Adrian Plass

Stress-Familie Robinson

Aus dem Englischen
von Christian Rendel

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Originalausgabe: Stress Family Robinson

© 1995 by Adrian Plass

Aus dem Englischen von Christian Rendel

© 2002 by Brendow Verlag, D-47443 Moers

Einbandgestaltung: Georg Design, Münster

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 978-3-865-06723-4

Dieses Buch ist meinem Sohn David gewidmet, der 1993, als alle sechs Plasses in Queensland, Australien, unterwegs waren, zum ersten Mal den Ausdruck „Stress-Familie Robinson“ gebrauchte. Die langen Fahrten durch die Hitze in der Enge eines relativ kleinen Fahrzeugs mögen durchaus zu Davids kleinem, aber produktivem Ausbruch von Kreativität beigetragen haben.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

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1

Ich möchte Ihnen gern die Familie Robinson vorstellen. Sie gehen in dieselbe Kirche wie ich, und dort habe ich sie auch kennen gelernt. Sie sind zu fünft oder zu siebent, wenn man die beiden Stabschrecken mitzählt, was Felicity Robinson immer tut. Sie werden später noch eine Menge über diese Stabschrecken hören. Übrigens bin ich selbst keine von den Robinsons, aber ich glaube, wenn man sie fragen würde, würde die ganze Familie sagen, dass ich praktisch dazugehöre - auch davon werden Sie einiges hören, bevor wir fertig sind. Würden Sie sich mit Felicity unterhalten, so würde sie vermutlich sagen, ich sei absolut und ganz gewiss eine weitere Robinson; sodass es, nur um Ihre Verwirrung komplett zu machen, entweder fünf, sechs, sieben oder acht Robinsons gibt, je nachdem, wen Sie mitzählen und mit wem Sie gerade reden.

Was mich betrifft, so entscheide ich im Zweifel für die Angeklagte und fange mit mir selbst an, da ich es bin, die diese Geschichte erzählt.

Mein Name ist Elizabeth Reynolds, wenn mich auch niemand mehr Elizabeth genannt hat, seit mir meine Familie den Spitznamen „Dip“ gab. Damals war ich noch ein kleines Mädchen, und der Spitzname hatte Gründe, von denen - ja, erraten - Sie später noch hören werden. Ich bin fünfzig Jahre alt, wenn auch nicht innerlich, und geboren und aufgewachsen bin ich in der Stadt Adelaide in Australien. Heute wohne ich allein in einem kleinen Haus mit Terrasse in Standham, derselben Kleinstadt in Südengland, in der auch die Robinsons leben. Ich habe eine Ausbildung als Krankenschwester und glaube auch, dass ich sehr gut in meinem Beruf bin. Aber seit einigen Jahren arbeite ich nur noch halbtags in unserem örtlichen Krankenhaus, und so werde ich es auch weiterhin machen, solange ich es mir leisten kann. Die Arbeit macht mir Spaß, aber es gibt noch eine Menge anderer Dinge, die mir auch Spaß machen. Von meinen Angehörigen lebt keiner mehr, und die Personen, die ich am meisten liebe, sind Gott und die Robinsons (ich hoffe, in dieser Reihenfolge). Ich fahre einen gelben Mini namens Daffodil, weil ich so einen schon immer haben wollte, und die Dinge, die mir am meisten Spaß machen, sind Lesen, Wandern, Träumen und Zeit mit den Leuten verbringen, die ich am liebsten mag. Obwohl ich eine Menge lache, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, fühle ich mich manchmal sehr einsam und unglücklich. Aber ich bin so eine Art Expertin darin geworden, das zu überspielen - das ist einer meiner größten Fehler. Ich war nie verheiratet und habe darum auch nie Kinder gehabt. Ich wünschte, es wäre anders.

Wenn ich in den Spiegel schaue (was ich zu vermeiden versuche), sehe ich eine ziemlich große, übergewichtige Person, die früher einmal eine recht hübsche Figur hatte, aber es mittlerweile einfach langweilig findet, von Hüttenkäse, Knäckebrot und irgendwelchem gräßlichen, nach Fischmehl schmeckenden Zeug zu leben. Oben auf diesem Körper steckt ein einigermaßen nettes, lächelndes, ziemlich breites Gesicht mit hellblauen Augen, einem vollen Mund und hellem Haar, das ich kurzgeschnitten trage, weil ich einfach die Versuche leid bin, irgendetwas damit anzustellen. Recht gut gefällt mir meine Nase. Meine Nase hat Stil.

Noch etwas - ich liebe es, umarmt zu werden, aber nur von Leuten, die ich mag … und es passiert nicht oft, weil ich nicht so aussehe, als ob ich es nötig hätte.

Der Mann im Robinson-Clan heißt Mike. Er ist Mitte Vierzig, ein ziemlich großer, gut gebauter Bursche mit einem freundlichen, nachsichtigen Ausdruck im Gesicht (bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er wütend wird, nimmt es eine pflaumenähnliche Farbe an) und rötlichgoldenem Haar, das oben schon etwas durchsichtig wird. Seit zwei Jahren ist Mike stellvertretender Leiter einer kleinen Dorfgrundschule zwei oder drei Meilen westlich von Standham. Ich bin eigentlich noch nie in Mikes Schule gewesen, aber so, wie er darüber redet, scheint es dort ausgesprochen ruhig und gut organisiert zuzugehen. Ich bin sicher, dass alle Leute dort, Lehrer wie Kinder, in jedem Moment des Tages genau wissen, wo sie gerade sein und was sie gerade machen sollten. Mikes Frau Kathy hat mir erzählt, dass die Schule ihres Mannes ein Ort ist, wo Ungezogenheiten kaum vorkommen. Mikes disziplinarische Methoden, sagt sie, bestehen entweder aus einem strengen Blick, der in dieser Umgebung den jugendlichen Übeltäter zu einem zitternden Häuflein Elend werden lässt, oder einer ganz leichten Hebung der Stimme, die ihm oder ihr vermutlich den Rest gibt.

Eine der großen Frustrationen in Mikes Leben ist es, dass die disziplinierte Atmosphäre seines Arbeitsplatzes sich bei ihm zu Hause nicht reproduzieren lässt. Hin und wieder erklärt er dem gestaltlosen Wesen, das der Robinsonsche Haushalt ist, den Krieg: Er stellt Listen und komplizierte Pläne auf, um so etwas wie Effizienz, glatten Ablauf und Zivilisiertheit in das tägliche Leben zu bringen. Ungefähr einmal im Monat erregt er Kathys Zorn, indem er vorschlägt, dass gewisse große Organisationsprobleme (damit meint er die Hausarbeit) sich lösen ließen, wenn sie eine Art System in ihr Vorgehen brächte. Diese gelegentlichen hektischen Versuche, mit Schaufel und Besen gegen die Unordnung des Lebens vorzugehen, werden vom Rest der Familie weitgehend ignoriert. Jeder weiß genau, dass Mikes Listen und Pläne innerhalb von achtundvierzig Stunden zu Makulatur werden, wenn man ihn nicht ermutigt.

Mit Mikes Christentum steht es eigentlich ganz ähnlich. Am liebsten hätte er alles hübsch ordentlich und leicht zu handhaben, aber er akzeptiert - er muss als Kathys Mann und Vater von drei sehr unterschiedlichen Kindern akzeptieren -, dass das Leben einfach nicht so ist. Ich möchte keine falschen Vorstellungen erwecken. Jesus geht Mike über alles. Er möchte seine Sache richtig machen, und er möchte gut sein, aber hin und wieder gewinnt nun einmal seine pedantische Seite die Oberhand. Vor allem ist er ein ungemein netter Mensch, der seine Familie innig liebt und dem andere Menschen wirklich wichtig sind. Ich liebe ihn für die Freundlichkeit und Wärme, die er mir erwiesen hat.

Er gehört ganz gewiss zu den Leuten, von denen ich mich gerne umarmen lasse.

Kathy Robinson arbeitete als Journalistin, bevor ihr jüngstes Kind vor sechs Jahren geboren wurde. Abgesehen davon, dass sie beide gern reisen (und das Glück haben, es sich recht häufig leisten zu können, weil sie von Kathys Eltern Geld geerbt haben), ist sie in so ziemlich jeder erdenklichen Hinsicht ganz anders als ihr Mann. Damit meine ich nicht, dass die Bindung zwischen ihnen nicht stark wäre. Sie ist stark, aber das hat sie auch dringend nötig, um zwei solche Gegensätze aneinanderzuketten. Er ist hell, und sie ist dunkel; er ist im Allgemeinen von sehr ausgeglichenem Temperament, während sie wild zwischen Optimismus oder Albernheit und Elend und Verzweiflung hin- und herpendelt; er hat es gerne, wenn alles gut organisiert und richtig geplant ist, sie handelt aus Instinkt und Inspiration, was natürlich zu großen Erfolgen und spektakulären Misserfolgen führt.

Mike ist im Wesentlichen eine unkomplizierte Person, während Kathys Persönlichkeit voller Haken und Ösen und Probleme ist, was vermutlich an ihrer unterschiedlichen Herkunft liegt. Kathys Seelenfrieden wird, wie Sie entdecken werden, ständig von dem Trauma ihrer Kindheit sabotiert, ganz im Gegensatz zu Mike, der den Leuten immer erzählt, er sei in einer Atmosphäre „stiller Zustimmung“ aufgewachsen. Nach Kathys Ansicht war die Zustimmung freilich nicht ganz so still. Sie erzählte mir einmal, wie sie im Anfangsstadium ihrer Beziehung über Weihnachten in Mikes Elternhaus zu Besuch war. Mike erbot sich, ein paar Luftballons aufzublasen, und war mit dem ersten zur Hälfte fertig, als seine Mutter, die ihren Sohn mit liebevoller Bewunderung beobachtet hatte, flüsterte: „Meine Güte, hat der Junge Luft!“

Meine Freundin ist oft sehr lustig und sehr angenehm, wenn alles in Ordnung ist, und eine unerschütterliche Verbündete, wenn Probleme kommen; aber sie ist auch ein wildes Kind, dem das Missgeschick unterlaufen ist, eine Erwachsene zu sein. Sie liebt ihre Familie und wird von ihr oft in maßlose Raserei getrieben, insbesondere von Mark. Der steckte zu der von mir beschriebenen Zeit so unverrückbar im Zentrum seines eigenen Universums, dass er wiederholt die schlimmsten Gefühle der Unzulänglichkeit wachrief, die Kathy seit ihrer ersten Mutterschaft geplagt haben.

Kathy muss Gott im Lauf der Jahre ganz schön zu schaffen gemacht haben, aber ich bin sicher, dass er ganz verrückt nach ihr ist.

Schließlich liebt sie Bristol Cream Sherry - genau wie ich.

Jack - ja, sein Name ist wirklich Jack Robinson! - ist Mikes und Kathys ältester Sohn, und ich habe schon immer meine helle Freude an ihm gehabt. Sie lernen ihn mit neunzehn Jahren kennen, gegen Ende eines freien Jahres zwischen Schule und Universität, in dem er gerade genug bezahlte Arbeit angenommen hat, um übermäßigen Nervereien seiner Eltern aus dem Weg zu gehen. Jack ist groß, langhaarig und hager, in der äußeren Erscheinung seinem Vater sehr ähnlich. Seine sorglose Zufriedenheit (und seine Verschwendung von Milch - lesen Sie weiter!) bringen Kathy manchmal zur Weißglut, aber er ist auch warmherzig und liebevoll, sodass sie nie lange wütend auf ihn bleibt. Jack befindet sich in jener Lebensphase, in der Weisheit und Naivität sich ständig gegenseitig zu verdrängen suchen. Verblüffende Einsichten und Intelligenz paaren sich mit schierer Dummheit, besonders wenn es um Mark geht, mit dem er sich in einem buchstäblich unaufhörlichen Konflikt befindet. Jacks etwas unzugängliche Musik ist vermutlich das Wichtigste in seinem Leben, jedoch dicht gefolgt von seiner kleinen Schwester Felicity, und ich bin sicher, die Musik würde augenblicklich verstummen, wenn er sich aus irgendeinem bizarren Grund zwischen beiden entscheiden müsste. Das ist alles, was ich fürs Erste über Jack sagen werde.

Mark Robinson ist vierzehn. Jene Ratgeberbücher für Eltern, die dieses Alter als eines bezeichnen, in dem mit Schwierigkeiten zu rechnen ist, hätten Mark in Schmollstimmung fotografieren sollen. So hätten sie das Bild benutzen können, um ihre Aussage zu illustrieren. Er hat dunkle Haare, ist nicht besonders groß für sein Alter, ziemlich breit gebaut und seiner Mutter so ähnlich wie Jack seinem Vater. Eigentlich ist er ein sehr nett aussehender Junge, aber seine Aura finsterer Anspannung, besonders in Gesellschaft Erwachsener, verdeckt diese Tatsache häufig. Auch sein bester Freund könnte nicht leugnen, dass Mark manchmal geradezu atemberaubend grob und dickfellig ist. Ich vermute, das liegt hauptsächlich daran, dass er wie viele Leute in seinem Alter in der vagen Vorstellung lebt, der Rest der Welt (sofern er ihn überhaupt bemerkt) sei nur als Statistentruppe da, um die Szenen mit M. Robinson als Star im Mittelpunkt auszustaffieren. Kathy findet ihn „wirklich sehr schwierig“, und das ist noch milde ausgedrückt.

Den größten Teil seiner Freizeit verbringt Mark mit seinen Freunden, einer schattenhaften Gruppe Gleichaltriger, die wie eine Art jugendlicher Verschwörertrupp spätabends von einem schaufensterbeleuchteten Treffpunkt zum anderen durch unsere Stadt zu streifen scheinen. Ich glaube nicht, dass sie je etwas ausgesprochen Böses anstellen, aber es sieht immer so aus, als führten sie etwas im Schilde. Mark schaut sich manche Sportarten gern im Fernsehen an, aber für eine eigene Teilnahme interessiert er sich nicht sonderlich, sodass seine Energie und sein Interesse (abgesehen vom Drachensteigenlassen) größtenteils von seinen Freunden in Beschlag genommen werden, obwohl auch er sehr an Felicity hängt und eine eigentümlich ruhige Beziehung zu seinem Vater hat.

Ich bin ganz sicher, dass Mark später in der Lage sein wird, viel mehr von der Empfindsamkeit zu zeigen, die jetzt schon hinter all den finsteren Blicken und der schlechten Laune vorhanden ist. Er und ich sind gute Freunde - solange ich mich an die „Spielregeln“ halte -, und ich hoffe, ich werde ihn noch kennen, wenn er älter ist. Er wird einmal ein großartiger Bursche.

Zum Schluss (sofern wir die Stabschrecken nicht mitrechnen, was ich in diesem Abschnitt nicht tun werde) kommt Felicity.

Felicity Robinson ist sechs Jahre alt und hat hellblonde Haare und glänzende Augen; sie steckt voller Energie und hat zweifellos von der gesunden Vernachlässigung profitiert, die ihren Brüdern vorenthalten blieb. Als einer der fröhlichsten Menschen, denen ich je begegnet bin, verbreitet sie ihrerseits große Fröhlichkeit unter denen, mit denen sie zusammenlebt, so auch bei mir. Irgendwie scheint das Beste von Mike und Kathy in dieses kleine Mädchen geflossen zu sein, und wenn Sie jetzt denken, ich übertreibe - nun, dann ist mir das egal. Manchmal ist sie ein bisschen frech, und ich rechne damit, dass es im Lauf der Jahre auch Probleme geben wird, aber in der Zwischenzeit - ist Felicity wunderbar. Dass ich diese kleinste Robinson kenne, gibt mir mehr das Gefühl, ein eigenes Kind zu haben, als ich je für möglich gehalten hätte. Und ich danke Gott für sie.

Da haben Sie's also - das sind die Robinsons, und die folgenden Seiten handeln von ihnen und von der turbulenten Art, wie sie ihr Leben führen. Auch von mir steht eine ganze Menge darin, denn schließlich bin ich berechtigt, R.H.C.I.A. hinter meinen Namen zu setzen. Was R.H.C.I.A. bedeutet? Das werde ich Ihnen nicht verraten - lesen Sie weiter, und Sie werden es herausfinden.

2

Das Verheiratetsein hat manches an sich, das mir wirklich reizvoll erscheint, aber es gibt auch manche Dinge, die mich vermutlich völlig auf die Palme bringen würden. Nehmen Sie zum Beispiel diese immer gleichen Streitereien, in die Ehemänner und Ehefrauen immer wieder aufs Neue geraten, ohne je zu merken, dass ihre Wortgefechte mit der Zeit mehr oder weniger bis ins i-Tüpfelchen vorgeschrieben sind. Die Robinsons sind in dieser Hinsicht außergewöhnlich. Ich komme nicht aus dem Staunen heraus, wie sie in jede Meinungsverschiedenheit einsteigen, als sei sie eine völlig neue Erfahrung. Vermutlich ist das ein sehr liebenswerter Zug an ihnen, aber im Allgemeinen ist es eine schreckliche Zeitverschwendung.

Ein gutes Beispiel ist die große Packdebatte. Seit ich sie kenne, haben sie diesen regelmäßig stattfindenden Streit nie um mehr als ein oder zwei Worte variiert, und er endet stets auf genau dieselbe Weise. Ich habe beide sehr lieb, aber beim Streiten zeigen Mike und Kathy ein erschreckend leicht voraussagbares Verhalten.

Zum ersten Mal erlebte ich dieses besondere Stück unbewusst eingeübten Rollenspiels an einem Samstag, als die Familie vorhatte, in einen langen Urlaub über die Osterzeit zu verschwinden. Da ich wusste, dass das Packen für Amerika immer wieder hinausgeschoben worden war und nun unvorstellbarerweise noch irgendwie vor dem Mittagessen eingeschoben werden musste, erbot ich mich, nach dem Frühstück vorbeizukommen und zu sehen, ob ich helfen könnte. Als ich gegen neun an der hohen, schmalen, viktorianischen Doppelhaushälfte der Robinsons eintraf, sah ich die sechsjährige Felicity, die, hübsch von der Frühlingssonne beschienen, auf einer Ziegelsteinsäule am Gartentor saß und zu einem unsichtbaren Kreis von Bewunderern sprach.

„Ihr seid alle meine besten Freunde“, sagte sie lächelnd, als ich aus Daffodil stieg und die Tür hinter mir verschloss, „und ich liebe jeden von euch genau gleich viel. Ihr seid alle zu meiner nächsten Geburtstagsfeier eingeladen, wo wir reiten, schwimmen, sackhüpfen, kegeln und Pizza essen werden.“

„Darf ich auch kommen?“, fragte ich.

„Nein, Dip“, sagte Felicity, „du darfst zu meiner echten Feier kommen, wo Daddy Tricks vorführt, die nicht funktionieren, und Mami sauer wird, weil die Leute nicht richtig bei den Spielen mitmachen - und einen guten Tee gibt es auch“, fügte sie in dem Bestreben, absolut fair zu sein, hinzu.

„Sind Mami und Daddy schon auf?“

„Sie sitzen in der Küche und trinken Kaffee und seufzen und machen Listen. Jack hat sich den Kopfhörer aufgesetzt und ist wieder nach oben gegangen, weil Mami gesagt hat, dass sein Zimmer aussieht, als ob da etwas Trauriges und Schreckliches passiert sei.“

„Ach du meine Güte! Und Mark?“

„Mark ist stinkig geworden, weil er meint, ihm hätte niemand gesagt, dass wir heute nach Amerika fahren, und er sei mit seinen Freunden verabredet. Mami sagte, nur ein stocktauber Schwachsinniger hätte nicht wissen können, dass wir verreisen, und wenn Mark sich für seine Familie ebenso interessieren würde wie für seine dämlichen Freunde, dann hätte er vielleicht mehr Ahnung, was dort vor sich geht. Dann sagte Mark, das nächste Mal, wenn langweilige Gäste zu Besuch kommen, würde er sich nicht die Mühe machen, höflich zu ihnen zu sein, und stampfte mit nach außen gestellten Füßen davon wie eine beleidigte Ente. Und Mami sagte, sie hätte nie für möglich gehalten, dass der Hinterkopf von jemandem einen so zur Weißglut bringen könnte.“ Felicity seufzte. „Ehrlich gesagt, der Morgen lief nicht besonders gut.“

„Klingt auch nicht sehr gut“, stimmte ich zu, „aber ich bin sicher, es wird besser werden. Es ist immer schwierig, wenn man verreist. Ich bin gekommen, um ein bisschen zu helfen.“

„Da wirst du warten müssen, bis sie mit ihrem Packstreit fertig sind“, sagte Felicity ernst, „vorher wird hier nichts passieren. Später haben wir eine geheime Überraschung für dich“, fügte sie geheimnisvoll hinzu.

„Ooooh, na ja, darauf freue ich mich, ich liebe Überraschungen!“

Ich traf Mike und Kathy, über Kaffeebechern und Zetteln am Küchentisch kauernd, an. Sie sahen abgehärmt und niedergeschlagen aus, gar nicht wie Leute, die in ein paar Stunden mit der Familie in Urlaub nach Amerika fliegen wollten. Die Küche sah aus, als hätte sie am Vorabend zu viel getrunken und wäre voller Reue darüber aufgewacht.

„Hallo, Dip“, sagte Mike und stand auf. „Ich fürchte, mit uns ist heute Morgen nicht allzu viel los - wir sind noch nicht richtig in Gang gekommen. Setz dich, ich mache dir einen Kaffee. Ein Stück Zucker zurzeit, nicht wahr? Wir waren gerade dabei, eine Liste aufzustellen, was wir noch erledigen müssen, und dann …“

„Und dann“, unterbrach Kathy, die sich die dunklen Haare raufte, „packen wir unsere Sachen für drei Wochen, die wir schon vor einer Woche hätten packen sollen, kratzen das Fett von diesem Höllenloch …“

„Wir haben über dieser Küche gebetet, als wir einzogen, Kath“, unterbrach Mike sanft, während er mir einen Kaffee von typisch Robinsonscher Finsternis vorsetzte. „Ich finde es nicht richtig, sie ein Höllenloch zu nennen. Was meinst du, Dip?“

„Ich glaube nicht, dass …“

„Und dann“, fuhr Kathy fort, „werden wir eine lange theologische Diskussion darüber führen, wie wir vermeiden können, die Gefühle dieser geheiligten Küche zu verletzen, gefolgt von einem schwächlichen Versuch, unsere zerrüttete häusliche Situation zu verbessern. Danach werden wir das Haus sauber machen - das dürfte nur ungefähr vier Stunden dauern; dann werden wir alles erledigen, was wir zweifellos vergessen haben, und dann, vorausgesetzt, unsere lieben Söhne sind so großzügig, uns zu begleiten, werden wir mit der Absicht aufbrechen, zum Flughafen zu fahren. Doch innerlich werden wir genau wissen, dass wir in Wirklichkeit einem vorausbestimmten Ort mitten in der Pampa zusteuern, meilenweit von der nächsten Werkstatt entfernt, wo unser armseliges Vehikel liegen bleiben und den Geist aufgeben wird. Und damit ist“, schloss Kathy, ließ ihre Haare los und ließ die Fäuste mit einem dumpfen Schlag auf die Tischplatte niederfallen, „abgesehen von meiner Absicht, der tauben, schwachsinnigen Ente, falls und wenn sie zurückkommt, ernsthafte Verletzungen zuzufügen, unsere Reiseroute für heute beendet.“

„Kathy fällt es immer ein bisschen schwer, abzureisen“, sagte Mike ziemlich überflüssigerweise. „Du hast ja noch gar nichts von deinem Kaffee getrunken, Dip. Ist er in Ordnung?“

Ich zuckte nichts sagend die Achseln. „Er ist, äh … . er ist immer noch ein winziges bisschen zu stark für mich, Mike. Gut, aber etwas stark. Schaut mal, darf ich euch vielleicht helfen?“

Ich legte meine Hand auf Kathys Arm. „Ich würde wirklich gern hier bleiben, wenn ihr weg seid, und mich um die Küche und den Rest des Hauses kümmern. Ich bin gern in Häusern anderer Leute - ehrlich.“

Kathy gab ein erschöpftes, leises Wimmern von sich, während in ihr Hoffnung und Höflichkeit miteinander rangen. „Oh Dip, du brauchst nicht …“

„Abgesehen von allem anderen“, fuhr ich überzeugend fort, „gibt mir das die Chance, all eure privaten Papiere zu durchsuchen und meine Nase in Dinge zu stecken, die mich nichts angehen. Bitte bringt mich nicht um diese Gelegenheit. Die Leute in der Gemeinde würden zu gern mal ein paar blamable Geschichten über euch hören - ganz im Vertrauen und nur fürs Gebet, versteht sich.“

Kathys Stimmungswechsel haben mich schon immer an das Wetter in Melbourne erinnert, wo ich während meiner Ausbildung lebte. Plötzlich kam die Sonne zum Vorschein, als sie den Kopf zurückwarf und lauthals lachte. „Abgemacht! Aber sieh zu, dass du Mikes Pornoheftchen wieder dahin zurücklegst, wo du sie gefunden hast, ja?“

„Kath!“ Mike war fast beleidigt. „Ich nehme solche Zeitschriften niemals in die Hand - ich würde nicht im Traum daran denken, so etwas im Haus zu haben. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auch nur einen Blick - na ja, ich glaube, wenn ich ganz ehrlich sein soll, als ich jung war …“ Mikes frische Gesichtshaut nahm eine kräftige, tiefrote Farbe an. „Vielleicht habe ich mir gelegentlich - nun ja … ein Bild angeschaut, das ein Freund bei sich hatte oder so, aber ganz bestimmt nicht mehr … jetzt. Ganz bestimmt nicht.“

„Du brauchst hier nicht das Riesenradieschen zu spielen, Mike. Dip weiß, dass ich nur Spaß gemacht habe, stimmt's, Dip?“

„Schon“, antwortete ich, „aber mir kam gerade der Gedanke, dass ich selber jede Menge Pornografie habe.“

Sie starrten mich überrascht an. „Wirklich?“, fragte Mike ganz erstaunt.

„Klar - hier oben.“ Ich tippte mir an den Kopf. „Da drin ist ein ganzer Haufen davon. Es werden nicht alle Schalter auf, Aus‘ gestellt, nur weil man die Fünfzig überschritten hat, wisst ihr. Manchmal ist es richtig lästig. Ach was, wie auch immer - der Punkt ist, ich darf hier bleiben und für euch aufräumen, ja? Dadurch habt ihr genügend Zeit, zu packen und alles andere zu erledigen, was notwendig ist.“

Mike hatte offensichtlich immer noch Schwierigkeiten mit dem Gedanken, dass allein stehende Damen mittleren Alters mit pornografischen Fantasien zu kämpfen haben könnten, aber sein Gesicht hatte schon fast wieder seine normale Farbe angenommen. „Also, wenn du dir sicher bist, Dip …“

„Ganz sicher.“

„Sie ist sich sicher“, sagte Kathy und stand entschlossen auf. „Fangen wir an zu packen.“

Auch Mike kam auf die Beine, doch als sie sich am Tisch gegenüberstanden, spürte ich, dass eine neue Spannung aufgetaucht war. Konnte es sein, dass der eigentliche Packstreit, von dem Kathy gesprochen hatte, nun bevorstand?

Genauso war es. Mike führte den Eröffnungsschlag.

„Liebling, lass uns diesmal wirklich systematisch vorgehen. Wir haben insgesamt fünf große Koffer, das ist doch richtig, nicht wahr?“

Kathys Unterkiefer bewegte sich einen Moment lang lautlos. Ihre Finger trommelten leise auf der Tischkante herum. „Was stimmte denn nicht damit, wie wir es das letzte Mal gemacht haben?“

Mike zog sich in Richtung Fenster zurück, eine Hand erhoben, als wollte er schon die volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während er sich noch seine Argumente zurechtlegte. Ich weiß nicht, ob Ihnen schon einmal Leute wie Mike begegnet sind. Wenn ja, dann wissen Sie, dass sie zwar im Allgemeinen sanftmütig und nicht auf Konfrontationen aus sind, aber bei ganz banalen Dingen plötzlich wie besessen reagieren können. Schon jetzt, ganz zu Anfang der ausbrechenden Debatte, zitterte Mike vor mühsam beherrschter Leidenschaft.

Seltsam, aber wahr.

„Nun komm schon“, sagte Kathy gereizt, „sag mir, was falsch daran war, wie wir gepackt haben, als wir nach Frankreich gefahren sind.“

Mike drehte sich zu seiner Frau um und klammerte sich mit beiden Händen hinter dem Rücken an die Kante des Spülbeckens, als hätte er Angst, wenn er losließe, könnte er, von seiner Leidenschaft aufgeblasen, langsam zur Decke aufsteigen und dort hängen bleiben wie ein Heliumballon.

„Nicht viel - nur, dass ich nicht mitmachen kann, wenn du es organisierst. Am Ende sitzen wir in einem Meer von Kleidern und Schuhen und Büchern und diesem und jenem, das die Koffer irgendwo unter sich begräbt, und ich wate mit einer kleinen Tischdecke in der Hand hindurch und frage mich, wie sie wohl in deinen Generalstabsplan passt.“

Mike geriet jetzt richtig in Bewegung, wippte in rasantem Rhythmus auf den Füßen auf und ab und klang wie jemand, der vor einer gefürchteten, unausweichlichen emotionalen Krise steht.

„Ich weiß nicht, wo irgendetwas ist!“, fuhr er wild fort. „Ich weiß nicht, wo irgendetwas hinkommt - ich weiß nicht, was vor sich geht, und ich …“

Kathy beendete den Satz ihres Mannes mit beißendem Spott. „Und du fängst an, den Kopf zu schütteln und durch die Zähne zu zischen und davon zu reden, dass es dir wegen deiner übermäßig geordneten Kindheit sehr schwer fällt, mit Chaos fertig zu werden.“

Während der kurzen Stille, die darauf folgte, sackte Kathy zurück auf ihren Stuhl, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn erschöpft auf die Hände.

„Das tue ich nicht“, sagte Mike mit empört aufgerissenen Augen.

Kathy sah ihn nicht einmal an. „Du tust es ja beinahe jetzt schon, dabei haben wir noch nicht einmal angefangen.“

Mike drehte sich mit vermeintlich heldenhafter Selbstbeherrschung steif um und starrte zum Fenster hinaus. „Sieh mal, ich sage ja nur, dass wir es mal auf meine Art versuchen und sehen könnten, wie wir damit klarkommen - wir könnten es doch nur einmal versuchen, meine Güte. Mehr sage ich ja gar nicht.“

„Und worin genau besteht deine Art?“

Erfreut über die Gelegenheit, es ihr zu erklären, fuhr Mike herum und begann, in der Küche auf und ab zu marschieren und zu Kathy zu sprechen, als wäre sie eine Schulklasse voller ABC-Schützen.

„Also, wir bringen alle fünf Koffer hinaus in den Garten, ja? Und …“

„Und … legen sie hübsch ordentlich in einer Reihe hin …“ Kath schien schon zu wissen, was jetzt kommen würde.

„Wir legen sie mit offenen Deckeln in einer Reihe hin, nummerieren sie von eins bis fünf und einigen uns darauf, welche Art von Gepäck in jeden davon kommt; dann holen wir die Sachen Stück für Stück aus dem Haus und füllen damit die Koffer, bis nichts mehr im Haus ist, das in die Koffer gehört.

Abgesehen von allem anderen würde es so viel mehr Spaß machen. Du sagst zu mir:, Hier ist ein Hemd, Mike, das kommt in Nummer drei‘, und ich gehe hinaus und lege es in Nummer drei. Dann sagst du vielleicht:, Hier ist ein Paar Schuhe, Mike, die kommen in Nummer fünf‘, also lege ich sie in Nummer fünf und komme zurück, um das Nächste zu holen, und so weiter. Dann könnten wir uns abwechseln, und ich würde sagen:, Hier ist eine Bluse, Kath, die kommt in Nummer vier‘, und du gehst hinaus und legst sie in Nummer vier; dann kommst du zurück und holst die nächste Sache und so weiter.“

Kathy stöhnte, als hätte sie Schmerzen.

„Dann, wenn alles drinnen ist, machen wir die Koffer zu, und das war's. Die Packerei ist erledigt, alles ist fertig, und wir müssten uns nicht durch Wälder von Mänteln und Unterwäsche kämpfen, um auch nur den Fußboden zu finden.“

Ermutigt durch die, wie er offensichtlich meinte, überwältigende Durchschlagskraft seiner eigenen logischen Beweisführung, stellte Mike sein Auf- und Abmarschieren ein, setzte sich wieder Kathy gegenüber und appellierte an sie, sich nicht der Vernunft zu verschließen.

„Findest du das nicht auch vernünftig, Kath? Wie könnte es nicht vernünftig sein? Wie in aller Welt? Komm schon - sag mir, was daran unvernünftig sein könnte. Es liegt doch so nahe. Das siehst du doch bestimmt ein, nicht wahr?“

Kathy verschränkte ihre Arme, lehnte sich auf dem Stuhl zurück, sah in die beschwörenden Augen ihres Mannes und sprach mit unerbittlicher Gelassenheit.

„Michael, ich möchte dazu folgende Bemerkungen machen. Zuerst lass uns den Unterschied zwischen deiner und meiner Methode betrachten. Dein System ist vielleicht ordentlich und logisch, aber es würde ungefähr ein Jahr dauern, um auf diese Weise alles gepackt zu kriegen. Es wäre eher so etwas wie ein ständiges Hobby als eine Aufgabe, die wir hinter uns bringen müssen. Meine Methode dagegen mag dir chaotisch und undurchschaubar erscheinen und unsägliche Qualen bereiten, aber sie würde dazu führen, dass wir mit dem Packen fertig werden, bevor wir nach Amerika aufbrechen - was ein durchaus wünschenswerter Detailaspekt an meinem Ansatz ist, meinst du nicht? Zudem finde ich zwar die Vorstellung ausgesprochen rührend, dass du und ich bis ans Ende der Zeit fröhlich mit Hemden und Blusen und Schuhpaaren hin und her traben, aber ich habe nicht die Absicht, draußen im Garten, Hänsel und Gretel fahren in die Ferien‘ zu spielen, nur um deine Perfektionsneurose zu befriedigen. Du durchschaust zwar vielleicht nicht, was vor sich geht, wenn ich packe, aber ich habe den Überblick. Und da es am Ende sowieso an mir hängen bleibt, kommt es eigentlich nur darauf an, oder? Warum hilfst du nicht Dip hier in der Küche und überlässt das Packen mir, dann musst du dir überhaupt keine Gedanken darüber machen, nicht wahr? Wie findest du das?“

„Dann soll ich dir also nicht helfen?“

Etwas verriet mir, dass wir nun endlich zum eigentlichen Gegenstand der Diskussion gekommen waren.

„Natürlich möchte ich, dass du mir hilfst - wenn du es wirklich ernst meinst. Was ich nicht ausstehen kann, ist, wenn du schnaufend und schnaubend herumläufst und dich aufregst, dass du nichts tun kannst, während ich damit beschäftigt bin, es zu tun.“

„Soso …“, sagte Mike und versuchte verletzt zu klingen, jedoch ohne rechte Überzeugung. „Dann kann ich ja hier bleiben und Dip helfen, wenn du es so siehst. Übrigens, Dip, was hältst du denn von meiner Packmethode?“

Ich wollte den Robinsons eine echte Freundin sein.

„Lächerlich“, sagte ich lächelnd, „rührend, aber lächerlich. Überlass es Kathy.“

Ich fand es herrlich, wie die beiden lachten.

Später, als Mike und ich Seite an Seite die Spülgegend des „Höllenlochs“ in Angriff nahmen, unterhielt ich mich mit ihm über die Packdebatte.

„Es war fast so“, sagte ich, „als hättet ihr das Ganze durchspielen müssen, nur um an einem Punkt anzukommen, von dem ihr sowieso wusstet, dass ihr dort enden würdet. Ich glaube nicht, dass es je wirklich in Frage kam, dass du beim Packen hilfst - natürlich nicht, dass du nicht ernst gemeint hättest, was du gesagt hast, Mike, das nicht. Du hast offensichtlich sehr feste Ansichten über das Füllen von Koffern. Ich bin auf diesem Gebiet ganz unbeleckt - ich habe überhaupt keine Ansichten darüber.“

Mike schmunzelte. Er hatte seine fröhliche, unerschütterliche Gelassenheit wieder gefunden.

„Wir benehmen uns wohl manchmal ein bisschen albern. Kath macht sich Sorgen, dass wir keine von diesen perfekten christlichen Ehen führen, von denen man in Büchern liest, aber, nun ja … wir lieben uns trotzdem. Das ist doch ziemlich wichtig, oder?“ Plötzlich hüstelte er verlegen und legte den Teller hin, den er gerade polierte. „Es muss manchmal sehr schwer für dich sein, Dip - ich meine, dir muss es bis zum Hals stehen, wenn Leute sich über ihre Frauen und Männer auslassen und dergleichen, wo du doch …“

„Wo ich doch nie verheiratet war? Ja, das fällt mir wirklich hin und wieder ein bisschen schwer, aber ich bin gern mit Familien zusammen, und mir gefällt es eigentlich inzwischen gar nicht mehr so schlecht, allein stehend zu sein. Es ist keine Krankheit, nicht verheiratet zu sein, weißt du. Um ehrlich zu sein, Mike, ich weiß nicht, ob ich es nach all diesen Jahren überhaupt ertragen könnte, mein - du weißt schon - mein Innerstes mit jemand anderem zu teilen.“

Durchs Fenster konnte ich sehen, wie Felicity sich auf der gelben Plastikschaukel, die an einem der Apfelbäume hing, rasend schnell um sich selbst drehte. Plötzlich stiegen alte Kleinmädchenträume wieder in mir auf.

„Aber ich will dir etwas sagen, es kommt schon vor, dass ich mich danach sehne, dass jemand auf mich wartet, wenn ich nach Hause komme, jemand, der mich fragt, wie es auf der Arbeit war, der mir eine Tasse Tee macht - dergleichen Dinge. Und manchmal, wenn ich irgendwo bin, wo viele Menschen sind, dann wünsche ich mir … du wirst das jetzt total albern finden.“

„Nein“, sagte Mike, „erzähl weiter, es interessiert mich.“

Ich warf einen raschen Blick in sein Gesicht und fuhr fort.

„Na ja, dann wünsche ich mir, ich könnte quer durch den Raum den Blick von jemandem auffangen, über die Köpfe der anderen hinweg - nur für einen Moment -, einen jener kleinen, lächelnden Blicke, die einem sagen, dass da jemand genau versteht, was man gerade denkt. Und dann unterhält man sich weiter oder was immer man gerade getan hat, aber man weiß, dass man nicht allein ist. Etwas Besonderes für jemanden zu sein, die Nummer eins in seinem Leben - ich weiß, es ist albern, aber hin und wieder sehne ich mich immer noch schrecklich danach.“

Ein paar Augenblicke lang war in der Küche der Robinsons nichts zu hören außer dem Tropfen des Wasserhahns und dem Geklapper des Geschirrs, aber es war keine peinliche Stille.

„Immerhin“, sagte Mike endlich, „wenigstens musst du keine wirren Debatten durchexerzieren, bevor du zu etwas kommst, so wie wir es gerade getan haben.“

„Das nicht, aber …“ Ich hielt inne, weil ich mich plötzlich ein wenig fürchtete. Das war sehr harte Währung, die ich hier über den Tresen unserer immer noch im Entstehen begriffenen Freundschaft reichte. Nicht die Sorte, die man je wieder würde zurücknehmen können. „Nein, aber wir Singles spielen unsere eigenen albernen Spielchen, weißt du. Zumindest tue ich das.“

„Zum Beispiel?“

Ich schälte mir die Gummihandschuhe von den Händen und warf sie in das Spülbecken.

„Trockene Geschirrtücher?“

„In der Schublade unter den Stabschrecken. Hektarweise Geschirrtücher. Wir sind sehr reichlich ausgestattet mit trockenen Geschirrtüchern. Erzähl mir mehr von deinen Spielchen.“

„Manchmal“, sagte ich, während ich nach einer Hand voll nasser Besteckteile griff, „verliere ich das Zutrauen zu den Leuten.“ Ich berichtigte mich. „Das heißt, das ist nicht ganz fair. Ich schätze, was ich wirklich meine, ist, dass ich das Zutrauen zu mir selbst verliere. Da ist vielleicht eine Familie - wie eure - und ich bin schon oft zu Besuch gekommen, und alles scheint in bester Ordnung zu sein. Doch dann kriege ich ganz plötzlich so ein kaltes Gefühl im Bauch, und ich denke, was ist, wenn die mich die ganze Zeit nur mühsam erduldet haben? Was ist, wenn sie nur nett zu mir waren? Dann gerate ich in Panik. Und dann fangen die Spielchen an.“

Draußen hatte Felicity ihre Schaukel verlassen und hockte nun neben dem kleinen Blumenbeet, das ihr ganz allein gehörte, und stocherte mit einem Stöckchen in der Erde herum. Da sie zufällig in diesem Moment aufsah, fing sie meinen Blick auf und grinste. Warum rief Felicitys Lächeln in mir manchmal diese kleinen Krämpfe aufsteigender Tränen hervor?

„Dann tauche ich wieder wie ein verängstigtes Kaninchen in meinem kleinen Haus unter, mache die Tür hinter mir zu - verschließe sie, verriegele sie, verbarrikadiere sie mit einem Stuhl -, tue alles, um mir die Welt vom Leib zu halten, damit sie nicht sieht, wie peinlich es mir ist, eine lästige alte Langweilerin zu sein, die sich aufdrängt, wo sie nicht erwünscht ist. Und dann laufe ich vielleicht ein bisschen mit geballten Fäusten im Haus umher und überschütte mich selbst mit Flüchen und so.“

Der arme Mike musste natürlich etwas sagen. „Aber Dip, du glaubst doch nicht wirklich …“

„Ich rede nicht davon, was ich glaube, Mike. Ich rede davon, was ich fühle. An solchen Tagen fühle ich mich wie ein formloses Stück Abfall und bin sicher, dass niemand mich wirklich mag. Sie tun alle nur so, und ich will keinen von ihnen je wiedersehen.“

„Und das Spielchen …?“