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Ulrich Hesse-Lichtenberger

Wie Österreich

Weltmeister wurde

111 unglaubliche Fußballgeschichten

VERLAG DIE WERSTATT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

ISBN 978-3-89533-657-7

Inhalt

VORWORT

Wie Österreich Weltmeister wurde

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

DER AUTOR

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Fast alle der in diesem Buch gesammelten Texte wurden für eine Veröffentlichung im Internet geschrieben. Ein großer Teil von ihnen erschien Anfang des Jahrzehnts auf einem inzwischen eingestellten Fußball-Portal, andere waren auf Websites zu lesen, die nach dem Ablauf einer gewissen Frist wieder offline genommen wurden, da sie zeitlich an eine bestimmte Veranstaltung gebunden waren, zum Beispiel an eine Weltmeisterschaft.

Diese Entstehungsgeschichte der Texte erklärt drei Dinge. Zum einen, warum sie nun in dieser geballten Form in Buchform erscheinen: Der Verlag war der Meinung, es wäre schade, dass sie nicht mehr zugänglich sind – und welcher Autor würde einer solchen Einschätzung widersprechen? Einige der Geschichten wurden zwar in den vergangenen sieben Jahren durch Kollegen von mir aufgegriffen und in Büchern oder Magazinen erwähnt, aber wir reden hier von einer Zahl im einstelligen Bereich.

Zweitens erklärt der Ursprung der Texte ihren Inhalt. Etwas Verblüffendes wollten die Betreiber der angesprochenen Homepages haben, Rückblicke der unerwarteten Art, skurrile Geschichten. In jedem Fall etwas, das ein Besucher der Website – und handelte es sich auch um einen kenntnisreichen Fan – wahrscheinlich noch nicht gelesen hatte und was ihn für ein paar Minuten an die Website fesseln würde.

Ein paar Minuten. Das zielt auf das dritte Merkmal der … ja, was sind sie? Anekdoten? Kolumnen? … Texte ab: ihre Kürze. In der digitalen Welt hat offenbar niemand Zeit für etwas, oder zumindest nicht besonders viel Geduld, daher sind die Geschichten kompakt und knapp. Obwohl ich manchmal einen Trick angewendet habe und ein längeres Thema in mehreren Teilen abhandelte. Oder zumindest so etwas plante. Als ich zum Beispiel von dem Spieler hörte, der in den Lauf einer Maschinenpistole blickte, aber den Träger der Waffe dann kaltblütig umspielte, um ein Tor zu schießen, war ich so gefesselt, dass ich mehr über diesen Fußballer wissen wollte. Es stellte sich heraus, dass der Rest seiner Karriere noch bizarrer war als jene Episode. Und daher ist der mit Abstand längste Text in diesem Buch jener, der das mysteriöse Leben von Roni Kalderon behandelt. Er geriet so lang, dass ich ihn am Ende dann doch bei keiner der Internet-Plattformen einreichte; er ruhte bis heute auf der Festplatte meines Computers.

Kalderon ist in diesem Buch übrigens dahingehend in guter Gesellschaft, dass außer auf ihn noch auf drei andere Nationalspieler Schusswaffen gerichtet werden. Einer von ihnen wird entführt, damit er keine Tore mehr erzielen kann; ein anderer täuscht seinen Tod vor; der dritte stirbt wirklich. Was den Leser vermutlich zu der Frage bringt: Wie findet man solche Geschichten?

Man könnte annehmen, dass Zeitungs- oder Agenturmeldungen eine gute Quelle darstellten. Das waren aber eher Ausnahmen, denn erst in den letzten paar Jahren ist der internationale Fußball so interessant geworden, dass man auch über abseitige Dinge informiert wird, die in entlegenen Teilen der Welt passierten. Oder vielleicht auch nicht passierten … Das Problem mit Pressemeldungen ist nämlich oft, dass sie erstens nur aus ein paar Sätzen bestehen, die zweitens nicht immer fundiert sind. So musste ich eine meiner Lieblingsgeschichten fallen lassen, obwohl ich große Hoffnungen in die Meldung der französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse gesetzt hatte, dass eine Filiale von McDonald’s umlackiert wurde, um erboste Fußball-Fans zu beruhigen. AFPs Behauptung, das Gebäude wäre tatsächlich nicht mehr in Gelb und Rot gehalten, ließ sich von mir nicht verifizieren.

Dafür fand ich im Zuge jener Nachforschungen den Hinweis auf eine schottische Stadt, in der Ampeln demoliert wurden, weil sie – wie Ampeln das von Zeit zu Zeit tun – das Grün von Celtic Glasgow anzeigten. Das wiederum ließ sich erhärten. Und auf ganz ähnliche Weise kamen viele andere Geschichten zustande. Während der Recherchen für meine anderen Bücher oder während der Arbeit an Artikeln begegneten mir oft Nebensätze, die etwas erklären sollten – für mich aber neue Fragen aufwarfen. Dass ein spanischer Klub auf seinen Stammtorwart verzichten muss, weil der sich gerade auf den Weltuntergang vorbereitet, kann nur jemand locker überlesen, der nicht neugierig ist.

Schließlich habe ich schon für Publikationen in allen möglichen Ländern geschrieben und stehe deswegen mit Journalisten aus Japan und Israel ebenso in Kontakt wie mit Kollegen aus den USA oder Australien. Unter solchen Umständen erwähnt schon einmal ein Fußball-Freund aus Schweden bei einem Bier die Geschichte von dem Spieler, der den Beginn des UEFA-Cup-Finales verpasst, weil er auf der Toilette eingeschlossen ist. Und sein deutscher Kollege erzählt davon, wie sich der Anstoß eines WM-Finales verzögert, weil keine Fahne der DDR aufzutreiben ist. Dann wird der Abend lang, und an seinem Ende ist der Bierdeckel ebenso vollgekritzelt wie das Notizbuch.

Ach ja, wenn sich der Leser jetzt am Kopf kratzt und denkt „Aber die DDR stand doch nie in einem WM-Finale und war auch nie Gastgeber“, dann ist dieses Buch das richtige für ihn.

P.S.: Der 36. Text des vorliegenden Bandes macht sich auf die Suche nach einem Team, das eine noch schlechtere Saisonbi-lanz aufzuweisen hat als Tasmania Berlins 0,23 Punkte pro Par-tie anno 1965/66. Das mag die Spieler des englischen Erstligisten Derby County auf eine Idee gebracht haben. Als nämlich die Erstauflage dieses Buches offiziell erschien, hatten sie gerade ein Unentschieden gegen Fulham errungen, lagen aber mit 11 Punkten aus 32 Spielen weiterhin mehr als nur abgeschlagen auf dem letzten Platz. In den abschließenden sechs Saisonpartien kassierte Derby dann nicht weniger als 22 Tore und ging jedes-mal als Verlierer vom Rasen. Sollte da wirklich eine Art unter-bewusstes Kalkül im Spiel gewesen sein, dann kam alle Anstren-gung zu spät: 11 Zähler aus 38 Spielen ergeben einen Schnitt von 0,29 pro Begegnung. Auch nach der alten Zwei-Punkte-Regel ist Derby noch zu gut, kommt dann nämlich auf 0,26. Der 2:2-Ausgleich gegen Fulham, zehn Minuten vor dem Ende, kostete County einen prominenteren Platz in diesem Buch als nur eine ans Ende des Vorwortes gepappte Fußnote.

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Seit mehr als 75 Jahren finden Fußball-Weltmeisterschaften statt. Das sind Turniere, bei denen eine festgelegte Anzahl von Nationalmannschaften, die sich in der Regel für diesen Wettbewerb qualifizieren mussten, um den Weltpokal der FIFA streiten. Mal gewinnt dieses Land, mal jenes, aber meistens ist es Brasilien.

Vielleicht fragt sich der Leser jetzt, warum er gleich am Anfang mit solch banalen Informationen belästigt und ihm die Zeit gestohlen wird. Nun, zum Beispiel, weil er unter Umständen wissen möchte, wer der wahre Weltmeister ist – oder zumindest der andere. Doch zuvor will der Autor dem Leser eine Gegenfrage stellen: Ist es nicht ziemlich blödsinnig, den Fußball-Weltmeister durch solche Turniere in einem Abstand von vier Jahren zu ermitteln? Klar ist es das. Oder lässt sich eine der drei folgenden Thesen widerlegen?

These eins: Bei diesen Turnieren besteht die Gefahr, dass die eigentlich beste Mannschaft vorzeitig ausscheidet, weil zum Beispiel eine Lotterie wie das Elfmeterschießen zum Tragen kommt – siehe Holland 1998.

These zwei: Diese Turniere spiegeln möglicherweise gar nicht den aktuellen Leistungsstand wider, weil zum Beispiel ein inzwischen sehr starkes Team Monate zuvor in der Qualifikation gestolpert ist – siehe Holland 2002.

These drei: Da die Sieger dieser Turniere sich volle vier Jahre Weltmeister nennen dürfen, kann es passieren, dass die beste Elf der Welt den Titel nie holt, weil sie nur zwischen zwei WMs groß aufspielt – siehe Holland 1987 bis 1989.

Und das sind nur einige der Kritikpunkte. Dazu kämen noch Details wie der Heimvorteil, der schon so manche drittoder viertbeste Truppe zur besten werden ließ, oder die zuweilen etwas bizarren Modi, unter denen etwa eine Mannschaft Meister der Welt werden kann, die nicht ein einziges ihrer ersten drei Spiele gewinnt (Italien 1982).

So weit, so gut. Nehmen wir einfach mal an, dass der Leser jetzt zwar überzeugt ist, jedoch hartnäckig einwendet, dass es kein besseres Verfahren gäbe, um den Weltmeister zu ermitteln. Nun, zumindest James Allnutt aus Australien würde da vehement widersprechen. Schon vor langer Zeit fragte sich Mister Allnutt, wie die Fußballwelt wohl aussähe, wenn dieser Sport seine Weltmeister so ausspielen würde, wie das etwa im Profi-Boxen der Fall ist oder beim Schach mehr als ein Jahrhundert lang war: Wer den alten Weltmeister schlägt, ist neuer Weltmeister. Ganz einfach. Keine Turniere, keine Qualifikation – und vor allem: keine fragwürdigen Elfmeterschießen. (Wenn sich der Weltmeister und sein Herausforderer unentschieden trennen, verbleibt der Titel eben im Besitz des amtierenden Champions.)

Der einzige Haken an dieser sensationellen Idee war, dass Allnutt sich in der Folge durch anderthalb Jahrhunderte Fußball-Statistiken quälen musste, um den tatsächlichen aktuellen Weltmeister zu finden, weil die FIFA ja auf ihren wertlosen Turnieren beharrt. Allnutt folgerte zunächst, dass der erste Weltmeister logischerweise im ersten Länderspiel überhaupt ausgespielt worden war: England gegen Schottland am 30. November 1872. Leider lautete das Ergebnis 0:0, also sprang Allnutt zur nächsten Partie. Am 8. März 1873 spielten die beiden Länder wieder gegeneinander, und diesmal siegte England 4:2 – und wurde somit erster Weltmeister. Das Team behielt den Titel aber nur zwei Jahre, dann unterlag es Schottland.

Da die frühe Fußballgeschichte eine fast rein britische war, wechselte der Allnutt’sche Weltmeistertitel lange Jahre zwischen diesen beiden Mannschaften hin und her, und auch der erste Eindringling stammte aus Großbritannien: Im März 1903 gewann Irland gegen Schottland und kletterte so auf den Fußball-Thron. Erst 1931 wurde zum ersten Mal eine nicht-britische Mannschaft Weltmeister, auf die wir gleich noch zurückkommen werden. Bis 1950 verblieb der Titel in Europa, dann gewannen die USA mit 1:0 gegen England (übrigens bei der FIFA-WM!) und durften sich immerhin drei Tage lang als Weltmeister einer anderen Definition fühlen.

Manchmal überschneiden sich übrigens Allnutts Weltmeister mit denen der FIFA, so zuletzt bei der WM 1998. Nach diesem Turnier hielt Frankreich beide WM-Titel, den der FIFA und den von James Allnutt. Aber ein Jahr später verloren die Franzosen gegen Russland, das seinerseits zwölf Monate darauf geschlagen wurde – von Israel. Man sieht schon: Allnutts Wertung ist erstens viel demokratischer … und zweitens wahrhaft weltumspannend: In den vergangenen Jahren durften sich zum Beispiel Angola, Georgien und Venezuela Weltmeister nennen. Drittens zeichnet sich Allnutts Liste zudem auch durch etwas aus, was Engländer „poetische Gerechtigkeit“ nennen würden. So gelten nach seiner Wertung einige unbestritten große Teams als Weltmeister, obwohl ihnen die FIFA diesen Titel verwehrt.

Da wäre zum Beispiel die tolle holländische Elf der Johan-Cruyff-Ära. Sie hielt den inoffiziellen WM-Titel von Mai 1973 bis Juli 1974 (bis er wegen eines Spiels in München an Deutschland ging, übrigens auch offiziell). Und da wäre die so genannte „Wunderelf“ der Österreicher. Sie gewann bei der FIFA-WM 1934 in Italien vor allem deshalb nicht, weil sie im Halbfinale (gegen Italien) vom Schiedsrichter benachteiligt wurde. In Allnutts schöner, neuer Fußballwelt hat dieses Drama einen weniger bitteren Beigeschmack, denn nach seinen Regeln hatten die Österreicher sich schon 1931 mit ihrem legendären 5:0-Sieg über Schottland den Titel des Weltmeisters geholt, als erste nicht-britische Mannschaft, und ihn 19 Monate lang verteidigt. Für einen Weltmeister dieser Rechnung ist das eine sehr lange Zeit – denn er kann sich ja auf seinen Lorbeeren niemals ausruhen.

(Der Titel ging übrigens später, 1967, noch einmal für kurze Zeit an Österreich. Die Schweiz war 1982 Weltmeister, nach einem Sieg über Italien. Und Deutschland schließlich saß im Juni 2000 zum bisher letzten Mal auf Allnutts Thron. Der Titel wurde durch ein 3:2 gegen Tschechien errungen, ging aber wegen der 0:1-Niederlage gegen England im Rahmen der offiziellen EM bald wieder verloren.)

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Jene Täuschungsversuche, die man als „Schwalben“ kennt, stellen für alle Fußballfreunde ein Ärgernis dar. Und doch fordern einige Exemplare dieser Spezies fast Bewunderung heraus. Ganz besonders gilt dies für eine von Allan Simonsen aufs Parkett gelegte Darbietung – der einst nicht etwa ein Foul vortäuschte, sondern gleich einen tödlichen Schuss aus dem Hinterhalt!

Simonsens nicht zu Unrecht als „Schauspieleinlage“ bezeichnete Vorstellung hatte in gewisser Weise mit dem größten Erfolg der dänischen Kinogeschichte zu tun, die auch in Deutschland bekannte Spielfilmserie über die „Olsenbande“. Maßgeblich beteiligt am Erfolg der Filme war Tom Hedegaard, der an den frühen Werken als Assistent mitwirkte und später Regie führte. Im Jahre 1977 aber produzierte Hedegaard einen Film unter dem Titel „Skytten“, zu Deutsch „Schütze“, der mit dem Humor der Olsenbande nichts zu tun hat.

Die Hauptfigur von „Skytten“ ist ein militanter Atomkraftgegner, der überzeugt ist, es täte dem Land Dänemark gut, wenn er wahllos ein paar Leute erschießen würde. Eines seiner Opfer ist Allan Simonsen, Star der Nationalelf und zu jener Zeit in Mönchengladbach unter Vertrag. Während eines Länderspiels legt der Heckenschütze vom Dach eines Krankenhauses auf Simonsen an und tötet ihn unter den Augen des Publikums. (Alles innerhalb der Filmhandlung, versteht sich!)

Wie nun sollte Hedegaard das inszenieren? Er konnte ja schlecht ein ganzes Länderspiel nachstellen, und in Gladbach hätte man es wohl auch nicht verstanden, wenn Simon-sen gesagt hätte, er müsse mal eben ein paar Tage nach Dänemark reisen, um ins Gras zu beißen. Also trat Hedegaard mit der Bitte an Simonsen heran, sich doch bei einem regulären Länderspiel tot zu stellen. (Dass er hinzufügte „Du weißt doch, wie man das im Strafraum macht“, ist nur ein ganz gemeines Gerücht.) Simonsen fand an der Idee Gefallen, und als er bei seinem nächsten Auftritt im dänischen Trikot zu einem Kopfball ansetzte, nutzte er die Gelegenheit, um danach zu Boden zu stürzen und einige Sekunden regungslos auf dem Rasen zu verharren. Hedegaard hatte auch den Reporter Svend Gehrs zur Mitarbeit bewegen können, und im Film sieht man, wie Gehrs in seiner Sprecherkabine sitzt und irritiert auf den Rasen blickt, während mehrere ebenso verwirrte Spieler um den wie leblosen Simonsen herumstehen.

Das Pikante an dieser Episode ist, dass Simonsen seine Mutter aller Schwalben nicht etwa in einem Freundschaftsspiel auf den Rasen zauberte, sondern im WM-Qualifikationsspiel zwischen Dänemark und Polen am 1. Mai 1977. Als es einen Eckball für die Dänen gab, wollte Simonsen wohl seinen Filmauftritt schnell hinter sich bringen, lief dem Ball entgegen und flog dann abrupt so theatralisch durch die Luft, als hätte er einen Schlag – oder eben einen Schuss – in den Rücken erhalten. Allerdings war ihm etwas Entscheidendes entgangen. Mit seinem plötzlichen Antritt hatte er nämlich seinen Bewacher so überrascht, dass der ihm gar nicht folgte. Als Simonsen seinen Tod vortäuschte, stand er daher elf Meter vor dem Tor völlig frei und hätte die Flanke erreichen können. Wenn er nicht gestorben wäre. So verloren die Dänen die Partie mit 1:2 und fuhren nicht zur WM. Simonsen bekam weder einen Elfmeter noch den Oscar.

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Der Racing Club Buenos Aires ist einer der großen, legendären Vereine Südamerikas. (Eigentlich heißt er „Racing Club Avellaneda“, nach dem Schlachthofviertel von Buenos Aires, aus dem auch der bitterste Rivale des Racing Clubs kommt – Independiente.) Zwischen 1915 und 1918 gewann der Verein viermal in Folge die argentinische Meisterschaft, zwischen 1949 und 1953 sogar fünfmal. Und 1967 holte er schließlich in Montevideo (Uruguay) auch noch den Weltpokal gegen Celtic Glasgow. Aber genau an diesem glorreichen Tag begann der Niedergang des Racing Clubs. Während seine Fans nämlich den Sieg auf den Straßen von Buenos Aires feierten, brachen Anhänger von Independiente in das Stadion ihres verhassten Nachbarn ein, die berühmte „Academia“, und vergruben insgesamt sieben tote schwarze Katzen, um die Stätte mit einem Fluch zu belegen.

Jahrelang versuchten Offizielle und Fans von Racing Club alles nur Erdenkliche, um die Tierleichen zu lokalisieren. Während sie sich so abmühten, ging es mit dem Verein immer weiter bergab. Nach der 13. (!) Meisterschaft 1966 und dem nachfolgenden Weltpokal quälte sich der Klub durch 35 lange Jahre, ohne etwas zu gewinnen – 1999 stand man sogar vor dem Bankrott. In diesem Jahr fanden sich auch 100.000 Fans in der „Academia“ ein, weil ein Priester einen Exorzismus vornahm, um den Fluch vom Stadion zu nehmen. Das Problem war nämlich, dass der Racing Club im Laufe der Jahrzehnte sechs der toten Katzen gefunden und beseitigt hatte – aber eben nur sechs.

Anfang 2001 wurde Reinaldo Merlo neuer Chef des Klubs, und eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, eine großangelegte Suche nach der siebten Katze zu starten. Und „großangelegt“ bedeutet genau das. Selbst Flächen, die irgendwann nach 1967 betoniert worden waren, wurden aufgerissen, um an das Erdreich darunter zu gelangen. Und an einer dieser Stellen, die früher einmal ein Wassergraben gewesen war, fand man tatsächlich das Skelett der letzten Katze. Der Racing Club wurde noch in derselben Saison Meister.

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Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Engländer kein besonders gutes Verhältnis zum Elfmeterschießen haben. Allein in den neunziger Jahren schied die Nationalmannschaft aus gleich drei großen Turnieren auf diese Weise aus (1990, 1996 und 1998). Man könnte nun glauben, das liege daran, dass wahre Sportsleute Strafstöße per se ablehnen. Als die Regel 1891 eingeführt wurde, gab es in der Tat viele Aktive, die lauthals gegen diese Neuerung protestierten, weil sie auf der ungeheuerlichen und absurden Annahme basierte, ein Spieler würde ein Foul begehen, womöglich gar mit Absicht. Die Torhüter des berühmten Amateurklubs Corinthians lehnten sich noch lange Zeit danach bei Strafstößen gegen ihr Team an einen der Torpfosten, um dem Gegner klarzumachen, dass wahre Gentlemen mit solchen Auswüchsen nichts zu tun haben wollten.

Der wahre Grund, aus dem Engländer aus elf Metern nicht treffen, ist aber wohl in einem Trauma zu finden, das bis heute im kollektiven Unterbewusstsein weiterleben muss. Im Jahre 1899 forderte jemand vier Spieler von Leicester Fosse (heute: City) zu einem Elfmeterschießen heraus, bei dem die Profis keine gute Figur machten. Drei von ihnen verloren sang- und klanglos, der vierte – ein gewisser William Keech – erreichte mit Ach und Krach und mit der Hilfe eines, wie die damaligen Zeitungen schrieben, „Täuschungsmanövers” ein 2:2. Das Peinliche daran war, dass es sich bei dem Gegner der Spieler um einen Zirkuselefanten handelte. William Keech gewann die Revanche ein Jahr später mit 3:2, aber da war die Moral Englands wohl schon gebrochen.

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In der Bundesliga ist der SC Freiburg der Klub, der die meisten Probleme mit Elfmetern hat. In der Saison 1996/1997 verwandelten Spieler des SC nur vier von acht Strafstößen (davon einen erst im Nachschuss). Alle vier vergebenen Elfmeter gingen übrigens auf das Konto von Harry Decheiver; bei drei von ihnen war der Pfosten im Weg. Doch es kam noch übler für die Breisgauer: In der Spielzeit 1999/2000 führten nur drei von sieben Strafstößen zu Toren, und zweimal brauchte man auch hier einen Nachschuss. Am vorletzten Spieltag wurde die Angelegenheit vollends peinlich, als Alexander Iaschwili gar an einem Aushilfskeeper scheiterte: Kaiserslauterns Verteidiger Michael Schjönberg hatte den verletzten Uwe Gospodarek ersetzen müssen, parierte aber den Elfmeter souverän.

Doch die Freiburger mögen sich damit trösten, dass es Vereine gibt, die noch schlechtere Erfahrungen mit Strafstößen gemacht haben. Etwa den FC Portsmouth aus England. In der Saison 1982/83 vergab der Drittligist neun Elfmeter in Folge. (Und stieg trotzdem auf!) Sechs verschiedene Spieler halfen, diese einmalige Serie aufzustellen, die erst – und sinnigerweise – während des Osterfestes riss. Allerdings muss man erwähnen, dass der Verein auch schon einmal auf legendäre Weise von der Nervenschwäche eines Gegners profitiert hatte. Das war im September 1973, damals in der 2. Liga, als Aufsteiger Notts County beim FC Portsmouth antrat. Der Gast bekam einen Elfmeter zugesprochen, den er aber vergab. Der Schiedsrichter hingegen befand, der Torwart von Portsmouth habe sich zu früh bewegt, und ordnete eine Wiederholung an. Doch auch beim zweiten Versuch traf der Schütze nicht ins Netz. Zum Glück hatte der Unparteiische den Strafstoß diesmal noch gar nicht freigegeben, und so bekam Notts County eine dritte Chance. Ein Verteidiger namens Brian Stubbs trat an und den Ball in die Wolken. Danach hatte selbst der Schiedsrichter den Glauben an ein Tor verloren, und das Spiel ging mit einem Abstoß weiter. (All diese glücklichen Fügungen nutzten Portsmouth wenig: Notts County gewann 2:1.)

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Als sich Japans Nationalelf für die WM 1998 in Frankreich qualifizierte, konnte man allenthalben hören, dass das Land darüber sehr erleichtert war, weil es doch äußerst peinlich gewesen wäre, als Co-Gastgeber des Turniers 2002 noch niemals an einer Endrunde teilgenommen zu haben. In der Tat spielten die Japaner 1998 zum ersten Mal überhaupt auf der größten Bühne des Weltfußballs. Was aber kaum jemand weiß (vermutlich nicht einmal in Japan selbst), ist, dass sie es eigentlich schon 1994 hätte schaffen sollen. Ja, müssen. Ja, eigentlich schon geschafft hatten …

In der Qualifikation zu diesem Turnier setzte sich Japan zunächst in der Asien-Vorrunden-Gruppe F gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und drei andere Teams durch. Dadurch gelangte man in eine Endrundengruppe mit Südkorea, Nordkorea, Saudi-Arabien, Irak und Iran. Die ersten beiden dieser Gruppe durften zur WM 1994 in die USA fahren. Am letzten Spieltag sicherte sich Saudi-Arabien mit einem 4:3 über den Iran den ersten Platz. Um den wichtigen zweiten Platz stritten nun noch Südkorea, Japan und Irak. Letztere trafen in Bagdad direkt aufeinander, und als das Spiel mit einem 2:2 endete, waren die Gäste aus Japan guter Dinge: Sie blieben nun in der Tabelle vor dem Irak und konnten von den Südkoreanern nur dann überholt werden, wenn die ihr Spiel mit mindestens 2:0 gewannen. Südkoreas Gegner? Ausgerechnet der politische Feind aus dem kommunistischen Nordkorea!

Um zu verstehen, was nun geschah, muss man zwei Dinge wissen: dass Korea einst eine japanische Kolonie war – und dass Nord- und Südkoreaner sich trotz aller ideologischen Unterschiede zusammengehörig fühlen. Zur Halbzeit stand es zwischen den beiden Teams in einem kampfbetonten Match 0:0. In der Halbzeitpause besprachen die Nordkoreaner nun aber nicht etwa, wie man die gegnerische Abwehr knacken könnte, sondern wie sich die Lage in der Tabelle darstellte. „Wir wussten, dass man uns aus politischen Gründen ohnehin nicht in die USA hätte fahren lassen“, verriet neun Jahre später, nach seiner Flucht aus dem Land, Nordkoreas Trainer Yoon Myung Chan. „Und wir wollten nicht, dass sich Japan qualifiziert.“ Also gab Yoon Myung Chan seinen Akteuren neue Instruktionen für die zweite Halbzeit. Den Nordkoreanern unterliefen plötzlich unerklärliche Fehler, und Südkorea gewann 3:0. (Fast auf den Tag genau acht Monate später traf Südkorea übrigens bei der WM auf Deutschland. Es war das Spiel, in dem Stefan Effenberg seinen Stinkefinger zeigte und deswegen nach Hause geschickt wurde. )

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Der 2003 verstorbene Rudi Brunnenmeier war eine der großen tragischen Figuren der Bundesliga. Der Torjäger von 1860 München gewann 1964 den DFB-Pokal, 1966 die Deutsche Meisterschaft. Er traf gleich in seinem ersten Länderspiel (1964, im wichtigen WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden) und führte in seinem zweiten Deutschland gar als Kapitän aufs Feld. Da war er erst vor kurzem 23 geworden. Vier Jahrzehnte später lebte Rudi Brunnenmeier von Arbeitslosenhilfe, wohnte bei seiner Mutter und verbrachte die Tage in der Caféteria eines Kaufhauses, in der Hoffnung, man werde ihn erkennen und ihm einen Kaffee spendieren. Was ihm nach eigener Aussage „das Genick brach“, war, dass er 1966 Besitzer einer Kneipe namens „Pik Dame“ wurde. Denn Brunnenmeier stand seinen Mann an der Theke ebenso verlässlich wie auf dem Platz und war für seine Trinkfestigkeit berühmt. Die stellte er auch in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1965 wieder einmal unter Beweis. Als er dann aber äußerst alkoholisiert nach Hause torkelte, erwartete ihn eine böse Überraschung in Person des Postboten. Jener händigte ihm nämlich ein Notruf-Telegramm aus. Am selben Abend sollte die deutsche B-Nationalelf in Köln gegen die UdSSR spielen, und wegen einer kurzfristigen Absage eines Spielers hatte man Brunnenmeier nachnominiert! Der Star der Sechziger machte sich also mit brummendem Kopf auf zum Flughafen und bestieg eine Maschine nach Köln. Den Nachmittag verbrachte er im Bett des Mannschaftshotels, um seinen Kater wenigstens ansatzweise auszuschlafen. Als das erledigt war, schoss er zwei Tore zum 3:0 gegen die UdSSR und flog nach München zurück. „So war ich halt“, sagte er später.

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Man hat sich ja inzwischen daran gewöhnt, dass Torhüter auch Geschmack am Toreschießen gefunden haben. Jens Lehmann und Frank Rost trafen schon in der Bundesliga; Paraguays José Luis Chilavert erzielte 1996 mal ein Freistoßtor aus 60 Metern Entfernung, und Mexikos Jorge Campos – der mit den bunten Trikots – spielte während seiner Länderspielkarriere dreimal sogar ganz offiziell im Sturm. (Nachdem jeweils ein Torhüter eingewechselt worden war, damit Campos zum Angreifer werden konnte.) Aber kaum ein Keeper wird je mit Jimmy Glass mithalten können – denn sein Tor fiel nicht nur spät und war nicht nur schön, sondern zudem auch noch äußerst wichtig.

In der Saison 1998/99 war Glass von Swindon Town an Carlisle United in Englands „Third Division“ ausgeliehen worden. (Damals war die „Third Division“ die vierte Liga, weil die erste nun mal Premier League hieß. Heute ist es noch komplizierter.) Aus dieser untersten Profifußball-Klasse steigt jedes Jahr ein Team ab, und wem das passiert, der versinkt im Sumpf des Amateurfußballs, nicht selten auf immer und ewig. Am letzten Spieltag der Saison, dem 8. Mai 1999, traf Carlisle daheim als Tabellenletzter auf Plymouth Argyle. Es war erst das dritte Spiel, das Jimmy Glass im Tor von United bestritt. Sein Team musste unbedingt gewinnen, um nicht abzusteigen – und selbst dann hatte man noch darauf zu hoffen, dass ein anderes Kellerkind, Scarborough, keine drei Punkte holte.

Nach 90 Minuten stand es in Carlisle 1:1. Von der Bank bekamen die Spieler Signale, dass auch Scarboroughs Heimspiel mit diesem Ergebnis enden würde. Noch war also Hoffnung, aber es wollte sich einfach keine Tormöglichkeit für Carlisle ergeben. In der fünften Minute der Nachspielzeit holte die Elf einen Eckball heraus, und der Schiedsrichter deutete an, dass er nach dieser Aktion das Spiel – und damit wohl auch Carlisles Geschichte als Profiklub – beenden würde. Also eilte Jimmy Glass nach vorne. Sein Kollege Graham Anthony brachte den Eckball herein und Scott Dobie köpfte ihn aufs Tor, doch Plymouths Schlussmann James Dungey wehrte den Ball reaktionsschnell ab. Von seinen Fäusten segelte das Leder nun durch die Luft … und direkt auf Jimmy Glass zu. Der nahm nun nicht seine Fäuste zu Hilfe (wie Oliver Kahn es ja mal in Rostock tat), sondern hämmerte den Ball seelenruhig per Volley in die Maschen. „Der Ball fiel in meine Richtung, rumms, Tor, vielen Dank!“, beschrieb Glass das Geschehen später. Trotz seiner Heldentat bekam er keinen Vertrag bei Carlisle, sondern wechselte zu Cambridge. Später arbeitete er bei einer Internet-Firma, heute gehört ihm ein Taxiunternehmen.

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Wer am Sonntag, dem 4. November 2001, zufällig einen Ausflug zum Stadion des englischen Klubs Oxford United unternahm, der wurde Zeuge einer außergewöhnlichen Versammlung. An diesem spielfreien Tag befanden sich auf dem Platz nämlich nicht nur einige Spieler und der Klubvorsitzende Firoz Kassam, sondern auch Uniteds Kaplan, der Reverend Michael Chantry, und sogar der Bischof von Oxford, Richard Harries. Letzterer sprenkelte etwas Weihwasser auf das Feld und sprach ein Gebet. Am nächsten Tag berichteten Zeitungen, es habe sich um einen Exorzismus gehandelt, mit dem der Bischof einen Fluch von dem Gelände nehmen wollte. In Jahre 1996, als Oxford gerade in die „First Division“ aufgestiegen war, kaufte der Klub nämlich Land von einem Bauern, um dort ein neues, 23 Millionen Euro teures Stadion zu bauen. Auf diesem Land lebten nun bis dahin Zigeuner, die dem Bauern bei der Ernte halfen und als Gegenleistung ihre Lager aufschlagen durften. Als sie hörten, dass man sie vertreiben würden, belegten sie das Land mit einem Fluch.

Das ist natürlich nur eine Legende. Allerdings … Allerdings lief bei dem bis dahin erfolgreichen Team von Oxford United nach dem Landkauf alles schief. Der Klub stieg zweimal ab und fand sich zur Eröffnung des neuen Kassam-Stadions in der „Third Division“ wieder. Von den ersten zehn Heimspielen wurden nur zwei gewonnen, und im November 2001 war United nach 13 Niederlagen in 17 Spielen in großer Abstiegsgefahr. Also schritt der Bischof ein.

Aber das, so sagte er, hatte nichts mit Exorzismus zu tun. „Der Bischof hat den Platz nur geseget, das war alles“, meinte der Sprecher seiner Eminenz, Richard Thomas. Doch je länger die Männer der Kirche sich äußerten, je näher kamen sie dem eigentlichen Thema. „Ich denke, man sollte lieber sagen, es ist auf eine positive Art ein Gebet der Segnung gesprochen worden“, erläuterte Kaplan Chantry. „Das drückt die Sache besser aus, als zu sagen, man habe einen Fluch aufgehoben.“ Und der Bischof selbst meinte: „Heutzutage nennen wir es nicht mehr einen Exorzismus, wir nennen es das Wirken auf die Erlösung vom Bösen.“ Also einen Exorzismus.

Eine Woche später holte Oxford daheim ein 2:2 gegen York. Beide Tore Uniteds resultierten aus abgefälschten Schüssen. Dann aber unterlag man gegen das Team aus Darlington, dessen Spieler und Fans nach einer sittenstrengen englischen Sekte „Die Quäker“ genannt werden. (Immerhin stieg Oxford am Ende der Saison nicht ab.)

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Im Sommer 1973 verpflichtete der FC Bayern München den Mittelfeldmann Hans-Josef „Jupp“ Kapellmann vom 1. FC Köln. Der Medizinstudent kostete die Bayern 800.000 Mark – zu jener Zeit absoluter Transferrekord. „Den brauchen wir nicht“, grummelte Paul Breitner, aber da wusste er noch nicht, dass Kapellmann nicht allein kommen würde.

Für jene 800.000 Mark bekam der Klub nämlich auch Mister Pitt, einen kleinen Stoffbären. Kapellman tat kaum einen Schritt ohne Mister Pitt und unterhielt sich in der Kabine und auf Busfahrten sehr oft mit ihm – auf Deutsch und wahlweise auch auf Französisch. Eines Tages entführte ein Spieler der Bayern den Bären und legte ihn vor die Räder des Mannschaftsbusses, so dass das unschuldige Tier beim Anfahren einen grässlichen Tod gestorben wäre. Glücklicherweise entdeckte Kapellmann seinen Freund gerade noch rechtzeitig, warf sich vor den Bus und riss Mister Pitt an sich. Wie Franz Beckenbauer in seiner Autobiographie „Einer wie ich“ schreibt, beschimpfte Jupp dann seine Kollegen als „Barbaren“ und wünschte ihnen, sie mögen alle Durchfall bekommen. Kapellmann ist heute Chefarzt für Orthopädie in einer bayerischen Klinik.

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Der größte Pechvogel im internationalen Profifußball ist vermutlich der Argentinier Martin Palermo. Man findet seinen Namen nur selten ohne den Zusatz „der einzige Spieler, der je drei Elfmeter in einer einzigen Partie verschoss“. Diese bemerkenswerte Leistung ist in der Tat der Anlass dafür, dass man ihn einen Pechvogel nennen muss – aber nicht die Ursache!

Doch zunächst zu den Fakten: Am 4. Juli 1999 verlor die argentinische Nationalelf bei der Copa America mit 0:3 gegen Kolumbien. Nach torlosen fünf Minuten bekam der Favorit einen Elfmeter zugesprochen, den Palermo über die Latte schoss. In der 76. Minute (es stand inzwischen 1:0 für Kolumbien), durfte es der Stürmer ein zweites Mal versuchen, aber auch dieser Schuss verfehlte das Tor. Danach trafen die Kolumbianer noch zweimal, das Spiel war somit bereits entschieden, als Argentinien in der Schlussminute einen dritten Strafstoß bekam. Palermo glaubte vermutlich, er könne sich nun ohne Nervenbelastung rehabilitieren – aber Torhüter Miguel Calero wehrte den Ball ab. (Wann immer diese denkwürdige Partie an Stammtischen diskutiert wird, vergisst man übrigens meistens, dass an jenem Tag insgesamt fünf Elfmeter verhängt wurden, von denen nur einer zum Torerfolg führte: In der 10. Minute traf Kolumbiens Cordoba vom Punkt aus; in der 47. Minute scheiterte sein Kollege Ricard an Argentiniens Torhüter Burgos.)

Palermo hatte an diesen Elfmetern böse zu knabbern. Er wurde 17 Monate lang nicht mehr für die Nationalelf nominiert, und erst als er mit zwei Toren dafür sorgte, dass die Boca Juniors den 2000er Weltpokal gegen Real Madrid holten, begnadigte man ihn. Aber es war ungerecht, Palermo so hart zu bestrafen. Denn zunächst einmal ist sein Vergehen keinesfalls einzigartig. Es haben schon einige Spieler drei Elfmeter oder sogar mehr in 90 Minuten vergeben. Der deutsche Torwart Bernd Trautmann hielt nach eigenen Angaben an Ostern 1950 vier Strafstöße im Spiel seines Klubs Manchester City beim FC Sunderland, die alle der Verteidiger Jack Stelling schoss. (Bei einem handelte es sich um eine Wiederholung.) Und ein Jahr später parierte Trautmann drei Strafstöße von William Eckersley (Blackburn Rovers).

Außerdem war nicht allein Palermo schuld am Ausscheiden der Argentinier aus der Copa America. Es stimmt, dass die Elf durch die Niederlage gegen Kolumbien den Gruppensieg verpasste und deshalb schon im Viertelfinale gegen Brasilien spielen musste. Es wird aber fast nie erwähnt, dass Argentinien in dieser Partie keinesfalls chancenlos war. In der 77. Minute, beim Stand von 2:1 für Brasilien, bekam die Elf nämlich … einen Elfmeter zugesprochen. Palermo – wer will es ihm verdenken? – winkte ab, und so trat Roberto Ayala an. Brasiliens Torhüter Dida hielt diesen vermutlich wichtigsten von all den Strafstößen, die hier erwähnt wurden.

P.S.: Falls noch jemand daran zweifelt, dass Palermo ein ausgemachter Unglücksrabe ist … Ende 2001 schoss er in der Verlängerung das Siegtor für Villareal in einem spanischen Pokalspiel gegen Levante. Nach dem Treffer rannte er zur Fankurve, wo etwa fünfzig Villareal-Anhänger ihm entgegeneilten. Unter ihrem Ansturm stürzte eine Betonmauer ein, fiel auf Palermo und brach ihm den Knöchel. Deshalb verpasste er die WM 2002.

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Im englischen Pokalfinale von 1956 spielte der deutsche Torwart von Manchester City, Bernd Trautmann, die letzten siebzehn Minuten der Partie mit einem gebrochenen Halswirbel. Das dürfte allgemein bekannt sein. Weniger bekannt ist wohl, dass Trautmann erst ein paar Tage nach dem Spiel erfuhr, wie schlimm seine Verletzung wirklich war und dass er in der Zwischenzeit sogar einen Chiropraktiker aufgesucht hatte, der – in der Annahme, es handele sich um eine bloße Verrenkung – an dem Torwart gezerrt und geruckt hatte, bis dieser vor Schmerzen schrie.

Aber Trautmann hält nicht den Rekord, was das Spielen mit einer lebensgefährlichen Wirbelfraktur angeht. Diese zweifelhafte Ehre gebührt Billy Marsden von Sheffield Wednesday, der nicht nur 17, sondern gleich 42 Minuten absolvierte, in deren Verlauf er ständig von Lähmung oder sogar Tod bedroht war!