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Über dieses Buch:

Montana, 1880: Als Pierce Delaney zu Unrecht verdächtigt wird, eine Frau geschändet zu haben, muss er vor einem aufgebrachten Mob aus der Stadt fliehen. Schwer verletzt gelingt es ihm im letzten Moment, sich auf die Ranch der schönen Zoey zu retten. Diese braucht dringend einen Ehemann, der sie vor einem skrupellosen Geschäftemacher beschützt, und so kommt ihr der glutäugige Fremde sehr gelegen. Wiederwillig stimmt Pierce der Verbindung zu, doch schon bald fassen die beiden Vertrauen zueinander – und zwischen ihnen entbrennt ein Feuer der Leidenschaft. Aber seine Vergangenheit droht ihn einzuholen und bringt auch Zoey ihn tödliche Gefahr …

Über die Autorin:

Connie Mason hat früh ihre Leidenschaft für das Lesen und Schreiben entdeckt. 1984 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Im Jahr 1990 wurde die Amerikanerin vom „Romantic Times Magazine“ zur „Erzählerin des Jahres“ gekürt. Die Bestsellerautorin hat bereits mehr als 50 historische Liebesromane erfolgreich veröffentlicht. Heute lebt Connie Mason mit ihrem Mann in Florida. Sie hat drei Kinder und neun Enkel.

Bei venusbooks erscheinen außerdem: Der Rebell und die Schoene, In den Armen des Rebellen, Ein unwiderstehlicher Rebell, Rebell meines Herzens und Die Liebe des Outlaws.

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eBook-Neuausgabe Juni 2017

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel Flammende Liebesglut bei Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1997 by Connie Mason.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel To Love a Stranger.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2005 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2017 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Regien Paassen, Callipso, kiuikson

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mh)

ISBN 978-3-95885-545-8

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Connie Mason

Die Leidenschaft des Outlaws

Roman

Aus dem Amerikanischen von Britta Evert

venusbooks

Kapitel 1

Dry Gulch, Montana
1880

Pierce Delaney hämmerte einen Nagel in den Zaun, den er gerade reparierte, und zwar mit solcher Wucht, dass beinahe das Holz zersplittert wäre. Seine Miene war finster, und seine lebhaften grünen Augen funkelten vor Zorn.

»Hast du etwas gegen dieses Stück Holz, Bruder? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nämlich glauben, dass du es kurz und klein schlagen willst.«

Pierce hielt mitten im Ausholen inne und warf seinem Bruder über die Schulter einen finsteren Blick zu. Mit scharfer Stimme gab er zurück: »Lass mich heute bloß in Ruhe, Chad. Ich bin nicht in der Stimmung für Scherze.« Er drehte sich wieder zu dem Zaunpfosten um, aber Chad war nicht gewillt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Irgendetwas beschäftigte seinen Bruder, und er wollte verdammt noch mal wissen, was es war.

»Du bist gestern Abend ja ziemlich spät nach Hause gekommen, Pierce. Hattest du nicht auf dem Weg in die Stadt bei den Doolittles vorbeischauen wollen? Was war los? Hat Cora Lee dir wieder schöne Augen gemacht?«, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.

»Erwähne bloß nicht den Namen dieses Flittchens«, stieß Pierce zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn ihr Vater nicht wäre, würde ich überhaupt nicht mehr dort hingehen. Der Mann ist dem Tode nah, und sein Trinker von Sohn wirtschaftet die Ranch zugrunde. Aber schließlich waren der alte Doolittle und Pa gute Freunde, und das Mindeste, was ich tun kann, ist, ab und zu vorbeizuschauen und ein bisschen mit anzupacken. Das ist der einzige Grund, warum ich die Doolittles besuche.«

»Und ich dachte schon, du hättest es auf Cora Lee abgesehen«, meinte Chad augenzwinkernd.

»Na hör mal, du solltest mich besser kennen! Frauen machen nichts als Ärger. Man kann ihnen einfach nicht trauen. Unsere eigene Ma ist der Beweis, wie treulos Frauen sind. Erinnerst du dich noch, was Pa gesagt hat? Wenn du eine Frau brauchst, nimm dir eine Hure. Die enttäuschen einen Mann jedenfalls nicht. Das war ein guter Rat. Es gibt auf der ganzen Welt keine Frau, der ich traue.«

»Mich brauchst du nicht zu überzeugen«, erwiderte Chad grimmig. »Verdammt, ich weiß doch, was Ma unserem Vater angetan hat. Ich werde weder vergeben noch vergessen, dass sie uns so im Stich gelassen hat. Dass wir nach dieser scheußlichen Geschichte als Siedler in den Westen gegangen sind, war das einzig Gute, was dabei herausgekommen ist. Warum bist du heute Morgen denn so sauer?«

Pierce warf den Hammer auf den Boden und lehnte sich an den Zaun. Er war groß und schlank, seine kräftigen Muskeln und die Sonnenbräune an Armen und Oberkörper verrieten, dass schwere körperliche Arbeit ihm nicht fremd war. Ebenso wie seine Brüder Chad und Ryan war Pierce Delaney in der kleinen Stadt Dry Gulch ein vertrauter Anblick. Wann immer die drei Brüder in die Stadt ritten, gab es Ärger. Sie waren Teufelskerle, die Freude an einem guten Kampf hatten. Sie tranken gern, sie spielten gern und sie kämpften gern. Aber wenn es sein musste, konnten sie auch sehr charmant sein.

Trotz ihrer Wildheit hatten die Delaney-Brüder große Chancen bei den Frauen. Eltern, die ihren Ruf als Unruhestifter kannten, schärften ihren Töchtern ein, einen großen Bogen um die Brüder zu machen, was sie in den Augen dieser unschuldigen Wesen gefährlich attraktiv und begehrenswert erscheinen ließ. Und die ablehnende Haltung der Brüder gegenüber Frauen machte sie unwiderstehlich.

»Mr. Doolittle war gestern Nacht in schlechter Verfassung«, sagte Pierce. »Cora Lee wollte mich nicht zu ihm lassen. Wir waren allein. Keine Ahnung, wo ihr Nichtsnutz von Bruder sich herumtrieb. Auf jeden Fall machte sie sich an mich heran und schlug vor, in ihr Schlafzimmer zu gehen. Sie behauptete, sie hätte schon immer für mich geschwärmt. Ich lehnte rundheraus ab, und das brachte sie auf die Palme.«

Chad unterdrückte ein Lächeln. »Du hast ihr einen Korb gegeben? Willst du mir etwa einreden, dass du lieber in der Stadt dafür zahlst?«

»Ich gebe viel lieber einer ehrlichen Hure Geld, als mit einer Frau ins Bett zu gehen, die es darauf abgesehen hat, geheiratet zu werden.«

»Und wie ging es weiter?«

»Ich wollte gerade zur Tür gehen, als Hal Doolittle aus der Küche kam. Dann geriet die Situation außer Kontrolle. Ich begreife nicht, was Cora Lee sich dabei gedacht hat.«

Chad warf seinem Bruder einen ungeduldigen Blick zu. »Verdammt, Pierce, spann mich nicht auf die Folter. Was hat dich so in Rage gebracht?«

»Cora Lee brach auf einmal in Tränen aus und warf sich ihrem Bruder in die Arme. Sie schluchzte und behauptete, dass ich sie bei einem meiner Besuche bei ihrem Vater verführt und geschwängert hätte.«

Chad starrte seinen Bruder beunruhigt an. »Hast du?«

Pierce sah aus, als würde er Chad am liebsten eine Ohrfeige geben. »Um Himmels willen, Chad, fang du nicht auch noch an! Nein, ich habe Cora Lee nicht verführt. Ich habe kein Interesse an ihr … oder an irgendeiner anderen Frau.«

»Was hat ihr Bruder dazu gesagt?«

»Er hat ihr natürlich geglaubt und verlangt, dass ich seine Schwester heirate. Halten die mich für einen Idioten? Ihre Ranch geht vor die Hunde, und Cora Lee braucht einen Ehemann, der genug Geld hat, um ihnen unter die Arme zu greifen. Ich passe zufällig ins Bild. Aber ich bin nicht blöd genug, um darauf hereinzufallen. Ich werde niemals heiraten!«

Chad schüttelte so heftig den Kopf, dass ihm das dunkelbraune Haar in die Stirn fiel. Er strich es nachlässig zurück. »Hal Doolittle hat mehr Mumm, als ich ihm zugetraut hätte. Und Cora Lee war schon immer eine verschlagene kleine Schlampe. Glaubst du, sie ist tatsächlich in anderen Umständen?«

»Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Genau das habe ich Hal gesagt, aber er schien es nicht zu kapieren. Ich musste ein wenig … äh … Überzeugungskraft einsetzen, um ihn zur Vernunft zu bringen.« Er rieb sich seine aufgeschürften Knöchel, als er an die Schlägerei dachte, zu der es gekommen war, als er gehen wollte. Als er dann endlich ging, lag Hal blutend auf dem Boden, und Cora Lee heulte.

»Schätze, du kannst dich in nächster Zeit nicht dort blicken lassen«, meinte Chad. »Schade, aber daran lässt sich nichts ändern. Vielleicht können wir unserem kleinen Bruder den Auftrag geben, dem alten Doolittle zur Hand zu gehen. Ryan ist im Allgemeinen besonnener als wir zwei.«

Pierce fuhr sich geistesabwesend durch sein volles, dunkles Haar. »Niemand aus dieser Familie setzt auch nur einen Fuß auf Doolittle-Land. Ich bin der Älteste und habe dafür zu sorgen, dass du und Ryan keinen Ärger bekommt.«

»Na ja, vielleicht musst du uns wirklich irgendwann einmal retten, aber ich würde sagen, im Moment steckst eher du in der Klemme, Bruder. Wie es scheint, braucht Cora Lee dringend einen Ehemann und hat sich für dich entschieden.«

»Zum Teufel mit ihr!«, brüllte Pierce wütend. »Ist Ryan noch nicht aus der Stadt zurück?«, fragte er dann ruhiger. »Mir gehen allmählich die Nägel aus.«

»Nein, aber er müsste bald wieder da sein. Reg dich ab, Pierce, wir wissen alle, dass du Cora Lee kein Kind angehängt hast. Vergiss es.«

Pierce griff sich den Hammer und drosch mit voller Wucht auf einen Nagel ein. Chad zuckte leicht zusammen, als das Holz splitterte. Pierce’ Laune schien immer noch miserabel zu sein. Er war von jeher der hitzigste der Brüder gewesen, während Ryan, der jüngste, nicht ganz so aufbrausend war. Chad sah sich selbst gern als Menschen, der die Dinge erst von allen Seiten betrachtete, bevor er reagierte. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere waren alle drei zähe Burschen, erbitterte Ehefeinde und immer füreinander da.

Pierce hämmerte unablässig weiter, um seine Wut und seine Frustration an dem unschuldigen Zaunpfosten abzureagieren. Wenn er sich geistig und körperlich nicht ablenkte, würde er explodieren, das wusste er. Noch immer sah er vor sich, was für ein Gesicht Hal Doolittle gemacht hatte, als er sich weigerte, Cora Lee zu heiraten. Er hatte Hal nicht schlagen wollen, aber der Mann hatte ihm keine Wahl gelassen. Hal war groß, aber schwammig, und kein ebenbürtiger Gegner für Pierce, der ihn mit einem einzigen Treffer außer Gefecht gesetzt hatte.

»Da kommt Ryan ja«, stellte Chad fest und schirmte seine Augen gegen das gleißende Sonnenlicht ab. »Er reitet wie der Teufel. Möchte wissen, was los ist.«

Pierce hob den Kopf und stellte überrascht fest, dass Ryan sein Pferd mit der Peitsche antrieb und ihnen etwas zurief, das sie nicht verstehen konnten.

»Es ist gar nicht Ryans Art, sein Pferd dermaßen zu schinden«, bemerkte Pierce, während er den Hammer fallen ließ und seinem Bruder entgegenlief. Chad folgte ihm.

Ryan zog so scharf die Zügel an, dass sein Pferd sich aufbäumte und mit den Vorderhufen in die Luft schlug. Nachdem er den rotbraunen Wallach beruhigt hatte, schwang sich Ryan schwer atmend aus dem Sattel.

»Du musst verschwinden«, stieß er keuchend hervor, während er Pierce bei der Schulter packte und zur Scheune drängte. »Sie sind dicht hinter mir.«

»Immer mit der Ruhe, Ryan«, befahl Pierce. »Was ist los? Warum muss ich verschwinden? Wer kommt her?«

»Die Bürgerwehr, wenn du es genau wissen willst. Hal Doolittle war heute Morgen in der Stadt und hat behauptet, dass du seine Schwester verführt und geschwängert hast und sie jetzt nicht heiraten willst.«

»Verdammt, ich habe die Frau nicht einmal angerührt!«, tobte Pierce.

»Das ist noch nicht alles«, sagte Ryan. »Hal hat Cora Lee mit in die Stadt genommen. Sie war übel zugerichtet. Der alte Doc Lucas hat sie versorgt. Hal sagt, dass Pierce sie verprügelt hat, als sie von ihm verlangte, wie ein Ehrenmann zu handeln.«

»Das ist eine Lüge! Ich habe nie Hand an die Frau gelegt.«

»Erzähl das der Bürgerwehr, aber erwarte nicht, dass man dir glaubt. Cora Lee sah zum Gotterbarmen aus. Und sie hat Hals Geschichte bestätigt. Riley Reed hat die Männer so in Fahrt gebracht, dass sie sofort einen Trupp zusammenstellten. Und da es in diesem Teil von Montana keine offizielle Rechtsprechung gibt, können sie praktisch machen, was sie wollen. Sie wollen dich holen, und wenn du dich nicht bereit erklärst, Cora Lee zu heiraten, knüpfen sie dich auf. Du hast keine Zeit zu verlieren. Du musst verschwinden, bis sich die Leute wieder beruhigt haben.«

»Mach lieber, dass du wegkommst«, drängte Chad. »Es sei denn, du möchtest unbedingt geschnappt werden. Einige Leute in der Stadt beneiden uns um unseren Wohlstand, unter anderem auch Riley Reed. Andere haben etwas gegen uns, weil wir nicht eine ihrer Töchter heiraten und brave Familienväter werden.«

»Ich habe es einmal mit Heiraten probiert, das reicht mir. Nein, verdammt, ich laufe nicht weg«, sagte Pierce eigensinnig. Keine Bürgerwehr der Welt würde ihn von seinem Grund und Boden vertreiben.

»Du musst«, beharrte Ryan. »Du bist nicht in der Stadt gewesen. Du hast nicht beobachten können, wie aufgebracht die Männer waren und wie raffiniert Hal und Riley sie aufgehetzt haben. Ich habe Cora Lee mit eigenen Augen gesehen. Irgendjemand hat ihr eine Abreibung verpasst. Es kann nicht schaden, eine Weile unterzutauchen. Chad und ich kümmern uns hier um alles. Vielleicht finden wir heraus, was wirklich passiert ist.«

»Ryan hat Recht, Pierce. Du musst weg. Du weißt, wozu die Leute von der Bürgerwehr fähig sind, wenn sie erst mal in Fahrt sind. Sie sind das einzige Gesetz in dieser Gegend; niemand wird sich ihnen in den Weg stellen. Nimm alles an Geld mit, was im Haus ist, und verzieh dich. Gib uns Bescheid, wo wir dich erreichen können. In der Zwischenzeit werden wir alles unternehmen, um dieser Sache auf den Grund zu gehen.«

Ryan warf einen nervösen Blick über die Schulter. »Sie müssen jeden Moment über den Hügel kommen. Ich gehe dein Pferd satteln, während du ein paar Sachen zusammenpackst.«

»Und ich hole Geld aus dem Safe«, sagte Chad. »Wie viel Zeit haben wir, Ryan?«

»Fünf Minuten, mehr nicht. Wahrscheinlich nicht einmal so lange.«

»Ich werde nicht –«, setzte Pierce an.

»Doch, du wirst«, unterbrach Chad ihn. »Du magst der älteste von uns sein, aber du bist viel hitzköpfiger, als dir gut tut. Ich kenne dich. Du würdest hier bleiben und bis zum blutigen Ende kämpfen. Riley Reed ist Anführer der Bürgerwehr und ein mieser Bastard. Er hasst dich, seit Polly dich geheiratet hat und nicht ihn. Die stecken glatt das Haus in Brand, wenn wir uns drinnen verschanzen, um sie abzuwehren.«

Er drängte Pierce im selben Moment zum Haus, als auf dem Hügelkamm eine Staubwolke auftauchte.

»Verdammt, ich habe dir doch gesagt, dass sie mir dicht auf den Fersen sind«, sagte Ryan, während er zur Scheune lief, um Pierce’ Pferd zu satteln. »Zum Packen bleibt keine Zeit; nimm das Geld und hau ab. Ich bringe dir das Pferd zum Hintereingang.«

Pierce wollte nicht weglaufen wie ein Feigling, aber er hatte keine Wahl. Die Ranch war ihr Zuhause, und er durfte nicht zulassen, dass es von einer Bande Irrer zerstört wurde, die vorgab, das Gesetz zu verkörpern. Er kannte Riley Reed. Er war ein Mann, der von seiner eigenen Wichtigkeit derartig durchdrungen war, dass andere Männer ihm widerspruchslos folgten. Die Bürgerwehrleute waren schnell, wenn es darum ging, jemanden zu hängen, und langsam, wenn es galt, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Er hatte zwar gehört, dass ein Bundesmarshal dem Gebiet zugewiesen werden sollte, aber bis jetzt war nichts dergleichen geschehen.

Chad lief ins Haus, direkt zu dem Safe in dem Raum neben der Küche, der als Büro benutzt wurde. Er schnappte sich eine Hand voll Geld, rannte zu Pierce in die Küche und stopfte ihm das Bündel Scheine in die Tasche seiner Lederweste. Dann schubste er seinen Bruder buchstäblich zur Hintertür hinaus. Das laute Donnern von Pferdehufen, das immer näher kam, drängte zur Eile.

»Nun mach schon«, beschwor Chad ihn. »Du musst reiten wie der Teufel.«

»Verdammt, Chad, ich bin unschuldig. Ich kann nicht einfach wegreiten, ohne mich zu verteidigen.«

»Ich denke im Moment klarer als du. Wenn du nicht an Cora Lee hängen bleiben oder am nächsten Ast baumeln willst, solltest du lieber schleunigst das Weite suchen.«

Pierce riss seine Jacke vom Haken neben der Küchentür und trat hinaus ins helle Sonnenlicht, wo Ryan schon mit einem kräftigen schwarzen Mustang aus Mexiko wartete, der sich vor allem durch Schnelligkeit und Ausdauer auszeichnete.

»Ich habe Midnight gesattelt«, sagte Ryan. »Los, mach schon, sie reiten schon durchs Tor. Pass auf dich auf und melde dich, damit wir dir Bescheid geben können, wenn du wieder nach Hause kommen kannst.«

Pierce nickte kurz. Er hasste es, die Flucht zu ergreifen, war sich aber darüber im Klaren, dass ihm kaum etwas anderes übrig blieb. Also schwang er sich in den Sattel und bohrte seine Fersen in Midnights Flanken. Das Pferd setzte im selben Moment, als der Trupp in den Hof ritt, über den Zaun. Tief über Midnights Nacken gebeugt, hielt Pierce auf offenes Land zu, um die Männer von der Ranch und seinen Brüdern wegzulocken.

»Los, Midnight, los«, drängte er, und das Pferd streckte seine stämmigen Beine, um dem Befehl seines Herrn zu folgen.

Pierce warf einen Blick über die Schulter und stieß einen Fluch aus, als er sah, dass die Männer ihm dicht auf den Fersen waren. Nun, da sie ihn in Sichtweite hatten, würden sie bestimmt nicht lockerlassen. Kugeln pfiffen an ihm vorbei, und er duckte sich tief über Midnights Mähne und gab ihm die Sporen.

Midnight galoppierte unbeirrt voran, war aber nicht imstande, ihre entschlossenen Verfolger abzuschütteln. Pierce wusste, dass das rasende Tempo, das er vorgab, den Mustang erschöpfte, und schlug den Weg zu einem Canyon ein, in dem er den Suchtrupp abzuhängen hoffte. Nach einer Stunde schnellen Reitens verlangsamte er das Tempo in der Erwartung, die Männer von der Bürgerwehr würden dasselbe tun, wenn ihnen klar wurde, dass ihre Pferde diese mörderische Gangart unmöglich durchhalten konnten. Leider verließ ihn in diesem Moment sein Glück. Einer der Verfolger landete einen Zufallstreffer.

Eine Kugel bohrte sich in Pierce’ Rücken, direkt unter dem rechten Schulterblatt. Die Wucht des Einschusses schleuderte ihn beinahe aus dem Sattel, und er wehrte sich verbissen dagegen, das Bewusstsein zu verlieren, während sich ein scharfer, stechender Schmerz in seinem ganzen Körper ausbreitete. Er spürte, wie Blut über seine Haut rann, nahm seinen metallischen Geruch wahr und merkte, dass ihm schwarz vor Augen wurde.

Mit reiner Zähigkeit und Willenskraft gelang es Pierce durchzuhalten. Er hatte keine Ahnung, wie lange er nach der Verletzung noch weiterritt, da er möglicherweise einen Moment lang das Bewusstsein verloren hatte, aber als er sich umdrehte, war die Bürgerwehr immer noch hinter ihm.

Wie durch einen Nebel nahm Pierce wahr, dass er in einen schmalen Canyon kam, dessen Felswände zu beiden Seiten steil aufragten. Er war benommen und konnte kaum noch klar denken, schaffte es aber, im Sattel zu bleiben. Vor ihm wand sich der Pfad um einen Felsvorsprung, und ein Funken Hoffnung keimte in ihm auf. Indem er sein müdes Pferd noch einmal antrieb, beugte Pierce sich vor und raunte dem Mustang ins Ohr: »Jetzt liegt es bei dir, mein Junge. Lauf, so schnell du kannst. Führ sie in die Irre.«

Pierce zog beide Füße aus den Steigbügeln und duckte sich tief über Midnights Rücken, während er den richtigen Moment abwartete. Er kam, als er einen gewaltigen Felsbrocken am Fuß des Vorsprungs entdeckte. Pierce ließ sich abrupt vom Rücken des Pferdes fallen und von der Wucht des Aufschlags hinter den Felsen rollen. Er schlug so hart auf dem Boden auf, dass ihm die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Gleich darauf explodierte der Schmerz in seinem Inneren förmlich, und nur Sekunden, nachdem er auf dem Boden aufprallte, verlor er das Bewusstsein.

Pierce sah die Bürgerwehr nicht, noch hörte er sie vorbeipreschen. Die Staubwolke, die unter Midnights Hufen aufwirbelte, und die Biegung des Weges hatten den Männern die Sicht geraubt, und es entging ihnen, dass Pferd und Reiter getrennte Wege gegangen waren.

Das Tageslicht war bereits im Schwinden, als Pierce die Augen aufschlug. Bei dem Versuch, sich aufzurichten, scheiterte er kläglich. Er ließ sich wieder auf den Boden sinken und atmete tief ein, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen, während er sich gleichzeitig zu erinnern versuchte, warum er hinter einem Felsen in einer Blutlache lag. Ein Moment äußerster Konzentration war erforderlich, um sich ins Gedächtnis zurückzurufen, was passiert war. Mit der Erinnerung kam die Erkenntnis, dass er von hier verschwinden musste, bevor die Bürgerwehr kehrtmachte, um nach ihm zu suchen.

Bald würde es dunkel sein, überlegte Pierce, und das würde die Suche nach ihm erschweren. Ein weiterer Trost war das Geräusch von fernem Donnergrollen. Ein Gewitter wäre ihm sehr willkommen, denn es würde seine Verfolger daran hindern, seine Fährte aufzunehmen.

Nachdem er sich mühsam in eine sitzende Position gehievt hatte, ließ sich Pierce einen Moment Zeit, um wieder ein wenig zu Kräften zu kommen und sich zu orientieren. In dieser Gegend musste die eine oder andere Ranch liegen, und wenn er sich nicht irrte, konnte der Ort Rolling Prairie nicht weit entfernt sein.

Da ihm klar war, dass es auf jede Minute ankam, rappelte Pierce sich hoch. Er schwankte bedrohlich hin und her und setzte dann mit schierer Willenskraft einen Fuß vor den anderen. Seine Kleidung war von Blut durchtränkt, und er fragte sich, wie lange es dauerte, bis man verblutete.

Pierce schleppte sich langsam durch den Canyon und hielt sich aufrecht, indem er im Geist alle Gründe aufzählte, warum man Frauen nicht trauen durfte. Er begann mit seiner Mutter, die ihre Familie wegen eines Handlungsreisenden verlassen hatte, als sie alle noch in Illinois lebten. Verbittert über die Treulosigkeit seiner Frau, hatte ihr Vater irgendwann ihre Farm verkauft und sich in Montana niedergelassen. Immer wieder schärfte er seinen Söhnen ein, dass es nur Ärger machte, wenn man Frauen über den Weg traute, und damit hatte er mehr als einmal Recht gehabt.

Chad hatte seine Lektion auf die harte Tour gelernt. Er war mit Loretta Casey, der Schönheit der Stadt, verlobt gewesen. Aber die flatterhafte Schöne war mit einem Dandy von der Ostküste durchgebrannt, der ihr die Chance bot, in einer Großstadt zu leben. Was Ryan anging, so fand er Frauen für seinen Geschmack zu anspruchsvoll. Das einzige Mädchen, für das sich Ryan je interessiert hatte, war der Ansicht gewesen, er müsste im Geschäft ihres Vaters arbeiten. Ryan mochte ein wilder Bursche sein, aber die Arbeit auf der Ranch liebte er wirklich.

Pierce dachte über seine eigenen Fehler nach, angefangen mit dem Tag, an dem er Polly Summers geheiratet hatte. Er war damals einundzwanzig gewesen und sehr verliebt, zumindest hatte er sich das eingebildet. Er hatte angenommen, eine scheue Jungfrau zu bekommen, aber bald feststellen müssen, dass er eine erfahrene Frau geheiratet hatte, die sich schnell andere Männer suchte, um ihre leeren Stunden auszufüllen. Als er sie mit Riley Reed, ihrem ehemaligen Liebhaber, erwischte, setzte er sie vor die Tür. Trey Delaney, Pierce’ Vater, nutzte seinen beträchtlichen Einfluss, um eine Annullierung durchzusetzen. Sowohl seine Mutter als auch Polly hatten Pierce tief verletzt, und er hatte sich geschworen, nicht ein drittes Mal als Verlierer dazustehen.

Während er durch den dunklen Canyon stolperte, hielt Pierce sich auf den Beinen, indem er die Erinnerung an seine Mutter heraufbeschwor und noch einmal die Qualen durchlebte, die ihre Familie gelitten hatte, als sie ging. Während Pierce älter und reifer wurde, hatte er diese Lektion nie vergessen. Frauen konnten das Leben eines Mannes zerstören. Er mochte Sex und widmete sich diesem Vergnügen jedes Mal sehr intensiv, wenn er in die Stadt kam, aber es war eine rein körperliche Angelegenheit für ihn. Er hatte seine Lieblinge unter den Damen, die ihr Gewerbe über dem Saloon ausübten, aber keine von ihnen bedeutete für ihn mehr als eine erfreuliche Nummer im Bett.

Irgendwann war Pierce am Ende seiner Kraft. Es hatte zu regnen begonnen, als er aus dem Canyon kam, und sein Verstand arbeitete wohl nicht mehr richtig. Phantasierte er oder sah er tatsächlich die undeutlichen Umrisse eines Ranch-Gebäudes in der Ferne? Er war so durstig, dass seine Kehle zu brennen schien, und sein Mund war trockener als die Wüste. Obwohl ihm von dem Blutverlust schwindlig war, zwang er sich weiterzugehen. Er wusste, dass er verloren war, wenn er Halt machte. Wenn ihn nicht wilde Tiere erwischten, dann die Bürgerwehr.

Pierce fiel vornüber auf die Knie. Die Schmerzen in seinem Inneren explodierten. Er wollte sich hinlegen, die Augen schließen, um in die Bewusstlosigkeit zu fliehen. Doch kämpfte er gegen den Drang aufzugeben an, als das Ranch-Haus in der Dunkelheit Gestalt annahm. Er blinzelte. Es war kein Trugbild, das Gebäude war wirklich vorhanden und keine hundert Meter von ihm entfernt.

Das Licht, das aus den Fenstern im Erdgeschoss sickerte, zog Pierce an wie ein Signalfeuer. Mit letzter Kraft schleppte er sich weiter, bis er die Veranda erreicht hatte. Was nun? Er konnte nicht einfach bei Leuten hereinplatzen, die er nicht kannte und von denen er nicht wusste, ob er ihnen trauen konnte. Zunächst brauchte er Wasser und etwas Ruhe, bis sein Verstand wieder besser arbeitete und ihm erlaubte, die Lage einzuschätzen.

Er entdeckte im Hof eine Pumpe und ging vorsichtig darauf zu. Niemand war in der Nähe, was bei einer Ranch dieser Größe seltsam schien. Indem er seinen letzten Rest an Kraft einsetzte, betätigte er den Pumpenschwengel und kniete sich auf den Boden, um den ersten Schwall Wasser mit dem Mund aufzufangen. Er trank in gierigen Schlucken und steckte dann seinen Kopf unter die Pumpe. Als er sich einigermaßen erfrischt fühlte, schleppte er sich zur Rückseite des Hauses, um dort einen Schuppen oder ein Nebengebäude zu suchen, in dem er sich verstecken konnte. Er fand etwas Besseres: Den Eingang zum Vorratskeller.

Pierce klappte die Luke auf und kletterte hastig die wenigen Stufen hinunter. Sowie die Tür wieder geschlossen war, befand er sich in völliger Dunkelheit. Er tastete sich mit beiden Händen voran, bis er an einen Sack Kartoffeln stieß und seinen Rücken daran lehnte. Es hatte ihn sein letztes Quäntchen Kraft gekostet, hierher zu kommen, und erst jetzt gönnte Pierce sich den Luxus, die Augen zu schließen und das Bewusstsein zu verlieren.

Pierce wurde mit schlimmeren körperlichen Schmerzen wach, als er in seinen ganzen achtundzwanzig Lebensjahren je erlebt hatte. Sein Mund schmeckte nach Blut, und sein Kopf fühlte sich an, als würde eine Herde von Wildpferden darin herumtoben. Der Schmerz in seinem Rücken war unbeschreiblich, und Pierce war klar, dass er an Blutvergiftung sterben würde, wenn die Kugel nicht bald entfernt wurde.

Winzige Lichtpünktchen erregten Pierce’ Aufmerksamkeit, und als er den Blick hob, stellte er fest, dass die Bodenbretter über ihm etwas uneben waren und ihm Einblick in den Raum direkt über seinem Kopf erlaubten. Aufgrund des Tageslichts, das er sehen konnte, schloss Pierce, dass er die ganze Nacht und weit in den Vormittag hinein bewusstlos gewesen war. Er hatte wieder Durst und fühlte sich viel schwächer als am Vorabend. Auf einmal hörte er Schritte auf den Bodenbrettern und lauschte angestrengt.

Der Klang zornig erhobener Stimmen drang zu ihm hinunter. Pierce spitzte die Ohren und konnte die Worte gerade noch verstehen. Die Stimmen gehörten einem Mann und einer Frau.

»Ich habe diese Verzögerungen satt, Zoey. Wenn Sie nicht bald einen Termin für unsere Hochzeit festlegen, wird meine Bank die Hypothek auf Ihr Anwesen kündigen.«

»Sie wissen genauso gut wie ich, Mr. Willoughby, dass keine Hypothek auf der Circle F liegt. Das Land und die Ranch, die meinem Vater gehörten, sind unbelastet. Wenn Ihre Bank eine Hypothek besitzt, handelt es sich um eine Fälschung.«

»Wollen Sie etwa unterstellen, ich sei unehrlich?«, brauste Willoughby auf.

Eine Pause folgte und Pierce fragte sich, ob der Mann namens Willoughby die Frau eingeschüchtert hatte. Aber offenbar hatte sie mehr Stehvermögen, als er ihr zutraute.

»Genau das will ich unterstellen, Samson Willoughby. Sie sind ein Lügner und Betrüger, und ich würde Sie unter gar keinen Umständen heiraten. Außerdem habe ich bereits einen Verlobten, den ich sehr liebe. Wir werden demnächst heiraten. Er wird nicht zulassen, dass Sie mit Ihren miesen Tricks durchkommen.«

»Ein Verlobter«, schnaubte Willoughby. »Ich glaube nicht an diesen Verlobten. Wo lebt er? Warum hat er sich bisher nie blicken lassen? Sie sind eine schreckliche Lügnerin, Zoey.«

»Das müssen Sie gerade sagen«, gab Zoey zurück.

»Sie können mir nichts vormachen, meine Liebe. Ich will Sie, seit ich mich erinnern kann. Zunächst stand uns Ihr Vater im Weg, aber durch seinen Tod hat sich alles geändert. Sie lieben diese Ranch, nicht wahr? Nun, mir gefällt sie auch. Unsere Ländereien grenzen aneinander, nur dass zu Ihrem Grund und Boden das üppige Weideland und die Wasserrechte gehören, die meinem fehlen. Gemeinsam könnte uns ein großes Stück Montana gehören. Wenn Ihr angeblicher Verlobter nicht bald erscheint, sollten Sie sich darauf einstellen, Ihr Land zu verlieren. Oder mich zu heiraten.« Er tippte kurz an seinen Hut. »Guten Tag, meine Liebe.«

Zoey Fuller schlug die Tür hinter Samson Willoughby so heftig zu, dass die Scharniere klapperten. Zwei Wochen! Seit dem Tod ihres Vaters vor sechs Monaten hielt sie den Mann nun schon hin. Zoey wusste, dass Willoughby log, was diese Hypothek anging. Die Suche nach der Besitzurkunde der Ranch hatte sich bisher als fruchtlos erwiesen. Sie musste irgendwo hier sein, aber wo?

Die Hypothekenpapiere, die Willoughby ihr vor die Nase gehalten hatte, sahen echt aus, aber Zoey wusste, dass ihr Vater niemals eine Hypothek aufgenommen hätte, ohne ihr etwas davon zu sagen. Geld war bei ihnen knapp gewesen, aber sie hatten die harten Zeiten immer überstanden, ohne die Ranch zu opfern.

Die zweiundzwanzigjährige Zoey Fuller war mit ihrem blonden Haar und den blauen Augen eine Schönheit, doch war sie sich der verheerenden Wirkung, die sie auf Männer hatte, nicht bewusst. Sie hatte einige Verehrer gehabt, aber noch nie einen Mann kennen gelernt, mit dem sie gern den Rest ihres Lebens verbracht hätte. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater ihr volle Freiheit gelassen, und in diesen Jahren hatte sie ihren eigenen Willen und ein entsprechendes Temperament entwickelt. Sie fühlte sich in Flanellhemd und Denim-Hosen genauso wohl wie in einem Kleid. Seit Robert Fullers Tod führte sie die Ranch mit Hilfe von Cully, einem bärbeißigen alten Stallknecht, der für ihren Vater gearbeitet hatte, seit sie sich erinnern konnte.

Jetzt war Cully der einzige Arbeiter, der ihr geblieben war. Die anderen waren entweder von selbst gegangen oder von Willoughbys Männern vertrieben worden. Räuber hatten einen großen Teil ihres Viehbestandes gestohlen, und sie stand dicht vor dem Bankrott.

Seit dem Tod ihres Vaters hatte Zoey die Erfahrung machen müssen, dass Rancharbeiter nur ungern für eine Frau arbeiteten. Mit Willoughby auf der einen Seite und anderen Ranchern aus der Gegend, die höhere Löhne boten, auf der anderen, steckte Zoey gewaltig in der Klemme. Willoughby saß ihr ständig im Nacken, und die Zeit lief ab. Ohne einen Mann an ihrer Seite würde sie bald gezwungen sein, ihren Besitz aufzugeben. Willoughby zu heiraten, war jedoch eine Möglichkeit, die sie nicht einmal in Betracht zog. Diesen Lügner und Betrüger würde sie nie nehmen und wenn er ihr auf einem silbernen Tablett serviert würde!

Zoey verließ das Haus in gedrückter Stimmung. Es gab so viel zu tun und so wenig Zeit. Es war praktisch unmöglich, die Arbeiten auf der Ranch ausschließlich mit Cullys Hilfe zu erledigen. Vielleicht würde sie später am Tag in die Stadt fahren und versuchen, Arbeitskräfte aufzutreiben. Ihre letzten zwei Versuche waren Zeitverschwendung gewesen. Willoughby hatte verbreitet, dass jede Anstellung auf der Circle F kurzfristig wäre, da die Ranch in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte.

Zoey ging in die Scheune und fing an, Heu vom Heuboden zu schaufeln. Anscheinend war Cully schon vor ihr da gewesen und hatte die Pferde auf die Koppel geführt. Sie arbeitete unermüdlich, bis ihr die Arme wehtaten und ihr Magen vor Hunger laut knurrte. Heute Morgen beim Frühstück hatte sie kaum etwas angerührt, und Lunch schien eine gute Idee zu sein. Bestimmt würde auch Cully Hunger haben.

Auf dem Weg zum Haus fiel Zoey ein, dass sie die letzten Kartoffeln verbraucht hatte und Nachschub aus dem Keller holen musste. Die Kellertür stand ein wenig offen, doch dachte sie sich nichts dabei. Vorsichtig stieg sie die Stufen in das dämmerige Zwielicht hinunter.

Der Kartoffelsack, erinnerte sie sich, stand ganz hinten in der Ecke. Langsam setzte sie einen Fuß nach dem anderen auf den Lehmboden und wäre beinahe gefallen, als sie über ein Hindernis stolperte, ein Hindernis, das gestern noch nicht da gewesen war. Zoey kniete nieder und stieß mit ihren suchenden Händen auf etwas Warmes und Weiches … einen menschlichen Körper. Sie erschrak. O Gott, warum hatte sie die Laterne nicht mitgenommen?

Sie unterdrückte einen Schrei, als sich das Etwas bewegte. Ihre vorsichtig tastenden Hände berührten etwas, das sich wie ein Bündel Lumpen anfühlte. Aber das Lumpenbündel hatte Muskeln, harte Muskeln, und eine breite Brust und … und raue Stoppeln auf dem Gesicht. Ein Mann! Sie kauerte sich auf die Fersen und starrte ihn unverwandt an, während sie sich benommen fragte, warum er so still war und was er in ihrem Keller machte.

Plötzlich packte er sie am Handgelenk. Sie stieß einen Schrei aus. Gleich darauf tauchte ein Licht in der Kellerluke auf.

»Sind Sie da unten, Miss Zoey?«

Cully stand mit einer Laterne in der Hand am Ende der Treppe.

»Oh, Cully, Gott sei Dank! Komm schnell runter!«

»Ich habe Sie schreien hören. Sie haben da unten wohl eine fette Ratte entdeckt?« Er ging die Stufen hinunter. »Ich habe neulich ein paar Fallen aufgestellt, als mir auffiel, dass die Biester unsere Kartoffeln und Karotten fressen.«

»Keine Ratte«, sagte Zoey und befreite sich aus der Umklammerung des Fremden. »Hier unten ist ein Mann.«

Der Eindringling stöhnte laut auf, und Cully lief zu ihr und hielt die Laterne hoch. Jetzt konnten er und Zoey den Mann im Keller deutlich sehen.

»Ich will verdammt sein! Was ist los mit ihm?«

»Keine Ahnung, Cully. Er ist schrecklich blass. Vielleicht ist er krank.«

Dann sah sie die Lache von geronnenem Blut unter ihm und wurde selbst blass. »Stell die Lampe ab und dreh ihn um«, bat sie Cully.

Cully gehorchte und stieß einen halblauten Fluch aus, als er das Blut sah, das den Lehmboden tränkte. »Er hat ganz schön viel Blut verloren, Miss Zoey.«

Zoey lüpfte behutsam Pierce’ Jacke, Weste und Hemd und entdeckte die Schusswunde unter seinem Schulterblatt. »Er ist angeschossen worden. Die Kugel steckt noch drin. Wenn sie nicht bald entfernt wird, stirbt er an Blutvergiftung.« Sie nahm Pierce sein Halstuch ab und presste es auf die Wunde.

»Seit der alte Doc Tucker angefangen hat zu trinken, gibt es in Rolling Prairie keinen anständigen Arzt mehr«, bemerkte Cully. »Und es würde zu lange dauern, einen Doktor aus einer anderen Stadt zu holen. Der Fremde wäre tot, noch bevor der Doktor einträfe.«

Zoey spürte eine Anwandlung von Mitleid mit dem Mann. Sie hielt sich nicht für eine übermäßig weichherzige Person, das konnte sie sich einfach nicht leisten. Aber irgendetwas an diesem verwundeten Fremden rührte an ihr Herz. »Kannst du die Kugel rausholen, Cully?«

Cully fuhr sich durch sein struppiges, graues Haar und zuckte die Achseln. »Ich kann’s versuchen, Miss Zoey, aber versprechen kann ich nichts. Wir müssen ihn ins Haus bringen. Sind Sie sicher, dass Sie das wollen? Der Mann könnte gefährlich sein. Vielleicht wird er gesucht. Sie könnten sich eine Menge Ärger einhandeln.«

Zoey betrachtete Pierce und stellte leicht betroffen fest, dass er ziemlich gut aussah. Und er war möglicherweise genau das, was Cully argwöhnte. Aber aus irgendeinem Grund glaubte sie es nicht.

»Ich bin mir sicher, Cully. Nimm ihn bei den Schultern; ich nehme ihn bei den Füßen. Gemeinsam müssten wir ihn ins Haus schaffen können.«

Kapitel 2

Schmerzen. Bohrende, qualvolle Schmerzen. Brennende Schmerzen. Pierce versuchte ihnen zu entfliehen, doch vergebens. Warum lag er flach auf dem Bauch, hilflos wie ein Opferlamm, und litt über jedes menschliche Maß hinaus?

»Er kommt zu sich, Cully.«

»Ich bin noch nicht ganz durch, Miss Zoey. Passen Sie auf, dass er sich nicht rührt.«

»Ich versuche es, aber er ist furchtbar stark.«

Auf einmal stieß Pierce einen Schrei aus und erschlaffte.

»Ich hab sie, Miss Zoey!«, rief Cully aufgeregt und ließ die Kugel, die er aus Pierce’ Fleisch gezogen hatte, in eine Schüssel fallen. »Jetzt geben Sie mir die Flasche Whiskey, damit ich die Wunde desinfizieren kann.«

»Hältst du das für eine gute Idee?«

»Was anderes haben wir nicht.«

»Wird er es überleben?«, erkundigte Zoey sich besorgt.

»Kann ich nicht sagen. Er macht aber einen ziemlich gesunden Eindruck. Ist nicht blass wie einer, der im Gefängnis war. Keine Ahnung, vor wem oder was er weggelaufen ist, aber wie ein Gesetzloser sieht er für mich nicht aus. Das ist natürlich nur meine persönliche Meinung.«

»Ich vertraue auf dein Urteil, Cully. Jetzt kann ich übernehmen. Mach dir etwas zu essen«

»Sind Sie sicher?«

»Ganz sicher.«

Nachdem Cully gegangen war, machte Zoey einen Verband aus einem weichen Baumwollstück, das sie in Streifen gerissen hatte, und legte es auf die Wunde. Dann schlang sie einen weiteren langen Streifen um die Brust des Fremden, um den Verband zu fixieren. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten.

Cully hatte den Mann bis auf die Unterwäsche ausgezogen, während sie selbst Wasser gekocht und das Messer gesucht hatte, das Cully benötigte. Als sie in das Zimmer zurückkam, lag der Fremde bereits auf dem Bauch und war von der Taille abwärts zugedeckt.

Rücken, Arme und Brust waren von der Sonne gebräunt, als wäre er es gewöhnt, mit nacktem Oberkörper im Freien zu arbeiten. Er war groß und kräftig und sehr gut gebaut, schlank, aber muskulös an allen Stellen, auf die es ankam. Keine Fettschicht lag um seine Taille. Seine Beine konnte sie nicht sehen, aber sie war überzeugt, dass sie gut zu allem Übrigen passten.

Er trug sein glattes dunkles Haar eine Spur länger als die meisten Männer, so dass es fast seine Schultern streifte, aber das schien sein etwas verwegenes gutes Aussehen nur zu unterstreichen. Eine vereinzelte Haarsträhne war ihm über die Augen gefallen, und Zoey strich sie unwillkürlich zurück. Das Haar fühlte sich weich und dicht und sauber an, und ihre Finger ruhten ein wenig länger als nötig darauf.

Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie tat, und sie riss ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Es war gar nicht ihre Art, sich Phantasien über einen Mann hinzugeben, schon gar nicht über einen Fremden. Sie hatte keine Ahnung, wer er war, da er nichts bei sich hatte, was auf seine Identität hinwies, nur ein Bündel Geldscheine, das in seiner Westentasche steckte. Seine Kleidung war von guter Qualität, und seine Stiefel waren praktisch neu. Wenn er tatsächlich ein Gesetzloser war, dann auf jeden Fall ein wohlhabender.

Kurz darauf kam Cully zurück. »Ich setze mich jetzt zu ihm, Miss Zoey. Machen Sie sich auch was zum Futtern. Im Augenblick können wir nicht mehr für ihn tun, als dafür zu sorgen, dass er es bequem hat.«

»Ich frage mich, wer er ist«, überlegte Zoey laut.

Cully hob seine mageren Schultern. »Schwer zu sagen. Wir müssen einfach abwarten, bis es ihm wieder so gut geht, dass er reden kann.«

»Ich komme nachher wieder«, sagte Zoey, während sie zur Tür ging. Dort hielt sie einen Moment inne und fügte hinzu: »Sieh zu, dass du ihm ein bisschen Wasser einflößen kannst, bevor er anfängt zu fiebern.«

»Keine Sorge, Miss Zoey, ich kümmere mich schon um ihn.«

In dem beruhigenden Wissen, dass Cully über den verwundeten Fremden wachen würde, ging Zoey hinaus. Es gab noch unzählige Arbeiten, die zu erledigen waren. Sie musste Eier einsammeln, und wenn sie schon dabei war, konnte sie gleich ein Hühnchen schlachten. Eine nahrhafte Suppe würde dem Fremden gut tun. Wenn er aufwachte – falls er aufwachte –, würde er bestimmt Hunger haben.

Pierce stöhnte und schlug die Augen auf. Rasende Schmerzen peinigten seinen ganzen Körper, und es dauerte eine Weile, ehe er seine Umgebung wahrnahm. Er lag auf etwas Weichem. Auf einem Bett? Er hob leicht den Kopf und sah neben sich einen Mann auf einem Stuhl dösen. Er war mager und drahtig, und sein wettergegerbtes Gesicht, dessen Haut an rissiges Schuhleder erinnerte, zeugte von seinem vorgerückten Alter und den langen Jahren, die er bei Wind und Wetter im Freien gearbeitet hatte. Ein Schopf struppiger grauer Haare stand in allen Richtungen von seinem Kopf.

Plötzlich machte der alte Mann die Augen auf und begegnete Pierce’ Blick.

»So, Sie sind aufgewacht. Wollen Sie etwas Wasser?«

Pierce schluckte mühsam und nickte leicht, worauf ihm sofort schwindlig wurde. »Bitte«, krächzte er.

Der alte Mann stützte Pierce’ Kopf, während er trank. »Immer sachte, Fremder.«

»Danke«, sagte Pierce schwach. »Wo bin ich?«

»Das hier ist die Circle F Ranch.« Dann fragte der alte Mann rundheraus: »Wer hat auf Sie geschossen?«

»Oh, er ist wach!«

Pierce wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, sah einen Engel vor sich und glaubte zu phantasieren. Die Frau, die gerade ins Zimmer gekommen war, war zu schön, um wahr zu sein. Pierce war sofort auf der Hut. Frauen, die wie diese hier aussahen, konnte man noch viel weniger trauen als den unscheinbaren. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass man bei schönen Frauen ausgesprochen vorsichtig sein musste, da sie dazu neigten, eine zu hohe Meinung von sich selbst zu haben.

Und diese Frau war auffallend schön. Haar von der Farbe reifen Weizens hing zu einem Zopf geflochten über ihren Rücken, und ihre Augen waren so blau wie der Himmel von Montana an einem wolkenlosen Tag. Ihr kurvenreicher Körper sah aus, als wäre er in die engen Hosen hineingegossen worden, die sie trug. Ihre Brüste zeichneten sich unter ihrem Männerhemd ab, und Pierce bildete sich ein, unter dem abgetragenen Stoff die Konturen ihrer Brustspitzen zu sehen.

Sie kam zum Bett. »Wie geht es Ihnen?«

»Verdammt mies. Mir tut einfach alles weh. Haben Sie die Kugel rausgeholt?« Ihr frischer, zart weiblicher Duft kitzelte seine Nase und ließ ihm den Atem stocken, bis er kaum noch Luft bekam.

»Dafür können Sie sich bei Cully bedanken.«

»Sie sind noch nicht übern Berg«, sagte Cully. »Und achten Sie gefälligst auf Ihre Sprache, wenn Miss Zoey da ist.«

»Tut mir Leid«, murmelte Pierce. Sein Blick wanderte langsam über Zoeys Kurven. Er hatte noch nie eine Frau in Hosen gesehen.

»Wer sind Sie?«, wollte Zoey wissen. »Wer hat auf Sie geschossen, und wie sind Sie in meinem Vorratskeller gelandet? Die meisten Männer hätten an der Tür um Hilfe gebeten. Vor wem oder was verstecken Sie sich?«

Pierce machte den Mund auf, um ihr zu antworten, brachte aber kein Wort über die Lippen. Die wenigen Worte, die er gesagt hatte, hatten seine ganzen Kraftreserven erschöpft. Mit einem Seufzer glitt er wieder in die Bewusstlosigkeit.

»Ist er in Ordnung?«, fragte Zoey besorgt.

»Er atmet noch«, sagte Cully, »aber wie lange noch, kann ich nicht sagen.«

Zoey legte eine Hand auf Pierce’ Stirn. »Er glüht. Was können wir tun?«

»Ich hole Wasser vom Fluss. Ich habe irgendwo gehört, dass es die Temperatur senkt, wenn man jemanden, der Fieber hat, in kaltem Wasser badet.«

Er machte sich sofort auf den Weg und ließ Zoey mit Pierce allein.

»Stirb nicht«, flüsterte sie. »Stirb bitte nicht.« Sie wusste nicht, warum, aber die Vorstellung, diesen Fremden zu verlieren, war unerträglich. Sie hatte keine Ahnung, woher er kam oder wer er war, aber irgendetwas an ihm berührte sie. In den Tiefen von Schmerzen und Schatten verloren, hörte Pierce, wie ihn eine liebliche Stimme aus dem Dunkel rief, das ihn umgab. In diesem Augenblick beschloss er, nicht zu sterben. Wenn diese Frau, die ihn nicht einmal kannte, wollte, dass er am Leben blieb, war er es ihr und seinen Brüdern schuldig, sich Mühe zu geben.

Pierce kehrte langsam in die Welt der Lebenden zurück. In der kritischen Phase seiner Genesung war er immer wieder kurz zu sich gekommen und hatte vage das kühle Wasser wahrgenommen, dass jemand über seinen Körper goss. Kühles Wasser und kühle Hände. Und eine Stimme, die dem Teufel persönlich trotzte, um ihn zu retten. Sein erster zusammenhängender Gedanke war, dass er der Frau namens Zoey sein Leben verdankte, sein zweiter, dass derartige Überlegungen ihm gewaltige Probleme bescheren könnten.

»Wir hätten Sie beinahe verloren«, sagte Zoey, als sie merkte, dass Pierce sie anstarrte.

Seine Stimme klang rau und kratzig. »Wie lange war ich ohne Bewusstsein?«

»Drei Tage. Wir dachten schon, das Fieber würde nie sinken. Haben Sie Hunger?«

»Eigentlich nicht. Eher Durst.«

»Sie müssen etwas essen. Ich habe Hühnersuppe gemacht. Glauben Sie, Sie halten es aus, auf den Rücken gedreht zu werden?«

Er biss die Zähne zusammen. »Ich denke schon, wenn Sie mir helfen.«

Zoey half ihm geschickt, sich umzudrehen, so dass seine Schultern auf den Kissen ruhten, die sie hinter ihn gelegt hatte. Pierce fand die Schmerzen erträglich und war froh, die Stellung zu verändern, nachdem er so lange auf dem Bauch gelegen hatte. Dann regte sich ein natürliches Bedürfnis in ihm, und Pierce wand sich vor Unbehagen.

»Was ist los? Habe ich Ihnen wehgetan?«

»Nein, ich brauche … das heißt … vielleicht könnten Sie den Mann raufschicken, der für Sie arbeitet.«

Als Zoey begriff, was Pierce meinte, rötete sich ihr Gesicht leicht. »Ich schicke Cully sofort rauf und bringe Ihnen später etwas Suppe. Danach müssen wir uns unterhalten. Ich weiß nicht einmal Ihren Namen.«

Eine halbe Stunde später kam Zoey mit einem Tablett, auf dem ein Teller dampfender Suppe stand, in Pierce’ Zimmer zurück. Sie stellte es behutsam auf den Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante, um ihn zu füttern.

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, brummte Pierce, der es nicht gewohnt war, von einer Frau bedient zu werden.

Zoey ließ es ihn probieren, obwohl sie wusste, dass er noch zu geschwächt war, um den Löffel auch nur halbwegs geschickt zu halten. Nach einigen vergeblichen Versuchen reichte Pierce ihr den Löffel und sagte: »Sie haben gewonnen.« Es ging ihm gegen den Strich, vor einer Frau auch nur das geringste Zeichen von Schwäche zeigen zu müssen.

Zoey, die insgeheim fand, dass er eigensinniger war, als ihm gut tat, nahm den Löffel, tauchte ihn in die Suppe und hielt ihn an seinen Mund. Pierce schluckte widerwillig. Als der Teller fast leer war, drehte er den Kopf zur Seite. »Genug.«

»Gut«, sagte Zoey und stellte den Teller beiseite. »Na schön, wer sind Sie?«

Pierce’ Miene verdüsterte sich. Es gefiel ihm gar nicht, sich so hilflos in die Ecke gedrängt zu fühlen. Wie er es sah, hatte er zwei Möglichkeiten. Er konnte ihr die Wahrheit sagen oder er konnte lügen. Angesichts dessen, was Zoey für ihn getan hatte, schien Lügen eher verwerflich.

»Ich heiße Pierce Delaney. Wer sind Sie?«

»Zoey Fuller. Wo leben Sie, Mr. Delaney?«

»Nicht weit entfernt. Hier und dort. Cully hat gesagt, das hier ist die Circle F Ranch.«

Plötzlich fiel Pierce das Gespräch ein, das er belauscht hatte. »Wer ist Samson Willoughby, und warum droht er Ihnen?«