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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-894-2
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Davis J. Harbord

Himmlische
Ritter der Tiefe

Der Große Kapitän gab den Befehl – und sie führten ihn aus

Prolog

Sie waren sich uneins geworden, diese Menschen auf dem Planeten Erde. Das waren sie immer gewesen – seit ihrer Schöpfung. Immer hatten sie aber auch dazugelernt und dabei gehofft, nun würde es besser werden.

Merkwürdig war und blieb ihr Ziel, den Tod besiegen zu wollen. Merkwürdig deshalb, weil einige in gegenteiliger Ansicht ihre Intelligenz dazu benutzten, neue Mittel zum Töten des Menschen zu ersinnen.

Sie nannten es Fortschritt, diese Menschen. Und sie schritten stets dabei zurück. Sie merkten es nicht. Oder doch? Ja, manchmal hielten sie inne, über sich selbst erschreckt – wie damals, als der furchtbare Feuerpilz über Hiroshima und Nagasaki aufstieg, und der Himmel weinte.

Dann mahnten sie sich gegenseitig, nunmehr endgültig von der Gewalt abzulassen und den anderen Weg zu beschreiten.

Aber welchen Weg?

Nun eben den anderen, der dennoch wiederum einmündete in erneute Gewalt.

Etwas stimmte nicht mit diesem Menschen, diesem Wesen, das die Schöpfung mit Vernunft ausgestattet hatte. Nur – was war Vernunft?

Sie sollen wieder vernünftig werden, sagte der Große Kapitän, der Herr der himmlischen Heerscharen. Wir werden es ihnen beibringen. Sie haben das Lachen verlernt. Schaut nur hinunter! Lachen sie noch? Nein, sie zerfleischen sich.

Bringt sie wieder zum Lachen, sagte der Herr der himmlischen Heerscharen. Und das war sein Auftrag.

Die diesen Auftrag erfüllen sollten, wählte der Herr der himmlischen Heerscharen sorgfältig aus, und er wußte genau, wen er auswählte.

Denn sie waren an allem nicht so ganz unschuldig, weil sie im Handwerk der Gewalt tätig gewesen waren, bevor sie Gnade gefunden hatten.

So erfüllten sie denn ihren Auftrag:

Odysseus – der listenreiche Grieche und Erfinder des Trojanischen Pferdes.

Klaus Störtebeker – ein Meister des Seeraubs, bis ihn die Hamburger schnappten und um eine Kopfeslänge verkürzten.

Francis Drake – ein Schnapphahn zur See, den seine Königin adelte, weil er ihre Schatulle mit erlesenen spanischen Beutestücken füllte.

Horatio Nelson – einäugiger und einarmiger Seeheld der Briten, Sieger von Abukir und Trafalgar, wo ihn die Kugel eines Scharfschützen unsterblich werden ließ. Vor Gefechtsbeginn signalisierte er seinen Schiffen: „England erwartet, daß jedermann seine Pflicht tut.“

Diese vier Männer – so befand der Große Kapitän – sollten den Stab bilden. Mit beratender Funktion unterstellte er sie einem fünften Mann, den er gleichfalls mit Bedacht ausgewählt hatte. Dieser Mann hieß:

Philip Hasard Killigrew – aber dies war nicht sein richtiger Name, denn sein Vater stammte aus der pommerschen Sippe der Manteuffels, und seine Mutter war eine spanische Edeldame. Kinder aus solchen Verbindungen nannte man zu dieser Zeit mit verächtlichem Unterton „Bastarde“. Doch das hatte diesen „Bastard“ nie gekümmert. Er war einen sehr geraden Weg gegangen und hatte die besondere Gnade des Herrn der himmlischen Heerscharen gefunden – eben weil er unbeirrbar gewesen war, unbeirrbar in seiner Auffassung von Gewalt, Recht und Menschlichkeit. Und sie hatten viel gelacht bei ihm an Bord seiner Schiffe, die alle den Namen „Isabella“ mit Ehren getragen hatten.

Ferner ist zu erwähnen, daß der Herr der himmlischen Heerscharen dem Philip Hasard Killigrew und seinem vierköpfigen Stab eine Besatzung beiordnete. Welche wohl? Es konnte gar nicht anders sein, denn

die Arwenacks, die man auch „Seewölfe“ nannte, gehörten zu ihrem „Sir Hasard“ wie das Salz in der Suppe.

So kehrten sie denn auf die See zurück um ihren Auftrag auszuführen. Und sie übernahmen aus dem Arsenal der himmlischen Werft ein den neuen Zeiten angemessenes Schiff, das über die Fähigkeit verfügte, auch unter Wasser operieren zu können …

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

1.

Nicht immer billigte der Rauschebart, der die Wache am Himmelstor hielt, die Befehle des Herrn der himmlischen Heerscharen. Petrus hieß er. Und er hatte gewisse Bedenken, als er die letzte Order des Großen Kapitäns studierte, die er jedoch nur mit einem Brummen quittierte.

Das war schon eine gute Order, dagegen war gar nichts zu sagen, nur stimmte den Rauschebart die Auswahl der himmlischen Ritter unbehaglich. Denn auf der Liste entdeckte er unter anderem auch den Namen jenes frommen Pilgers, dem der Herr unerklärlicherweise die besondere Genehmigung erteilt hatte, einen Papagei bei sich haben zu dürfen. Natürlich nur ausnahmsweise. Es stimmte zwar, daß jene armen Seelen Gnade fanden, die während ihres Erdendaseins gut Freund mit den Tieren gewesen waren oder sie gar gehegt hatten, aber dieser Fall war doch sehr bedenklich. Denn der Papagei benutzte lästerliche Worte, die sich in den himmlischen Gefilden nicht geziemten. Aber darüber hatte der Herr der himmlischen Heerscharen nur milde gelächelt.

Der Papagei hieß Sir John, und man konnte ihm nicht das lose Maul verbieten. Das schaffte auch der fromme Pilger nicht, obwohl er sich viel Mühe gab, den Wortschatz seines Schützlings zu verbessern und den himmlischen Sprachgebräuchen anzupassen.

Diesem frommen Pilger, der auf Erden unter dem Namen Edwin Carberry gewandelt war, mißtraute der Rauschebart Petrus noch mehr als dem krakeelenden Papagei, der ständig die himmlische Ruhe störte.

Der Rauschebart war sich sicher, daß dieses narbige Ungetüm, das einst Profos einer Bande von ziemlichen Rabauken gewesen war, nur mit einem miesen Trick den Durchschlupf durchs Himmelstor gefunden hatte.

Wenn Petrus an dieses Ereignis dachte, packte ihn jetzt noch das heilige Entsetzen, denn damals waren sie zu zweit vor dem Himmelstor aufgekreuzt: dieser Carberry und ein alter verwitterter Kerl, der sein Holzbein ans Tor gedonnert und Einlaß begehrt hatte. Old Donegal O’Flynn hieß der andere. Und er hatte polternd gefragt, wo hier die „Rutsche“ sei. Man habe von der langen Reise durstige Kehlen und müsse einen „verlöten“.

Dürfen passieren, hatte der Herr der himmlischen Heerscharen angeordnet, den der Rauschebart über das Haustelefon sofort angerufen hatte.

Die beiden Kerle waren winkend auf einer weißen Wolke durchs Himmelstor gesegelt, und erbleichend hatte der Rauschebart vernommen, was ihm von dem Papagei zugerufen worden war – ein furchtbares Wort, nämlich: „Affenarsch!“

Zwar hatte das narbige Ungetüm sein „Sir Jöhnchen“ sofort getadelt, aber dabei auch unverschämt gegrinst. Und der alte Schrat mit dem Holzbein hatte wie ein Ziegenbock gemeckert.

So waren sie damals eingezogen. Jetzt zogen sie wieder aus. Der Rauschebart hatte das Himmelstor weit geöffnet, um den langen schlanken Bootskörper hindurchzulassen, der vom Arsenal herüberschwebte. Es war ein silbriger Rumpf in geschmeidiger Fischform. Die himmlischen Heerscharen bildeten Spalier und winkten dem Silberfisch zu, auf dessen schmalem Oberdeck die auserwählte Mannschaft angetreten war, am rechten Flügel das Profos-Ungeheuer, den Papagei auf der rechten Schulter. Auf dem Turm des Silberfischs standen der Kapitän und sein Stab.

„Ed, bitte ausklarieren!“ rief Philip Hasard Killigrew.

„Aye, Sir, ausklarieren!“

Und der Profos schwebte zu dem Logenfenster, durch das der Rauschebart schaute.

„‚U-Isabella‘ wie befohlen klar zur himmlischen Fahrt erdwärts, Sir!“ meldete der Profos und legte zwei Finger grüßend an die Stirn. „Bitten, passieren zu dürfen.“

„Wenn das nur gutgeht“, brummte der Rauschebart und fixierte den Papagei, der mit dem Kopf ruckte und ihn anplierte, als sei er eine besonders schöne Erdnuß.

„Sir Jöhnchen!“ mahnte der Profos. „Sei heute bitte mal still und laß deine vorlauten Bemerkungen.“

Sir Johnchen war anderer Ansicht und krakeelte: „Luv an, Gevatter! Hepp-hepp und hopp und Himmel-Arsch-und-Wackelpudding …“

„Passieren!“ knirschte der Rauschebart.

„Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Er meinte nicht Arsch, sondern Barsch, aber das ‚B‘ vergißt er leider immer. Dabei übe ich ständig mit ihm. Ist er nicht ein liebes Kerlchen?“ Er schielte auf seine rechte Schulter, wo Sir Jöhnchen hockte und den Kopf wie einen Korkenzieher verdrehte.

Der Rauschebart ignorierte die Frage.

„‚U-Isabella‘ kann passieren“, sagte er noch einmal.

„Danke, Sir“, sagte Carberry und salutierte eckig, was Sir Jöhnchen irritierte, weil der Profos dabei die rechte Schulter hochruckte.

Und schon folgte eine Tirade keineswegs lobesamer Ausdrücke, und bei jeder Nennung zuckte der Rauschebart zusammen, raufte denselben und verdrehte die Augen. Zuletzt knallte er einfach das Logenfenster zu.

„Ein feiner Abschied“, murmelte der Profos. „Nicht mal gute Fahrt hat er uns gewünscht.“

„Ach Gottchen, ach Gottchen!“ zeterte das liebe Kerlchen.

„Du sagst es.“ Der Profos seufzte und schwebte zum Silberfisch zurück. „Können passieren, Sir!“ meldete er.

Philip Hasard Killigrew zeigte klar und rief etwas in den Turm hinunter. Sekunden später war nur ein leises Zischen zu hören. Mit einem leichten Neigungswinkel schoß der Silberfisch erdwärts.

Der Frachter stand südlich der Kapverdischen Inseln und steuerte auf Südostkurs ein Ziel an, das nur der Kapitän und der Genosse Kommissar kannten. Es war ein südwestafrikanischer Staat.

Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Etwas Wind kräuselte von Osten her den Atlantik und schrubbte ein paar Schaumköpfe hervor.

Der Kapitän saß in der Backbordnock der Brücke – ein spitzbärtiger Mann mit gebräunter Hautfarbe. Er döste.

Es war der 23. Mai 2009.

Der Kapitän döste auch noch, als sein Schiff den Südostkurs verließ und in einem sanften Bogen nach Norden hochdrehte.

Etwa fünfzehn Sekunden später brüllte der Rudergänger, der an der elektrischen Druckknopfsteuerung im Brückenhaus stand: „Ruderversager!“

Der Kapitän fuhr von dem Klapphocker in der Brückennock hoch und blickte sich um. Irritiert starrte er nach achtern. Das Kielwasser seines Schiffes beschrieb einen sauber gezirkelten Halbkreis, der sich zu einem Kreis zu schließen begann. Das Schiff drehte über Nord nach West, Südwest, Süd, Südost …

„Beide Maschinen stopp!“ schrie der Kapitän.

Aus dem Brückenhaus ertönte das Schrillen einer Glocke und brach abrupt ab.

Dafür brüllte der Rudergänger: „Der Kompaß! Der Kompaß spielt verrückt!“

Der Kapitän stürzte ins Brückenhaus. Sein Blick streifte den Rudergänger. Der war schneeweiß und stierte mit hervorquellenden Augen auf den Kreiselkompaß. Die Nadel rotierte um ihre Achse, mehrere Male, auf Nord blieb sie plötzlich stehen, ruckte dann aber auf Süd und verharrte dort. Jetzt wirkte sie, als sei sie festgefroren.

Der Rudergänger und der Kapitän starrten sich an, blickten wieder auf den Kompaß, und der Kapitän schüttelte den Kopf.

„Was ist denn hier los?“ sagte der Kapitän. Seine Stimme klang brüchig.

Aus dem Maschinenraum meldete sich die Stimme des Ersten Maschinisten, der jetzt die Wache hatte.

„Brücke?“ In der Stimme schwang Panik.

Der Kapitän sprang an das direkte Sprachrohr, das in den Maschinenraum führte.

„Hier Brücke! Was ist los, Valdez?“

Die Stimme des Ersten Maschinisten tönte aus dem Lautsprecher im Brückenhaus. „Sie haben doch die Maschinen stoppen lassen, nicht wahr, Kapitän?“

„Ja!“

„Verdammt, aber die Johnnies stoppten schon vorher – ohne Ihren Befehl, Kapitän. Einfach so.“ Die Stimme wurde besorgt. „Ist bei Ihnen da oben alles klar?“

Der Kapitän starrte durch die Bulleyes das Brückenhauses auf der Steuerbordseite und zuckte zusammen. Auch der Rudergänger blickte in die Richtung. Er ächzte.

Querab an Steuerbord, etwa zweihundert Yards entfernt, tauchten Turm und Rumpf eines U-Bootes auf.

Der Kapitän ignorierte die Frage seines Ersten Maschinisten. Mit einem Satz verließ er das Brückenhaus und stürzte auf die Steuerbordseite der Brücke. Er riß das Glas hoch, das vor seiner Brust baumelte. Übergroß vor seinen Augen erschien der Turm des Bootes, ein längliches Etwas in silberner Farbe, stählern, Wasser perlte vom Turm, zwei Bulleyes glitzerten in der Sonne.

Aus dem Lautsprecher im Brückenhaus quäkte die Stimme des Ersten Maschinisten und fragte zum zweiten Male, ob „da oben“ alles klar sei.

Und der Rudergänger schrie: „Ein U-Boot!“

„Ruhe!“ donnerte der Kapitän.

Wie hypnotisiert stierte er durch das Glas zu dem Boot hinüber. Das drehte jetzt auf der Stelle, der lange, schlanke Rumpf schwang herum, Luftblasen quirlten achtern an die Wasseroberfläche, der Bug, schmal wie ein Messer, richtete sich auf den Frachter, dahinter ragte drohend der silberne Turm auf. Das Boot lag da wie ein zum Sprung bereites Raubtier.

Dem Kapitän sträubten sich die Haare unter der speckigen Mütze. Er dachte an seine Fracht und spürte, wie Schweißperlen über sein Gesicht liefen. Ein Treffer mittschiffs – und sie wurden allesamt zu Staub zerblasen. Sie würden in einem grellweißen Blitz gen Himmel fahren – oder in die Hölle, falls es die gab.

Der Kapitän ließ das Glas sinken und kniff die Augen zusammen. Das war alles nur ein phantastischer Traum. Es gab kein U-Boot, keinen Ruderversager, keinen verrücktspielenden Kompaß, keine Maschinen, die stoppten, ohne daß sie geschaltet wurden.

Aber das U-Boot blieb. Es war keine Täuschung. Der Kapitän wandte den Kopf und blickte über das Deck nach achtern. Fast seine gesamte Besatzung stand auf der Steuerbordseite und starrte zu dem Boot hinüber. Die Männer sahen aus, als seien sie gegen ein Brett gerannt. Sie glotzten wie Kühe vor dem neuen Hoftor.

Unter dem Brückendeck krachte ein Stahlschott auf. Ein dicker Mensch, vollbärtig, mit umgeschnalltem Pistolenkoppel, kletterte den Steuerbordniedergang zur Brücke hoch und schnaufte dabei wie ein durchlöcherter Blasebalg.

Der Kapitän warf ihm nur einen schrägen Blick zu, preßte die Lippen zusammen und starrte wieder zu dem U-Boot.

Der dicke Mensch watschelte an die Brückenverkleidung, schnippte schnalzend mit Daumen und Zeigefinger und sagte über die Schulter zum Brückenhaus hin: „Ein Glas!“

Der Rudergänger brachte ein gummiummanteltes Nachtglas.

Der dicke Mensch hing es schnaufend um den Hals, hob es dann an und stierte hindurch.

„Ein U-Boot“, sagte er.

Das war auch mit bloßem Auge zu erkennen. Und daß diese stählerne Zigarre kein Paddelboot oder Tanker war, hätte vermutlich auch ein Würstchenverkäufer gewußt.

Dem Kapitän lag so eine ähnliche Antwort auf der Zunge, aber er verbiß sie sich. Señor Ortega war politischer Kommissar. Das heißt, er hatte für die richtige Gesinnung der Genossen Seeleute an Bord des Frachters „Libertad“ zu sorgen und darüber zu wachen, daß die Genossen Seeleute Parteikurs steuerten. Wer den nicht steuerte, galt als ein „Verräter des Volkes“. Aber steuern ließ sich zur Zeit schon gar nichts mehr – ob mit oder ohne den Genossen Kommissar.

Der dicke Mensch ließ das Glas sinken und räusperte sich. Der Kapitän drehte sich zu ihm um.

Der dicke Mensch sagte: „Na und? Na und? Wollen Sie nichts unternehmen, Genosse Kapitän?“

„Ich warte ab, was das U-Boot unternimmt“, erwiderte der Kapitän gepreßt. „Denn ich kann überhaupt nichts tun, gar nichts.“

„Und warum nicht?“

Jetzt klang satter Hohn in der Stimme des Kapitäns. „Weil die ‚Libertad‘ manövrierunfähig ist, verehrter Genosse Kommissar, deswegen. Die Maschinen sowie die Ruder- und Kompaßanlage sind ausgefallen.“

Wie zur Bestätigung erschien der Leitende Ingenieur auf der Brücke, käseweiß, Schweißperlen auf der Stirn. Er zuckte hilflos mit den Schultern.

„So was hab’ ich noch nicht erlebt“, sagte er verstört. „Alles ist in Ordnung, und trotzdem ist nichts in Ordnung. Alles ist ausgefallen – alles, total, nichts läuft mehr, gar nichts. Verrückt, einfach verrückt, als sei alles gelähmt …“

„Papperlapapp!“ unterbrach ihn der dicke Mensch ärgerlich. „Gelähmt! Wollen Sie uns verulken, Genosse? In fünf Minuten sind die Schäden behoben, verstanden?“

„Wir haben keine Schäden“, sagte der Leitende verbissen.

„Unfug!“ Der dicke Mensch schnaufte. „Wollen Sie die Gesetze der Logik auf den Kopf stellen, Genosse? Wenn das Schiff keine Schäden hat, müßte alles funktionieren. Aber da nichts funktioniert, wie Sie behaupten, hat es Schäden, also muß repariert werden. Wenn Sie dazu nicht fähig sind, müssen Sie abgelöst werden. Das Amt für Tourismus sucht dringend Schuhputzer für die Hotels, in denen wir die kapitalistischen Urlauber unterbringen. Können Sie wenigstens Schuhe putzen, Genosse Ingenieur?“

Bei dem Leitenden war jener Punkt erreicht, bei dem man – wenn man noch ein Kreuz hat und keinen Buckelrücken – auf die Parteidisziplin im allgemeinen und die Person des Genossen Kommissar im besonderen pfeift.

Und darum sagte er voller Gift und Galle: „Ich kann Schuhe putzen, Genosse Kommissar! Ich kann sogar noch mehr – zum Beispiel Ihnen mit meinem rechten geputzten Schuh in den fetten Hintern treten! Oder bevorzugen Sie einen Tritt mit links?“

„Aha!“ Der dicke Mensch zückte ein Notizbuch, schlug es auf, fummelte nach einem Bleistift, beleckte ihn und begann zu schreiben. Was er schrieb, murmelte er vor sich hin.

„Dreiundzwanzigster Mai zwotausendundneun – Uhrzeit“, Blick auf die Armbanduhr, „dreizehn Uhr siebenzehn – der Genosse Ingenieur – Name Pablo Gonzales – geboren – wann geboren?“

„Steht in meinen Akten!“ fauchte der Leitende. „Falls Sie aber nicht lesen können: geboren am einundzwanzigsten Juni neunzehnhundertsiebenundsiebzig.“

Der dicke Mensch wiederholte das Geburtsdatum und fügte hinzu: „Ort der Geburt?“

„Havanna!“ Der Leitende verdrehte die Augen zum Himmel.

„Havanna“, wiederholte der dicke Mensch, leckte wieder am Bleistift und fuhr fort: „Hat an Bord des kubanischen Frachters ‚Libertad‘ gegen die Gesetze der Parteidisziplin verstoßen, indem er den Genossen Kommissar mit Fußtritten bedrohte, nachdem dieser im Beisein des Kapitäns den Genossen Ingenieur für unfähig erklärt hatte, plötzlich aufgetretene Schäden in der gesamten Maschinenanlage der ‚Libertad‘ beheben zu können.“

„Mahlzeit“, sagte der Leitende.