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Im Herbst 1945 macht sich die neunzehnjährige Ingeborg Bachmann auf. Der Weg führt sie hinaus aus dem Kärntner Tal über Innsbruck und Graz nach Wien. Die im Krieg schwer beschädigte, von den Alliierten besetzte Stadt wird ihr zu einer neuen Heimat.

Sie studiert Philosophie, Germanistik und Psychologie, gehört bald zum engeren Kreis um Hans Weigel im Café Raimund und lernt Paul Celan, Ilse Aichinger, Milo Dor und viele andere Schriftsteller und Künstler kennen. Nach ihrer Promotion findet sie Arbeit als Rundfunkautorin beim amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot und veröffentlicht erste Gedichte sowie Erzählungen, die hier erstmals wieder abgedruckt sind.

Kenntnis- und detailreich schildert Joseph McVeigh Ingeborg Bachmanns Entwicklung im geistig-kulturellen Milieu der unmittelbaren Nachkriegszeit, von den Studienjahren bis zu ihrem großen Erfolg bei der Lesung der Gruppe 47 im Mai 1953 und ihrem langen Abschied aus Wien.

Joseph McVeigh ist Professor für Germanistik am Smith College in Northampton, Massachusetts. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der deutschen und österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts sowie auf den deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen nach 1945.

2011 erschien im Suhrkamp Verlag der von ihm herausgegebene Band Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie.

Joseph McVeigh

Ingeborg Bachmanns Wien

1946-1953

Insel Verlag

eBook Insel Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2016

© Insel Verlag Berlin 2016
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Andreas Heilmann

eISBN 978-3-458-74267-8

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Ingeborg Bachmanns Wien

1946-1953

Einleitung

Der Schleier um Ingeborg Bachmanns Wiener Jahre beginnt sich zu lüften. Die im Verlauf des letzten Jahrzehnts publizierten Texte und Korrespondenzen – ihre Briefwechsel mit Hans Werner Henze (2004) und Paul Celan (2008), ihr Kriegstagebuch mit den Briefen Jack Hameshs (2010), die Skripte der Hörspielreihe Die Radiofamilie, die sie für den Sender Rot-Weiß-Rot schrieb (2011), und selbst der Briefwechsel zwischen Celan und den gemeinsamen Wiener Freunden Klaus und Nani Demus (2009) –, sie alle tragen dazu bei, das Wissen über Bachmanns Leben und frühes Schaffen im Wien der Nachkriegszeit erheblich zu erweitern. Dennoch bleibt das Bild der Jahre 1946 bis 1953, als sie im Literaturbetrieb der österreichischen Hauptstadt Fuß fasste, lückenhaft und – damit einhergehend – von Mythen umrankt. Obwohl zahlreiche Interpretationen ihrer Werke vorliegen und die verschiedenen intellektuellen Einflüsse dieser Zeit auf ihre Dichtung gut erforscht sind, muss in mancher Hinsicht immer noch von einem »Phantombild« gesprochen werden, und wer nach dem Verhältnis von Biographie und literarischem Werk fragt, ist oft auf Spekulationen angewiesen.

Ingeborg Bachmann selbst hat solchen Spekulationen Vorschub geleistet, indem sie, wie Sigrid Weigel konstatiert, den »öffentlichen Umgang mit ihrer ›Person‹« zu verhindern suchte. Das ist durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, »auf welche Weise sie als junge Autorin den Erwartungsnormen einer Schriftstellerlaufbahn erlegen war«.1 Insofern dienten die von ihr verbreiteten »verzeihlichen Lügen«2 in erster Linie dazu, mit der Entstehung der öffentlichen Figur Ingeborg Bachmann einen Schutzwall zwischen der empfundenen Realität und den Erwartungen von außen zu errichten. Zudem sind sie als Reaktion auf die schon in Wien aufkommende »Nachlassangst« (HW, 26.8.1948),3 die Angst um ihren zukünftigen Ruf als Mensch, nicht in erster Linie als Dichterin, zu verstehen. Die frühe Manipulation privater Belange wurde später zum absoluten Schweigegebot: »Denn ich habe zu schreiben. Und über den Rest hat man zu schweigen.« (GuI, 77)

Sowohl die schwierige Quellenlage der frühen Zeit als auch – und nicht zuletzt – das vielerörterte Diskretionsbedürfnis der Autorin haben dazu geführt, dass sich die Bachmann-Forschung vorwiegend theoretisch-poetologischen Themen zuwandte. Der Nexus zwischen Leben und Werk blieb – bei allen berechtigten Vorbehalten gegen biographistische Kurzschlüsse – weitgehend unterbelichtet. Dabei hat Ingeborg Bachmann aus gutem Grund von der elementaren Bedeutung des »geistigen Wiens« für ihr Schaffen gesprochen, worunter mehr zu fassen ist als die intellektuellen Einflüsse in der Nachkriegsmetropole oder ein imaginärer, gehasster und zugleich geliebter Sehnsuchtsort. Das »geistige Wien« sind auch und vor allem die Milieus, in denen sich der Alltag – das berufliche, soziale, intellektuelle und künstlerische Leben – der jungen Studentin und angehenden Schriftstellerin abspielte, das sind die Menschen, denen sie begegnete, die sie beeinflussten, förderten oder behinderten. In den komplexen und manchmal verwirrenden Erfahrungen, die sie in dieser »Stadt ohne Gewähr« (W II, 126) machte, steckt mancher Schlüssel zum Verständnis ihres damaligen wie späteren literarischen Schaffens. Denn Wien ist zweifellos die Brutstätte von Ingeborg Bachmanns Werk, wenn auch manchmal auf andere Weise, als bisher bekannt war.

Um ein vollständigeres Bild von Bachmanns Wien zu zeichnen, bedient sich dieser Band einer Fülle an bisher vernachlässigten Quellen aus dieser Zeit, darunter die aufschlussreichen Briefe Bachmanns an ihren Förderer und Geliebten Hans Weigel (dessen Briefe an Ingeborg Bachmann sind nicht überliefert) und ihre weitgehend oder bisher völlig unbekannten Texte für Wiener Kulturzeitschriften. Zudem gewährt auch die nähere Beschäftigung mit ihren zwar weniger prominenten, jedoch nicht weniger wichtigen Weggefährten und Mentoren, wie der Journalistin Elisabeth »Bobbie« Löcker, dem Theaterkritiker Siegfried Melchinger und dem Psychologen Viktor Frankl, interessante Einblicke in Bachmanns damaliges Umfeld. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die Multiplikatoren ihres frühen Rufs als literarisches Talent, die Autoren Herbert Eisenreich, Milo Dor und Reinhard Federmann oder Berater wie die schon genannten Klaus und Nani Demus sowie zahlreiche andere Persönlichkeiten, die im Leben der angehenden Kulturjournalistin und Schriftstellerin eine weitaus größere Rolle spielten, als bisher angenommen. Die Briefe und Dokumente, die Ingeborg Bachmanns Erben sowie damalige Freunde und Kollegen freundlicherweise für dieses Projekt zur Verfügung gestellt haben – aus manchen wird in diesem Band erstmalig zitiert –, bestätigen die Vermutung, dass Leben und Werk der Dichterin während der Wiener Zeit besonders dicht miteinander verwoben waren. Sie zeigen auch, dass Bachmanns Weg zu einem »Leben in der Dichtung«4 angesichts der schwierigen Verhältnisse im besetzten Nachkriegs-Wien, wiederholter Rückschläge im privaten Bereich und infolge mancher Fehleinschätzungen oder Unterlassungen weder geradlinig noch stetig oder auch nur allzeit zielgerichtet verlief.

Viele Ereignisse und Umstände, die ihren Einfluss auf Bachmanns Werdegang auch über ihre Wiener Jahre hinaus behaupteten, haben in die bisherigen Biographien über die Schriftstellerin noch keinen Eingang gefunden. Ihr Leben in der österreichischen Hauptstadt birgt somit noch viele Überraschungen. Man entdeckt zum Beispiel in den Briefen und Dokumenten aus dieser Zeit kaum noch eine Spur der durch den Krieg zerstörten Kindheit in Klagenfurt,5 von der in der Bachmann-Literatur so oft die Rede ist. Stattdessen strotzt die junge Dichterin den widrigen Umständen zum Trotz oft vor Optimismus, Heiterkeit und Witz und entwickelt, mit ihrer zunehmenden Anerkennung als literarisches Talent, eine ausgeprägte Eitelkeit. Sie verliebt sich in zwei Männer gleichzeitig – Hans Weigel und Paul Celan – und in eine Stadt, die ihr ein neues Zuhause wird, und das nicht nur im räumlichen Sinn.

Geht man der Frage nach, mit welchen Erwartungen und Hoffnungen Ingeborg Bachmann nach Wien kam, stößt man auf die Geschichte einer jungen Frau voller Widersprüche. War es der Wunsch nach einer materiell abgesicherten Existenz? Möglich – doch war sie, wie sie im Kriegstagebuch schreibt, 1945 durchaus noch bereit, in Kärnten zu bleiben und sich bei der englischen Besatzungsmacht eine Arbeit zu suchen, sollte ihr das Studium verwehrt bleiben.6 Zudem wandte sie sich kaum zwei Jahre nachdem sie 1951 ihr Studium abgeschlossen und eine gut bezahlte Stelle beim amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot (RWR) gefunden hatte, einem materiell äußerst unsicheren Leben als freie Schriftstellerin zu und musste in den Jahren 1954 und 1955 ihr Einkommen erneut durch journalistische Arbeiten aufbessern. Erhoffte sie sich also vor allem den Durchbruch als Dichterin? Das ist eher unwahrscheinlich. Zwar erntete sie in Wien schon zwischen 1948 und 1950 beachtliche Anerkennung als literarisches Talent, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch relativ wenig publiziert hatte; auch erzielte sie im Frühjahr 1952 mit ihrer hochgelobten Radiobearbeitung von Thomas Wolfes Mannerhouse (1948) unter dem Titel Das Herrschaftshaus sowie ihrer »Entdeckung« auf der Mai-Tagung der Gruppe 47 in Deutschland schöne Erfolge und konnte die Vielseitigkeit ihrer dichterischen Begabung vor einem breiteren Publikum unter Beweis stellen. Dennoch kam sie wenige Monate später in einem Brief an ihren Schriftstellerkollegen Herbert Eisenreich zum Schluss, dass in ihrem Leben »die Literatur erst das Zweite oder Letzte« sei (HE, 11.11.1952).

Welche Hoffnungen und Erwartungen knüpfte Ingeborg Bachmann also an Wien? Vor allem schwebte ihr ein Neubeginn vor, und zwar in allen Bereichen ihres privaten und öffentlichen Lebens: materiell, intellektuell, emotional und künstlerisch. Das lässt sich einerseits als Flucht vor den psychischen Belastungen und der materiellen Not der Kriegsjahre verstehen, andererseits als Suche danach, was die tief empfundene Unruhe in ihrem Inneren stillen könnte. Eine Zeitlang glaubte sie dieses Ziel tatsächlich erreicht zu haben, schrieb in glänzenden Worten von ihrem neuen »Zuhause« (HW, 11.6.1948), dieser »grossartige[n] und hinreissende[n] Stadt« (HW, 10.6.1948), und schmiedete Zukunftspläne. Es ist kein Zufall, dass in Bachmanns Briefen aus dieser Zeit die Schilderung Wiens positiv ausfällt, bleibt doch das jeweils gezeichnete Bild der Nachkriegsmetropole zwischen 1946 und 1953 ein verlässliches Barometer ihrer Befindlichkeit.

In der Tat hat sich Ingeborg Bachmann in Wien sehr verändert, wenngleich auf eine Weise, die sie sich wohl selbst nicht hatte vorstellen können, als sie 1945 zum »längsten Weg«7 aus dem Kärntner Tal in die Donaumetropole aufbrach, wo sie sich im Lauf der nächsten Jahre in vielen Bereichen profilieren würde: als Akademikerin, Journalistin, Rundfunkredakteurin und Script Writer sowie als Schriftstellerin. Der intelligenten und sprachgewandten »Frau mit Ambitionen« (HW, o.D., vermutlich am oder kurz vor dem 18.8.1951), wie sie sich nannte, standen viele Türen offen; doch waren es nicht in erster Linie berufliche Erwägungen, die ihren weiteren Weg bestimmten. Erst als der Traum eines neuen heilen Zuhauses in Wien ausgeträumt war, wurde sie zu der von Ängsten gequälten, am Leben leidenden Frau und Intellektuellen, der man in der Bachmann-Literatur so oft begegnet.

Ihr »Weg zur Dichtung«, ihre persönliche und literarische Entwicklung in jenen frühen Jahren, verdankte sich auch einer einzigartigen Konstellation von Personen, Einflüssen und Zufällen – und Wien erwies sich in Bachmanns Leben als ein besonderer Ort für Zufälle –, die ihre Wirkung auch über das Jahr 1953 hinaus entfalteten. Ein Spätwerk wie der Roman Malina (1971) zeigt eindeutig, wie sehr das »geistige Wien« – auch das nachher verschwiegene – die Autorin und ihr Werk prägte. Indes sind bis heute viele Quellen, mit deren Hilfe sich ein noch genaueres Bild von Ingeborg Bachmanns Wien zeichnen ließe, für die Forschung unzugänglich – das betrifft etwa Teile ihrer Korrespondenz aus dieser Zeit. Späteren Biographen muss vorbehalten bleiben, diese Phase in ihrem Leben näher auszuleuchten. Der vorliegende Band bietet aber schon jetzt einen Blick hinter die Kulissen dessen, was Ingeborg Bachmann ihren »Wiener Roman[]« (BE, 13.4.1947) nannte. Er geht den bislang kaum bekannten, oft turbulenten Kapiteln über Studium, Journalismus, Politik, Beziehungen und schließlich über das »Leben in der Dichtung« nach, um den Lesern eine große Repräsentantin der modernen deutschsprachigen Literatur neu vorzustellen.

»Deine ganze Hoffnung klammert sich an Wien«

Ingeborg Bachmanns Studienjahre

Im »schönste[n] Sommer meines Lebens« (TB, 23)8 – wir schreiben das Jahr 1945 – erzählte die neunzehnjährige Ingeborg Bachmann ihrem Freund Jack Hamesh, der 1938 als Zwanzigjähriger aus Wien hatte fliehen müssen und nun im Dienst der englischen Armee nach Österreich zurückgekehrt war, von ihrer Absicht, nach Wien aufzubrechen. Sie wollte dort studieren, vor allem Philosophie. Zu diesem Plan gehörte freilich Mut, denn die Verhältnisse in der Hauptstadt waren nach Kriegsende alles andere als verlockend, und erschreckende Gerüchte über Übergriffe und Verbrechen der einrückenden Siegertruppen machten die Runde, über Vergewaltigungen,9 Plünderungen, Abschleppungen, über die Beschlagnahmung noch unbeschädigter Häuser und Wohnungen vor allem durch die Rote Armee. Im Frühling 1945 schrieb Ingeborg Bachmann in ihr Kriegstagebuch:

»Die Russen sind in Wien und wahrscheinlich auch schon irgendwo in der Steiermark. Ich habe mit Issi über alles gesprochen. Es ist nicht so einfach. Sie weiss nicht, ob sie etwas aus dem Giftschrank nehmen kann. Vor den Russen fürchten wir uns beide. Ich will ja nicht alles glauben, was geredet wird, aber niemand kann ja voraussehen, was sie mit uns machen werden, ob sie uns hierlassen oder nach Sibirien bringen. Rechnen darf man nur mehr mit dem Schlimmsten.« (TB, 10-11)

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1 Wien 1945

Wenn sich auch nicht alle Gerüchte als wahr erwiesen, herrschten doch seit dem Einmarsch der Russen im April 1945 in Wien schreckliche Lebensbedingungen und ungeordnete Verhältnisse.

Die Siegermächte waren sich trotz der Moskauer Deklaration von 1943, nach der Österreich zugleich als besetztes und am Kriegsgeschehen des Dritten Reiches beteiligtes Land eingestuft wurde, anfangs nicht in allen Details im Klaren darüber, wie das politische Leben organisiert werden sollte. Der sowjetische Marschall Tolbuchin, Oberbefehlshaber der vor Wien stehenden Roten Armee, ließ zum Beispiel Anfang April 1945 etwa 200000 Flugblätter an die Bürger der nunmehr eingeschlossenen Stadt verteilen, in denen er versprach, die politischen Verhältnisse von 1938 wiederherzustellen.10 Auf die österreichischen Sozialisten und Kommunisten, deren politische Parteien von 1934 bis 1938 im österreichischen Ständestaat verboten waren, wirkte dieses Versprechen sicherlich befremdlich. Die Amerikaner, die erst einen Monat später Wien erreichten, wollten in ihrer Besatzungszone wiederum all jene vom politischen Leben ausschließen, die an die Zeit des Austrofaschismus (1933/34-1938) anzuschließen hofften.11 Ende April 1945 beauftragten die Sowjets eigenmächtig Karl Renner, der in der Ersten Republik (1918-1938) als Staatskanzler gedient hatte, eine provisorische Regierung zu bilden. Die westlichen Alliierten verweigerten dem Kabinett zunächst die Anerkennung, billigten ihm aber schließlich die Kompetenz zu, bundesweite Wahlen zu organisieren. So durfte die österreichische Bevölkerung – anders als die Bürger im ebenfalls besetzten Deutschland – im November zu den Urnen gehen, um einen neuen Nationalrat zu wählen. Die oberste Regierungsgewalt im Land oblag aber bis zum Ende der Besetzung Österreichs im Jahr 1955 weiterhin dem Alliierten Kontrollrat, der am 4. Juli 1945 beschlossen und fünf Tage später eingerichtet worden war.

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2 Provisorischer Personensteg auf den Trümmern der gesprengten Floridsdorfer Brücke 1945

Für Ingeborg Bachmann stand der Sommer 1945 im Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit, gesamtgesellschaftlich, aber auch persönlich. Denn, davon war sie überzeugt, in der Kärntner Provinz »gibts […] nichts zu tun, nichts zu lernen« (TB, 24). Dass sie auf ihrem Weg nach Wien vorübergehend in den ähnlich kriegsversehrten Städten Innsbruck und Graz Station machte, bedeutete für sie zwar einen Umweg, war für ihre weitere Entwicklung aber nicht unwichtig. So unauffällig ihre Studienzeit in Tirol und in der Steiermark auch erscheinen mag, legte sie doch bereits den Grundstein zu ihrem späteren Erfolg als Journalistin und Dichterin. Mit der finanziellen Unterstützung der Eltern, die eine Hypothek auf das kleine Familienhaus in Klagenfurt aufnehmen mussten, weil der Vater wegen seiner NS-Mitgliedschaft nicht mehr in seinem Beruf als Lehrer tätig sein durfte, begann Ingeborg Bachmann im Herbst 1945, an der Universität Innsbruck Philosophie und Germanistik zu studieren. Ihre Lehrveranstaltungen im Hauptfach Philosophie deckten ein breites Spektrum des damals gängigen Lehrplans ab: Philosophische Grundlagen der Gegenwart, Logik, Mystik, Metaphysik. Daneben besuchte sie auch mehrere kunstgeschichtliche Vorlesungen, unter anderem über moderne Malerei, ein Thema, mit dem sie sich später auch in ihren journalistischen und dichterischen Schriften auseinandersetzte.

Währenddessen wurde in dem rund fünfzig Kilometer entfernten Dorf Alpbach bereits an der »Geburt eines neuen Europas« gearbeitet.12 Auf Initiative von Otto Molden, Student der Staatswissenschaft und ehemaliger Widerstandskämpfer, und Simon Moser, Dozent am Philosophischen Institut der Universität Innsbruck, traf sich hier im August 1945 erstmals das noch heute existierende Europäische Forum Alpbach – damals noch unter der Bezeichnung Internationale Hochschulwochen. Ob Moser, bei dem Bachmann im ersten Semester eine Vorlesung über Metaphysik hörte, seine Studentin über dieses erste Treffen informierte, wissen wir nicht, doch ihre späteren Briefe an Hans Weigel belegen ein reges Interesse an den Veranstaltungen in Alpbach, sodass davon auszugehen ist, dass sie zwischen 1948 und 1950 mindestens einmal daran teilnahm.13

Nach dem Wintersemester 1945/46 wechselte Bachmann an die Universität Graz, wo sie ihr Studium mehr aus Zufall denn aus Vorsatz um das Fach Staatswissenschaft (Jura) erweiterte:

»Als ich mich an der Universität einschrieb, hatte ich keine Ahnung, daß ich mich für eine Fakultät entscheiden müßte, […] so hospitierte ich denn […] gleichzeitig in der juristischen und philosophischen Fakultät. Das bedeutete, daß ich einen Sommer lang an einem Bezirksgericht praktizierte und mit aufs Land mußte, wenn Gerichtstag war. Das ist Pflicht für junge österreichische Jus-Studenten.« (GuI, 32)

Die Erfahrungen, die Bachmann im Sommer 1946 als Praktikantin im Bezirksgericht sammelte, lieferten den Stoff für ihre spätere Erzählung »Ein Wildermuth« (1961) und möglicherweise auch für die Figurenzeichnung des Oberlandesgerichtsrats Hans Floriani in der humoristischen Sendereihe Die Radiofamilie, für die sie 1952/53 fünfzehn Folgen schrieb, was erst vor kurzem gebührend gewürdigt und nachgezeichnet wurde.14 Die Beschäftigung mit staatswissenschaftlichen Fragen zeugt von Ingeborg Bachmanns intellektueller Verankerung in der wirklichen Welt der sozialen und politischen Machtverhältnisse. In einem Brief vom Juli 1947 schrieb Jack Hamesh bewundernd über ihr Verständnis für die Fragen der Gegenwart: »Nicht viele Mädels in Deinem Alter wären imstande sich so mit ihrer Zeit und ihren Problemen so auseinanderzusetzen, wie Du es tust.« (TB, 59) Unmittelbar nach Kriegsende hatte sich Ingeborg Bachmann mit ihm schon über politische Texte ausgetauscht: »Jetzt sind wir mitten in Sozialismus und Kommunismus […], aber man muss natürlich alles genau kennen und studieren. Ich lese das ›Kapital‹ von Marx und ein Buch von [Victor] Adler.« (TB, 21)

Während ihres Studiums in Graz profitierte Ingeborg Bachmann im praktischen Sinn vielleicht am meisten von einem Englischkurs, der eine mehrjährige und zeitweilig sehr intensive Beschäftigung mit der Sprache einleitete. Zu ihren ersten journalistischen Arbeiten in Wien zählten denn auch Übersetzungen aus dem Englischen für die österreichische Monatszeitschrift Der Turm (1945-1948). Ihre Englischkenntnisse kamen Bachmann auch zugute, als sie Ende März 1951 eine Stelle beim Amerikanischen Nachrichtendienst (AND) und im Herbst desselben Jahres beim US-Radiosender Rot-Weiß-Rot (RWR) als Script Writer and Editor antrat. Die im März 1952 erfolgte Urausstrahlung ihrer Übersetzung und Bearbeitung von Thomas Wolfes Stück Das Herrschaftshaus im Sender RWR war eine Sensation und brachte Bachmann wohlverdiente kritische Anerkennung.15 Neun Monate später wurde ihre zweite große Übersetzung für den Sender, die des englischen Hörspiels Der dunkle Turm (The Dark Tower, 1946) von Louis MacNeice, auf ähnliche Weise gepriesen: Der Sender »ließ das Hörspiel von einer seiner begabtesten Mitarbeiterinnen übersetzen. Es ist dies die junge österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann«.16 Dennoch scheint sie selbst diese Leistungen in späteren Jahren nicht besonders geschätzt zu haben. So antwortete sie 1965 in einem Interview auf die Frage, ob sie je literarisch übersetzt habe: »Ich habe nur ein einziges Mal übersetzt, und zu meinem Vergnügen. Die Gedichte, vor allem die frühen, von Giuseppe Ungaretti.« (GuI, 57) Möglicherweise erwähnte sie die früheren Bearbeitungen für das Radio nicht, weil sie in ihren Erinnerungen zu sehr mit ihrer Tätigkeit für die Amerikaner verbunden waren, die sie später, und besonders im Roman Malina, heftig kritisierte.

In Innsbruck und Graz war Ingeborg Bachmann nicht nur mit dem ehrgeizigen Arbeitspensum ihres Studiums beschäftigt, sondern auch damit, sich an der Universität und in der Stadt jeweils neu zu orientieren und einzurichten.17 Sie fand kaum Gelegenheit, literarische Texte zu schreiben. Ihre erste und einzige Veröffentlichung in dieser Zeit ist die Erzählung »Die Fähre« (W II, 10ff.), die am 31. Juli 1946 in der Kärntner Illustrierten erschien. Darin spielt der Zusammenhang von Dienst und Liebe eine zentrale Rolle, weshalb »Die Fähre« als eine thematische Variation der gleichzeitig entstandenen Briefe an Felician (1991) betrachtet werden kann,18 die erst posthum publiziert wurden. Der Adressat dieser Sammlung lyrischer Briefprosa ist unbekannt oder fiktiv, als mögliches Vorbild wurde der Kärntner Heimatdichter Josef Perkonig, der 1944/45 an der von Bachmann besuchten NS-Lehrerbildungsanstalt unterrichtete, genannt.19 Letztlich ist die Frage nach dem Adressaten jedoch unerheblich, denn es handelt sich bei den Briefen an Felician in erster Linie um eine poetische Selbstanalyse Bachmanns, deren Aufbruch in ein neues Leben von Ängsten und Selbstzweifeln begleitet war. Die Briefe inszenieren in der Rede eines weiblichen Ich an ein männliches Du – ähnlich wie später der Roman Malina – ein Gespräch der Autorin mit sich selbst. In den Briefen bildet, in leichter Abwandlung, der faustische Topos der gespaltenen Persönlichkeit den Rahmen, der den Ängsten wie dem Überschwang der jungen Frau zwar eine gewisse Ordnung verleiht, ihre wachsende Ratlosigkeit und Verzweiflung jedoch keineswegs zu überwinden hilft: »Zwei Menschen sind in mir, einer versteht den andren nicht. Ich fürchte den das Leben so alles liebenden sehr. Er wird übermächtig. Und ich weiß, daß doch für den andren die Zeit kurz werden könnte.« (BF, 41)

In mehrfacher Hinsicht ist diese Spaltung des Ich auch in den Unterschieden zwischen dem Briefwechsel mit Jack Hamesh und den Briefen an Felician zu erkennen. In der Korrespondenz mit Hamesh – da Ingeborg Bachmanns Briefe als verschollen gelten müssen, lassen sie sich nur aus seinen Antworten teilweise rekonstruieren – sind ihre Äußerungen zum Zeitgeschehen, zum Leben und zu ihren bevorstehenden Plänen offenbar eher praktischer und konkreter Natur. Insofern sind die Hamesh-Briefe strukturell eine Art Anti-Felician. Im Gegensatz zu den Zweifeln und Unsicherheiten des schreibenden Ich, die in den Briefen an Felician überwiegen, findet Hamesh in den Briefen Bachmanns »einen Funken Hoffnung, denn das Du an den Fortschritt an eine Besserung glaubst trotz alldem Leiden das Du erdulden musstest in letzter Zeit ist ein Beweis das es wert ist zu leben zu kämpfen und zu hoffen« (TB, 55). Während sich die Briefe an Felician auf die innere Welt der jungen Frau konzentrieren, schließen die Hamesh-Briefe den umfassenderen Blick auf die äußere Welt sowie die beruflichen und akademischen Zukunftspläne mit ein. Gemeinsam ist beiden die zum Ausdruck gebrachte Ungewissheit darüber, wie es weitergehen soll und ob die erhofften Ziele überhaupt erreichbar seien. Die chaotischen Zustände in Österreich kurz nach Kriegsende trugen zur Verunsicherung noch bei. So heißt es im Kriegstagebuch: »Man weiss ja im Grund überhaupt nichts […], es ist schrecklich. Ob ich überhaupt nach Wien fahren werde können. Wann? Und Wie? Ich kann doch nicht ewig hierbleiben und warten, warten.« (TB, 23f.) Wer die Felician- und Hamesh-Briefe nebeneinander betrachtet, bekommt einen Eindruck vom großen inneren Zwiespalt, der Bachmann durch die Wiener Jahre begleiten und sich auch in ihrer parallelen Korrespondenz mit Paul Celan und Hans Weigel widerspiegeln wird.

Innsbruck, das war Ingeborg Bachmann von vornherein klar, war nur eine Zwischenstation auf ihrem Weg – »mein Gott, vielleicht gehe ich schon nach diesem halben Jahr« (BF, 34) –, und doch zweifelte sie manchmal noch daran, ob es überhaupt einen Weg für sie gäbe: »Immer diese Angst, daß ich den Weg verlieren könnte, noch mehr, daß ich keinen finde.« (BF, 19) Diese vorerst unbeantwortbare Frage war zu dieser Zeit stets begleitet von einem ausgeprägten Gefühl der Minderwertigkeit und des Unvermögens: »Ich bin so gewöhnlich und klein, ich werde irgendwo am Wege liegen bleiben.« (Ebd.) Allerdings könnte ein solches Selbstbild, wie es Bachmann auch in einem mit der Bitte um Protektion verbundenen Vorstellungsbrief an den Wiener Lyriker und Journalisten Rudolf Felmayer im Juli 1946 – »Allerdings zweifle ich sehr am Gelingen meiner Absicht«20 – und noch im Sommer 1948 in einigen Briefen an Hans Weigel vermittelte, ebenso als strategischer Schachzug der angehenden Dichterin verstanden werden, um durch die eigene Herabwürdigung leichter einen Mentor zu gewinnen und zugleich mögliche Erwartungen zu mindern. Ihre an den Tag gelegte Schüchternheit, als sie im Mai 1952 auf der Niendorfer Tagung der Gruppe 47 mit kaum vernehmbarer Stimme ihre Gedichte vorlas, mag als Fortsetzung dieser – erfolgreichen – Selbstinszenierung gesehen werden, zumindest steht sie in starkem Kontrast zu dem souveränen Ton und der selbstsicheren Haltung in ihrer Korrespondenz als Redakteurin des Senders Rot-Weiß-Rot ab 1951 und ihren Briefen an Hans Weigel aus derselben Zeit.

Neben den eigenen Ängsten kommt in den Briefen an Felician auch die metaphernreich geschilderte Hoffnung auf ein Zusammenfinden mit dem Geliebten zum Ausdruck: Die verliebte Frau geht »von einem Licht ins andere« (BF, 34) und »durch den Garten des Paradieses« (ebd., 19) zu ihm. In der Sehnsucht nach einer absoluten Liebe, die ihre Ängste bannen könnte, zeichnet sich bereits ein Motiv ab, das sich nach 1948 in den parallel geführten Briefwechseln Bachmanns mit Hans Weigel und Paul Celan fortsetzen wird, in diesem eher befreit und hoffnungsvoll, in jenem vor allem poetisch und besorgt. Der Elan der Briefe an Felician ist in beiden Briefwechseln anfangs noch zu finden, doch letztlich ging Bachmanns Wunsch auf etwas Bleibendes in keiner der Beziehungen in Erfüllung. Die Hoffnung, dass sich in Wien die Verheißung der Felician-Briefe verwirkliche, wurde wenige Jahre später in der Abschiedsrede der Wassernixe Undine zu Grabe getragen (»Undine geht«, 1961), und auch die Todesarten-Romane (Malina, Der Fall Franza und Requiem für Fanny Goldmann) können als Nachspiel eines Ernüchterungs- und Desillusionierungsprozesses gelesen werden, der in den Briefen an Felician bereits vorgezeichnet war, durch ihre realen Erfahrungen während ihrer Zeit in Wien und danach aber noch beschleunigt und verstärkt wurde.

Wie in den Briefen an Felician angekündigt, verließ Ingeborg Bachmann Innsbruck schon nach kurzer Zeit, und auch in Graz blieb sie nicht lange. Bereits im Sommer 1946 richtete sie den Blick auf die neueröffnete Universität in Wien und begann mit der Planung ihres künftigen Lebens in der Hauptstadt. Knapp eine Woche bevor ihre Erzählung »Die Fähre« erschien, schrieb sie vom großväterlichen Hof in Obervellach, dem Sommerdomizil ihrer Familie, aus den oben erwähnten Vorstellungsbrief an Rudolf Felmayer, der zu dieser Zeit als Referent für Lyrik beim Rundfunkstudio Wien tätig war, und bat ihn, ihr zur Publikation ihrer Texte zu verhelfen: »Da ich in kurzer Zeit nicht mehr in der Lage sein werde, die Mittel für mein Studium aufzubringen, dachte ich an die Möglichkeit der Veröffentlichung literarischer Arbeiten.« Sie hoffte auf die Unterstützung eines Mentors – in Wien wird sie viele finden –, der willens wäre, »mir einen Weg zu zeigen, den ich, auch jung und unbekannt, gehen kann«.21 Auf ihren Brief erhielt sie keine Antwort, erst zwei Jahre später lernte sie Felmayer persönlich kennen.

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3 Aufräumarbeiten nach Kriegsende 1945

Der erfolglose Versuch, von Graz aus Anschluss an den Wiener Literaturbetrieb zu finden, schreckte Ingeborg Bachmann nicht von ihrem Vorhaben ab, und sie kam am 5. Oktober 1946 »voll Ungeduld und Erwartung« (W IV, 301) in der im Wiederaufbau begriffenen Hauptstadt an. Knapp anderthalb Jahre nach Kriegsende war Wien alles andere als die Stadt ihrer Träume. Die psychologischen und materiellen Folgen des Krieges waren allgegenwärtig: Hungers- und Wohnungsnot, Flüchtlingsströme, Schwarzmarkthandel, Schutthalden und Bombentrichter, nur wenige funktionierende Straßenbahnlinien, vermisste Personen, mangelhafte Strom-, Wasser- und Lebensmittelversorgung waren nur einige der Herausforderungen, mit denen die Stadt und ihre Bewohner zu kämpfen hatten. Knapp vier Monate vor Bachmanns Ankunft waren noch immer etwa 100000 Wohnungen, 21 Prozent des Wohnungsbestandes, beschädigt, während 7,5 Prozent aller Gemeindewohnungen völlig zerstört worden waren (RK, 6.6.1946). Die Einwohnerzahl war zwar während der Kriegsjahre im Vergleich zum Stand des Jahres 1938 um ein Viertel gesunken (RK, 7.12.1945), doch sollte sich das bereits im Lauf der ersten Monate nach Kriegsende drastisch ändern. Am 27. September 1945 wurde gemeldet: »Die Stadt Wien betreut offiziell 24000 Flüchtlinge, überwiegend Sudetendeutsche, die in Barackenlagern untergebracht sind. In ganz Österreich befinden sich etwa 500000 Flüchtlinge, 1,5 Millionen Kriegsgefangene und 800000 alliierte Soldaten« (RK, 27.9.1945). Zwar berichtete zwei Tage später die Zeitung Neues Österreich in einem Artikel mit der Schlagzeile »Hunderttausende kehren heim«, dass etwa 1500 verschleppte Ungarn, 44000 Italiener in der US-Zone und 25000 in der Sowjet-Zone sowie 30000 Staatsbürger aus der Tschechoslowakei und Polen auf eine Rückkehr in die Heimat warteten (RK, 29.9.1945), doch rechnete man gleichzeitig mit einem richtigen »Ansturm von Wohnungsuchenden«, wenn die 80000 allein in Bayern und 64000 weiteren in den britischen und US-amerikanischen Besatzungszonen Deutschlands festsitzenden Österreicher heimkehren würden (RK, 7.10.1945).

Zahlreiche Familien von Heimkehrern und Verschollenen, die infolge des Krieges auseinandergerissen worden waren, versuchten, so gut es damals ging, Informationen über den Verbleib vermisster Verwandter zu bekommen. Da in Wien bei Kriegsende nur noch ein paar hundert Telefonverbindungen funktionierten (RK, 11.8.1945), griffen verzweifelte Familien oft zum »wilde[n] Plakatieren«, das im September 1946 von der Stadt Wien als »Verschandelung des Stadtbildes« verboten wurde (RK, 3.9.1946). Als Gegenmaßnahme hatte Radio Wien schon im August 1945 seine »Grußsendung zur Kontaktaufnahme zwischen getrennten Familienmitgliedern« verlängert, die allerdings immer erst zwischen Mitternacht und ein Uhr früh ausgestrahlt wurde (RK, 1.8.1945).

Auch die Stromversorgung war noch immer katastrophal, was zwei Wochen vor Bachmanns Ankunft in Wien zur Stilllegung des Straßenbahnverkehrs und ein paar Monate später, im Januar 1947, zum Verbot aller abendlichen Kino-, Theater- und Konzertveranstaltungen führte. Privathaushalte durften laut Verordnung der Stadt nur zwei Zimmer beleuchten, und das nur mit Lampen in einer Stärke von nicht mehr als 40 Watt (RK, 3.10.1945). Um die städtische Bevölkerung zu einem noch schärferen Sparprogramm anzuhalten, verwiesen halb ermutigende, halb drohende Parolen in den Tageszeitungen darauf, dass der Notstand harte Maßnahmen erforderlich mache: »Überflüssig Strom verschwenden, / Kann, bei Gott, nur schrecklich enden! / Es kommt der Zählermann – und schwabb – / Sperrt er Dir den Zähler ab!« (RK, 9.3.1946)

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4 Provisorische Stromleitung 1946

Auch die Gasversorgung war mangelhaft und nur zeitweise gewährleistet, was zudem eine ernsthafte Lebensgefahr barg. Am 22. Oktober 1946 berichtete das Wiener Rathaus von einer Welle von Vergiftungen:

»Seit Eintritt der kalten Witterung häufen sich die Gasunfälle in erschreckendem Umfange. Für das Entstehen dieser Unfälle ist immer wieder das Offenbleiben von Gashähnen nach dem Gebrauch der Geräte maßgebend. Neuerdings wird von zahlreichen Verbrauchern das Gas entgegen dem bestehenden Verbot […] zur Raumheizung benützt. Dies geschieht in der Weise, dass man die Gasflammen […] entzündet und frei in den Raum brennen lässt! Vielfach wird nun abends bei Eintritt der Sperrzeit darauf vergessen, die Hähne zu schließen. Bei Wiederbeginn der Gaslieferung um 4 Uhr morgens strömt dann unverbrauchtes Gas aus und betäubt die noch Schlafenden.« (RK, 22.10.1946)

Um solche Unfälle mindestens teilweise zu verhindern und den Menschen, die zu Hause keine oder keine ausreichende Heizung hatten, eine Zuflucht vor der Kälte zu bieten, richtete die Stadt im November 1946 45 Wärmestuben ein. In den bitterkalten Wintermonaten des Jahres 1946 waren fast eine halbe Million Menschen auf diesen lebensrettenden Dienst der Gemeinde Wien angewiesen, im folgenden Jahr immer noch mehr als 330000 (RK, 29.3.1947).22

Wegen der herrschenden Hungersnot wurden der freie Handel und Tausch von Lebensmitteln sowie die frühzeitige Ernte durch Nichtbefugte strengstens verboten und hart bestraft. Die unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln, von den alliierten Besatzungsmächten durch Zuteilungskarten reguliert, hielt nach Kriegsende noch jahrelang an. Im September 1945 mussten zum Beispiel zwei Drittel der Wiener Bevölkerung mit etwa 900 Kalorien pro Tag auskommen. Die Kindersterblichkeit von Säuglingen lag im Sommer 1945 bei einer Rate von 350 pro 1000 und war damit siebenmal so hoch wie in Friedenszeiten (RK, 15.11.1945). Im Frühjahr 1946 verbesserte sich die Situation ein wenig: Erwachsene bekamen 1300 Kalorien pro Tag, Schwerarbeiter hingegen 2655 und stillende Mütter 2608, doch das reichte bei weitem nicht, um Erkrankungen infolge von Mangel- und Unterernährung wie die Tuberkuloseepidemie, an der im Herbst 1946 mehr als 30000 Menschen litten, zu verhindern (RK, 9.2.1946). Deshalb bemühten sich private Organisationen und öffentliche Stellen, etwa 20000 Wiener Kinder zur Erholung aufs Land zu schicken (RK, 19.3.1946).

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5 Brotschlange 1946

Die stockende Lebensmittelversorgung führte schließlich zu Protesten in der Bevölkerung – so legten die Wiener Verkehrsbetriebe am 18. Juni 1946 die Arbeit nieder – und trug erheblich zum grassierenden Schleichhandel bei. Allein im Oktober 1945 wurden von der Alliierten Kommandatur in Wien unter anderem mehr als 52 Tonnen Kartoffeln, 4,7 Tonnen Mehl, 2 Tonnen Fleisch und 1,5 Tonnen Weizen beschlagnahmt (RK, 29.11.1945). Die steigende Kriminalität der Notjahre machte auch vor dem aufblühenden kulturellen Leben nicht Halt: Im November 1945 mussten drei Premieren im Burgtheater verschoben werden, weil sämtliche Kostüme gestohlen worden waren (RK, 14.11.1945).

Die verheerenden Folgen des Krieges waren jedoch nicht nur materieller Natur, sondern zeigten sich auch im zerrissenen gesellschaftlichen Gefüge der Stadt. Nach der siebenjährigen NS-Herrschaft sollten auf Wunsch des Alliierten Kontrollrats umgehend »die völlige Trennung Österreichs von Deutschland« und die Entnazifizierung des Landes realisiert werden (RK, 9.7.1945). Letzteres wurde durch die Entdeckung der sogenannten Kartothek »Ostmark« im Braunen Haus in München im Juni 1945 erheblich erleichtert, da dort die Namen aller österreichischen NS-Parteimitglieder und Anwärter darauf vor und nach 1938 verzeichnet waren. Kurz davor, am 30. Mai, hatte das Staatsamt für Inneres die Bürger Wiens zur Mithilfe bei der Erfassung ehemaliger Nationalsozialisten aufgerufen (RK, 30.5.1945).23 Alle Betroffenen mussten sich beim Staatsamt melden und wurden zur Schutträumungsarbeit abgestellt. Durch ein Hakenkreuz-Abzeichen identifiziert, hatten sie im Vergleich zu freiwilligen Helfern mit der doppelten Arbeitszeit zu rechnen. Doch viele meldeten sich krank oder weigerten sich schlicht, den Dienst anzutreten, bis man sie mit Lebensmittelkarten entlohnte. Kurze Zeit später folgte ein weiterer Aufruf an alle Wiener Vermieter, aufgrund der schweren Wohnungsnot ehemalige NS-Parteimitglieder »zum ersten gesetzlichen Termin zu kündigen« und dadurch Zimmer und Wohnungen »für Opfer des Naziterrors« freizumachen (RK, 5.7.1945).

Als Ingeborg Bachmann im Oktober 1946 in Wien ankam – und noch viele Jahre später –, war die nationalsozialistische Ideologie in der politischen Gesinnung vieler Einwohner noch vorhanden. Eine Reihe von Umfragen aus den Jahren 1947 bis 1949, die von der US-Besatzungsmacht durchgeführt wurden, zeichnet davon ein alarmierendes Bild. Auf die Frage: »War der Nationalsozialismus eine schlechte Idee oder eine gute Idee, schlecht ausgeführt?«, wählten von 1000 Wienern, die über einen Zeitraum von fünf Monaten (August bis Dezember 1947) befragt wurden, nicht weniger als 30,4 Prozent (Oktober) und bis zu 51 Prozent (Dezember 1947) letztere Antwort. Vor allem die Altersgruppen der 18- bis 29-Jährigen (68 Prozent) und der 30- bis 39-Jährigen (61 Prozent) sahen im Nationalsozialismus etwas Positives. Der US-Information Services Branch (ISB) – die Propaganda- und Kulturabteilung der US-amerikanischen Besatzung – musste sich angesichts dieser Ergebnisse eingestehen, dass die demokratische Bildungsarbeit bisher kaum Erfolge zeitigte:

»Wenn man annimmt, daß diejenigen, die sagen, daß der Nationalsozialismus eine gute Idee, nur schlecht ausgeführt, war, vom Wert einer demokratischen Orientierung nicht überzeugt sind, dann haben die letzten Jahre keine großen Fortschritte in demokratischer Richtung hin gebracht.«24

Die angestrebte Entnazifizierung stellte nicht zuletzt deshalb eine große Herausforderung dar, weil ein so großer Teil der österreichischen Bevölkerung davon betroffen war – von knapp 700000 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern wurden 540000 nach Kriegsende registriert –, dass der Ausschluss aller sogenannten Kriegsverbrecher, Belasteten und Minderbelasteten von maßgeblichen Rechten nicht realisierbar schien, besonders, da darunter auch viele Fachkräfte waren, die für den Wiederaufbau gebraucht wurden.25 Deshalb wurden in den Folgejahren verschiedene Amnestien für Minderbelastete beschlossen. So hob die Kommission zur Überprüfung von Bühnenkünstlern im amerikanischen Sektor schon am 16. Dezember 1945 endgültig das Auftrittsverbot vieler Künstler im Bereich Theater und Film mit dem Vermerk auf, »dass die Künstlerschaft Österreichs und Deutschlands im allgemeinen nicht aus Kämpfern bestand« und daher im beruflichen Leben keinen Widerstand geleistet hatte. Viele dieser Künstler »vergaßen im täglichen Leben nur zu leicht, dass die eigentliche Aufgabe des Künstlers die Hochhaltung ethischer Grundsätze ist« (RK, 16.12.1945).26

Schon Ende April 1945 konnte im Ronacher als Ausweichbühne für das ausgebombte Burgtheater mit einer Vorstellung von Franz Grillparzers Sappho (1818) der Wiener Theaterbetrieb wieder aufgenommen werden. Daneben boten den Wienern auch Unterhaltungsfilme willkommene Ablenkung von der Misere ihres Alltags. So verzeichnete man ebenfalls im April 1945 etwa 40 neue oder wiedereröffnete Kinos, und bis Ende Juni wuchs die Zahl auf 100 (RK, 27.6.1945), in denen allein im August 36 neue Filme angekündigt wurden, darunter neun von der österreichischen Produktionsgesellschaft Wien-Film, die nach Kriegsende von den Alliierten beschlagnahmt worden war (RK, 3.8.1945). Mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien wurden zwischen Mai 1945 und Juni 1946 über 60 kulturelle Veranstaltungen organisiert und mehr als 173000 Schilling ausgegeben (RK, 11.6.1946). Ein Großteil der Veranstaltungen waren klassische Konzerte (u.a. Beethoven-Feier, Bruckner-Festwoche, Gustav-Mahler-Feier), doch im Sommer 1945 wurde auch eine Ausstellung mit Werken junger Künstler eröffnet, um neue Impulse in der Kunst vorzustellen (RK, 13.7.1945).27

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6 Trümmerfrauen 1946

Die im September 1946 im Künstlerhaus eröffnete große antifaschistische Ausstellung Niemals vergessen, die in den ersten zwei Monaten mehr als 200000 Besucher verzeichnete, blieb von Ingeborg Bachmann, die wenige Wochen später in der Stadt eintraf, sicherlich nicht unbemerkt.28 Die Ausstellung propagierte nach Maßgabe der federführenden Politfunktionäre sowohl Österreichs Rolle als »erstes Opfer« des Dritten Reiches als auch die langjährige Feindschaft zwischen den benachbarten Ländern mit einer Infotafel über »Hohenzollern-Hitler-Deutschland kontra Österreich« (RK, 14.9.1946). Zugleich dokumentierte die im Wiener Rathaus gezeigte Ausstellung Wien baut auf die erfolgreiche Beseitigung der unzähligen Bombentrichter, die ersten offiziell schuttfreien Stadtviertel (Margareten, Hernals, Josefstadt) und den Wiederaufbau Tausender Häuser und Wohnungen innerhalb der Stadt. Mit den schweren Kriegsfolgen befassten sich auch verschiedene andere Aufarbeitungsprojekte, wie die Exhumierung der in den letzten Monaten des Krieges in Stadtparks und Grünflächen hastig begrabenen Toten, die kurz vor Bachmanns Ankunft abgeschlossen wurden.

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7 Volksprater mit zerstörtem Riesenrad 1945

Der Prater, der nach dem Krieg von der Bevölkerung Wiens als Mülldeponie benutzt wurde und noch mit Hunderten von Bombentrichtern, Schützengräben und über 500 Autowracks durchsetzt war (RK, 4.7.1945), konnte im Frühjahr 1947 den Betrieb wieder aufnehmen. Bachmann, die gemeinsam mit ihren Freunden die Attraktionen besuchte,29setzte ihm und seinem Wahrzeichen, dem Riesenrad, in ihrem Gedicht »Große Landschaft bei Wien« (1953) ein Denkmal.

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8 Rothschild-Spital 1947

Als sie im Herbst 1946 in Wien eintraf, herrschte dort aufgrund der Tausenden Displaced Persons (DPs) – Menschen, die infolge des Krieges aus ihrer Heimat verschleppt oder vertrieben worden waren – noch immer eine extreme Wohnungsnot. Der Familie Ingeborg Bachmanns war es jedoch gelungen, noch vor ihrer Ankunft in der Stadt bei einem Vetter des Vaters eine Unterkunft für sie zu organisieren. Die Wohnung befand sich in der Severingasse 15, nicht weit entfernt vom Rothschild-Spital, dem ehemaligen jüdischen Krankenhaus am Währinger Gürtel. Viktor Frankl, der später zu einem engen Vertrauten Ingeborg Bachmanns werden sollte, hatte ab 1940 die neurologische Abteilung des Spitals geleitet, ehe er 1942 nach Theresienstadt, im Oktober 1944 nach Auschwitz und wenig später nach Türkheim, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, deportiert worden war. Nach der Befreiung durch die Alliierten am 27. April 1945 kehrte er nach Wien zurück. Das Rothschild-Spital, das durch Bombenangriffe teilweise beschädigt worden war, wurde nach Kriegsende von der amerikanischen Besatzung notdürftig wieder instand gesetzt und zu einem DP-Durchgangslager für jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa umfunktioniert. Allein im Sommer 1946, unmittelbar vor Bachmanns Ankunft in Wien, wurden 52000 jüdische Flüchtlinge vorübergehend im Lager betreut. Aufgrund der nicht nachlassenden Flüchtlingswellen spitzte sich die Situation immer weiter zu, und obwohl Bachmann nur kurze Zeit in der Severingasse blieb, sind ihr die chaotischen Zustände im und um das überfüllte Gebäude herum – darunter die Explosion eines Sprengkörpers ganz in der Nähe – sicher nicht entgangen.30 Kurze Zeit nach dem Anschlag suchte auch Bachmanns späterer Geliebter Paul Celan vorübergehend im Durchgangslager Unterkunft, nachdem er im Dezember 1947 mit der letzten Flüchtlingswelle aus Rumänien nach Wien gekommen war.31

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9 Baubeginn beim neuen Dachstuhl des Stephansdoms 1948

Ingeborg Bachmann selbst fand schon bald nach ihrer Ankunft durch Vermittlung einer Verwandten der Mutter eine bessere Wohngelegenheit in der Beatrixgasse 26 im 3. Bezirk, den sie im Roman Malina »Ungargassenland« (W IV, 28) nennt. Mit einem nun langfristig gesicherten Wohnplatz – hier blieb sie bis zum Frühjahr 1949 – wandte sie sich ganz dem Studium zu. Obwohl die Universität wie zahlreiche andere Wahrzeichen der Stadt – Stephansdom, Oper und Burgtheater – durch Bombenangriffe im Frühjahr 1945 schwer beschädigt worden war, wurde noch im Mai desselben Jahres der akademische Betrieb wiederaufgenommen.32 Von einem normalen Studienbetrieb konnte jedoch kaum die Rede sein: Das Sommersemester dauerte ganze zwei Monate und endete schon am 14. Juli. Das Hauptgebäude mit seinen vielen Hörsälen und Seminarräumen war noch weitgehend unbrauchbar, und die Inskribenten mussten erst einmal bei der Räumung von Schutt helfen. In den ungeheizten Seminar- und Vorlesungsräumen konnte man über das Wintersemester 1945/46 hinaus noch viele Studierende im feldgrauen Wehrmachtsmantel antreffen. Ein Jahr später hatte sich die Lage kaum verbessert, sodass die Weihnachtsferien bis März verlängert werden mussten. Trotz der unwirtlichen Umstände wuchs die Zahl der Inskribenten von einem Tiefpunkt im Jahr 1943/44 – etwa 3000 – auf über 9000 im ersten, verkürzten Semester 1945, darunter zahlreiche Kriegsheimkehrer. Als Bachmann im Herbstsemester 1946 an die Universität kam, war der Frauenanteil in der Studentenschaft aus naheliegenden Gründen außergewöhnlich hoch. Lag er im Kriegsjahr 1943/44 noch bei 50 Prozent, sank er in den ersten Jahren nach Kriegsende auf etwa 30 Prozent, was in absoluten Zahlen einen beträchtlichen Zuwachs bedeutet, wenn man die Rekordzahl von 12527 Inskribenten im Wintersemester 1946/47 miteinbezieht.

Die Geisteswissenschaften waren von den Entnazifizierungsmaßnahmen besonders betroffen: Von den 53 Professoren, die bis April 1947 ihren Lehrstuhl aufgaben, gehörten 34 der Philosophischen Fakultät an.34 jedoch eine Amnestie für »Minderbelastete«, und etliche vorher entlassene Lehrkräfte wurden wieder eingestellt. So waren im Wintersemester 1945/46 an der Philosophischen Fakultät nur 18,5 Prozent der Professoren aus den Kriegsjahren tätig, während ihr Anteil im Jahr 1949/50 bereits wieder 60 Prozent betrug.

Die Studierenden an der Universität Wien waren von der Entnazifizierung von Anfang an nicht im gleichen Maß betroffen wie die Lehrkräfte. Schon allein aufgrund ihrer großen Anzahl konnten nicht alle Inskribenten einer genauen Prüfung unterzogen werden, und von denjenigen, die vor die Prüfungskommission kamen, wurden nur wenige ausgeschlossen. Im Wintersemester 1946/47 wurden zum Beispiel nur 0,54 Prozent aller als belastet oder minderbelastet eingestuften Inskriptionsbewerber nicht zum Studium zugelassen.36 Obwohl Bachmann nicht zu denjenigen gehörte, die politisch überprüft wurden, kannte sie wahrscheinlich Kommilitonen, die von diesen Maßnahmen betroffen waren.