Ich werde mit der Übersetzung nie mehr fertig.«

»Du bist halt gefragt«, sagte ihre Kollegin Carola neckend.

Auch Axel Quirin, der Juniorchef, hatte die Aufforderung für Andrea vernommen, und seine Augenbrauen schoben sich zusammen. Ganz zufällig hatte er am Morgen einen kleinen Klatsch vernommen, der ihn in gereizte Stimmung versetzt hatte.

»Der Senior und der Junior werden sich noch wegen der Geßler in die Haare kriegen«, hatte ein Mädchen aus dem Büro gemeint, und ihre Gesprächspartnerin hatte erwidert: »Der Alte sieht doch noch flott aus, und das Geld sitzt auch bei ihm. Aber der Strack ist auch hinter ihr her.« Dass alle, oder ziemlich alle, auf Andrea neidisch waren, wusste Axel. Und so viel hatte eben auch keine andere zu bieten wie dieses ebenso attraktive, wie auch intelligente Mädchen.

Dass der Senior, Joachim Quirin, Andrea in letzter Zeit sehr häufig für sich einspannte, war Axel auch nicht entgangen.

Allerdings war die Chefsekretärin Dagmar Braun plötzlich schwer erkrankt und fehlte nun schon drei Wochen.

Dass Axel heimlich, oder sogar unheimlich, in Andrea verliebt war, hatte er sich schon lange eingestanden, seinem Vater allerdings noch nicht. Er wusste auch, dass der »Senior«, der immerhin noch keine Fünfzig war, ganz andere Pläne mit seinem einzigen Sohn hatte.

Ob Vater doch etwas ahnt und Andrea von mir fernhalten will, überlegte Axel jetzt trübsinnig. Und was war mit Strack, an dem als Abteilungsleiter nichts auszusetzen war, der aber sonst als Playboy bezeichnet wurde?

Jedenfalls sah Peter Strack sehr gut aus, war Junggeselle, Mitte Dreißig und war anscheinend auch nicht unvermögend. Er fuhr einen flotten Sportwagen, hatte eine schöne Wohnung und war immer nach der

neuesten Mode gekleidet.

Axel wurde von seinem Vater noch kurz gehalten, und da er mit ihm unter einem Dach wohnte, stand er auch fast ständig unter Kontrolle. Manchmal war Axel drauf und dran, alles hinzuwerfen, aber seiner Tante Josi zuliebe blieb er dann doch.

Während Axel grimmig vor sich hin starrte, nahm Andrea ein Diktat auf. Joachim Quirin war es gewohnt, nur Stichworte zu geben, alles andere hatte er Dagmar Braun überlassen, und so hielt er es auch mit Andrea.

»Sie machen Ihre Sache sehr gut, Fräulein Geßler«, sagte er jovial, »und dabei habe ich doch gedacht, dass Frau Braun unersetzlich für mich sein würde.«

»Ich hoffe, dass sie bald gesund ist«, sagte Andrea.

Er war leicht irritiert. Sie war zwar sehr selbstbewusst, aber er war es doch gewohnt, dass er hofiert wurde.

»Arbeiten Sie nicht gern für mich?«, fragte er.

»O doch«, lenkte sie ein, »aber es bleibt doch so viel andere Arbeit liegen.«

»Kann die nicht jemand anderes machen?«, fragte er stirnrunzelnd.

»Für Spanisch haben wir keine andere Übersetzerin, und wir haben zur Zeit sehr viel spanische Korrespondenz.«

»Und für die Spanier ist mein Sohn zuständig«, stellte der Chef anzüglich fest.

Andrea blickte ihn voll an. Sie blieb völlig kühl. »Ich müsste auch für einen anderen diese Übersetzungen machen«, erklärte sie.

»Ich sehe ein, dass Sie überlastet sind. Ich werde ab sofort Ihr Gehalt erhöhen«, sagte Joachim Quirin.

Dagegen hatte Andrea nun wirklich nichts einzuwenden. Sie wusste, was sie leistete und sie war überdies sehr realistisch eingestellt.

»Verbindlichen Dank«, erwiderte sie höflich. »Ich bringe Ihnen den Brief dann zur Unterschrift.«

Darauf legte er auch Wert, denn es handelte sich um eine Angelegenheit, die Diskretion erforderte, und bei Andrea konnte er solcher sicher sein.

»Ich werde auch dafür sorgen, dass Sie ein eigenes Büro bekommen«, erklärte er noch.

»Oh, das ist wirklich nicht nötig. Ich komme mit Carola Munk sehr gut aus, und sie kann mir manche Schreibarbeiten abnehmen, die nicht so wichtig sind.«

Er musterte sie mit einem schnellen Blick. Schlank und schön, und immer perfekt gekleidet war sie, immer gepflegt und von einem Hauch von Kühle umgeben.

»Darf ich fragen, ob Sie allein in München leben?«, kam es zögernd über seine Lippen.

»Ja, ich lebe allein hier«, erwiderte sie, keineswegs bereit, weitere Auskünfte über ihre Familie zu geben, und er fragte auch nicht weiter.

Über ihre Familienverhältnisse sprach Andrea nie, denn die waren verworren genug und hatten ihr viel zu schaffen gemacht. Ihre Eltern waren geschieden, beide wieder mit anderen Partnern verheiratet, und auch mit denen lief nicht alles glatt. Andrea war froh, auf eigenen Füßen stehen zu können, und dafür hatte sie von ihrem Vater, wie auch von ihrer Mutter eine ganz hübsche Mitgift mitbekommen.

Sie hatte sich eine gemütliche Wohnung einrichten können, und dabei hatten ihr Dr. Norden und seine Frau Fee geholfen, eine solche zu bekommen. Sie waren die einzigen Menschen, denen Andrea voll vertraute.

Zu Dr. Norden war Andrea gekommen, weil sie in der Blütezeit immer unter starkem Heuschnupfen litt. Eine Desensibilisierung war bei ihr erfolglos gewesen, aber wenn der akute Zustand eintrat, hatte ihr Dr. Norden immer schnell helfen können.

Er hatte ihr dann die Wohnung vermittelt, als ein langjähriger Patient von ihm gestorben war und seine Frau ungern in ihrem Haus allein bleiben wollte, aber ganz fremde Leute wollte sie auch nicht haben. Doch wen Dr. Norden empfahl, akzeptierte sie, und so hatte Andrea in dieser Beziehung das große Los gezogen.

Hanny Thaler war Andrea eine mütterliche Freundin geworden, dankbar, dass Andrea sich auch um sie fürsorglich kümmerte und ihr alle Besorgungen abnahm, da sie nicht mehr gut zu Fuß war.

Dafür bekam aber Andrea immer ein gutes Essen vorgesetzt, wenn sie vom Büro heimkam. Und etwas Solides wie Andrea, das bekam auch Dr. Norden oft zu hören, fand man heutzutage wohl selten. Da gab es keine Herrenbesuche, und Andrea ging auch nur mal ganz selten aus, höchstens mal ins Kino oder in ein Konzert, aber wenn ein schöner Tag war, machte sie mit Hanny Thaler einen Ausflug in die Umgebung. Weil sie auch eine umsichtige und vernünftige Autofahrerin war, vertraute ihr Frau Thaler auch diesbezüglich.

Beiden war geholfen. Andrea hatte eine wunderschöne Wohnung im Grünen, einen Garten, in dem sie sich gern betätigte. Im Sommer pflegte sie ihn, im Winter räumte sie Schnee. Um all das brauchte Hanny Thaler sich nicht zu kümmern, und eigentlich war ihre einzige Sorge, dass eines Tages doch ein Mann diese Idylle zunichte machen könnte.

Aber wenn sie mal eine Andeutung machte, lachte Andrea nur. »Ich habe ja erlebt, welche Probleme eine Ehe mit sich bringt«, erklärte sie. »Da ist es besser, man bleibt allein.«

Mit Hanny Thaler hatte sie über ihre Eltern gesprochen, doch diese hatte eine glückliche, wenn auch kinderlose Ehe geführt, und sie hätte diesem reizenden Mädchen auch eine solche gewünscht.

Vorerst aber genossen beide das harmonische Zusammenleben, und als Andrea an diesem Abend einen großen Pralinenkasten mitbrachte, war Hanny Thaler ganz gerührt.

»Sie sollen doch nicht auch noch für mich Geld ausgeben, Andrea«, sagte sie.

»Ich habe Gehaltserhöhung bekommen, und das ist ein Grund zum Feiern«, meinte Andrea. »Am Sonntag machen wir einen schönen Ausflug, und ich lade Sie ein, Mutti Thaler. Kein Widerspruch!«

*

»So etwas Liebes wie die Andrea gibt es so schnell nicht mehr«, sagte Hanny Thaler anderntags zu Dr. Norden, als er seinen Hausbesuch bei ihr machte. Zweimal in der Woche kam er, um Blutdruck zu kontrollieren und nach ihren Beinen zu schauen, da sie stark unter Krampfadern litt. »Ich bin Ihnen ja so dankbar, dass Sie mir dazu verholfen haben. So habe ich in meinen alten Tagen doch noch viel Freude. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht wieder so leiden muss, wenn die Blütezeit kommt. Kann man denn da gar nichts machen? Sie können doch immer helfen.«

Dr. Daniel Norden hatte sich den Kopf schon genug zerbrochen, warum Andrea diesbezüglich nicht zu helfen war. Nun ja, Hilfe konnte er ihr schon bringen, aber bisher war alles Bemühen vergeblich gewesen, Andrea davor zu bewahren.

»Sie ist so gern in der Natur«, fuhr Hanny Thaler fort. »Am Sonntag will sie auch wieder einen Ausflug mit mir machen. Sie hat Gehaltserhöhung bekommen und will mich sogar zum Essen einladen. Sie lässt sich das nicht ausreden. Dass den Eltern solche Tochter gleichgültig sein kann, will mir nicht in den Kopf.«

»Wir wollen froh sein, dass Andrea dennoch ein so tüchtiges Mädchen geworden ist«, sagte Dr. Norden nachdenklich. »Sagen Sie ihr nur, dass sie rechtzeitig zu mir kommt, wenn die Blüte einsetzt, damit ich ihr vorab schon etwas spritzen kann, Es ist jetzt ein Mittel erprobt, das eine Langzeitwirkung haben soll. Wenn sie darauf anspricht, können doch möglicherweise unangenehme Begleiterscheinungen weitgehend ausgeschaltet werden. Ja, liebe Frau Thaler, auch wir Ärzte müssen erst dahinterkommen, was wirklich helfen kann.«

»Mein Mann wäre ja schon lange vorher gestorben, wenn Sie ihm nicht geholfen hätten«, sagte Frau Thaler leise. »Und so sehr hat er sich dann auch nicht mehr quälen müssen. Sie brauchen nicht denken, dass ich das vergesse. Und vor allem werde ich nie vergessen, dass Sie mir die Andrea ins Haus gebracht haben. Wenn sie ›Mutti Thaler‹ zu mir sagt, da ist es mir, als wäre sie mein Kind, obgleich ich nie eins haben konnte.« Ihr Blick schweifte ab. »Es wird alles gut aufgehoben sein, wenn ich nicht mehr bin, denke ich.«

»Jetzt geht es Ihnen doch gut, Frau Thaler«, sagte Dr. Norden, obgleich sie ihm doch manche Sorgen bereitete.

»Ich weiß, dass es nicht mehr so arg lange dauern kann, bis ich bei meinem Ferdi liege«, sagte sie leise. »Wir waren einfache Leute, Dr. Norden. Wir haben uns ein bissel was geschaffen. Das Häusle, mein Gott, damals war ja alles noch nicht so teuer, und der Ferdi war so fleißig. So gescheit wie Andrea war ich doch nie, dass ich hätte so viel mitverdienen können. Ein Kind hätt ich mir schon gewünscht, aber es sollte nicht sein, und ob es so wie Andrea geworden wäre …, lieber Gott, was man so alles liest, da will ich lieber nicht darüber nachdenken. Aber ich habe alles geregelt, und Sie müssen mir versprechen, dass Sie dem Dirndl sagen, dass sie mein ganzes Glück gewesen ist.«

»Sie sind noch quicklebendig, Frau Thaler«, sagte er.

»Aber ich geh auf die Achtzig zu, und einmal kann es ganz schnell gehen. Wie es der Herrgott will. So hat es mein Ferdi auch immer gesagt. Sie wissen es ja, dass meine Beine nicht mehr wollen, und wenn Andrea nicht wäre, wer würde sich dann um mich kümmern. Es ist ja nicht so, dass einem nur das Bett bereitet und das Essen gebracht wird, was man braucht.«

»Ich verstehe Sie, Frau Thaler, und ich bin sehr froh, dass Sie sich so gut mit Andrea verstehen«, sagte Dr. Norden.

»Aber sie ist auch allein. Es ist nicht spurlos an ihr vorbeigegangen, dass ihre Eltern sich getrennt haben. Das alles sitzt tief drinnen in ihr, da braucht sie mir gar nichts zu sagen. Das fühle ich. Sie kennen mich doch auch schon lange, Herr Dr. Norden. Sie wissen, dass ich nicht so eine bin, die nur schwätzt.«

»Sie sind eine ganz liebe Patientin, Frau Thaler«, antwortete Dr. Nor­den.

»Wenn nur die Beine nicht wären«, murmelte sie. »Die machen mir schon arg zu schaffen. Ich weiß ja, dass Sie alles tun, aber was nun mal schon so verbraucht ist, kann man auch nicht mehr auf neu machen. Aber passen Sie mir auf das Dirndl auf.«

»Das verspreche ich. Und nun freuen Sie sich auf den Sonntag.«

*

Da spielte auch der Wettergott mit.

»Wie wäre es, wenn wir mal an den Tegernsee fahren, Mutti Thaler?«, fragte Andrea.

»Ist das nicht zu weit?«

»Eine gute Stunde? Es wäre doch mal was anderes«, meinte Andrea.

»Es ist schon dreißig Jahre her, dass ich mit meinem Ferdi mal dort war. Ja, schön wär’s schon«, sagte Hanny Thaler. »Aber so recht behagt es mir doch nicht, dass Sie Ihre knappe Freizeit immer mit mir alter Frau verbringen, Andrea.«

»Mit meiner lieben Mutti Thaler«, sagte Andrea. »Ich habe ein wunderschönes Zuhause bei Ihnen gefunden. Ich habe Sie lieb.«

Da wurden Hanny Thalers Augen feucht. »Bist so ein liebes Dirndl«, sagte sie leise.

»Dann lassen wir es beim Du, Mutti Thaler. Bist auch eine ganz Liebe«, sagte Andrea.

Und ein wunderschöner Tag sollte ihnen beschieden sein, der sie einander noch näher brachte. In Wiessee aßen sie zu Mittag, dann fuhren sie mit dem Schiff nach Rottach-Egern.

»Es hat sich sehr verändert seit damals«, sagte Hanny Thaler leise. »Ich bin alt geworden, Andrea, und immer denk ich nur daran, wie es früher war.«

»Es ist schön, wenn man gute Erinnerungen hat«, sagte Andrea leise, »wenn man gern zurückdenkt.«

»Wir haben uns ja nicht viel leisten können. Wir haben immer nur für das Haus gespart. Ein eigenes Dach über dem Kopf, hat mein Ferdi sich immer gewünscht. Und darüber sind wir alt geworden, Andrea. Du solltest mehr von der Welt sehen.«

»Mich zieht es nicht hinaus, Mutti Thaler. Mein Vater war viel auf Reisen. Meine Mutter wäre gern mit ihm gereist, aber sie hatte die Kinder, und was daraus geworden ist, das sind wirklich keine guten Erinnerungen.«

»Du hattest noch Geschwister?«

»Eine Schwester. Sie war zwei Jahre älter als ich. Sie hat geheiratet, als sie neunzehn war. Es war ein Fiasko. Warum soll ich dir diese traurige Geschichte erzählen.«