Vorwort

Prag im Mai 1618, Prag im Oktober 1648. Der Aufstand in der böhmischen Hauptstadt gegen die Herrschaft der Habsburger steht am Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Das erbitterte Ringen um Prag zwischen den schwedischen Belagerern und der von ihrer Bürgerschaft energisch verteidigten Stadt bildete die letzte große Kampfhandlung des Krieges. Im November 1648 schwiegen auch vor Prag wie überall im römisch-deutschen Reich endlich die Waffen, nachdem die Nachricht von der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens die militärischen Befehlshaber erreicht hatte.

Die Geschichte dieses Krieges zwischen Mai 1618 und Oktober 1648 soll hier als die eines europäischen Konfliktes geschrieben werden. Deshalb bildet die Betrachtung der großen europäischen Krisen im Umfeld des Reiches, die sich sukzessive mit dem kriegerischen Geschehen im Reich verbanden, das Anfangskapitel der Darstellung. Und deshalb wird der zweiten Hälfte des Krieges, als sich der »europäische Krieg in Deutschland« endgültig und unumkehrbar entfaltet hatte, ebenso viel Raum gewidmet wie der ersten. Gerade die enge Verbindung der europäischen Politik mit dem Kriegsgeschehen im Reich und die Ereigniszusammenhänge der zweiten Kriegshälfte waren in jüngerer Zeit Gegenstand intensiver internationaler Forschungsanstrengungen. Deren Ergebnisse in einer Überblicksdarstellung einem größeren Publikum weiterzuvermitteln, ist ein wichtiges Ziel der vorliegenden Darstellung. Auf ihrer Basis erscheint es lohnenswert, sich abschließend erneut der alten Frage zu stellen, warum der Krieg solche beispiellosen Dimensionen erreichen konnte, eben zum »Dreißigjährigen Krieg« geworden ist.

Bei der Entstehung des Buches bin ich von verschiedener Seite unterstützt worden, wofür ich sehr zu danken habe. Das Buch hat von der fruchtbaren Arbeits- und Gesprächsatmosphäre am Marburger Seminar für Neuere Geschichte profitiert, wofür ich namentlich meinem Kollegen Wilhelm Ernst Winterhager danken möchte, darüber hinaus auch meiner Assistentin Frau Dr. Anuschka Tischer sowie Herrn Dr. Holger Th. Gräf. Frau Dr. Tischer danke ich zudem für die kritische Lektüre großer Teile der Darstellung und wichtige weiterführende Anregungen, ebenso Frau Dr. Antje Oschmann und Herrn Priv.-Doz. Dr. Thomas Brockmann. Dafür habe ich – wieder einmal – auch meiner Frau Marie-Luise Scherer-Kampmann zu danken, zugleich für ihre beständige Gesprächsbereitschaft und ihre stete Bereitschaft zum kritischen Mitdenken.

Für wichtige Hinweise danke ich überdies sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Konrad Repgen. Herr Priv.-Doz. Dr. Michael Rohrschneider gewährte mir Einsicht in das Manuskript seiner Habilitationsschrift, ebenso Herr Thomas Brockmann, wofür gleichfalls herzlich gedankt sei.

Wichtige Unterstützung habe ich in allen Etappen der Fertigstellung des Buches auch von den Mitarbeiterinnen meines Marburger Lehrstuhls erhalten, ganz besonders von Frau Kornelia Oepen, die zudem sehr tatkräftig bei der Erstellung des Registers mitgewirkt hat. In diesem Zusammenhang danke ich ebenfalls den studentischen Hilfskräften, namentlich Frau Christine Braun, für zahlreiche Hilfestellungen.

Den studentischen Hörerinnen und Hörern meiner Marburger Vorlesung zur europäischen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, auf der Teile der Darstellung basieren, danke ich für ihre kritische Aufmerksamkeit. Und last but not least danke ich Herrn Dr. Alexander Schweickert vom Verlag Kohlhammer sehr dafür, dass er für die Säumigkeit des durch mancherlei universitäre Selbstverwaltungspflichten immer wieder aufgehaltenen Autors so viel Geduld und Verständnis aufgebracht hat.

Marburg, den 30. Dezember 2007

Christoph Kampmann

Vorwort zur zweiten Auflage

Es ist erfreulich, dass eine zweite Auflage des vorliegenden Buches möglich geworden ist. Dies gab Gelegenheit, eine Reihe von kleineren Fehlern bzw. Irrtümern zu beheben und das Verzeichnis weiterführender Literatur (X.) um einige wichtige Titel zu ergänzen. Für die gründliche Durchsicht und tatkräftige Hilfe danke ich einmal mehr Frau Kornelia Oepen sowie Frau Stephanie Bode und Herrn Joel Hüsemann. Zu danken ist auch all jenen, die den Verfasser bei unterschiedlichen Gelegenheiten auf Corrigenda hingewiesen haben. Herzlich gedankt sei auch wieder dem Kohlhammer Verlag und namentlich Herrn Dr. Daniel Kuhn für die stets problemlose und engagierte Zusammenarbeit, die sich auch bei der zweiten Auflage bewährt hat.

Marburg, den 18. März 2013

Christoph Kampmann

I. Einleitung: Eine europäische Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs

Der Dreißigjährige Krieg war ein europäischer Konflikt. Zwar war vornehmlich das römisch-deutsche Reich der Schauplatz dieses Krieges, ein »deutscher« Krieg ist er jedoch von Anfang an nicht gewesen. Bereits 1618, als der Krieg mit dem Ständeaufstand in den habsburgischen Erblanden ausbrach, entschied sich Spanien zum Eingreifen im Reich – eine Entscheidung, die am spanischen Hof heftig umstritten war und die wesentliche Bedeutung für den Kriegsverlauf erlangte. In den folgenden Jahren traten weitere europäische Mächte direkt oder indirekt in den Krieg in Deutschland ein, so dass sich das kriegerische Geschehen im Reich mit europäischen Schlüsselkonflikten im Umfeld des Reiches verband. Wohl spätestens mit dem Beginn des Schwedischen Krieges 1630 war die Verbindung des Krieges im Reich mit europäischen Konflikten irreversibel geworden: In den 1630er Jahren mussten der Kaiser, Kursachsen und die übrigen führenden Reichsstände erkennen, dass eine Beilegung des Krieges nicht mehr in deutscher Hand lag, obwohl die Konfliktparteien im Reich eine bis dahin nicht gezeigte Kompromissbereitschaft erkennen ließen. Als »europäischer Krieg in Deutschland« konnte der Dreißigjährige Krieg nur noch durch eine Friedenslösung auf europäischer Ebene beendet werden.

Der Charakter des Dreißigjährigen Krieges als europäischer Konflikt ist heute wohl unstrittig und ist in jüngster Zeit immer wieder herausgestellt worden. In merkwürdigem Gegensatz dazu wird der Dreißigjährige Krieg nach wie vor verbreitet als ein im Wesentlichen »deutscher« Krieg dargestellt. Dies hängt eng mit mächtigen Traditionen der Geschichtsschreibung dieses Krieges zusammen, die ins 19. Jahrhundert zurückreichen und bis heute fortwirken.

In der Geschichtsschreibung des späten 17. und 18. Jahrhunderts hatte der Dreißigjährige Krieg nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dies galt auch für die deutsche Historiographie. Es bestand zwar Konsens, dass dieser Krieg die größte Katastrophe der jüngeren deutschen Geschichte gewesen sei, aus der der Westfälische Friede als größter Glücksfall das leidgeprüfte Reich errettet habe. Dies führte aber nicht zu intensiverer gelehrter Betrachtung des Kriegsgeschehens und seiner Ursachen. Der Dreißigjährige Krieg blieb ein randständiges Thema1. Dies änderte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts grundlegend, nicht zuletzt unter dem Einfluss Friedrich Schillers als Dramatiker und Historiker. Der große Krieg und seine Akteure wurden zu einem Themengebiet, mit dem sich speziell die deutschsprachige Geschichtsschreibung und gerade ihre besten Köpfe intensiv beschäftigten, und das zugleich Feld großer, leidenschaftlich geführter Kontroversen war. Hintergrund war eine prinzipiell veränderte, national bestimmte Sichtweise der Geschichte zwischen 1618 und 1648. Nicht nur der Krieg, sondern auch der Westfälische Friedensschluss, der ihn beendete, galten von nun an als nationale Tragödie Deutschlands2. Durch den Krieg im Reich hätten fremde Nationen, voran Frankreich unter Richelieu, sich in verhängnisvoller Weise immer tiefer ins Reich einmischen und ab 1635 das kriegerische Geschehen bestimmen können. Der Krieg, der Deutschland verwüstet habe, sei durch einen von Frankreich und anderen Mächten diktierten Frieden beendet worden, der Deutschland dauerhaft zerstückelt und territorial beraubt habe – eine Zersplitterung und Schwächung, die einen säkularen Niedergang des Reiches seit dem späteren 17. Jahrhundert eingeleitet habe3.

Beherrschende, stets unausgesprochene oder ausgesprochene Schlüsselfrage aller deutschen Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg in dieser Zeit war die Problematik von Verantwortung und Schuld, also die Suche nach jenen, die im Reich für diese Katastrophe verantwortlich zu machen seien. Für die protestantischborussische Geschichtsschreibung hatte der gegenreformatorisch-jesuitisch inspirierte Katholizismus des Kaiserhauses erheblichen Anteil an der fatalen Entwicklung. Verblendet und ohne Sinn für die Erhaltung der Reichseinheit hätte das kaiserliche Reichsoberhaupt den Niedergang Deutschlands wesentlich mitzuverantworten. Eine apologetisch-prohabsburgische Geschichtsschreibung versuchte den Wiener Hof vor diesem Vorwurf zu schützen und nun seinerseits die calvinistischen »Umstürzler« unter den Reichsständen als Schuldige zu brandmarken. Die neueste historiographiegeschichtliche Forschung zeigt sehr eindrücklich, wie stark die Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg seit Friedrich Schiller bei allem Reichtum von Positionen und Deutungsmustern im Einzelnen von dieser forensischen, auf Anklage und Verteidigung gerichteten Perspektive geprägt war4.

Tagesaktualität und Leidenschaft gewann diese Auseinandersetzung dadurch, dass sie sich mit der Kontroverse zwischen der kleindeutschen und der großdeutschen Richtung der deutschen Nationalbewegung verband5. Für viele Anhänger der kleindeutschen Lösung diente das angeblich historische Versagen des Hauses Österreich im Dreißigjährigen Krieg auch als ein wichtiges Argument in der Debatte um den Platz Österreichs in Deutschland. Die konfessionell-politischen Frontlinien der historischen Kontroversen erinnerten in ihrer Hitzigkeit und ihrer Fixierung auf Schuld und Verantwortung streckenweise an die Gegensätze, die die kriegsbegleitende Publizistik und die Zeitgeschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg bis in die zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bestimmt hatten6. Die Leidenschaftlichkeit der Historiographie des 19. Jahrhunderts hat zuweilen den nüchternen Blick auf das Geschehen verstellt, gab aber zugleich Anstoß zu gründlicher Erforschung der Entstehung und Entwicklung des Krieges. So trug die intensive geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung dazu bei, große, bis heute unverzichtbare Quelleneditionen anzuregen, um Klarheit über einige der am heftigsten diskutierten Fragen zu gewinnen7. Allerdings hatten all diese historiographischen Bemühungen eine einseitige inhaltlich-chronologische Orientierung. Das Interesse galt in erster Linie der Politik von Kaiser und Reichsständen. Zugleich richtete sich das Hauptaugenmerk auf die erste Hälfte des Krieges bis 1635, in der die Frage nach Krieg und Frieden noch im Wesentlichen im Reich selbst entschieden wurde, und nicht auf jene Phase, als der Krieg sich bereits zum europäischen Krieg in Deutschland entwickelt hatte und die weit seltener in den Fokus der Betrachtung rückte8. Auch das große, bis heute lesenswerte Werk Moriz Ritters von 1908, das aus der Reihe der Gesamtdarstellungen der Zeit wegen seines unparteilichen und historiographisch überzeugenden Zugriffs herausragt, behandelte die Jahre nach 1635 nur noch kursorisch9. Der politisch-konfessionelle Hintergrund erklärt auch, warum die Intensität, mit der die deutschsprachige Historiographie sich mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigte, keine Entsprechung in den Nationalgeschichtsschreibungen anderer, am Dreißigjährigen Krieg beteiligten Länder fand10.

Kristallisationspunkt der gesamten deutschsprachigen Geschichtsschreibung, die sich im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigte, war charakteristischerweise die Person des kaiserlichen Generalissimus Albrecht von Wallenstein11. Wallenstein erschien vielen Historikern als letzte Persönlichkeit, die die nationale Tragödie Deutschlands hätte wenden, das Reich einigen und es so dem Diktat der fremden Kronen noch hätte entreißen können12. In der Debatte um die Schuld an seinem Sturz und Tod 1634 kulminierten alle Kontroversen der älteren Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Beurteilung des Dreißigjährigen Krieges in der Geschichtswissenschaft grundlegend. Die national geprägten Bewertungskategorien, mit denen bislang an das Thema herangegangen worden war, verloren nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich an Bedeutung. Dass sich das römisch-deutsche Reich nach dem Westfälischen Frieden nicht zu einer starken, zentralisierten Monarchie, sondern zu einem dezentralen, defensiven Rechtsverband entwickelt habe, wurde nach der »deutschen Katastrophe« (Friedrich Meinecke) des 20. Jahrhundert erheblich positiver bewertet als ehedem. Die einseitig von Schuldzuweisungen und national gestimmter Polemik geprägte Betrachtungsweise des Krieges verschwand; vor allem setzte sich schrittweise seit den 1950er Jahren eine neue Bewertung des Westfälischen Friedens durch. Dieser Friede wurde nicht mehr als Tiefpunkt einer katastrophalen Entwicklung gesehen, sondern als achtbare Friedensleistung gewürdigt, genau so, wie auch die Entwicklung Deutschlands nach 1648 nicht mehr ausschließlich als traurige Zeit innerer Zersplitterung, äußerer Schwäche und nationaler Entwürdigung gesehen wurde. Schon die große Darstellung Fritz Dickmanns zum Westfälischen Frieden von 1959 markierte hier eine Wende13, der die systematische aktenmäßige Erschließung und monographische Aufarbeitung von Einzelaspekten des Friedens, insbesondere im Rahmen des großen, seit den frühen sechziger Jahren vorangetriebenen Editionsprojekts der »Acta Pacis Westphalicae« folgte14. Damit ging eine deutliche Internationalisierung der Forschungsanstrengungen zum Dreißigjährigen Krieg und zum Westfälischen Frieden einher. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Würdigung des Westfälischen Friedens im Zusammenhang mit dem auch wissenschaftlich außerordentlich ertragreichen Friedensjubiläum von 199815. Der ehedem, im 19. Jahrhundert, geschmähte Frieden von 1648 wurde dabei in der deutschen Historiographie zuweilen so euphorisch gepriesen, dass nach 1998 eine Kontroverse über die Frage einsetzte, ob nun nicht bei der positiven Würdigung des Westfälischen Frieden übertrieben worden sei und so die Realitäten des 17. Jahrhunderts aus dem Blick gerieten16.

Seit den 1960er Jahren rückte – auch dies als Ergebnis internationaler Forschungsanstrengung – der europäische Aspekt des Krieges ins Blickfeld. Nicht mehr Schuld und Verantwortlichkeit, sondern die Politik der beteiligten europäischen Mächte, ihre Zielvorstellungen und Absichten, nahmen nun größeren Raum in der Forschung ein. Davon profitierte vor allem die Erforschung des leitenden französischen Staatsmanns, Kardinal Richelieu, dessen Rolle im Dreißigjährigen Krieg von anachronistisch nationalen Denk- und Argumentationsmustern befreit wurde17.

Allerdings bedeutete die stärker europäische Akzentuierung der Forschung nicht automatisch, dass nun auch stärker »europäische« Gesamtdarstellungen des Dreißigjährigen Kriegs folgten. Vielmehr gab es unter den Historikern seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts einflussreiche Stimmen, die sich dafür einsetzten, sich im Zuge eines verstärkt europäischen Betrachtung ganz vom Konzept eines »Dreißigjährigen Krieges« zu verabschieden, ihn »europäisch aufzulösen«. Der Dreißigjährige Krieg wurde nun als Teil einer allgemeinen politischen und sozialen europäischen Krise des 17. Jahrhunderts gesehen. Dies konnte so weit gehen, im Dreißigjährigen Krieg ein historiographisches Konstrukt späterer Zeiten zu erblicken – ein Konstrukt, der das Verständnis vom europäischen Gesamtzusammenhang der Entwicklung der Zeit eher verstelle18.

Bemerkenswerterweise hatte auch diese Sichtweise bereits eine zeitgenössische Entsprechung. Schon während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Argument, dass der Krieg nur Teil eines großangelegten, europaweit ausgetragenen Konfliktes sei, intensiv eingesetzt, um den jeweiligen Gegner zu diskreditieren. Für die protestantische Publizistik war der Krieg im Reich nur ein Kampfplatz im Rahmen der universalen Bemühungen der Casa d’Austria, die Universalmonarchie und die Alleinherrschaft des Katholizismus zu errichten19. Einer der Hauptprotagonisten, König Gustav II. Adolf von Schweden, rechtfertigte sein seit den späten zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts geplantes Eingreifen im Reich nach innen und nach außen damit, dass alle europäischen Kriege von Südwestfrankreich bis Polen eine Einheit bildeten. Sie alle seien letztlich von der päpstlich-habsburgischen Partei entfesselt worden, um den Protestantismus zu zerstören20. Diese universalistische Einbettung des Krieges fand seine Entsprechung auf katholischer Seite, deren Publizisten den Krieg als einen Ausdruck eines europaweiten calvinistischen Zerstörungswerks ansahen21. Auch für die Polemiker des 17. Jahrhunderts gab es kein abgrenzbares Kriegsgeschehen im Reich. Dieser Gedanke begegnet in abgewandelter, also in wissenschaftlicher, gänzlich unpolemischer Form bei manchen Vertretern einer Europäisierung des Krieges im 20. Jahrhundert wieder, wenn sie den Dreißigjährigen Krieg als einheitliches Geschehen verabschieden und nur noch im Gesamtzusammenhang der »Krise des 17. Jahrhunderts« sehen wollen22.

Der Versuch, den Dreißigjährigen Krieg als nachträgliches historiographisches Konstrukt darzustellen, darf schon seit längerem – vor allem dank der gründlichen Forschungen Konrad Repgens – als widerlegt gelten. Aufgrund einer geradezu erdrückenden Fülle von Belegen konnte der Bonner Gelehrte zeigen, dass der Begriff »Dreißigjähriger Krieg« ebenso zeitgenössisch ist wie die Vorstellung einer Kontinuität des Krieges und einer Kohärenz der seit 1618 im Reich ausgetragenen Konflikte. Inzwischen ist wohl unbestritten, dass der Dreißigjährige Krieg schon aus Sicht der Zeitgenossen einen Ereigniszusammenhang, eben einen einzelnen Dreißigjährigen Krieg gebildet hat23.

Sowohl die ältere, national geprägte Sichtweise des Krieges mit seinen Schuldzuweisungen als auch die Versuche einer europäischen Auflösung des Krieges in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dürfen heute in der Geschichtswissenschaft als überwunden gelten. Gleichwohl wirken diese Traditionen fort. Eine gleichmäßige, europäische Darstellung des Dreißigjährigen Kriegs steht bis heute aus, und dies, obwohl jüngere Gesamtdarstellungen des Krieges die wertenden Vereinseitigungen der älteren Historiographie weit hinter sich gelassen haben. Dies zeigt schon die Schilderung des politischen und militärischen Kriegsgeschehens. Obwohl die Phase zwischen 1635 und 1648, der »europäische Krieg in Deutschland«, über den Ausgang der Auseinandersetzung entschied, spielt sie nach wie vor in den jüngeren Gesamtdarstellungen bestenfalls eine Nebenrolle, während die Frühphase des Krieges und deren Hauptprotagonisten, Wallenstein und Gustav Adolf, recht breit geschildert werden. In kaum einer neueren Gesamtdarstellung nimmt die Entwicklung der Jahre zwischen 1635 und 1645 mehr als 5 Prozent der Darstellung ein. Dies hat zur Folge, dass auch die Ergebnisse der Einzelforschung, die gerade in die Entwicklung dieser Jahre neues Licht gebracht hat, vernachlässigt werden. So ist kürzlich die für die Gesamtbeurteilung des Krieges nicht unwichtige Tatsache nachgewiesen worden, dass Frankreich und der Kaiser sich nie förmlich gegenseitig den Krieg erklärt haben24. Gleichwohl findet sich der Hinweis auf eine solche Kriegserklärung in zahlreichen neueren Darstellungen. Man könnte die Liste beliebig ergänzen. Zahlreiche wichtige Einzelergebnisse haben noch nicht die Ebene der Überblicksdarstellungen erreicht. Das gilt auch für die vielen Ergebnisse zur Diplomatie- und Militärgeschichte in der letzten Phase des Krieges. Dem entspricht, dass viele neuere Analysen und Betrachtungen zum Westfälischen Frieden oft losgelöst vom Kriegsgeschehen erfolgen – und dies, obwohl der Krieg während des gesamten Westfälischen Friedenskongresses in unverminderter Härte weiterging.

Die etwas stiefmütterliche Behandlung der letzten Kriegsphase mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Konfliktlinien und Akteurskonstellationen in dieser Phase des Krieges extrem verkomplizierten. Zu den Hauptakteuren im Reich treten nun die europäischen Mächte mit ihren jeweils eigenen, ständig wechselnden Kriegs- und Friedenszielen, so dass es stets notwendig ist, die unterschiedlichen Handlungsebenen in den Blick zu nehmen.

In der vorliegenden Darstellung wird der Versuch gemacht, eine Geschichte des Krieges als europäischen Konflikts zu schreiben. Ein umfassender Versuch ist es nicht. Die Darstellung wird sich auf die zentralen politisch-militärischen Entwicklungslinien konzentrieren, um die Entstehung und den Verlauf der Katastrophe des Krieges auf knappem Raum verständlich und nachvollziehbar zu machen. Auf der Basis einer solchen deskriptiven Analyse soll abschließend versucht werden, den Ort des Dreißigjährigen Krieges in der Geschichte des europäischen Friedens zu bestimmen. Damit wird der Blick noch einmal auf die Frage gelenkt, die seit jeher bei der historischen Betrachtung des Krieges eine zentrale Rolle spielte, nämlich, welche Bedeutung mangelnder Friedenswille bzw. mangelnde Friedensfähigkeit für die Entstehung einer Kriegskatastrophe solchen Ausmaßes hatte25 – eine Frage, die durch die Einbeziehung kultureller Perspektiven nicht obsolet geworden ist, sondern an Tiefenschärfe gewonnen hat26. Hier soll abschließend und auf der Grundlage der neueren Forschung nach einer Antwort gesucht werden.

Nicht eigens thematisiert werden historische Aspekte, die in einer umfassenden europäischen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zweifellos systematische Berücksichtigung finden müssten. Darunter sind auch solche, die in jüngster Zeit Gegenstand intensiver Forschungen geworden sind. Beispielhaft sind der Bereich der Kriegserfahrung zu nennen27, die Frage nach dem Krieg als Medienereignis28 oder die Problematik der Migration29. Gleichwohl werden diese Themen einbezogen, soweit dies im Rahmen der auf die zentralen politisch-militärischen Ursachen- und Ereigniszusammenhänge gerichteten Konzeption möglich ist. Im Sinne des gewählten Ansatzes wird der Blick gleich zu Beginn auf die großen, europäischen Schlüsselkonflikte gerichtet, die bereits lange vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vorhanden waren und sich sukzessive mit dem Kriegsgeschehen verbanden. Auch wird versucht, die Phasen des Krieges in etwa gleichmäßiger Gewichtung zu schildern, wobei auch der inneren Entwicklung in den Ländern der Kriegsteilnehmer dabei Aufmerksamkeit zu schenken ist.

Über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer europäischen Geschichte, die über ein Nebeneinander von Nationalgeschichten hinausgeht und zugleich ein breiteres universitäres Publikum anspricht, wird seit längerem in der Geschichtswissenschaft intensiv nachgedacht30. Gerade die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges könnte ein Ansatzpunkt für eine so verstandene europäische Geschichte sein. Denn der Krieg bildete einen territorial und zeitlich begrenzbaren Ereigniszusammenhang. Seine Erklärung entzieht sich freilich einer nationalgeschichtlichen Perspektive; sie macht eine transnationale, europäische Perspektive erforderlich und wird nur bei der genauen Analyse der europäischen Interaktionen verstehbar. Dies deutlich zu machen, ist ein wichtiges Ziel der vorliegenden Darstellung.

II. Krisen vor dem Krieg: Europa, das Reich und Böhmen bis 1618

1. Krisen im Umfeld des Reiches: Europäische Staatenkonflikte um 1600

An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert war Krieg ein zentrales Thema der öffentlichen Diskussion im Heiligen Römischen Reich. Auf den ersten Blick überrascht dies, befand sich das römisch-deutsche Reich doch um 1600 »in einem relativ friedlichen Zustand« (Volker Press)1, der überdies schon seit etwa einem halben Jahrhundert andauerte. Dass der Krieg in der öffentlichen Diskussion im Reich dennoch omnipräsent war, ist im Zusammenhang mit der politisch-militärischen Situation in der unmittelbaren Nachbarschaft des Reichs, jenseits der Grenzen des Reichsverbands, zu sehen. Denn das Reich lag um 1600 im Spannungsfeld mehrerer europäischer Schlüsselkonflikte, die es jederzeit in Mitleidenschaft ziehen konnten, und zwar nicht nur aufgrund ihrer räumlichen Nähe zum Reichsgebiet, sondern auch wegen der engen politisch-konfessionellen und nicht zuletzt dynastischen Verbindungen einiger Reichsglieder zu den Konfliktparteien.

a) Der spanisch-niederländische Konflikt

Eine besondere Bedrohung für den Frieden im Reich stellte um 1600 der Konflikt zwischen Spanien und den Niederlanden dar. Denn zum einen gehörten die Niederlande nach verbreiteter Rechtsauffassung formal noch immer zum Reich, auch wenn sie sich faktisch bereits im 16. Jahrhundert sehr weit vom Reichsverband entfernt hatten. Zum anderen bestanden enge dynastische Verbindungen der betreffenden Konfliktparteien zum Reich. Dies betraf natürlich die österreichischen Habsburger, die den römisch-deutschen Kaiser stellten und die von dem in Spanien regierenden Zweig des Hauses Habsburg unter Berufung auf die dynastische Solidarität immer wieder, wenn auch letztlich stets vergeblich, zur offenen Parteinahme in dem Konflikt aufgefordert wurden. Dies betraf aber auch politisch führende niederländische Adelsgeschlechter, allen voran das im Reich begüterte Haus Nassau-Oranien.

Der 1566 ausgebrochene Konflikt hatte in den folgenden Jahrzehnten seinen Charakter vollkommen verändert. Zu Beginn hatte es sich um einen Aufstand mehrerer über das burgundische Erbe zum Haus Habsburg gelangter Provinzen gegen ihren spanischen Landesherrn, König Philipp II. (1556–1598), gehandelt, wobei Holland und Seeland die Kernprovinzen des Aufstands gebildet hatten. Ziel der Aufständischen war die Bewahrung ihrer überkommenen politischen und vor allem konfessionellen Freiheiten gegen die Zentralisierungsbestrebungen von Philipp II. gewesen. Im Verlauf der langandauernden kriegerischen Auseinandersetzungen entwickelte sich ein (nord-)niederländisches Zusammengehörigkeitsgefühl, so dass die anfangs nur lose verbundenen aufständischen Provinzen um 1600 ein geschlossenes, calvinistisch geprägtes Gemeinwesen bildeten, das sich scharf gegen die katholischen, bei Spanien verbliebenen südlichen Provinzen abgrenzte. Überdies stiegen die von der Provinz Holland ökonomisch und politisch dominierten Niederlande bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts dank ihrer militärischen Stärke zu Lande und zu Wasser sowie dank ihrer Wirtschaftskraft zu einer europäischen Großmacht auf, die mit Spanien um Einflusszonen in Europa und Übersee kämpfte.

Für Spanien wurde der Konflikt schon in den letzten beiden Jahrzehnten der Herrschaft von Philipp II. zu einer untragbaren Belastung, weil sich Spanien auch auf anderen Kriegsschauplätzen engagierte, so in den französischen Religionskriegen. Dies überforderte die Kräfte der Monarchie und trug zum spanischen Staatsbankrott von 1596 entscheidend bei. Zum anderen sah sich Spanien im niederländischen Krieg bei der Organisation des Nachschubs und der Versorgung seiner Truppen mit erheblichen logistischen Problemen konfrontiert. Da der Seeweg von Spanien in die Niederlande, nicht zuletzt nach der Niederlage der spanischen Armada im Kampf gegen England, zu unsicher war, führte der Hauptnachschubweg über die italienischen Besitzungen Spaniens (Mailand), das Fürstentum Savoyen und die Freigrafschaft Burgund2. Aber auch dieser Weg erwies sich, vor allem wegen der Nachbarschaft Frankreichs, zunehmend als unsicher, so dass Spanien nach alternativen Versorgungswegen Ausschau halten musste. Dabei gewannen die Alpenpässe in der Ostschweiz (Veltlin) und das Elsass wachsende strategische Bedeutung für Spanien.

Angesichts dieser Schwierigkeiten wuchs auf spanischer Seite die Friedensbereitschaft. König Philipp III. (1598–1621) erklärte sich schließlich bereit, die niederländische Unabhängigkeit anzuerkennen. Der angestrebte Friedensschluss kam jedoch nicht zustande, in erster Linie, weil die Niederlande drei zentrale Bedingungen Spaniens ablehnten: Die Duldung von Katholiken, die Wiederöffnung der Schelde, durch deren Schließung die wichtigste Hafenstadt der südlichen Niederlande, Antwerpen, vom Überseehandel abgeschnitten worden war, sowie die Einstellung des niederländischen Handels in den spanischen Überseegebieten. So kam es im Jahre 1609 lediglich zu einem zwölfjährigen Waffenstillstand, der kaum die Basis für eine dauerhafte Verständigung bilden konnte. Denn vor allem der andauernde niederländisch-spanische Krieg in Übersee, der vom Waffenstillstand ausdrücklich ausgenommen war, sowie die fortgesetzte Sperrung der Scheldemündung waren für Spanien langfristig unakzeptabel3.

Dennoch stand Philipp III., hierin der politischen Linie seines Hauptministers (des sog. Valido), des Herzogs von Lerma, folgend, einer Wiederaufnahme des niederländischen Kriegs zunächst reserviert gegenüber. Spätestens seit 1617 mehrten sich jedoch die Anzeichen, dass die spanische Regierung zu einem energischeren, notfalls auch militärischen Engagement in den Niederlanden zurückzukehren beabsichtige. Vor allem die Aktivitäten der spanischen Botschafter am Kaiserhof, Zuñiga und Oñate, wiesen in diese Richtung. Ein Markstein dieser Politik war ein Geheimvertrag (der sog. Oñate-Vertrag) im März 1617 zwischen den spanischen und den österreichischen Habsburgern. Philipp III. verzichtete darin auf seine eigenen Thronfolgerechte in Böhmen und Ungarn, und im Gegenzug verpflichtete sich das designierte Oberhaupt der österreichischen Habsburger, Erzherzog Ferdinand, den spanischen Habsburgern Herrschaftsrechte im Elsass zu überlassen – ein Vertrag, der in Hinblick auf die strategische Bedeutung des Elsass für die spanischen Nachschubwege erhebliche Bedeutung gewinnen konnte. Es lag in der Konsequenz dieser Entwicklung, dass der Herzog von Lerma, der bis zuletzt einer Wiederaufnahme des niederländischen Kriegs kritisch gegenüberstand, im Oktober 1618 gestürzt wurde und Zuñiga an seine Stelle trat4.

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Auch in den Niederlanden fand ein erbitterter Konflikt zwischen den Anhängern und Gegnern einer eher auf Ausgleich mit Spanien bedachten Politik statt. Gerade seit der Zeit des Oñate-Vertrags nahm er an Heftigkeit zu. Protagonist einer eher zurückhaltenden Außenpolitik war der holländische Staatsmann Johan van Oldenbarnevelt; die Führungsfigur des gegnerischen Lagers, die eine eindeutig antispanische Politik favorisierte, war Moritz von Oranien. Die Auseinandersetzung gewann zusätzlich dadurch an Schärfe, dass sie sich mit theologischen Lehrstreitigkeiten zwischen einer gemäßigten Reformbewegung innerhalb des Protestantismus (Remonstranten bzw. Arminianer), der Oldenbarnevelt und seine Anhänger nahestanden, und der streng traditionell-calvinistischen Richtung, die Oranien repräsentierte, verband. Im Sommer 1617 begann der offene Machtkampf zwischen Moritz von Oranien und Oldenbarnevelt. Im August 1618 wurde Oldenbarnevelt von Oranien gefangengesetzt, auf der Synode von Dordrecht, die mit einem Sieg der traditionellreformierten Richtung über die Remonstranten endete, als Hochverräter verurteilt und kurz darauf hingerichtet. Damit hatten sich die Vertreter eines radikal antikatholischen bzw. antispanischen Kurses durchgesetzt.

Spätestens seit 1617 stand für die politische Öffentlichkeit in Europa fest, dass sich das Verhältnis zwischen den Niederlanden und Spanien wieder gefährlich zuspitzte und mit einem Wiederausbruch des spanisch-niederländischen Kriegs zu rechnen war5.

b) Der Gegensatz zwischen Spanien und Frankreich

Der Gegensatz zwischen der kastilischen bzw. spanischen und der französischen Monarchie kann als eigentlicher Grundkonflikt innerhalb der christlichen Staatenwelt seit dem 15. Jahrhundert gelten. Als stärkste Gemeinwesen der Christenheit rangen beide letztlich um die Vormachtstellung in Europa; vor allem Herrschaftspositionen in den italienischen Territorien und im Westen des Reichs waren traditionell hart umkämpft. Freilich hatte dieser Grundkonflikt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an Bedeutung verloren, weil Frankreich durch jahrzehntelange Religionskriege innerlich schwer erschüttert worden war. Der Versuch Spaniens, diese Lage zu nutzen und Frankreich als Rivalen dauerhaft auszuschalten, war indessen an der vorläufigen Befriedung Frankreichs durch den ersten Bourbonen auf dem französischen Königsthron, Heinrich IV. (1589–1610), gescheitert. Ihm gelang es, den politischen Frieden zwischen den Religionsparteien – unter Wahrung der katholischen Identität Frankreichs, freilich unter erheblichen politisch-militärischen Zugeständnissen an die protestantische Partei (der sog. Hugenotten) – wiederherzustellen und Frieden mit Spanien zu schließen. Spanien musste rasch erkennen, dass Frankreich als machtpolitischer Rivale auf die europäische Bühne zurückgekehrt war. Durch den Frieden von Lyon von 1601 zwischen Frankreich und Savoyen verlor Spanien praktisch seinen durch savoyisches Gebiet führenden Nachschubweg6. Zugleich begann Frankreich, indirekt, aber doch spürbar die Gegner Habsburgs in Italien (Venedig), in den Niederlanden und im Reich zu unterstützen. 1609/10 erreichte dieses Engagement im Jülich-Klevischen Erbfolgekrieg (vgl. Kapitel II, 2 d) derartige Ausmaße, dass ein offener Krieg mit Spanien in den Bereich des Möglichen rückte7. Schon jetzt wurde sichtbar, dass Spaniens Versuch, einen neuen sicheren Truppenkorridor von Italien in die Niederlande zu errichten, langfristig auf energische französische Gegenwehr stoßen würde. Denn die Schaffung einer solchen festen spanischen Einflusszone in Italien, in der Ostschweiz und im Westen des Reichs, auf die z. B. der Oñate-Vertrag zielte, würde Frankreichs Möglichkeiten einer aktiven Reichs- und Italienpolitik wesentlich beschneiden, wenn nicht gar völlig zunichte machen. Zum offenen Konflikt kam es zunächst aber nicht, weil nach der Ermordung von König Heinrich IV. im Mai 1610 eine neue Phase innerfranzösischer Auseinandersetzungen begann. Sie zeigte, dass die französische Monarchie nach den jahrzehntelangen Religionskriegen noch keineswegs gefestigt war; vor allem der hugenottische »Staat im Staate« stellte eine permanente Gefahr für die monarchische Zentralgewalt dar. Unter Ludwig XIII. (1610–1643) wurde daher zunächst, prinzipiell bis Ende der 1620er Jahre, der Stabilisierung der Monarchie politische Priorität eingeräumt. Dies verdeckte die traditionelle Rivalität zwischen Frankreich und Spanien vorübergehend, beseitigte sie aber nicht8. Im Gegenteil: Die militärischen Ereignisse, die nach 1618 den mitteleuropäischen und dann den niederländischen Kriegsschauplatz erschütterten, waren geeignet, die machtpolitischen Gegensätze wieder zu verschärfen.

c) Das Ringen um die Vorherrschaft im Ostseeraum (Dominium Maris Baltici)

Auch im Norden und Nordosten des Reichs wuchsen seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die politischen und militärischen Spannungen, die wegen der engen wirtschaftlichen, aber auch der politisch-dynastischen Verflechtungen im Ostseeraum eine Gefährdung für die Stabilität des Reichs darstellten. Die militärischen Auseinandersetzungen, die seit 1600 in dieser Region ausgetragen wurden, sind in engem Zusammenhang mit dem Aufstieg einer neuen Großmacht zu sehen, des Königreichs Schweden unter der jüngeren Linie des Hauses Wasa – ein Aufstieg, durch den das traditionelle Machtgefüge im Ostseeraum ins Wanken geriet.

Zuvor beruhte das Machtgefüge im Wesentlichen auf der Vormachtstellung Dänemarks. In der internationalen Forschungsliteratur wird das Königreich Dänemark nach der regierenden lutherischen Dynastie auch als »Oldenburg State« bezeichnet9, um den besonderen, weitausgreifenden Charakter der aus verschiedenen Teilreichen zusammengesetzten Monarchie (einer »composite monarchy« [John H. Elliott])10 treffender zu kennzeichnen. Denn das Königreich Dänemark, das unter Christian IV. (1588–1648) an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert neben Island, Grönland und mehreren strategisch wichtigen Ostseeinseln (Ösel, Gotland, Bornholm) auch die Halbinsel Schonen (im heutigen Südschweden) umfasste, war nur ein Teil der Monarchie der dänischen Oldenburger. Christian IV. regierte darüber hinaus noch in Personalunion das Königreich Norwegen, das Herzogtum Schleswig sowie – als Mitglied des Reichsverbands – das Herzogtum Holstein. Gerade die deutschsprachigen Territorien spielten für Christian IV. eine beträchtliche Rolle, weil der Einfluss der hohen Aristokratie auf die Regierungsgeschäfte hier wesentlich geringer war als in seinen übrigen Territorien11. Christian IV. betrachtete sich mit gewissem Recht als eigentlichen Inhaber der Ostseeherrschaft, vor allem weil er den Sund und damit den Zugang zur Ostsee kontrollierte. Der Sundzoll bildete zudem eine der wichtigsten Einnahmequellen der Monarchie.

Am Ende des 16. Jahrhunderts entstand freilich eine weitere zusammengesetzte Monarchie im Ostseeraum, die an Ausdehnung den dänischen Herrschaftsbereich noch zu übertreffen schien: Das Reich von Sigismund III. aus der schwedischen Herrscherdynastie der Wasa. Sigismund III. war Sohn des schwedischen Königs Johann III. und seiner Gemahlin Katharina, die dem polnischen Königshaus der Jagiellonen entstammte. Als Abkömmling der Jagiellonen sowie als Katholik war Sigismund im Jahre 1587 zum König von Polen gewählt worden, einer Wahlmonarchie mit ausgeprägten politischen Mitbestimmungsrechten des Adels, die durch die Union mit Litauen überdies zu einer der größten Monarchien der Christenheit aufgestiegen war. Fünf Jahre nach dem polnischen bestieg Sigismund auch den schwedischen Thron. Beim Königreich Schweden, das in Personalunion mit dem Großfürstentum Finnland verbunden war, handelte es sich im Gegensatz zu Polen-Litauen um eine Erbmonarchie, aber auch in Schweden war der Einfluss der monarchischen Zentralgewalt wegen der ausgeprägten Machtstellung des Adels und eines starken freien Bauerntums vergleichsweise gering.

Sigismunds Position als katholischer Herrscher des streng lutherischen Schweden war von Anfang an prekär und verschlechterte sich nach seinen zaghaften Versuchen zur Förderung des Katholizismus weiter. Große Teile des schwedischen Adels gingen zum offenen Aufstand über, setzten Sigismund 1600 ab und erhoben seinen lutherischen Onkel Karl als Karl IX. auf den Königsthron, ohne dass Sigismund, der sich nach Polen zurückgezogen hatte, auf seine schwedischen Thronrechte verzichtete. Dies markierte den Beginn einer nur durch zeitlich befristete Waffenstillstände unterbrochenen Ära polnisch-schwedischer Kriege, die insgesamt bis 1660 andauern sollte.

Angesichts dieser militärischen Herausforderung sind die beiden ersten Herrscher der jüngeren Linie der Wasa, Karl IX. (1600–1611) und vor allem sein Sohn und Nachfolger Gustav II. Adolf (1611–1632), dazu übergegangen, die schwedische Monarchie völlig zu reformieren, zu zentralisieren und ihre militärische Schlagkraft zu stärken. Dies gelang vor allem deshalb, weil Gustav II. Adolf eng mit dem schwedischen Adel zusammenarbeiten konnte, der an der Errichtung der Monarchie der (aus dynastisch-legitimistischer Sicht unrechtmäßigen) jüngeren Wasa-Linie entscheidenden Anteil gehabt hatte. Es ist bezeichnend, dass sich Gustav Adolf bei der Zentralisierung Schwedens und dem Ausbau seiner Militärgewalt wesentlich auf Axel Oxenstierna (1612–1654) als Reichskanzler und als Haupt der schwedischen Aristokratie stützte12. Im Zusammenwirken von Monarchie und Adel entstand in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ein außerordentlich effizientes schwedisches Militärwesen einschließlich eines Wehrpflichtsystems (des sog. Indelningsverk), das wesentlich dazu beitrug, aus dem mit einer Bevölkerung von ca. 1,5 Millionen Menschen vergleichsweise bevölkerungsarmen Schweden eine der stärksten Militärmächte des 17. Jahrhunderts zu machen.

Mit diesem Indelningsverk war ein wohl einzigartiges System zur Aushebung der wehrpflichtigen Bevölkerung geschaffen worden. Eine Schlüsselrolle kam dabei kriegserfahrenen Adligen zu, die in den jeweiligen Regionen für die Heranziehung der Wehrpflichtigen zuständig waren. Man legte dazu Listen der gesamten männlichen Bevölkerung über 15 Jahre an. Jeder Bezirk Schwedens musste für zehn diensttaugliche Männer einen Soldaten stellen. Wer an den Versammlungen, die der Auswahl dienten, nicht teilnahm, wurde automatisch verpflichtet. Ausgenommen von der Wehrpflicht waren Adlige, Geistliche, Waffenschmiede und Bergarbeiter. Den Hauptteil der Wehrpflichtigen hatte mithin die bäuerliche Bevölkerung zu stellen. Die Regierung bestimmte in jedem Jahr die Zahl der Auszuhebenden, die dann auf die einzelnen Bezirke verteilt wurden. Die demographischen Folgen dieses aus militärischer Sicht effizienten Systems waren langfristig einschneidend und konnten katastrophale Ausmaße annehmen: So kehrten von den 230 jungen Männern, die die nordschwedische Gemeinde Bygdeå zwischen 1621 und 1639 auf den polnischen bzw. deutschen Kriegsschauplatz entsenden musste, höchstens fünfzehn zurück, davon mindestens fünf als Invaliden. Im selben Zeitraum sank die Gesamtzahl der erwachsenen männlichen Bevölkerung in Bygdeå um 40%13.

Die Außenpolitik Schwedens unter der jüngeren Linie der Wasa nach 1600 ist in der neueren Forschung einer grundsätzlichen Neubewertung unterzogen worden. Hatte man lange Zeit ihren defensiven Grundzug bei der Abwehr der polnischen Thronansprüche und des dänischen Vormachtstrebens betont, so wird nun verstärkt die expansionistische und imperiale Ausrichtung dieser Politik hervorgehoben14. Dabei spielte das strategische Ziel einer Erringung der Ostseeherrschaft ebenso eine Rolle wie das unter den jüngeren Wasa gepflegte Selbstverständnis des schwedischen Königtums als älteste Monarchie der Christenheit (Gotizismus) und nicht zuletzt ein ausgeprägtes konfessionelles Sendungsbewusstsein Schwedens als der berufenen Führungs- bzw. Schutzmacht des Protestantismus15. Dänemark, das die wachsende Stärke Schwedens mit Argwohn sah, sich aber aus konfessionellen Gründen nicht zum gemeinsamen Vorgehen mit Polen entschließen konnte, zwang im »Kalmar-Krieg« Schweden noch einmal dazu, die dänische Vormachtstellung anzuerkennen. Nach dieser Niederlage intensivierten Gustav II. Adolf und Oxenstierna ihre Bemühungen um die Militärreform, mit einigem Erfolg: Die Schlagkraft der erstarkenden schwedischen Militärmacht zeigte sich 1617 sehr deutlich, als es Gustav II. Adolf gelang, im Kampf gegen das durch innere Wirren geschwächte Russland Karelien und Ingermanland zu gewinnen und Russland für fast einhundert Jahre vom Zugang zur Ostsee abzuschneiden. Dass Polen freilich unverändert der Hauptgegner Schwedens blieb, demonstrierte die schwedische Führung unmittelbar nach dem Frieden mit Russland durch eine massive antikatholische bzw. antipolnische Gesetzgebung, die von einer entsprechenden Propaganda begleitet wurde, und einer ersten Militäroperation in Livland im Jahre 1617. Drei Jahre später brach der Krieg Schwedens mit Polen wieder in aller Schärfe aus, und die enormen Erfolge, die Schweden dabei in kurzer Zeit erzielte (1621: schwedische Eroberung Livlands mit Riga), zeigten, dass neben Dänemark, das diese Entwicklung mit Sorge betrachtete, eine zweite protestantische und zudem expansionistische Großmacht im Ostseeraum aufstieg, mit der die übrigen europäischen Großmächte und nicht zuletzt die Habsburger zu rechnen hatten.

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d) Die Bedrohungslage im Südosten: Der »Lange Türkenkrieg« und seine Folgen

Eine ständige militärische Bedrohung für den mitteleuropäischen Raum stellte schließlich das Osmanische Reich dar. Unter Süleyman dem Prächtigen (1520–1566) war die islamische Großmacht faktisch zum Nachbarn des Reiches geworden und blieb dies bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Unmittelbar betroffen davon war zunächst der Herrschaftskomplex der österreichischen Habsburger, die neben ihren österreichischen Erblanden 1526 auch die Nachfolge in den Ländern der Wenzelskrone (Böhmen, den Lausitzen, Mähren, Schlesien) sowie in Ungarn angetreten hatten. Das Kaiserhaus hat freilich bei der Abwehr des sog. »Erbfeindes des christlichen Namens« die solidarische Unterstützung des gesamten Reiches diplomatisch und propagandistisch eingefordert und sie auf den Reichstagen auch in beträchtlichem Umfang erhalten. Anders als die Krisen in den Niederlanden und im Ostseeraum spaltete die militärische Bedrohung im Südosten das Reich nicht, sondern stärkte über alle konfessionellen und politischen Grenzen hinweg den Zusammenhalt der Reichsglieder.

Nach jahrzehntelangen Kriegen war es im Jahre 1568 zwischen dem Kaiser und dem Osmanischen Reich zu einem längerfristigen Waffenstillstand gekommen, der die Überlegenheit des Osmanischen Reiches über seine habsburgischen Gegner deutlich erkennen ließ. Darin wurde die Dreiteilung Ungarns festgelegt: Zentralungarn mit der Hauptstadt Ofen fiel an das Osmanische Reich, das christliche Fürstentum Siebenbürgen wurde tributpflichtiger Vasall der Hohen Pforte, und lediglich ein schmaler Grenzstreifen in West- und Oberungarn verblieb den Habsburgern, die überdies einen jährlichen Tribut an Konstantinopel zu entrichten hatten.

Der habsburgisch-osmanische Grenzraum kam freilich auch in der Zeit nach 1568 aufgrund eines ständigen Kleinkriegs nicht zur Ruhe. Im Jahre 1593 entschied sich Sultan Murad III. (1574–1595) zu einem erneuten großangelegten Feldzug gegen Ungarn, Böhmen und Österreich, der zu einem weiteren, dem sog. »langen« Türkenkrieg führte. Trotz einiger osmanischer Anfangserfolge gestaltete sich der Kriegsverlauf für Habsburg diesmal weit günstiger als in den Kriegen zuvor. Dazu trugen die umfangreichen Finanzhilfen des Reiches ebenso bei wie päpstliche und spanische Subsidien16. Überdies erwuchsen dem Sultan militärische Probleme an anderen Fronten. Die erstarkenden persischen Safawiden unter Schah Abbas I. (»dem Großen«) (1586–1628) erzielten beachtliche militärische Erfolge gegen die osmanischen Truppen, während im Innern des Osmanischen Reiches, in Anatolien, im Libanon und in Syrien, große Aufstände gegen die Zentralregierung ausbrachen. Angesichts der sich abzeichnenden Schwierigkeiten der Hohen Pforte wagte der Fürst von Siebenbürgen, Sigismund Báthory, den Übertritt auf die Seite der Habsburger, denen er gegen finanzielle und territoriale Entschädigung sein Fürstentum überließ – ein schwerer Rückschlag für die Osmanen. Doch die kaiserlich-habsburgische Seite sorgte in gewisser Weise selbst dafür, dass die Entwicklung für das Osmanische Reich noch einmal glimpflich endete. Die kaiserliche Regierung verzichtete unter dem zunehmend handlungsunfähigen Kaiser Rudolf II. (1576–1612, vgl. Kapitel II, 3b) auf eine entschlossene Ausnutzung der Lage, und reagierte eher abwartend. Noch schädlicher für Habsburg wirkte sich das rücksichtslose und provozierende Auftreten der unter General Basta in Siebenbürgen einrückenden kaiserlichen Truppen aus, die bald Widerstand unter der protestantischen Bevölkerung Siebenbürgens hervorriefen. An die Spitze dieser Widerstandsbewegung trat der calvinistische Magnat Stefan Bocskay, der sich zum Fürsten von Siebenbürgen ausrufen ließ. Dieser antihabsburgische Aufstand nahm bedrohliche Ausmaße an, zumal Bocskay bald Verbindung mit dem Sultan aufnahm und das Übergreifen des Aufstands auf ganz Ungarn zu befürchten stand. Diese Lage zwang die habsburgischen Erzherzöge, die Rudolf II. jetzt die Regierungsführung aus der Hand nahmen, trotz der strategisch ungünstigen Gesamtlage des Osmanischen Reiches einen Waffenstillstand mit dem Sultan auf der Basis des Status quo abzuschließen; Siebenbürgen blieb mithin osmanischer Vasall. Allerdings musste der Sultan den Kaiser erstmals als gleichrangigen Herrscher anerkennen und gegen eine einmalige Zahlung auf die bisherigen jährlichen Tributleistungen verzichten17.

Die Folgen des Waffenstillstands für die Lage im römisch-deutschen Reich waren weitreichend. Die Hohe Pforte wandte sich nach 1606 für mehr als drei Jahrzehnte anderen Kriegsschauplätzen zu, insbesondere den Auseinandersetzungen mit dem Persischen Reich, die sich bis 1639 hinzogen. Das vorübergehende Nachlassen der Türkengefahr verschaffte den Habsburgern einerseits größeren politisch-militärischen Handlungsspielraum, führte aber andererseits dazu, dass nun ein wichtiges »Instrument der Solidarisierung« (Volker Press)18