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Der Ernst des Kampfes
hat keine Bedeutung für die Friedvollen.

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Für Ali

Ich bin sicher, du bist glücklich, wo immer
du auch jetzt sein magst

Mo Gawdat

Die Formel für Glück

Und wie Sie diese nutzen

Übersetzung aus dem Englischen
von Jordan Wegberg

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

3. Auflage 2018

© 2018 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

© der Originalausgabe 2017 by Mo Gawdat

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Jordan T. Wegberg, Berlin

ISBN Print 978-3-86881-687-7

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Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

Inhalt

Einleitung

Teil 1

Kapitel 1 – Die Gleichung aufstellen

Unser Grundzustand

Zum Glück auflösen

Was ist Glück?

Die Glücksgleichung

Glück in Gedanken

Schmerz versus Leid

Kapitel 2 – 6-7-5

Der Zustand der Verwirrung

Der Zustand des Leids

Der Zustand des Ausweichens

Der Zustand des Glücks

Der Zustand der Freude

Ein Modell für das Glück

Teil 2 – Große Illusionen

Kapitel 3 – Die kleine Stimme in Ihrem Kopf

Die Stimme sind nicht Sie selbst

Das Gehirn

Die Stellenbeschreibung

Wer ist der Boss?

Nützliche Gedanken

Der Leidenszyklus

Umgang mit der Stimme

»Der Auserwählte«

Wer sind Sie?

Kapitel 4 – Wer sind Sie?

Wer sind Sie nicht?

Was glauben Sie, wer Sie sind?

Der Star des Films

Kapitel 5 – Was wissen Sie?

Das Interview

EDAA

Was fehlt?

Echtes Wissen

Mit Weisheit zum Glück

Der Stupser

Der Radiergummitest

Kapitel 6 – Kann mir mal jemand die Zeit sagen?

Ein zeitloses Experiment

Wer ist Ihr Meister?

Die Wissenschaft von der Zeit

Wie eine Katze die Zeit betrachtet

Vergangenheit und Zukunft

Ihr Gehirn ist süchtig nach Zeit

Nutzen Sie die Zeit aus: Lassen Sie sich nicht von der Zeit ausnutzen

Aber was ist, wenn das Jetzt nicht glücklich ist?

Leben Sie hier und jetzt

Kapitel 7 – Houston, wir haben ein Problem

Die Wahrheit über Kontrolle

Schwäne und Schmetterlinge

Die Bandbreite Ihrer Kontrolle

Erfolgreich sein ohne Kontrolle

Meine Einstellung

Kapitel 8 – Springen

Die Angst eingestehen

Die Angst verstehen

Die Angst benennen

Die Angstspielchen Ihres Gehirns

Das Gelübde

Springen

Es ist Zeit

Teil 3 – Blinde Flecken

Kapitel 9 – Ist das wahr?

Über den Ursprung der blinden Flecken

Der Hang zur schlechten Laune

Die Inspektion Ihres Gehirns

Ein sorgfältiger Anwalt

Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Schlussbemerkungen

Debuggen Sie den Gehirncode

Ist es wahr?

Die Wahrheiten

Teil 4 – Ultimative Wahrheiten

Kapitel 10 – Genau hier, genau jetzt

Was ist Achtsamkeit?

Die Verbindung aufbauen

Das Ausmaß Ihrer Achtsamkeit

Vom Sein

Kapitel 11 – Das Schwingen des Pendels

Ein Multiversum

Das Cockpit-Projekt

Finden Sie den Weg

Schauen Sie hinunter

Kapitel 12 – Love is all you need

Welche Art Liebe?

Fühlen statt denken

Die wahre Freude der Liebe

Die Ökonomie der Liebe

Bedienungsanleitung der Liebe

Kapitel 13 – L. I. P.

Die Mythen, an die wir glauben

Das Kontinuum des langen Lebens

Tod und Glück

Der weltbeste Lehrmeister des Lebens

Das Spiel

Alis letzter Wunsch

Kapitel 14 – Wer hat wen erschaffen?

Die Problemstellung

Willkommen im Casino der Schöpfung

Das Spiel ist manipuliert

Ein übersehenes Detail

Evolution versus Gestaltung

Es gibt einfach nicht genügend Zeit

Woraus wir gemacht sind

Steve Jobs wer?

Zurück zum Glücklichsein

Nachwort – Ein Gespräch mit Ali

Bringt uns das Ali zurück?

Ist das wahr?

Die Wahrheit

Seine letzten Worte

Portal

Danksagungen

Über den Autor

Anmerkungen

Einleitung

17

Tage nach dem Tod meines wunderbaren Sohnes Ali begann ich zu schreiben und konnte einfach nicht mehr aufhören. Mein Thema war das Glücklichsein – unter den gegebenen Umständen ein recht überraschendes Gebiet.

Ali war ein wahrer Engel. Er machte alles besser, das er berührte, und jeden glücklicher, dem er begegnete. Er war immer friedlich, immer glücklich. Seine Lebenslust und die zugewandte Fürsorge, die er jedem Lebewesen schenkte, das seinen Weg kreuzte, blieben niemandem verborgen. Als er von uns ging, gab es jeden Grund, traurig zu sein – sogar zutiefst verzweifelt. Wie konnte sein Tod mich also dazu veranlassen, das zu schreiben, was Sie hier lesen werden? Nun, das ist eine Geschichte, die ungefähr mit dem Tag seiner Geburt begann – vielleicht sogar noch ein bisschen früher.

Seit dem Beginn meiner Berufstätigkeit habe ich eine Menge Erfolg, Reichtum und Anerkennung genossen. Doch während der ganzen Zeit war ich fortwährend unglücklich. Am Anfang meiner Karriere bei Technologieriesen wie IBM und Microsoft bekam ich intellektuelle Befriedigung und Selbstbestätigung im Übermaß, und ja, ich verdiente auch gutes Geld. Doch ich stellte fest: Je mehr ich hatte, desto unglücklicher wurde ich.

Das lag nicht nur daran, dass das Leben komplizierter geworden war – Sie wissen schon, wie in dem Rap-Song aus den Neunzigern, »Mo’ money, mo’ problems«. Das Problem war, dass ich trotz finanzieller und intellektueller Gewinne nicht in der Lage war, mein Leben mit Freude zu füllen. Selbst mein größtes Glück, meine Familie, gab mir nicht so viel Freude, wie möglich gewesen wäre, weil ich sie nicht anzunehmen wusste.

Paradoxerweise war ich als junger Mann, trotz meiner Suche nach dem richtigen Lebensweg und häufig pleite, immer sehr glücklich gewesen. Doch bis zum Jahr 1995, als meine Frau und ich und unsere beiden Kinder unsere Sachen zusammenpackten, um nach Dubai zu ziehen, hatte sich einiges verändert. Nichts gegen Dubai. Das ist eine bemerkenswerte Stadt, deren großzügige Einwohner, die Emirater, uns wirklich das Gefühl gaben, zu Hause zu sein. Unser Eintreffen fiel zufällig mit dem Beginn des explosiven Wachstums Dubais zusammen, das überwältigende Karrierechancen und Millionen Glücksgelegenheiten eröffnete – oder wenigstens den Versuch ermöglichte.

Aber Dubai kann auch den Eindruck des Surrealen erwecken. Hinter einer gleißenden Landschaft aus heißem Sand und türkisblauem Wasser erhebt sich eine Skyline aus futuristischen Bürogebäuden und Wohntürmen, in denen Multimillionen-Dollar-Apartments für einen stetigen Strom globaler Käufer bereitstehen. Auf den Straßen streiten sich Porsches und Ferraris mit Lamborghinis und Bentleys um die Parklücken. Die Extravaganz dieser Anhäufung von Reichtum ist verblüffend – doch zugleich wirft sie die Frage auf, ob man verglichen mit alldem eigentlich schon irgendetwas erreicht hat.

Als wir im Emirat ankamen, hatte ich bereits die Gewohnheit angenommen, mich mit meinen superreichen Freunden zu vergleichen, und dabei zog ich immer den Kürzeren. Doch dieses Gefühl der Unzulänglichkeit führte mich nicht zum Psychiater oder in einen Ashram. Vielmehr beflügelte es meinen Ehrgeiz. Ich machte einfach das, was ich als Nerd, der seit seiner Kindheit wie besessen las, schon immer gemacht hatte: Ich kaufte einen Berg Bücher. Ich untersuchte Analysen von Aktienentwicklungen bis hin zu den grundlegenden Gleichungen, die den Ausgangspunkt jedes Diagramms bilden. Und indem ich sie erlernte, konnte ich kurzfristige Marktfluktuationen vorhersagen wie ein Profi. Ich kam ungefähr zu dem Zeitpunkt von meiner Arbeit nach Hause, da die NASDAQ in den USA öffnete, und setzte meine mathematischen Fähigkeiten ein, um als Tageshändler (in meinem Falle genauer gesagt als Nachthändler) ordentlich Geld zu machen.

Trotzdem – und ich nehme an, ich bin nicht der Erste, der Ihnen so eine Geschichte erzählt –, je mehr Geld ich verdiente, desto unglücklicher wurde ich. Das brachte mich bloß dazu, noch härter zu arbeiten und mir noch mehr Spielzeuge zu kaufen in der irrigen Annahme, all diese Bemühungen würden früher oder später Früchte tragen und ich würde den Topf voller Gold – nämlich das Glück – finden, der am Ende des Regenbogens großer Errungenschaften vergraben war. Ich wurde zu einem Nagetier in dem, was Psychologen als »hedonistisches Hamsterrad« bezeichnen. Je mehr man kriegt, desto mehr will man haben. Je mehr man sich abmüht, umso mehr Gründe findet man, sich abzumühen.

Eines Abends ging ich online und kaufte mit zwei Mausklicks einen alten Rolls-Royce. Warum? Weil ich es konnte. Und weil ich verzweifelt versuchte, den Hohlraum in meiner Seele zu füllen. Es wird Sie kaum überraschen zu hören, dass dieser wunderschöne Klassiker des britischen Automobildesigns meine Stimmung kein bisschen anhob, als er endlich vor mir auf der Straße stand.

Rückblickend betrachtet war ich in dieser Zeit meines Lebens keine besonders gute Gesellschaft. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit lag darin, die Geschäfte von Microsoft auf Afrika und den Nahen Osten auszuweiten, wodurch ich, wie Sie sich vorstellen können, den größten Teil meiner Zeit in Flugzeugen saß. In meiner ständigen Jagd nach mehr war ich selbst zu Hause aggressiv und unangenehm geworden, und ich wusste es. Ich verbrachte viel zu wenig Zeit damit, die tolle Frau wertzuschätzen, die ich geheiratet hatte, viel zu wenig Zeit mit meinem wunderbaren Sohn und meiner Tochter, und hielt niemals inne, um den einzelnen Tag zu genießen.

Stattdessen war ich den Großteil meiner wachen Stunden gehetzt, nervös und überkritisch und verlangte selbst von meinen Kindern Leistung und Erfolg. Wie ein Besessener versuchte ich, die Welt an meine Vorstellung davon anzupassen, wie sie sein sollte. Bis 2001 hatten das unablässige Streben und die Leere mich an einen sehr dunklen Ort geführt.

Da wusste ich, dass ich das Problem nicht länger ignorieren konnte. Dieser streitlustige, unglückliche Mensch, der mich aus dem Spiegel heraus ansah, war nicht ich selbst. Ich vermisste den zufriedenen, optimistischen, jungen Mann, der ich immer gewesen war, und ich hatte es satt, weiterhin in der Haut dieses müden, schlecht gelaunten, aggressiv aussehenden Typen zu stecken. Ich beschloss, mein Unglücklichsein als Herausforderung anzunehmen: Ich würde meine streberhafte Vorgehensweise des Selbststudiums in Kombination mit meinem analytischen Ingenieurverstand nutzen, um mir einen Ausweg zu schaffen.

Ich bin in Kairo aufgewachsen, wo meine Mutter als Professorin für englische Literatur unterrichtete. Schon lange vor meinem ersten Schultag hatte ich angefangen, Bücher regelrecht zu verschlingen. Mit acht Jahren begann ich, mir alljährlich ein Schwerpunktthema auszusuchen und so viele Bücher darüber zu kaufen, wie ich mir leisten konnte. Den Rest des Jahres brachte ich damit zu, jedes Wort in jedem Buch zu lernen. Diese Angewohnheit machte mich zur Zielscheibe des Spottes meiner Freunde, aber ich habe sie als Herangehensweise an alle Herausforderungen und Zielsetzungen beibehalten. Wann immer das Leben schwierig war, las ich.

Ich brachte mir selbst Schreinern, Mosaiklegen, Gitarrespielen und Deutsch bei. Ich informierte mich über die Relativität, studierte Spieltheorie und Mathematik und lernte die Entwicklung hochkomplizierter Computerprogramme. Als Grundschüler und später als Teenager machte ich mich mit sturer Entschlossenheit über meine Bücherstapel her. In späteren Jahren verwendete ich dieselbe Leidenschaft darauf, die Restaurierung klassischer Autos, das Kochen und hyperrealistische Kohleporträtzeichnungen zu erlernen. Ich verschaffte mir eine ordentliche Professionalität im Business-, Management-, Finanz-, Wirtschafts- und Investmentbereich, hauptsächlich durch die Lektüre von Büchern.

In schwierigen Situationen neigen wir dazu, verstärkt das zu tun, was wir am besten können. Als unglücklicher Mittdreißiger versenkte ich mich daher in die Lektüre von Büchern über mein Dilemma. Ich kaufte jeden nur auffindbaren Titel über das Thema Glücklichsein. Ich ging zu jeder Vorlesung, sah mir jede Dokumentation an und analysierte dann sorgfältig alles, was ich erfahren hatte. Doch ich betrachtete das Thema nicht aus derselben Perspektive wie die Psychologen, die diese Bücher geschrieben, Experimente durchgeführt und die »Glücksforschung« zu einer so hoch gehandelten akademischen Disziplin gemacht hatten. Ganz sicher schwamm ich nicht auf der Welle all der Philosophen und Theologen mit, die sich mit dem Problem menschlichen Glücks seit Anbeginn der Zivilisation herumschlugen.

Meinem üblichen Trainingsplan folgend brach ich das Problem des Glücks auf seine kleinsten Bestandteile herunter und unterzog es einer technischen Analyse. Ich wählte eine skalierbare und replizierbare, faktenorientierte Vorgehensweise. Dabei stellte ich jeden Prozess infrage, den ich angeblich blindlings befolgen sollte, überprüfte den Sitz jedes beweglichen Teils und warf einen gründlichen Blick auf die Gültigkeit jedes Beitrags, während ich einen Algorithmus zu erarbeiten versuchte, der die gewünschten Resultate hervorbrachte. Als Softwareentwickler setzte ich mir das Ziel, einen Code zu finden, der immer wieder aufs Neue auf mein Leben angewendet werden konnte, um jedes Mal zuverlässig für Glück zu sorgen.

Nach all diesen hyperrationalen Erwägungen, die eines Mr. Spock würdig gewesen wären, hatte ich merkwürdigerweise meinen ersten echten Durchbruch während eines lockeren Gesprächs mit meiner Mutter. Sie hatte mich immer dazu angehalten, hart zu arbeiten und den finanziellen Erfolg an oberste Stelle zu setzen. Oft zitierte sie ein arabisches Sprichwort, das frei übersetzt so viel bedeutet wie: »Iss ein Jahr lang bescheiden und kleide dich ein Jahr lang bescheiden, und du wirst für immer glücklich sein.« Als junger Mann war ich diesem Rat mit geradezu religiösem Eifer gefolgt. Ich hatte hart gearbeitet und gespart und war erfolgreich geworden. Ich hatte meinen Teil der Abmachung eingehalten. Deshalb fragte ich meine Mutter eines Tages: Wo war denn nun das ganze Glück, das ich mit Fug und Recht erwartete?

Im Verlauf dieses Gesprächs wurde mir plötzlich klar, dass Glück nichts ist, auf das man wartet und für das man arbeitet, als müsse man es sich verdienen. Abgesehen davon sollte es nicht von äußeren Umständen abhängen, schon gar nicht von so unbeständigen und potenziell fließenden Umständen wie beruflichem Erfolg und wachsendem Vermögen. Mein Weg bis hierhin war von Fortschritt und Erfolg geprägt gewesen, doch jedes Mal, wenn ich ein Stück vorangekommen war, schien sich die Ziellinie ein bisschen weiter nach hinten verschoben zu haben.

Ich erkannte, dass ich niemals Glück finden würde, solange ich an der Vorstellung festhielt, ich müsse nur noch dieses tun oder jenes bekommen oder irgendeine Wegmarke erreichen, um glücklich zu werden.

In der Algebra können Gleichungen auf viele Arten gelöst werden. Wenn beispielsweise A=B+C, dann B=A-C. Wenn Sie versuchen, A aufzulösen, betrachten Sie den Wert der beiden anderen Parameter – B und C –, und wenn Sie B auflösen wollen, müssen Sie andere Schritte durchführen. Der Parameter, den aufzulösen Sie sich entscheiden, verändert Ihre Vorgehensweise bei der Auflösung ganz erheblich. Dasselbe trifft zu, wenn Sie sich entscheiden, Glücklichsein aufzulösen.

Ich begann zu begreifen, dass ich bei all meinem Streben versucht hatte, das falsche Problem zu lösen. Ich hatte mich der Herausforderung gestellt, materiellen Wohlstand und Status zu vervielfachen, sodass am Ende als Produkt all dieser Anstrengungen … Glück herauskäme. Tatsächlich musste ich aber die Zwischenschritte überspringen und einfach direkt das Glücklichsein auflösen.

Meine Reise dauerte fast zehn Jahre, doch im Jahr 2010 hatte ich dann eine Gleichung sowie ein gut durchkonstruiertes, einfaches und replizierbares Modell des Glücks und seiner Aufrechterhaltung entwickelt, in dem alle Teile perfekt ineinandergriffen.

Ich stellte das System auf die Probe, und es funktionierte. Die Belastung durch einen verpatzten Geschäftsabschluss, lange Warteschlangen am Flughafen, mieser Kundendienst – nichts davon konnte mein Glück mindern. Das tägliche Leben als Ehemann, Vater, Sohn, Freund und Mitarbeiter war von den unvermeidlichen Höhen und Tiefen geprägt, aber egal wie der einzelne Tag verlief, ob gut oder schlecht – oder ein bisschen von beidem –, ich stellte fest, dass ich in der Lage war, die Achterbahnfahrt selbst zu genießen.

Ich war endlich wieder zu dem glücklichen Menschen zurückgekehrt, den ich anfangs als »Ich« erkannt hatte, und der blieb ich auch eine ganze Weile. Ich erzählte Hunderten von Freunden von meinem strikten Vorgehen, und auch bei ihnen funktionierte meine Glücksgleichung. Ihr Feedback half mir, das Modell sogar noch weiter zu verfeinern. Wie sich herausstellte, war das auch gut so, denn ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich es noch brauchen würde.

Mein Vater war ein ausgezeichneter Bauingenieur und ein außergewöhnlich freundlicher Mann. Obwohl meine Leidenschaft immer der Computerwissenschaft gehört hatte, studierte ich ihm zuliebe Bautechnik. Mein Studienfach lieferte ohnehin nicht den größten Beitrag zu meiner Bildung, denn das Lernen findet in der realen Welt statt, wie mein Vater glaubte. Seit ich zur Mittelschule gegangen war, hatte er mich immer ermuntert, jeden Urlaub in einem anderen Land zu verbringen. Anfangs legte er jeden Cent beiseite, um mir diese Erfahrungen zu ermöglichen, und traf Arrangements mit Familienangehörigen oder Freunden, die ich in den Ferien besuchen konnte. Später ging ich arbeiten, um die Kosten für meine Reisen selbst aufbringen zu können. Diese Erlebnisse des wirklichen Lebens waren so wertvoll, dass ich mir vornahm, meinen Kindern eine ähnliche Erfahrung zu bieten.

Wie es das Schicksal wollte, bot mir die Wahl meiner Universität den größten Nutzen und Segen jener Studentenzeiten. Ich lernte eine charmante, intelligente Frau namens Nibal kennen. Einen Monat nach ihrem Abschluss waren wir verheiratet, und ein Jahr später wurde sie Umm Ali, Mutter von Ali, wie Frauen im Nahen Osten genannt werden, wenn sie das erste Kind zur Welt gebracht haben. Achtzehn Monate später folgte unsere Tochter Aya, die zum Sonnenschein und zur unerschöpflichen Energiequelle unserer Familie wurde. Mit Nibal, Ali und Aya um mich herum kannte mein Glück keine Grenzen. Aus Liebe zu meiner Familie arbeitete ich hart, um ihnen das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Ich ging die Aufgaben des Lebens an wie ein wild gewordenes Rhinozeros.

Im Jahr 2007 fing ich bei Google an. Trotz seines Erfolgs war die globale Reichweite des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt begrenzt, daher bestand meine Funktion darin, unsere Geschäfte auf Osteuropa, den Nahen Osten und Afrika auszuweiten. Sechs Jahre später wechselte ich zu einer separaten Firma mit dem Namen X, bei der ich schließlich zum Chief Business Officer aufstieg. Bei X versuchen wir keine schrittweisen Verbesserungen dessen zu erzielen, wie die Welt funktioniert, sondern wir bemühen uns, neue Technologien zu entwickeln, die das Wesen der Dinge neu erfinden. Unsere Zielsetzung ist eine radikale, zehnfache – 10X – Verbesserung. Daher arbeiten wir an Ideen, die wie Science-Fiction daherkommen, zum Beispiel an selbsttätigen Flugdrachen aus Karbonfasern, die als Windkraftturbinen dienen, an in Kontaktlinsen eingebauten Minicomputern, die physiologische Daten erfassen und drahtlos mit anderen Computern kommunizieren, und Ballons, die Telekommunikationstechnologien in die Stratosphäre hinaufbringen, um jedem Menschen überall auf der Welt Internetdienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Bei X bezeichnen wir sie als »Moonshots«.

Wenn Sie eine maßvolle Verbesserung des Bestehenden anstreben, arbeiten Sie zunächst mit denselben Werkzeugen und Vermutungen, demselben mentalen System, auf dem die alte Technologie aufbaut. Besteht die Aufgabe dagegen darin, sich um den Faktor zehn weiterzuentwickeln, beginnen Sie mit einem unbeschriebenen Blatt. Bei einem Moonshot verlieben Sie sich in das Problem, nicht in das Produkt. Sie verschreiben sich einer Mission, ehe Sie überhaupt wissen, dass Sie die Fähigkeit besitzen, sie zu erfüllen. Und Sie setzen sich kühne Ziele. Die Automobilindustrie war zum Beispiel jahrzehntelang auf Sicherheit programmiert. Sie machte fortwährend kleine Fortschritte, indem sie Verbesserungen am traditionellen Automobildesign vornahm – dem Design, an das wir uns alle seit Anfang des 20. Jahrhunderts gewöhnt haben. Bei X gehen wir so vor, dass wir uns zunächst fragen: »Warum sollte ein Unfall überhaupt erst passieren?« An diesem Punkt verschreiben wir uns dem Moonshot: einem selbstfahrenden Auto.

Mein Glücksmodell funktionierte also gut, ich hatte viel Freude an meiner beruflichen Laufbahn, durch die ich meinen Teil zur Erfindung der Zukunft beisteuern konnte, mein Sohn und meine Tochter lernten, wuchsen heran und bereisten in der Tradition meines Vaters jeden Sommer neue Orte. Sie hatten viele Freunde auf aller Welt, die sie besuchen konnten, und waren immer auf Entdeckungstour.

Im Jahr 2014 studierte Ali in Boston und hatte eine lange Reise durch Nordamerika geplant, daher gingen wir nicht davon aus, dass er zu seinem üblichen Besuch nach Dubai kommen würde. Ich war angenehm überrascht, als er im Mai anrief und sagte, er habe große Sehnsucht nach uns und wolle ein paar Tage mit uns verbringen. Aus irgendeinem Grund war es ihm eilig, und er fragte, ob wir ihm einen Flug buchen könnten, sobald das Semester vorüber sei. Auch Aya plante einen Besuch, deshalb waren Nibal und ich überglücklich. Wir trafen alle Vorbereitungen und freuten uns darauf, dass im Juli die ganze Familie beisammen sein würde.

Vier Tage nach seiner Ankunft bekam Ali heftige Bauchschmerzen und wurde in das örtliche Krankenhaus eingeliefert, wo man ihm eine routinemäßige Blinddarmentfernung empfahl. Ich machte mir keine Sorgen. Tatsächlich war ich erleichtert, dass es passierte, während er zu Hause war, sodass wir uns um ihn kümmern konnten. Dieser Urlaub würde vielleicht nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlaufen, aber die Planänderung wäre leicht zu verschmerzen.

Als Ali auf dem OP-Tisch lag, wurde eine Nadel eingeführt, um seinen Abdominalraum mit Kohlendioxid zu weiten und Platz für den weiteren Operationsvorgang zu schaffen. Doch die Nadel wurde ein paar Millimeter zu weit hineingeschoben und punktierte Alis Femoralarterie, eins der wichtigsten Gefäße für den Transport des Bluts vom Herzen. Dann wurde alles immer schlimmer. Es verging wertvolle Zeit, bis irgendjemand den Patzer bemerkte, und in der Folge wurde noch eine Reihe zusätzlicher Fehler gemacht, die schließlich tödliche Folgen hatten. Innerhalb weniger Stunden war mein Sohn nicht mehr am Leben.

Ehe wir überhaupt das Ausmaß dessen begreifen konnten, was hier geschehen war, sprangen Freunde Nibal, Aya und mir zur Seite, die uns bei der Bewältigung der praktischen Erfordernisse halfen und uns unterstützten, während wir uns bemühten, die steile Wendung zu begreifen, die unsere Leben genommen hatten.

Man sagt, ein Kind zu verlieren, ist die schlimmste Erfahrung, die ein Mensch machen kann. Es bringt Eltern definitiv an ihre Grenzen. Ali in seiner Blütezeit zu verlieren war noch schlimmer, und ihn unerwartet aufgrund vermeidbarer menschlicher Fehler zu verlieren, war vielleicht das Schlimmste von allem.

Doch für mich war der Verlust noch größer, denn Ali war nicht nur mein Sohn, sondern zudem mein bester Freund. Er war geboren worden, als ich noch recht jung war, und es fühlte sich an, als seien wir zusammen aufgewachsen. Wir machten zusammen Videospiele, hörten zusammen Musik, lasen zusammen Bücher und lachten viel miteinander. Mit achtzehn war Ali deutlich weiser als viele Männer meines Bekanntenkreises. Er war eine Stütze und ein Vertrauter. Manchmal ertappte ich mich sogar bei dem Gedanken: »Wenn ich mal erwachsen bin, will ich so werden wie Ali.«

Auch wenn alle Eltern ihre Kinder als etwas Außergewöhnliches betrachten, glaube ich aufrichtig, dass dies auf Ali wirklich zutraf. Nach seinem Tod erhielten wir Mitteilungen aus aller Welt von Hunderten von Menschen, die schilderten, wie dieser Einundzwanzigjährige ihr Leben verändert hatte. Einige davon waren Teenager, andere hatten die Siebzig bereits überschritten. Ich werde nie erfahren, wie Ali die Zeit und die Weisheit gefunden hat, das Leben so vieler Menschen zu berühren. Er war ein leuchtendes Beispiel für Friedfertigkeit, Fröhlichkeit und Güte. Und er besaß eine starke Präsenz, die ihn diese Merkmale großzügig nach allen Seiten verteilen ließ. Einmal sah ich aus einiger Entfernung zu, wie er sich neben eine Obdachlose setzte und sich lange mit ihr unterhielt. Er erkannte sie als einen Mitmenschen, mit dem es sich lohnt, eine Verbindung aufzunehmen, dann leerte er seine Taschen und gab ihr alles, was er dabeihatte. Als er ging, lief sie ihm nach, wühlte in ihrem Sack herum und gab ihm schließlich etwas, das ihr wertvollster Besitz gewesen sein muss: eine kleine, ungeöffnete Plastikdose mit Handcreme. Dieses Geschenk wurde zu einem von Alis wertvollsten Schätzen. Jetzt ist es einer von unseren.

Doch nun hatte ich ihn aufgrund eines ärztlichen Fehlers binnen kürzester Zeit verloren. Alles, was ich je über Glück gelernt hatte, wurde auf die Probe gestellt. Ich nahm an, wenn ich mich und meine Familie vor den dunkelsten Abgründen der Depression bewahren könnte, hätte ich bereits einen großen Erfolg erzielt.

Aber wir schafften sehr viel mehr.

Als Ali uns so plötzlich verließ, empfanden seine Mutter und ich ebenso wie unsere Tochter tiefste Trauer. Natürlich vermissen wir ihn weiterhin schmerzlich, und wir vergießen regelmäßig Tränen darüber, dass er nicht mehr für eine Umarmung, einen Schwatz oder ein Videospiel verfügbar ist. Der Schmerz, den wir empfinden, ist unser Antrieb, sein Andenken zu ehren und ihm das Beste zu wünschen. Doch bemerkenswerterweise ist es uns gelungen, einen dauerhaften inneren Frieden zu bewahren – sogar Glück. Wir haben traurige Tage, aber wir leiden nicht. In unseren Herzen wohnt Zufriedenheit, sogar Freude.

Schlicht gesagt, unser Glücksmodell hat sich für uns bewährt. Selbst in den Augenblicken unserer tiefsten Trauer über Alis Tod waren wir dem Leben gegenüber niemals zornig oder vorwurfsvoll. Wir fühlten uns nicht betrogen oder niedergedrückt. Wir durchlebten das schwierigste nur vorstellbare Ereignis so, wie Ali es getan hätte: friedvoll.

Bei Alis Trauerfeier füllten Hunderte Menschen unser Haus, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, während eine unübersehbar große Menge draußen in der Hitze des Dubaier Sommers wartete. Sie wollten einfach nicht gehen. Es war eine außergewöhnliche Trauerfeier, die sich in jeder Hinsicht um die Freude herumrankte, die Ali während seines Lebens ausgestrahlt hatte. Die Leute kamen in Tränen aufgelöst, verschmolzen jedoch rasch mit der positiven Energie des Ereignisses. Sie weinten in unseren Armen, aber wenn wir uns unterhielten und wenn sie unseren Standpunkt zu den Geschehnissen begriffen, der durch unser Glücksmodell geprägt war, hörten sie auf zu weinen. Sie gingen durchs Haus und bewunderten Hunderte Fotografien von Ali (alle mit einem breiten Lächeln) an jeder einzelnen Wand. Sie probierten ein paar von seinen Lieblingsspeisen, die auf den Tischen angerichtet waren, oder nahmen etwas von ihm als Andenken mit und dachten an all die glücklichen Erinnerungen, die er ihnen geschenkt hatte.

So viel Liebe und Freude lag in der Luft, es gab so viele Umarmungen und so viel Lächeln, dass man, hätte man die Umstände nicht gekannt, am Ende des Tages hätte vermuten können, dies sei einfach ein fröhliches Treffen von Freunden – vielleicht eine Hochzeit oder eine Uni-Abschlussfeier. Selbst unter diesen traurigen Umständen war unser Heim von Alis positiver Energie erfüllt.

In den Tagen nach der Trauerfeier beschäftigte mich der Gedanke: Was würde Ali in dieser Situation tun? Alle, die wir Ali gekannt hatten, hatten ihn regelmäßig um Rat gefragt, aber nun war er nicht mehr bei uns. Verzweifelt wollte ich ihn fragen: »Ali, wie kann ich damit fertigwerden, dich verloren zu haben?«, obwohl ich seine Antwort kannte. Er hätte einfach gesagt: »Khalas ya papa – es ist vorbei, Papa –, ich bin bereits tot. Es gibt nichts, was du daran ändern könntest, also mach einfach das Beste daraus.« In stillen Momenten hörte ich keine andere Stimme in meinem Kopf als die Alis, der diese Sätze immer und immer wiederholte.

Und so begann ich 17 Tage nach seinem Tod zu schreiben. Ich beschloss, Alis Rat zu folgen und etwas Positives zu tun. Ich wollte versuchen, unser Glücksmodell mit all jenen auf dieser Welt zu teilen, die unnötigerweise leiden. Viereinhalb Monate später hob ich den Kopf. Ich hatte die Rohfassung fertig.

Ich bin kein Weiser oder Mönch, der sich in einem Kloster verbirgt. Ich gehe arbeiten, streite mich in Meetings, mache Fehler – große Fehler, mit denen ich geliebte Menschen verletzt habe und die ich bereue. Genau genommen bin ich nicht mal ständig glücklich. Aber ich habe ein Modell gefunden, das funktioniert – ein Modell, das uns durch unsere Trauer getragen hat, jenes Modell, für das Alis Leben beispielhaft und ausschlaggebend war. Und das will ich Ihnen in diesem Buch anbieten.

Meine Hoffnung ist es, Alis Andenken zu ehren und sein Vermächtnis fortzusetzen, indem ich Alis Botschaft – seine friedliche Lebensweise – an andere weitergebe. Ich habe versucht, mir die positiven Auswirkungen der Verbreitung dieser Botschaft vorzustellen, und vielleicht hat es ja seinen Grund, dass ich eine hoch qualifizierte berufliche Position mit weltweiter Reichweite habe. Daher habe ich mich auf eine ehrgeizige Mission begeben: zehn Millionen Menschen zu mehr Glück zu verhelfen, eine Bewegung (#10millionhappy), an der teilzunehmen, ich Sie einlade, sodass wir gemeinsam eine kleine weltweite Pandemie der Freude in Alis Sinne auslösen können.

Alis Tod war ein Schicksalsschlag, mit dem ich niemals gerechnet hatte, aber zurückblickend kommt es mir beinahe so vor, als hätte er es irgendwie gewusst. Zwei Tage vor seinem unerwarteten Ableben setzte er sich mit uns allen zusammen wie ein weiser Großvater, der seine Kinder um sich versammelt, und sagte, er hätte uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Er sagte, ihm sei klar, dass es seltsam sei, seinen Eltern einen Rat zu erteilen, aber er fühle sich verpflichtet, das zu tun. Im Allgemeinen sprach Ali sehr wenig, aber jetzt nahm er sich die Zeit und sagte Nibal, Aya und mir, was er am meisten an uns liebte. Er dankte uns herzlich für alles, das wir zu seinem Leben beigetragen hatten. Seine Worte wärmten unsere Herzen, und dann bat er jeden von uns, ein paar besondere Dinge zu tun.

Seine Bitte an mich lautete: »Papa, du solltest niemals aufhören zu arbeiten. Sorge weiterhin dafür, dass die Dinge sich verändern, und höre öfter auf dein Herz. Deine Arbeit hier ist noch nicht beendet.« Dann hielt er ein paar Sekunden inne, lehnte sich in seinem Sessel zurück – als wolle er sagen: Aber meine Arbeit hier ist jetzt beendet – und sagte: »Das ist alles. Mehr wollte ich nicht sagen.«

Dieses Buch ist mein Versuch, die Aufgabe zu erfüllen, die mir von meinem Glücksidol aufgetragen wurde. Solange ich lebe, werde ich globales Glück zu meiner persönlichen Mission machen, meinem Moonshot für Ali.

Teil 1

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Glücklichsein ist in der heutigen Welt von Mythen umgeben. Unsere Auffassung davon, was Glück ist und wo es sich finden lässt, ist verfälscht.

Wenn Sie wissen, wonach Sie suchen, wird die Aufgabe leicht. Es mag ein wenig dauern, alte Gewohnheiten abzulegen, aber wenn Sie dem Weg nur immer weiter folgen, gelangen Sie ans Ziel.

Kapitel 1 – Die Gleichung aufstellen

Es spielt keine Rolle, ob Sie reich sind oder arm, klein oder groß, Mann oder Frau, jung oder alt. Es spielt keine Rolle, woher Sie kommen, womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen, welche Sprache Sie sprechen oder welches Schicksal Sie durchlebt haben. Wo immer Sie auch sind, wer immer Sie auch sind, Sie wollen glücklich sein. Das ist ein ungefähr so grundlegendes menschliches Bedürfnis wie das Atmen.

Glück ist dieses herrliche Gefühl, wenn alles in Ordnung zu sein scheint, wenn alle Wege und Wendungen und Puzzlestücke des Lebens perfekt ineinanderzugreifen scheinen. In jenen oft nur allzu kurzen Augenblicken echten Glücks ist jeder einzelne Gedanke in Ihrem Kopf ein angenehmer, und Sie hätten nichts dagegen, wenn die Zeit stehenbliebe und dieser Moment für immer währte.

Was immer wir im Leben tun, ist letztlich der Versuch, zu diesem Gefühl zu finden und es andauern zu lassen. Die einen suchen es in der Liebe, andere in Reichtum oder Ruhm und wieder andere in irgendwelchen Erfolgen. Doch wir alle wissen von Menschen, die zutiefst geliebt werden, Großartiges erreicht haben, die ganze Welt bereisen, sich alles kaufen, was für Geld zu haben ist, jeden Luxus genießen, und dennoch sehnen sie sich nach dem schwer erreichbaren Ziel der Zufriedenheit, des Behagens und des Friedens – auch als Glück bekannt.

Warum sollte etwas so Grundlegendes so schwer zu finden sein?

Um die Wahrheit zu sagen: Das ist es gar nicht. Wir suchen es nur an den falschen Stellen. Wir stellen es uns als ein zu erreichendes Ziel vor, dabei ist es eigentlich dort, wo wir alle angefangen haben.

Haben Sie schon mal Ihren Schlüssel gesucht, nur um festzustellen, dass er die ganze Zeit in Ihrer Hosentasche steckte? Erinnern Sie sich, wie Sie Ihren kompletten Schreibtisch abgeräumt, unter dem Sofa gesucht haben und immer frustrierter darüber wurden, dass er weg war? Dasselbe tun wir auch, wenn wir uns bemühen, das Glück »da draußen« zu finden, obwohl das Glück in Wirklichkeit da ist, wo es immer schon war: in uns selbst, als grundlegendes Gestaltungsmerkmal unserer Spezies.

Unser Grundzustand

Sehen Sie sich Ihren Computer, Ihr Smartphone oder andere Geräte an. Sie alle enthalten Einstellungen, die von den Entwicklern und Programmierern vorgegeben sind. Es gibt beispielsweise eine bestimmte Bildschirmhelligkeit oder eine ortsabhängige Bediensprache. Über ein Gerät, das direkt aus der Fabrik kommt und so eingerichtet ist, wie seine Hersteller es für das Beste halten, sagt man, es befinde sich im »Grundzustand«.

Für den Menschen ist dieser Grundzustand, einfach gesagt, das Glücklichsein.

Wenn Sie mir nicht glauben, verbringen Sie mal ein bisschen Zeit mit einem Menschen, der direkt aus der Fabrik kommt, einem Kleinkind oder einem Säugling. Offensichtlich ist mit der Startphase kleiner Menschen eine Menge Geschrei und Geweine verbunden, aber Tatsache ist, dass sie, solange ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigt werden – kein unmittelbarer Hunger, keine unmittelbare Angst, keine furchterregende Isolation, kein körperlicher Schmerz und keine fortdauernde Schlaflosigkeit –, ganz im Augenblick leben, vollkommen glücklich. Selbst in den notleidenden Teilen der Welt sieht man Kinder mit schmutzverschmierten Gesichtern, die kleine Muscheln als Spielzeuge verwenden oder einen zerbrochenen Plastikteller wie das Lenkrad eines Sportwagens in den Händen halten. Sie leben vielleicht in Verschlägen, aber solange sie Nahrung und ein Mindestmaß an Sicherheit haben, kann man sie voller überschäumender Freude umherspringen sehen. Sogar in Medienberichten aus Flüchtlingslagern, in die es Tausende aufgrund von Kriegen oder Naturkatastrophen verschlagen hat, wirken die Erwachsenen vor der Kamera düster, während man im Hintergrund das Lachen der Kinder hört, die mit einem fest verknoteten Lumpenknäuel Fußball spielen.

Es sind aber nicht nur die Kinder. Dieser Grundzustand gilt auch für Sie.

Blicken Sie auf Ihre eigenen Erfahrungen zurück. Erinnern Sie sich an eine Zeit, in der nichts Sie störte, nichts Sie besorgte, nichts Sie verärgerte. Sie waren glücklich, ruhig und entspannt. Die Sache ist, dass Sie keinen Grund brauchten, um glücklich zu sein. Es war nicht nötig, dass Ihre Mannschaft dafür den World Cup gewann. Sie brauchten keine Riesenbeförderung, kein vielversprechendes Rendezvous und keine Yacht mit Hubschrauberlandeplatz. Alles, was Sie brauchten, war kein Grund, unglücklich zu sein. Anders ausgedrückt:

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Glück ist die Abwesenheit von Unglück.

Es ist unser Ruhezustand, wenn nichts das Bild überschattet oder Störungen verursacht.

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Glück ist Ihr Grundzustand.

Wenn Sie ein vorprogrammiertes Gerät verwenden, ändern Sie manchmal die Grundeinstellungen, ohne es zu beabsichtigen, manchmal sogar so stark, dass gewisse Funktionen schwer zu benutzen sind. Sie installieren eine App, die häufig auf das Internet zugreift, und Ihre Akkulaufzeit verringert sich. Sie laden Malware herunter, und alles gerät durcheinander. Dasselbe passiert mit der menschlichen Grundeinstellung für Glück. Der Druck durch Elternschaft oder Gesellschaft, Glaubenssysteme und unerfüllte Erwartungen macht sich bemerkbar und überschreibt einen Teil der Originalprogrammierung. Ihr Ich, das anfangs zufrieden in seiner Wiege krähte und mit seinen Zehen spielte, gerät in einen Wirbel von Missverständnissen und Illusionen. Glück wird zu einem geheimnisvollen Ziel, das Sie anstreben, aber nicht recht zu fassen bekommen, statt zu etwas Simplem, das allmorgendlich beim Öffnen der Augen für Sie da ist.

Sie können es sich bildlich so vorstellen: Die Zeiten, in denen Sie unglücklich sind, fühlen sich an, als wären Sie unter einem Steinhaufen aus Illusionen, gesellschaftlichem Druck und falschen Überzeugungen begraben. Um Glück zu erlangen, müssen Sie diese Steine einen nach dem anderen abtragen, angefangen bei Ihren grundlegendsten Überzeugungen.

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Wie jeder weiß, der schon mal eine Service-Hotline angerufen hat, besteht der erste Schritt zur Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Funktion eines Geräts manchmal darin, es auf die Fabrikeinstellungen zurückzusetzen. Anders als unsere Handys haben wir Menschen allerdings keinen Reset-Knopf. Stattdessen besitzen wir die Fähigkeit, Gewohnheiten abzulegen und die Auswirkungen dessen umzukehren, was auf unserem Weg falsch gelaufen ist.

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Wie sind wir jemals auf die Idee gekommen, außerhalb von uns selbst nach dem Glück zu suchen, zu streben, es zu erreichen oder auch nur zu verdienen? Wie kam es zu diesem gewaltigen Missverständnis, dass Glück unser Leben immer nur kurz streift? Warum haben wir unser Geburtsrecht auf Glück einfach aufgegeben?

Die Antwort könnte Sie überraschen: Vielleicht ist das einfach nur angelernt.

Zum Glück auflösen

Vielleicht haben Sie vernünftige Ratschläge erhalten wie denjenigen, den meine Mutter mir gab, dass ich lernen und hart arbeiten, sparen und auf bestimmte Belohnungen verzichten solle, um bestimmte Ziele zu erreichen. Ihr Rat hat bestimmt maßgeblich zu meinem Erfolg beigetragen. Aber ich verstand ihn falsch. Ich dachte, sie meinte, ich müsse bei diesem Weg aufs Glücklichsein verzichten. Oder dass Glück das Ergebnis wäre, sobald ich erst Erfolg hätte.

Einige der glücklichsten Gesellschaften der Welt gibt es tatsächlich in den ärmeren Ländern Lateinamerikas, wo die Menschen überhaupt nicht viel über finanzielle Sicherheit nachzudenken scheinen oder über das, was wir als Erfolg betrachten. Sie gehen jeden Tag arbeiten, um das zu verdienen, was sie brauchen. Doch darüber hinaus stellen sie ihr Glück an oberste Stelle und verbringen Zeit mit ihren Familien und Freunden.

Ich habe nicht die Absicht, ein Leben zu romantisieren, das idyllisch und bunt erscheint, aber immer noch unter die Armutsgrenze fällt. Doch wir können eine Menge lernen von einer inneren Einstellung, bei der Glück in jeden einzelnen Tag eingeflochten wird, unabhängig von wirtschaftlichen Verhältnissen.

Ich habe nichts gegen materiellen Erfolg. Menschliche Fortschritte wurden immer von angeborener Neugier vorangetrieben, aber auch von dem absolut vernünftigen Wunsch, genügend Ressourcen anzusparen, um den Winter zu überleben oder eine Dürre oder eine Missernte. Vor Tausenden von Jahren waren unsere Überlebenschancen umso höher, je größer das Territorium unserer Familie oder unseres Stammes war und je besser unsere Jagd- und Sammelfähigkeiten. Daher konnte sich die Vorstellung, müßig unter dem Mangobaum zu sitzen, nicht durchsetzen gegenüber der Vorstellung, ein paar neue Erfindungen zu machen und sich abzumühen, das eigene Territorium zu erweitern und einen Überschuss zu erwirtschaften, nur für alle Fälle.

Während sich die Zivilisation weiterentwickelte, bedeuteten mehr Territorium und mehr Reichtum im Allgemeinen bessere Lebensbedingungen und die Aussicht auf ein längeres Leben. Dann kam schließlich der Kapitalismus, verstärkt durch die protestantische Ethik, nach der Reichtum ein Zeichen für Gottes Gunst war. Individuelle Bemühungen und individuelle Verantwortung führten zum Aufkommen dessen, was wir heute als Einkommensungleichgewicht bezeichnen. Das verstärkte den Anreiz zum Arbeiten noch, und sei es nur, um nicht von anderen überholt und an den Rand gedrängt zu werden. Und wer einmal aufgestiegen war, wollte keinesfalls wieder zurückfallen. Denn mit steigendem Wettbewerb verfiel allmählich die traditionelle Unterstützung durch die Familie oder die Dorfgemeinschaft.

Das Zeitalter unmittelbar vor unserem erlebte die Weltwirtschaftskrise und zwei Weltkriege in rascher Folge, wodurch selbst jene an der Spitze der Einkommenspyramide sich Sorgen um das Nötigste machen mussten. Die Prioritäten einer ganzen Generation wurden daher von Entbehrungen geprägt, und diese lagen auch der Vorstellung zugrunde, dass es im Leben vor allem darum gehe, solche Entbehrungen nie mehr erleiden zu müssen. Die »Versicherungspolice«, die am stärksten angenommen und weitergegeben wurde, nannte sich »Erfolg«.

Während das 20. Jahrhundert zum 21. wurde, erzog die Mittelklasse ihre Kinder zunehmend in dem Glauben, der einzige logische Lebensweg sei es, viele Jahre in Bildungseinrichtungen zu verbringen und ein Leben lang hart zu arbeiten in der Hoffnung auf Sicherheit. Wir lernten, diesem Weg Priorität einzuräumen, selbst wenn er uns unglücklich machte, und vertrauten auf das Versprechen, glücklich zu werden, wenn wir erst einmal erreicht hätten, was die Gesellschaft als Erfolg definiert.

Jetzt stellen Sie sich einmal selbst diese Frage: Wie oft haben Sie das tatsächlich erlebt? Und wie häufig erleben Sie einen erfolgreichen Banker oder Geschäftsmann, der im Geld schwimmt, aber offenbar unglücklich ist? Wie oft hören Sie, dass jemand sich das Leben genommen hat, der anscheinend »alles hatte«? Warum, glauben Sie, passiert das? Weil schon die Grundannahme ein Irrtum ist: Erfolg, Reichtum, Macht und Ruhm führen nicht zum Glück. Tatsache ist:

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Erfolg ist keine unabdingbare Grundvoraussetzung, um glücklich zu sein.

Ed Dieners und Richard Easterlins Arbeit über den Zusammenhang zwischen subjektivem Wohlgefühl und Einkommen deutet darauf hin, dass subjektives Wohlbefinden in den Vereinigten Staaten proportional zum Einkommen wächst – doch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ja, es fühlt sich erbärmlich an, wenn man zwei verschiedene Jobs machen muss, um sich eine winzige Wohnung und einen altersschwachen Honda leisten zu können, und dabei noch das Studiendarlehen zurückzahlt. Doch hat Ihr Einkommen erst einmal das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen erreicht, das in den USA heute bei 70.000 Dollar liegt, bleibt das subjektive Wohlergehen auf demselben Niveau. Es stimmt, dass ein geringeres Einkommen Ihr Wohlbefinden schmälern kann, aber mehr zu verdienen macht Sie nicht notwendigerweise glücklicher.1 Das lässt vermuten, dass all die teuren Dinge, die von der Werbung als Schlüssel zum Glück dargestellt werden – ein besseres Handy, ein beeindruckendes Auto, ein riesiges Haus, statusgerechte Kleidung –, eigentlich gar nicht so wichtig sind.

Nicht nur, dass Reichtum, Macht und ein Haufen Spielzeuge keine notwendigen Bedingungen für Glück sind; wenn überhaupt, verlaufen Ursache und Wirkung in die entgegengesetzte Richtung. Andrew Oswald, Eugenio Proto und Daniel Sgroi von der Universität Warwick stellten fest, dass Glücklichsein die Menschen um rund 12 Prozent produktiver macht und sie mit dementsprechend höherer Wahrscheinlichkeit voranbringt.2 Daher:

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Erfolg führt zwar nicht zu Glück, aber Glück trägt zum Erfolg bei.

Und doch jagen wir immer weiter dem Erfolg als unserem vorrangigen Ziel hinterher. Einer der ersten Psychologen, die sich mit glücklichen Menschen und ihren psychologischen Antriebskräften beschäftigten, war Abraham Maslow. Im Jahr 1933 fasste er unser Streben nach Erfolg in einem klugen Satz zusammen: »Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Männern und Frauen, die sich unter Wert verkaufen.«

Auch wenn ein gewisses Maß an Erfolg in unserer Gesellschaft üblich ist, haben diejenigen mit dem größten Erfolg häufig etwas gemeinsam, etwas, das sie von der Masse abhebt. Sie alle verspüren eine leidenschaftliche Begeisterung für das, was sie tun. Viele erfolgreiche Sportler, Musiker und Unternehmer sind erfolgreich geworden, weil sie ihre Tätigkeit so sehr lieben, dass sie zu Experten darin geworden sind, einfach weil die Aktivität selbst sie glücklich macht. Wie Malcolm Gladwell es in Überflieger formuliert: Wenn Sie zehntausend Stunden mit etwas zubringen, werden Sie darin zu einem der Weltbesten.3 Und was ist die einfachste Methode, so viele Stunden mit etwas zuzubringen? Indem man sie mit etwas verbringt, das einen glücklich macht? Ist das nicht besser, als ein Leben lang nach Erfolg zu streben in der Hoffnung, dass er am Ende zum Glücklichsein führt? Im Beruf, in unserem persönlichen Leben, in Beziehungen oder in der Liebe sollten wir immer daran denken, egal was wir tun:

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Zum Glück auflösen.

Was ist Glück?