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Mami
– Staffel 9 –

E-Book 1808-1817

Stephanie von Deyen
Eva-Maria Horn
Susanne Svanberg
Gisela Reutling
Francina Houwer
Gloria Rosen

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-659-3

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Sara und der Sommer am Meer

Roman von von Deyen, Stephanie

»Stimmt es wirklich, daß Kiki mal einem Kapitän gehört hat?« wollte Sara wissen.

Es war ein regnerischer Nachmittag im März, draußen wirbelte der Wind ein paar Blätter auf, die vom letzten Herbst übriggeblieben waren.

Isabel Sievers nickte lächelnd. Ihre kleine Tochter konnte die Geschichte von Kiki, dem weißen Kakadu mit der gelben Federhaube, gar nicht oft genug hören.

»Klar, Saralein. Dein Papa und ich, wir haben ihn in einem Hamburger Zoogeschäft entdeckt, vor fast neun Jahren. Er saß ganz traurig in einem viel zu engen Käfig und brabbelte irgend etwas vor sich hin…«

Kiki schien zu ahnen, daß von ihm die Rede war. Er beäugte Mutter und Tochter aufmerksam, richtete seine Federhaube auf und krächzte: »Alle Mann von Bord!«

Sara kicherte. »Als ihr ihn gekauft habt… hat er da auch schon diese Seemannsausdrücke gekonnt?«

»Ja… aber das haben wir erst gemerkt, als wir ihn schon ein paar Tage zu Hause in Köln hatten. Zuerst war er sehr verschüchtert und wollte überhaupt nichts sagen… keinen Pieps. Aber dann auf einmal ging’s los.«

»Ich hab’ Kiki schrecklich lieb!« bekannte Sara. »Als ich auf die Welt gekommen bin, hat er sich da gefreut?«

»Und wie!« erinnerte sich Isabel. »Als ich mit dir aus der Klinik gekommen bin, war er ganz aus dem Häuschen. Da hatten wir ihn schon fast drei Jahre… Papa hat ihm damals ein paar neue Ausdrücke beigebracht. Hallo, Baby! Das sollte Kiki zu dir sagen…«

»Und… hat er?« Sara rührte in ihrer Kakaotasse. Die lebhafte Sechsjährige mit den blauen Strahleaugen und dem blonden Pferdeschwanz liebte solche gemütlichen Nachmittage mit ihrer Mami.

Isabel lachte. »Er hat alle Ausdrücke, die er jemals gelernt hatte, miteinander vermischt… du kennst das ja, Sara! Und vor lauter Aufregung hat er sein ganzes Repertoire zum Besten gegeben. Bloß hallo, Baby… das kam nicht aus seinem Schnabel.«

»Kiki hat meinen Papa noch gut gekannt!« meinte Sara und wurde auf einmal sehr nachdenklich. »Ich kann mich nicht erinnern. Das geht auch nicht, weil ich doch erst zwei Jahre war, als Papa gestorben war…«

Über Isabels Gesicht flog ein Schatten. Vier Jahre war es jetzt her, daß ihr Mann Kurt drüben in Brasilien tödlich verunglückt war. Im Auftrag seiner Firma war er für ein halbes Jahr als Brückenbauingenieur in das ferne Land gegangen… und eine mißglückte Sprengung war ihm zum Verhängnis geworden.

Wäre Klein-Sara, ihr Wunschkind, nicht gewesen, wer weiß, was aus Isabel geworden wäre… der Schmerz um ihren geliebten Mann hatte sie fast besinnungslos gemacht.

Aber ein Kind braucht seine Mutter.

»Bist du noch traurig?« fragte die Kleine jetzt und umarmte ihre Mutter spontan. »Wegen Papa? Aber wir sehen uns doch immer seine Fotos an, und wir haben ihn ganz lieb! Auch, wenn er jetzt nicht mehr da ist!«

»Ich vermisse ihn eben, Schatz!« flüsterte Isabel. »Immer noch. In meinem Herzen wird er immer weiterleben… als Held.«

Das war ein bißchen zu kompliziert für Sara, aber daß ihr verstorbener Vater ein Held war, leuchtete ihr natürlich ein. Jemand, der Brücken über tosende Urwaldflüsse bauen konnte und sich dabei auch nicht vor wilden Tieren fürchtete, mußte einfach etwas ganz Besonderes sein!

Trotz aller Verehrung für ihren Papa… Sara hätte doch ganz gern einen neuen Vater gehabt! Natürlich war es mit Mami auch schön in dem hübschen Einfamilienhaus am Kölner Stadtrand. Und es war ja auch nicht die Spur langweilig, fand das kleine Mädchen! Trotzdem… die anderen Kinder im Kindergarten hatten alle einen Vater.

Irgendwie wäre es schon toll gewesen… aber bis jetzt wollte Mami wohl keinen anderen Mann!

Sara betrachtete verstohlen ihre hübsche Mutter, die sich noch eine Tasse Kaffee eingoß und eine Zeitschrift durchblätterte.

Mami ist Spitze! dachte Sara. Bei uns ist es richtig schön, tolle Möbel und der große Garten… aber sie schimpft auch nicht gleich, wenn ich mal was rumliegen lasse! Außerdem darf immer jemand zum Spielen kommen. Am liebsten hab’ ich Timmy von nebenan. Der macht alles mit.

Isabel ließ die Illustrierte sinken und warf einen Blick auf ihre Uhr.

»Halb fünf… ein ziemlicher grauer Sonntagnachmittag, Kleines, findest du nicht auch? Schade, daß wir bei diesem Regen nicht in den Zoo gehen konnten.«

»Vielleicht nächste Woche!« Sara konnte sehr vernünftig sein. »Und dann nehmen wir Timmy mit. Ich male gleich noch ein paar Bilder für den Kindergartenwettbewerb.«

Langsam kletterte Kiki aus seinem Käfig, der natürlich viel geräumiger war als der, in dem ihn Isabel und Kurt Sievers vor Jahren vorgefunden hatten.

»Anker lichten!« erklärte er kurz und bündig und landete mit einem Satz auf dem Sitz. Dort hatte er nämlich ein paar Kuchenkrümel entdeckt, denen er einfach nicht länger widerstehen konnte.

Sara zupfte ihn an den schneeweißen Schwanzfedern. Das ließ er sich nur von ihr gefallen. Wehe, jemand anders erlaubte sich eine solche Frechheit! Dann konnte der Kakadu richtig zornig werden und wehrte sich mit ein paar gezielten Schnabelhieben.

Während Sara ihre Buntstifte hervorkramte, entschloß sich Isabel, noch rasch ein paar private Briefe zu erledigen.

Die Zeit wurde manchmal trotz guter Organisation knapp. Von montags bis freitags arbeitete Isabel bis mittags im Kindergarten »Spatzennest«, den auch Sara besuchte. Gegen 13 Uhr gingen Mutter und Tochter gemeinsam nach Hause. Danach wurde gekocht, und es folgte meistens eine Spielstunde mit Kiki, der die beiden stets sehnsüchtig erwartete.

Nachmittags war dann Hausarbeit angesagt… oder es mußten Einkäufe erledigt werden. Und dann die Gartenarbeit, sobald der Winter vorüber war… ab und zu kam zwar Saras Großvater und schnitt Hecken und Gehölze, aber die Hauptarbeit leistete Isabel. Natürlich unter Saras Mithilfe… Blumengießen im Sommer beispielsweise, mit viel Geschrei und Gejauchze, denn es wurden nicht nur die Blumen naß!

Man lebte angenehm in der Rotenbuchstraße. Es war ruhig, aber nicht etwa langweilig… irgendwo in der Nachbarschaft passierte immer etwas. Und daß die Nachbarn untereinander ohne Steit zurechtkamen, war ebenfalls ein großer Pluspunkt. Keiner regte sich auf, wenn mal ein Hund den Mond zu laut anheulte oder ein Auto auf dem Gehsteig falsch geparkt war.

Tag für Tag verlief das Leben in geregelten Bahnen, und Isabel Sievers hörte von vielen Seiten lobende Worte: »Wie du das alles schaffst, Isa… prima! Du und deine Sara, ihr kommt doch gut zurecht.«

Das stimmte. Aber es gab Tage, einsame Abende und Nächte, in denen Isabel der Verzweiflung nahe war. Es waren Stunden, in denen sich der jähe Tod ihres Mannes wieder in ihr Bewußtsein drängte, in denen sie sich aber auch nach einem neuen Lebenspartner sehnte.

Daß sie noch einmal einen Mann so lieben würde wie Kurt, erschien Isabel ganz unmöglich. Aber ein treuer Partner fehlte ihr, mit dem sie Sorgen und Probleme besprechen und einfach auch nur einmal das Leben genießen konnte.

Niemals hätte sich die junge Mutter für einen Mann entschieden, zu dem Sara kein gutes Verhältnis gehabt hätte.

Das Kind war ihr größter Schatz auf dieser Welt, da gab es kein Wenn und Aber.

Wenn ich jemals wieder heirate, dann muß auch Sara ja sagen! überlegte Isabel an diesem regnerischen Sonntag. Ja zu ihrem neuen Vater.

Im Kinderzimmer war es still, offenbar war Sara in ihre Kunstwerke vertieft. Kiki saß auf einem Bein, hatte den Kopf im Gefieder versteckt und schlief.

Isabel spähte aus dem Fenster. Gegenüber, im schmucken Zweifamilienhaus von Frau Schön, wohnte seit einiger Zeit ein neuer Mieter in der ersten Etage.

Alles, was Isabel über ihn wußte, war erstens sein Name und zweitens sein Beruf. Er hieß Rolf Berger und war Computerfachmann, das hatte ihr Elfriede Schön neulich mit wichtiger Miene mitgeteilt.

Er fuhr einen flotten Sportwagen, silbergrau, dessen Motor am Morgen wie das Brüllen eines hungrigen Löwen klang. Wahrscheinlich war dieses Auto sündhaft teuer gewesen… ein italienisches Modell mit Türen, die sich nach oben öffneten.

Offenbar verdient dieser Rolf Berger sehr gut, überlegte Isabel. Na ja, das geht mich ja eigentlich nichts an…

Dennoch verweilten ihre Gedanken noch ein wenig bei dem neuen Nachbarn. Einige Male waren sie sich morgens bereits begegnet, sie fuhr mit Sara in den Kindergarten, er in die Firma. Ein paar freundliche Grußworte, Kopfnicken, ein Lächeln… und er war auf und davon in seiner vierrädrigen Rakete.

Jedenfalls sieht er gut aus, überlegte sie weiter. Das muß man ihm lassen. Dunkles Haar, braune Augen, sportlich… und ständig sonnengebräunt. Wahrscheinlich rekelt er sich jeden Tag unterm Solarium. Und ein Fitness-Studio besucht er sicher auch.

Ihre Gedanken wurden durch stürmisches Klingeln an der Haustür unterbrochen. Erschrocken wachte Kiki auf und blickte mit seinen schwarzen Knopfaugen verschlafen um sich.

»Ab in die Kajüte!« kam es ungewöhnlich leise aus seinem Schnabel. »Leinen los!«

Sara war noch vor ihrer Mutter an der Tür.

»Es ist Timmy!« jauchzte sie. »Toll… jetzt können wir zusammen weitermalen!«

»Mir war so langweilig!« klagte Saras gleichaltriger Kindergartenfreund aus der Nachbarschaft. »Meine Eltern wollen bloß fernsehen. Vati ist müde. Und Mutti hat schlechte Laune, weil es am Wochenende regnet.«

Timmy hatte eine Tüte unter dem Arm, in der er allerlei unentbehrliche Dinge aufbewahrte: Papier, Malstifte, Comic-Hefte und Figuren aus Gummi, Schokolade, Bonbons, verschiedene Fotos, alte verschrumpelte Kastanien vom letzten Herbst und ein sorgfältig in Folie eingewickeltes kleines Computerspiel.

»Du hast deine Wundertüte dabei? Au ja!« Sara zog ihren Spielgefährten ohne viel Federlesens ins Kinderzimmer.

»Ich darf bis nach dem Abendessen dableiben!« Timmys blonder Strubbelkopf erschien noch einmal in der Tür. »Meine Eltern haben gesagt, dann ist wenigstens Ruhe bei ihnen.«

»So… du darfst also bleiben. Bis nach dem Abendessen. Was bedeutet das im Klartext?« wollte Isabel wissen, obwohl sie es längst ahnte.

Timmy machte ein ernsthaftes Gesicht.

»Äh… was? Klartext? Hab’ ich nicht deutlich gesprochen?« Er sah ein bißchen betreten drein. »Mutti sagt, ich darf nicht so schnell sprechen. Dann versteht mich keiner. Ich wollte bloß sagen, daß ich bei euch essen darf.«

»Na, prächtig!« Isabel unterdrückte einen Seufzer. »Und was wünschen die Herrschaften zu speisen?«

»Pizza!« wünschte sich Timmy strahlend, und Sara, die um die Ecke sah, nickte begeistert.

»Klar, Pizza mit Champi… mit Pilzen. Und danach Popcorn.«

Rumms, nun flog die Kinderzimmertür endgültig ins Schloß, und drinnen wurde geraschelt, gelacht und gekichert, was das Zeug hielt.

»Kinder sind so herrlich unkompliziert!« murmelte die junge Frau, während sie in der Küche den Gefrierschrank öffnete. Zum Glück lagerte eine ganze Auswahl verschiedener Pizza-Sorten darin.

Ja, so spontan wie ein Kind, so sollte man noch mal sein, ging es Isabel durch den Kopf.

Und wieder fiel ihr Rolf Berger, der Mann von gegenüber, schlagartig ein. Irgendwie war es ganz und gar nicht unangenehm, an ihn zu denken und sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er an der Tür geklingelt hätte.

»Dummes Zeug!« sagte sie ärgerlich vor sich hin. »Meine Phantasie geht mal wieder mit mir durch!«

Sie holte eine Tüte Mais aus dem Küchenschrank und setzte die Popcornmaschine in Gang. Nur ein bißchen, als Nachtisch… sonst würden sich die zwei Helden da drin im Kinderzimmer nachher den Bauch halten. Pizza und Popcorn!

*

Drei Tage später schien die Sonne wieder. Isabel kaufte beim Bäcker um die Ecke frische Brötchen fürs Frühstück, trat dann wieder ins Freie und schnupperte die milde Frühlingsluft. Überall standen nach dem warmen Regen die Magnolien in voller Blüte, die Narzissen leuchteten gelb neben roten Tulpen und blauen Hyazinthen, und jeder Garten hatte sein schönstes Kleid angelegt.

»Es wird Frühling, nicht wahr?« sagte eine männliche Stimme hinter ihr. »Man spürt es… finden Sie nicht, Frau Sievers?«

Verblüfft drehte sie sich um… und sah direkt in die braunen Augen ihres Nachbarn.

Rolf Berger duftete angenehm nach einem teuren Rasierwasser, trug einen makellos weißen Jogginganzug und sah ausgesprochen gut aus.

»Ich will nur eine kleine Runde drehen, bevor ich in die Ferne fahre!« ließ er sich vernehmen. »Man muß was für sich und seinen Körper tun, Frau Sievers. Sage ich jedenfalls immer. Nun… was Sie betrifft… Sie sind ja schlank wie eine junge Birke.«

»Ich gehe regelmäßig schwimmen und fahre Rad mit meiner Tochter.« Sie wußte nicht so recht, was sie ihm antworten sollte. Er stand wie angewachsen vor ihr und dachte gar nicht daran, sich zu verabschieden… obwohl er doch angeblich durch den Park joggen wollte.

»Eine Radtour wäre nicht schlecht!« Rolf Berger lehnte sich lässig an eine Hauswand, was seinem weißen Jogging-Dress nicht gerade guttat. »Wir könnten doch zusammen am Rhein entlang radeln… Sie, Ihre Kleine und meine Wenigkeit. Was halten Sie davon?«

Isabel lächelte höflich, aber ablehnend.

»Vorläufig nichts, Herr Berger. Wir kennen uns ja gar nicht.«

»Aber das läßt sich doch ändern!« rief er aus. »Wir wohnen in einer Straße, können uns beinahe in die Fenster schauen… das Kennenlernen ist kein Problem!«

Er dämpfte seine Stimme, beugte sich ein wenig zu Isabel hinüber und meinte vertraulich:

»Haben Sie nicht bemerkt, daß ich schon die ganze Zeit darauf hoffe, Sie mal einladen zu dürfen? Zum Abendessen oder ins Theater… wohin Sie auch wollen!«

»Ich bin platt!« entgegnete er. Offenbar überwältigten ihn nun Frühlingsgefühle. »Entzückend. Ach, was sage ich da… noch nie in meinem Leben habe ich eine so charmante Frau getroffen. Natürlich habe ich meine Vermieterin, Frau Schön, ein bißchen gelöchert… wegen Ihnen… Sie verstehen?«

»Ja!« erwiderte Isabel. »Aber Frau Schön redet viel, wenn der Tag lang ist. Eine nette ältere Dame, das stimmt, nur ein wenig geschwätzig…«

»Sie hat mir erzählt, daß Sie Ihren Mann auf tragische Weise verloren haben!« Rolf Berger warf einen begehrlichen Blick auf Isabels Brötchentüte. »Sie Ärmste. Und dann Ihre kleine Tochter, so ganz ohne Vater. Sara heißt die Kleine, nicht wahr?«

»Richtig. Was hat Frau Schön Ihnen denn noch verraten?«

»Nun… daß Sie im Kindergarten arbeiten, in dem auch Ihre Kleine untergebracht ist, halbtags… und daß dieses hübsche Haus Ihnen gehört…«

»Das reicht ja wohl fürs erste, Herr Berger!« unterbrach ihn Isabel. »Mehr gibt es ja auch kaum zu sagen über mich und Sara. Sie

sind gut informiert, dank Frau Schön.«

»Ich erzähle Ihnen gerne auch dies und das über mich!« versprach der Mann im Jogginganzug. »Zum Beispiel, daß ich aus Frankfurt komme, aber hier in Köln eine sehr gute Stelle gefunden habe. Und wenn Sie jetzt noch wissen wollen, warum ich umgezogen bin… meine Verlobte hat mich einfach abserviert, eiskalt, und ich wollte ihr nicht mehr begegnen. Daher bin ich…«

»Von Frankfurt nach Köln gezogen!« vollendete Isabel seinen Satz. »Ich hoffe, daß Sie hier mehr Glück haben. Und nun muß ich mich beeilen. Sara und ich, wir wollen noch zusammen frühstücken, bevor es in den Kindergarten geht.«

»Wann darf ich Sie wiedersehen?« rief Rolf Berger ihr nach. »Frau Sievers… lassen Sie mich doch nicht so einfach stehen…«

Aber genau das hatte sie getan, und er sah ihr stirnrunzelnd nach.

Nicht so leicht zu haben! dachte er grimmig. Wie hat die gute Frau Schön doch so treffend gesagt? Isabel Sievers ist eine selbständige Frau. Stimmt auffallend!

Mittlerweile war sie in ihrem Haus verschwunden. Ein schmukkes Anwesen, ein großer Garten. Rolf dachte weiter nach. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Geld muß sie haben, die schöne Isabel Sievers, wahrscheinlich hatte es ihr der vestorbene Mann hinterlassen. Eine gute Partie, wie es so treffend hieß.

Geld, Wohlstand, ein gewisser Luxus… viele Leute sehnten sich danach.

Rolf Berger allerdings ganz besonders. Und aus gutem Grund. Daß sein Denken überwiegend um Geld kreiste, kam nicht von ungefähr.

Mit dem Sportwagen hatte er sich finanziell übernommen, und mit der neuen Wohnungseinrichtung erst recht. Seine Ex-Verlobte in Frankfurt hatte ihn aus purer Verzweiflung verlassen, weil er sich wegen seiner Schulden immer wieder an sie gewandt hatte.

Zwar verdiente Rolf nun nicht schlecht, lebte aber über seine Verhältnisse. Auch seine neue Hausbank in Köln hatte ihn schon zu einem besorgten Gespräch »eingeladen«, und nur mit größter Mühe war sein Kredit noch einmal aufgestockt worden.

Geschäfte mit Elektrogeräten und Computern, die er »nebenbei« verkauft hatte, waren letztendlich gescheitert.

Wenn überhaupt jemand von seinen finanziellen Querelen wußte und dennoch zu ihm hielt, dann war es sein Freund Dieter aus Frankfurt. Dieter erging es ähnlich, immer obenauf, aber pleite.

Während Rolf eine Runde durch den Park joggte, dachte er an den Anruf seines Freundes gestern abend.

»Eine wohlhabende Frau, das wär’s!« hatte sein guter Kumpel gesagt. »Und wenn sie obendrein noch hübsch ist… Rolf, so was mußt du dir suchen! Ein Nest, gut gepolstert, in dem du unterkriechen kannst! Laß dich verwöhnen! Du siehst doch nicht übel aus und kannst charmant sein, wenn du willst. Also, nichts wie los!«

Natürlich hatte Dieter gut reden. Die Idee an sich aber war ganz nach Rolfs Geschmack.

Japsend lehnte er sich an einen Baum. Ich muß mehr Sport treiben, grübelte er. Fitness-Studio und so weiter… Frauen mögen das. Gleich heute werde ich mich anmelden. Es wäre doch gelacht, wenn diese Isabel Sievers mir widerstehen könnte!

Ein rascher Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es höchste Eisenbahn war. In der Firma Kolling & Co., in der er seit seinem Umzug in die Domstadt arbeitete, achtete man strikt auf Pünktlichkeit. Der Chef selbst, Anton Kolling, war jeden Morgen mindestens eine Viertelstunde vor Arbeitsbeginn im Haus. Es wurde gemunkelt, er beobachte das Eintreffen seiner Angestellten genau und führte sogar darüber Buch!

»Penibel, der Alte!« murmelte Rolf ärgerlich vor sich hin. Am liebsten hätte er jetzt die Firma ganz einfach vergessen, um mit der hübschen Isabel Sievers zu frühstücken. Frische Brötchen… die hatte sie ja schon in der Tüte gehabt. Kaffee, Parmaschinken von der teuersten Sorte, exotisches Obst, zwei oder drei Gläser Champagner… Rolf Berger lebte nun mal gern auf großem Fuß. So ein köstliches Frühstück hätte er am liebsten gern jeden Morgen eingenommen.

Aber… so, wie die Dinge lagen, begnügte er sich mit einer ziemlich trockenen Scheibe Brot, einer Schale Cornflakes und Pulverkaffee. Teils aus Zeitmangel, teils aus Sparsamkeit. Obwohl Rolf ahnte, daß er dererlei Beschränkungen nicht lange aushalten würde.

Ich bin nun mal für Höheres geboren! dachte er großspurig und schloß die Haustür auf. La dolce vita. Irgendwie kann es so nicht weitergehen… ohne eine schöne Frau, ohne genügend Scheinchen in der Brieftasche…

»Sind Sie das, Herr Berger?« erklang die Stimme seiner Vermieterin aus dem Parterre. »Haben Sie wieder Ihren Frühsport hinter sich?«

»Sie sagen es, Frau Schön!« Es gelang Rolf nicht, rechtzeitig in seiner Wohnung zu verschwinden. Elfriede Schön, die einen rosafarbenen Morgenmantel und gleichfarbige Pantoffeln trug, verfolgte ihn bis auf die Treppe. Um ihr sorgfältig onduliertes Haar hatte sie ein geblümtes Chiffontuch geschlungen. Die eine oder andere Locke lag vielleicht nicht richtig, und auf keinen Fall wollte sie sich so vor ihrem Mieter zeigen. Perfekt mußte sie aussehen, einfach rundum gepflegt.

Tatsache war, daß Elfriede Schön, obwohl bereits in den Sechzigern, Rolf Berger anhimmelte. Ein Bild von einem Mann! Ach, wenn sie doch nur jünger gewesen wäre…

»Ich habe Kaffee aufgebrüht!« zwitscherte sie. »Ganz frisch, Herr Berger! Wir könnten eine Tasse miteinander trinken!«

Er zögerte, entschied sich aber dann lieber doch für seinen Pulverkaffee. Frau Schön bereits am frühen Morgen zu ertragen, war ein Kraftakt, dem er sich nicht gewachsen fühlte.

»Tut mir aufrichtig leid!« erwiderte er und lächelte bedauernd. »Ich bin sowieso schon viel zu spät dran. Vielleicht ein andermal!«

»Ich nehme Sie beim Wort!« rief sie. »Die Einladung steht, Herr Berger! Nicht vergessen!«

Aufdringliche alte Schachtel, dachte er wenig respektvoll. Sie soll mich in Ruhe lassen.

Wieder fiel ihm Isabel ein, die schöne junge Frau mit der Brötchentüte. Er dachte sehr intensiv an sie. So intensiv, daß er sich an seinem aromaschwachen braunen Pulvertrank beinahe noch den Mund verbrüht hätte!

Auch Isabel war mit den Gedanken nicht bei der Sache, während sie ein Brötchen für Sara aufschnitt. Autsch… um ein Haar wäre das Messer abgerutscht!

Sara griff nach dem Glas mit der Nußnougat-Creme und meinte: »Denkst du wieder nach, Mami?«

Isabel seufzte. »Du merkst auch alles. Ja, ich habe nämlich vorhin unseren Nachbarn getroffen, den Herrn Berger. Er hat mich gefragt, ob wir mal einen Ausflug mit ihm machen, du und ich… an den Rhein. Irgendwo ins Grüne.«

Sara zog einen Flunsch.

»Du willst mit einem fremden Mann wegfahren, Mami?«

Isabel rührte in ihrer Kaffeetasse. »Aber Mausi, Herr Berger ist doch nicht fremd. Er wohnt gegenüber und grüßt immer sehr nett. Ich finde seinen Vorschlag gar nicht übel.«

»Aber ich mag nicht mit!« gab Sara trotzig zurück. »Er will doch bloß mit dir zusammensein, Mami. Ganz klarer Fall!«

»Unsinn!« ärgerte sich Isabel. »Werd jetzt nicht frech, Sara. Wir können ein bißchen Abwechslung gebrauchen. Und es darf auch ruhig mal jemand dabeisein… nicht immer nur wir beide. Obwohl das natürlich auch sehr schön ist.«

Sara strich eine dicke Schicht Nußnougat-Creme auf ihr Brötchen und biß hinein.

»Wir können mit den Markwards und Timmy weggehen!« antwortete sie kauend. »Am Sonntag, in den Zoo. Neulich hast du noch gesagt, daß du mit mir in den Zoo willst, Mami. Also nehmen wir Timmy und seine Eltern mit. Nicht den Mann von gegenüber.«

Isabel ärgerte sich noch ein bißchen mehr.

»Sara, die Markwards sind eine Familie für sich… Eltern und Kind. Die wollen sich nicht immer an unsere Fersen heften. Ich habe das Gefühl, du bist eifersüchtig, wenn ich mich ein bißchen mit Herrn Berger unterhalte… aber das mußt du doch verstehen. Es ist nichts dabei.«

»Das sagst du!« erklärte Sara altklug. »Aber er findet dich bestimmt toll. Und dann will er dauernd mit dir ausgehen. Wirst du schon sehen.«

Kiki, dessen Käfig heute morgen am Fenster in der Frühlingssonne stand, hatte nun lange genug still zugehört. Jetzt fand er es an der Zeit, sich in das Gespräch einzumischen.

»Luv und Lee!« rief er krächzend. »Auf, Matrosen. Setzt die Segel!«

»Du hast recht!« lachte Isabel. »Auf geht’s… wir sind schon zehn Minuten zu spät dran, Saramaus! Paß auf, ich mache dir einen Vorschlag, damit wir uns nicht länger zanken. Wenn ich den Herrn Berger nochmal treffe, sage ich ihm, daß wir gern am Sonntag in den Zoo möchten. Und wenn er mag, kann er uns begleiten. Wie findest du das? Vielleicht ist er ja wirklich nett, und du verträgst dich toll mit ihm!«

»Na gut!« stimmte Sara zu. »Ich bin ja nicht so. Mami, sieh nur, jetzt ist Kiki wieder traurig, weil wir gehen!«

*

Tatsächlich ließ der Kakadu betrübt seine gelbweiße Haube hängen, trat von einem Fuß auf den anderen und brabbelte vor sich hin:

»Alle Mann von Bord, Klabautermann!«

Die Stunden bis zur Mittagszeit, wenn Mutter und Tochter wieder nach Hause zurückkehrten, waren für den armen Kiki die reinste Folter. Er hing mehr an den beiden, als man es einem Vogel zugetraut hätte. Mitunter hatte er schon so verzweifelt ausgesehen, daß Isabel ihn kurzerhand bei den Markwards nebenan abgegeben hatte… nur, damit er in Gesellschaft war. Aber da er sich dort meist aufführte wie ein Wilder und ständig sein ganzes Repertoire zum Besten gab, war das nur selten möglich.

»Wir lassen ihn raus und geben ihm die Knopfdose zum Sortieren! Bitte, Mami!« bat Sara inständig. Es rührte sie jedesmal zu Tränen, wenn ihr gefiederter Freund so traurig auf der Stange hockte.

»Na schön… ich hoffe nur, er macht keinen Blödsinn.«

Wenn Kiki einsam war, half nur eins: Die Schachtel mit den vielen verschiedenen Knöpfen. Vor allem glänzende waren es, die den Kakadu immer wieder entzückten. Stunde um Stunde beäugte er diese Schätze, hob einen Knopf nach dem anderen mit dem Fuß hoch, hackte kurz danach und legte das Prachtstück dann wieder zurück.

»Du darfst raus, Kiki!« Sara öffnete den Käfig. Normalerweise benahm sich der Kakadu gesittet. Er besaß eine hölzerne Schaukel, die an zwei Zimmerpalmen befestigt war, auf der er sofort landete. Von dort aus beobachtete er zufrieden die Vorbereitungen für einen kurzweiligen Vormittag.

Sara deckte den Wohnzimmertisch mit Zeitungspapier ab und entfernte den Deckel von der Knopfdose. Mit einem Blick erkannte Kiki, daß zwei neue Kostbarkeiten die Sammlung ergänzten, und zwar goldene Knöpfe mit einem kleinen Farbstein in der Mitte. Isabel hatte sie erst gestern von einer Bluse abgetrennt, die ihr nicht mehr paßte.

»Viel Spaß, Kiki!« ermunterte Sara ihren Liebling. »Bis mittags dann!«

Der Aufbruch vollzog sich wie immer: Handtasche, Kindergartenbeutel, eine Tüte diverse andere Utensilien, Autoschlüssel, Hausschlüssel.

Vor dem Haus wartete schon Timmy Markward, der ebenfalls mit ins Auto kletterte, und ab ging’s zum Kindergarten.

»Tschüß, Mami!« An der Eingangstür bekam Isabel ein Abschiedsküßchen von ihrer Tochter. Sara war in der »Igelgruppe«, die von Frau Herder betreut wurde.

Isabel war als Erzieherin für die »Hasen« tätig, ein paar Türen weiter. Dazwischen hatten die »Springmäuse« und die »Maulwürfe« ihr Reich. Und die ganz Kleinen, Neulinge in dem modernen, hübsch eingerichteten Kindergarten, waren natürlich die »Marienkäfer«.

»Fahrt ihr dieses Jahr in Urlaub?« erkundigte sich Timmy bei Sara, als sie ihre Kindergarten-Rucksäche an den Haken hängten.

»Im Sommer? Ich weiß nicht. So große Lust hab’ ich dazu nicht, weißt du. Mami gibt sich immer sehr viel Mühe, aber es ist manchmal langweilig im Urlaub.«

»Echt?« fragte Timmy. Er sah Sara begeistert an. Sie war ganz toll, fand er, und wenn er einmal heiraten sollte – in einer schier unermeßlich fernen Zukunft – dann natürlich nur sie.

»Ja, echt langweilig. Letztes Jahr waren wir in Spanien!« Sara zog ihr Malzeug hervor. »Zuerst am Meer, aber da war es so heiß und so voll, daß Mami Migräne gekriegt hat. Dann haben wir so blöde Sehenswürdigkeiten besichtigt, alte spanische Burgen und so was.«

»Bleibst du lieber hier in Köln?« erkundigte sich Timmy hoffnungsvoll. »Meine Eltern haben gesagt, wir verreisen nicht. Es ist zu teuer. Wir haben erst das Haus reni – rena… wie heißt das Wort?«

»Keine Ahnung!« bekannte Sara. »Aber ich weiß, was du meinst. Ihr habt alles neu anstreichen lassen. Ja, ich bleibe ganz gern in Köln, die Sommerferien sind doch toll hier. Man kann ins Schwimmbad gehen oder mit dem Rheindampfer fahren oder…«

»Hoffentlich fahrt ihr wirklich nicht weg!« meinte Timmy. »Ohne dich ist es öde. Ich könnte dann bloß Fußball spielen. Am Ende würden meine Eltern mich zu meiner Tante Ulrike in die Eifel schicken. Mann, da ist es vielleicht gräßlich! Den ganzen Tag stellt sie mir blöde Fragen und kocht andauernd Eintopf. Bloß die Kaninchen mag ich, hinter dem Haus in einem Stall…«

»Ich sage Mami, daß ich nicht verreisen mag!« versprach Sara treuherzig. »Und jetzt hör auf damit, Timmy. Es ist noch so lange bis zum Sommer!«

»So lange auch wieder nicht!« meinte Hanna Herder, die Erzieherin. Sie hatte Saras Worte gehört und lächelte. »Immerhin haben wir Frühling, und die Zeit vergeht wie im Flug! Wir müssen an Ostern denken. Deshalb wollen wir heute überlegen, was wir in diesem Jahr basteln. Ich habe einige Vorschläge, und gemeinsam stimmen wir dann ab. Einverstanden?«

Sara liebte die Vormittage im Kindergarten. Nur wenn sie an Kiki dachte, tat ihr das Herz ein bißchen weh. Ob er immer noch die Knöpfe sortierte?

Mittags landeten sie wieder wohlbehalten in der Rotenbuchstraße. Isabel ging in die Küche, um für die Kleine und sich zu kochen. Unterdessen landete Kiki mit einem Freudenschrei auf Saras Schulter.

»Segel hissen!« erklärte er und knabberte zart an ihrem Ohr. »Ab in die Kombüse!«

»Du bist süß, Kiki!« flüsterte Sara und kraulte sein Gefieder. »Ich hab’ dich doll lieb!«

Brav hatte er die schillerndsten Knöpfe in eine Reihe sortiert. Ein paar lagen auf dem Boden, zwei Blätter von Mamis Zimmerpflanzen hatten dran glauben müssen, aber was machte das schon aus? Hauptsache, Kiki ging es gut!

Abends klingelte es plötzlich an der Tür. Sara tupfte gerade mit Fingerfarben ein Kunstwerk – Blumen auf einer Wiese – auf einen großen weißen Papierbogen, während ihre Mutter in Jeans, T-Shirt und Schürze die Küchenschränke putzte. Es war mal wieder nötig gewesen!

»Wer kann das sein?« murmelte Isabel und zog ihre Gummihandschuhe aus, von denen die Seifenlauge tropfte. Na ja, egal, es konnte nichts Wichtiges sein… vielleicht nur Timmy, der manchmal am Abend noch herüberkam.

Aber es war nicht der kleine Junge mit den blonden Locken. Ein ausgesprochen gut aussehender Mann, groß und nach Rasierwasser duftend, stand mit einem Blumenstrauß vor der Tür.

»Sie?« fragte Isabel erstaunt.

»Ich komme doch nicht ungelegen?« Rolf Berger setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Ich weiß, ich weiß… vielleicht hätte ich kurz anrufen sollen. Aber ich befürchtete, Sie würden mir einen Korb geben, liebe Frau Sievers… äh, Isabel.«

Die Blumen landeten in ihrem Arm: Iris und Rosen. Ein riesiges Gebilde, umrahmt von Zierfarn.

»Vielen Dank!« meinte sie verdattert. »Die schönen Blumen… das wäre doch nicht nötig gewesen, Herr Berger. Wollen Sie nicht hereinkommen?«

»Aber gern!« Schon war er im Flur des schmucken Hauses. Rasch blickte er sich um: Elegante Möbel, schöne Bilder. Alles zeugte von gutem Geschmack. Und von Wohlstand. Diese Isabel war ein Goldstück, in jeder Beziehung.

»Leider… äh… war ich gar nicht auf Besuch gefaßt!« meinte die junge Frau. »Ich putze gerade in der Küche herum. Wenigstens die Schürze sollte ich…«

»Aber Sie sehen doch entzückend aus!« schmeichelte Rolf. »Ihnen steht einfach alles! Tja… der Grund meines Überfalls ist, daß ich Sie einladen wollte. Irgendwohin… auf ein Glas Wein vielleicht… wie wär’s mit heute?«

»Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Berger…« Isabel zögerte. »Aber es war ein anstengender Tag, und ich möchte mich einfach nur noch ausruhen, wenn ich mit meiner Putzarbeit fertig bin!«

»Ein anderes Mal würden Sie aber nicht nein sagen?« Rolf Berger gab nicht auf. »Sie arbeiten den ganzen Tag, ich bin im Streß… wenigstens ab und zu sollte man sich mal einen schönen Abend gönnen.«

Sara erschien in der Tür und starrte den Besucher neugierig an.

»Du kennst doch Herrn Berger!« sagte Isabel zu ihrer kleinen Tochter. »Sieh mal, er hat mir diese schönen Blumen mitgebracht. Willst du ihn nicht begrüßen?«

»Doch!« Sara wischte ihre farbverschmierten Finger an einem Papiertaschentuch ab und hielt dem Gast ihre kleine Hand hin.

»Guten Abend, mein Kind!« Rolf Berger zog eine große Tüte Gummibärchen aus der Tasche und drückte sie der Kleinen in die Hände. »Na, so was magst du doch sicher… hab’ ich recht?«

Sara nickte. »O ja, danke. Bloß jetzt darf ich nichts mehr davon essen. Ich hab’ mir nämlich schon die Zähne geputzt. Man darf auch nicht so viel Süßes naschen. Das ist ungesund.«

Sie warf einen schnellen und prüfenden Blick auf den großen Mann. Irgendwie paßte es ihr nicht, daß er hier so einfach erschienen war. Mami hatte ihn bestimmt nicht eingeladen!

»Gehen wir doch ins Wohnzimmer, Herr Berger, und setzen wir uns!« lud ihn Isabel ein. »Wenn ich schon Ihre Einladung ausgeschlagen habe, so will ich Ihnen wenigstens einen Drink anbieten. Einen Martini vielleicht?«

»Aber gern.«

Auch die Einrichtung des Wohnzimmers gefiel ihm ausnehmend gut. Weniger begeistert war er von dem weißen Kakadu, der ihn fast so mißtrauisch beäugte wie dieses vorlaute kleine Mädchen. Tiere und Kinder waren nicht unbedingt nach Rolf Bergers Geschmack.

»Gute Nacht!« sagte Kiki und trat von einem Bein auf das andere. »Segel hissen! Ab in die Kombüse.«

Dabei zielte er zweimal kurz mit dem Schnabel auf den für ihn völlig fremden Besucher, um klarzustellen, wer hier der Herr im Haus war.

»Ein erstaunlicher Vogel!« rief Rolf Berger und versuchte, Kiki an der Federhaube zu ziehen… nur leicht, aber Kakadus nehmen so was übel. Jetzt sah Kiki sich ernsthaft bedroht und hackte kurz, aber nachdrücklich in den fremden Finger.

»Aber Kiki!« Isabel war erstaunt. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Berger… das macht er sonst nie. Vielleicht hat Kiki ein bißchen Angst vor Ihnen, weil er Sie noch nicht kennt. Brauchen Sie ein Pflaster?«

»Aber woher denn!« lehnte Rolf ab. »Nicht der Rede wert.« Innerlich kochte er jedoch vor Zorn. Am liebsten hätte er dieser alten Nebelkrähe den Hals umgedreht. Auch Saras Verhalten störte ihn. Warum starrte ihn das Kind so triumphierend an? Ein freches, kleines Gör!

Dennoch… weder an dem lästigen Vogel noch an der Kleinen führte ein Weg vorbei, wenn er Isabel näherkommen wollte. Und das war Rolf Bergers unumstößliche Absicht.

Also kämpfte er seinen Zorn nieder – er geriet sehr schnell in Rage und hatte dann Mühe, sich wieder in den Griff zu bekommen – und wandte sich an Isabel…

»Ich möchte Sie gern am Samstag ausführen, liebe Frau Sievers… es soll da in der Innenstadt ein nettes Weinlokal geben, in dem man auch ganz hervorragend essen kann…«

Ehe Isabel antworten konnte, rief Sara: »Das geht nicht! Am Samstag sind wir den ganzen Tag bei Oma und Opa, auch abends…«

»Vielleicht solltest du deine Mutter antworten lassen!« ärgerte sich der Besucher. Schon wieder brodelte es in Rolf. Dieses kleine, biestige Ding!

»Sara hat recht, Herr Berger!« erwiderte Isabel mit einem kleinen Seufzer. »Meine Eltern haben für den Abend Gäste eingeladen, gute alte Bekannte, und ich kann unmöglich einfach verschwinden. Man würde mir das sehr übelnehmen. Aber wir hatten neulich mal über einen gemeinsamen Ausflug gesprochen… erinnern Sie sich?«

»Ach ja, natürlich. Morgens… an diesem schönen Frühlingstag.« Rolf gab sich poetisch und zeigte ein strahlendes Lächeln. »Haben Sie Vorschläge, Frau Sievers? Ich hatte ja eigentlich an eine Radtour gedacht…«

»Du hast mir versprochen, daß wir am Sonntag in den Zoo gehen, Mami!« nörgelte Sara enttäuscht. »Wir wollten doch schon so lange mal wieder dorthin…«

»Ach ja!« Isabel strich ihrer kleinen Tochter über das blonde Haar. »Stimmt. Tja, Herr Berger… Sie werden verstehen, daß ich mein Wort halten muß! Vielleicht haben Sie ja Lust, uns in den Zoo zu begleiten?«

Ausgerechnet das! dachte Rolf Berger grimmig. Zoo! Familien mit plärrenden Kindern, kreischende Affen, ein miefiges Elefantenhaus… überhaupt, Tiere! Wie konnte man sich nur freiwillig stundenlang alle Arten von Viechern ansehen?

»Äh… eine prächtige Idee!« murmelte er. »Also gehen wir in den Zoo. Ich bin natürlich dabei!«

»Das ist nett, Herr Berger!« Isabel lächelte ihn an, und er beschloß, für ein weiteres so reizendes Lächeln von ihr sogar noch einen zweiten Zoobesuch ins Auge zu fassen, wenn es denn sein mußte.

Sie mixte ihm noch einen Martini und fragte: »Sind Sie auch ein Tierfreund? Wissen Sie, meine Tochter und ich, wir hätten am liebsten alle möglichen Vierbeiner um uns, eine Katze, einen Hund, Goldhamster und Meerschweinchen…«

Um Gottes willen! ging es Rolf durch den Kopf. Laut sagte er: »Aber Sie haben doch diesen schlauen Vogel da. Wie heißt er doch noch?«

»Kiki!« schaltete sich Sara ein. »Und er hat einem Kapitän gehört, früher mal. Deshalb spricht er die Seemanssprache, und ein paar andere Ausdrücke kann er auch noch. Die haben wir ihm beigebracht.«

»Interessant!« erklärte Rolf Berger, während er sich im Grunde genommen entsetzlich bei diesem Thema langweilte. Ihm war klar, daß der Kakadu ihn nicht mochte, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Mit seinen glänzenden, schwarzen Augen beobachtete Kiki jede seiner Bewegungen.

Offenbar war dieses gerissene Tier bei der schönen Isabel und ihrer Tochter Hahn im Korb. Beide begannen, von Kikis verschiedenen Streichen und Kunststücken zu erzählen. Zum Glück wurde Sara schließlich müde, und Isabel schickte sie in ihr Zimmer.

Ein bißchen Zeit blieb Rolf also noch, um sich mit seiner bezaubernden Nachbarin allein zu unterhalten. Auch der Kakadu hielt den Schnabel, nachdem sein Frauchen ein Tuch über den Käfig gehängt hatte.

»Fühlen Sie sich nicht manchmal einsam, liebe Isabel?« fragte er schmeichlerisch. »Von Frau Schön weiß ich ja, daß Sie Tragisches hinter sich haben… der Tod Ihres Mannes… das tut mir schrecklich leid. Auf einmal standen sie allein im Leben mit Ihrer kleinen Sara…«

Er hat Feingefühl, dachte Isabel. Seine Worte klangen teilnahmsvoll und taten ihr gut.

»So schwer es auch war, ich mußte damit fertig werden«, erwiderte sie leise. »Zuerst glaubte ich, ohne meinen Mann sei alles sinnlos. Aber da war ja meine Tochter, mein Sonnenschein… für sie mußte ich weiterleben. Meine Eltern und gute Bekannte haben mir in der schweren Zeit viel geholfen…«

Wie ich schon gemerkt hab’: Das Kind geht ihr über alles! dachte Rolf. Wenn es mir gelingt, mich bei der kleinen Kröte beliebt zu machen, gehört mir Isabel… na, sagen wir mal, schon zu zwei Dritteln. Das letzte Drittel ist dann ein Kinderspiel.

»Sie sind eine sehr tapfere Frau!« Wie zufällig streifte er Isabels Hand mit der seinen. »Seitdem ich gegenüber eingezogen bin, bewundere ich Sie von weitem. Ja, das muß ich Ihnen in aller Deutlichkeit gestehen. Ich bin sehr froh, daß ich hierher nach Köln gezogen bin, Isabel. Sonst hätte ich Sie nie kennengelernt.«

»Aber Herr Berger!« Sie lächelte. »Immer langsam. Das kommt alles ein bißchen plötzlich.«

»So ist das nun mal im Leben!« gab er impulsiv zurück. »Die längste Zeit passiert nichts, und dann, auf einmal… aber ich will Sie auf keinen Fall überrumpeln. Nur eine Bitte hätte ich: Lassen Sie doch das steife ›Herr Berger‹ beiseite und nennen mich einfach Rolf.«

»Wenn ich Ihnen damit eine Freude machen kann… gern, Rolf!«

Wieder dieses Lächeln, das ihn verwirrte. Und das wollte bei ihm etwas heißen… so leicht war er nicht von einer Frau zu beeindrucken.

»Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken anbieten?« fragte Isabel in diesem Moment. Ihm entging nicht, daß sie sehr diskret einen Blick auf die Uhr warf. Ein Zeichen zum Aufbruch für ihn.

»Nein, vielen Dank!« Er erhob sich, ganz und gar Gentleman. »Ich muß jetzt gehen. Es war eine große Freude für mich, mit Ihnen zu plaudern. Und wir sehen uns also ganz bestimmt am Sonntag?«

Sie brachte ihn zur Tür.

»Aber ja. Am besten gegen vierzehn Uhr, nach dem Mittagessen, Rolf.«

»Warum essen wir nicht zusammen?« rief er spontan aus. »Ich wette, Ihre kleine Tochter liebt Spaghetti und Pizza. Also gehen wir zum Italiener!«

»Sie lassen wirklich nicht locker!« erwiderte Isabel lachend. »Okay… am Sonntag Punkt halb eins sind wir startbereit, Sara und ich!«

Er ging über die Straße davon und winkte ihr noch einmal zu, bevor er in der Haustür verschwand.

Still lag die Rotenbuchstraße da, der Nachthimmel war klar und der Vollmond leuchtete. Die Straßenlaternen verbreiteten nur ein gedämpftes Licht. Es gab in der Vorstadtstraße keine großen, häßlichen Bogenlampen, sondern Kutscherlampen. Die paßten viel besser hierher und gaben der Straße ein heimeliges Aussehen. Die Anwohner hatten eine Weile um die etwas nostalgisch anmutende Beleuchtung bei der Stadtverwaltung gekämpft, bis man ihnen endlich den Wunsch erfüllt hatte.

Leise schloß Isabel ab und löschte das Licht im Wohnzimmer. Rolf Bergers riesiger Strauß in der weißen Bodenvase duftete verführerisch.

Eigentlich ein wirklich charmanter Mann! grübelte sie. Ich muß mir eingestehen, daß er mir gefällt. Warum sollte ich nicht ab und zu mal mit ihm ausgehen…