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Georg Ebers

Der Kaiser

Georg Ebers

Der Kaiser

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
2. Auflage, ISBN 978-3-954188-38-3

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Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Vor­wort

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel

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Widmung

Sei­nem teue­ren, in glück­li­chen und trü­ben, in erns­ten und hei­te­ren Stun­den gleich be­währ­ten Freun­de und Kol­le­gen Ot­to Stob­be, dem Ger­ma­nis­ten, wid­met die­ses Buch in un­wan­del­ba­rer Lie­be und Treue der Ver­fas­ser.

Vorwort

Vor vier­zehn Jah­ren plan­te ich nach ei­ner Rei­he von Vor­le­sun­gen, wel­che ich über die Rö­mer­zeit in Ägyp­ten ge­hal­ten hat­te, die Ge­schich­te, wel­che ich in die­sem Bu­che er­zäh­le. Aber wis­sen­schaft­li­che Ar­beit dräng­te die Lust am poe­ti­schen Schaf­fen zu­rück, und als die­se die Flü­gel wie­der­um kräf­ti­ger zu re­gen be­gann, fühl­te ich mich von an­de­ren Stof­fen le­ben­di­ger an­ge­regt. So kam es denn, daß ich die Zeit Ha­drians spä­ter zum Hin­ter­grun­de ei­ner Dich­tung wähl­te, als selbst die jün­ge­re Epo­che der ana­cho­re­ti­schen Be­we­gung.

Mit der Been­di­gung die­ses Ro­mans hat mein al­ter Wunsch, die wich­tigs­ten Ab­schnit­te der Ge­schich­te des ehr­wür­di­gen Vol­kes, dem ich seit bei­na­he ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert mein Le­ben wei­he, dich­te­risch zu­sam­men­zu­fas­sen, sei­ne Er­fül­lung ge­fun­den. Die Glanz­ta­ge der Pha­rao­nen­zeit habe ich in der »Uar­da«, den Heim­fall Ägyp­tens an die jun­ge Welt­macht der Per­ser in der »Kö­nigs­toch­ter«, die hel­le­ni­sche Epo­che un­ter den La­gi­den in den »Schwes­tern«, die Rö­mer­zeit und das Auf­kei­men des jun­gen Chris­ten­tums in dem »Kai­ser« und die ana­cho­re­ti­sche Be­we­gung in den Ägyp­ten be­nach­bar­ten Wüs­ten und Fel­sen­land­schaf­ten in »Ho­mo sum« zur Dar­stel­lung zu brin­gen ver­sucht. So wird denn »Der Kai­ser« der letz­te Ro­man sein, dem ich das alte Ägyp­ten zum Schau­platz an­wei­se.

Die­se Rei­he von Dich­tun­gen hat mei­ne Le­ser nicht nur mit der Kul­tur­ge­schich­te Ägyp­tens be­kannt ma­chen, son­dern ih­nen auch die Er­kennt­nis von ei­ni­gen be­son­ders mäch­ti­gen Ide­en, wel­che das Al­ter­tum be­wegt ha­ben, er­leich­tern sol­len.

Wie­weit es mir ge­lun­gen ist, die dar­ge­stell­ten Epo­chen zu far­bi­gen, der Wirk­lich­keit na­he­kom­men­den Ge­mäl­den zu­sam­men­zu­fas­sen, wage ich nicht zu be­ur­tei­len. Denn wenn sich schon ge­gen­wär­ti­ge Din­ge in ver­schie­de­nen Köp­fen ver­schie­den spie­geln, so muß dies doch weit be­stimm­ter bei längst ver­gan­ge­nen und halb ver­ges­se­nen der Fall sein.

Wie oft war ich ge­nö­tigt, wenn bei der Wie­der­be­le­bung ei­ner fer­nen Ver­gan­gen­heit die Mit­tel der Wis­sen­schaft ver­sag­ten, von der Ein­bil­dungs­kraft Rat und Hil­fe zu for­dern und mich des Wor­tes zu er­in­nern, daß der Dich­ter ein rück­wärts schau­en­der Pro­phet sein soll. Ru­hig durf­te ich der Phan­ta­sie ge­stat­ten, die Flü­gel zu ent­fal­ten, denn ich blieb Herr über sie und kann­te die Gren­zen, bis zu de­nen ich ihr er­lau­ben durf­te, sich auf­zu­sch­win­gen. Ich hielt es für mein Recht, viel frei Er­fun­de­nes zu zei­gen, aber nichts, das nicht in der dar­zu­stel­len­den Zeit mög­lich ge­we­sen wäre. Die Rück­sicht auf die­se Mög­lich­keit hat über­all der Phan­ta­sie Schran­ken ge­setzt; wo die vor­han­de­nen Quel­len ge­stat­te­ten, völ­lig treu und wahr zu sein, bin ich es stets ge­we­sen, und die vor­züg­lichs­ten un­ter mei­nen Fach­ge­nos­sen in Deutsch­land, Eng­land, Frank­reich und Hol­land ha­ben dies mehr als ein­mal be­zeugt. Aber ich brau­che wohl kaum her­vor­zu­he­ben, daß die dich­te­ri­sche Wahr­heit eine an­de­re ist als die his­to­ri­sche, denn die­se soll mög­lichst un­be­rührt blei­ben von der Sub­jek­ti­vi­tät ih­res Ver­kün­ders, jene kann nur durch das Me­di­um der Phan­ta­sie des Künst­lers zur Wir­kung ge­lan­gen.

Wie mei­ne bei­den letz­ten Ro­ma­ne, so las­se ich auch den »Kai­ser« ohne An­mer­kun­gen. Ich tue es in dem fro­hen Be­wußt­sein, durch ge­lehr­te und an­de­re Ar­bei­ten ei­ni­ges Recht auf das Ver­trau­en der Le­ser ge­won­nen zu ha­ben. Nichts hat mich mehr zu im­mer neu­em poe­ti­schem Schaf­fen er­mu­tigt als der Um­stand, daß durch die­se Dich­tun­gen mei­ner Wis­sen­schaft meh­re­re Jün­ger zu­ge­führt wor­den sind, de­ren Na­men jetzt un­ter den Ägyp­to­lo­gen mit Ach­tung ge­nannt wer­den.

Je­der mit der Zeit Ha­drians Ver­trau­te wird auch bei klei­ne­ren Zü­gen er­ken­nen, wel­chem Au­tor, wel­cher In­schrift, wel­chem Denk­mal sie ent­nom­men wor­den sind; dem grö­ße­ren Krei­se mei­ner Le­ser will ich den Ge­nuß an der Dich­tung nicht trü­ben. Es wür­de mich be­glücken, wenn die­ser Ro­man den Na­men ei­nes ech­ten Kunst­wer­kes ver­dien­te, und die Be­trach­tung ei­nes sol­chen soll vor al­len Din­gen er­freu­en und er­he­ben. Wer da­bei Be­rei­che­rung sei­nes Wis­sens emp­fängt, darf doch nicht mer­ken, daß er be­lehrt wird.

Ken­ner der Ge­schich­te Alex­an­dri­as un­ter den Rö­mern wer­den sich wun­dern, daß ich The­ra­peu­ten am ma­reo­ti­schen See un­be­rück­sich­tigt las­se. Ich hat­te ih­nen ur­sprüng­lich ein ei­ge­nes Ka­pi­tel zu­ge­dacht, Lu­cäs neues­te Un­ter­su­chun­gen be­stimm­ten mich aber, es un­ge­schrie­ben zu las­sen.

Jah­re des Stu­di­ums habe ich den An­fän­gen des Chris­ten­tums, na­ment­lich in Ägyp­ten, ge­wid­met, und es ge­reicht mir zum be­son­de­ren Ge­nuß, auch an­de­ren zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, wie sich zur Zeit Ha­drians die rei­ne, von mensch­li­chen Zuta­ten noch we­nig ge­trüb­te Leh­re des Hei­lan­des der Her­zen be­mäch­tig­te und be­mäch­ti­gen muß­te. Ne­ben dem tri­um­phie­ren­den Glau­ben zei­ge ich die edle Blü­te des We­sens, die Kunst, wel­che in spä­te­ren Jahr­hun­der­ten vom Chris­ten­tum, um sich mit ih­ren schö­nen For­men zu schmücken, her­an­ge­zo­gen wur­de. Die aus der Zeit mei­ner Er­zäh­lung stam­men­den An­ti­nous­sta­tu­en und Büs­ten be­wei­sen, daß es der wel­ken­den Pflan­ze be­schie­den war, un­ter Ha­dri­an neue Blät­ter zu trei­ben.

Die ro­man­ti­schen Züge, die ich dem Cha­rak­ter mei­nes die Welt durch­wan­dern­den Hel­den bei­le­ge, der Ber­ge be­stieg, um sich am Glanz der auf­ge­hen­den Son­ne zu freu­en, sind ihm tat­säch­lich ei­gen ge­we­sen. Eine der schwie­rigs­ten Auf­ga­ben, wel­che ich mir je­mals ge­stellt habe, war die, aus den an in­ne­ren Wi­der­sprü­chen so rei­chen Nach­rich­ten über Ha­dri­an ein Men­schen­bild zu ge­stal­ten, an des­sen Wahr­heit ich selbst zu glau­ben ver­moch­te; aber wie gern bin ich an ihre Lö­sung ge­gan­gen! Es gab bei der An­la­ge die­ser Dich­tung viel zu be­den­ken, aber sie selbst ist ganz aus dem Her­zen ih­res Ver­fas­sers ge­gos­sen. Möge sie auch den Weg in die Her­zen der Le­ser fin­den.

Leip­zig, den 2. No­vem­ber 1880.

Ge­org Eber­s

Erstes Kapitel

Die Mor­gen­däm­me­rung war ge­schwun­den, die Son­ne des ers­ten De­zem­bers im Jah­re 129 nach der Ge­burt des Hei­lands auf­ge­gan­gen, aber sie wur­de von milch­wei­ßen Düns­ten ver­hüllt, die dem Mee­re ent­stie­gen. Es war kalt.

Der Ka­si­us, ein Berg von mitt­ler­er Höhe, steht auf ei­ner Land­zun­ge der Küs­te zwi­schen dem süd­li­chen Pa­läs­ti­na und Ägyp­ten und wird an sei­ner Nord­sei­te vom Mee­re be­spült, das heu­te nicht wie an an­de­ren Ta­gen in leuch­ten­dem Ul­tra­ma­rin schim­mert. In fins­te­rem Schwarz­blau be­we­gen sich lang­sam sei­ne fer­ne­ren Wo­gen, die nä­he­ren aber sind völ­lig an­ders ge­färbt und schlie­ßen sich in trü­bem, grün­li­chem Grau an ihre dem Ho­ri­zont be­nach­bar­ten Schwes­tern wie stau­bi­ger Ra­sen an dunkle La­va­flä­chen.

Der Nord­ost­wind, der sich nach dem Auf­gang der Son­ne er­ho­ben hat­te, be­gann leb­haf­ter zu we­hen, milch­wei­ßer Schaum zeig­te sich auf den Häup­tern der Wel­len, die­se aber schlu­gen heu­te nicht wild und kräf­tig den Fuß des Ber­ges, son­dern wälz­ten sich mit un­ab­seh­bar lan­gen ge­krümm­ten Rücken trä­ge zu ih­nen her­an, als be­stün­den sie aus schwe­rem ge­schmol­ze­nen Blei. Den­noch spritz­ten leich­te und hel­le Trop­fen auf, wenn sie eine Schwung­fe­der der Mö­wen be­rühr­te, die un­ru­hig und als trie­be die Angst sie hier­hin und dort­hin, scha­ren­weis mit schril­lem Ge­kreisch über dem Was­ser schweb­ten.

Drei Män­ner wan­der­ten lang­sam auf dem von der Spit­ze des Ber­ges in die Ebe­ne füh­ren­den Wege zu Tale, aber nur der äl­tes­te von ih­nen, der den bei­den an­de­ren vor­an­schritt, ach­te­te auf den Him­mel, das Meer, die Mö­wen und die wüs­te, un­ter ihm ru­hen­de Flä­che. Jetzt blieb er ste­hen, und so­bald er den Fuß hemm­te, ta­ten die bei­den an­de­ren das glei­che. Die Land­schaft un­ter ihm schi­en sei­ne Bli­cke zu fes­seln und recht­fer­tig­te die Be­frem­dung, mit der er das in ei­ner leich­ten Nei­gung ge­senk­te bär­ti­ge Haupt schüt­tel­te. Ein schma­ler Wüs­ten­strei­fen streck­te sich, zwei Was­ser von­ein­an­der schei­dend, so­weit das Auge reich­te, nach Abend hin vor ihm aus. Auf die­sem na­tür­li­chen Dam­me zog eine Ka­ra­wa­ne da­hin. Der wei­che Fuß der Ka­me­le fiel laut­los auf den Weg, den sie zo­gen. Ihre in wei­ße Män­tel gehüll­ten Rei­ter schie­nen zu schla­fen und ihre Trei­ber zu träu­men. Die grau­en Ad­ler am Sau­me der Stra­ße rühr­ten sich nicht bei ih­rem Na­hen.

Links von der Land­neh­rung, auf wel­cher der von Sy­ri­en nach Ägyp­ten füh­ren­de Weg sich hin­zog, lag das glanz­lo­se, mit grau­em Ge­wölk ver­schwim­men­de Meer, links, mit­ten in der Wüs­te, ein selt­sa­mes, land­schaft­li­ches Et­was, des­sen Ende nach Os­ten und Wes­ten hin das Auge nicht zu er­rei­chen ver­moch­te und das hier ei­nem Schnee­fel­de, dort ei­nem ste­hen­den Was­ser und an an­de­ren Stel­len ei­nem Bin­sen­dickicht gleichsah.

Der äl­tes­te Wan­de­rer schau­te stets nach dem Him­mel und in die Fer­ne, der zwei­te, ein Skla­ve, der De­cken und Män­tel auf der brei­ten Schul­ter trug, ver­wand­te kei­nen Blick von sei­nem Ge­bie­ter, und der drit­te, ein frei­er Jüng­ling, blick­te müde und träu­me­risch auf den Weg nie­der.

Eine brei­te, auf ein statt­li­ches Tem­pel­ge­bäu­de zu­füh­ren­de Stra­ße kreuz­te den von der Spit­ze des Ber­ges an die Küs­te füh­ren­den Pfad, und der bär­ti­ge Wan­de­rer be­trat sie. Aber er folg­te ihr nur we­ni­ge Schrit­te, dann blieb er ste­hen, warf un­wil­lig das Haupt zur Sei­te, mur­mel­te ei­ni­ge un­ver­ständ­li­che Wor­te in den Bart, wand­te sich um, kehr­te mit be­schleu­nig­tem Schrit­te zu dem schma­len Wege zu­rück und ging tal­ab­wärts.

Sein ju­gend­li­cher Beglei­ter folg­te ihm, ohne das Haupt zu er­he­ben und sei­ne Träu­me­rei zu un­ter­bre­chen, als sei er sein Schat­ten; der Skla­ve je­doch er­hob den kurz ge­scho­re­nen blon­den Kopf, und ein über­le­ge­nes Lä­cheln flog ihm um den Mund, als er am lin­ken Sau­me der Stra­ße die Lei­che ei­nes ge­fal­le­nen schwar­zen Böck­leins und ne­ben ihr ein al­tes Hir­ten­weib er­blick­te, das ihr fal­ti­ges Ant­litz beim Na­hen der Män­ner ängst­lich mit dem blauschwar­zen Schlei­er be­deckt hat­te. »Also dar­um«, mur­mel­te der Skla­ve vor sich hin und nick­te, die Luft mit dem spit­zen Mun­de küs­send, dem schwarz­köp­fi­gen Mäd­chen zu, das zu Fü­ßen der Grei­sin kau­er­te. Aber die also Ge­grüß­te be­merk­te nicht die­se stum­me Wer­bung; denn ihre Au­gen folg­ten wie ge­bannt den Wan­de­rern und be­son­ders dem jun­gen Man­ne. So­bald die drei sich weit ge­nug ent­fernt hat­ten, um ihre Stim­me nicht mehr zu hö­ren, frag­te das Mäd­chen zu­sam­men­schau­ernd, als sei ein Wüs­ten­geist ihr be­geg­net, mit ge­dämpf­ter Stim­me: »Groß­mut­ter, wer war das?«

Die Alte lüf­te­te den Schlei­er, leg­te der En­ke­lin die Hand auf die Lip­pen und flüs­ter­te ängst­lich: »Er ist es.«

»Der Kai­ser?«

Die Ant­wort der Al­ten be­stand in ei­nem be­deu­tungs­vol­len Ni­cken; das Mäd­chen aber dräng­te sich mit lei­den­schaft­li­cher Neu­gier an die Groß­mut­ter, streck­te den brau­nen Kopf weit vor, um bes­ser zu se­hen, und frag­te lei­se: »Der jun­ge?«

»När­rin! Der Voran­schrei­ten­de, der Grau­bart.«

»Der? Ich woll­te, der jun­ge wäre der Kai­ser.«

Roms Im­pe­ra­tor Ha­dri­an war es in der Tat, der dort schwei­gend sei­nen Beglei­tern vor­an­zog, und es war, als be­le­be sein Kom­men die Ein­öde; denn so­bald er sich dem Schilf nah­te, flo­gen mit pfei­fen­dem Schrei Ki­bit­ze in die Höhe und hin­ter ei­nem Dü­nen­hü­gel am Sau­me der brei­te­ren Stra­ße, die Ha­dri­an ge­mie­den, tra­ten zwei Män­ner in pries­ter­li­chen Klei­dern her­vor. Sie ge­hör­ten bei­de zum Tem­pel des klas­si­schen Baal, ei­nem klei­nen Bau­werk von fes­tem Ge­stein, das dem Mee­re zu­ge­kehrt war und das ges­tern der Kai­ser be­such­te.

»Ob er den Weg ver­fehl­te?«, frag­te der eine Pries­ter den an­de­ren in phö­ni­zi­scher Spra­che.

»Schwer­lich«, lau­te­te die Ant­wort. »Mas­tor er­zähl­te, er fin­de je­den Weg, den er ein­mal ge­gan­gen, auch im Dun­keln wie­der.«

»Und doch sieht er mehr in die Wol­ken als auf den Bo­den.«

»Aber er ver­sprach uns doch ges­tern …«

»Be­stimm­tes hat er nicht zu­ge­sagt«, un­ter­brach ihn der an­de­re.

»Doch; beim Ab­schied rief er, ich habe es deut­lich ge­hört: Vi­el­leicht komm' ich wie­der und be­fra­ge euer Ora­kel.«

»Vi­el­leicht.«

»Ich glau­be, er hat ›wahr­schein­lich‹ ge­sagt.«

»Wer weiß, welch ein Zei­chen, das er da oben ge­se­hen, ihn fort­treibt. Er geht auf das La­ger am Mee­re zu.«

»Aber in un­se­rem Fest­saal steht doch die Mahl­zeit für ihn be­reit.«

»Für den deckt sich über­all die Ta­fel. Komm! Ein ab­scheu­li­cher Mor­gen; mich friert.«

»War­te noch et­was. – Sieh nur.«

»Was?«

»Er trägt nicht ein­mal einen Hut auf den grau­en Lo­cken.«

»Auf Rei­sen sah ihn noch kei­ner mit be­deck­tem Haup­te.«

»Und sein grau­er Man­tel sieht gar nicht kai­ser­lich aus.«

»Beim Gast­mahl trägt er im­mer den Pur­pur.«

»Weißt du, an wen mich sein Gang und sein Aus­se­hen er­in­nern?«

»Nun?«

»An un­se­ren ver­stor­be­nen Ober­pries­ter Abi­baal; der schritt auch so mäch­tig und sin­nend ein­her und trug den Bart wie der Kai­ser.«

»Ja, ja, und das grü­beln­de, sin­nen­de Auge.«

»Er sah auch oft in die Höhe. Selbst die brei­te Stirn ha­ben bei­de ge­mein – aber Abi­baals Nase war mehr ge­bo­gen und sein Haupt we­ni­ger kraus ge­lockt.«

»Un­se­res Meis­ters Mund war wür­de­voll ernst, wäh­rend die Lip­pen Ha­drians bei al­lem, was er sag­te und hör­te, sich spitz­ten und zuck­ten, als woll­te er spot­ten.«

»Sieh nur, jetzt wen­det er sich zu sei­nem Lieb­ling – An­to­ni­us mein' ich, heißt der schmu­cke Ge­sel­le.«

»An­ti­nous, nicht An­to­ni­us. In Bi­thy­ni­en, sa­gen sie, habe er ihn auf­ge­le­sen.«

»Schön ist er.«

»Schön oh­ne­glei­chen. Wel­cher Wuchs, wel­ches Ant­litz! Aber ich woll­te doch nicht, daß er mein Sohn wäre.«

»Des Kai­sers Lieb­ling?«

»Eben dar­um. Er sieht jetzt schon aus, als hät­te er al­les ge­nos­sen und könn­te über nichts mehr Freu­de emp­fin­den.«

Auf ei­ner klei­nen Flä­che hart am Ufer des Mee­res, die von bröck­li­gen Klip­pen vor dem Ost­win­de ge­schützt war, stan­den meh­re­re Zel­te. Zwi­schen ih­nen brann­ten Feu­er, um die sich rö­mi­sche Sol­da­ten und kai­ser­li­che Die­ner ge­schart hat­ten. Halb­nack­te Kna­ben, Kin­der der in die­ser Wüs­te hau­sen­den Fi­scher und Ka­mel­trei­ber, lie­fen ge­schäf­tig hin und her, um die Flam­men mit dür­ren Schilfs­ten­geln und wel­kem Wüs­ten­ge­strüpp zu spei­sen; aber so hoch die Lohe auch auf­schlug, schweb­te der Rauch doch nicht him­mel­an, son­dern trieb sich, von kur­z­en Wind­stö­ßen hin und her ge­jagt, wie eine aus­ein­an­der­ge­spreng­te Schaf­her­de in klei­nen Wol­ken über den Bo­den hin. Es war, als fürch­te er sich, in die graue, un­freund­li­che und feuch­te Luft auf­zu­stei­gen.

Das größ­te un­ter den Zel­ten, vor dem vier rö­mi­sche Sol­da­ten zu zwei und zwei Wa­che hal­tend auf und nie­der schrit­ten, war nach dem Mee­re hin weit ge­öff­net. Die Skla­ven, die durch sein brei­tes Tor ins Freie tra­ten, muß­ten die Bret­ter, die sie auf den ge­scho­re­nen Köp­fen tru­gen und auf de­nen sil­ber­ne und gol­de­ne Schüs­seln, Tel­ler, Weinkrü­ge und Be­cher mit den Res­ten ei­ner Mahl­zeit stan­den, mit bei­den Hän­den fest­hal­ten, da­mit der Wind sie nicht zu Bo­den wehe. Das In­ne­re des Zel­tes war völ­lig schmuck­los.

Auf ei­nem Pols­ter an sei­ner rech­ten, vom Sturm be­weg­ten Wand lag der Kai­ser. Sei­ne blut­lo­sen Lip­pen wa­ren fest auf­ein­an­der ge­preßt, die Arme über der Brust ge­kreuzt und die Au­gen halb ge­schlos­sen. Aber er schlief nicht; denn manch­mal öff­ne­te sich sein Mund und zog sich hin und her, als hät­te er den Ge­schmack ei­ner Spei­se zu prü­fen. Bis­wei­len schlug er auch die lan­gen, mit klei­nen Fal­ten und bläu­li­chen Adern ganz über­zo­ge­nen Li­der der Au­gen auf, wand­te sie in die Höhe oder ließ den Blick zur Sei­te und nie­der­wärts nach der Mit­te des Zel­tes hin rol­len.

Dort lag auf dem mit blau­em Tu­che ver­bräm­ten Fel­le ei­nes ge­wal­ti­gen Bä­ren Ha­drians Lieb­ling An­ti­nous. Sein schö­nes Haupt ruh­te auf dem künst­lich er­hal­te­nen Kop­fe des von sei­nem Ge­bie­ter er­leg­ten Tie­res, sein rech­tes Bein spiel­te, ge­stützt von dem in die Höhe ge­zo­ge­nen lin­ken, frei in der Luft und sei­ne Hän­de be­schäf­tig­ten sich mit dem Mo­los­ser­hun­de des Kai­sers, der sei­nen klu­gen Kopf an die hoch­ge­wölb­te nack­te Brust des Jüng­lings ge­schmiegt hat­te und oft zu sei­nem wei­chen Mun­de hin­an­streb­te, um ihm sei­ne Zärt­lich­keit zu be­wei­sen. Aber An­ti­nous wehr­te ihn von sich ab, preß­te scher­zend die Schnau­ze des Tie­res mit den Hän­den zu­sam­men oder um­wi­ckel­te sein Haupt mit dem Ende des wei­ßen Pal­li­ums, das ihm von den Schul­tern ge­sun­ken war.

Dem Hun­de schi­en dies Spiel zu be­ha­gen; als der Jüng­ling aber ein­mal das Tuch fes­ter um sei­nen Kopf ge­schlun­gen hat­te und er sich ver­geb­lich be­müh­te, sich von der Hül­le zu be­frei­en, die ihm den Atem be­eng­te, heul­te er laut auf, und die­ser Kla­ge­ton ver­an­laß­te den Kai­ser, die Lage zu ver­än­dern und dem auf dem Bä­ren­fell Ru­hen­den einen miß­bil­li­gen­den Blick zu­zu­wer­fen, nur einen Blick, kein Wort des Ta­dels. Bald ver­än­der­te sich auch der Aus­druck in Ha­drians Auge, das sich mit so lie­be­vol­ler Auf­merk­sam­keit an die Ge­stalt des Jüng­lings hef­te­te, als sei sie ein ed­les, nie­mals ge­nug zu be­wun­dern­des Kunst­werk. Und wahr­lich, die Himm­li­schen hat­ten die­ses Men­schen­kin­des Leib zu ei­nem sol­chen ge­stal­tet! Wun­der­voll weich und doch kräf­tig war je­der Mus­kel an die­sem Hal­se, die­ser Brust, die­sen Ar­men und Bei­nen! Eben­mä­ßi­ger als das sei­ne konn­te kein Men­schen­ant­litz ge­schnit­ten sein.

An­ti­nous be­merk­te, daß der Ge­bie­ter sei­ne Auf­merk­sam­keit auf das Spiel mit dem Hun­de rich­te­te, ließ den Mo­los­ser los und wand­te das große, aber we­nig be­leb­te Auge dem Kai­ser zu.

»Was treibst du da?«, frag­te Ha­dri­an freund­lich.

»Nichts«, lau­te­te die Ant­wort.

»Nie­mand tut nichts. Wer es den­noch da­hin ge­bracht zu ha­ben meint, der denkt doch we­nigs­tens, daß er un­be­schäf­tigt sei, und den­ken ist viel.«

»Ich kann gar nicht den­ken.«

»Je­der­mann kann's, und ta­test du es jetzt eben nicht, dann hast du ge­spielt.«

»Ja, mit dem Hun­de.«

Bei die­ser Ant­wort ließ An­ti­nous die Füße zu Bo­den sin­ken, wehr­te das Tier ab und leg­te bei­de Hän­de un­ter das lo­cki­ge Haupt.

»Du bist müde?«, frag­te der Kai­ser.

»Ja?«

»Wir ha­ben bei­de den glei­chen Teil der Nacht durch­wacht, und ich, der um so viel Äl­te­re, füh­le mich mun­ter.«

»Du sag­test erst ges­tern, die al­ten Sol­da­ten taug­ten am bes­ten zum Nacht­dienst.«

Der Kai­ser nick­te und ver­setz­te da­bei:

»In dei­nen Jah­ren lebt man, so­lan­ge man wacht, drei­mal so schnell wie in mei­nen, dar­um braucht man wohl auch dop­pelt so lan­gen Schlaf. Du hast das Recht, müde zu sein. Frei­lich erst drei Stun­den nach Mit­ter­nacht er­stie­gen wir den Berg, und wie häu­fig en­det ein Gast­mahl weit spä­ter.«

»Es war kalt und un­freund­lich da oben!«

»Erst nach dem Auf­gang der Son­ne.«

»Vor­her be­merk­test du's nicht; denn du hat­test bis da­hin mit den Ster­nen zu tun.«

»Und du nur mit dir selbst, das ist rich­tig.«

»Ich dach­te auch an dei­ne Ge­sund­heit, als sich vor der Aus­fahrt des He­li­os die kal­te Luft er­hob.«

»Ich muß­te sein Er­schei­nen er­war­ten.«

»Er­kennst du auch an der Art und Wei­se des Son­nen­auf­gangs zu­künf­ti­ge Din­ge?«

Ha­dri­an schau­te den also Fra­gen­den be­frem­det an, schüt­tel­te ver­nei­nend das Haupt, blick­te zur De­cke des Zel­tes hin­auf und sag­te nach ei­ner län­ge­ren Pau­se in kur­z­en, von man­cher Ge­dan­ken­pau­se un­ter­bro­che­nen Sät­zen:

»Der Tag ist lau­ter Ge­gen­wart, und aus dem Dun­keln er­wächst Zu­künf­ti­ges; aus der Acker­schol­le er­steht das Korn, aus der fins­te­ren Wol­ke fließt der Re­gen, aus dem Mut­ter­scho­ße kom­men neue Ge­schlech­ter, im Schlaf er­neut sich die Fri­sche der Glie­der. Was aus dem dunklen Tode her­vor­geht, wer weiß es?«

Nach­dem der Kai­ser dann län­ge­re Zeit ge­schwie­gen hat­te, frag­te der Jüng­ling: »Aber wenn dich der Son­nen­auf­gang nichts Zu­künf­ti­ges lehrt, warum un­ter­brichst du dann so oft die nächt­li­che Ruhe und be­steigst die Ber­ge, um ihn zu se­hen?«

»Wa­rum? warum?«, gab Ha­dri­an lang­sam zu­rück, strich nach­denk­lich den er­grau­en­den Bart und fuhr wie im Selbst­ge­sprä­che fort:

»Dem Ver­stan­de fehlt auf die­se Fra­ge die Ant­wort, dem Mun­de das Wort, und stün­de es mir zur Ver­fü­gung, wer be­grif­fe mich wohl von dem Ge­sin­del? Mit Bil­dern kommt man bei sol­chen Fra­gen am wei­tes­ten. Wer am Le­ben teil­hat, ist ein Schau­spie­ler auf der Büh­ne der Welt. Wer groß sein will auf dem Thea­ter, der be­steigt den Ko­thurn, und ist ein Berg nicht die höchs­te Un­ter­la­ge, die der Mensch sei­ner Soh­le zu ge­ben ver­mag? Der Ka­si­us dort ist ein Hü­gel, aber ich habe auf ge­wal­ti­ge­ren Gip­feln ge­stan­den und un­ter mir wie Ju­pi­ter auf sei­nem Olymp die Wol­ken ge­schaut.«

»Du brauchst kei­ne Ber­ge zu er­stei­gen, um dich als Gott zu füh­len«, rief An­ti­nous. »Der Gött­li­che wirst du ge­nannt – du be­fiehlst, und die Welt muß ge­hor­chen. Mit dem Ber­ge un­ter sich ist man al­ler­dings dem Him­mel nä­her als in der Ebe­ne, aber …«

»Nun?«

»Ich ge­traue mich nicht her­aus­zu­sa­gen, was mir da ein­fiel.«

»Sprich nur.«

»Da war ein klei­nes Mäd­chen. Wenn ich das auf die Schul­ter nahm, so streck­te es gern den Arm hoch in die Höhe und sag­te: ›Ich bin so groß!‹ Es dach­te dann, es sei hö­her als ich, und war doch nur die klei­ne Pan­thea.«

»Aber in ih­rer Vor­stel­lung war sie die große, und das gibt den Aus­schlag; denn für je­den ist je­des Ding nur das, wo­für er es hält. – Ge­wiß, sie nen­nen mich gött­lich, aber ich füh­le doch täg­lich hun­dert­mal die Be­schränkt­heit der mensch­li­chen Kraft und Na­tur, über die ich nir­gends hin­aus kann. Auf der Spit­ze ei­nes Ber­ges emp­find' ich sie nicht. Da will es mir schei­nen, als wäre ich groß; denn nichts auf Er­den über­ragt mei­nen Schei­tel in der Nähe und Fer­ne. Und wenn dort vor mei­nen Bli­cken die Nacht ver­schwin­det, das Glanz­licht der jun­gen Son­ne die Welt neu für mich ge­biert, in­dem sie al­les noch jüngst vom Dun­kel Ver­schlun­ge­ne mei­ner Vor­stel­lung zu­rück­gibt, dann he­ben mir tiefe­re Atem­zü­ge die Brust, und die Lun­ge füllt sich gern mit der rei­ne­ren und leich­teren Luft der Höhe. Dort oben al­lein und in ein­sa­mer Stil­le be­rührt mich kei­ne Mah­nung an das Trei­ben da un­ten, füh­le ich mich eins mit der großen vor mir aus­ge­brei­te­ten Na­tur. Es kom­men und ge­hen die Wo­gen des Mee­res, es nei­gen und he­ben sich die Kro­nen der Bäu­me des Wal­des, Ne­bel und Düns­te und Wol­ken wal­len auf und ver­tei­len sich hier­hin und dort­hin, und ich füh­le mich da oben so ganz ver­schmol­zen mit dem Ge­schaf­fe­nen, das mich um­gibt, daß es mir oft­mals schei­nen will, als sei es mein Atem, der es be­wegt. Wie die Kra­ni­che und Schwal­ben, so zieht es auch mich in die Wei­te, und wo wäre es dem Auge wohl eher ge­stat­tet, das un­er­reich­ba­re Ziel we­nigs­tens ah­nend zu er­spä­hen, als auf dem Gip­fel ei­nes Ber­ges? Die un­be­grenz­te Fer­ne, die die See­le sucht, scheint hier eine mit dem Sin­nen er­faß­ba­re Form zu ge­win­nen, und der Blick be­rührt ihre Schran­ken. Er­wei­tert, nicht er­ho­ben nur fühlt sich da das gan­ze We­sen, und die Sehn­sucht, die ich, so­bald ich das Ge­wühl des Le­bens tei­le und die Sor­ge für den Staat mei­ne Kräf­te auf­ru­fen, füh­le, sie schwin­det … Aber das ver­stehst du nicht, Kna­be – das al­les sind Din­ge, die ich mit kei­nem an­de­ren Sterb­li­chen tei­le.«

»Nur mir ver­schmähst du nicht sie zu zei­gen«, rief An­ti­nous, der sich dem Kai­ser voll zu­ge­wandt und mit weit ge­öff­ne­ten Au­gen kei­nes sei­ner Wor­te ver­lo­ren hat­te.

»Dir?«, frag­te Ha­dri­an, und ein Lä­cheln, das nicht frei war von Spott, flog ihm um die Lip­pen. »Vor dir hab' ich so we­nig ein Ge­heim­nis wie vor dem Amor des Pra­xi­te­les in mei­nem Ar­beits­zim­mer zu Rom.«

Aus des Jüng­lings Her­zen stieg das Blut in die Wan­gen und färb­te sie mit flam­men­dem Pur­pur.

Der Kai­ser be­merk­te es und füg­te be­gü­ti­gend hin­zu:

»Du bist mir mehr als das Kunst­werk. Der Mar­mor kann nicht er­rö­ten. In der Zeit des Athe­ners re­gier­te die Schön­heit das Le­ben, du aber be­weist mir, daß es den Göt­tern ge­fällt, sie auch in un­se­rer heu­ti­gen Welt zu ver­kör­pern. Dein An­blick ver­söhnt mich mit den Dis­har­mo­ni­en des Da­seins. Es tut mir wohl, aber wie sollt' ich von dir ver­lan­gen, daß du mich ver­stehst? Dei­ne Stir­ne ward nicht zum Grü­beln ge­schaf­fen. Oder hät­test du ei­nes von mei­nen Wor­ten ver­stan­den?«

An­ti­nous stütz­te den Ober­kör­per auf die Lin­ke, und die Rech­te er­he­bend rief er ein ent­schie­de­nes »Ja«.

»Wel­ches?«, frag­te der Kai­ser.

»Ich ken­ne die Sehn­sucht.«

»Wo­nach?«

»Nach vie­len Din­gen.«

»Nen­ne mir ei­nes.«

»Ge­nuß, dem kei­ne Er­nüch­te­rung folgt; ich ken­ne kei­nen.«

»Die­sen Wunsch teilst du mit der gan­zen rö­mi­schen Ju­gend; sie pflegt sich nur den Nach­satz zu spa­ren. Wei­ter!«

»Ich darf nicht.«

»Wer ver­bie­tet dir, of­fen mit mir zu re­den?«

»Du ta­test es selbst.«

»Ich?«

»Ja, du; denn du un­ter­sag­test mir, dir von mei­ner Hei­mat, mei­ner Mut­ter, den Mei­nen zu spre­chen.«

Des Kai­sers Stirn fal­te­te sich, und ge­bie­te­risch fiel er ihm ins Wort:

»Ich bin dein Va­ter, und mir soll dei­ne gan­ze See­le ge­hö­ren.«

»Sie ist dein ei­gen«, ent­geg­ne­te der Jüng­ling, ließ sich auf das Bä­ren­fell zu­rück­fal­len und zog das Pal­li­um fest um sei­ne Schul­tern; denn ein Wind­stoß blies kalt durch das sich öff­nen­de Tor des Zel­tes, durch das Phle­gon, der Ge­heim­schrei­ber des Kai­sers, dem Ge­bie­ter ent­ge­gen­trat. Ihm folg­te ein Skla­ve mit meh­re­ren ver­sie­gel­ten Rol­len un­ter dem Arme.

»Ist es dir ge­nehm, Cäsar, daß wir die ein­ge­lau­fe­nen Schrif­ten und Brie­fe er­le­di­gen?«, frag­te der Be­am­te, des­sen schön ge­ord­ne­te Haa­re der See­wind zer­zaust hat­te.

»Ja; dann aber wol­len wir auf­zeich­nen, was ich in die­ser Nacht am Him­mel be­ob­ach­ten konn­te. Hast du die Ta­feln zur Hand?«

»Ich ließ sie in dem zur Ar­beit auf­ge­schla­ge­nen Zel­te aus­brei­ten, Cäsar.«

»Der Sturm ist hef­tig ge­wor­den?«

»Er scheint zu­gleich von Os­ten und Nor­den zu we­hen. Die See geht sehr hoch. Die Kai­se­rin wird eine schlim­me Über­fahrt ha­ben.«

»Wann brach sie auf?«

»Ge­gen Mit­ter­nacht wur­den die An­ker ge­lich­tet. Das Schiff, mit dem sie aus Alex­an­dria ge­holt ward, ist ein schö­nes Fahr­zeug, aber es rollt in un­an­ge­neh­mer Wei­se von der einen Sei­te zur an­de­ren.«

Ha­dri­an lach­te bei die­sen Wor­ten mit schnei­di­ger Schär­fe auf und rief:

»Das wird ihr das Herz und den Ma­gen von oberst zu un­terst keh­ren. Ich wünsch­te, ich könn­te da­bei sein! Aber nein – bei al­len Göt­tern nein, ich woll­te es nicht! Heu­te ver­gißt sie si­cher sich zu schmin­ken. Und wer baut ihr die Haa­re auf, wenn auch ihre Frau­en das Schick­sal er­eilt? Wir blei­ben heu­te hier; denn tref­fe ich sie bald nach ih­rer An­kunft in Alex­an­dria, so ist sie lau­ter Gal­le und Es­sig.«

Ha­dri­an er­hob sich bei die­sen Wor­ten vom La­ger und trat, in­dem er An­ti­nous mit der Hand grüß­te, dem Ge­heim­schrei­ber vor­an ins Freie.

Dem Ge­sprä­che des Günst­lings mit dem Ge­bie­ter hat­te als Drit­ter vom Hin­ter­grun­de des Zel­tes aus der Ja­zy­gier Mas­tor bei­ge­wohnt. Er war Skla­ve und wur­de dar­um so we­nig be­ach­tet wie der mo­los­si­sche Hund, der Ha­dri­an ge­folgt war, oder das Pols­ter, auf dem der Kai­ser ge­le­gen.

Der hüb­sche, gut ge­wach­se­ne Mann dreh­te eine Zeit­lang die En­den sei­nes lan­gen röt­li­chen Schnurr­bar­tes, strich sich mit der Hand über den run­den, kurz ge­scho­re­nen Schä­del, zog den of­fe­nen Chi­ton über die in be­son­ders hel­lem Weiß schim­mern­de Brust zu­sam­men und ver­wand­te da­bei kei­nen Blick von An­ti­nous, der sich um­ge­kehrt hat­te und das Ant­litz samt den Hän­den, die es be­deck­ten, in das Fell am Hin­ter­haup­te des Bä­ren drück­te.

Mas­tor hat­te ihm et­was zu sa­gen, aber er wag­te es nicht, ihn an­zu­ru­fen, denn der Günst­ling war un­be­re­chen­bar in sei­nem Ver­hal­ten ge­gen ihn. Manch­mal hör­te er ihm ger­ne zu und sprach mit ihm wie mit ei­nem Freun­de, manch­mal wies er ihn här­ter zu­rück als ein stren­ger Em­por­kömm­ling den un­ters­ten Die­ner. End­lich faß­te der Skla­ve sich ein Herz und rief den Jüng­ling an; denn es schi­en ihm leich­ter, Schelt­wor­te hin­zu­neh­men, als einen schon in Wor­te um­ge­setz­ten, warm emp­fun­de­nen Ge­dan­ken, so klein er auch sein moch­te, in sich zu ver­schlie­ßen.

An­ti­nous hob das Haupt ein we­nig über die Hän­de em­por und frag­te:

»Was willst du?«

»Ich woll­te dir nur sa­gen«, ent­geg­ne­te der Ja­zy­gier, »daß ich weiß, wer das klei­ne Mäd­chen war, das du dir manch­mal auf die Schul­tern setz­test. Nicht wahr, es ist dein Schwes­ter­chen ge­we­sen, von dem du mir neu­lich er­zähl­test?«

Der also An­ge­re­de­te nick­te mit dem Kop­fe, ver­grub ihn wie­der­um in die Hän­de, und sei­ne Schul­tern flo­gen so leb­haft auf und nie­der, daß es aus­sah, als ob er wei­ne.

Da schwieg Mas­tor ei­ni­ge Mi­nu­ten. Dann trat er An­ti­nous nä­her und sag­te:

»Du weißt, ich habe einen Sohn und ein Töch­ter­chen zu Hau­se, und ich höre gern von klei­nen Mäd­chen er­zäh­len. Wir sind bei­de al­lein, und wenn dir's die See­le er­leich­tert …«

»Laß nur, ich habe dir schon zehn­mal von mei­ner Mut­ter und der klei­nen Pan­thea er­zählt«, ent­geg­ne­te An­ti­nous, in­dem er sich ge­faßt zu er­schei­nen be­müh­te.

»So tue es heu­te ge­trost zum elf­ten Male«, bat der Skla­ve. »Ich kann im La­ger und in der Kü­che über die Mei­nen so viel spre­chen, wie ich nur will. Aber du? Wie hieß gleich das Hünd­chen, dem die klei­ne Pan­thea die rote Kap­pe näh­te?«

»Kal­lis­te nann­ten wir's«, rief An­ti­nous und wisch­te die Au­gen mit dem Rücken der Hand. »Mein Va­ter woll­te es nicht dul­den, wir aber ge­wan­nen die Mut­ter. Ich war ihr Lieb­ling, und wenn ich sie um­faß­te und mit bei­den Au­gen bit­tend zu ihr auf­sah, so sag­te sie ›Ja‹ zu al­lem, um was ich sie bat.«

Ein fro­her Glanz leuch­te­te aus dem mü­den Auge des Jüng­lings, er hat­te an eine Rei­he von Freu­den ge­dacht, auf die kei­ne Er­nüch­te­rung ge­folgt war.

Zweites Kapitel

Ei­ner der von den pto­le­mäi­schen Fürs­ten in Alex­an­dria er­bau­ten Kö­nigs­pa­läs­te lag auf der Land­zun­ge Lo­chi­as, die sich wie ein nach Nor­den wei­sen­der Fin­ger in das blaue Meer hin­aus­streck­te. Sie bil­de­te die öst­li­che Gren­ze des großen Ha­fens. Es fehl­te ihm nie­mals an zahl­rei­chen Fahr­zeu­gen je­der Art, heu­te aber war er be­son­ders reich be­setzt und die mit ge­glät­te­ten Stein­plat­ten ge­pflas­ter­te Kai­stra­ße, die aus dem vom Meer be­spül­ten Palast­vier­tel der Stadt, dem so­ge­nann­ten Bru­chi­um, zu der Land­zun­ge führ­te, war so über­füllt von neu­gie­ri­gen Bür­gern zu Fuß und zu Wa­gen, daß die­se, be­vor sie den Pri­vat­ha­fen der kai­ser­li­chen Schif­fe er­reicht hat­ten, die Fahrt un­ter­bre­chen muß­ten.

Es gab aber auch Un­ge­wöhn­li­ches an dem Lan­dungs­plat­ze zu se­hen; denn da la­gen, von ho­hen Mo­len ge­schützt, die präch­ti­gen Drei­ru­de­rer, Ga­lee­ren, Lang- und Last­schif­fe, die die Gat­tin des Ha­dri­an und das Ge­fol­ge des Herr­scher­paa­res nach Alex­an­dria ge­bracht hat­ten. Ein mäch­ti­ges Fahr­zeug mit ei­nem sehr ho­hen Ka­jü­ten­hau­se auf dem Hin­ter­deck und dem Kopf ei­ner Wöl­fin am baum­ho­hen, kühn ge­schwun­ge­nen Schna­bel er­reg­te die größ­te Auf­merk­sam­keit. Es war ganz aus Ze­dern­holz ge­ar­bei­tet, reich mit Bron­ze und El­fen­bein­zie­rat ge­schmückt und hieß »Sa­bi­na«. Ein jun­ger Bür­ger wies mit dem Fin­ger auf die­sen am Stern des Schif­fes mit gol­de­nen Let­tern an­ge­brach­ten Na­men, stieß sei­ne Beglei­ter an und sag­te la­chend:

»Sa­bi­na hat den Kopf ei­ner Wöl­fin.«

»Ein Pfau­en­kopf wür­de bes­ser pas­sen. Sahst du sie ges­tern ins Cäsa­re­um fah­ren?«, ent­geg­ne­te der an­de­re.

»Lei­der«, rief der ers­te­re, schwieg aber so­gleich, als er dicht hin­ter sich einen rö­mi­schen Lik­tor be­merk­te, der ein schön zu­sam­men­ge­schnür­tes Bün­del von Ul­men­ru­ten, die Fas­zes, auf der lin­ken Schul­ter trug und mit dem Stöck­lein in der rech­ten Hand, un­ter­stützt von sei­nen Ge­nos­sen, die Men­ge zu zer­tei­len und Platz für den Wa­gen sei­nes Ge­bie­ters, des kai­ser­li­chen Prä­fek­ten Ti­tia­nus, zu schaf­fen such­te, der ihm in lang­sa­mem Schrit­te folg­te.

Der hohe Be­am­te hat­te die lo­sen Wor­te der Bür­ger ver­nom­men und sag­te, in­dem er sich an den ne­ben ihm ste­hen­den Mann wand­te und das Ende der Toga mit ei­nem ra­schen Wur­fe in neue Fal­ten brach­te:

»Wun­der­li­ches Volk! Ich kann ihm nicht gram sein, aber ich rit­te lie­ber auf ei­nem Mes­ser als auf ei­ner alex­an­dri­ni­schen Zun­ge von hier nach Ka­no­pus.«

»Hör­test du, was der Di­cke vor­hin über Ve­rus sag­te?«

»Der Lik­tor woll­te ihn fas­sen, aber mit Stren­ge kommt man bei ih­nen zu gar nichts. Müß­ten sie für je­des gif­ti­ge Wort nur einen Ses­terz zah­len, ich sage dir, Pon­ti­us, die Stadt wür­de ver­ar­men und un­ser Schatz bald vol­ler sein als der des al­ten Gy­ges von Sar­des.«

»Laß sie reich blei­ben«, rief der an­de­re, der Ober­bau­meis­ter der Stadt, ein Mann von ei­ni­gen drei­ßig Jah­ren mit hoch­ge­wölb­ten, tat­kräf­tig drein­schau­en­den Au­gen, und fuhr, in­dem er die Rol­le, die er in der Hand hielt, kräf­tig zu­sam­men­faß­te, mit tiefer Baß­stim­me fort: »Sie ver­ste­hen zu ar­bei­ten und Schweiß ist sal­zig. Beim Schaf­fen för­dern, in der Ruhe bei­ßen sie ein­an­der wie über­mü­ti­ge Ros­se an der glei­chen Stan­ge. Der Wolf ist ein statt­li­ches Tier, aber brich ihm die Zäh­ne aus, so wird er zum gars­ti­gen Hun­de.«

»Mir aus der See­le ge­spro­chen«, rief der Prä­fekt. »Aber da sind wir. Ewi­ge Göt­ter, so schlimm hab' ich mir das Ding doch nicht ge­dacht. Von wei­tem sah es im­mer noch statt­lich ge­nug aus!«

Ti­tia­nus und der Bau­meis­ter stie­gen vom Wa­gen. Je­ner be­fahl ei­nem Lik­tor, den Vor­ste­her des Palas­tes zu ru­fen, und be­sich­tig­te dann mit dem Beglei­ter zu­erst die in den Palast füh­ren­de Pfor­te. Sie bot mit den dop­pel­ten Säu­len, die den ho­hen Gie­bel tru­gen, einen ma­je­stä­ti­schen An­blick, aber sie bot einen kei­nes­wegs freund­li­chen An­blick; denn der Stuck war an vie­len Stel­len von den Wän­den ge­fal­len, die Ka­pi­tä­le der mar­mor­nen Säu­len wa­ren kläg­lich ver­stüm­melt, und die ho­hen, mit Me­tall be­schla­ge­nen Türflü­gel hin­gen schief in den An­geln.

Pon­ti­us maß je­den Teil der Pfor­te scharf prü­fen­den Blickes und trat dann mit dem Prä­fek­ten in den ers­ten Hof des Palas­tes, in dem zur Zeit der pto­le­mäi­schen Fürs­ten die Zel­te der Ge­sand­ten, Schrei­ber und dienst­tu­en­den Be­am­ten der Kö­ni­ge ge­stan­den hat­ten.

Dort stell­te sich den bei­den ein un­ver­mu­te­tes Hin­der­nis ent­ge­gen, denn von dem Häu­schen aus, in dem der Tor­hü­ter wohn­te, wa­ren meh­re­re Stri­cke quer über den ge­pflas­ter­ten Raum ge­spannt, auf dem Gras grün­te und hohe Dis­teln blüh­ten.

An den Sei­len hing feuch­te Wä­sche von je­der Grö­ße und Form.

»Ein hüb­sches Quar­tier für den Kai­ser«, seufz­te Ti­tia­nus, die Ach­seln zu­ckend, und wehr­te dem Lik­tor, der die Fas­zes er­ho­ben hat­te, um die Stri­cke zu Bo­den zu schla­gen.

»Ist nicht so schlimm, wie es aus­sieht«, sag­te der Bau­meis­ter ent­schie­den. »Tor­hü­ter! He, Tor­hü­ter! Wo steckt nur der Nichts­tu­er?«

Wäh­rend er rief und der Lik­tor in das In­ne­re des Palas­tes eil­te, schritt Pon­ti­us auf das Häu­schen des Wäch­ters zu und blieb, nach­dem er sich in ge­bück­ter Stel­lung einen Weg durch die feuch­ten Tü­cher ge­bahnt hat­te, ste­hen. Un­ge­duld und Ver­druß hat­ten sich, seit­dem er die Schwel­le des To­res über­schrit­ten, auf sei­nen Zü­gen ge­spie­gelt, jetzt aber be­gann sein kräf­ti­ger Mund zu lä­cheln und mit halb­lau­ter Stim­me rief er dem Prä­fek­ten zu:

»Ti­tia­ne, gib dir die Mühe!«

Dem al­tern­den Wür­den­trä­ger, des­sen hohe Ge­stalt die des Bau­meis­ters um ei­nes vol­len Haup­tes Län­ge über­rag­te, wur­de es nicht eben leicht, mit ge­krümm­tem Rücken un­ter den Sei­len da­hin­zu­schrei­ten. Aber er tat es mit gu­ter Lau­ne, und in­dem er sorg­lich ver­mied, die Wä­sche her­un­ter­zu­rei­ßen, rief er Pon­ti­us zu: »Ich be­gin­ne die Kin­der­hem­den zu ach­ten. Un­ter ih­nen kommt man doch mit un­ge­bro­che­nem Rück­grat hin­durch. – Ach, ach! Das ist köst­lich!«

Die­ser Ruf galt dem An­blick, zu dem der Bau­meis­ter den Prä­fek­ten ge­la­den und der al­ler­dings ei­gen­tüm­lich ge­nug war.

Die Vor­der­sei­te des Tor­hü­ter­häus­chens war ganz mit Efeu um­wach­sen, der auch das Fens­ter und die Tür der Wäch­ter­woh­nung mit vol­len Ran­ken ein­rahm­te. Zwi­schen dem grü­nen Laub­wer­ke hin­gen zahl­rei­che Kä­fi­ge mit Sta­ren, Am­seln und klei­ne­ren Sing­vö­geln. Die brei­te Pfor­te des Häu­schens stand weit ge­öff­net und ge­stat­te­te, ein ziem­lich ge­räu­mi­ges, hei­ter be­mal­tes Zim­mer ganz zu über­bli­cken. Im Hin­ter­grün­de die­ses Ge­ma­ches sah man das Ton­mo­dell ei­nes Apol­lo von vor­treff­li­cher Ar­beit. Über und ne­ben ihm hin­gen an der Wand Lau­ten und Lei­ern von ver­schie­de­ner Grö­ße und Form.

In der Mit­te des Zim­mers und dicht ne­ben der ge­öff­ne­ten Tür war ein Tisch zu se­hen, auf dem ein großer Vo­gel­bau­er mit meh­re­ren Nes­tern voll jun­ger Stieg­lit­ze und mit grü­nem Kraut zwi­schen den rund­li­chen Stäb­chen, ein großer Wein­krug und ein mit fein ge­schnitz­tem Bild­werk ge­schmück­ter el­fen­bei­ner­ner Be­cher stand. Ne­ben dem Trink­ge­schir­re ruh­te auf der stei­ner­nen Plat­te der Ta­fel der Arm ei­ner ält­li­chen Frau, die in ih­rem Lehn­ses­sel ein­ge­schla­fen war. Trotz des klei­nen grau­en Schnurr­barts an der Ober­lip­pe und des kräf­ti­gen Rots auf der Stirn und den Wan­gen sah sie freund­lich und gut aus. Es muß­te ihr auch et­was sehr An­ge­neh­mes träu­men; denn die Stel­lung ih­res Mun­des und der Au­gen, von de­nen das eine halb of­fen, das an­de­re fest ver­schlos­sen war, ga­ben ihr das An­se­hen, als ob sie sich freu­te.

In ih­rem Scho­ße schlief eine graue Kat­ze und ne­ben ihr, als mei­de die Zwie­tracht dies hei­te­re Ge­mach, das kei­nes­wegs der Ge­ruch der Ar­mut, son­dern ein an­ge­neh­mer, ei­gen­tüm­li­cher Duft er­füll­te, ein klei­ner, zot­ti­ger Hund, der das schne­ei­ge Weiß sei­nes Fel­les si­cher­lich be­son­ders sorg­sa­mer Pfle­ge ver­dank­te. Zwei an­de­re, dem ers­te­ren ähn­li­che Hünd­lein la­gen lang aus­ge­streckt auf dem Estrich zu Fü­ßen der Al­ten und schie­nen nicht we­ni­ger fest als die­se zu schla­fen.

Der Bau­meis­ter wies, so­bald der Prä­fekt ihn er­reicht hat­te, mit dem Fin­ger in dies Stil­le­ben hin­ein und flüs­ter­te:

»Hät­ten wir hier einen Ma­ler, das gäbe ein präch­ti­ges Bild­chen.«

»Un­ver­gleich­lich!«, gab Ti­tia­nus zu­rück. »Nur scheint mir das tie­fe In­kar­nat auf dem Ant­litz der Al­ten mit Hin­blick auf die Grö­ße des ne­ben ihr ste­hen­den Wein­kru­ges ein we­nig be­denk­lich.«

»Aber sahst du je­mals ein fried­vol­ler, freund­li­cher ge­stimm­tes Bild­nis?«

»So hat Bau­cis ge­schla­fen, wenn Phi­le­mon sich ein­mal einen Aus­gang er­laub­te. Oder war die­ser an­häng­li­che Gat­te im­mer zu Hau­se?«

»Wahr­schein­lich. Aber nun ist's vor­bei mit dem Frie­den.«

Die Nähe der Freun­de hat­te das eine Hünd­chen er­weckt. Es schlug an, und so­gleich er­ho­ben sich sei­ne Ge­fähr­ten und bell­ten mit ihm um die Wet­te. Auch der Lieb­ling der Al­ten sprang ihr vom Schö­ße. Sei­ne Her­rin und die Kat­ze lie­ßen sich in­des­sen von die­sem Lärm nicht stö­ren und schlie­fen wei­ter.

»Eine Wäch­te­rin wie sie sein soll«, lach­te der Archi­tekt.

»Und die­se Pha­lanx von Hun­den, wel­che den Palast ei­nes Kai­sers be­wacht«, füg­te Ti­tia­nus hin­zu, »läßt sich leicht mit ei­nem Schla­ge er­le­gen. Gib acht, jetzt er­wacht die wür­di­ge Ma­tro­ne.«

Die Alte war in der Tat von dem Ge­bell der Hun­de ge­stört wor­den, hat­te sich ein we­nig auf­ge­rich­tet, die Hän­de er­ho­ben und sich dann, in­dem sie einen kur­z­en Satz halb sang, halb sprach, wie­der in den Lehn­stuhl zu­rück­ge­wor­fen.

»Das ist köst­lich«, rief der Prä­fekt. »Nur im­mer mun­ter, hat sie aus dem Schla­fe ge­ru­fen. Wie sich dies selt­sa­me Men­schen­kind wohl aus­neh­men mag, wenn es wach ist?«

»Mir wär' es leid, die Alte aus ih­rem Nes­te zu trei­ben«, sag­te der Bau­meis­ter, in­dem er die Rol­le ent­fal­te­te.

»Du rührst mir nicht an das Häu­schen«, rief der Prä­fekt mit le­ben­di­gem Ei­fer. »Ich ken­ne Ha­dri­an. Er liebt so ei­gen­tüm­li­che Din­ge und Men­schen, und ich wet­te, daß er mit der Al­ten in sei­ner Wei­se an­bin­den wird. Da kommt wohl end­lich der Ver­wal­ter die­ses Palas­tes.«

Der Prä­fekt irr­te sich nicht; denn die ra­schen Schrit­te, de­ren Na­hen er ver­nom­men hat­te, gin­gen von dem Er­war­te­ten aus.

Schon aus ei­ni­ger Ent­fer­nung hör­te man das Keu­chen des sich be­ei­len­den Man­nes, der auf dem wei­te­ren Gan­ge, be­vor Ti­tia­nus es hin­dern konn­te, die über den Hof ge­spann­ten Stri­cke mit­samt der an ih­nen hän­gen­den Wä­sche zu Bo­den riß.

Nach­dem der Vor­hang ge­fal­len war, der ihn von dem Ver­tre­ter des Kai­sers und sei­nem Beglei­ter trenn­te, ver­neig­te er sich so tief wie vor je­nem, wie dies die große Fül­le sei­nes Lei­bes ge­stat­te­te. Aber der schnel­le Lauf, die Ge­walt­tat, die er be­gan­gen, und sei­ne Über­ra­schung über das Er­schei­nen des mäch­tigs­ten Man­nes am Nil in dem sei­ner Ob­hut an­ver­trau­ten Ge­bäu­de be­raub­ten ihn so ganz des oh­ne­hin nicht aus­gie­bi­gen Atems, daß er selbst den her­kömm­li­chen Gruß nicht zu stam­meln ver­moch­te.

Ti­tia­nus ließ ihm auch we­nig Zeit; denn, nach­dem er dem Be­dau­ern über das schlim­me Schick­sal der am Bo­den lie­gen­den Wä­sche Aus­druck ge­ge­ben und dem Be­am­ten den Na­men und Be­ruf sei­nes Freun­des Pon­ti­us ge­nannt hat­te, er­öff­ne­te er ihm in knap­pen Wor­ten, daß der Kai­ser wün­sche, in dem von ihm ge­hü­te­ten Palas­te zu woh­nen, daß er, Ti­tia­nus, Kennt­nis von sei­ner schlech­ten Er­hal­tung be­sit­ze und ge­kom­men sei, um mit dem Archi­tek­ten und ihm zu be­ra­ten, was in we­ni­gen Ta­gen ge­sche­hen könn­te, um das ver­nach­läs­sig­te Schloß für Ha­dri­an be­wohn­bar zu ma­chen und we­nigs­tens die ins Auge fal­len­den Schä­den aus­zu­bes­sern. Er, der Ver­wal­ter, möge ihn nun von ei­nem Raum in den an­de­ren füh­ren.

»So­gleich – so­fort«, ent­geg­ne­te der in vie­len Jah­ren der Ruhe zu sei­nem schwe­ren Kör­per­ge­wicht ge­lang­te Grie­che. »Ich eile und hole die Schlüs­sel!«

Wäh­rend er sich keu­chend ent­fern­te, lo­cker­te er mit schnel­len Be­we­gun­gen der kur­z­en, run­den Fin­ger die rech­te Sei­te des im­mer noch vol­len Haa­res auf.

Pon­ti­us schau­te ihm nach und sag­te:

»Ruf ihn zu­rück, Ti­tia­nus. Er wur­de beim Bren­nen sei­ner Lo­cken ge­stört. Nur die eine Sei­te war fer­tig, als der Lik­tor ihn ab­rief. Ich bie­te mei­nen Kopf zum Pfan­de, daß er auch die an­de­re kräu­seln läßt, be­vor er zu­rück­kehrt. Ich ken­ne mei­ne Grie­chen!«

»Laß ihn!«, ent­geg­ne­te Ti­tia­nus. »Schät­zest du ihn rich­tig, so wird er doch erst ohne Ne­ben­ge­dan­ken auf un­se­re Fra­gen ein­ge­hen, wenn auch die an­de­re Hälf­te des Haa­res ge­lockt ist. Ich weiß gleich­falls mei­ne Hel­le­nen zu neh­men.«

»Bes­ser als ich, wie ich sehe«, ver­setz­te der Archi­tekt im Tone fes­ter Über­zeu­gung. »Ein Staats­mann ar­bei­tet eben mit Men­schen, wie wir mit leb­lo­sen Mas­sen. Sahst du, wie der Di­cke er­bleich­te, als du von den we­ni­gen Ta­gen sprachst, nach de­ren Ablauf der Kai­ser hier den Ein­zug zu hal­ten ge­denkt? Es muß schön in dem al­ten Din­ge dort aus­se­hen! Jede Stun­de ist kost­bar, und wir ha­ben hier schon zu lan­ge ge­säumt.«

Der Prä­fekt nick­te dem Bau­meis­ter bei­stim­mend zu und folg­te ihm in die in­ne­ren Räu­me des Schlos­ses.

Wie groß, wie har­mo­nisch war die An­la­ge die­ses un­ge­heu­ren Bau­es, durch den der nun­mehr rings von schö­nen Lo­cken ge­schmück­te Palast­vor­ste­her Kerau­nus die Rö­mer führ­te!

Der Palast stand auf ei­nem künst­li­chen Hü­gel in­mit­ten der Land­zun­ge Lo­chi­as, und von man­chem Fens­ter und man­chem Al­ta­ne aus lie­ßen sich die Stra­ßen und Plät­ze, die Häu­ser, Tem­pel und öf­fent­li­chen Bau­ten der Welt­stadt und ihr von Schif­fen wim­meln­der Ha­fen schön über­bli­cken. Reich, man­nig­fal­tig und viel­far­big war die Aus­sicht von der Lo­chi­as nach Wes­ten und Sü­den; wer aber von dem Al­tan des Pto­le­mä­er­pa­las­tes nach Mor­gen und Mit­ter­nacht schau­te, vor dem er­öff­ne­te sich der nie­mals er­mü­den­de Blick über die nur vom Him­mels­ge­wöl­be be­grenz­te un­end­li­che See.

Als Ha­dri­an vom Ka­si­schen Ber­ge aus sei­nem Prä­fek­ten Ti­tia­nus durch einen ei­len­den Bo­ten be­foh­len hat­te, ge­ra­de dies Bau­werk zu sei­nem Empfang ein­rich­ten zu las­sen, wuß­te er wohl, was sei­ne Lage ihm bie­ten konn­te; – das ver­nach­läs­sig­te In­ne­re des seit dem Stur­ze Kleo­pa­tras un­be­wohn­ten Schlos­ses ge­nü­gend her­zu­stel­len, war die Sa­che sei­ner Be­am­ten.

Acht, viel­leicht neun Tage ließ er ih­nen Zeit, we­nig mehr als eine Wo­che! Und wie fan­den Ti­tia­nus und Pon­ti­us, dem beim Se­hen und Zeich­nen, Un­ter­su­chen und Schrei­ben der hel­le Schweiß von der Stirn rann, die­se ver­kom­me­ne, aus­ge­plün­der­te Stät­te des höchs­ten Glan­zes!

Die Säu­len und Trep­pen in den In­nen­räu­men wa­ren er­träg­lich er­hal­ten, aber in die of­fe­nen De­cken der Fest- und Ver­samm­lungs­sä­le hat­te es hin­ein­ge­reg­net, die herr­li­chen Mo­sa­ik­fuß­bö­den wa­ren hier aus­ein­an­der­ge­wi­chen, dort sproß mit­ten in ei­nem Saal, ei­ner Hal­le oder ei­nem Säu­len­ho­fe eine klei­ne Wie­se; denn schon Ok­ta­via­nus Au­gus­tus, Ti­be­ri­us, Ve­spa­si­an, Ti­tus und eine gan­ze Rei­he von Prä­fek­ten hat­ten die schöns­ten mu­si­vi­schen Bil­der aus dem be­rühm­ten Pto­le­mä­er­pa­last auf der Lo­chi­as sorg­fäl­tig aus­bre­chen und nach Rom oder in die Pro­vinz brin­gen las­sen, um dort ihre Stadt­häu­ser oder Vil­len mit ih­nen zu zie­ren.

Eben­so war es ge­ra­de den schöns­ten Bild­säu­len er­gan­gen, mit de­nen vor ei­ni­gen hun­dert Jah­ren die kunst­sin­ni­gen La­gi­den die­sen Palast, ne­ben dem sie frei­lich noch an­de­re grö­ße­re im Bru­chi­um be­sa­ßen, ge­schmückt hat­ten.

Mit­ten in ei­ner wei­ten Mar­mor­hal­le stand ein mit dem vor­treff­li­chen Aquä­dukt der Stadt zu­sam­men­hän­gen­der, herr­lich ge­ar­bei­te­ter Spring­brun­nen. Der Zug­wind ström­te in die­sen Saal ein und peitsch­te das Was­ser in stür­mi­schen Ta­gen über sei­nen gan­zen, des mu­si­vi­schen Schmuckes be­raub­ten Bo­den, der nun, wo­hin auch der Fuß trat, mit ei­nem dün­nen, dun­kel­grü­nen, schlüpf­rig feuch­ten Über­zug von moo­si­gen Pflan­zen­ge­we­ben be­deckt war.

In die­ser Hal­le war es, wo der Palast­vor­ste­her Kerau­nus sich keu­chend an eine Wand lehn­te und, die Stirn trock­nend, mehr schnauf­te als sag­te: »An­ge­langt – am Ende!«

Die­se Wor­te hör­ten sich an, als mei­ne er sein ei­ge­nes Ende, nicht das des Palas­tes, und es klang wie ein ge­gen ihn ge­rich­te­ter Hohn, als der Bau­meis­ter Pon­ti­us un­ge­säumt mit der ihm ei­ge­nen Ent­schie­den­heit ent­geg­ne­te:

»Gut, so kön­nen wir die Un­ter­su­chung von hier aus so­gleich von neu­em be­gin­nen.«

Kerau­nus wi­der­sprach nicht, als er aber der vie­len wie­der­um zu er­stei­gen­den Trep­pen ge­dach­te, sah er aus, als habe man ihm das To­des­ur­teil ge­spro­chen.

»Ist es nö­tig, daß ich auch bei dei­ner wei­te­ren Ar­beit, die doch wohl das ein­zel­ne ins Auge faßt, bei dir blei­be?«, frag­te der Prä­fekt den Bau­meis­ter.

»Nein«, ent­geg­ne­te die­ser, »vor­aus­ge­setzt frei­lich, daß du dich be­quemst, gleich jetzt in mei­nen Plan zu schau­en, dich im gan­zen von dem, was ich vor­ha­be, zu un­ter­rich­ten und mir Voll­macht zu er­tei­len, in je­dem ein­zel­nen Fal­le über Men­schen und Mit­tel frei zu ver­fü­gen.«

»Zu­ge­stan­den«, ent­geg­ne­te Ti­tia­nus. – »Ich weiß, daß Pon­ti­us kei­nen Mann und kei­nen Ses­terz mehr oder we­ni­ger in An­spruch neh­men wird, als der Zweck es ge­bie­tet.«

Der Bau­meis­ter ver­neig­te sich schwei­gend, Ti­tia­nus aber fuhr fort:

»Vor al­len Din­gen: glaubst du in acht Ta­gen und neun Näch­ten mit dei­ner Auf­ga­be zu Ende zu kom­men?«

»Zur Not – viel­leicht. – Stün­den mir nur vier Tage mehr zur Ver­fü­gung, wahr­schein­lich.«

»Es wür­de also gel­ten, Ha­drians An­kunft um vier­mal vier­und­zwan­zig Stun­den zu ver­zö­gern.«

»Sen­de ihm an­re­gen­de Leu­te, etwa den Astro­no­men Pto­le­mä­us und den So­phis­ten Fa­vor­i­nus, der ihn hier er­war­tet, nach Pe­lu­si­um ent­ge­gen. Sie brin­gen es fer­tig, ihn dort auf­zu­hal­ten.«

»Kein üb­ler Ge­dan­ke! Wir wol­len se­hen. Aber wer kann mit den Stim­mun­gen der Kai­se­rin rech­nen? Den­ke in je­dem Fal­le, du hät­test nur über acht Tage zu ge­bie­ten.«

»Gut.«

»Wo hoffst du Ha­dri­an un­ter­brin­gen zu kön­nen?«

»Brauch­bar im ei­gent­li­chen Sin­ne sind nur klei­ne Tei­le des al­ten Ge­bäu­des.«

»Da­von muß­te ich mich lei­der selbst über­zeu­gen«, er­wi­der­te der Prä­fekt mit Nach­druck und fuhr, in­dem er sich an den Vor­ste­her wand­te, nicht streng ver­wei­send, doch im Ton des Be­dau­erns fort:

»Mir will es schei­nen, Kerau­nus, als wäre es dei­ne Pf­licht ge­we­sen, mich schon frü­her über den Ver­fall die­ses Bau­werks in Kennt­nis zu set­zen.«

»Ich klag­te be­reits«, ent­geg­ne­te der An­ge­re­de­te, »aber ich er­hielt auf mei­ne Ein­ga­be zur Ant­wort, es stün­den kei­ne Mit­tel zur Ver­fü­gung.«

»Ich weiß nichts von die­ser Sa­che«, rief Ti­tia­nus. »Wann sand­test du dein Ge­such auf die Prä­fek­tur?«

»Un­ter dei­nem Vor­gän­ger Ha­te­ri­us Nepos ge­sch­ah es.«

»So –« ent­geg­ne­te der Prä­fekt ge­dehnt. »Da­mals! Ich an dei­ner Stel­le hät­te mei­ne Ein­ga­be in je­dem Jah­re und un­be­dingt beim Amts­an­tritt des neu­en Prä­fek­ten wie­der­holt. Aber wir ha­ben jetzt kei­ne Zeit, über Ver­säum­tes zu kla­gen. Wäh­rend der An­we­sen­heit des Kai­sers sen­de ich viel­leicht einen mei­ner Be­am­ten zu dei­ner Un­ter­stüt­zung hier­her.«

Da­bei wand­te Ti­tia­nus dem Ver­wal­ter kurz den Rücken und frag­te den Bau­meis­ter:

»Nun, mein Pon­ti­us, wel­chen Teil des Palas­tes hast du ins Auge ge­faßt?«

»Die in­ne­ren Säle und Zim­mer sind noch am bes­ten er­hal­ten.«

»Aber an sie dür­fen wir am we­nigs­ten den­ken!«, rief Ti­tia­nus. »Der Kai­ser ist im La­ger mit al­lem zu­frie­den, doch wo es freie Luft gibt und einen Blick in die Fer­ne, da muß er sie ha­ben.«

»So wäh­len wir die west­li­che Zim­mer­rei­he. Hal­te den Plan, mein statt­li­cher Freund.«

Der Ver­wal­ter tat, wie ihm ge­hei­ßen. Der Bau­meis­ter er­griff den Stift, strich mit ihm kräf­tig durch die Luft über die lin­ke Sei­te des Ris­ses und sag­te:

»Dies ist die Abend­front des Palas­tes, die man vom Ha­fen aus über­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­1­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­