Christian Lunzer - Peter Hiess

Der Fall Diane Downs

Fremder Mann mit langen Haaren

 

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Kreittmayrstr. 26, 80335 München

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95616-556-6

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Inhalt

Fremder Mann mit langen Haaren

Quellen

Lust auf mehr?

Mütter, Töchter, Ehefrauen

Gift & Galle

Auf Messers Schneide

Weibliche Tugenden

Mörderische Arbeitsmarktverwaltung

Mord am Arbeitsplatz

Arbeitsplatz und Ausbildung

Die Autoren

Der Verlag

Impressum

 

Fremder Mann mit langen Haaren

Der 19. Mai 1983 in der Kleinstadt Springfield im US-Bundesstaat Oregon war ein milder, schöner Frühlingstag gewesen – also alles andere als das »Brotmesserwetter«, das Kriminalisten so fürchten. Die Beamten der Polizeistation konnten eine ruhige, angenehme Nachtschicht erwarten; bis 23 Uhr hatte es schließlich nur zwei kleine Bagatelleinsätze gegeben: Beim ersten war ruhebedürftigen Nachbarn eine fröhliche Party zu laut gewesen; beim zweiten hatte ein Mann in einem Vorort seine Frau angeblich mit dem Gewehr bedroht, doch als die Streife kam, schliefen beide friedlich in ihren Betten.

Der Anruf, der alles ändern sollte, kam um zehn Minuten vor Mitternacht aus der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses, dem McKenzie-Willamette-Spital: »Drei Personen mit Schusswunden eingeliefert. Zustand äußerst kritisch.«

Sofort wurden alle Einsatzwagen hinbeordert. Die Situation vor Ort war weit schlimmer, als es der kurze Anruf hatte erwarten lassen. Die drei Verletzten waren Kinder im Alter zwischen acht und drei Jahren, zwei Mädchen und ein Knabe. Das älteste Mädchen war bereits bei der Einlieferung tot gewesen, um die zwei anderen bemühten sich die Ärzte in der Intensivstation, doch ihr Zustand war äußerst kritisch. Alle drei waren durch Schüsse in die Brust verletzt worden. Brustwunden sind bei Kindern besonders heikel, da die lebenswichtigen Organe sehr eng beisammen liegen. Die Kinder waren von ihrer Mutter hergebracht worden, die zuerst durch lautes Hupen auf dem Parkplatz auf sich aufmerksam gemacht hatte. Jetzt stand sie – eine junge blonde Frau in Jeans und Jacke, bleich und offenbar unter Schock – vor dem blutbespritzten roten Nissan. »Er hat auf meine Kinder geschossen, er hat einfach auf uns geschossen«, stammelte sie. Nur mit Mühe konnte sie ihre Personalien angeben: Ihr Name war Diane Downs; ihre Kinder hießen Christie, acht Jahre alt, Cheryl, sieben, und Danny, drei. Cheryl war tot.

Erst als man ihre Eltern geholt hatte, konnte sie erzählen, was passiert war. Dann aber, sagte einer der Polizisten später, brachen die Worte aus ihr hervor wie ein Wasserfall, kaum einzudämmen. Diane war Briefträgerin, erst vor einem halben Jahr aus Arizona wieder zurück an ihren Geburtsort gezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Sie war mittags mit ihren drei Kindern bei den Eltern gewesen. Am späteren Nachmittag fuhren sie dann zu einer Freundin und anschließend, nach Einbruch der Dämmerung, ein bisschen ziellos spazieren, zum Sightseeing, weil ihre Kinder das so liebten.

Zur Fahrt nach Hause hätte sie die Old Mohawk Road, eine kleine, kaum benützte und unbeleuchtete Seitenstraße, genommen. An einer engen Stelle zwischen Wald und Fluss sei ihr zuerst ein abgestellter gelber alter Chevrolet aufgefallen, dann sei plötzlich ein Mann mitten auf der Straße gestanden und habe Zeichen gegeben. In der Annahme, er brauche Hilfe, hatte sie angehalten. Doch kaum hatte sie gehalten, habe der Mann eine Pistole auf sie gerichtet, sie aus dem Wagen gezerrt und das Auto gefordert. Als sie so tat, als würde sie die Schlüssel in den Wald werfen, öffnete er die Türen, erst die vorderen, dann die hinteren, und schoss je zweimal auf die hilflos im Auto eingesperrten Kinder. Dann sei sie auf ihn losgegangen und er habe auch auf sie gefeuert, aber es sei ihr gelungen, ins Auto zu springen und davonzufahren. Die Personenbeschreibung, die sie von dem Attentäter gab, war trotz der Dunkelheit und des Schocks, unter dem sie gestanden sein musste, merkwürdig genau und detailreich: Er sei mit Sicherheit ein Weißer gewesen, unter 30, mit unfrisiertem, langem, dunklem Haar, etwa 1,75 Meter groß, zwischen 70 und 80 Kilo schwer, hatte Bartstoppeln und trug Jeans, eine -Jeansjacke und ein schmutziges, verwaschenes T-Shirt.

Erst jetzt bemerkten die Beamten, dass auch Diane verletzt war – sie hatte einen Durchschuss im Unterarm, konnte aber sofort im Krankenhaus versorgt werden. Im Wald lauerte also offenbar ein verrückter Killer, der jederzeit wieder zuschlagen konnte. Alle verfügbaren Einheiten, auch die der Nachbarbezirke, wurden alarmiert; Streifen durchkämmten die Wälder am Stadtrand; die Old Mohawk Road und alle Zufahrtsstraßen wurden gesperrt. Beamte fuhren zu Dianes Freundin, die den Besuch bestätigte, und in die Wohnung der Frau. Doch auch dort fanden sie keine Spur eines Killers und die Patrouillen blieben ebenfalls erfolglos. Das Auto und der Verrückte waren wie vom Erdboden verschwunden.